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5.3 Theoriebildende Konzepte 5.3.1 Konzept der ...

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Deutungsmusters. In: Z.f.Päd., 39 Jg. 1993. Nr. 4. S. 551-562.<br />

Ten Have, P. (1999): Doing Conversation Analysis. A Practical Guide. London.<br />

Titscher, S.; Wodak, R.; Meyer, M.; Vetter, E. (1998): Methoden <strong>der</strong> Textanalyse:<br />

Leitfaden und Überblick. Opladen (Westdeutscher Verlag).<br />

<strong>5.3</strong> <strong>Theoriebildende</strong> <strong><strong>Konzept</strong>e</strong><br />

Die Annahme einer Trennung von Datenerhebung und Datenauswertung ist zwar<br />

plausibel, wi<strong>der</strong>spricht aber eigentlich den Grundüberlegungen qualitativer<br />

Forschung; jedenfalls dann, wenn man sich an die Tradition <strong>der</strong> Chicagoer Schule<br />

anlehnt. Die Grundidee besteht nämlich in einer Verzahnung von Datenerhebung<br />

und Datenauswertung. Ich will im folgenden das <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong><br />

gegenstandsbezogenen Theoriebildung von Glaser und Strauss ansprechen und<br />

zweitens das durch dieses <strong>Konzept</strong> beeinflusste Theoriemodell <strong>der</strong><br />

Verlaufskurvenanalyse von Fritz Schütze.<br />

<strong>5.3</strong>.1 <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> gegenstandsbezogenen Theoriebildung<br />

(Grounded Theory)<br />

Beson<strong>der</strong>s deutlich ist diese Verzahnung von Datenerhebung und<br />

Datenauswertung konzeptionell bei Glaser und Strauss in ihrem <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong><br />

gegenstandsbezogenen Theoriebildung (Grounded Theory) (Glaser/Strauss 1967;<br />

1998). Die Aktivität des Forschers verteilt sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />

des Forschungsprozesses in spezifischer Weise zwischen <strong>der</strong> Datenerhebung, <strong>der</strong><br />

Konstruktion geeigneter Kategorien (Deskriptionssystem) und <strong>der</strong> Auswertung <strong>der</strong><br />

Daten, die mit einem Theorieaufbau einhergeht.<br />

Glaser und Strauss sprechen von einem theoretical sampling und bezeichnen<br />

damit den Prozeß <strong>der</strong> Datenerhebung, um eine feldspezifische Theorie zu<br />

erzeugen. Innerhalb des Prozesses <strong>der</strong> Datenerhebung werden Entscheidungen<br />

über die Daten getroffen, die als nächstes erhoben werden sollen. Mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten: Die Frage, welche Daten als nächstes erhoben werden sollen, ist<br />

abhängig vom bisherigen Forschungsverlauf, genauer: von den Resultaten <strong>der</strong><br />

bisherigen Forschung.<br />

Beispiel 1<br />

„In einer frühen Phase <strong>der</strong> Datenerhebung wurde mir klar dass es - im extremen<br />

Gegensatz zu Patienten, für die es eine Katastrophe darstellt, in <strong>der</strong> Psychiatrie<br />

"gelandet" zu sein - Personen gibt, die sich sehr aktiv darum bemühen, in <strong>der</strong> Klinik<br />

aufgenommen zu werden; sie stellt so etwas wie einen Schutzraum dar; in den sie<br />

sich eine Zeitlang zurückziehen können. Für das Personal kann dies ein durchaus<br />

– 106 –


legitimer Rückzug sein, es kann aber auch gereizt reagieren: z. B. dann, wenn ein<br />

Patient sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dass er das professionelle Interesse <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter reichlich überflüssig findet, dass er froh ist, eine Zeitlang versorgt zu<br />

werden, und sich ansonsten auf sein Bett legt, seine Kopfhörer aufsetzt und Radio<br />

hört. Für mich tauchte in diesem Zusammenhang die Frage danach auf, unter<br />

welchen biographischen Voraussetzungen Personen dahin kommen können, das<br />

psychiatrische "Versorgungssystem" auf diese Weise zu nutzen, und welche<br />

Relevanz die Psychiatrie im Rahmen ihrer Subsistenzstrategien erhält“. (Riemann<br />

1987, 33)<br />

Beispiel 2:<br />

„Ich hatte zu diesem Zeitpunkt die Datenerhebung als abgeschlossen betrachtet und<br />

keine neuen Interviews mehr geplant, als in <strong>der</strong> Beschäftigung mit einer ganzen<br />

Reihe von Transkriptionen immer häufiger die Frage nach <strong>der</strong> alltäglichen und<br />

biographischen Relevanz von psychiatrischer Technologie (Psychopharmaka)<br />

auftauchte. Es erschien mir lohnend, ein weiteres Interview durchzuführen, von dem<br />

ich annehmen konnte, dass dieses Thema eine zentrale Rolle spielen würde. Ich<br />

hatte längere Zeit vorher einen Mann interviewt, dessen Lebensgeschichte mich vor<br />

allem deshalb beeindruckt hatte, weil er schon als Kind Psychopharmaka erhalten<br />

hatte und sich in seiner Familie - etwas vereinfacht gesprochen -alles um die<br />

Tabletten zu drehen schien. Ich rief ihn wie<strong>der</strong> an, wir vereinbarten einen Termin und<br />

trafen uns bald darauf. Er erzählte mir erst, wie es ihm in <strong>der</strong> Zwischenzeit ergangen<br />

war, und anschließend stellte ich einige deskriptive und narrative - Nachfragen - vor<br />

allem auch zur Bedeutung <strong>der</strong> Psychopharmaka in seiner Biographie und in seinem<br />

Alltag. Dies führte zu neuen Einsichten - z.B. zu Auswirkungen von regelmäßigen<br />

Depotspritzen auf den Lebensrhythmus - und zu weiteren Fragestellungen, unter<br />

denen schon - zuvor analysiertes Datenmaterial erneut bearbeitet werden konnte.“<br />

(Riemann 1987, 36)<br />

Sicherlich ist bei Glaser und Strauss gemeint, dass aus den feldspezifischen<br />

Daten auch eine feldspezifische Theorie entwickelt werden kann und soll. Ich<br />

denke, es muss aber nicht prinzipiell ausgeschlossen sein, dass die Ausarbeitung<br />

einer gegenstandsbezogenen Theorie sich auch dadurch auszeichnet, dass auf<br />

vorhandene Theoriekorpora zurückgegriffen wird. Wichtig ist dabei nur, dass ein<br />

subsumtionslogisches Verfahren vermieden wird. Das bedeutet, dass erhobene<br />

Daten unter eine Theorie untergeordnet werden und ausschließlich aus dem<br />

Blickwinkel dieser Theorie gesehen und ausgelegt werden. Der<br />

Forschungsprozess ist beendet, wenn eine hinreichende empirische, deskriptive<br />

und theoretische Sättigung erreicht ist. Das bedeutet, die Frage, ob weitere Fälle<br />

und/o<strong>der</strong> Untersuchungsgruppen einbezogen werden sollen, entscheidet sich am<br />

Stand <strong>der</strong> sich aus den Daten und <strong>der</strong> Untersuchung entwickelnden Theorie.<br />

Sandra Tiefel<br />

– 107 –


<strong>5.3</strong>.2 Kodierung nach <strong>der</strong> Grounded Theory<br />

Kodierungsleitlinien für die Analyse biographischen Lernens<br />

In <strong>der</strong> deutschen Forschungslandschaft beziehen sich viele Qualitative Studien<br />

und insbeson<strong>der</strong>e Qualifikationsarbeiten unabhängig davon, in welcher Disziplin<br />

sie verankert sind und welche Methoden sie anwenden, seit Jahren auf die<br />

Prämissen <strong>der</strong> Grounded Theory (vgl. Strauss/ Corbin 1996, Strauss 1998,<br />

Glaser/ Strauss 1979 und 1998), so dass diese von Strauss und Glaser erstmals<br />

1967 publizierte Methodik inzwischen <strong>der</strong> Status einer allgemeinen Methodologie<br />

qualitativer Sozialforschung zugesprochen werden kann (vgl. Strübing 2004).<br />

Insbeson<strong>der</strong>e ihre methodologischen Prinzipien wie Offenheit, Parallelität von<br />

Datenerhebung und –auswertung, theoretisches Sampling und kontrastieren<strong>der</strong><br />

Vergleich sind generell auf theoriegenerierende Logiken <strong>der</strong> qualitativinterpretierenden<br />

Sozialforschung übertragbar.<br />

Da das methodische Vorgehen <strong>der</strong> Grounded Theory, Kodierung genannt,<br />

aufgrund ihrer soziologischen Herkunft eine starke handlungstheoretische<br />

Fundierung aufweist, ergeben sich in <strong>der</strong> Forschungspraxis methodische<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen sobald das Erkenntnisinteresse nicht vorrangig auf die<br />

Exploration von Handlungsbedingungen und –abläufen in Interaktionen und<br />

Institutionen zielt: Interessieren wie in <strong>der</strong> Erziehungswissenschaft verstärkt auch<br />

biographische Lern- und Bildungsprozesse, die ein größeres Emergenzpotential<br />

aufweisen, stoßen ForscherInnen bei <strong>der</strong> Anwendung des Kodierparadigmas auf<br />

Schwierigkeiten, da insbeson<strong>der</strong>e bei Phänomenen, die über längere Lebenszeitspannen<br />

immer wie<strong>der</strong> virulent werden, nicht rekonstruierbar ist, welche<br />

Bedingungen, Interaktionszusammenhänge, Handlungsstrategien und<br />

Konsequenzen relevant sind o<strong>der</strong> waren.<br />

Dieses Kapitel greift diese Problematik auf und entwickelt angelehnt an die<br />

Kodierleitlinien von Strauss und Corbin und basierend auf lern- und<br />

bildungstheoretischen Annahmen ein Kodierparadigma, das die<br />

Analyseperspektiven auf die Rekonstruktion subjektiver Sinn- und<br />

Zusammenhangsbildung lenkt und stellt die verän<strong>der</strong>te Auswertungspraxis an<br />

einem Interviewausschnitte exemplarisch dar.<br />

Ausgehend von einer sich stetig mo<strong>der</strong>nisierenden Mo<strong>der</strong>ne interessiert<br />

erziehungswissenschaftliche Forschung insbeson<strong>der</strong>e, wie Individuen Selbst- und<br />

