Superwahljahr 2009 - DAAD-magazin
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nr. 2 august <strong>2009</strong>, 29.Jg.<br />
Leopoldina<br />
Deutschland hat eine Nationalakademie<br />
Bildung<br />
Arbeiterkinder kommen zu kurz<br />
Aktionsplan<br />
Den Europäischen Forschungsraum gestalten<br />
<strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong><br />
Ankreuzen und mitbestimmen
2<br />
inhalt<br />
<strong>DAAD</strong> Letter – Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
titel:<br />
Entscheidungshilfe:<br />
Wahl-O-Mat hilft bei der Parteienauswahl<br />
S.10<br />
Dialog Seite 4<br />
Der Homer-Übersetzer Raoul Schrott im Gespräch S. 4<br />
Interview mit dem Nobelpreisträger Mario Molina S. 6<br />
<strong>DAAD</strong>-Standpunkt S. 7<br />
Spektrum Deutschland Seite 8<br />
Titel Seite 10<br />
Kleiner Akt mit großem Einfluss<br />
<strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong> S. 10<br />
Interview mit Wahlforscher Hans Rattinger S. 13<br />
Erkenntnis: Forschungszug<br />
rollt durch Deutschland<br />
S.18<br />
Hochschule Seite 14<br />
Bildung trotz „falschem Elternhaus“<br />
Arbeiterkinder studieren selten S. 14<br />
Neues vom Campus S. 16<br />
Erholung:<br />
Studieren und forschen am Bodensee<br />
S.22<br />
Wissenschaft Seite 18<br />
Spitzenforschung auf Reisen<br />
Science-Express rollt durch Deutschland S. 18<br />
Im Verein mit Darwin und Einstein<br />
Deutschland hat eine Nationale Akademie<br />
der Wissenschaften S. 20<br />
Ortstermin Seite 22<br />
Bodensee: Studieren und forschen mit Seeblick<br />
Foto: flickr.com<br />
Europa Seite 24<br />
Wegweiser zur Spitze<br />
Aktionsplan für den Europäischen Forschungsraum<br />
Extreme:<br />
Hightech und Geschichte in Taipeh<br />
S.26<br />
Arbeiten weltweit Seite 26<br />
Nicht die Fassung verlieren<br />
Business und Sozialarbeit in Taiwan<br />
Rätsel Seite 28<br />
Sprachecke Seite 29<br />
Foto: Jochen Eckel<br />
Exzellenz: Zentren für<br />
Entwicklungszusammenarbeit ausgewählt<br />
S.30<br />
Foto: Mr. Speckamp:<br />
<strong>DAAD</strong> Report Seite 30<br />
Fünf Kompetenzzentren für Entwicklungszusammenarbeit S. 30<br />
Neuer Blick auf Indien<br />
Gastprofessoren vermitteln aktuelles Wissen S. 32<br />
Gestern Stipendiatin – und heute ...<br />
Cécile Wajsbrot S. 33<br />
Stipendiaten forschen S. 34<br />
Nachrichten S. 36<br />
Köpfe S. 41<br />
Impressum S. 42<br />
Bücher von unseren Lesern S. 42<br />
Deutsche Chronik Seite 43<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
EDitoRial 3<br />
Im Juli erreichte ein Brief des <strong>DAAD</strong>-Präsidenten Professor<br />
Stefan Hormuth alle aktuellen <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten.<br />
Darin schreibt er von der Bestürzung und Trauer,<br />
mit der der <strong>DAAD</strong> von dem Mord an einer jungen<br />
Ägypterin in Dresden erfahren hat. Hintergrund: Am<br />
1. Juli wurde Marwa El-Sherbini in einem Gerichtssaal<br />
von einem Russlanddeutschen erstochen. Die junge Frau<br />
hatte den Mann angezeigt, weil er sie als Islamistin und<br />
Terroristin beleidigt hatte. In erster Instanz war der Angeklagte<br />
verurteilt worden. Der Mord geschah während<br />
des Berufungsverfahrens. Marwa El-Sherbini lebte mit<br />
ihrem Ehemann und ihrem Sohn seit drei Jahren in Dresden<br />
– ihr Mann forscht als Stipendiat der ägyptischen<br />
Regierung am Max-Planck-Institut für Zellbiologie. Der<br />
<strong>DAAD</strong>-Präsident erklärt in seinem Brief, dass der Mord<br />
für den <strong>DAAD</strong> „Alarm und Mahnung ist, rassistischen<br />
und fremdenfeindlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft<br />
jederzeit energisch entgegenzutreten. Deutschland<br />
muss, will und wird ein gastfreundliches Land<br />
bleiben. Dafür setzen wir uns durch unsere Arbeit<br />
seit vielen Jahren ein.“ Diesen Worten schließt sich<br />
die Letter-Redaktion nachdrücklich an. Den vollständigen<br />
Brief des Präsidenten können Sie lesen<br />
unter: www.daad<strong>magazin</strong>.de/11177/index.html<br />
In einer Demokratie ist es jedem Bürger möglich,<br />
sich gegen Rassismus aufzulehnen, und<br />
jeder bestimmt die politischen Geschicke seines<br />
Landes mit: an der Wahlurne. Das Jahr<br />
<strong>2009</strong> beschert den Deutschen so viele Wahlen<br />
wie lange nicht mehr. Sie entscheiden mit ihren<br />
Stimmen, wer in Europa, wer in Deutschland,<br />
wer in ihrem Bundesland und in ihrer<br />
Stadt das Sagen hat. Zwar ist die große Anzahl<br />
von Wahlen in einem föderalen Staatssystem<br />
nichts Außergewöhnliches, aber<br />
das System strapaziert die Wähler: Immer<br />
mehr nehmen ihr Wahlrecht nicht wahr.<br />
Wie die Wahlen in Deutschland ablaufen<br />
und was Wahlforscher leisten, erfahren Sie<br />
in der Titelgeschichte (Seite 10).<br />
Manche nehmen ihre Chancen<br />
nicht wahr, andere haben keine<br />
Wahl oder nur eine eingeschränkte.<br />
Das Thema „Arbeiterkinder an Hochschulen“<br />
macht das deutlich: Wer aus<br />
einem Arbeiterhaushalt stammt, für<br />
den ist das Studium häufig keine Wahl.<br />
Gegen diesen diskriminierenden Zusammenhang<br />
zwischen Herkunft und<br />
Bildungschancen kämpft <strong>DAAD</strong>-Alumna<br />
Katja Urbatsch (Seite 14).<br />
Wie durchlässig die Bildungswege<br />
sind, ist eine wichtige gesellschaftspolitische<br />
Frage. Zu solchen Themen nimmt<br />
zunehmend auch die Akademie der Naturforscher<br />
Leopoldina Stellung, seit sie vor einem<br />
Jahr zur ersten Nationalen Akademie Deutschlands<br />
ernannt wurde. Eines ihrer jüngsten interdisziplinären<br />
Projekte galt dem gesellschaftlich<br />
brisanten Thema „Altern in Deutschland“<br />
(Seite 20).<br />
Interdisziplinär geht es auch am Bodensee zu:<br />
Die noch junge Universität Konstanz stieg unter<br />
anderem mit einem generationen- und fächerübergreifenden<br />
Zukunftskolleg in die Elite-Liga der<br />
deutschen Hochschulen auf. Wie man dort studiert<br />
und forscht, wo andere Urlaub machen, lesen Sie<br />
in unserem Beitrag über die Bodensee-Region<br />
(Seite 22).<br />
Wir wünschen viel Freude beim Lesen. Schreiben<br />
Sie uns Ihre Meinung: Briefe und E-Mails (info@<br />
trio-medien.de) sind herzlich willkommen!<br />
Der <strong>DAAD</strong> und Ihre Letter-Redaktion<br />
Abb.: axeptDESIGN<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
4 Dialog<br />
Ein Dichter<br />
provoziert<br />
Der Schriftsteller und Homer-Übersetzer<br />
Raoul Schrott über die „Ilias“, die Grenzen<br />
der Fachwissenschaft und die Bedeutung<br />
alter Sprachen heute.<br />
Herr Schrott, Sie haben sich kürzlich<br />
an der Freien Universität Berlin einem<br />
Gremium von Fachwissenschaftlern<br />
gestellt, die darum bemüht waren, Ihre<br />
Thesen von der Herkunft Homers zu<br />
erschüttern. Ein wissenschaftliches<br />
Standgericht oder Gedankenaustausch<br />
unter Gleichgesinnten?<br />
Es ist eine große Ehre für mich, wenn sich<br />
so viele Leute mit meinem Text auseinandersetzen.<br />
Das ist weit mehr wissenschaftliches<br />
Echo, als ich erwarten konnte. Mir ist klar,<br />
dass man 250 Jahre Lehrmeinung nicht von<br />
heute auf morgen über den Haufen werfen<br />
kann. Aber bisher habe ich auf keinem<br />
Kolloquium zu dem Thema – auch nicht<br />
in Berlin – etwas gehört, was meine These<br />
ausgehebelt hätte. Man trifft bei diesen Veranstaltungen<br />
auf Leute, die ganz in ihrem<br />
Spezialgebiet stecken. Zur Zeit von Homer<br />
kannte man die Aufteilung in Gräzisten,<br />
Orientalisten oder Alt-Historiker nicht. Also<br />
ist diese Unterteilung auch nicht sinnvoll,<br />
wenn man die Zeit von Homer verstehen will.<br />
Werden Sie als vergleichender<br />
Literaturwissenschaftler und Komparatist<br />
von den Fachwissenschaftlern in<br />
dieser Diskussion gelegentlich als ein<br />
Halbgebildeter beargwöhnt?<br />
Ja, das ist schon ein strukturelles Problem.<br />
Ich betreibe so etwas wie eine Oberflächenarchäologie.<br />
Ich trage Fakten zusammen, die<br />
ein neues Bild ergeben. Damit konfrontiere<br />
ich Fachwissenschaftler, die jeweils nur ihr<br />
Gebiet sehen. Das macht eine Verständigung<br />
mühsam. Wenn ich eine Vase habe, die aus<br />
zypriotischen, levantinischen, assyrischen<br />
und anatolischen Teilen besteht, und präsentiere<br />
sie einem Gräzisten – was soll der<br />
damit anfangen? Es ist letztlich ein Problem,<br />
das im 19. Jahrhundert entstand. Damals sind<br />
Foto: Isolde Ohlbaum<br />
diese Einteilungen vorgenommen worden,<br />
die heute so schwer zu überwinden sind.<br />
Vielleicht hängt die kritische, manchmal<br />
sogar feindselige Diskussion in der<br />
Fachwelt auch damit zusammen, dass der<br />
habilitierte Literaturwissenschaftler Schrott<br />
auch noch Dichter ist?<br />
Ja, das mag auch eine Rolle spielen. Hinzu<br />
kommt, dass man die “Ilias” in der Wissenschaft<br />
als alles Mögliche angesehen<br />
hat, nur nicht als Literatur. Dass da nun<br />
ein Dichter kommt und die “Ilias” als ein<br />
Stück Literatur sieht und behandelt, hat<br />
sicher auch für Irritationen gesorgt.<br />
Ist diese Diskussion zwischen Dichter<br />
und Wissenschaftler eine deutsche oder<br />
österreichische Schubladen-Diskussion,<br />
die es in anderen Ländern in dieser Form<br />
nicht gibt?<br />
Die Konkurrenz ist überall groß, aber ich<br />
bin sicher, dass man etwa in England gelassener<br />
reagieren würde. Bei uns wird<br />
eine solche Diskussion leicht sehr persönlich<br />
– so habe ich es auf jeden Fall erlebt.<br />
Ihre Thesen haben nicht nur die Fachwelt<br />
erregt, sondern auch die Öffentlichkeit sehr<br />
beschäftigt. Woher kommt das Interesse<br />
an Homer, am alten Griechenland und an<br />
alten Sprachen?<br />
Das hat etwas mit dem 18. und 19. Jahrhundert<br />
zu tun, als man in Deutschland<br />
Homer entdeckt und ihn zur Galionsfigur<br />
des deutschen Bildungsbürgertums ge-<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Dialog<br />
5<br />
die Wissenschaft<br />
Ja, das kommt absolut zu kurz. Die Beschäftigung<br />
mit einer etwas abgelegenen Sprache<br />
– abgelegen in der Zeit und im Raum – heißt<br />
Zugang zu einer Kultur zu finden, die einem<br />
sonst völlig fremd bleiben wird. Je weiter<br />
diese Kultur geografisch und zeitlich entfernt<br />
ist, umso mehr kann sie zum Vergleich für<br />
die eigene Sprache und Kultur werden.<br />
Werden Sie sich weiter mit Homer<br />
beschäftigen?<br />
Nein, jetzt haben andere Pläne Vorrang, über<br />
die ich aber noch nicht sprechen kann.<br />
Das Gespräch führte Horst Willi Schors<br />
macht hat. Nach der Nazizeit gehörten<br />
Homer und die Griechen zu den wenigen<br />
Säulen des Bürgertums, die heil geblieben<br />
waren. Das heutige Homer-Bild stammt<br />
also aus dem 19. Jahrhundert. Da das Bild<br />
vom blinden Seher als Stammvater Europas<br />
völlig anachronistisch ist, war das Bedürfnis<br />
nach einer Neubewertung sicher da.<br />
Dass diese dann solche Wellen schlägt und<br />
sich die Diskussion auf die Frage konzentrierte,<br />
ob die Türkei zu Europa gehört oder<br />
nicht, finde ich unangemessen. Es zeigt aber<br />
auch, dass die Vergangenheit schon immer<br />
ein Politikum war und durch die Gegenwart<br />
konstruiert wurde. Die “Ilias” ist schon in der<br />
Antike instrumentalisiert worden. Sie galt<br />
während der Perserkriege als literarisches<br />
Manifest für die Einigung der Griechen. Im<br />
„Oberflächen-Archäologie“: Raoul Schrott<br />
2008 in der Glyptothek in München<br />
19. Jahrhundert hatte sie dieselbe Funktion<br />
für die Einigkeit der Deutschen.<br />
Welche Erfahrungen haben Sie während<br />
Ihrer Gastprofessur mit den Studenten in<br />
Berlin gemacht?<br />
Ich denke, die Zuteilung der Studienplätze<br />
nach Abiturnoten in Deutschland birgt die<br />
Gefahr, dass man die Schüler zu Strebern erzieht.<br />
Vor diesem Hintergrund war ich ziemlich<br />
überrascht, dass die Studenten nicht nur<br />
gut waren, sondern auch sehr neugierig und<br />
offen. Das war eine sehr positive Erfahrung.<br />
Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit<br />
alten Sprachen. Würden Sie sich das<br />
auch an Gymnasien und Universitäten in<br />
Deutschland wünschen?<br />
Raoul Schrott, 1964 in Österreich geboren,<br />
wuchs in Tunis als Sohn eines Handelsvertreters<br />
auf. Er studierte Literatur- und Sprachwissenschaft<br />
in Norwich, Paris, Berlin und Innsbruck<br />
und habilitierte sich 1996 an der Universität<br />
Innsbruck. Er ist als Autor viel beachteter Romane<br />
(„Finis Terrae“, 1995, „Tristan da Cunha“, 2003)<br />
und Gedichtbände hervorgetreten und bekam<br />
zahlreiche Literaturpreise.<br />
Für großes Aufsehen sorgte er mit einer Neu-<br />
Übersetzung von Homers „Ilias“ (2008) und noch<br />
mehr mit seinem Buch über „Homers Heimat“<br />
(2008). Darin verortet er Homer als griechischen<br />
Schreiber in assyrischem Dienst am Hof von<br />
Karatepe, auf dem Gebiet der heutigen Türkei,<br />
der seine „Ilias“ aus griechischen Sagen, altorientalischen<br />
Epen und der Genesis zusammengestellt<br />
hat. Auch der Trojanische Krieg fand nach<br />
Schrotts Darstellung nicht an der berühmten<br />
Fundstätte des Archäologen Schliemann, sondern<br />
in Kilikien statt. Das klassische Abendland, so<br />
wurde die These in der Berichterstattung zugespitzt,<br />
begann also im „Morgenland“.<br />
Bei Publikum und Kritik waren beide Bücher ein<br />
Erfolg, einige Fachwissenschaftler bezeichneten<br />
Schrotts Thesen als „anregend“, die Mehrheit<br />
jedoch reagierte abweisend und warf Schrott<br />
methodische Fehler und überschäumende Phantasie<br />
vor.<br />
Im Wintersemester 2008/<strong>2009</strong> hatte Schrott<br />
die Samuel Fischer- Gastprofessur an der Freien<br />
Universität Berlin inne. Der Lehrstuhl wird seit<br />
1998 gemeinsam vom S. Fischer Verlag, dem<br />
<strong>DAAD</strong>, der Freien Universität Berlin und dem Veranstaltungsforum<br />
der Verlagsgruppe Georg von<br />
Holtzbrinck getragen.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
6 Dialog<br />
„Direkt zum Regierungschef“<br />
Der mexikanische Nobelpreisträger Mario Molina engagiert sich für<br />
Klimaschutz in seinem Heimatland<br />
Einsatz sprechen, es geht ja um den gesamten<br />
Energie- und Verkehrssektor.<br />
Trotzdem wird der Kampf gegen den Klimawandel<br />
viel weniger kosten, vielleicht<br />
ein Prozent des Welteinkommens, als die<br />
Schäden, wenn wir nichts tun. Es ist also<br />
eine gute Investition für den Planeten.<br />
Klimaschutz ist das Top-Thema der Politik<br />
weltweit. Politische Entscheidungen<br />
wären undenkbar ohne die Kenntnisse<br />
von Forschern wie Mario Molina. Der Mexikaner<br />
erhielt 1995 gemeinsam mit zwei<br />
Kollegen den Chemie-Nobelpreis, weil sie<br />
die Entstehung des Ozonlochs enträtselt<br />
hatten. Molina war 1965/66 <strong>DAAD</strong>-Stipendiat<br />
in Freiburg und forscht heute am Massachusetts<br />
Institute of Technology (MIT).<br />
Zurzeit berät er die Regierung seines eigenen<br />
Landes bei einem Low-Carbon-Plan,<br />
der Mexiko-Stadt zu besserer Luft verhelfen<br />
soll. Dazu äußerte er sich im Juni in<br />
einem Interview mit der Süddeutschen<br />
Zeitung.<br />
SZ: Professor Molina, was kann ein Low-<br />
Carbon-Plan in Mexiko-Stadt bewirken?<br />
Sie ist berüchtigt für ihren Smog, der durch<br />
Millionen alte Lastwagen, Taxis, Busse und<br />
Autos entsteht.<br />
Molina: Wir sind das erste Entwicklungsland,<br />
das überhaupt einen solchen Plan aufstellt.<br />
Es geht darum, wirtschaftliches Wachstum zu<br />
ermöglichen, bei dem nur wenig Kohlenstoff<br />
aus Quellen wie Erdöl verbrannt wird. Wir<br />
fangen an mit der Energieeinsparung im<br />
Verkehr. Da gibt es Projekte, die eigentlich<br />
nichts kosten und bei denen alle gewinnen.<br />
Maßnahmen, die der Wirtschaft und dem<br />
Klima helfen. Tief hängende Trauben also.<br />
SZ: Was machen Sie zum Beispiel?<br />
Molina: Wir haben Standards für den Benzinverbrauch<br />
von Autos, und gleichzeitig<br />
überwachen wir die Verkehrssituation. Wenn<br />
wir striktere Regeln für Abgase und vor allem<br />
den Rußausstoß der Dieselmotoren durchsetzen,<br />
dann hilft das mehrere Probleme<br />
gleichzeitig zu lösen, denn auch die Luft wird<br />
besser. Sie ist schon besser geworden, obwohl<br />
die Autoflotte gewachsen ist. Die ältesten Autos<br />
dürfen nicht mehr auf die Straße zurück,<br />
wenn sie bei der Inspektion durchfallen.<br />
SZ: Geht es bei Ihrem Plan vor allem um<br />
