-Zeitung - GEW
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Konfrontation statt Entschuldigung<br />
Anti-Aggressivitäts-Training soll im Schulalltag helfen<br />
LehrerInnenbildung<br />
Über ein wegweisendes Pilotprojekt<br />
zur Gewaltprävention im Studienseminar<br />
für Grund- und Hauptschulen<br />
Kaiserslautern berichtete die<br />
„Rheinpfalz“ auf ihrer Regionalseite.<br />
Wir drucken den Artikel von Anke<br />
Herbert mit freundlicher Genehmigung<br />
der „Rheinpfalz“ nach.<br />
„Ein Schüler nimmt seinem Banknachbarn<br />
ständig das Mäppchen weg. Irgendwann<br />
eskaliert das Ganze, wird aus Spaß<br />
Ernst, fallen Schimpfworte. „Ich weiß<br />
jetzt zumindest ansatzweise, wie ich solche<br />
Situationen umbiegen kann, um<br />
noch vernünftigen Unterricht machen zu<br />
können“, sagt Lehramtsanwärter Ingo<br />
Sehr (26). Wie Nadja Somfleth (24) ist<br />
er derzeit an der Friedrich-Ebert-Hauptschule<br />
in Landstuhl tätig. Beide gehören<br />
zu den 16 freiwilligen Teilnehmern des<br />
„Anti-Aggressivitäts-Training“, einem<br />
landesweiten Pilotprojekt des Staatlichen<br />
Studienseminars für das Lehramt an<br />
Grund- und Hauptschulen in Kaiserslautern.<br />
„Mit diesem Angebot haben wir den<br />
Nagel auf den Kopf getroffen.“ Studienseminar-Leiter<br />
Heinz Winter ist froh,<br />
dass ihn der Zufall mit dem Diplom-<br />
Sozialarbeiter Markus Brand aus Landstuhl<br />
zusammengebracht hatte. Denn<br />
Brand war es schließlich, der mit dem<br />
Diplom-Mediator Günter Grünental<br />
das Anti-Aggressivitäts-Training geleitet<br />
hat. Vier Tage tauschten die angehenden<br />
Hauptschullehrer das Katheder mit der<br />
Schulbank, um Anhaltspunkte für den<br />
besseren Umgang mit aggressiven Kindern<br />
und Jugendlichen zu bekommen.<br />
Wichtig: Es erst gar nicht zu solchen Situation<br />
kommen zu lassen. Denn Brands<br />
am Frankfurter Institut für Sozialarbeit<br />
und -pädagogik entwickelte Methode der<br />
„konfrontativen Pädagogik“ setzt an der<br />
Wurzel an: Schon bei einer Kleinigkeit<br />
muss der Schüler mit seinem Verhalten<br />
konfrontiert werden, es erklären, die Verantwortung<br />
übernehmen. „Rechtfertigungsdruck<br />
ist ein Verhinderungsgrund“,<br />
sagt Brand. Im Gegensatz zur entschuldigenden<br />
Pädagogik geht es nicht mehr<br />
um den sozialen Hintergrund des „Täters“<br />
wie das Elternhaus. Stattdessen wird<br />
auf Eigenverantwortung abgehoben und<br />
das falsche Verhalten zudem öffentlich,<br />
also vor der Klasse, behandelt. Brand:<br />
„So kann der Schüler seinen Kopf nicht<br />
aus der Schlinge ziehen, indem er zum<br />
Beispiel ein Vier-Augen-Gespräch mit<br />
dem Rektor vor seinen Freunden zu seinen<br />
Gunsten wiedergibt.“<br />
Auch das „Behandeln“ haben die Lehramtsanwärter<br />
geübt. Durch Rollenspiele<br />
zum Beispiel. „Wer das Verhalten des<br />
betreffenden Schülers gut findet, muss<br />
sich links aufstellen, wer nicht, rechts“,<br />
erläutert Ingo Sehr. Dadurch werde die<br />
ganze Klasse in die Verantwortung einbezogen,<br />
ergänzt Markus Brand. Und<br />
das zeige in der Regel Wirkung. „Vorher<br />
war ich in der typischen Lehrerhaltung,<br />
Verständnis für Problemkinder zu haben“,<br />
meint Sehr. Das Training hingegen<br />
habe ihn darin bestärkt, Kinder mit<br />
ihrem Verhalten zu konfrontieren und<br />
dadurch einen ungestörteren Unterricht<br />