Weltsichten sowie Handlungsvollzüge im Kontext sozialer und gesellschaftlicher<br />

Prozesse entwickeln und modifizieren, die einerseits Halt und Sinn geben,<br />

an<strong>der</strong>erseits aber auch Flexibilität ermöglichen.<br />

Ergänzend zu <strong>der</strong> Narrationsanalyse bietet das Kodierverfahren nach Strauss und<br />

Corbin die Möglichkeit, die (sozialen) Kontexte <strong>der</strong> Subjekte und <strong>der</strong>en<br />

Wechselwirkung mit biographischen Lernprozessen gezielter in den Blick zu<br />

– 108 –


nehmen. Dazu bedarf es jedoch – wie folgend gezeigt wird - einer Modifikation des<br />

Kodierparadigmas unter lern- und bildungstheoretischer Perspektive.<br />

Das methodische Repertoire – die Kodierung – ist entgegen <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Prämissen <strong>der</strong> Grounded Theory keineswegs für alle Forschungsfragen in gleicher<br />

Weise konzipiert, son<strong>der</strong>n die Kodierungsleitlinien wurden dezidiert für<br />

handlungstheoretische Fragestellungen entwickelt (vgl. Strauss/ Corbin 1996).<br />

„Das Ziel <strong>der</strong> Grounded Theory ist es, eine Theorie zu generieren, die ein<br />

Verhaltensmuster erklärt, das für die Beteiligten relevant und problematisch ist.“<br />

(Strauss 1998: 65). Lern- und Bildungsorientierte Biographieforschung interessiert<br />

neben dieser Verhaltens- bzw. Handlungsperspektive vor allem aber auch die<br />

Orientierungs- und Deutungsmuster, die die handelnden Subjekte im<br />

Biographieverlauf erwerben, modifizieren o<strong>der</strong> stabilisieren.<br />

Da sich in Interpretationsgruppen im Kontext erziehungswissenschaftlicher<br />

Biographieforschung trotz des detaillierten Methodenmanuals von Strauss und<br />

Corbin immer wie<strong>der</strong> Probleme bei <strong>der</strong> Kodierung von Lern- und<br />

Bildungsverläufen zeigen, möchte ich im Folgenden zunächst noch einmal die<br />

handlungsbezogenen Prämissen des Kodierverfahrens nach Glaser und Strauss/<br />

Corbin sowie die damit einhergehenden Perspektiven auf das Material veranschaulichen<br />

(2). Kontrastierend dazu entwickle ich auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

ausgewählter theoretischer Ansätze zu dem Gegenstandspaar Lernen und<br />

Biographie ein modifiziertes Kodierparadigma, das die Auswertungsperspektive<br />

auf Lern- und Bildungsprozesse lenkt und erprobe dieses beispielhaft an einem<br />

Interviewausschnitt (3). Ich ende mit einem Fazit zu den Chancen des<br />

modifizierten Kodierparadigmas für die qualitative Lern- und Bildungsforschung<br />

(4).<br />

a) Grounded Theory – Rekonstruktion des impliziten Handlungsund<br />

Verhaltensfokus’ bei <strong>der</strong> Analyse empirischen Materials<br />

In den folgenden Ausführungen orientiere ich mich an <strong>der</strong> von Strauss und Corbin<br />

weiterentwickelten Grounded Theory, welche durch den klassischen<br />

amerikanischen Pragmatismus (beson<strong>der</strong>s durch J. Dewey und C.S. Peirce) und<br />

die Chicago School (z.B. durch E. H. Hughes und H. Becker) geprägt ist und<br />

„einen pragmatistischen Theoriebegriff zu Grunde legt, <strong>der</strong> sich durch<br />

Prozessualität und Perspektivität auszeichnet“ (Strübing 2004:60).<br />

Forschungsfragen und –designs in <strong>der</strong> Forschungslogik von Strauss/Corbin<br />

Das Verfahren <strong>der</strong> Grounded Theory gibt Analysehilfen an die Hand, um Theorien<br />

über Phänomene auf <strong>der</strong> Basis empirischer Daten zu generieren. Welche<br />

Phänomene Gegenstand <strong>der</strong> Untersuchung werden, ist abhängig von <strong>der</strong><br />

Forschungsfrage: „Die Fragestellung in einer Untersuchung mit <strong>der</strong> Grounded<br />

– 109 –


Theory ist eine Festlegung, die das Phänomen bestimmt, welches untersucht<br />

werden soll. Sie beinhaltet, was man schwerpunktmäßig untersuchen und was<br />

man über den Gegenstand wissen möchte. Fragestellungen in <strong>der</strong> Grounded<br />

Theory besitzen darüber hinaus immer eine Handlungs- und Prozessorientierung“<br />

(Strauss / Corbin 1996: 23)<br />

Zur Spezifizierung welche Handlungs- und Prozessphänomene mit dem<br />

Kodierverfahren bearbeitet werden können, nennen Strauss und Corbin drei<br />

verschiedene Ebenen des Erkenntnisinteresses:<br />

• Fragestellungen, die Interaktionen in spezifischen Situationen o<strong>der</strong><br />

Kontexten in den Mittelpunkt <strong>der</strong> Analyse stellen z.B.: Was passiert wenn<br />

die Schmerzen eines Patienten vom Pflegepersonal nicht geglaubt werden?<br />

• Fragen, die organisationsspezifische Abläufe, Aufgaben o<strong>der</strong> Dynamiken<br />

untersuchen wollen z.B. Welchen organisatorischen und politischen<br />

Umgang mit Drogenkonsum gibt es? Und schließlich<br />

• Forschungsleitende Fragen, die biographische Perspektiven in den<br />

Mittelpunkt ihrer Analyse stellen z.B.: Welchen Einfluss haben langjährige<br />

medikamentöse Schmerzbehandlungen auf die Patientenreaktion bei <strong>der</strong><br />

Einnahme von Schmerzmedikamenten? (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 23f.)<br />

Anhand dieser exemplarisch ausgewählten Fragestellungen wird deutlich, dass<br />

egal welche <strong>der</strong> drei Phänomenebene analysiert wird – ob Interaktion,<br />

Organisation o<strong>der</strong> Biographie – rekonstruierbare Reaktionen und damit<br />

Handlungs- und Interaktionskontexte sowie strategien im Fokus <strong>der</strong><br />

Aufmerksamkeit stehen. Dieser Interessenfokus hat sich auch in <strong>der</strong> Kodiertechnik<br />

nie<strong>der</strong>geschlagen ohne dort noch einmal explizit benannt zu werden.<br />

b) Kodierung nach Strauss/Corbin<br />

Das Kodieren ist ein Prozess zur Entwicklung von <strong><strong>Konzept</strong>e</strong>n in<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem empirischen Material:<br />

„Durch den Kodiervorgang werden 1.) generative Fragen weiter verfolgt wie auch<br />

generiert, 2.) die Daten aufgebrochen, so dass <strong>der</strong> Forscher von <strong>der</strong> reinen<br />

Beschreibung zur Interpretation auf höhere Abstraktionsebenen gelangt. Der<br />

Kodiervorgang ist das zentrale Verfahren, mit dem 3.) eine Schlüsselkategorie<br />

entdeckt werden kann und 4.) folglich die Integration <strong>der</strong> ganzen Analyse<br />

eingeleitet wird. Der Kodiervorgang bringt 5.) die gewünschte konzeptuelle Dichte,<br />

d.h. die Zusammenhänge zwischen den Kodes und die Entwicklung jedes<br />

einzelnen Kodes“ (Glaser 1979 zitiert nach Strauss 1998 S. 91).<br />

Ein Kodierbeispiel „Bin ich erstmal im Badezimmer…“<br />

– 110 –


„Bin ich erstmal im Badezimmer, komme ich fast ohne fremde Hilfe aus. Ich<br />

habe einen Drahtstuhl, den ich in <strong>der</strong> Badewanne benutze, und eine<br />

Haltestange über <strong>der</strong> Wanne und ich stehe auf, indem ich mich über die<br />

Wanne hänge. Ich gehe halb rüber zur Wanne und setze mich in den Stuhl.<br />

Ich habe einen Stuhl genau am Rand <strong>der</strong> Wanne, wie auf einer Rampe;<br />

wenn ich mich dann setze und in dem Sitz ausgestreckt bin, hebt mein<br />

Begleiter meine Beine an und drückt mich das Stück bis zur Wand zurück.<br />

Bin ich erstmal dort, sind die Griffe für das heiße und kalte Wasser genau<br />

vor mir. Wenn ich bade lasse ich meinen Begleiter die Handtücher und das<br />

Zeug vorbereiten noch bevor ich mich aus-gezogen habe, und das Wasser<br />

ein bisschen anwärmen. Aber hat das Wasser erstmal die richtige Wärme<br />

für mich, dann stelle ich das Wasser ab. So hat das Wasser beim<br />

Einsteigen eine angenehme Temperatur, die ich dann nachregulieren kann;<br />

ich muss nicht in die Wanne gehen und das Wasser dann völlig kalt werden<br />

lassen.“ (Lifchez/Winslow 1981 zitiert nach Strauss 1998: 92)<br />

Dieses Material stammt aus einem Forschungsprojekt einer Studentin, die über<br />

„Behin<strong>der</strong>ung“ forschte (vgl. Corbin/ Strauss 1996:62f). Strauss zeichnete anhand<br />

dieses Beispiels das offene Kodieren innerhalb einer Studierendengruppe nach<br />

(vgl. Strauss 1998:92f.) Er zeigt auf, wie die Gruppe anhand einer Wort-für-Wort-<br />

Analyse theoretisch geleitete Fragen generiert und mögliche Antworten darauf<br />

gibt, interne und externe Vergleiche angestellt sowie Ähnlichkeiten und<br />

Unterschiede herausarbeitet (vgl. Strauss 1998:94). Auf diese Weise – so Strauss<br />

– entwickeln die Studierenden nicht nur den Kodenamen zu dem zentralen Phänomen<br />

dieser Textstelle: „komme ich fast ohne Hilfe aus“, son<strong>der</strong>n benennen auch<br />

Subkategorien und beziehen diese aufeinan<strong>der</strong>. Sie stellen ohne, dass dies zuvor<br />

strukturiert worden wäre, Fragen zu folgenden Wahrnehmungsbereichen:<br />

a) zu den Bedingungen für das Phänomen „fast ohne fremde Hilfe auszukommen“,<br />

b) zu den Interaktionszusammenhängen (Wie leistet <strong>der</strong> Begleiter die geringe<br />