den Verkehr?<br />
Molina: Nein, wir wollen auch bei der<br />
Stadtplanung mitreden und versuchen zu<br />
verhindern, dass weit außerhalb der Metropole<br />
neue Wohngebiete erschlossen werden,<br />
deren Bewohner dann pendeln müssen.<br />
Und neue Gebäude sollen energieeffizient<br />
gebaut werden, wobei das Warmwasser zum<br />
Beispiel mit Sonnenenergie erzeugt wird.<br />
SZ: Gibt es Widerstand von der Öl-<br />
Industrie gegen Ihren Plan?<br />
Molina: Nein, die Pemex ist zum Glück ein<br />
Monopolbetrieb und wird vom Staat kontrolliert.<br />
Es geht ja darum, den wichtigen<br />
Rohstoff Öl weiter zu nutzen, aber effektiver.<br />
SZ: Nach den tiefhängenden Trauben<br />
werden Sie Maßnahmen ergreifen müssen,<br />
die etwas kosten.<br />
Molina: Nun, erst kommen Änderungen, die<br />
kostenneutral sind. Für die dritte Kategorie<br />
hoffen wir auf Hilfe im Rahmen eines internationalen<br />
Klimaabkommens. Dann müssten<br />
uns die industrialisierten Staaten Geld zur<br />
Verfügung stellen, das wir zusammen mit<br />
eigenen Mitteln nutzen, um neue Technologie<br />
zu bezahlen. Dafür gibt es schon ein Beispiel:<br />
Das Montreal-Protokoll sah einen Fonds vor,<br />
der ärmeren Ländern beim Ausstieg aus der<br />
Produktion von Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen<br />
half. Der hat sehr gut funktioniert.<br />
SZ: Das Montreal-Protokoll ist Ihnen<br />
besonders nahe, weil es ein Abkommen<br />
zum Schutz der Ozonschicht ist. Aber<br />
kann man das mit der heutigen Situation<br />
vergleichen, mit einem Vertrag über die<br />
Reduktion von Treibhausgasen?<br />
Molina: Das Problem beim Klimawandel<br />
ist, dass wir über einen viel breiteren<br />
SZ: Gibt es über solche Fragen einen<br />
Dialog zwischen den Schwellenländern,<br />
also mit Brasilien, China und Indien?<br />
Molina: Ja, das ist ein Teil der Strategie:<br />
Mexiko ist vorausgegangen, aber<br />
wir sprechen mit anderen Ländern. Wir<br />
haben uns sogar verpflichtet, unsere<br />
Emissionen bis zum Jahr 2050 zu halbieren.<br />
So viel verlangen wir nicht von den<br />
Entwicklungsländern, die uns folgen. Sie<br />
sollen nur einen Plan für wirtschaftliches<br />
Wachstum mit geringem Kohlenstoffverbrauch<br />
aufstellen, an den sie sich halten.<br />
SZ: In Mexiko leben viele Menschen in<br />
Armut. Sehen Sie einen Widerspruch<br />
zwischen dem Kampf gegen den<br />
Klimawandel und dem gegen Armut?<br />
Molina: Wenn wir nicht gegen die Risiken<br />
kämpfen, die der Klimawandel<br />
birgt, können wir auch nicht gegen die<br />
Armut angehen. Dazu brauchen wir eine<br />
funktionierende, effektive Wirtschaft.<br />
SZ: Hilft Ihnen eigentlich der Nobelpreis,<br />
damit Ihnen die Leute zuhören?<br />
Molina: Der Preis hat mir Macht gegeben,<br />
Treffen zu arrangieren, mit den<br />
entscheidenden Leuten zu reden. Das<br />
Problem des Klimawandels ist so wichtig<br />
und die Zeit so knapp, da muss man<br />
direkt zum Regierungschef gehen.<br />
Interview: Christopher Schrader<br />
Der Text des Interviews ist aus der Süddeutschen<br />
Zeitung vom 4. Juni <strong>2009</strong> nachgedruckt.<br />
Foto: ullstein bild aslu
Dialog<br />
7<br />
Foto: Eric Lichtenscheidt<br />
Dr. Christian Bode ist<br />
Generalsekretär des <strong>DAAD</strong><br />
<strong>DAAD</strong>-Standpunkt<br />
Vor zehn Jahren unterzeichneten im italienischen<br />
Bologna die Bildungsminister aus<br />
30 europäischen Ländern eine gemeinsame<br />
Erklärung, mit der sie bis 2010 einen attraktiven<br />
und weltweit wettbewerbsfähigen europäischen<br />
Hochschulraum schaffen wollten.<br />
Grenzenlose Mobilität, ein zweistufiges Studiensystem<br />
mit vergleichbaren und international<br />
anerkannten Abschlussgraden und hohe<br />
Qualitätsstandards – so lauten die wichtigen<br />
Eckpunkte. Die Promotion kam später als dritter<br />
akademischer Zyklus hinzu.<br />
Mit dem Bologna-Prozess setzten die Bildungsminister<br />
unabhängig von der Europäischen<br />
Union eine umfassende Reform in Gang, die<br />
in vielen Teilen der Welt zunehmende Beachtung<br />
findet. Das zeigt auch die im belgischen<br />
Leuven stattgefundene Bologna-Konferenz:<br />
Ende April trafen sich dort die Bildungsminister<br />
aus inzwischen 46 europäischen Ländern<br />
erstmals mit Vertretern aus insgesamt<br />
15 außereuropäischen Ländern (darunter<br />
Australien, USA, Brasilien und China), um<br />
Erfahrungen auszutauschen und eine engere<br />
Zusammenarbeit zu verabreden. Auch in den<br />
ASEM-Konferenzen (Asia-Europe Meeting)<br />
2008 in Berlin und <strong>2009</strong> in Hanoi waren die<br />
Themen des Bologna-Prozesses ein wichtiger<br />
Bologna 2020<br />
Der europäische Reformprozess geht in die nächste Runde<br />
Von Christian Bode<br />
Diskussionsgegenstand. Die Minister einigten<br />
sich darauf, in den kommenden Jahren bestimmte<br />
Aspekte wie Mobilität, Anerkennung<br />
und Qualitätssicherung zu vertiefen und mit<br />
Blick auf die asiatisch-europäische Zusammenarbeit<br />
Verbesserungen zu erzielen. Die<br />
verschiedenen Aktivitäten, die dazu von den<br />
ASEM-Ländern durchgeführt werden, sollen<br />
von einem ASEM-Sekretariat koordiniert werden,<br />
das mit Unterstützung des Bundesministeriums<br />
für Bildung und Forschung beim<br />
<strong>DAAD</strong> eingerichtet wird.<br />
Der Bologna-Prozess hat auch in Deutschland<br />
die Hochschulen tiefgreifend verändert. So<br />
schließen bereits 76 Prozent aller Studiengänge<br />
mit einem Bachelor- oder Masterabschluss<br />
ab. Die Akkreditierung ist zu einem obligatorischen<br />
Standard der Qualitätssicherung geworden.<br />
Gleichwohl sind die Reformen noch<br />
lange nicht abgeschlossen – einige Fächer wie<br />
Jura und Medizin werden erst langsam einbezogen.<br />
Die Bildungsminister haben daher<br />
in Leuven die nächste Etappe bis 2020 eingeläutet.<br />
Gerade in Deutschland läuft noch<br />
nicht alles rund bei der Umsetzung der Reformen.<br />
Oft wurden, ohne dass es von Bologna<br />
vorgegeben wäre, die bisherigen längeren Diplom-<br />
oder Magisterstudiengänge bei der Umstellung<br />
in dreijährige Bachelor-Studiengänge<br />
umgewandelt. Dies hat zu einer vor allem von<br />
Studierenden beklagten Verschulung des Studiums<br />
geführt und lässt zudem kaum Raum<br />
für ein Auslandsstudium. Auch eine zu komplexe<br />
Konzeption von Modulen, ein manchmal<br />
falsches Verständnis von Credit Points und die<br />
Einführung von Mindestanwesenheitszeiten<br />
in den Kursen haben bisweilen die Mobilität<br />
behindert und das Besondere der universitären<br />
Studien – das selbstständige forschende<br />
Lernen – gefährdet.<br />
Diese Kinderkrankheiten stellen die Bologna-<br />
Reformen nicht grundsätzlich in Frage. Der<br />
<strong>DAAD</strong> sieht keine Alternative zu einer konsequenten<br />
Fortsetzung der Hochschulreform. Es<br />
ist ein unstrittiges Verdienst des Bologna-Prozesses,<br />
dass er Studium und Lehre im Sinne<br />
eines kompetenzorientierten Bildungsprozesses<br />
in den Mittelpunkt der Reform und diese<br />
wiederum in einen internationalen Kontext<br />
gestellt hat. Sicher ist bei der konkreten Umsetzung,<br />
gerade auch in Deutschland, einiges<br />
nachzubessern – und der <strong>DAAD</strong> wird sich daran<br />
nach Kräften beteiligen. Aber der Prozess<br />
als solcher darf nicht zerredet werden: Er ist<br />
nicht zuletzt auch für andere Politikfelder ein<br />
Best-Practice-Beispiel dafür, wie Globalisierung<br />
proaktiv und partnerschaftlich gestaltet<br />
werden kann.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
8 Spektrum Deutschland<br />
UNESCO-Welterbe<br />
Das Wattenmeer ist Weltnaturerbe<br />
Muscheln und Schnecken, Krebse und Krabben<br />
sind hier zu Hause, mehr als 3 000 Tierarten<br />
insgesamt, und jedes Jahr machen rund 12 Millionen<br />
Zugvögel Station: im Wattenmeer. Die<br />
Küstenlandschaft an der Nordsee ist im Juni<br />
von der UNESCO als „einzigartiges Öko sys tem<br />
mit besonderer Artenvielfalt“ in die Liste des<br />
Weltnaturerbes aufgenommen worden.<br />
Von den Niederlanden über Deutschland<br />
bis Dänemark erstreckt sich das Wattenmeer,<br />
13 000 Quadratkilometer groß. Den Welterbe-<br />
Titel bekamen der niederländische Teil und<br />
der deutsche Küstenstreifen in Niedersachsen<br />
und Schleswig-Holstein. Flut und Ebbe bestimmen<br />
hier die Landschaft. Zweimal am Tag zieht<br />
sich das Wasser zurück, und der Meeresboden<br />
bildet eine bis zu 20 Kilometer breite, von Wellen<br />
zerfurchte Fläche aus Sand und Schlick,<br />
ein Eldorado für seltene Tiere und Pflanzen.<br />
Das Wattenmeer ist eins von 174 Naturerben<br />
weltweit, dazu gehören der Grand Canyon und<br />
die Galapagos-Inseln. Die UNESCO belohnte<br />
damit die Bemühungen um den Naturschutz<br />
in einem Gebiet, das bereits in den 1980er Jahren<br />
zum Nationalpark deklariert wurde. Ernst<br />
zu nehmen ist die Verpflichtung, das Welterbe<br />
so zu erhalten, wie es ist. Das bekam Deutschland<br />
zu spüren, als dem Elbtal bei Dresden<br />
in diesem Jahr der Rang des Weltkulturerbes<br />
abgesprochen wurde, weil dort eine nach Auffassung<br />
der UNESCO störende Brücke gebaut<br />
wurde. (Siehe auch Seite 43.) <br />
Llo<br />
Foto: flickr.com<br />
Großdemonstration in Berlin:<br />
Studenten fordern mehr Geld<br />
für Bildung<br />
Bildungsstreik<br />
Protest gegen Missstände<br />
Mit einem bundesweiten Bildungsstreik<br />
demonstrierten im Juni<br />
Schüler und Studenten eine Woche<br />
lang für bessere Lernbedingungen<br />
in Schulen und Universitäten. An<br />
den zahlreichen Aktionen – von<br />
der Großdemonstration über Besetzungen<br />
von Klassenzimmern<br />
und Hörsälen bis zum symbolischen<br />
Banküberfall – beteiligten sich mehr<br />
als 200 000 junge Leute in rund 80 deutschen<br />
Städten.<br />
Die Schüler protestierten gegen Missstände<br />
wie zu große Klassen, zu wenige Lehrer und<br />
den Zeitdruck durch das neue „Turboabitur“ –<br />
nach 12 statt wie bisher nach 13 Schuljahren.<br />
Die Studierenden forderten unter anderem<br />
mehr Geld für die Hochschulen, die Abschaffung<br />
der Studiengebühren und die soziale<br />
Öffnung der Universitäten. In der Kritik stand<br />
auch das neue Bachelor- und Masterstudium,<br />
das vor zehn Jahren mit der in Bologna beschlossenen<br />
europäischen Studienreform eingeführt<br />
wurde. Die Studierenden protestierten<br />
gegen die zu große Stofffülle und den Zeitdruck<br />
in dem auf sechs Semester verdichteten<br />
Bachelor-Studium und kritisierten, dass nicht<br />
jeder Bachelor-Absolvent Anspruch auf ein anschließendes<br />
Master-Studium hat.<br />
Unterstützung bekamen die Streikenden<br />
nicht nur von den Gewerkschaften, sondern<br />
auch Eltern, Lehrer, Professoren und Uni-<br />
Rektoren erklärten sich mit vielen ihrer Forderungen<br />
solidarisch. Bundesbildungsministerin<br />
Annette Schavan empfahl nach Beendigung des<br />
Streiks eine Kurskorrektur beim Bachelor- und<br />
Masterstudium. Umgesetzt werden muss diese<br />
angesichts des föderalen deutschen Bildungssystems<br />
allerdings von den Kultusministern<br />
der Länder und den einzelnen Hochschulen.<br />
<br />
Llo<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Spektrum Deutschland<br />
9<br />
Foto: imago/mm images/zoellner<br />
Schützenswerte Küstenlandschaft:<br />
das Wattenmeer auf der Insel Sylt<br />
Umfrage zur Sprache<br />
Deutsche mögen Deutsch<br />
87 Prozent der Deutschen gefällt ihre Muttersprache<br />
gut oder „sehr gut“. Eine Mehrheit<br />
(56 Prozent) empfindet ihr gegenüber „Stolz“,<br />
fast die Hälfte gar „Liebe“ (47 Prozent). „Diese<br />
rundum positive Einschätzung hat uns<br />
überrascht“, sagt Ludwig Eichinger, Direktor<br />
des Mannheimer Instituts für Deutsche<br />
Sprache, das die repräsentative Umfrage zur<br />
„Spracheinstellung in Deutschland“ gemeinsam<br />
mit der Uni Mannheim durchgeführt hat.<br />
Aus deutscher Sicht galten bisher Franzosen,<br />
Spanier oder Italiener als besonders sprachstolz.<br />
„In Deutschland gab es bisher kaum solche<br />
Untersuchungen“, sagt Eichinger.<br />
Mit Sympathie begegnen die Deutschen<br />
auch ihren Dialekten. 60 Prozent sprechen<br />
eine Mundart, vor allem in den südlichen<br />
Bundesländern. Besonders angenehm klingt<br />
den Deutschen der – weniger ausgeprägte –<br />
norddeutsche Tonfall im Ohr, als eher unangenehm<br />
wird Sächsisch empfunden. Unter den<br />
ausländischen Akzenten gilt Französisch (vor<br />
Italienisch) als schön. An der Spitze der eher<br />
„unsympathischen“ Akzente stehen Russisch,<br />
Türkisch und Polnisch. Doch fast die Hälfte der<br />
Befragten stört sich generell nicht an einem<br />
ausländischen Akzent.<br />
www.ids-mannheim.de<br />
ors<br />
Islam in der Bundesrepublik<br />
Vier Millionen Muslime in Deutschland<br />
Die Zahl der Muslime in Deutschland ist viel<br />
größer, als bisher angenommen. Zu diesem<br />
Ergebnis kommt eine vom Bundesinnenministerium<br />
im Juni vorgelegte Studie des Bundesamtes<br />
für Migration und Flüchtlinge. Demnach<br />
leben in Deutschland statt drei Millionen, wie<br />
bislang vermutet, rund vier Millionen Muslime.<br />
Ein weiteres Ergebnis: Muslime sind in<br />
viel höherem Maße in Deutschland integriert,<br />
als man bisher dachte.<br />
Fast die Hälfte der Muslime, nämlich 45 Prozent,<br />
hat einen deutschen Pass. Jeder zweite<br />
ist laut Studie Mitglied in einem deutschen<br />
Verein. Die Befragung erfasst Menschen aus<br />
49 muslimisch geprägten Ländern. Mit 63,2<br />
Prozent haben die meisten Muslime türkische<br />
Wuzeln, gefolgt von solchen aus Südosteuropa<br />
(13,6 Prozent),dem Nahen Osten (acht Prozent)<br />
und Nordafrika (sieben Prozent).<br />
Mehr als 86 Prozent der Muslime bezeichnen<br />
sich als „stark gläubig“ bis „eher gläubig“. Die<br />
islamischen Vorschriften befolgen viele dennoch<br />
nicht sehr streng. So tragen 70 Prozent<br />
der Frauen nie ein Kopftuch, in Deutschland<br />
geborene Musliminnen wesentlich seltener<br />
als zugewanderte. Speisevorschriften und Fastengebote<br />
werden dagegen weithin beachtet.<br />
Nur knapp ein Viertel der Muslime fühlt sich<br />
von den großen muslimischen Dachverbänden<br />
in Deutschland vertreten, drei Viertel wünschen<br />
islamischen Religionsunterricht in den<br />
Schulen. <br />
Llo<br />
Friedenspreis<br />
Buchhandel ehrt Claudio Magris<br />
Der italienische Schriftsteller und Germanist<br />
Claudio Magris erhält den diesjährigen<br />
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.<br />
Magris habe sich „wie kaum ein anderer mit<br />
den Problemen des Zusammenlebens und<br />
Zusammenwirkens verschiedener Kulturen<br />
beschäftigt“, heißt es in der Begründung der<br />
Jury.<br />
Nach dem Studium in Turin und Freiburg<br />
erlangte Magris mit seiner Dissertation zum<br />
Thema „Der habsburgische Mythos in der österreichischen<br />
Literatur“ (1963) bereits den<br />
ersten Ruhm als Autor. Es folgten viele Bücher<br />
– darunter „Donau, Biographie eines Flusses“<br />
(1986) –, in denen er sich erzählend und reflektierend<br />
mit dem multikulturellen Gesicht<br />
Mitteleuropas befasst, laut Jury „ein Europa,<br />
das nicht allein unter ökonomischen Gesichtspunkten<br />
sein Selbstverständnis erreicht,<br />
sondern seine geschichtliche und kulturelle<br />
Tradition und Vielfalt bedenkt und darauf beharrt“.<br />
Der 1939 in Triest geborene Autor war bis zu<br />
seiner Emeritierung 2006 Professor für Deutsche<br />
Sprache und Literatur an der Universität<br />
Schriftsteller und Germanist:<br />
Claudio Magris<br />
Foto: picture-alliance/akg<br />
seiner Heimatstadt. Er hat Schriftsteller wie<br />
Georg Büchner und Joseph Roth ins Italienische<br />
übersetzt. Als Essayist und Kolumnist<br />
hat er immer wieder zu politischen Themen<br />
Stellung bezogen, saß von 1994 bis 1996 im<br />
römischen Senat und hat 2002 gemeinsam<br />
mit anderen Intellektuellen die Vereinigung<br />
„Libertá e Giustizia“ (Freiheit und Gerechtigkeit)<br />
gegründet, die Kritik an der Regierung<br />
von Silvio Berlusconi übt.<br />
Den mit 25 000 Euro dotierten Preis erhält<br />
Magris während der Frankfurter Buchmesse<br />
am 18. Oktober in der Frankfurter Paulskirche.<br />
<br />
Llo<br />
In Kürze<br />
In Köln soll eine Akademie der Künste der<br />
Welt entstehen. Der Rat der Stadt stimmte im<br />
Juni einem Konzept zu, das von Kölner Kulturschaffenden,<br />
darunter dem deutsch-iranischen<br />
Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani,<br />