zu ermöglichen. Das koste zwar erst mal<br />
Zeit, zahle sich aber mittelfristig aus.<br />
„Eine Patentlösung gibt es natürlich<br />
nicht“, sagt Nadja Somfleth. Bereits<br />
während des Kurses sei klar geworden,<br />
dass jeder den Weg wählen müsse, der<br />
am besten zu ihm passe.<br />
Bildungsstaatssekretär Prof. Dr. Joachim<br />
Hofmann-Göttig:<br />
„Ich bin sicher, dass die Absolventen<br />
des Lehrgangs mit ihrer freiwilligen<br />
Zusatzqualifikation eine ideale Voraussetzung<br />
gerade für den Einsatz in<br />
so genannten „Brennpunktschulen“<br />
erworben haben. Neben der Schulsozialarbeit<br />
im engeren Sinn, Aktionen<br />
wie ,Sport und Spiel statt Gewalt auf<br />
dem Schulhof´ oder Streitschlichter-<br />
Programmen kann das ,Anti-Aggressivitätstraining´<br />
einen weiteren Beitrag<br />
dazu leisten, Gewalt so weit wie möglich<br />
aus der Schule zu verbannen“.<br />
Mit Sehr ist sich die 24-Jährige einig,<br />
dass das Training für jede Schulart wichtig<br />
wäre, „denn solche Probleme gibt es<br />
nicht nur an Hauptschulen“. Solche Probleme,<br />
damit ist nicht notwendigerweise<br />
körperliche Gewalt an Schulen gemeint.<br />
„Die ist weitaus seltener, als es in<br />
der Öffentlichkeit manchmal dargestellt<br />
wird“, meint Studienseminarleiter Winter.<br />
Dafür aber seien andere Verhaltensmuster<br />
wie Psychoterror, Mobbing oder<br />
das Verbreiten von Unruhe an der Tagesordnung.<br />
„Da hilft es einfach, klar<br />
aufzuzeigen, dass solches Verhalten nicht<br />
geduldet wird“, sagt Sehr. Auf Dauer<br />
schaffe das ein besseres soziales Klima und<br />
damit ruhigeren Unterricht.<br />
Um Erfahrungen auszutauschen, wollen<br />
sich die 16 Hauptschullehrer weiterhin<br />
treffen. Und ginge es nach Winter, würde<br />
das Training fester Bestandteil der der<br />
Ausbildung: „Es wäre schon deshalb<br />
wichtig, weil es keine eigenständige Ausbildung<br />
für Hauptschullehrer gibt.“ Derzeit<br />
aber kann er nur hoffen, vom Bildungsministerium<br />
zumindest noch für<br />
zwei weitere Kurse Geld zu bekommen.<br />
„Dann wären etwa 50 Anwärter durch,<br />
und wir könnten einen Vergleich zwischen<br />
Ausbildung mit und ohne Training<br />
ziehen.“<br />
Mit seinem Anti-Aggressivitäts-Training<br />
hat das Kaiserslauterer Studienseminar<br />
als eines von acht Studienseminaren für<br />
Grund- und Hauptschullehrer in Rheinland-Pfalz<br />
folglich ein Modellprojekt<br />
vorgelegt. Deshalb hatte das Bildungsministerium<br />
auch die rund 6100 notwendigen<br />
Euro bewilligt. Winter zufolge kam<br />
das grüne Licht aus Mainz, weil es bei<br />
einem solchen Kurs auch um die Qualitätssicherung<br />
an Schulen insgesamt gehe.<br />
Das für die Lehrerausbildung eigentlich<br />
zuständige Wissenschaftsministerium<br />
habe eine Förderung abgelehnt, dafür<br />
aber ein Training mit eigenen Kräften<br />
angeboten. Der Reiz habe aber darin gelegen,<br />
einen anderen Ansatz, sprich die<br />
konfrontative Pädagogik, zu erproben.<br />
Darin bestätigt sieht sich Winter durch<br />
die überaus positive Resonanz der Lehramtsanwärter.<br />
„Sie war viel besser als auf<br />
andere Seminarangebote, für uns eigentlich<br />
niederschmetternd“, sagt der Studienleiter<br />
- und schmunzelt.<br />
<strong>GEW</strong>-<strong>Zeitung</strong> Rheinland-Pfalz 5 /2002<br />
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