Hilfe?),<br />

c) zu den Handlungsstrategien (Was tut <strong>der</strong> behin<strong>der</strong>te Mann? Was tut sein<br />

Begleiter?) und<br />

d) zu den Konsequenzen (Ergebnisse o<strong>der</strong> Resultate von Handlung und<br />

Interaktion).<br />

Als vorläufiges Ergebnis können die Studierenden mithilfe <strong>der</strong> Detaillierungen zu<br />

den oben genannten Bereichen den Kode „fast ohne fremde Hilfe auskommen“ als<br />

bedeutsam für den Informanten nicht nur in Bezug auf das Baden bestimmen. Sie<br />

können die genannten Strate-gien und Bedingungen für den Erhalt seiner<br />

(eingeschränkten) Eigenständigkeit auf an<strong>der</strong>e Situationen übertragen und nach<br />

weiteren Belegen im Text suchen. Zur Systematisierung dieses Kodiervorgehens<br />

– 111 –


haben Strauss und Corbin ein Kodierparadigma entwickelt, das sie vor allem beim<br />

axialen Kodieren einsetzen.<br />

c) Das handlungsbezogene Kodierparadigma in seiner<br />

Anwendungspraxis<br />

Um eine dichte Grounded Theory entwickeln zu können, bedarf es nach Strauss<br />

und Corbin des Kodierparadigmas, mit dem sie Subkategorien einer Kategorie<br />

herausarbeiten, verglei-chen und präzisieren, indem sie in strukturierter Weise auf<br />

Bedingungen, Kontexte, Handlungs- und interaktionale Strategien sowie<br />

Konsequenzen verweisen“ (vgl. Strauss/Corbin 1996:78). Konkret schlagen beide<br />

vor, Kodes mit Hilfe von Memos zu spezifizieren, indem Notizen zu dem o.g. Satz<br />

von Beziehungen aufgeschrieben und Verweise detailliert werden. Obwohl das<br />

Prinzip <strong>der</strong> Offenheit: „Die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes<br />

zurückzustellen, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes<br />

durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat“ (Hoffmann-Riem 1980: 343)<br />

durch das Kodierpara-digma nicht gefährdet wird, geben die Kausalannahmen des<br />

paradigmatischen Modells Orientierungsrahmen für die Analyse vor. Für die<br />

„Beschreibung des Behin<strong>der</strong>ten, wie er badet“ sähe die Analyse mit dem<br />

Kodierparadigma wie folgt aus:<br />

1. Benennen des Phänomens/ <strong>der</strong> Kategorie:<br />

• Die ursächliche Bedingung des zu analysierenden Phänomens ist die<br />

körperliche Behin<strong>der</strong>ung.<br />

• Das Phänomen wurde als „fast ohne fremde Hilfe auskommen“ begrifflich<br />

gefasst – also kodiert.<br />

2. Nennen von Details/ Subkategorien/ Beziehungen zur Konkretisierung <strong>der</strong><br />

genannten Kategorie<br />

• Zur Konkretisierung des Handlungszusammenhangs dieses Kodes soll<br />

zunächst <strong>der</strong> Kontext des „Fast-ohne-fremde-Hilfe-auskommens“ beschrieben<br />

werden: Baden als ein wichtiger Bestandteil von Hygieneverrichtungen gehört zu<br />

den elementaren Grundversorgungen menschlicher Existenz wie<br />

Nahrungsaufnahme, Bekleiden, Wohnen, soziale Kontakte pflegen etc. und dient<br />

zugleich auch <strong>der</strong> individuellen Selbstpräsentation. „Fast ohne Hilfe“ baden zu<br />

können, kann in diesem Kontext als Aufrechterhaltung von Autonomiepotentialen<br />

und Selbstbestimmung interpretiert wer-den.<br />

• Als intervenierenden Bedingungen sind räumliche Gegebenheiten, wie die<br />

Halterung an <strong>der</strong> Ba-dewanne o<strong>der</strong> die Stellung des Badestuhls aber auch das<br />

Verfügen über einen Begleiter und des-sen Vorbereitungen (Bereitlegen <strong>der</strong><br />

– 112 –


Handtücher etc.) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aktionsradius des Behin<strong>der</strong>ten (sich Aufstellen können,<br />

die Hände bewegen können usw.) interpretiert werden, da sie grundle-gend für<br />

das „Fast-ohne-fremde-Hilfe-auskommen“ sind.<br />

• Handlungen und Interaktionen werden in <strong>der</strong> Situation des Badens von dem<br />

Behin<strong>der</strong>ten mit <strong>der</strong> Unterscheidung „was kann ich selbst ausführen“ und „wobei<br />

benötige ich Hilfe“ thematisiert. Das „fast ohne fremde Hilfe auskommen“ wird<br />

durch ein chronologisch geordnetes Ineinan<strong>der</strong>greifen von vorbereiteten<br />

Handlungen (Handtuch zurechtlegen) und definierten Hilfsgriffen in <strong>der</strong> Situation<br />

(an die Wand geschoben werden) organisiert. Die auf einen strukturierten Ablauf<br />

verweisende Formulierung „Bin ich erstmal…“ verdeutlicht dabei die Strategien<br />

und Techniken zur Herstellung und Aufrechterhaltung des „fast-ohne-Hilfeauskommens“:<br />

Im Vorfeld muss <strong>der</strong> Badende Sorge tragen für die notwendige<br />

dinglich-räumlichen Gegebenheiten, Arbeitsteilung zwischen ihm und dem<br />

Begleiter absprechen und zeitlich koordinieren sowie Handgriffe aufeinan<strong>der</strong><br />

abstimmen etc.<br />

• Die direkte Konsequenz in <strong>der</strong> Situation wird vom Informanten als „ich muss<br />

nicht in die Wanne gehen und das Wasser dann völlig kalt werden lassen“<br />

resümiert. Bezogen auf das Phänomen „fast ohne Hilfe auskommen“ zeigt sich<br />

aber noch eine an<strong>der</strong>e Konsequenz: Das Gefühl kaum eingeschränkter<br />

Eigenständigkeit kann von dem Behin<strong>der</strong>ten durch eine Reihe von Bedingungen<br />

und Strategien hergestellt werden, die alle im Rückgriff auf die Ausführungen<br />

zuvor in ihrer Aus-prägung und Beziehung zueinan<strong>der</strong> beschrieben werden<br />

können.<br />

Durch das Heranziehen weiterer Textstellen und kontrastieren<strong>der</strong> Vergleiche mit<br />

an<strong>der</strong>en Interviews könnte das Phänomen „Fast ohne fremde Hilfe auskommen“<br />

mit Hilfe des Kodier-paradigmas noch präzisiert werden. Dabei kann z.B. mit einer<br />

biographischen Perspektive auf das Material herausgearbeitet werden, welche<br />

Strategien und Techniken <strong>der</strong> Informant in verschiedenen Situationen seines<br />

Lebens entwickelt, um seine Eigenständigkeit trotz seiner körperlichen<br />

Einschränkungen so weit wie möglich beibehalten zu können. Über das selekti-ve<br />

Kodieren wäre die Generierung einer Grounded Theory zum Gegenstandbereich<br />

„Aus-rechterhaltung von Autonomie bei körperlicher Behin<strong>der</strong>ung“ denkbar, die die<br />

notwendigen intervenierenden Bedingungen wie räumlich-dingliche Umwelt,<br />

personengebundene Hilfstä-tigkeiten, subjektive Aktionsformen, Ressourcen etc.<br />

zueinan<strong>der</strong> in Beziehung stellt und Ab-laufschemata rekonstruiert.<br />

Obwohl auch die Erziehungswissenschaft die Analyse <strong>der</strong> Wechselwirkungen<br />

zwischen biographischen und strukturellen Prozessen anhand ausgewählter<br />

Kontexte und Situationen als ein zentrales Anliegen definiert (vgl. z.B. Schulze<br />

1992), lässt sich ihr Erkenntnisinteresse im Dilthey’schen Sinn stärker im<br />

– 113 –


Verstehenwollen individueller Entscheidungs- und Handlungs-weisen verorten.<br />

Erziehungswissenschaftliche Forschungsfoki konzentriert sich demnach eher auf<br />

die Rekonstruktion biographischer Prozesse in ihrer Wechselwirkung mit sozialen<br />

Bedingtheiten. Ein Kodierparadigma für Lern- und Bildungsprozesse müsste<br />

Verstehensfra-gen stellen, um diesen Fokus auf das Material unterstützen.<br />

d) Kodierung biographischer Lernprozesse<br />

Im Vergleich zu dem von Strauss und Corbin favorisierten soziologischem<br />

Erkenntnisinteres-se sind erziehungswissenschaftliche Fragestellungen durch<br />

einen stärkeren Bezug auf Zu-sammenhangs- bzw. Persönlichkeitsbildung<br />

gekennzeichnet. In mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften wird die Herstellung subjektiven<br />

Sinns als zentrale Aufgabe aller Individuen gesehen (vgl. Marotzki 1988), damit<br />

diese trotz <strong>der</strong> ständig wachsenden Varianzen möglicher Lebensge-staltungen in<br />

sozialen und personalen Entwicklungen auch noch Kontinuität und Stabilität<br />

erleben. Eine Analyse biographischer Lernprozesse muss demnach zuerst an <strong>der</strong><br />

subjekti-ven Sinn- und Zusammenhangsbildung ansetzen, um die Strategien <strong>der</strong><br />

Selbst- und Welt-bildstabilisierung und –modifizierung im Biographieverlauf<br />

nachzeichnen zu können.<br />

Die Wechselwirkung zwischen Struktur und Subjektivität ist nicht nur nach Alheit<br />

für biographische Lernprozesse konstitutiv, da erst in Interaktion mit <strong>der</strong> Welt und<br />

ihren Beschränkungen subjektiv Sinn geschaffen werden kann. Die Rekonstruktion<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung und des Umgangs <strong>der</strong> Individuen mit den gesellschaftlichen<br />

Vorgaben, Regeln, Instanzen etc. in ih-rem Biographieverlauf gäbe<br />

dementsprechend Auskunft darüber, wie das Individuum lernt, auf lebensweltliche<br />