erarbeitet wurde. Die Akademie soll in der ethnisch,<br />
religiös und kulturell sehr vielfältigen<br />
rheinischen Stadt Künstlern aus aller Welt ein<br />
Forum bieten für das „künstlerische Experiment<br />
und die diskursive, vergleichende und<br />
konfrontierende Orientierung aneinander“.<br />
Die Initiatoren, die eine „stärkere Vernetzung<br />
mit der globalen künstlerischen Szene“ anstreben,<br />
wollen auch mit dem Berliner „Haus<br />
der Kulturen der Welt“ zusammenarbeiten.<br />
Immer mehr Deutsche entscheiden sich fürs<br />
Fahrrad als Verkehrsmittel. Im vergangenen<br />
Jahr benutzten es die Deutschen für zehn<br />
Prozent aller Wege, das heißt für täglich insgesamt<br />
90 Millionen Kilometer. Im Vergleich<br />
zum Jahr 2002 stieg die Radnutzung um 17<br />
Prozent. Wie aus einer Studie des Bundesverkehrsministeriums<br />
zur Mobilität in Deutschland<br />
hervorgeht, fahren auch mehr Bürger mit<br />
öffentlichen Verkehrsmitteln: 2008 wurden<br />
neun Prozent aller Wege mit Bus oder Bahn<br />
zurückgelegt.<br />
Mehr als 436 000 Menschen erkranken in<br />
Deutschland jährlich an Krebs. Ihnen soll<br />
künftig schneller geholfen werden. Bundesforschungsministerin<br />
Annette Schavan stellte<br />
im Juni eine Initiative zum besseren Wissenstransfer<br />
aus der Krebsforschung in die klinische<br />
Praxis vor. Damit die Ergebnisse aus der<br />
Grundlagenforschung direkt in die Versorgung<br />
von Patienten gelangen, soll ein am Deutschen<br />
Krebsforschungszentrum in Heidelberg angesiedeltes<br />
„Nationales Konsortium für Translationale<br />
Krebsforschung“ mit sechs ausgewählten<br />
Universitätskliniken kooperieren.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
10 titEl<br />
kleiner akt mit<br />
großem Einfluss<br />
Acht Kommunalwahlen, eine Regionalwahl,<br />
fünf Landtagswahlen, eine Europaund<br />
eine Bundestagswahl: Das Jahr <strong>2009</strong><br />
beschert den Deutschen insgesamt 16<br />
Gänge an die Wahlurne.<br />
Im <strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong> haben die Deutschen viel zu entscheiden<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
titEl<br />
11<br />
Ekkehart Grünberg, Diplom-Physiker aus<br />
Bonn, wird in diesem Jahr dreimal seine<br />
Stimme abgeben: zur Europawahl, zur<br />
Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen und<br />
zur Bundestagswahl. Eine Belastung ist das<br />
für den Naturwissenschaftler aber nicht, im<br />
Gegenteil. „Zur Wahl zu gehen, ist eine der<br />
wenigen Einflussmöglichkeiten, die wir als<br />
Bürger auf die Politik haben. Wer sie nicht<br />
nutzt, überlässt sein Schicksal denjenigen, die<br />
es tun.“ Grünberg hat daher noch nie einen<br />
Urnengang ausgelassen und verfolgt auch den<br />
Wahlausgang in anderen Bundesländern mit<br />
großem Interesse.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Wahlkampf am Straßenrand:<br />
Parteien buhlen um Stimmen<br />
Einige Wahlen sind bereits gelaufen, wie die<br />
Kommunalwahlen in Baden-Württemberg und<br />
Sachsen oder die Europawahl, andere stehen<br />
noch bevor. Jede einzelne Wahl hat ihren eigenen<br />
Charakter und eigene Botschaften. Doch<br />
eigentlich bilden sie alle nur das Vorspiel zur<br />
Bundestagswahl, bei der am 27. September<br />
etwa 62 Millionen Wählerinnen<br />
und Wähler darüber<br />
entscheiden können, wer<br />
Deutschland bis 2013 regieren<br />
wird. Ein kleiner Akt<br />
mit großem Einfluss.<br />
Alle fünf Jahre wählen die<br />
Deutschen ihre Vertreter in<br />
den Gemeinden und Städten<br />
sowie in den Länderparlamenten, alle vier<br />
Jahre entscheiden sie mit ihren Stimmen über<br />
die Bundesregierung und wiederum alle fünf<br />
Jahre über die Zusammensetzung des Europäischen<br />
Parlaments. Im <strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong><br />
wählen die Bürger auf allen Ebenen. „In einem<br />
föderalen System ist das nichts Außergewöhnliches,<br />
es ist aber auch ein System, das die<br />
Wähler strapaziert“, sagt Professor Tilmann<br />
Mayer vom Institut für Politische Wissenschaft<br />
und Soziologie der Universität Bonn.<br />
In acht Bundesländern, unter anderem Rheinland-Pfalz<br />
und Nordrhein-Westfalen, finden<br />
in diesem Jahr Kommunalwahlen und damit<br />
Wahlen von Bürgermeistern oder Landräten<br />
statt. Hier geht es um die alltäglichen Sorgen<br />
der Bürger, nicht um die große Politik. Für den<br />
passionierten Gärtner Willi Gerhards aus der<br />
Kleinstadt Düren bei Aachen ist beispielsweise<br />
wichtig, wie die Parteien<br />
mit dem Thema Naturschutz<br />
umgehen. „Die Christdemokraten<br />
wollen Teile des<br />
Natur schutzgebiets Drover<br />
Heide für die Öffentlichkeit<br />
zugänglich machen, obwohl<br />
dort seltene Vogelarten nisten.<br />
Die Sozialdemokraten<br />
„Das<br />
Pflichtbewusstsein<br />
zu wählen ist bei<br />
vielen nicht mehr<br />
vorhanden.“<br />
„Ich habe mich<br />
darauf gefreut.<br />
Der eigentliche<br />
Akt war aber eher<br />
unspektakulär.“<br />
und die Grünen wollen das verhindern. Da<br />
liegt für mich auf der Hand, wen ich wähle“,<br />
erklärt der 79-Jährige.<br />
Die große Politik rückt dann nach der Sommerpause,<br />
spätestens am 30. August, wieder<br />
ins Blickfeld, wenn im Saarland, in Sachsen<br />
und Thüringen die Landesparlamente gewählt<br />
werden. Denn oft werden Landtagswahlen als<br />
Testlauf für Bundestagswahlen gewertet, obwohl<br />
sie über Regierung und Opposition im jeweiligen<br />
Bundesland entscheiden. Höhepunkt<br />
für viele Bürger ist die Bundestagswahl. Erfahrungsgemäß<br />
gehen dann sehr viel mehr Menschen<br />
an die Urnen als bei anderen Wahlen,<br />
dennoch werden es auch hier immer weniger:<br />
Seit 1990 liegt die Wahlbeteiligung bei knapp<br />
unter 80 Prozent.<br />
Anders bei der Europawahl: Diesmal machten<br />
in Deutschland nur etwa 42 Prozent der<br />
Wahlberechtigten ihr Kreuzchen auf dem<br />
langen Stimmzettel. Die europäische Regierung<br />
in Brüssel ist für viele Deutsche zu weit<br />
weg. „Die Bürger haben ein Gespür dafür,<br />
dass sie über ihre Länderregierungen<br />
ohnehin an<br />
Brüsseler Entscheidungen<br />
beteiligt sind“, erklärt Politikwissenschaftler<br />
Tilmann<br />
Mayer die Zurückhaltung.<br />
Häufig nutzen die Wähler<br />
diese Wahl auch, um der eigenen<br />
nationalen Regierung<br />
einen Denkzettel zu verpassen. So erlitten die<br />
Sozialdemokraten (SPD) mit 21,5 Prozent der<br />
Stimmen ein niederschmetterndes Ergebnis.<br />
Hart erkämpft<br />
Das Wahlrecht wurde im Laufe der deutschen<br />
Geschichte hart erkämpft. Während im 19.<br />
Jahrhundert nur Bürger eines gewissen Standes<br />
oder Alters wählen durften, setzte sich<br />
nach dem Ersten Weltkrieg 1918 das Wahlrecht<br />
für alle Männer durch. Frauen durften<br />
erst mit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung<br />
1919 an die Urne gehen. Damals konnten<br />
selbst kleinste Parteien ins Parlament einziehen.<br />
Hinzu kam eine aufgewühlte und in sich<br />
gespaltene Gesellschaft. Die Folgen waren<br />
eine Parteienzersplitterung und Regierungen,<br />
die sich auf viele Koalitionen mit knapper<br />
Mehrheit stützen mussten. Schließlich war<br />
vernünftiges Regieren nicht<br />
mehr möglich: Die Weimarer<br />
Republik scheiterte und die<br />
Nationalsozialisten kamen<br />
1933 an die Macht.<br />
Die Erfahrungen aus der<br />
Weimarer Republik beeinflussten<br />
die Entwicklung des<br />
heutigen Wahlsystems. Seit<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
12 titEl<br />
1949 gilt für Bundestags- und Landtagswahlen<br />
eine Sperrklausel. Sie verhindert sehr kleine<br />
Parteien in den Parlamenten. Wer nicht fünf<br />
Prozent der Stimmen erzielt, muss draußen<br />
bleiben. Kritiker sehen dadurch die politische<br />
Meinungsvielfalt gefährdet. „Doch der Einzug<br />
der Grünen in die Parlamente in den 1980er<br />
Jahren hat gezeigt, dass neue politische Kräfte<br />
durchaus eine Chance haben“, sagt Politikwissenschaftler<br />
Tilmann Mayer. Heute existiert<br />
ein Fünfparteiensystem aus Christdemokraten<br />
(CDU/CSU), Sozialdemokraten (SPD), Freien<br />
Demokraten (FDP), Bündnis 90/Die Grünen<br />
und Die Linke.<br />
Wählen als Recht<br />
Im Gegensatz zu Belgien oder Griechenland ist<br />
der Urnengang in Deutschland keine Pflicht,<br />
sondern bürgerliches Recht, verankert in Artikel<br />
20 des Grundgesetzes. Er besagt, dass alle<br />
Staatsgewalt vom Volke ausgeht, und verleiht<br />
damit Wahlen eine besondere Bedeutung. Sie<br />
garantieren Pluralismus und gewährleisten,<br />
dass die Gewählten im Namen aller entscheiden.<br />
Dieses Recht nutzt nicht jeder Wahlberechtigte;<br />
die Zahl der Nichtwähler steigt: Beteiligten<br />
sich 1972 noch etwa 91 Prozent der Wahlberechtigten<br />
an der Bundestagswahl, waren es<br />
2005 nur rund 77 Prozent. Laut einer Umfrage<br />
im Jahr 2008 ist mehr als jeder zweite Deutsche<br />
mit der Demokratie unzufrieden, etwa 66<br />
Prozent haben sogar wenig bis gar kein Vertrauen<br />
in die Bundesregierung. Nichtwähler<br />
sind nicht nur Politikverdrossene oder Protestwähler,<br />
sondern auch Gruppen, in deren<br />
Leben Politik kaum vorkommt. „Das Pflichtbewusstsein<br />
zu wählen ist bei vielen nicht mehr<br />
vorhanden. Immer weniger Menschen sind<br />
bereit, sich an Parteien zu binden, ähnliches<br />
zeigt sich bei Gewerkschaften oder Kirchen“,<br />
so Politikwissenschaftler Tilmann Mayer.<br />
Kein Blick über den Tellerrand<br />
Auch vielen Studierenden fehlt das politische<br />
Engagement, sagt Tino Bargel von der Arbeitsgemeinschaft<br />
Hochschulforschung der Universität<br />
Konstanz. Durch Globalisierung, Finanzkrise<br />
und unsichere Jobs müsse jeder sich so<br />
sehr um die eigene Existenz kümmern, dass der<br />
Blick über den eigenen Tellerrand nicht mehr<br />
gelingt. Diesen verengten Horizont fördern, so<br />
der Forscher, auch die Studienstrukturen an<br />
den Hochschulen, die vor allem auf Leistung<br />
und Erfolg setzen. Studierende werden immer<br />
mehr zu Kunden. „Der Kunde nimmt die Angebote,<br />
sei es in der Lehre oder in der Politik,<br />
nur passiv hin“, sagt Tino Bargel. Mitdenken<br />
und Einmischen würden weder verlangt noch<br />
gefördert. Politikwissenschaftler Tilmann<br />
Mayer sieht in der sinkenden Wahlbeteiligung<br />
aber auch einen Normalisierungsprozess. „Die<br />
Wähler scheinen dem System zu vertrauen<br />
und glauben, dass es auch ohne ihre Beteiligung<br />
funktioniert.“<br />
Erstwählerin Valerie Heidel hat sich beteiligt.<br />
Die 18-jährige Bonnerin gab zur Europawahl<br />
erstmals ihre Stimme ab. „Ich habe<br />
mich darauf gefreut. Der eigentliche Akt war<br />
aber eher unspektakulär.“ Neben Zeitung und<br />
Fernsehen half ihr vor allem der Wahlomat,<br />
sich zwischen den Parteien zu entscheiden.<br />
Mit dieser interaktiven Wahlmaschine,<br />
initiiert von der<br />
Bundeszentrale für politische<br />
Bildung, kann der Nutzer<br />
die Positionen der einzelnen<br />
Parteien vergleichen und per<br />
Mausklick auswählen, ob<br />
er den Aussagen zustimmt<br />
oder nicht. Am Ende sieht er,<br />
welche Partei seinen Vorstellungen<br />
am nächsten kommt.<br />
„Der Wahlomat wurde 2002<br />
entwickelt, um vor allem<br />
junge Wähler auf spielerische<br />
Weise zu motivieren,<br />
ihre Stimme abzugeben“, erläutert Stephan<br />
Trinius von der Bundeszentrale für politische<br />
Bildung.<br />
Seine klare und leicht verständliche Darstellung<br />
der Parteipositionen will mit den Vorurteilen<br />
aufräumen, dass Politik langweilig ist,<br />
nichts mit dem Wähler zu tun hat und alle<br />
Parteien gleich sind. Offenbar mit Erfolg, denn<br />
immer mehr Bürger nutzen den Wahlomat<br />
als Entscheidungshilfe. Stephan Trinius: „Zur<br />
Bundestagswahl 2005 wurde er fünf Millionen<br />
Mal aufgerufen, wobei die Hälfte der Nutzer<br />
älter als 30 Jahre war.“ Zur Europawahl <strong>2009</strong><br />
Abb.: ullstein Archiv Gerstenberg<br />
1919: Frauen erhalten das<br />
Recht zu wählen<br />
nutzten ihn immerhin 1,56 Millionen Menschen.<br />
„Da ich kurz vor dem Studium stehe,<br />
waren für mich besonders Bildungsthemen<br />
interessant, wie Zentralabitur und Studiengebühren.<br />
Die konnte ich mit dem Wahlomat<br />
gut vergleichen“, sagt Valerie Heidel. Auch zur<br />
anstehenden Wahl des Bundestags steht die<br />
Entscheidungshilfe unter www.wahl-o-mat.de<br />
wieder bereit.<br />
Wer Wähler an die Urnen holen will, muss<br />
sie da abholen, wo sie stehen. In Zeiten der<br />
Wirtschaftskrise treiben die Menschen vor<br />
allem „Brot- und Butterthemen“ um. Sie erwarten<br />
von den Politikern Lösungen für die<br />
Misere und sichere Einkommen. Themen wie<br />
Umweltschutz treten eher in den Hintergrund.<br />
Inhalte sind aber nur eine Seite der Medaille<br />
– die andere Seite wird vom öffentlichen Auftritt<br />
und Image der Spitzenpolitiker bestimmt.<br />
„Wir leben in einer Mediendemokratie, Politik<br />
und Medien gehen eng zusammen. Inhalte<br />
müssen über interessante<br />
Geschichten transportiert<br />
werden“, sagt Tilmann<br />
Mayer. Parteien brauchen<br />
deshalb Präsenz und<br />
starke Führungspersönlichkeiten.<br />
Sie müssen<br />
Kompetenz zeigen, Problemlösungen<br />
anbieten<br />
und die Wähler dabei unterhalten<br />
– besonders die<br />
jungen. Zur Bundestagswahl<br />
2005 gaben etwa 70<br />
Prozent der Wahlberechtigten<br />
unter 21 Jahren<br />
ihre Stimme ab, weniger als der Durchschnitt.<br />
Bis zum Alter von 30 nimmt das politische Interesse<br />
stetig zu, danach stagniert es.<br />
Für die bevorstehende Bundestagswahl erwartet<br />
der Politikwissenschaftler keine großen<br />
Überraschungen. „Generell ist alles möglich.<br />
Derzeit zeichnet sich eine deutliche Wechselstimmung<br />
ab. Schwarz-Gelb, das Bündnis von<br />
Christdemokraten und Freien Demokraten, erzielt<br />
stabile Umfragewerte, eine rot-rot-grüne<br />
Koalition aus Sozialdemokraten, Die Linke<br />
und Die Grünen ist eher unwahrscheinlich.“<br />
Sabine Wygas<br />
„Wir leben in einer<br />
Mediendemokratie,<br />
Politik und<br />
Medien gehen<br />
eng zusammen.<br />
Inhalte müssen<br />
über interessante<br />
Geschichten<br />
transportiert werden.“<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
aBStRact<br />
A Little Act with a Big Effect<br />
Germans have many decisions to make in<br />
<strong>2009</strong>, the “super election year”. Sixteen elections<br />
will be held this year, including eight<br />
municipal and one regional election, five<br />
state legislative elections, and the European<br />
and Federal parliamentary elections. The<br />
election of the Bundestag, the German parliament,<br />
on September 27 is the high point of<br />
the electoral year. Prominent campaign issues<br />
are the big political themes such as security<br />
and fiscal policy. Some 62 million voters will<br />
determine who will sit in the Bundestag until<br />
2013, and thus decide the composition of the<br />
next German government. Critical issues in<br />
the municipal elections are those that touch<br />
on the voters’ day-to-day concerns, such as<br />
the conservation of nearby nature preserves.<br />
Unlike Belgians and Greeks, Germans are not<br />
legally required to vote. In 2005, just under 80<br />
percent of those entitled to vote in the federal<br />
legislative election actually did so — and electoral<br />
participation is in decline. Researchers<br />
disagree on the causes and consequences of<br />
this trend. In any case, the results of an election<br />
are determined not only by political positions,<br />
but also by the public appearances and<br />
images of the politicians and their parties.<br />
titEl<br />
13<br />
Den Wählern in die köpfe schauen<br />
Interview mit dem Wahlforscher Hans Rattinger<br />
Das <strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong> ist ein arbeitsreiches<br />
Jahr für die Wissenschaftler am<br />
Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften<br />
GESIS: Sie befragen Wähler und analysieren<br />
ihr Wahlverhalten. GESIS-Präsident<br />
und Politikwissenschaftler Professor Hans<br />
Rattinger erläutert, was Wahlforschung<br />
leis ten kann, wie sie sich verändert hat und<br />
wo sie überschätzt wird.<br />
Außenminister Frank-Walter Steinmeier<br />
von den Sozialdemokraten oder<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel von den<br />
Christdemokraten – wer wird die nächste<br />
Bundestagswahl für sich entscheiden?<br />
Das werden wir alle erst am 27. September<br />
wissen. Wahlforscher sind<br />
schließlich keine Propheten.<br />
Können Sie durch Ihre Umfragen nicht<br />
schon Tendenzen erkennen?<br />
Mir liegen noch keine eigenen Ergebnisse<br />
vor. Außerdem hat die Forschung gezeigt: Je<br />
mehr Zeit zwischen Umfragen und Wahlen<br />
liegt, desto mehr spiegeln die Ergebnisse nur<br />
eine temporäre Stimmung wider, die wenig<br />
über den Wahlausgang aussagt. Das zeigt<br />
sich zum Beispiel deutlich bei der Europawahl.<br />
Da verpassen viele Wähler der Regierung<br />
einen Denkzettel und wählen eine Partei,<br />
für die sie sonst nicht stimmen würden.<br />
Was kann Wahlforschung leisten?<br />
Sie soll aufzeigen, wer wen wählt oder nicht<br />
wählt und warum. Diese Fragen beantworten<br />
wir, indem wir die persönlichen Einschätzungen<br />
der Wähler herausfinden. Wir wollen<br />
zum Beispiel erfahren, für wie kompetent jemand<br />
eine Partei hält oder welche politischen<br />
Sachfragen eine Rolle spielen. Erst eine<br />
Kombination aus vielen Faktoren liefert eine<br />
Erklärung für das jeweilige Wahlverhalten.<br />
Das kann individuell sehr verschieden sein.<br />
Was bedeutet das für Wahlprognosen?<br />
Die Zeiten, in denen galt: „Sag mir deine soziale<br />
Lage, und ich sage dir deine politische<br />
Präferenz“, sind vorbei. Wir greifen nicht<br />
mehr nur auf soziale Erklärungsmuster wie<br />
Geschlecht, Alter oder Schicht zurück. Zum<br />
anderen gibt es die typischen CDU- oder<br />
SPD-Wähler kaum noch. Nehmen wir den<br />
Arbeiter, der mit einer Ärztin verheiratet ist.<br />
Oder den Mobilitätsfanatiker, der Mitglied<br />
im Motorradverein ist, sich aber gleichzeitig<br />
in einem Bürgerverein gegen den<br />
Bau einer Eisenbahntrasse engagiert. Der<br />
Mensch als vielfältiges Individuum steht<br />
im Vordergrund. Das sieht man auch daran,<br />
dass es seit den 1970ern bei Bundestagswahlen<br />
keine klaren Mehrheiten, sondern<br />
nur noch sehr knappe Wahlsiege gibt. Das<br />
macht Prognosen schwieriger. Wir können<br />
keine Pauschalaussagen treffen, sondern<br />
müssen den Leuten in die Köpfe schauen.<br />
Die Bundestagswahl 2005 hat gezeigt,<br />
dass sich etwa 20 Prozent der Wähler erst<br />
kurz vorher auf eine Partei festlegen. Wird<br />
dieser Trend zunehmen?<br />
Ja, aber es gibt ihn bereits seit 30 Jahren.<br />
Schuld sind auch immer kürzere Wahlkämpfe.<br />
Während früher die Bundestagswahlen im<br />
Frühjahr stattfanden, wurden sie dann auf<br />
Foto: GESIS<br />
den Herbst, also nach den Schulferien, gelegt.<br />
Die Parteien versuchen gar nicht mehr, einen<br />
Dauerwahlkampf zu inszenieren, weil viele<br />
im Urlaub sind. Erst wenige Wochen vor der<br />
Wahl nimmt ein Großteil der Bevölkerung<br />
den Wahlkampf bewusst wahr, setzt sich damit<br />
auseinander und trifft eine Entscheidung.<br />
Welche Auswirkungen hat das auf die<br />
Wahlforschung?<br />
Wir müssen künftig viel mehr Aufmerksamkeit<br />
auf die kurze Wahlkampfzeit legen.<br />
Das erfordert häufigere Befragungen in<br />
einer Phase, in der die Leute sechs bis acht<br />
Wochen vor der Wahl durch verschiedene<br />
Stimmungslagen gehen. Wichtig für uns ist,<br />
welchen Effekt die durch die Medien vermittelten<br />
Botschaften auf den Wähler haben.<br />
Verstehen Sie die Menschen, die nicht zur<br />
Wahl gehen?<br />
Sehr gut sogar. Wählen ist ein Bürgerrecht,<br />
aber keine Pflicht. Es gibt Menschen, für die<br />
die Familie oder der Sport am wichtigsten<br />
sind. Ich würde mir andererseits zum Beispiel<br />
nie ein Autorennen ansehen, weil<br />
es mich nicht interessiert. Wenn jemand<br />
nichts mit Politik zu tun haben will, ist es<br />
nur konsequent, nicht zur Wahl zu gehen.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
14<br />
Hochschule<br />
Bildung trotz<br />
„falschem Elternhaus“<br />
Arbeiterkinder sind an<br />
deutschen Universitäten immer noch selten<br />
„Aufstieg durch Bildung“ hieß das Motto der großen Bildungsoffensive<br />
in den sechziger und siebziger Jahren. Fast ein halbes<br />
Jahrhundert später sind die Zahlen ernüchternd: Sind die Eltern<br />
Akademiker, beginnen die Kinder in acht von zehn Fällen ein Studium,<br />
von 100 Arbeiterkindern schaffen es gerade einmal 23 auf<br />
eine Hochschule. Eltern, die keine Hochschule besucht haben,<br />
können bei Bewerbungen für einen Studienplatz oder für ein Stipendium<br />
nicht helfen. Hier will die Webplattform www.arbeiterkind.de<br />
Unterstützung leisten.<br />
Als ich an die Uni kam, hatte ich sehr großen<br />
Respekt vor Professoren und habe anfangs<br />
nur Seminare von Assistenten besucht“,<br />
erinnert sich Katja Urbatsch. Die heute 30-jährige<br />
<strong>DAAD</strong>-Alumna hat vor gut einem Jahr in<br />
Gießen die Webplattform www.arbeiterkind.de<br />
ins Leben gerufen und kann sich seitdem vor<br />
Anfragen kaum retten. Alle überregionalen<br />
Zeitungen haben sie interviewt, es erschienen<br />
Radio- und Fernsehbeiträge – so als ob die Spezies<br />
Arbeiterkind bisher eine unbekannte Art<br />
im deutschen Hochschulbiotop sei. Dabei wird<br />
seit den sechziger Jahren darüber diskutiert,<br />
inwieweit die Herkunft Bildungs- und Aufstiegschancen<br />
beeinflusst. „Es ist eben nicht<br />
nur das Geld, das häufig knapp ist“, sagt Katja<br />
Urbatsch mit Überzeugung, „sondern die fehlende<br />
ideelle und intellektuelle Unterstützung<br />
durch die Eltern.“<br />
Das bestätigen Bildungsforscher. Der Berliner<br />
Erziehungswissenschaftler Heinz-Elmar<br />
Tenorth sprach im Mai <strong>2009</strong> von „skandalösen<br />
Befunden“: Trotz aller Arbeit und Anstrengungen<br />
im Bildungssystem werde die Entstehung<br />
und Vererbung von Bildungsarmut nicht<br />
verhindert. Gemeinsam mit Lehrer- und Bildungsgewerkschaften<br />
möchte er ein Recht auf<br />
Bildung im Grundgesetz verankern. Besonders<br />
deutlich wird die Abhängigkeit von Bildung<br />
und Herkunft an Übergängen, beispielsweise<br />
von der Grundschule an die weiterführende<br />
Schule – in fast allen deutschen Bundesländern<br />
findet dieser Wechsel bereits im Alter<br />
von zehn Jahren statt.<br />
Elvira Jankowski hat Anfang der sechziger Jahre<br />
gespürt, was es heißt, aus „dem falschen<br />
Elternhaus“ zu kommen: „In der Volksschule<br />
ist mir ganz klar vermittelt worden, dass wir<br />
weniger wert waren, weil wir wenig Geld hatten.“<br />
Heute ist zwar eine solche offensichtliche<br />
Benachteiligung nicht mehr denkbar. Doch<br />
eine Erhebung unter allen Hamburger Fünftklässlern<br />
zeigt, dass ein Kind, dessen Vater<br />
das Abitur gemacht hat, ein Drittel weniger<br />
Punkte benötigt, um für den Besuch eines<br />
Gymnasiums empfohlen zu werden, als ein<br />
Kind, dessen Vater die Schule ohne Abschluss<br />
verlassen hat. Bei Elvira Jankowski haben sich<br />
die Lehrer gründlich geirrt: Die heute 53-Jährige<br />
ist Fachhochschul-Professorin für Maschinenbau.<br />
Eine Ausnahme bleibt das einstige<br />
Arbeiterkind aus Wattenscheid dennoch.<br />
Bildungstrichter<br />
Die Trennung der Milieus geht weiter, denn<br />
längst nicht alle Abiturienten entscheiden sich<br />
für ein Studium. Das Deutsche Studentenwerk<br />
macht es in seiner 18. Sozialerhebung deutlich:<br />
2005 begannen von den 19- bis 25-Jährigen,<br />
deren Vater Abitur hat, 71 Prozent ein<br />
Studium. Hat der Vater einen Hauptschulabschluss,<br />
also den niedrigsten Schulabschluss,<br />
schreiben sich nur 19 Prozent an einer Hochschule<br />
ein. Das heißt: Aus der größten Gruppe<br />
der deutschen Bevölkerung, also denen, deren<br />
Eltern einen Haupt- oder Realabschluss haben,<br />
überwinden prozentual die wenigsten Kinder<br />
die Schwelle zur Hochschule – von Chancengleichheit<br />
keine Spur. „Es ist normal, dass<br />
Eltern bei Seminararbeiten helfen oder die<br />
Bewerbung für ein Stipendium noch einmal<br />
überarbeiten“, beschreibt Katja Urbatsch die<br />
privilegierte Situation vieler Kommilitonen.<br />
Ihre eigenen Eltern unterstützten sie zwar finanziell<br />
beim Studium, doch mit den Fächern<br />
Nordamerikanistik und Publizistik wussten<br />
sie zunächst nichts anzufangen. „Bis heute<br />
muss ich mich bei Familienfeiern rechtfertigen,<br />
warum ich studiert habe und warum ich<br />
jetzt auch noch promoviere. Wäre ich Lehrerin<br />
geworden, wären alle zufriedener“, erzählt<br />
Katja Urbatsch, die ihre Doktorarbeit an der<br />
Universität Gießen schreibt. Für die Eltern von<br />
Elvira Jankowski war klar: Die Tochter sollte<br />
einen Beruf lernen. Dass sie danach aber ihr<br />
Katja Urbatsch gründete die<br />
Webplattform www.arbeiterkind.de<br />
Foto: Gerd Scheffler<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Hochschule 15<br />
Erfolgen. Der Vorteil: Studierende und Schüler<br />
sprechen die gleiche Sprache, da fällt es<br />
leicht, auch scheinbar ‚dumme’ Fragen zu<br />
stellen“, erläutert Katja Urbatsch. Eine andere<br />
Rolle nehmen die inzwischen 1000<br />
Mentorinnen und Mentoren in 70 deutschen<br />
Städten ein. Sie sind berufstätig, stammen<br />
selbst aus einem nicht akademischen Milieu<br />
und sind daher sensibel für entsprechende<br />
Fragen. Dazu gehören ganz einfache Dinge:<br />
„Viele trauen sich nicht, in der Hochschule<br />
anzurufen oder einem Professor eine Mail zu<br />
senden, zu groß sind die Berührungsängs te“,<br />
hat Godiva Jammerthal festgestellt. Die 34-Jährige<br />
ist Mentorin in Karlsruhe. Meistens bitten<br />
die Ratsuchenden um ein persönliches<br />
Gespräch, wie beispielsweise eine Familie,<br />
die zu ihr kam, weil die Tochter ihr Abitur<br />
nachholen wollte. „Natürlich kann man alle<br />
Informationen im Internet recherchieren, aber<br />
wer die akademische Struktur, die dortigen<br />
Abstract<br />
Web Portal for Upward Mobility<br />
Policy in the 1970s promised “advancement<br />
through education” — but the promise has not<br />
been fulfilled. More than in other European<br />
countries, educational achievement in Germany<br />
depends on social background: eight out of<br />
ten children of academics undertake postsecondary<br />
studies, while only 23 percent of<br />
working-class children enter higher education<br />
institutions. And they face difficulties: because<br />
their parents are unfamiliar with the world of<br />
higher education, they cannot offer scholarship<br />
advice, and many of them argue against<br />
going to university at all. <strong>DAAD</strong> alumna Katja<br />
Urbatsch, who comes from a non-academic<br />
family, has created the web platform<br />
www.arbeiterkind.de to help rectify this situation.<br />
The site provides information and hints as well as<br />
contact to 1,000 mentors throughout Germany.<br />
Mit seinem Plakat „Je goldener Löffel, desto Elite“ gewann<br />
der Design-Student Stefan Schaubitzer von der Berliner<br />
Technischen Kunsthochschule einen dritten Preis (500 Euro)<br />
beim 23. Plakatwettbewerb des Deutschen Studentenwerks,<br />
Thema: „Elite! Für alle?“<br />
Abitur nachholte und studierte, verstanden sie<br />
anfangs nicht.<br />
Doch es ist nicht nur das Unverständnis für<br />
den unbekannten Bildungsweg der Kinder, es<br />
fehlen auch Informationen, die für den Studienerfolg<br />
entscheidend sein können. „Eine<br />
meiner Freundinnen war Stipendiatin einer<br />
Stiftung. Ich hatte ein besseres Abitur und<br />
engagierte mich sozial sehr viel stärker als<br />
sie, hatte aber keine Ahnung von solch einer<br />
Förderung“, erinnert sich Katja Urbatsch. Sie<br />
wurde wütend, ärgerte sich über diese Informationslücken,<br />
bewarb sich als Doktorandin<br />
um ein Stipendium und bekam eine Zusage<br />
der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung.<br />
Sie hatte schon im Studium beschlossen,<br />
dass sie ihr Wissen weitergeben wollte – die<br />
Idee zur Webplattform www.arbeiterkind.de entstand.<br />
Professoren: eine Klasse für sich<br />
Unter www.arbeiterkind.de gibt es Informationen<br />
über Stipendien, Tipps für die Wahl eines Studienfachs<br />
und Antworten auf die Frage: Warum<br />
lohnt sich ein Studium? Das ist die virtuelle<br />
Seite, eine persönliche kommt hinzu. „Wir<br />
gehen mit Studierenden in die Schule, und<br />
dort erzählen sie Schülern und Schülerinnen<br />
von ihrem Studienalltag, ihren Ängs ten und<br />
Gepflogenheiten und die Sprache nicht kennt,<br />
hat Hemmungen, Kontakt aufzunehmen“, so<br />
die Mentorin. Professoren erscheinen nicht als<br />
normale Ansprechpartner, sondern als Klasse<br />
für sich.<br />
Kulturelles Kapital nannte der französische<br />
Soziologe Pierre Bourdieu Anfang der achtziger<br />
Jahre dieses Wissen, ohne das kein Aufstieg<br />
möglich ist; es gab und gibt „verborgene<br />
Mechanismen der Macht“. In seiner Studie<br />
„Der Mythos von den Leistungseliten“ bestätigt<br />
der Soziologe Michael Hartmann dies:<br />
Unter den deutschen Wirtschaftsbossen finden<br />
sich gerade einmal 0,5 Prozent Arbeiterkinder.<br />
Einen solch diskriminierenden Zusammenhang<br />
zwischen Herkunft und Bildung kann<br />
sich Deutschland nicht mehr leisten – darin<br />
sind sich alle einig. Doch was ist zu tun? „Die<br />
Hochschulen dürfen geeignete Studienbewerber<br />
nicht nur unter den Kindern der früheren<br />
Absolventen vermuten. Das wären auch viel<br />
zu wenig, denn aus demografischen Gründen<br />
brauchen wir 40 Prozent eines Jahrgangs“,<br />
betont Sabine Behrenbeck. Die Referatsleiterin<br />
im Wissenschaftsrat, dem Beratungsorgan<br />
für die Wissenschaftspolitik, denkt an andere<br />
Strategien: „Hochschulen könnten Studienbewerber<br />
ohne akademischen Hintergrund<br />
gezielt ansprechen und maßgeschneiderte<br />
Angebote für sie bereithalten.“ Dazu gehören<br />
eine intensive Beratung am Übergang<br />
von der Schule an die Hochschule sowie eine<br />
Ausrichtung der Lehrpläne an den Berufsvorstellungen<br />
der künftigen Studierenden. Besonders<br />
wichtig ist Sabine Behrenbeck: „Weil<br />
eine akademische Sozialisierung nicht im Elternhaus<br />
stattfinden konnte, muss sie in der<br />
Hochschule passieren.“ Isabell Lisberg-Haag<br />
www.arbeiterkind.de<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
16<br />
Hochschule<br />
Neues vom Campus<br />
Rostock<br />
Robben testen<br />
am offenen Meer<br />
In der Unterwasserwelt finden sich<br />
Menschen nur mit technischen<br />
Hilfsmitteln zurecht. Robben haben<br />
das nicht nötig. Wie sie sich<br />
auf langen Streifzügen problemlos<br />
orientieren und im dunklen Meeresraum<br />
Fische fangen, welche Informationen<br />
sie dabei nutzen und<br />
wie ihre Sensorik funktioniert,<br />
wollen Wissenschaftler am neuen<br />
Robbenforschungszentrum (Marine<br />
Science Center) der Universität<br />
Rostock herausfinden.<br />
Neun Seehunde im Alter zwischen<br />
drei und 27 Jahren tummeln<br />
sich hier in ihrem natürlichen<br />
Lebensraum. Das 60 mal<br />
30 Meter große und fünf Meter<br />
tiefe Gehege im Yachthafen Hohe<br />
Düne in Rostock-Warnemünde<br />
ist Europas größte Anlage zur<br />
Erforschung der Meeressäuger.<br />
Ein umgebautes Flussschiff dient<br />
dem Zoologieprofessor und Robbenforscher<br />
Guido Dehnhardt und<br />
seinem jungen Wissenschaftler-<br />
Team als Forschungsstation.<br />
Bisher sind die Sinnesleistungen<br />
der Robben nur unzureichend erforscht.<br />
Von Experimenten, mit<br />
denen die Orientierungsmechanismen<br />
der Tiere getestet werden,<br />
erwarten die Forscher praktische<br />
Ergebnisse. So etwa für die Bionik,<br />
die aus den Grundlagen<br />
biologischer Systeme technische<br />
Anwendungen ableitet: An den<br />
Robben orientierte Sensoren sollen<br />
in der Unterwasser-Robotik<br />
Verwendung finden.<br />
Seit einem Jahr arbeiten die Forscher<br />
mit den Seehunden, dabei<br />
nur durch ein Netz vom offenen<br />
Meer getrennt. Bei der feierlichen<br />
Eröffnung im Juni dieses<br />
Jahres erhielt das Zentrum als<br />
„ausgewählter Ort“ den Preis der<br />
Bundesregierung im Wettbewerb<br />
„Deutschland – Land der Ideen“.<br />
Robbenforscher Dehnhardt kündigte<br />
dabei an, dass künftig auch<br />
Besucher die Robben beobachten<br />
und die Experimente verfolgen<br />
können. „Unsere Forschung wird<br />
einsehbar“, sagte Dehnhardt. Llo<br />
Halle-Wittenberg/Leipzig<br />
Kreative Konzepte für Afrika<br />
Wie können die Länder auf dem<br />
afrikanischen Kontinent ihre<br />
Zukunft gestalten und bewältigen<br />
– politisch, sozial und wirtschaftlich?<br />