Sicherheiten und Konventionen zu verzichten und sich neue Orientie-rungsrahmen<br />

und Handlungsressourcen zu sichern.<br />

Damit geraten zur Rekonstruktion biographischer Lernprozesse neben <strong>der</strong> Frage<br />

nach <strong>der</strong> Sinnherstellung verstärkt auch die Biographie umgebenden Strukturen<br />

ins Blickfeld <strong>der</strong> Analyse, da <strong>der</strong> soziale Rahmen den Kontext für Lernprozesse<br />

abgibt. Hierbei lassen sich in Anlehnung an die soziologisch Unterscheidung<br />

zwischen Makro-, Meso- und Mikroperspekti-ven drei verschiedenen Ebenen <strong>der</strong><br />

sozialen Interaktion und Kontextualisierung voneinan<strong>der</strong> unterscheiden:<br />

gesellschaftliche wie historische Rahmen, Institutionsbedingungen und sozia-le<br />

Beziehungen. Eine Analyse biographischen Lernens muss zweitens folglich ihre<br />

Perspek-tive darauf richten, welche Interaktionsbezüge und sozialen Kontexte<br />

wann Relevanz für in-dividuelle Lernprozesse entwickeln. Alheit (1996)<br />

thematisiert das „Wie“ <strong>der</strong> strukturellen Relevanzgewinnung bei <strong>der</strong> individuellen<br />

Sinnherstellung und verdeutlichen damit, dass zur Analyse biographischer<br />

Lernprozesse drittens auch die Rekonstruktion <strong>der</strong> Lernstrategien und -techniken<br />

– 114 –


in das Zentrum des erziehungswissenschaftlichen Forschungsinteresses rücken<br />

müssen.<br />

Modifikation des Kodierparadigma zur Analyse biographischer Lernprozesse<br />

Angelehnt an die Kodierungsleitlinien nach Strauss und Corbin wird <strong>der</strong> folgende<br />

Interview-ausschnitt anhand <strong>der</strong> zuvor beschriebenen Annahmen zum<br />

biographischen Lernen analy-siert, indem zur Detaillierung des Phänomens<br />

Fragen zu den drei zuvor genannten Analyse-perspektiven entwickelt wurden:<br />

• Sinnperspektive (vor allem bezogen auf die Rekonstruktion des<br />

Selbstbildes): Wie präsentiert sich <strong>der</strong> Informant/ die Informantin? Was sagt die<br />

Person über sich? Wie stellt sie sich dar? Was wird nicht genannt? Welche<br />

Orientierungen sind für die Informantin/ den Informanten relevant? (Normen,<br />

Werte, Wissenschaften, Allgemeinplätze…)<br />

• Strukturperspektive (vor allem die Rekonstruktion des Weltbildes): Welche<br />

Rahmen und Bedingungen werden als wichtig o<strong>der</strong> relevant für die Möglichkeiten<br />

und den Akti-onsraum <strong>der</strong> eigenen Person dargestellt/ deutlich? Was sind<br />

orientierungsgebende An-nahmen, Vorstellungen o<strong>der</strong> Positionen? Welche<br />

sozialen Beziehungen, institutionellen o<strong>der</strong> gesellschaftlich/ historischen<br />

Zusammenhänge werden für die eigene Person als wichtig gekennzeichnet?<br />

• Handlungsweisen: welche Aktivitäten/ Interaktionen beschreibt die<br />

Informantin/ <strong>der</strong> Informant? Wie ist es mit <strong>der</strong> Wahrnehmung von und dem<br />

Umgang mit Optionen bestellt? Sind die Strategien eher aktiv o<strong>der</strong> passiv,<br />

zielgerichtet o<strong>der</strong>. tentativ suchend?<br />

Der folgende Transkriptausschnitt stammt aus dem narrativen Interview mit einer<br />

Erzie-hungsberaterin zu ihrer Berufsbiographie, dem ein zweites<br />

Leitfadeninterview zur beruflichen Praxis folgte. Die Forschungsfrage zielte auf die<br />

Exploration <strong>der</strong> Lern- und Bildungsprozes-se, die das Beratungshandeln <strong>der</strong><br />

AkteurInnen beeinflussen. Die Annahme war, dass berate-risches Handeln nur<br />

zum Teil auf ausbildungsbedingten Wissenshorizonten und erlernbarem<br />

Methodenrepertoire beruht. Und so sollten insbeson<strong>der</strong>e die biographischen Lernund<br />

Bil-dungserfahrungen <strong>der</strong> BeraterInnen, also ihre Selbst- und Weltreferenzen,<br />

und in einem zweiten Schritt <strong>der</strong>en Einfluss auf das Beratungshandeln untersucht<br />

werden.<br />

Die Beraterin D. ist 45 Jahre alt und seit 1995 Mitarbeiterin in einer<br />

konfessionellen Beratungsstelle in einer ostdeutschen Kleinstadt, in <strong>der</strong> neben ihr<br />

noch die Leiterin (Diplompsy-chologin) und eine Verwaltungskraft arbeiten . Sie ist<br />

gelernte Krankenschwester, wurde noch zu DDR-Zeiten zur Fürsorgerin und nach<br />

<strong>der</strong> Wende durch eine Anpassungsfortbildung zur Sozialarbeiterin qualifiziert.<br />

Parallel zu ihrem Arbeitsbeginn in <strong>der</strong> Erziehungsberatung hatte sie eine<br />

Zusatzausbildung in systemischer Familientherapie begonnen, die inzwischen<br />

– 115 –


abgeschlossen war. In <strong>der</strong> Haupterzählung beschreibt Frau D., das Interview hat<br />

sehr wenig narrative Passagen, ihren Berufsverlauf als über die Wende<br />

kontinuierlich verlaufenden Prozess von <strong>der</strong> Krankenschwester zur<br />

Familientherapeutin. In dem Interviewausschnitt berich-tet sie auf Nachfrage durch<br />

die Interviewerin über ihre mögliche weitere berufliche Entwick-lung:<br />

„Ja, also daß ich das bis zum Rentenalter mache, mit Kin<strong>der</strong>n, nein, das will ich<br />

nicht. (..) das weiß ich, ne. Ich hab‘ vorher, bevor ich eh hier angefangen habe,<br />

habe ich gesagt mmh, dadurch, daß ich immer mit Kin<strong>der</strong>n zu tun hatte, ich<br />

möchte wie<strong>der</strong> was mit Kin<strong>der</strong>n machen und irgendwie ist das auch so<br />

gekommen, ne. Aber jetzt im Nachherein sage ich mal das hat sich so entwickelt<br />

die Einstel-lung nach <strong>der</strong> Ausbildung zur Familientherapeutin, ja, das ich so sage,<br />

ehm (..) so überwiegend Kin-<strong>der</strong>, nee, das möchte ich nicht, ja. (5 sec.) Vielleicht<br />

doch lieber so mehr mit Erwachsenen zu tun o<strong>der</strong> kann mir auch vorstellen<br />

irgendwann mal was ganz an<strong>der</strong>es zu machen, ich weiß es nicht. (.) Aber bis zum<br />

Rentenalter (Lachen) möchte ich ‘s nicht, ob es so kommt weiß ich nicht. Kann<br />

sein, daß ich im Rentenalter auch noch hier sitze ja. Und die Vernunft sagt, ‚Du<br />

mußt Geld verdienen. (...) Und du mußt das erstmal hier weitermachen‘, ja, (..)<br />

hmhm.“ (DI:851f).“<br />

Die Interpretationsgruppe, die anhand des Kodierparadigmas offen kodierte,<br />

suchte nach interessanten Phänomenen und generierte neue Fragen aus dem<br />

Material, um Vergleiche mit weiteren Textstellen vornehmen zu können. Soweit<br />

entspricht das Kodiervorgehen dem zuvor genannten Verfahren nach Strauss und<br />

Corbin (vgl. 2.2). Angelehnt an die Systematik von Strauss/Corbin kann man<br />

diesen Analyseprozess wie folgt dokumentieren:<br />

1. Benennen des Phänomens<br />

In <strong>der</strong> Diskussion kristallisierte sich das Abstandnehmen von eigenen Interessen<br />

zugunsten pragmati-scher Lösungen als zentrales Phänomen heraus, das<br />

begrifflich nach längerer Diskussion als „selbst-gewählte Außenlenkung“<br />

beschrieben wurde.<br />

2. Nennen von Details zur Bestimmung von Kodes zu biographischen Lern- und<br />

Bildungsprozessen<br />

Die Sinnperspektive lässt sich vor allem durch Details zur Bestimmung des<br />

Selbstbildes konkretisie-ren, indem bei <strong>der</strong> Selbstpräsentation <strong>der</strong> Beraterin Inhalt<br />

und Form <strong>der</strong> Artikulation in Beziehung gesetzt werden: Frau D. benennt bei sich<br />

einen Wechsel ihres Klientelinteresses in Folge einer Fami-lientherapieausbildung.<br />

Wie es zu diesem „Einstellungswechsel“ kommt (sage ich mal, das hat sich so<br />

entwickelt die Einstellung nach <strong>der</strong> Ausbildung, ja) wird dabei ebenso wenig<br />

konkretisiert wie eine anzustrebende alternative Tätigkeit („irgendwann mal was<br />

ganz an<strong>der</strong>es zu machen“). Zum Interview-zeitpunkt steht aber zweifelsfrei fest,<br />

dass sie auf keinen Fall bis zum Rentenalter (das wären ca. noch 20 Jahre) mit<br />

Kin<strong>der</strong>n arbeiten „will“, obwohl die berufliche Kontinuität bislang trotz des häufigen<br />

– 116 –


Wechsels von Tätigkeiten und <strong>der</strong> aufsteigenden Qualifizierungen gerade durch<br />

diese Klientel ge-kennzeichnet war. Ihrer einführenden starken Positionierung<br />

„nein, das will ich nicht“ folgen aber eher vage und abschwächende Ausführungen<br />

„dass ich so sage, ehm, so überwiegend Kin<strong>der</strong>, nee“ o<strong>der</strong> „doch lieber so mehr<br />

mit Erwachsenen“ bis hin zu <strong>der</strong> Annahme, dass sich dieser Wille nicht realisie-ren<br />

lässt „Kann sein, daß ich im Rentenalter auch noch hier sitze, ja“. Frau D.<br />

relativiert so in diesem kurzen Segment ihre sehr vehement vertretene<br />

Anfangsposition ohne Umsetzungsmöglichkeiten auf-zuwerfen. Schon <strong>der</strong> Entwurf<br />

von Handlungsmöglichkeiten scheitert dabei offensichtlich an <strong>der</strong> Hal-tung, dass<br />

eigene Wünsche sich <strong>der</strong> Macht des Faktischen – hier <strong>der</strong> finanziellen<br />