Diese Frage steht im<br />
Mittelpunkt des ehrgeizigen, groß<br />
angelegten Forschungsprojekts<br />
„Anpassung und Kreativität in<br />
Afrika“, das unter Leitung von<br />
Wissenschaftlern an der Universität<br />
Halle-Wittenberg und Leipzig<br />
bundesweit an mehreren Universitäten<br />
und in verschiedenen<br />
Fachbereichen angesiedelt ist.<br />
Die Einzelprojekte – bisher wurden<br />
30 vorgeschlagen – fragen<br />
etwa: Wie können erprobte westliche<br />
Konzepte für den öffentlichen<br />
Nahverkehr auf die spezifischen<br />
Bedingungen Afrikas übertragen<br />
werden? Welche High-tech-Industrien<br />
können sich in Ländern mit<br />
reichen Ressourcen entwickeln?<br />
Welche Rolle spielen afrikanische<br />
Führungsnationen (Ägypten, Nigeria,<br />
Südafrika) für die politische<br />
Entwicklung des Kontinents? Wie<br />
kommen Mädchen in Westafrika<br />
mit neuen Rollenbildern zurecht?<br />
Welche Rolle können heimkehrende<br />
Bürgerkriegsflüchtlinge beim<br />
Aufbau neuer politischer Strukturen<br />
spielen?<br />
Bei dem Projekt geht es um<br />
Grundlagenforschung. Im Mittel-<br />
punkt steht die Frage, wie bewährte<br />
Muster adaptiert und<br />
kreativ für die afrikanische Wirklichkeit<br />
umgesetzt werden können.<br />
Dabei ist – gerade auch auf<br />
westlicher Seite – Umdenken nötig.<br />
„Für uns bedeutet Demokratie<br />
in erster Linie Abstimmung, also<br />
Wahl“, sagt Richard Rottenburg,<br />
Ethnologie-Professor an der Universität<br />
Halle-Wittenberg. „Afrikanische<br />
Gesellschaften, die ein solches<br />
von außen kommendes Ordnungsmuster<br />
adaptieren, können<br />
damit aber nicht ohne weiteres<br />
arbeiten.“ Gefragt sind in solchen<br />
Fällen kreative Adaptionen und<br />
die Entwicklung neuer Formen.<br />
Wie diese entstehen, sei noch<br />
nicht ausreichend bekannt.<br />
Rottenburg leitet gemeinsam mit<br />
dem Politologen Ulf Engel (Universität<br />
Leipzig) das Projekt. Es<br />
wird als Schwerpunktprogramm<br />
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
mit 3,2 Millionen Euro<br />
zunächst für die ersten beiden<br />
Jahre gefördert und ist auf sechs<br />
Jahre angelegt. Aus mehr als 30<br />
Projektvorschlägen wird eine internationale<br />
Jury die besten auswählen.<br />
Die Arbeit beginnt 2010.<br />
www.uni-leipzig.de/ ~ afrika ors<br />
Gießen<br />
Mit 35 jüngster<br />
Uni-Präsident<br />
Wenn Joybrato Mukherjee einem<br />
ausländischen Studenten ein Studium<br />
in Gießen schmackhaft machen<br />
sollte, würde er schwärmen:<br />
„Nirgends kann man leichter Kontakte<br />
knüpfen als bei uns. Denn<br />
keine andere deutsche Universitätsstadt<br />
hat eine so hohe Studentendichte:<br />
75 000 Einwohner und<br />
30 000 Studierende.“ Mit ebenso<br />
viel Lokalpatriotismus und obendrein<br />
äußerst kundig und eloquent<br />
wüsste Mukherjee dem<br />
Gießen-Interessenten auch das<br />
große Uni-Angebot in Forschung<br />
und Lehre zu schildern. Und das<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Hochschule 17<br />
Anzeige<br />
Zutraulich:<br />
Experiment mit Seehund<br />
Foto: Rolf Wegst Foto: Uni Rostock<br />
verwundert nicht: Der 35-jährige<br />
Anglistik-Professor wurde im Juli<br />
zum neuen Präsidenten der Gießener<br />
Universität gewählt. Wenn<br />
er im Dezember sein Amt antritt,<br />
ist er der jüngste Uni-Präsident<br />
Deutschlands.<br />
Leicht könnte man Mukherjee<br />
selbst der Gruppe internationaler<br />
Studierender oder junger Wissenschaftler<br />
zurechnen – und das liegt<br />
an seinem jugendlichen Aussehen<br />
ebenso wie an seiner Herkunft. Er<br />
entstammt einer indischen Einwandererfamilie,<br />
die in den 1960er<br />
Jahren nach Deutschland kam.<br />
Mukherjee sagt von sich selbst:<br />
„Ich bin Rheinländer.“ Nach dem<br />
Studium in Aachen promovierte er<br />
an der Universität Bonn und habilitierte<br />
sich dort mit 29 Jahren.<br />
Seit 2003 ist er Professor für Englische<br />
Sprachwissenschaft an der<br />
Universität Gießen. Auch seiner<br />
offenen und zupackenden Art hat<br />
er es wohl zu verdanken, dass er<br />
an der Uni bereits als „unser Obama“<br />
gehandelt wird.<br />
Erfahrung in der Universitätsleitung<br />
sammelt Mukherjee bereits<br />
seit 2008 als Erster Vizepräsident<br />
der Universität. Im Präsidentenamt<br />
wird er Nachfolger von Stefan<br />
Hormuth, der auch Präsident des<br />
<strong>DAAD</strong> ist. Der Sozialpsychologie-<br />
Professor ist seit 1997 Uni-Präsident<br />
in Gießen und ist nach zwei<br />
Amtsperioden nicht zur Wiederwahl<br />
angetreten.<br />
Llo<br />
Zupackend:<br />
Joybrato Mukherjee<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
18 WiSSEnSchaft<br />
Spitzenforschung<br />
auf Reisen<br />
333 Meter lang, 480 Tonnen schwer: In zwölf Themen-Waggons reist zurzeit der Pioniergeist<br />
der deutschen Forschung quer durchs Land. Der Wissenschaftszug zählt zu den<br />
Hauptattraktionen der Bundesregierung anlässlich des 60. Bestehens der Bundesrepublik.<br />
Von Überalterung bis Überfischung – der „ScienceExpress“ zeigt auf 750 Quadratmetern<br />
Fläche, mit welchen Fragen sich Forscher beschäftigen und wie sich unser Leben<br />
in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren verändern wird. Bis November hält die<br />
„Expedition Zukunft“ in mehr als 60 Städten.<br />
Fotos: Philipp Herrnberger<br />
Alt und gesund<br />
Eine Welt ohne Krankheiten bleibt vermutlich eine<br />
Utopie, ein gesundes, verlängertes Leben hingegen ist<br />
möglich. Die Medizintechnik von morgen beschränkt<br />
sich aber nicht allein auf innovative Apparate, die dem<br />
Chirurgen den Operationsfortschritt live auf das Display<br />
übertragen. Längst ist die Rede von neuen Verfahren,<br />
die Leben retten und verlängern: beispielsweise<br />
ein medizinisch-biologisch gefertigtes Gewebe, das als<br />
Zahnersatz oder gar als Herz zum Einsatz kommt. Oder<br />
molekulare Bildgebungsverfahren, die mithilfe von<br />
Bio markern Krebswucherungen sichtbar machen und<br />
punktgenau lokalisieren können.<br />
Forschungsexpedition Deutschland Höhepunkte im Wissenschaftsjahr <strong>2009</strong><br />
Bis 24. November:<br />
Der ScienceExpress rollt durch Deutschland.<br />
Der Eintritt ist frei. Tourdaten gibt es im Internet unter<br />
www.expedition-zukunft.org<br />
Bis 1. Oktober:<br />
Die Zukunft kommt per Schiff: Die MS Wissenschaft<br />
besucht mehr als 30 Städte. Die diesjährige Ausstellung<br />
wirft auf 600 m² einen Blick in die Zukunft.<br />
www.ms-wissenschaft.de<br />
Bis Ende <strong>2009</strong>:<br />
Hightech auf Rädern: Der NanoTruck und das Bio-<br />
Technikum informieren über zwei Forschungsfelder und<br />
deren Anwendungsbereiche: die Nanotechnologie und<br />
die Biotechnologie. Truck-Anfragen von Schulen oder<br />
Hochschulen unter<br />
www.forschungsexpedition.de<br />
Bis Ende <strong>2009</strong>:<br />
120 Fragen an die Forschung: Was hat die Forschung<br />
in Deutschland in den letzten 60 Jahren bewegt?<br />
Was sind die Fragen der Zukunft? Die spannendsten<br />
Wissenschaftsfragen gibt es im Internet unter<br />
www.forschungsexpedition.de<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
WiSSEnSchaft<br />
19<br />
In Kreisläufen denken – Ressourcen schonen<br />
Und plötzlich steht der Besucher inmitten von Birkenstämmen, die<br />
in einem lila-blauen Licht in den Wagenhimmel wachsen. Sie sind<br />
echt – einer von ihnen treibt gerade aus. In Kreisläufen denken,<br />
Ressourcen schonen – nur so lässt sich das Leben von morgen gestalten.<br />
Als Lebenselixier steht vor allem das Wasser im Mittelpunkt. Immer<br />
noch sterben jährlich etwa zwei Millionen Menschen – überwiegend<br />
Kinder und alte Menschen – an Krankheiten, die durch<br />
verunreinigtes Wasser verursacht wurden. Eine Antwort: Der Sky-<br />
Hydrant, ein robustes Membranfiltersystem, das ohne großen finanziellen<br />
Aufwand überall dort aufgebaut werden kann, wo Trinkwasser<br />
aufbereitet werden muss.<br />
Leuchtende Zukunft<br />
Licht der Zukunft – 1900 bunte LED-Lichtkacheln sorgen in Wagen 11<br />
für ein leuchtendes Farbenspiel. James Bond hätte in diesem Abteil keine<br />
Chance: Im Handumdrehen würde ein 3-D-Gesichtsscan die Identität<br />
des Geheimagenten entlarven. Eine Videokamera filmt das Gesicht des<br />
Besuchers und projiziert darauf ein Muster aus hunderten paralleler<br />
infraroter Farbstreifen. Binnen Sekunden errechnet ein Computer aus<br />
den Daten eine dreidimensionale, täuschungssichere Darstellung des<br />
Gesichts. Ebenso unbestechlich: der Handvenenscanner. Kommt diese<br />
Technologie zum Zug, müssen Kunden an Geldautomaten künftig keine<br />
PIN-Nummer mehr eingeben – ein Scan ihres Handrückens übernimmt<br />
die zuverlässige Identifizierung.<br />
Vernetzung als Chance<br />
Monitore flackern, elektronische Anzeigen erleuchten<br />
den Wageninnenraum, Strichcodes auf den Wänden,<br />
am Boden und entlang der Decke: der Weg in eine digitalisierte<br />
Gesellschaft lässt sich nicht mehr aufhalten.<br />
Vernetzung lautet das Schlagwort. Eine riesige, leuchtende,<br />
interaktive Weltkugel zeigt die verschlungenen<br />
Pfade, auf denen die Internetdaten rund um den Globus<br />
reisen, während an einem „Multitouch-Table“ Jugendliche<br />
stehen und ihn lässig bedienen. Das Internet ist<br />
für sie zu einer Wissenswerkstatt geworden, eine unerschöpfliche<br />
Antwortmaschine. Computer durchdringen<br />
heute alle Lebensbereiche. Mit ihnen verändert sich stetig<br />
die Art, wie wir leben, arbeiten und kommunizieren.<br />
Immer stärker rücken die Gesellschaften zusammen,<br />
immer schneller kann Wissen ausgetauscht werden.<br />
Eine riesige Chance für alle.<br />
Katja Lüers<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
20 Wissenschaft<br />
Im Verein mit<br />
Darwin und Einstein<br />
Deutschland hat neuerdings eine Nationale Akademie<br />
der Wissenschaften<br />
Frankreich hat sie schon lange und Großbritannien<br />
ebenso – in Deutschland gibt es<br />
sie erst seit einem Jahr: eine Nationalakademie.<br />
Im Juli 2008 übernahm die Deutsche<br />
Akademie der Naturforscher Leopoldina<br />
in Halle an der Saale diese Aufgabe.<br />
Die exquisite Gelehrtenvereinigung soll<br />
die Politik beraten und die deutsche Wissenschaft<br />
international vertreten.<br />
Was haben der Mediziner Harald zur<br />
Hausen, der Chemiker Wolfgang Ertl<br />
und der Physiker Wolfgang Ketterle gemeinsam?<br />
Für die bahnbrechenden Forschungen<br />
auf ihrem Gebiet erhielten alle drei kürzlich<br />
den Nobelpreis. Der Preis aus Stockholm ist<br />
aber keineswegs das einzige, was die Wissenschaftler<br />
verbindet: Alle drei Forscher sind<br />
auch Mitglied in der Deutschen Akademie der<br />
Naturforscher Leopoldina.<br />
Eine große Ehre ist diese Mitgliedschaft<br />
nicht erst, seit die Leopoldina im Juli 2008 zur<br />
deutschen Nationalakademie ernannt wurde.<br />
Ihren weltweiten Ruf verdankt sie vielmehr<br />
ihrer ruhmreichen Geschichte. 1652 wurde<br />
sie von vier Ärzten in Schweinfurt gegründet<br />
– acht Jahre vor der Royal Society in London<br />
und 14 Jahre vor der Académie des sciences<br />
in Paris. Die Gelehrtengesellschaft mit dem<br />
Gründungsziel, „die Natur zu erforschen zum<br />
Wohle der Menschheit“, ist heute die älteste<br />
fortdauernd bestehende Akademie der Welt.<br />
Der interdisziplinäre Diskurs und wissenschaftliche<br />
Austausch der Mitglieder untereinander<br />
sowie die Verbreitung ihrer wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse gehören seit der<br />
Gründung zu ihren wichtigsten Aufgaben.<br />
Gesamtdeutsch geblieben<br />
Zwölfmal wechselte die regional unabhängige<br />
Leopoldina mit dem Wohnsitz ihrer Präsidenten<br />
den Ort, bis 1878 Halle an der Saale<br />
zu ihrem festen Sitz bestimmt wurde. 1687<br />
ernannte sie Kaiser Leopold I., dem sie ihren<br />
Namen verdankt, zur Reichsakademie, was<br />
sie mehr als 100 Jahre blieb. Herausragende<br />
Forscherleistungen sind bis heute Voraussetzung,<br />
um in die Akademie gewählt zu werden.<br />
Goethe und Darwin, Marie Curie und<br />
Einstein, Max Planck und Heisenberg<br />
gehörten ihr an, insgesamt 167 inund<br />
ausländische Nobelpreisträger.<br />
Derzeit zählt sie 32 Nobelpreisträger<br />
in ihren Reihen und ist mit 1350<br />
Mitgliedern – davon drei Viertel aus<br />
deutschsprachigen, ein Viertel aus<br />
anderen Ländern – die weitaus größte<br />
Gelehrtenvereinigung in Deutschland.<br />
Zur Zeit der deutschen Teilung war<br />
die Leopoldina die einzige wissenschaftliche<br />
Einrichtung, die gesamtdeutsch<br />
agieren konnte. Forscher<br />
aus Westdeutschland und dem westlichen<br />
Ausland gehörten ihr weiterhin<br />
an, und sogar der Vizepräsident<br />
stammte aus dem Westen. Angesichts<br />
ihres internationalen Renommees<br />
konnte die DDR-Regierung dies nicht<br />
verhindern. Für den Würzburger<br />
Virologie-Professor Volker ter Meulen,<br />
der 1984 Leopoldina-Mitglied<br />
und 2003 ihr Präsident wurde, zählt<br />
dieser gesamtdeutsche Aspekt zu<br />
den wichtigen Gründen, warum die<br />
Leopoldina zur Nationalen Akademie<br />
prädestiniert ist.<br />
Unumstritten war ihre Ernennung nicht.<br />
Im föderalistisch strukturierten Deutschland<br />
haben viele Bundesländer ihre eigenen Akademien<br />
der Wissenschaften, insgesamt acht<br />
zwischen Bayern und Brandenburg. Diese vorwiegend<br />
geisteswissenschaftlich orientierten<br />
Länderakademien haben sich in der „Union<br />
der Akademien“ zusammengeschlossen. Nur<br />
die Leopoldina und die Deutsche Akademie<br />
der Technikwissenschaften (acatech) stehen<br />
als überregionale Einrichtungen außerhalb<br />
dieses Verbunds. Über das Modell einer Nationalakademie<br />
wurde jahrelang heftig gestritten.<br />
Doch als Bundesforschungsministerin<br />
Annette Schavan vor einem Jahr die Leopoldina<br />
zur nationalen Akademie ausrief, glätteten<br />
sich die Wogen schnell – und dies umso leichter,<br />
als ein Drittel der Leopoldina-Mitglieder<br />
auch einer der Länderakademien angehört<br />
und die Zeichen damit von Beginn auf Kooperation<br />
standen.<br />
Ein Forscher im Kabinett<br />
Geballte Kompetenz ist nötig, wenn die Akademie<br />
ihre wichtigste neue Aufgabe erfüllen will:<br />
die Politikberatung. Volker ter Meulen, der<br />
auch international in vielen wissenschaftlichen<br />
Beiräten und Gremien tätig ist, bringt hinreichend<br />
Erfahrung mit. „Als in Großbritannien<br />
die Rinderkrankheit BSE ausbrach, saß ich<br />
als ausländischer Experte in einer britischen<br />
Regierungskommission. Unsere Empfehlung,<br />
die Tiere rigoros zu keulen, war der britischen<br />
Regierung zunächst zu weitgehend. Aber als<br />
schließlich 180 000 Tiere und erstmals auch<br />
Menschen erkrankt waren, folgte sie unserem<br />
Rat und bekam so die Seuche in den Griff.“<br />
Ter Meulen schwebt ein hierzulande ähnlich<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Wissenschaft<br />
21<br />
„Mehr Einfluss der Wissenschaft auf die Politik“:<br />
Präsident Volker ter Meulen vor der Leopoldina<br />
Foto: jens schlueter<br />
gro ßer Einfluss der Wissenschaft auf die Politik<br />
vor, wie ihn Akademien im Ausland bereits<br />
besitzen. So in Großbritannien, wo dem Regierungskabinett<br />
obligatorisch ein von der Royal<br />
Society gestellter Wissenschaftler angehört,<br />
der die Politiker berät.<br />
Ter Meulen ist überzeugt, dass Akademien<br />
für diese Aufgabe bestens vorbereitet sind:<br />
„Politiker brauchen angesichts der zahlreichen<br />
Innovationen in allen Bereichen der Gesellschaft<br />
Entscheidungshilfe. Und nirgends gibt<br />
es so viel interdisziplinären Sachverstand wie<br />
in den Akademien.“ Die Leopoldina betreibt –<br />
anders als andere Akademien – außer einigen<br />
wenigen wissenschaftshistorischen Projekten<br />
keine eigene Forschung. Vielmehr bietet sie<br />
ihren Mitgliedern mit Symposien und Arbeitsgruppen<br />
die Plattform für den regelmäßigen<br />
Austausch ihrer Forschungsergebnisse. Seit<br />
1996 gehören neben den medizinisch-naturwissenschaftlichen<br />
Disziplinen auch die empirischen<br />
Geistes- und Sozialwissenschaften<br />
zu ihren Arbeitsgebieten. Ob in Zukunftsfragen<br />
wie Klima und Energie, Wasser, Evolutionsbiologie<br />
oder Infektionskrankheiten – die<br />
Akademie knüpft hier nicht selten an bestehende<br />
Projekte an. Zu wichtigen Fragen der<br />
Gesellschaft hat sie sich bereits in den letzten<br />
Jahren mit Stellungnahmen geäußert, so<br />
zum Gentechnikgesetz oder zur Stammzellforschung,<br />
zuletzt zur aktuellen Influenza, der so<br />
genannten Schweinegrippe, die sich seit März<br />
von Mexiko ausgehend weltweit ausbreitet.<br />
Im März <strong>2009</strong> schloss die Akademiengruppe<br />
„Altern in Deutschland“ das bisher größte<br />
deutsche interdisziplinäre Projekt zu diesem<br />
gesellschaftlich brisanten Thema ab und überreichte<br />
Bundespräsident Horst Köhler ihre<br />
Empfehlungen. 23 Wissenschaftlerinnen und<br />
Wissenschaftler aus zehn Bereichen hatten in<br />
diesem Gemeinschaftsprojekt der Leopoldina<br />
mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften<br />
drei Jahre lang Forschungsergebnisse<br />
gesichtet und bewertet. „Eine Gesellschaft<br />
des längeren Lebens erfordert auch<br />
ein längeres Arbeits- und Bildungsleben“, sagt<br />
Projektleiterin Ursula M. Staudinger, Psychologie-Professorin<br />
an der Jacobs University<br />
Bremen und Vizepräsidentin der Leopoldina.<br />
„Hier müssen politische Entscheidungen getroffen<br />
werden.“ Ob die von den Forschern<br />
empfohlene Flexibilisierung der Arbeitszeit-<br />
Dauer durchzusetzen ist, bleibt abzuwarten.<br />
Immerhin soll Staudinger dem Bundesarbeitsministerium<br />
in dieser Sache auch künftig mit<br />
Rat zur Seite stehen.<br />
Internationale Lösungen<br />
Immer wichtiger wird für die Leopoldina<br />
die internationale Zusammenarbeit bei Forschungsfragen,<br />
die national nicht mehr zu<br />
lösen sind. Mehrere Empfehlungen etwa zur<br />
weltweiten Herausforderung der Infektionskrankheiten<br />
sind gemeinsam mit dem European<br />
Academies Science Advisory Council<br />
(EASAC) entstanden, in dem Leopoldina-Präsident<br />
ter Meulen zurzeit den Vorsitz hat. Die<br />
Wirkung solcher international abgestimmten<br />
Forscheräußerungen sei gar nicht hoch genug<br />
einzuschätzen, meint er. Als Deutschland<br />
2007 in Heiligendamm dem G8-Gipfel<br />
vorsaß, lag Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
eine wissenschaftliche Stellungnahme zum<br />
Klimaschutz vor, die unter Federführung der<br />
Leopoldina alle nationalen Akademien der G8-<br />
Staaten erarbeitet hatten. Das Papier, dessen<br />
Aussage konträr zur Meinung der Regierung<br />
Bush stand, hatte auch die amerikanische Academy<br />
of Sciences unterschrieben. Ter Meulen:<br />
„Das hat der Kanzlerin den Rücken gestärkt.“<br />
Das langjährige öffentliche Image von den<br />
Akademien als verstaubten Altherrenvereinen<br />
gilt nicht mehr. Dabei hilft auch, dass sich ihre<br />
Mitglieder mit Veranstaltungen zu aktuellen<br />
Forschungsergebnissen zunehmend direkt<br />
an die Bevölkerung wenden. Um die „Verjüngung“<br />
der Mitglieder ging es der Leopoldina,<br />
als sie im Jahr 2000 gemeinsam mit der<br />
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften<br />
die Junge Akademie gründete. In<br />
ihr widmen sich 50 Nachwuchsforscherinnen<br />
und -forscher Projekten an der Schnittstelle<br />
von Wissenschaft und Gesellschaft. Für ihre<br />
neuen Aufgaben erhält die Leopoldina jährlich<br />
rund fünf Millionen Euro, davon 80 Prozent<br />
vom Bund, 20 Prozent vom Land Sachsen-Anhalt,<br />
wo die Akademie ihren Sitz hat. Von 23,5<br />
festen Mitarbeitern (2008) will sie bis 2011 auf<br />
70 aufstocken. Leonie Loreck<br />
Informationen: www.leopoldina-halle.de<br />
www.akademienunion-de<br />
www.diejungeakademie.de<br />
Abstract<br />
Darwin’s and<br />
Einstein’s Academy<br />
Germany’s National Academy is now a year<br />
old: in July, 2008, the Leopoldina German<br />
Academy of Naturalists in Halle became a<br />
national institution. The elite association<br />
of scholars is to advise policy-makers and<br />
represent German scientists internationally.<br />
The Leopoldina, founded in 1652, is the<br />
world’s oldest continuously existing academy.<br />
Goethe, Darwin and Einstein were<br />
members. Today its international membership<br />
of 1,300 includes 32 Nobel laureates.<br />
During the division of Germany, the Leopoldina<br />
was the only academic institution with<br />
members on both sides of the border.<br />
The academy’s president, Volker ter Meulen,<br />
Professor of Virology in Würzburg, says that the<br />
interdisciplinary expertise and the international<br />
contacts of its members make it ideally suited to<br />
advise decision-makers on current issues such<br />
as climate and energy, water, evolutionary biology<br />
and infectious diseases. The Leopoldina cooperates<br />
closely with the eight primarily humanities-oriented<br />
academies of the German states,<br />
the German Academy of Science and Engineering,<br />
and numerous national academies abroad.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
22<br />
Ortstermin<br />
Bodensee<br />
Studieren und forschen<br />
mit Seeblick<br />
Wer vom Lehrbuch aufschaut, sieht die<br />
schneebedeckten Alpen<br />
Wer am Bodensee studiert oder forscht,<br />
wird von Freunden und Bekannten bald<br />
den Satz hören, wie schön es doch sein<br />
muss, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub<br />
machen. Doch die Hochschulen der Region<br />
können Studierende und Forscher auch<br />
ohne Alpenblick überzeugen.<br />
Von der Mensa der Universität Konstanz<br />
fällt der Blick auf die Blumeninsel Mainau.<br />
Sie ist mit 1,1 Millionen Besuchern im<br />
Jahr die größte Touristenattraktion am Bodensee.<br />
Die Universität hat eine eigene Flotte an<br />
Segelbooten und einen eigenen Badeplatz.<br />
Auch die private Konkurrenz, die Zeppelin-<br />
University in Friedrichshafen, liegt direkt am<br />
Foto: Heinz Schiffer/Fotolia.com<br />
Wasser. An der Konstanzer Fachhochschule<br />
locken auf einem künstlichen Sandstrand Liegestühle<br />
mit Blick auf den nahen Rhein. Es<br />
werden kühle Drinks serviert.<br />
Doch die meist jungen Hochschulen der Region<br />
hätten den Zauber der alten Landschaft<br />
gar nicht nötig, um zu überzeugen: Die erst<br />
1966 gegründete Konstanzer Universität stieg<br />
vor zwei Jahren in die neu geschaffene Elite-Liga<br />
der deutschen Hochschulen auf. Mit ihren<br />
9 200 Studierenden und 174 Professoren ist<br />
sie die kleinste jener neun deutschen Universitäten,<br />
die den Exzellenztitel für zunächst fünf<br />
Jahre führen dürfen. Die Fachhochschule Konstanz<br />
ist für ihre Weiterbildungs-Studiengänge<br />
in Technik und Wirtschaft vom renommierten<br />
Stifterverband als beste deutsche Weiterbildungshochschule<br />
ausgezeichnet worden. Und<br />
die Zeppelin-University gilt sechs Jahre nach<br />
ihrer Gründung als eine der wenigen erfolgreichen<br />
Privathochschulen, die nicht nur praxisnah<br />
Manager ausbilden, sondern auch losgelöst<br />
von Anwendungsfragen die Grundlagen<br />
von Wirtschaft und Gesellschaft erforschen.<br />
Partner aus vier Ländern<br />
Rund um den Bodensee gibt es aber mehr als<br />
diese drei Hochschulen. Im lockeren Verbund<br />
der Internationalen Bodensee-Hochschule<br />
(IBH) haben sich 27 Partner zusammengefunden,<br />
aus allen vier Anrainerländern des Sees:<br />
Deutschland, Österreich, der Schweiz und<br />
Liechtenstein. Dabei versteht sich die Wissenschaftsregion<br />
als deutlich weiträumiger,<br />
als man vom 273 Kilometer langen Seeufer<br />
ins Landesinnere schauen kann. Die Liste der<br />
Mitglieder beginnt mit der Fachhochschule<br />
Albstadt-Sigmaringen, auf halbem Weg zwischen<br />
Stuttgart und Bodensee und endet mit<br />
der Universität Zürich in der Schweiz. Dazwischen<br />
stehen Adressen wie die Pädagogische<br />
Hochschule Weingarten, die Fachhochschule<br />
Vorarlberg (Österreich) oder die Internationale<br />
Akademie für Philosophie im Fürstentum<br />
Liechtenstein. Auch die für ihre Wirtschaftswissenschaften<br />
berühmte und bei internationalen<br />
Studierenden beliebte Universität St.<br />
Gallen (Schweiz) ist darunter.<br />
Die Internationale Bodensee-Hochschule ist<br />
– anders als ihr Name nahelegt – keine eigene<br />
Universität, auch wenn unter ihrem Dach einige<br />
Mitglieder gemeinsam ein Dutzend Masterstudiengänge<br />
anbieten. Sie dient in erster<br />
Linie als Netzwerk, das Kontakte erleichtert.<br />
Wissenschaftler waren in den vergangenen<br />
Jahrzehnten am Bodensee die ersten, die den<br />
Nutzen von Partnerschaften über die Staatsgrenzen<br />
hinaus erkannten.<br />
Als größte Stadt am Bodensee hat Konstanz<br />
gerade 85 000 Bürger. Während die<br />
Konkurrenz-Universitäten in Freiburg oder<br />
Heidelberg Einrichtungen wie Forschungsinstitute<br />
der Max-Planck-Gesellschaft und Industriekonzerne<br />
in der Nachbarschaft haben,<br />
kooperieren die Hochschulen am Bodensee<br />
miteinander. Zwar schwärmte Dichter Alexandre<br />
Dumas Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Ortstermin<br />
23<br />
vom Bodensee als der „großen Wasserfläche,<br />
die wie ein Stück Himmel aussieht, in Erde<br />
gerahmt, um Gott als Spiegel zu dienen.“ Beim<br />
Werben um Spitzenleute und Geld ist dies<br />
aber eher ein Argument von begrenzter Kraft.<br />
Mehr hilft der Verweis auf eine akademische<br />
Partnerschaft mit Adressen in Zürich oder St.<br />
Gallen.<br />
Nobelpreisträger treffen Nachwuchs<br />
Selbst die 1951 ins Leben gerufene Tagung der<br />
Nobelpreisträger in Lindau vertraut nicht auf<br />
Urlaubslaune, sondern will der Elite von heute<br />
und morgen zur Begegnung verhelfen. Die<br />
Nachwuchsforscher und Studierenden sollen<br />
karrierefördernde Eindrücke und Kontakte<br />
mit nach Hause nehmen. Anfang Juli ging das<br />
59. Treffen mit 23 Nobelpreisträgern und 600<br />
Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt zu<br />
Ende. Die Begegnungswoche richtet den Fokus<br />
auf jeweils eine Naturwissenschaft, <strong>2009</strong><br />
auf die Chemie.<br />
Mitunter entsteht durch die Nachbarschaft<br />
am See etwas völlig Neues: Die Pädagogische<br />
Hochschule (PH) des Schweizer Kantons Thurgau<br />
in Kreuzlingen bietet seit wenigen Semestern<br />
gemeinsam mit der Universität Konstanz<br />
ein Lehrerstudium an. Fachwissen von der<br />
Universität, pädagogische Kompetenz von der<br />
PH: Der Thurgau, ohne eigene Universität,<br />
kann so erstmals in seiner Geschichte Gymnasiallehrer<br />
ausbilden. Beide Hochschulen sind<br />
mit dem Bus kaum 20 Minuten voneinander<br />
entfernt, auch wenn dieser dabei die letzte<br />
Grenze der Bundesrepublik überqueren muss,<br />
die nicht in ein Land der Europäischen Union<br />
führt: Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, doch<br />
seit ihrem Beitritt zum Schengen-Abkommen<br />
wird an dieser Grenze nur noch der Warenverkehr<br />
vom Zoll kontrolliert, die ständigen<br />
Personenkontrollen sind abgeschafft.<br />
Flache Hierarchien<br />
Die Kooperation einer Universität mit einer<br />
Pädagogischen Hochschule ist keine Selbstverständlichkeit.<br />
Vom mancherorts verbreiteten<br />
Standesdünkel, wonach Professoren<br />
einer Universität sich nicht mit anderen<br />
Hochschularten einlassen, wurde sie am Bodensee<br />
jedoch kaum gebremst. Längst wird<br />
an Fach- und Pädagogischen Hochschulen der<br />
Region geforscht: In der Photovoltaiktechnik<br />
gilt die Konstanzer Hochschule für Technik,<br />
Wirtschaft und Gestaltung als ebenso führend<br />
wie die Universität. Vor allem aber liegt der<br />
Universität Konstanz als dem wissenschaftlichen<br />
Zentrum zwar die Exzellenz nahe, jedes<br />
elitäre Gehabe aber fern. Flache Hierarchien<br />
gehören seit über 40 Jahren zu ihrem Grundkonzept.<br />
Und der Rektor trägt sein festliches<br />
Amtskleid, den Talar, hier als Kostüm<br />
zum Fasching, nicht zum universitären<br />
Festakt. Statt kleiner Königreiche<br />
einzelner Professoren gibt es<br />
große Sektionen. Statt vieler kleiner<br />
Institutsbibliotheken bildet eine große<br />
gemeinsame Uni-Bibliothek das Herz<br />
der Hochschule, deren Gebäude sich<br />
um die Bibliothek schmiegen.<br />
Noch wichtiger: Junge Nachwuchsforscher<br />
schreiben Forschungsanträge<br />
und schicken sie auch unter eigenem<br />
Namen ab, nicht unter dem ihres Professors.<br />
International haben sich die<br />
Konstanzer Physiker einen Spitzenruf<br />
erworben, aber auch die Sozial- und<br />
Geisteswissenschaften gelten als führend.<br />
In Psychologie, Linguistik oder<br />
Informatik arbeiten vielfach Geistesund<br />
Naturwissenschaftler fachübergreifend<br />
zusammen.<br />
Foto: Uni Konstanz/Pressestelle<br />
Universitätsbibliothek Konstanz:<br />
zwei Millionen Bücher sind rund<br />
um die Uhr frei zugänglich<br />
Beim Exzellenz-Wettbewerb war die Universität<br />
Konstanz mit dem Konzept erfolgreich,<br />
europaweit zur ersten Adresse für die besten<br />
Nachwuchsforscher zu werden. Es umfasst<br />
ein interdisziplinäres und generationenübergreifendes<br />
Zukunftskolleg, das Stipendien<br />
an exzellente Jungforscher vergibt. Zudem<br />
gibt es ein Exzellenzcluster (einen großen<br />
Forschungsverbund) zum Thema „Kulturelle<br />
Grundlagen von Integration“, eine neue Graduiertenschule<br />
Chemical Biology und Angebote<br />
wie den Master-Studiengang „Öffentliche<br />
Verwaltung und Konfliktmanagement“, der<br />
auf die Arbeit in Krisenregionen vorbereitet.<br />
So hat sich die Universität im besten Sinne<br />
einen Ruf als Durchlauferhitzer erworben:<br />
Forscher beginnen hier, sich einen Namen zu<br />
machen – und bekommen dann Rufe in alle<br />
Welt. In Erinnerung bleibt ihnen eine junge<br />
Wissenschaftsszene in einer alten Kulturlandschaft.<br />
Frank van Bebber<br />
Abstract<br />
Research and Study at<br />
the Foot of the Alps<br />
The region around Lake Constance offers students<br />
and scientists more than just a beautiful<br />
Alpine panorama. In the four neighbouring<br />
countries, Germany, Austria, Switzerland and<br />
Liechtenstein, some 30 institutions of higher<br />
education are located near Lake Constance,<br />
including the University of Konstanz, one of<br />
the nine universities honoured by Germany’s<br />
Excellence Initiative. The University of Konstanz<br />
is the scientific centre of the Lake<br />
Constance region, and wants to solidify its<br />
reputation as the best address for Europe’s<br />
top young researchers. Its partner institutions<br />
in Switzerland include the University of<br />
Sankt Gallen, famous for its school of business<br />
administration, and the scientific and<br />
engineering university ETH Zurich. On the<br />
German side of the lake, the award-winning<br />
Konstanz University of Applied Sciences offers<br />
continuing education courses in business and<br />
engineering, and Zeppelin University is one of<br />
Germany’s most successful private universities.<br />
International scientific cooperation is a longstanding<br />
tradition in the Lake Constance<br />
region. Most of the colleges and universities in<br />
the region have now formed a network, named<br />
the International University of Lake Constance<br />
(Internationale Bodensee-Hochschule),<br />
which not only provides a framework for the<br />
partner institutions’ academic contacts, but<br />
also offers joint master’s degree courses.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
24 EuRopa<br />
aktionsplan<br />
Den Europäischen Forschungsraum gestalten<br />
Die Freiheit der Forscher, in jedem Land<br />
der Europäischen Union (EU) arbeiten zu<br />
können, ist zurzeit das Lieblingsthema von<br />
EU-Forschungskommissar Janez Potočnik.<br />
Kein Wunder, steht doch der einheitliche<br />
Europäische Forschungsraum ganz oben<br />
auf seiner Tagesordnung. Er soll – wie für<br />
Waren, Dienstleistungen, Arbeitnehmer<br />
und Kapital bereits umgesetzt – einen Binnenmarkt<br />
für Forscher, Wissen und Technologie<br />
schaffen, der für exzellente Wissenschaftler<br />
mindestens ebenso attraktiv<br />
ist wie die USA oder Japan.<br />
Bereits 2000 beschlossen die EU-Staatsund<br />
Regierungschefs in ihrer „Lissabon-<br />
Agenda“, einen Europäischen Forschungsraum<br />
auf den Weg zu bringen. Sieben Jahre<br />
später fasste Janez Potočnik das bisher Erreichte<br />
in einem Grünbuch zusammen und<br />
skizzierte aus Sicht der EU-Kommission, wie<br />
es weitergehen soll. Jedoch spielen in dieser<br />
Bilanz die einzelnen Länder mit ihren Geldgebern<br />
für Forschung, wie etwa Deutschland<br />
mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft,<br />
keine Rolle. Dabei verfügen gerade sie gemeinsam<br />
mit den Universitäten über den Löwenanteil<br />