Absicherung – unterzuordnen haben: „Die Vernunft sagt: Du musst Geld<br />

verdienen“. Frau D. präsentiert sich hiermit als Person, die sich <strong>der</strong> Entwicklung<br />

ihrer Wünsche und Interessen bewusst ist, diese aber nicht zur Basis ihrer<br />

Orientierungen macht, son<strong>der</strong>n sich freiwillig stattdessen eher einer<br />

pragmatischen Lösung un-terordnet.<br />

Die Detaillierung <strong>der</strong> Strukturperspektive schließt direkt an die Rekonstruktion des<br />

Selbstbildes von Frau D. an und versucht das Weltbild zu rekonstruieren: Mit dem<br />

Wissen, dass Elternarbeit in <strong>der</strong> Erziehungsberatung ein zentraler<br />

Tätigkeitsbereich ist, verwun<strong>der</strong>t es, dass Frau D. keine Ideen ent-wickelt, wie ihr<br />

neues Klientelinteresse in ihrer jetzigen Arbeitsstelle umgesetzt werden könnte. Es<br />

scheint als verbiete sie sich in einer Art vorausseilendem Gehorsam sogar<br />

Überlegungen und Planun-gen, die auf Interesse und nicht institutionellen Fakten<br />

und Gegebenheiten beruhen. Die Notwendig-keit, Geld zu verdienen, wird damit<br />

pauschal zur orientierungs- und handlungsleitenden Maxime, ohne dass<br />

institutionelle Möglichkeitsräume antizipiert geschweige denn aktiv ausgenutzt<br />

werden. Z.B. stellt sie auch den Fakt, dass sie bislang immer mit Kin<strong>der</strong>n<br />

gearbeitet hat, nicht als Resultat ihres eigenen Bemühens heraus („und irgendwie<br />

ist das auch so gekommen“). Ihr Arbeitsverständnis ist demnach vor allem durch<br />

eine Arbeitsmoral geprägt, die (vermeintliches) Pflichtbewusstsein und die<br />

freiwillige Anpassung an Gegebenheiten vor individuelle Beteiligung o<strong>der</strong><br />

Befriedigung stellt. Falls beides – Pflichten und Interesse zusammenkommen,<br />

scheint das für Frau D. eher Zufall aber nicht das Produkt eigenen Bemühens zu<br />

sein. Daran erinnernd, dass Frau D. <strong>der</strong> Interviewtermin von ihrer Chefin ohne<br />

vorherige Absprache in den Kalen<strong>der</strong> getragen wurde, kann hier auch eine<br />

Anpassung an die in <strong>der</strong> Beratungsstelle eingeübten Routinen vermutet werden:<br />

Frau D. scheint es gewohnt, eher ihr zugeteil-te Aufgaben zu übernehmen.<br />

Obwohl sie darunter auch leidet, macht sie diese Rollenerwartungen zu ihren<br />

eigenen und akzeptiert die damit einhergehenden persönlichen Unzufriedenheiten.<br />

Zusammen-fassen zeigt Frau D. hier ein Weltbild, das den Menschen eher als<br />

ausführendes Organ institutioneller und gesellschaftlicher Gegebenheiten<br />

interpretiert: Wünsche gehören da eher in das Reich <strong>der</strong> Phan-tasie, in <strong>der</strong> realen<br />

Welt bestimmen die Pflichten die Handlungsmöglichkeiten.<br />

– 117 –


Da in dieser Textsequenz keine Interaktionen beschrieben werden, können nur<br />

implizite Handlungs- o<strong>der</strong> Verhaltensweisen expliziert werden. Deutlich werden<br />

Handlungsmuster, das die zuvor heraus gearbeitete Selbst- und Weltverständnis<br />

stützen. Frau D. entwickelt trotz Unzufriedenheit mit ihren gegenwärtigen<br />

Tätigkeiten keine aktiven Strategien zur Umsetzung ihrer Wünsche, obwohl diese<br />

mit den genuinen Anfor<strong>der</strong>ungsbereichen in <strong>der</strong> Erziehungsberatung vereinbar<br />

wären. Sie antizipiert stattdessen, dass sie aus Vernunftgründen auch noch im<br />

Rentenalter mit Kin<strong>der</strong>n arbeiten wird und resümiert „Du musst das erstmal hier<br />

weitermachen“. Der Wechsel des Personalpronomens erinnert an eine<br />

Durchhalteparole: nicht die aktive Gestaltung <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen, son<strong>der</strong>n<br />

das Durchste-hen und Durchhalten wird als adäquate Bewältigung <strong>der</strong> seit einiger<br />

Zeit als unangenehm empfunde-nen Arbeitsaufgaben propagiert. Denn mit dem<br />

Begriff „erstmal“ zeigt sich auch eine Hoffnung, dass die Situation sich auch ohne<br />

Zutun von Frau D. bessern könnte und damit einen ähnlichen Verlauf nimmt, wie<br />

zuvor im Berufsverlauf die kontinuierliche Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n, die „irgendwie dann<br />

auch so gekommen“ ist. Als zentrale Handlungsweisen sind hier „Pflicht erfüllen“<br />

und „Abwarten, dass sich etwas zum Besseren entwickelt“ begrifflich zu fassen.<br />

Mit dieser ersten Kodierung, die Frau D. in ihrem Sein, Denken und Handeln durch<br />

eine „selbstgewählte Außenlenkung“ charakterisiert, wurde dem Phänomen nicht<br />

nur ein Kode-name gegeben, son<strong>der</strong>n dieser auch durch das Kodierparadigma mit<br />

dem Fokus auf Sinn-, Struktur- und Handlungsparadigma detaillierter beschrieben.<br />

Mit <strong>der</strong> Analyse weiterer Text-stellen wurde nun gezielter nach minimalen und<br />

maximalen Kontrasten im Fall gesucht. Bei Frau D. kann dabei gezeigt werden,<br />

dass sie sich in ihrem Lebensverlauf immer wie<strong>der</strong> frei-willig in Situationen begibt,<br />

in denen ihr gesagt wird, was sie zu tun hat o<strong>der</strong> wo Regeln und Normen ihr<br />

Handeln bestimmen. Ihre Orientierung an gesetzten Rahmenbedingungen ist<br />

dabei jedoch nicht streng bürokratisch an Richtlinien o<strong>der</strong> Gesetzen ausgerichtet,<br />

son<strong>der</strong>n wird in <strong>der</strong> Interaktion mit an<strong>der</strong>en intuitiv erfahren. Dieses Muster galt, so<br />

lässt sich an vie-len Textstellen mit Hilfe des Kodierparadigmas aufzeigen, sowohl<br />

bei <strong>der</strong> Berufswahl, im Kontext ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten und auch bei<br />

den Entscheidungen für ihre Weiterbildungen (vgl. Tiefel 2004:107f.). Erst mit <strong>der</strong><br />

Qualifizierung zur Familientherapeutin fällt eine Verän<strong>der</strong>ung in Frau Ds. starker<br />

Außenorientierung auf: „...Eh eigentlich bin ich immer so eh von draußen<br />

ange¬schubst worden, ja. Daß man mir das so angetragen hat, ich könnte doch<br />

das machen ehm (..) ja. Und dann habe ich mich eben halt so dazu entschlossen,<br />

hmhm. Aber von mir selber aus kam das eigentlich nicht. (..) Sagen wir mal die<br />

Fürsorgerinnen-Ausbildung, das war dann immer so bedingt mit diesem<br />

Arbeitsplatzwechsel, ja, mit diesem Stellenwechsel. Und dann habe ich das halt<br />

eben so gemacht, aber das letzte mit <strong>der</strong> Familientherapeutin, also das war schon<br />

mein An-spruch auch und das wollte ich, ja (.) hmm. (DII: 51f).<br />

Diese neue Sicht auf sich selbst und die eigenen Interessen lassen einen<br />

– 118 –


iographischen Lern- wenn nicht sogar einen beginnenden Bildungsprozess<br />

vermuten. Im Prozess des axia-len Kodierens wurde nun nach Textsegmenten<br />

gesucht, die den Beginn dieser biographi-schen Entwicklung sichtbar werden<br />

ließen. In <strong>der</strong> Analyse zeigt sich, dass Frau Ds. Selbst-wahrnehmung zunächst<br />

damit beginnt, dass sie Gegebenheiten nicht mehr nur über sich ergehen lässt und<br />

auf Besserungen wartet, son<strong>der</strong>n angeregt durch die Wut <strong>der</strong> Kollegin ärgerlich<br />

über fehlende Strukturen wird: „es war irgendwie so fußlos, kann ich mich dran<br />

erinnern, man kann nicht irgendwo zu alten Leuten gehen mmh (.) des (..) ja. (...)<br />

Ja, man wußte eigentlich gar nicht so recht (Lachen), was man machen sollte,<br />

hmhm.“ (DI:156f). Diese Erfahrung <strong>der</strong> „Auftrags-losigkeit“ wollte sie nicht noch<br />

einmal wie<strong>der</strong>holen, und so wird sie gemeinsam mit einer Kol-legin aktiv als sie<br />

sich bei einer zweiten ABM in ein ähnlich diffuses Aufgabenfeld geworfen fühlt:<br />

„...Da hatten wir auch so den Auftrag bekommen und eh (..) es war auch zu<br />

Anfang alles so kopflos und (..) ja da haben wir dann einfach selbst was draus<br />

gemacht und denn is‘ so ’n Jugendclub entstanden. (.) Ja. Und da waren wir zwei<br />

Jahre, mhmh. (..) das war eigentlich ’ne sehr schöne Zeit“ (DI:223f). Auch in<br />

diesem Fall ist das „Wir“ und damit die Orientierung an <strong>der</strong> Kollegin ausschlaggebend<br />

für Frau Ds. verän<strong>der</strong>te Sicht auf die eigene Handlungsmöglichkeit<br />

ohne insti-tutionelle Vorgaben. Ausschlaggebend für die beginnende<br />

Selbstaufmerksamkeit waren demnach zunächst <strong>der</strong> Verlust von institutionellen<br />

Planmäßigkeiten und Systematiken im Zuge <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>vereinigung. Doch neben<br />

<strong>der</strong> Verunsicherung aufgrund <strong>der</strong> institutionellen Regellosigkeit war es vor allem<br />

die Unterstützung und Vorbildfunktion durch Kolleginnen, welche Frau D. durch<br />

ihre zurückhaltende Art selbst mit herausfor<strong>der</strong>t und auch erhält. In <strong>der</strong> Analyse<br />

wurde für diese Selbstvergewisserungstrategie <strong>der</strong> Kode „interpersonale<br />