(95 Prozent) der öffentlichen Mittel für<br />
die Grundlagenforschung. So geben die nationalen<br />
Forschungsorganisationen und Hochschulen<br />
jährlich 20 Milliarden Euro dafür aus,<br />
die EU-Kommission dagegen nur eine Milliarde<br />
Euro.<br />
Mit einer Stimme sprechen<br />
„Offenbar hat es die EU-Kommission den nationalen<br />
Organisationen nicht zugetraut, sich<br />
zusammenzuschließen und mit einer Stimme<br />
zu sprechen“, vermutet Achim Haag von der<br />
Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das Gegenteil<br />
ist der Fall: Die Chefs der nationalen<br />
europäischen Forschungsförderorganisationen<br />
(European Heads of Research Councils<br />
– EUROHORCs) und die Dachorganisation nationaler<br />
Förderorganisationen (European Science<br />
Foundation) erarbeiteten einen eigenen<br />
Aktionsplan (Road Map) für den Europäischen<br />
Forschungsraum, den sie im April <strong>2009</strong> verabschiedeten.<br />
Darin machen sie deutlich, dass<br />
sie Grundlagenforschung fördern, die „von<br />
unten“, also unmittelbar aus der Wissenschaft<br />
Foto: fotolia.de/Anne Katrin Figge, Montage: axeptDESIGN<br />
heraus entsteht: Die Forscher formulieren die<br />
Fragen und konzipieren ihre Projekte. Es werden<br />
keine Vorhaben „von oben“ vorgegeben.<br />
Die Qualität ist das entscheidende Förderkriterium.<br />
Im Rahmen der Road Map wollen die EURO-<br />
HORCs zehn Aufgaben bis 2020 erledigen.<br />
Sie wollen beispielsweise Forscherkarrieren<br />
in Europa besser fördern, ein europäisches<br />
Begutachtungssystem entwickeln sowie Forschungsgeräte<br />
gemeinsam finanzieren und<br />
nutzen.<br />
Teilweise revolutionär<br />
Kernstück des Aktionsplans ist die Ausgestaltung<br />
des Forschungsraums zu einer europäischen<br />
Förderunion. Sie soll es Wissenschaftlern<br />
erleichtern, sich innerhalb Europas zu<br />
bewegen: So dürfen sie nationale Fördergelder<br />
mit ins Ausland nehmen und sich Experten<br />
aus einem anderen Land dazuholen. Außerdem<br />
wollen die Organisationen Förderzusagen<br />
wechselseitig anerkennen, das heißt: Ein<br />
Forschungsantrag wird nur einmal begutachtet,<br />
aber von mehreren Ländern finanziert.<br />
„Was wir mit der Förderunion erreichen wollen,<br />
ist teilweise revolutionär“, sagt Achim<br />
Haag. So bezahlt die Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
zum Beispiel künftig einen irischen<br />
Forscher in Irland, weil seine Expertise von<br />
einem internationalen Team in Deutschland<br />
angefordert wird. Oder ein deutsch-französisch-schwedisches<br />
Forschungsvorhaben wird<br />
nur in Frankreich begutachtet, aber von allen<br />
drei beteiligten Ländern finanziert.<br />
Die EUROHORCs wollen die europäische Forschungsförderung<br />
nicht abschaffen, sondern<br />
erweitern. „Die supranationale und die nationale<br />
Forschungsförderung ergänzen sich wie<br />
ein System kommunizierender Röhren“, sagt<br />
Achim Haag. In diesem Sinn definiert auch der<br />
Präsident der EUROHORCs, Professor Dieter<br />
Imboden, die Rolle seiner Organisation: „Ohne<br />
nationale Förderorganisationen und Universitäten<br />
kann es den Europäischen Forschungsraum<br />
nicht geben. Wir sind die Partner für<br />
die EU-Kommission, um den Forschungsraum<br />
gemeinsam zu gestalten.“ Katja Spross<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
EuRopa<br />
25<br />
nachrichten<br />
EU-Rahmenprogramm<br />
Balkan forscht mit<br />
Bosnien und Herzegowina ist seit Januar<br />
<strong>2009</strong> mit dem siebten Forschungsrahmenprogramm<br />
der Europäischen Union (EU) assoziiert<br />
und kann nun gleichberechtigt mit den<br />
EU-Mitgliedstaaten Mittel aus dem Programm<br />
beantragen. Wissenschaftler haben somit bessere<br />
Möglichkeiten, sich an der Forschungszusammenarbeit<br />
mit Kollegen in ganz Europa<br />
zu beteiligen. Im siebten Forschungsrahmenprogramm<br />
stellt die EU für die Zeit von<br />
2007 bis 2013 nahezu 55 Milliarden Euro zur<br />
Verfügung. Damit unterstützt sie vor allem<br />
die grenzüberschreitende Forschung in strategisch<br />
wichtigen Bereichen wie etwa Gesundheit,<br />
Klimawandel oder Nanotechnologie. Mit<br />
Bosnien und Herzegowina sind nun alle Balkanstaaten<br />
mit dem Programm assoziiert, was<br />
die regionale Zusammenarbeit intensivieren<br />
dürfte. Die Integration in die europäische Forschung<br />
ist für Bosnien und Herzegowina ein<br />
wichtiger Schritt in Richtung Mitgliedschaft<br />
in der Europäischen Union.<br />
Eurobarometer<br />
Mehr Unternehmergeist gefragt<br />
Wie beurteilen europäische Studierende die<br />
Hochschulbildung in Europa? Die Kommission<br />
für allgemeine und berufliche Bildung, Kultur<br />
und Jugend der Europäischen Union wollte es<br />
genauer wissen und führte im Februar <strong>2009</strong><br />
eine „Eurobarometer“-Umfrage durch. Befragt<br />
wurden Studierende aus 31 europäischen Ländern.<br />
Sie wünschen sich vor allem eine Annäherung<br />
der Universitäten an den Arbeitsmarkt:<br />
87 Prozent sind der Meinung, dass die<br />
Hochschulen Innovationen und unternehmerisches<br />
Denken fördern müssen. Praktika in<br />
Unternehmen etwa sollten fester Bestandteil<br />
der Studienprogramme sein. Dreiviertel der<br />
Befragten möchten im Studium Kenntnisse<br />
erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt nützlich<br />
sind: Kommunikations- und Lerntechniken<br />
oder Teamwork.<br />
Ein Auslandsaufenthalt steht bei einem<br />
gro ßen Teil der Studierenden nicht auf der<br />
Agenda: 41 Prozent wollen nicht im Ausland<br />
studieren, elf Prozent planten es, verwarfen<br />
die Idee aber wieder. Immerhin ein Drittel der<br />
Befragten strebt einen Studienaufenthalt in<br />
einem anderen Land an.<br />
Abb.: axeptDESIGN<br />
Gemeinsame Abschlüsse<br />
Europas Unis liegen vorn<br />
„Jüdische Studien – Geschichte jüdischer<br />
Kulturen“ ist ein Joint Degree-Programm der<br />
Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg<br />
und der Universität Graz. Der gemeinsame<br />
Master-Abschluss befähigt Studierende zur<br />
Promotion in Deutschland und Österreich. Der<br />
Double Degree-Studiengang „Internationale<br />
Betriebswirtschaftslehre“ der Katholischen<br />
Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Tongji<br />
University in Shanghai bietet hingegen einen<br />
zweifachen Abschluss – einen deutschen und<br />
chinesischen Bachelor. Solche Joint Degree<br />
und Double Degree-Programme an Hochschulen<br />
in der Europäischen Union und in den USA<br />
hat die Freie Universität Berlin gemeinsam<br />
mit dem Institute of International Education<br />
erstmals untersucht.<br />
Abb.: Moi Cody<br />
EU-Mitgliedstaaten<br />
Bosnien und Herzegowina<br />
Laut Studie bieten europäische Universitäten<br />
deutlich mehr Joint Degrees an als US-amerikanische<br />
und gewinnen damit für ausländische<br />
Studierende an Attraktivität. „Die meisten<br />
US-Universitäten hat diese Entwicklung<br />
kalt erwischt. Hier gab es plötzlich einen<br />
wichtigen Trend im internationalen Hochschulmarkt,<br />
bei dem sie nicht vorne mitspielen“,<br />
sagt Matthias Kuder, Mitautor der Studie.<br />
Die Hochschulen bieten diese Abschlüsse vor<br />
allem an, um sich international zu positionieren<br />
und ihrer Institution ein höheres Ansehen<br />
zu verschaffen. Aus der Studie geht hervor,<br />
dass künftig Double Degrees noch weiter zunehmen<br />
werden, da sie rechtlich einfacher<br />
umzusetzen sind.<br />
Boris Hänßler<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
26 Arbeiten Weltweit<br />
Nicht die Fassung verlieren<br />
Business und Sozialarbeit in Taiwan<br />
Foto: flickr.com<br />
2,7 Millionen Menschen, glitzernde Einkaufszentren,<br />
das zweithöchste Gebäude<br />
der Welt – Taipeh pulsiert. Die Hauptstadt<br />
Taiwans symbolisiert wie kein anderer<br />
Ort der Insel den Wechsel vom Agrar- zum<br />
Hightech-Land. Trotz westlicher Orientierung<br />
kultiviert die Stadt auch ihre Jahrtausende<br />
alte Geschichte. Vor allem aber<br />
ist Taipeh eine florierende Wirtschaftsmetropole.<br />
Taiwan betreibt Handel mit der<br />
ganzen Welt. Politisch wird die Insel nur<br />
von wenigen Staaten anerkannt, für China<br />
ist sie nur eine abtrünnige Provinz. Inmitten<br />
dieser Extreme leben und arbeiten zwei<br />
Deutsche: Harald Worsch, bei Siemens Taiwan<br />
Verantwortlicher für industrielle Lösungen,<br />
und die Soziologin Regina Fuchs.<br />
Ein zwölfstöckiges Wohnhaus in Taipeh,<br />
Downtown. Von hier aus fährt Diplom-<br />
Ingenieur Harald Worsch jeden Morgen durch<br />
ein Meer von Autos und Motorrollern zu seinem<br />
Büro. Das liegt am Rande der Metropole<br />
in einem edlen Gebäudekomplex, gebaut von<br />
der taiwanesischen Regierung. Von dort aus<br />
entwickelt Harald Worsch in leitender Position<br />
industrielle Lösungen für Siemens Taiwan.<br />
Seine Kunden sind unter anderem Stahlhersteller,<br />
die ihre Produktion ausweiten wollen<br />
und dafür zum Beispiel ein neues Walzwerk<br />
benötigen. „Wir stellen ihnen nicht einfach<br />
ein paar Motoren hin, sondern liefern ein<br />
Komplettpaket vom fertigen Produkt bis hin<br />
zur Software und Projektierung“, erzählt der<br />
41-Jährige. Viele seiner Kollegen wohnen im<br />
Grünen. Das kam für den gebürtigen Erlanger<br />
nicht in Frage. „Ich will da leben, wo die<br />
Taiwanesen leben, mittendrin“, sagt Harald<br />
Worsch. Denn das bedeutet Abwechslung. Für<br />
den Ingenieur gibt es nichts Schlimmeres als<br />
Routine. Die hat er auch in seiner 20-jährigen<br />
Karriere bei Siemens stets vermieden: Der<br />
studierte Elektrotechniker durchlief diverse<br />
Abteilungen und war in verschiedenen Positionen<br />
in München, Portland und Sacramento<br />
tätig. Auch nach vier Jahren in Taipeh fehlt<br />
von Routine jede Spur. Zu groß sind die täglichen<br />
kulturellen Herausforderungen.<br />
Harmonisch Probleme lösen<br />
„Viele Asiaten sind hervorragend ausgebildet,<br />
ihnen fehlt jedoch die Eigeninitiative“, erläutert<br />
Harald Worsch. „Sagt man ihnen aber, was<br />
zu tun ist, setzen sie dies hervorragend um.“<br />
Hat sein Glück gefunden: Harald Worsch<br />
mit seiner taiwanesischen Freundin<br />
Die Mentalitäten seien sehr verschieden. Das<br />
zeige sich auch bei privaten Feiern. Während<br />
die Europäer aufeinander zugingen und sich<br />
in kleinen Grüppchen unterhielten, säßen die<br />
Taiwanesen alle im Kreis und nur ein Einziger<br />
rede. Auch im beruflichen Miteinander gälten<br />
andere Regeln. „Haben zwei Mitarbeiter Differenzen,<br />
sprechen sie die niemals direkt an.<br />
Unsere deutsche Geradeaus-Mentalität ist hier<br />
völlig fehl am Platz.“ Taiwanesen beseitigten<br />
ihre Probleme, ohne die allgemeine Harmonie<br />
zu stören. „Wer hier die Fassung verliert, der<br />
Foto: privat<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
Arbeiten Weltweit<br />
27<br />
Normales Leben in der<br />
Hightech-Metropole Taipeh<br />
Foto: Jörg Wirtgen<br />
verliert die Achtung der Einheimischen. Mir<br />
ist das bisher nur zweimal passiert.“ Während<br />
sich die westliche Mentalität eher auf das Individuum<br />
fixiere, stehe bei den Taiwanesen das<br />
große Ganze im Vordergrund. Eine Form der<br />
Bescheidenheit, für die auch Taiwan als Wirtschaftsmetropole<br />
stehe. Worsch: „Das Land<br />
ist der größte Hersteller von Notebooks. Obwohl<br />
es 80 Prozent der gefertigten Produkte<br />
exportiert, tritt es nie direkt in Erscheinung,<br />
sondern steht immer in der zweiten Reihe.“<br />
Diese Bescheidenheit und der Gemeinschaftssinn<br />
trügen wahrscheinlich dazu bei, dass<br />
man in Taipeh sehr sicher lebt. „Wenn Sie ein<br />
Laptop in der Bahn liegen lassen, können Sie<br />
davon ausgehen, dass es Ihnen jemand wiederbringt“,<br />
so der Ingenieur.<br />
Hilfe für Migranten<br />
Das kann auch die Soziologin Regina Fuchs<br />
bestätigen. „Die Menschen hier sind sehr hilfsbereit“,<br />
meint sie. Aber die Schwäbin kennt<br />
durch ihre Arbeit auch ein anderes Gesicht<br />
Taiwans. Die 38-Jährige aus der Nähe von<br />
Ulm kam vor zwei Jahren auf die Pazifik-Insel,<br />
um Arbeitsmigranten aus Südostasien zu betreuen.<br />
„Die Leute werden hier nicht als Menschen,<br />
sondern nur als Arbeitskraft angesehen<br />
und ausgebeutet“, sagt sie. Seit ihrer Jugend<br />
wusste Regina Fuchs, dass sie mit Menschen<br />
am Rand der Gesellschaft arbeiten wollte. Als<br />
sie Soziologie in Ulm studierte, arbeitete sie in<br />
einem Behindertenheim. Dann kam sie über<br />
die Bethlehem Mission Immensee, die Personaleinsätze<br />
für Entwicklungs-, Bildungs- und<br />
Pastoralprojekte in aller Welt organisiert, nach<br />
Taiwan. Die Soziologin lebt südlich der Hauptstadt<br />
in einer kleinen Reihenhaussiedlung an<br />
einem Hang und teilt sich das kleine Haus<br />
mit einem schottischen Mitbewohner. „Taipeh<br />
selbst ist mir zu schmutzig.“<br />
Anderthalb Stunden braucht die 38-Jährige<br />
mit Bus und Bahn bis zu ihrer Arbeitsstelle,<br />
dem Hope Workers’ Center in Jhongli, einer<br />
350 000-Einwohner-Stadt. Es ist eine Anlaufstelle<br />
für Migranten, vorwiegend aus Indonesien<br />
und von den Philippinen. „Diese Leute arbeiten<br />
im Straßenbau, in Fabriken, als Fischer<br />
oder als Haushälterinnen in taiwanesischen<br />
Familien“, erzählt Regina Fuchs. Nur über<br />
teure Vermittlungsagenturen kämen die Arbeiter<br />
nach Taipeh. Um zu verhindern, dass<br />
sie in Taiwan sesshaft werden, dürfen die<br />
Migranten nicht privat unterkommen, ausschließlich<br />
der Arbeitgeber kann ihnen eine<br />
Unterkunft stellen. Die Mitarbeiter des Hope<br />
Workers’ Center geben praktische Tipps und<br />
regeln für sie Formalitäten. Sie vermitteln,<br />
wenn das Gehalt nicht pünktlich überwiesen<br />
wird, Überstunden nicht anerkannt werden<br />
oder Hausangestellte geschlagen werden.<br />
„Viele Migranten kommen illegal hierher, da<br />
sie die 8000 US-Dollar für die Arbeitsvermittlung<br />
nicht bezahlen können“, so Regina Fuchs.<br />
Gerade sie würden häufig nicht entlohnt oder<br />
müssten oft ohne Pause durcharbeiten.<br />
Jeden Mittwoch besucht Regina Fuchs ein<br />
Lager, in dem illegal eingereiste Arbeiter auf<br />
ihre Abschiebung warten. Die Zustände dort<br />
seien verheerend: viele Menschen in vergitterten<br />
Räumen und ein Etagenbett neben dem<br />
anderen. „Ich kann nur zuhören und trösten.<br />
Neulich hat mir eine Philippinin erzählt, sie<br />
sei von einer Freundin an die Behörden verraten<br />
worden.“<br />
Foto: privat<br />
Stets engagiert: Regina Fuchs setzt sich für Migranten ein<br />
Um abzuschalten, geht Regina Fuchs in ihrer<br />
Freizeit oft schwimmen oder mit Freunden<br />
ins Kino und ins Theater. „Mittlerweile zählen<br />
nicht nur Europäer, sondern auch Taiwanesen<br />
zu meinem Freundeskreis.“ Das habe lange<br />
gedauert. „Da die Taiwanesen nur in gro ßen<br />
Gruppen ausgehen, ist es sehr schwer, in<br />
dieses geschlossene System einzudringen.“<br />
Im Goethe-Institut in Taipeh hat die Soziologin<br />
viele Kontakte zu Europäern und Taiwanesen<br />
geknüpft. Auch Harald Worsch besucht die<br />
deutsche Einrichtung regelmäßig wegen des<br />
Austauschs und der Veranstaltungen. Durch<br />
seine taiwanesische Freundin, die sehr gut<br />
Englisch spricht, lernt er jedoch immer mehr<br />
die einheimische Kultur kennen. „Ich beherrsche<br />
die Landessprache nicht, weil Mandarin<br />
unglaublich schwer ist. Das ist schon eine Kontaktbarriere“,<br />
sagt Worsch. Soziologin Regina<br />
Fuchs meistert zumindest einfache Unterhaltungen<br />
problemlos auf Chinesisch. Sie fühlt<br />
sich wohl in Taiwan, doch an einige Landessitten<br />
kann sie sich gar nicht gewöhnen. „Hier<br />
ist es völlig normal, beim Essen zu schlürfen<br />
und zu schmatzen oder laut aufzustoßen.“ Das<br />
sei genauso normal wie das fehlende Umweltbewusstsein,<br />
meint Harald Worsch. Niemand<br />
stelle bei einer Ampel-Rotphase, die in Taipeh<br />
fast anderthalb Minuten dauere, den Motor ab.<br />
„Dennoch habe ich großen Respekt vor diesem<br />
Land, das eine 5 000 Jahre alte Kultur widerspiegelt.<br />
Wir in Europa haben da allesamt<br />
noch auf den Bäumen gesessen.“<br />
Sabine Wygas<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
28 RÄtSEl<br />
In der deutschen Sprache gibt es Wörter,<br />
die „eindeutig mehrdeutig“ sind. Ein<br />
„Boxer“ kann zum Beispiel ein Faustkämpfer, aber auch<br />
eine bestimmte Hunderasse sein. „Pflaster“ kann bedeuten:<br />