Legitimati-on“ gewählt.<br />

Obwohl Frau Ds. gute Erfahrung mit <strong>der</strong> eigenen Gestaltungsfähigkeit zunächst<br />

mit <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit nach Beendigung <strong>der</strong> ABM keine weiteren Früchte trägt,<br />

kann die eigenverant-wortliche Wahl einer weiteren Qualifikation nach Antritt <strong>der</strong><br />

Stelle in <strong>der</strong> Erziehungsberatung als Fortführung dieser gemeinsam mit <strong>der</strong><br />

Kollegin erfahrenen Selbständigkeit interpretiert werden. In <strong>der</strong> Fortbildung findet<br />

<strong>der</strong> von Frau D. begonnene biographische Lernprozess, nicht nur Erwartungen zu<br />

erfüllen, son<strong>der</strong>n auch sich selbst als handelndes Subjekt mit Gestaltungsspielraum<br />

wahrzunehmen, seine Fortsetzung: „...ich fand obwohl, wir so<br />

‘ne große Gruppe waren, also da ist so ‘ne Atmosphäre entstanden, wo das eben<br />

auch möglich war, daß man (..) Dinge angesprochen hat, sage ich mal, (..) ja mmh<br />

(.) wo man sich das woan<strong>der</strong>s nie ge¬traut hätte o<strong>der</strong> gar nicht dran gedacht hat,<br />

daß man das überhaupt mal zu Sprache bringt so, ne. Das war ‘ne ganz tolle<br />

Erfahrung, so was zu machen“ (DI:737f).<br />

Und <strong>der</strong> Lernprozess sollte nicht mit <strong>der</strong> Wahrnehmung eigener Wünsche und<br />

Interessen enden. Frau D. wird sich offenbar im Interview ihrer Unzufriedenheit mit<br />

ihrer Arbeit bewusst und kann diese in einem Teamgespräch zum Ausdruck<br />

– 119 –


ingen: Sie berichtet bei dem zwei-ten Interviewtermin, dass sie im Anschluss an<br />

das Erstinterview ein Gespräch mit <strong>der</strong> Leite-rin initiierte und dabei Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> eigenen Aufgabengebiete und so eine höhere Ar-beitszufriedenheit erreicht<br />

habe (vgl. DII:10-39).<br />

Der Auslöser für die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> eigenen Person und <strong>der</strong><br />

Arbeitssituation war entsprechend früherer Erfahrungen ein von außen, durch das<br />

Interview, initiierter Impuls. Der biographische Lernprozess konnte mit Hilfe des<br />

Kodierparadigmas und die Perspektive auf Sinn-, Struktur und Handlungsaspekte<br />

anhand verschiedener Schlüsselszenen nachge-zeichnet werden. Dabei wurde<br />

<strong>der</strong> Prozess zunächst als „beginnende Selbstaufmerksamkeit“ kodiert. In dem<br />

zweiten Interview konnte <strong>der</strong> Lernprozess noch durch einen weiterführenden Kode<br />

als „Aktivierung von Gestaltungspotential“ präzisiert werden, so dass sowohl die<br />

er-gänzenden Sicht auf sich selbst als auch <strong>der</strong> Handlungswechsel weg vom<br />

passiven Abwar-ten hin zu einer aktiveren Gestaltung des eigenen<br />

Arbeitsbereiches als Merkmale ein und desselben biographischen Lernprozesses<br />

erkannt werden konnten.<br />

Im Zuge gesellschaftlicher Mo<strong>der</strong>nisierung müssen Individuen zunehmend<br />

akzeptieren, dass sie sich nicht mehr auf tradierte lebensweltliche Sicherheiten<br />

verlassen können, son<strong>der</strong>n stattdessen selbst ihre Biographien beständig neu<br />

konstruieren müssen ohne dabei das Ge-fühl <strong>der</strong> Kontingenz zu verlieren. Diese<br />

aktive Leistung <strong>der</strong> Sinn- und Zusammenhangsbil-dung kann biographisch in<br />

Interaktion mit <strong>der</strong> Umwelt und durch Reflexionen <strong>der</strong> eigenen Selbst- und<br />

Weltbil<strong>der</strong> gelernt werden. Erziehungswissenschaftliche Forschung ist gefor<strong>der</strong>t,<br />

die individuellen Reproduktionsstrategien sowie <strong>der</strong>en grundlegenden<br />

konventionellen und mo<strong>der</strong>nen Wissensgehalte und Handlungsweisen zu<br />

analysieren, um Routinen ebenso wie neue biographische Möglichkeitsräume<br />

erschließen zu können.<br />

Mit <strong>der</strong> Kodierung anhand <strong>der</strong> Detaillierung <strong>der</strong> Sinn-, Struktur- und<br />

Handlungsperspektive konnte im Fall von Beraterin D gezeigt werden, welche<br />

biographischen Ereignisse zu <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung einer selbstbewussten Sichtweise<br />

auf sich bis zu <strong>der</strong> Ausprägung aktiverer Handlungsstrategien führten, obwohl es<br />

keine chronologische Erzählung über diesen <strong>der</strong> Beraterin in weiten Teilen<br />

unbewussten Lernprozess gibt.<br />

„Lernprozesse sind Wandlungsprozesse, bei denen (im Gegensatz zu<br />

Bildungsprozessen Anm. S.T.) keine Neustrukturierung vorgenommen wird.<br />

Vergangene Ordnungsstrukturen setzen sich in <strong>der</strong> Gegenwart fort. Lernen<br />

vollzieht sich vor allem langsam und kaum merk-bar. In <strong>der</strong> Regel sind es die sich<br />

wandelnden Interaktionsbezüge, die eine Erweiterung o<strong>der</strong> Korrektur des bisher<br />

Gelernten erfor<strong>der</strong>n. (Ecarius 1998: 139f) Die Kodierung explorierte, wie Frau D.<br />

schrittweise routinierte Sichtweisen auf sich und die Welt durch neue Wissensbe-<br />

– 120 –


stände ergänzte und diese über weite Strecken im Biographieverlauf unreflektiert<br />

an ihre gewohnten biographischen Sinnressourcen anschloss ohne eine<br />

vollständige Neustrukturie-rung ihrer Sinnbezüge vorzunehmen: Trotz ihrer<br />

Erweiterung <strong>der</strong> Sicht- und Handlungswei-sen haben die Kodes „selbstgewählte<br />

Außenlenkung“ und die Motivierung zur Eigenverant-wortlichkeit durch den<br />

Austausch mit an<strong>der</strong>en – im letzten Fall mit <strong>der</strong> Interviewerin - also die<br />

„interpersonale Legitimation“ für Frau D. weiter Bestand. Mit dem lernbezogenen<br />

Kodierpa-radigma scheint folglich auch ein methodisches Vorgehen gefunden zu<br />

sein, das biographi-sche Lernprozesse von biographischen Bildungsprozessen zu<br />

unterscheiden vermag, da damit ebenso Aussagen zu stabilen Kodes personaler<br />

Entwicklung als auch zu emergenten Phänomenen getroffen werden konnten (vgl.<br />

Wodrich 1998).<br />

Zudem können mit dem Kodieren von Sinn-, Struktur- und Handlungsaspekten<br />

nicht nur all-gemeine Aussagen darüber getroffen werden, wie Individuen<br />

institutionelle, soziale und personale Bedingungen, Bedeutungen und<br />

Handlungsabläufe wahrnehmen, deuten und inter-pretieren, son<strong>der</strong>n im Material<br />

auch gezielter danach gesucht werden, welche Einflüsse Individuen den<br />

pädagogische Institutionen und Interventionen bei <strong>der</strong> Ausbildung ihrer Selbstund<br />

Weltsicht einräumen, wie sie unterschiedliche Lernumgebungen und -kontexte<br />

wahr-nehmen und beurteilen und schließlich ob und wenn wie pädagogische<br />

Interaktions- und Handlungsstrategien Eingang in die individuelle<br />

Lebensgestaltung finden konnten. Bei Frau D, böte sich in diesem Kontext eine<br />

detaillierte Analyse <strong>der</strong> Beschreibungen und Narrationen zu ihrer<br />

Familientherapieausbildung als ein solch pädagogisches Handlungsfeld mit Relevanz<br />

für die individuelle Sinn- und Zusammenhangsbildung an.<br />

Geht man mit Alheit zudem davon aus, dass im Zuge radikaler Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

Individuen mit dem Verlust von Traditionen und überlieferter o<strong>der</strong> fraglos geteilter<br />

Erfahrung nicht nur die Vernetzbarkeit in kollektive Zusammenhänge verloren<br />

geht, son<strong>der</strong>n auch die zentrale biographische Kompetenz des Erzählens<br />

chronologischer Lebensgeschichten, werden ErziehungswissenschaftlerInnen und<br />

PädagogInnen zukünftig häufiger mit Biographien konfrontiert werden, die keine<br />

„narrativ rekonstruierbare Lebensgeschichte mehr produzieren (…). Denn die<br />

narrative Struktur <strong>der</strong> Erfahrung ist auf eine Vernetzung mit <strong>der</strong> Geschichte von<br />

Kollektiven angewiesen (Alheit 1996: 289). Das Kodierverfahren <strong>der</strong> Grounded<br />

Theorie bietet, wird es wie gezeigt, durch <strong><strong>Konzept</strong>e</strong> biographischen Lernens<br />

modifiziert, auch in sol-chen Fällen diskontinuierlicher und emergenter<br />

Entwicklungen einen methodischen Zugang zur Detaillierung <strong>der</strong><br />

Wechselwirkungen zwischen den personalen und sozialen Bedingun-gen<br />

biographischen Lernens unabhängig von chronologischen Erzählungen.<br />

Literatur<br />

– 121 –


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Fabel, Melanie/ Tie-fel, Sandra (Hrsg.): Biographische Risiken und neue<br />

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gegenstandsbezogener Theorie. Eine Grundstrategie qualitati-ver<br />

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Opladen. S. 55-89<br />

Nittel, Dieter/ Marotzki, Winfried (Hrsg.) (1997): Berufslaufbahn und biographische<br />

Lernstrategien. Eine Fallstudie über Pädago-gen in <strong>der</strong> Privatwirtschaft.<br />

Hohengehren<br />

Reim, Thomas (1996): Die Weiterbildung zum Sozialtherapeutenberuf.<br />

Bedeutsamkeit für Biographie, professionelle Identität und Berufspraxis. Eine<br />

empirische Untersuchung von Professionalisierungstendenzen auf <strong>der</strong> Basis<br />

narrativ-auto-biographischer Interviews. Dissertation. Universität<br />

Gesamthochschule Kassel<br />

Reim, Thomas (1997): Auf <strong>der</strong> Suche nach biographischen<br />

Passungsverhältnissen – die Prozessierung durch Möglichkeits-strukturen anstelle<br />

biographischer Arbeit. In: Nittel, D./Marotzki, W. (Hrsg.): Berufslaufbahn und<br />

biographische Lernstrate-gien: eine Fallstudie über Pädagogen in <strong>der</strong><br />

Privatwirtschaft. Baltmannsweiler, S. 175-213<br />

Riemann, Gerhard (1987): Das Fremdwerden <strong>der</strong> eigenen Biographie. Narrative<br />

– 124 –


Interviews mit psychiatrischen Patienten. Mün-chen<br />

Riemann, Gerhard (2000): Die Arbeit in <strong>der</strong> sozialpädagogischen<br />

Familienberatung. Weinheim/München<br />

Schütze, Fritz (1983): Biografieforschung und narratives Interview. In: Neue Praxis<br />

3/1982. S. 283-293<br />

Schütze, Fritz (1984): Kognitive Strukturen autobiografischen Stegreiferzählens.<br />

In: Martin Kohli et al. (Hrsg.): Biografie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und<br />

Forschungsperspektiven. Stuttgart. S. 78-117<br />

Schütze, Fritz (1987): Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien:<br />

erzähltheoretische Grundlagen. Teil 1: Merkmale von Alltagserzählungen und was<br />

wir mit ihrer Hilfe erkennen können. Studienbrief <strong>der</strong> Fernuniversität Hagen.<br />

Hagen<br />

Schütze, Fritz (1995): Verlaufskurven des Erleidens als Forschungsgegenstand<br />

<strong>der</strong> inter¬pretativen Soziologie. In: Heinz-Hermann Krüger & Winfried Marotzki<br />

(Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche Biografieforschung. Opladen. S. 116-157<br />

Schulz, Wolfgang (1996): Lebensgeschichten und Lernwege: Anregungen und<br />

Reflexionen zu biographischen Lernprozessen. Hohengehren<br />

Schulze, Theodor (1992): Biographisch orientierte Pädagogik. In Petersen, Jörg /<br />

Reinert, Gerd-Bodo (Hrsg.): Pädagogische <strong>Konzept</strong>ionen. Eine Orientierungshilfe<br />

für Studium und Beruf. Donauwörth. S. 269-294<br />

Schulze, Theodor (1995): Erziehungswissenschaftliche Biografieforschung.<br />

Anfänge, Fortschritte, Ausblicke. In: Heinz-Hermann Krüger & Winfried Marotzki<br />

(Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche Biografieforschung. Opladen. S. 10-31<br />

Strauss, Anselm/Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer<br />

Sozial¬forschung. Weinheim<br />

Strauss, Anselm (21998): Grundlagen qualitativer Sozialforschung: Datenanalyse<br />

und Theoriebildung in <strong>der</strong> empirischen und soziologischen Forschung. München<br />

Strübing, Jörg (2004): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und<br />

epistemologischen Fundierung des Verfahrens <strong>der</strong> empi-risch begründeten<br />

Theoriebildung. Qualitative Sozialforschung Band 15. Wiesbaden<br />

Tiefel, Sandra (2004): Beratung und Reflexion. Eine qualitative Studie zum<br />

professionellen Beratungshandeln in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne. Eine Buchreihe <strong>der</strong> ZBBS.<br />

Band 3. Opladen<br />

Wo<strong>der</strong>ich, Rudolf (1998): Biographie und Transformation. Transformation <strong>der</strong><br />

Biographie. In http://www.biss-online.de/htm_beitraege/Transformation und<br />

Biographien.htm am 31.12.2004<br />

– 125 –


<strong>5.3</strong>.3 Narrationsstrukturelle Verfahren <strong>der</strong> Datenauswertung<br />

a) Die Relevanz <strong>der</strong> Eingangspassage bei narrativen Interviews<br />

Es entspricht weitgehendem Konsens anzunehmen, dass gerade die<br />

Eingangssequenz von erhöhter Interpretationsrelevanz ist, weil sie sich durch<br />

einen hohen Selektivitätsdruck des Informanten auszeichnet. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

Oevermann hat diese These ausgearbeitet. Die Auslegung des Interviewanfangs<br />

sei bedeutsam,<br />

“weil <strong>der</strong> Befragte hier im Bemühen <strong>der</strong> angemessenen Selbstpräsentation und <strong>der</strong><br />

angemessenen Situierung seiner weiteren Textproduktion sich beson<strong>der</strong>e Mühe gibt<br />

und seine Texte sowohl im Hinblick auf die Struktur des Selbstkonzepts als auch im<br />

Hinblick auf die rationalisierungsbedürftigen Antriebe beson<strong>der</strong>s leicht auszulegen<br />

sind” (Oevermann/Allert/Konau 1980, 43).<br />

Was <strong>der</strong> Informant zu Beginn als erzählenswert auswählt, womit er also beginnt,<br />

rückt in eine systematisch bedeutsame Stelle <strong>der</strong> Interpretation.<br />

Eingangssequenzen narrativer Interviews enthalten in <strong>der</strong> Regel solche<br />

interpretationsrelevanten Grundentwürfe.<br />

b) Verlaufskurvenanalyse<br />

Die eigentliche Leistung des narrativen Interviews, das Fritz Schütze und seine<br />

Mitarbeiter konzeptionell entwickelt haben, liegt darin, dass Material erhoben wird,<br />

aus dem nach bestimmten Auswertungsprozeduren erschlossen werden kann, wie<br />

<strong>der</strong> Informant Ereignisse seines Lebens zu einem sinnvollen<br />

Gesamtzusammenhang, nämlich seiner Biographie, gestaltet hat. Die<br />

Gestaltungsgesetzmäßigkeiten, also die Ordnungsprinzipien seiner<br />

biographischen Selbstorganisation, können damit einer Analyse zugeführt werden.<br />

Eine Lebensgeschichte ist für Schütze eine sequentiell geordnete<br />

Aufschichtung größerer und kleinerer in sich geordneter Prozeßstrukturen (vgl.<br />

Schütze 1983, 284). Es wird davon ausgegangen, dass es elementare<br />

Prozeßstrukturen des Lebensablaufs gibt, die in nahezu allen Lebensläufen<br />

anzutreffen seien. Mit dem Begriff Prozeßstruktur ist eine Haltung bezeichnet, die<br />

<strong>der</strong> einzelne Mensch seinen Erfahrungen gegenüber eingenommen hat bzw. noch<br />

einnimmt. Schütze unterscheidet grundlegend vier verschiedene<br />

Prozeßstrukturen, die jeweils zu möglichen dominanten Erfahrungs- und damit<br />

Ordnungsstrukturen eines Lebensabschnitts werden können.<br />

Handlungsschema<br />

Das intentionale Prinzip einer Welt- und Selbsthaltung wird als biographisches<br />

Handlungsschema bezeichnet. Hier wird eine Haltung <strong>der</strong> Aktivität bezeichnet, die<br />

darauf gerichtet ist, biographische Entwürfe zu realisieren. Der einzelne begreift<br />

– 126 –


sich selbst als Akteur. Er hat das Gefühl, dass er seine Intentionen, als <strong>der</strong>en<br />

Schöpfer er sich sieht, auch über Handlungen schrittweise realisieren kann.<br />

institutionelles Ablaufmuster<br />

Das normativ versachlichte Prinzip einer Welt- und Selbsthaltung sieht Schütze im<br />

institutionellen Ablaufmuster gegeben. Hier wird eine Haltung bezeichnet, bei <strong>der</strong><br />

das Subjekt sich in Teilaktivitäten einer Institution freiwillig überläßt o<strong>der</strong> in einigen<br />

Fällen überlassen muss (Bundeswehr, Schulpflicht etc.). Die Institution übernimmt<br />

die Prozedur <strong>der</strong> Abwicklung eines Planes, in den das Subjekt involviert ist. Das<br />

institutionelle Ablaufmuster als lebenszyklische und karrierespezifische Vorgabe<br />

kann Teil eines Entwurfes sein, so dass eine zugrundeliegende<br />

handlungsschematische Einstellung zwar beeinträchtigt, aber grundsätzlich nicht<br />

außer Kraft gesetzt wird. Es kann aber auch so sein, dass das Subjekt im Prozeß<br />

des Absolvierens instituitoneller Ablaufmuster jegliche Eigenbestimmung verliert<br />

und die grundlegende handlungsschematische Einstellung gänzlich an Wirkung<br />

einbüßt.<br />

Verlaufskurve<br />

Das Prinzip des Getriebenwerdens bezeichnet eine Welt- und Selbsthaltung, die<br />

Schütze durch sein Verlaufskurvenmodell zur Geltung bringt. Innerhalb seines<br />

theoretischen Prozeßmodells des Lebensablaufs bildet die Kategorie <strong>der</strong><br />

Verlaufskurve ein zentrales Theoriestück . Phasen innerhalb einer Biographie, die<br />

als verlaufskurvenartige Phasen angesprochen werden können, zeichnen sich<br />

dadurch aus, dass <strong>der</strong> einzelne Mensch Ereignissen und Bedingungen gleichsam<br />

ohnmächtig gegenübersteht. Er hat den Eindruck, er steht mit dem Rücken an <strong>der</strong><br />

Wand und die Ereignisse brechen über ihn herein. Es stellt sich bei ihm ein<br />

unbestimmtes Gefühl <strong>der</strong> Dumpfheit, <strong>der</strong> Erfolglosigkeit und <strong>der</strong> Gelähmtheit ein,<br />

das ihn auch stimmungsmäßig beherrscht. Durch die Einwirkung übermächtiger<br />

Ereignisse wird die Kompetenz des Betroffenen zur Handlungsorientierung und<br />

Handlungsdurchführung reduziert. Der Betroffene kann an <strong>der</strong> Gestaltung von<br />

Ereignissen nicht mehr durch aktives Planen und Eingreifen teilhaben. Er kann<br />

nicht mehr agieren, son<strong>der</strong>n nur noch hilflos reagieren. Das bedeutet: Es liegt in<br />

den Augen des Betroffenen eine konditionelle Verkettung von Ereignissen vor:<br />

„Ein Ereignis bedingt das an<strong>der</strong>e mit Notwendigkeit wie in einem von den Göttern so<br />

beschworenen Verhängnis, und die steuernden Bedingungspotentiale sind von<br />

äußeren Mächten gesetzt, welche <strong>der</strong> betroffene Akteur nicht beeinflussen kann.“<br />

(Schütze 1987, 226)<br />

Eine weitere Folge ist die Entfremdung des Betroffenen von sich selbst und <strong>der</strong><br />

Umwelt. Ich zitiere eine längere Passage aus einem narrativen Interview, in dem<br />

Sie fast alle Elemente wie<strong>der</strong>finden:<br />

– 127 –


J.S.: Die ham gedacht(-) da kommt jemand(-) ist Pädagoge<br />

<strong>der</strong> kommt von außen(-) jetzt will <strong>der</strong> den Laden<br />

komplett umkrempeln(.) Wat glaubt <strong>der</strong> den eigentlich<br />

wer er iss(.)<br />

40 I.: Mhm(-)<br />

J.S.: Und da hab ich ungeschickt die komplette Wut dieses<br />

Ladens auf mich gebunden(.)<br />

I.: Mhm(-)<br />

J.S.: Alle Schwierigkeiten die et überhaupt gab(.) Wurden<br />

45 in mich projiziert(-) und damit war auch klar(,) im<br />

Grunde hatt ich da schon keine Überlebenschance<br />

mehr(.) Dat war schon nach em halben Jahr<br />

Beschäftigungszeitraum klar(') aber(,) einmal hab<br />

ich immer gedacht dat stehst du durch(.)<br />

50 I.: Mhm(-)<br />

J.S.: Also so geht et nicht(-) und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite<br />

hab ich komplett unterschätzt dat ich ja nicht<br />

nur allein war(') son<strong>der</strong>n auch noch von Feinden<br />

umgeben war(.) .. Ein zentrales Element meines<br />

55 Lebens hat da komplett gefehlt und dat iss die<br />

Gruppe(.) In <strong>der</strong> ich mich einigermaßen aufgehoben<br />

fühlen konnte(') .. und damit iss für mich ne<br />

echte Lebenskrise einhergegangen(.) Ich hab insgesamt<br />

an<strong>der</strong>thalb Jahre da durchgehalten(') und hab<br />

1 nach diesen an<strong>der</strong>thalb Jahren(.) Ernsthaft<br />

psychische Erkrankungserscheinungen gezeigt(') ich<br />

hab beispielsweise Angstzustände gehabt(-) ich kann<br />

mich noch sehr gut drauf besinnen(,) ich war mit<br />

5 meiner Familie in Bayern(') die Eltern meiner Frau<br />

wohnen da(') da ham wa so en Kurzurlaub gemacht(')<br />

und ich sitz mit meinen Kin<strong>der</strong>n im Garten auf <strong>der</strong><br />

Wiese und krieg auf einmal einfach Angst(.) Nur<br />

Angst(.)<br />

– 128 –


10 I.: Mhm(-)<br />

J.S.: Aber keine Angst irgendwovor(') son<strong>der</strong>n nur reine<br />

Angst die überhaupt nicht zu orten war(') in keine<br />

Richtung zu lenken war(') und da war ich so ja ..<br />

im Grunde genommen so weit zurückgeworfen(,) dat<br />

15 war ne Situation die ich in meinem Leben ja gar<br />

nicht kannte(.) Ich war ja kein Mißerfolgsmensch<br />

bis dahin(.) Son<strong>der</strong>n im Grunde genommen Glückskind(')<br />

und da kam ich überhaupt(,) ich hatte<br />

keine(,) ich kam damit nicht klar(,) ich hatte<br />

20 keine Muster ich hatte keine Verhaltensweisen ich<br />

war völlig desorientiert(') und in mir brach ne<br />

Menge zusammen(.) Det iss auch so(,) mein Leben<br />

hab ich dann noch mal so Revue passiert(') hier<br />

oben im Arbeitszimmer hab ich mit meiner Frau<br />

25 gesessen und hab geheult wie en Schloßhund(') weil<br />

ich keine Handlungsstrategien mehr hatte(.) Alle<br />

Handlungsstrategien die ich bisher hatte die so<br />

wun<strong>der</strong>bar immer funktioniert hatten(-) die funktionierten<br />

in dieser Situation überhaupt nicht mehr(.)<br />

30 Ich hatte Angst(-) hatte äh(,) war depressiv(-)<br />

hatte keine .. auch nicht en Schimmer von ner<br />

Möglichkeit(.) Mit mir selber klar zu kommen(.)<br />

Also auch ähm die Kontakte nach außen hin warn auf<br />

einmal für mich wesentlich schwieriger(')<br />

(...)<br />

Also ich war so<br />

50 nie<strong>der</strong>geschlagen so desorientiert so(,) ja ich<br />

möchte schon sagen psychisch wirklich erkrankt(')<br />

ich war handlungsunfähig(.)<br />

I.: Mhm(-)<br />

J.S. Und ich hab nur .. ich hatte en Ruhebedürfnis<br />

55 auf einmal(.) Ich hatte en wahnsinniges Ruhe-<br />

– 129 –


dürfnis(') und hatte dat erste Mal in meinem Leben<br />

dat Bedürfnis mich zurückzuziehen(.) Sogar so weit,<br />

dass ich gesacht hab ich will mich auch von meinen<br />

Kin<strong>der</strong>n en Stück zurückziehen(-) von meiner Frau<br />

1 auch en Stück zurückziehen(-) ja det ging so weit<br />

dat ich mich in mein Schlafzimmer gelegt hab und<br />

auch tagsüber schlafen wollte(.) .. Und ich sach<br />

mal am Ende iss dat wahrscheinlich auch so en<br />

5 Wendepunkt gewesen(.) Det war ne Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

die ich mit mir selber führen musste(') in einer<br />

Lebenskrise(.) Und zwar in einer Lebenskrise(-)<br />

wie ich die nie vorher erlebt hab(.)<br />

Wandlung<br />

Hervorgehoben werden muss aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Kategorie <strong>der</strong> Wandlung. Sie kann durch ein emergentes Prinzip<br />

charakterisiert werden. Emergenz bezeichnet in diesem Zusammenhang eine dem<br />

Subjekt intentional nicht verfügbare Erweiterung seines Möglichkeitshorizontes.<br />

Das bedeutet, dass neue Handlungs- und Orientierungspotentiale für das Subjekt<br />

selbst überraschend in Erscheinung treten, ohne dass dieses intendiert ist o<strong>der</strong><br />

aus Randbedingungen abzuleiten wäre.<br />

Ein Wandlungsprozeß bringt dem Subjekt einen Gewinn und eine Steigerung<br />

des Handlungs- und Orientierungspotentials, ohne dass dieses intendiert ist.<br />

Wenn also jemand in einer biographischen Phase ins Trudeln gerät und seine<br />

Orientierungs- und Handlungspotentiale zusammenbrechen, liegt<br />

selbstverständlich eine drastische Än<strong>der</strong>ung vor, die aber per definitionem im<br />

Verlaufskurvenmodell diskutiert werden muss und nicht im Wandlungsmodell.<br />

<strong>5.3</strong>.4 Zum Verhältnis von biographischen und sozialen Prozessen<br />

Der hier vorgestellte Ansatz geht systematisch von <strong>der</strong> Verschränkung<br />

sozialstruktureller und individueller Momente aus. Das vielfach diskutierte Problem<br />

lautet, ob über eine Analyse <strong>der</strong> Interviewtexte, also aus <strong>der</strong> Art und Weise <strong>der</strong><br />

Erzählung des Interviewten (textuelle Ebene) und aus dem, was er erzählt<br />

(semantische Ebene), auf die faktischen Ereignisabläufe, die diesen Erzählungen<br />

zugrunde liegen, geschlossen werden kann. Zunächst einmal ist es plausibel zu<br />

sagen, dass in narrativen Interviews nicht nur biographische Prozesse<br />

– 130 –


thematisiert, son<strong>der</strong>n auch Ebenen sozialer Wirklichkeit erfaßt werden. Es könnte<br />

aber dagegen argumentiert werden, dass diese Trennung schwierig sei, weil in die<br />

Erfassung sozialer Realität immer schon die durch bestimmte biographische<br />

Situationen bedingte Deutung und Interpretation dieser sozialen Realität eingehe.<br />

In <strong>der</strong> Tat hat diese Diskussion, die in den achziger Jahren gelaufen ist, eigentlich<br />

als vorläufigen Konsens erbracht, dass die Verankerung <strong>der</strong><br />

Biographisierungsperspektive in <strong>der</strong> Interviewsituation nicht zu hintergehen ist.<br />

Von <strong>der</strong> hier vollzogenen Konstruktionsleistung <strong>der</strong> Biographisierung ist kein<br />

naturalistischer Schluß darauf erlaubt, wie es damals tatsächlich gewesen ist, die<br />

Leistung <strong>der</strong> Biographisierung erfolgt in <strong>der</strong> Interviewsituation aus dem jetzigen<br />

biographischen Entwurf heraus:<br />

„Der Erzähler hat in <strong>der</strong> Erzählsituation eine durch die heutige Sicht geprägte<br />

Interpretation seiner Biographie, die ihn dazu veranlaßt, solche Situationen seines<br />

Lebens zu erzählen, mit denen er den Gesamtentwurf bzw. die Globalevaluation<br />

seines Lebens sich und den Zuhörern plausibel machen will.“ (Rosenthal 1987, 140)<br />

Die Pointe liegt darin, dass die Steuerung nicht nur durch den gegenwärtigen<br />

Entwurf erfolgt, son<strong>der</strong>n auch durch die „Abfolge <strong>der</strong> bisher durchlebten<br />

Prozeßstrukturen <strong>der</strong> Lebensführung“ (Schütze 1984, 110). Die<br />

lebensgeschichtliche Gesamtgestalt als Interpretationsleistung des Subjektes ist<br />

eben nicht nur inhaltlich auf die vergangenen lebensgeschichtlichen<br />

Darstellungsgehalte bezogen, son<strong>der</strong>n auch durch die diesen zugrundeliegenden<br />

Erfahrungsmodalitäten bestimmt (vgl. Schütze 1984, 110). Das Erzählte kann also<br />

nicht nur auf die zum Interviewzeitpunkt wirksamen Deutungsmuster und<br />

Rahmungen reduziert werden kann.<br />

– 131 –

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