Verbandsmaterial oder Straßenbelag. Hier gilt es, weiteren Wörtern<br />
auf die Spur zu kommen, die verschiedene Bedeutung haben. Die dick<br />
umrandeten Buchstaben ergeben das Lösungswort: Es ist ebenfalls ein<br />
Wort mit Doppelsinn und bezeichnet entweder etwas sehr Schmackhaftes<br />
oder sehr Schmerzhaftes.<br />
Sitzgelegenheit / Geldinstitut<br />
Chef einer Gruppe / Kletterhilfe<br />
bösartige Geschwulst / Tierkreiszeichen<br />
Aufhängung für ein Bild /<br />
Teil der Finger- oder Fußspitze<br />
Behörde für Verurteilung oder<br />
Freispruch / allgemein für<br />
Mahlzeit<br />
Kopfbedeckung für sehr<br />
feierliche Gelegenheiten /<br />
Teil des Motors bzw. Raum<br />
für Kolben<br />
Laufvogel (steckt den Kopf in<br />
den Sand) / Blumengebinde<br />
Nahrung für Tiere / Innenstoff der<br />
Kleidung<br />
Nadelbaum / Gebissknochen<br />
männliches Huhn /<br />
Regler für den Wasserabfluss<br />
besonders vornehme Residenz /<br />
Sperrvorrichtung an der Tür<br />
Schreiben Sie das Lösungswort an<br />
Unter den richtigen Lösungen werden zehn Hauptgewinne und zehn Trostpreise vergeben. Bei<br />
diesem Rätsel nehmen an der Auslosung nur Einsendungen von Leserinnen und Lesern teil,<br />
deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bitte die vollständige<br />
Adresse des Absenders angeben!<br />
DIE GEWINNER KÖNNEN ZWISCHEN FOLGENDEN PREISEN WÄHLEN:<br />
1. Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 25. Auflage. Dudenverlag<br />
2. Duden – Zitate und Aussprüche. Herkunft und aktueller Gebrauch. Dudenverlag<br />
3. Der große Conrady: Das Buch deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.<br />
Hrsg. Von Karl Otto Conrady. Artemis und Winkler Verlag 2008<br />
4. Kein schöner Land (1 CD Volkslieder), Knabenchor capella vocalis. Eckhard Weyand.<br />
Häussler classic<br />
Bitte geben Sie mit der Lösung auch den von Ihnen gewünschten Preis an.<br />
Wer war’s? Professor Grübler fragt<br />
Möglichst viel von der großen, weiten Welt sehen –<br />
diesen Lebenstraum erfüllt sich vor mehr als 300 Jahren<br />
ein sprachbegabter Mann, der aus der Nähe von Bielefeld<br />
stammt. Er verlässt seine Heimat, studiert in Polen und dem<br />
heute zu Russland gehörenden Königsberg. Nach Abschlusss<br />
des Medizinstudiums lebt er in Schweden. Dort erklärt er sich<br />
bereit, eine Regierungsdelegation im Auftrag des schwedischen<br />
Königs nach Russland und in den Iran zu begleiten. So lernt er<br />
Städte wie Moskau, Baku und Isfahan näher kennen. Im Iran nimmt<br />
er eine Stelle als Schiffsarzt an und kommt nach Oman, Indien, Thailand<br />
und Indonesien.<br />
Es folgt der Höhepunkt seines Forscher- und Reiselebens: Mit einem<br />
niederländischen Handelsschiff gelangt er 1690 nach Japan – damals<br />
ein gegenüber der Außenwelt weitgehend abgeschirmtes Land,<br />
das kaum zuvor ein Europäer hat bereisen können. Mit offenen<br />
Augen schaut er auf die ihm fremde Welt – egal, ob es sich dabei<br />
um die Gingko-Bäume handelt oder die Technik der Meditation.<br />
Letztere erklärt er als eine Form der „geistlichen Nachdenkung“,<br />
bei der „die Füße unnatürlich übereinander geflochten liegen“.<br />
Respektvoll urteilt er über die Japaner, sie seien „beherzt, klug<br />
und heroisch“.<br />
Zurückgekehrt in seine deutsche Heimat, heiratet er eine<br />
Frau, die über 30 Jahre jünger ist als er. Und er bringt nun<br />
seine vielen Reiseeindrücke zu Papier. Doch erst elf<br />
Jahre nach seinem Tod erscheint die erste Ausgabe<br />
seiner Aufzeichnungen über Japan – nicht etwa<br />
auf Deutsch, sondern auf Englisch.<br />
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
findet der gelehrte Forschungsreisende<br />
endlich auch in Deutschland die ihm gebührende<br />
Anerkennung. Seither gilt er<br />
hierzulande als Mitbegründer der Japanologie.<br />
Professor Grübler fragt: Wer war’s?<br />
▼<br />
Unter den richtigen Lösungen werden<br />
fünf Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg<br />
ist ausgeschlossen. Bitte wählen Sie unter<br />
den links unten genannten Preisen.<br />
Senden Sie die Lösung an ▼<br />
Redaktion <strong>DAAD</strong> Letter<br />
Trio MedienService<br />
Chausseestraße 103<br />
10115 Berlin, Germany<br />
Fax: +49 30/85 07 54 52<br />
E-Mail: raetsel@trio-medien.de<br />
Einsendeschluss ist der 10. November <strong>2009</strong><br />
Die Lösung und die Gewinner<br />
der vorigen Letter-Rätsel<br />
!finden Sie auf Seite 42<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
SpRachWERkStatt<br />
Universitätsgründung aus Protest<br />
Kleine Wörter mit großer Wirkung: Die so genannten kausalen Präpositionen kennzeichnen<br />
die Ursache, den Zweck oder die Veranlassung eines Sachverhalts. Beispiele<br />
sind: angesichts, anlässlich, aufgrund, aus, dank, durch, für, gemäß, infolge, mangels,<br />
seitens, trotz, wegen, zu, zwecks. Bitte setzen Sie im folgenden Text die jeweils passende<br />
Präposition ein.<br />
Leipzig, die in Sachsen gelegene Großstadt, ist ein bedeutendes<br />
Wirtschaftszentrum in den neuen Bundesländern<br />
und einer der ältesten Messeplätze der Welt, bekannt<br />
insbesondere _____ seiner Buchmesse. Aber Leipzig<br />
ist auch berühmt _____ seine Universität, die nach<br />
der Heidelberger Uni die zweitälteste Deutschlands<br />
ist. _____ ihrer Gründung 1409 wird in diesem Jahr<br />
das 600-jährige Bestehen der Alma Mater Lipsiensis<br />
gefeiert. _____ Jubiläum gibt es rund 300 kulturelle<br />
und wissenschaftliche Veranstaltungen.<br />
Die Universität hat eine bewegte Gründungsgeschichte:<br />
An der Karls-Universität in Prag hatte Böhmenkönig Wenzel<br />
IV. _____ machtpolitischer Bestrebungen die Rektorenwahl im Mai 1409 für ungültig<br />
erklären lassen und den Posten – _____ des Wahlsiegs eines Deutschen – mit einem<br />
Böhmen besetzt. _____ Protest darüber machten sich Lehrkräfte und Studierende aus<br />
Deutschland auf den Weg zurück in ihre Heimat – _____ Neugründung einer Universität<br />
in Leipzig. _____ der Unterstützung _____ die herrschenden Markgrafen und einer<br />
schnellen Zustimmung _____ Papst Alexanders V. gelang dies noch im selben Jahr: Am<br />
2. Dezember 1409 wurde die Universität offiziell eröffnet.<br />
Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde die Universität Leipzig _____ Lehrmaterials<br />
und intakter Gebäude erst 1946 wiedereröffnet. 1953 wurde sie _____ der<br />
kommunistischen Machthaber im Osten Deutschlands in „Karl-Marx-Universität“ umbenannt<br />
und hieß so bis kurz nach der Wiedervereinigung. Heute ist sie eine klassische<br />
Volluniversität mit 14 Fakultäten und fast 30 000 Studierenden aus aller Welt. Forschung<br />
und Lehre sind – _____ dem Leitmotto „Aus Tradition Grenzen überschreiten“ – auf<br />
Inter- und Transdisziplinarität angelegt, so zum Beispiel _____ das Biotechnologisch-<br />
Biomedizinische Zentrum als Teil der 2003 eröffneten „Bio City Leipzig“. 2006 wurde<br />
_____ Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die „Research Academy Leipzig“<br />
eingerichtet. Und _____ der Exzellenzinitiative gibt es das Exzellenzcluster „Translationszentrum<br />
Regenerative Medizin“.<br />
Die weltweit 15 000 Alumni der Universität befinden sich _____ so berühmter Ehemaliger<br />
wie Goethe und Lessing, Friedrich Nietzsche und Richard Wagner in bester Gesellschaft.<br />
_____ Bundeskanzlerin Angela Merkel oder dem früheren Außenminister Hans-Dietrich<br />
Genscher ist auch Deutschlands politische Prominenz unter den Alumni vertreten, ebenso<br />
wie die ausländische: Dazu zählen _____ ihrer Studienzeit in Leipzig etwa der polnische<br />
Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, und die Staatspräsidentin Chiles,<br />
Michelle Bachelet.<br />
Christine Hardt<br />
aufgESpiESSt<br />
„Morgen geh ich Oma“<br />
SpRachEckE<br />
„Die sind alle Schule“, „Hast gesehen Fußball?“<br />
oder „Morgen geh ich Oma“ – drei deutsche Sätze,<br />
die man auf Anhieb versteht. Oder? Die deutsche<br />
Sprache bietet durchaus die Möglichkeit,<br />
Ortsangaben ohne Präpositionen wie „in“, „zu“<br />
oder „nach“ zu bilden, ohne dass die Verständlichkeit<br />
groß darunter leidet. Solche Sätze, so hat<br />
es die Potsdamer Sprachwissenschaftlerin Heike<br />
Wiese kürzlich in Berlin gesagt, seien typisch<br />
für „Kiezdeutsch“, das Deutsch, das im „Kiez“,<br />
einem überschaubaren, kleinen Stadtbereich,<br />
gesprochen wird.<br />
Was das nun wieder ist? Jedenfalls etwas anderes<br />
als die seit den 90er Jahren durch den<br />
Schriftsteller Feridun Zaimoglu geadelte „Kanaksprak“.<br />
Das „Kiezdeutsch“ entwickle sich, so<br />
Wiese, im Kontakt von großstädtischen Jugendlichen<br />
aus verschiedenen Herkunftsländern und<br />
Muttersprachen, unter denen in der Regel auch<br />
Deutschland und die deutsche Sprache sind.<br />
Man möchte sich um jeden Preis abgrenzen<br />
vom Gerede der Erwachsenen, und manchmal<br />
kann jemand, der auch im Kiez auf elaboriertem<br />
Hochdeutsch besteht, schon zu hören bekommen:<br />
„Dich mach isch Krankenhaus“. Kommt<br />
aber selten vor.<br />
Streiten kann man sich selbstverständlich über<br />
die Frage, ob dieser Slang als neue Varietät des<br />
Deutschen zu akzeptieren ist oder ob man sich<br />
gegen einen derart unkorrekten Sprachgebrauch<br />
wehren muss. Stichworte: Kasusverfall, Verschleiß<br />
der Endungen, lexikalische Reduktion,<br />
Umbau der Wortstellung und manches mehr.<br />
Dass die deutsche Sprache durch das keineswegs<br />
nur in Berlin gesprochene „Kiezdeutsch“<br />
nicht wirklich in Gefahr ist, scheint klar. Laut<br />
Heike Wiese wissen das sogar die Kieztypen<br />
selbst: „Wer nur Kiezdeutsch kann, der kommt<br />
nicht weit.“ Manche Jugendliche wechseln zwischen<br />
Standarddeutsch, „Kiezdeutsch“ und<br />
ihrer womöglich ganz anderen Muttersprache<br />
blitzschnell hin und her. Wer sich von seinen<br />
Kumpeln mit „Isch geh Vorstellungsgespräch“<br />
verabschiedet, kommt dort oft mit einem „Schönen<br />
guten Morgen! Mein Name ist …“ an. Beruhigend?<br />
Eigentlich schon. Kann er bedenkenlos<br />
gehen Kneipe, der<br />
29<br />
LÖSUNG: wegen; für; anlässlich; zum; aufgrund; trotz; aus; zwecks; infolge; durch; seitens; mangels; seitens; gemäß; durch; zur;<br />
infolge; angesichts; dank; wegen.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
30 DaaD<br />
Mit 25 Millionen Euro fördert der <strong>DAAD</strong><br />
den Aufbau von fünf Hochschulexzellenzzentren<br />
in der Entwicklungszusammenarbeit.<br />
Die Zentren sollen dazu beitragen, die<br />
Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten<br />
Nationen zu erreichen und die Globalisierung<br />
menschenwürdig zu gestalten.<br />
Wasser wird immer knapper. Davor warnte<br />
zuletzt im März <strong>2009</strong> der dritte UNESCO-<br />
Weltwasserbericht: Die wachsende Weltbevölkerung<br />
und steigender Konsum werden die<br />
„Wasserkrise“ in den ohnehin trockenen Regionen<br />
verschärfen. Am Wasserforschungszentrum<br />
der Universität von Jordanien arbeiten<br />
Wissenschaftler bereits an einer Lösung der<br />
Wasserprobleme ihres Landes. „Wir haben<br />
technisch gut ausgebildete Leute, um Anlagen<br />
zur Aufbereitung von Abwasser zu bauen“,<br />
sagt Professorin Manar Fayyad. „Aber wenige<br />
von ihnen verstehen zugleich etwas von Wassermanagement.<br />
Uns fehlen interdisziplinär<br />
ausgebildete Entscheidungsträger, die sowohl<br />
ökonomische als auch soziale und ökologische<br />
Aspekte beim Bau von Wasseranlagen berücksichtigen.“<br />
Das soll sich nun ändern. Das „Water Research<br />
Center“ in Amman ist Partner im Projekt<br />
„Centre for Natural Resources and Development“<br />
unter Federführung der Fachhochschule<br />
Köln. Rund fünf Millionen Euro steckt<br />
das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in<br />
dieses länderübergreifende Vorhaben. Die<br />
Kölner Wissenschaftler errichten das Zentrum<br />
mit ihren Kollegen von den Partnerhochschulen<br />
in Jordanien, Mexiko, Mozambique und<br />
Vietnam. Der Schwerpunkt von Lehre und Forschung<br />
liegt im nachhaltigen Wassermanagement.<br />
Dafür schaffen die Partner neue Lehrstühle,<br />
Masterkurse, Doktorandenprogramme<br />
oder E-Learning-Angebote.<br />
Nachhaltiges Wassermanagement verfolgt<br />
auch das ausgezeichnete Projekt „Excellence<br />
through Dialogue – Sustainable Water Management<br />
in Developing Countries.“ „Viele<br />
Entwicklungsziele können wir nur erreichen,<br />
wenn wir die Wasserknappheit beseitigen<br />
oder wenigstens lindern“, sagt Professor Müfit<br />
Bahadir, Vizepräsident der Technischen<br />
Universität Braunschweig. Daran arbeiten die<br />
deutschen Wissenschaftler mit Experten aus<br />
den Partnerhochschulen in Vietnam, Mexiko<br />
und Jordanien.<br />
Hochschulnetzwerke bündeln Wissen<br />
Exzellente Entwicklungszusammenarbeit ist<br />
gefragt, um Armut, mangelhafter Gesundheitsvorsorge,<br />
der Ausbeutung natürlicher<br />
Foto: OKAPIA KG<br />
globale lerngemeinschaft<br />
gegen hunger und armut<br />
Fünf Kompetenzzentren für Entwicklungszusammenarbeit<br />
Ressourcen, Unterernährung oder menschenunwürdigen<br />
Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken.<br />
Insgesamt fließen rund 25 Millionen<br />
Euro aus Mitteln des BMZ in fünf Kompetenzzentren,<br />
die problemorientierte „think tanks“<br />
schaffen sollen. „Der <strong>DAAD</strong> fördert zwar viele<br />
Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit,<br />
aber jetzt bekommen Universitäten Geld<br />
in die Hand, um sich innerhalb der geplanten<br />
Zentren auch untereinander besser zu vernetzen“,<br />
sagt <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär Christian<br />
Bode. „Wir fördern Menschen in Arbeitszusammenhängen,<br />
die über einzelne Kontakte<br />
hinaus weltweit bestehen bleiben und sich<br />
immer mehr verdichten sollen.“<br />
„An der Universität Costa Rica haben wir vor<br />
ein paar Jahren begonnen, ein Netzwerk für<br />
Lebensmittelsicherheit zu organisieren“, sagt<br />
der Vizerektor und <strong>DAAD</strong>-Alumnus Professor<br />
Henning Jensen. Es umfasst bereits alle Länder<br />
Mittelamerikas und einige südamerikanische<br />
Länder. „Wir müssen uns gemeinsam nicht<br />
nur um die bessere Produktion von Nahrungsmitteln<br />
kümmern, sondern auch dafür sorgen,<br />
dass sich Arme leichter gut und ausreichend<br />
ernähren können.“<br />
Ein ähnliches regionales Netzwerk aus 20<br />
Universitäten besteht in Afrika. Der Koordinator,<br />
Professor Adipala Ekwamu, betont:<br />
„Hunger ist das Hauptproblem in Afrika. Die<br />
Hälfte der Afrikaner hat nur eingeschränkten<br />
Zugang zu Nahrungsmitteln. Weltweiter Austausch<br />
in der Forschung ist dringend nötig, um<br />
diesem Problem zu begegnen. Wir sind über-<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
<strong>DAAD</strong><br />
31<br />
Gegen die Dürre: zwei von fünf<br />
Kompetenzzentren widmen sich dem<br />
nachhaltigen Wassermanagement<br />
Abstract<br />
Global Community of Scholars against<br />
Hunger and Poverty<br />
Poverty, inadequate preventive health care, malnutrition,<br />
the water crisis and the exploitation<br />
of natural resources: these are the problems<br />
that many regions in Africa, Asia and Latin<br />
America have to contend with. Solutions can<br />
best be found cooperatively, by reinforced developmental<br />
cooperation, bundled expertise,<br />
and networking among the regions concerned.<br />
The <strong>DAAD</strong> is promoting these objectives by<br />
establishing five university centres of excellence.<br />
Concepts by five German universities<br />
and their partners in developing countries have<br />
been selected in a competition, and each of the<br />
winning schools will receive up to five million<br />
euro. The <strong>DAAD</strong> sees these centres as important<br />
building blocks for a global community of<br />
scholars. They are also intended to help shape<br />
globalisation in keeping with human needs.<br />
ihren Arbeiten helfen, Lebensmittel sicherer<br />
zu machen“, sagt Henning Jensen.<br />
Mehr Bewusstsein für eigene Rechte<br />
Unmenschliche Arbeitsbedingungen vor allem<br />
in Entwicklungsländern sind eine weitere<br />
Herausforderung, auch für die Forschung. Im<br />
„International Center for Development and Decent<br />
Work“ kooperiert die Universität Kassel<br />
mit Partnern in Indien, Brasilien, Kenia, Südafrika,<br />
Pakistan und Mexiko. Beispiel Indien:<br />
Dort arbeiten 93 Prozent der Bevölkerung<br />
ohne Rechte und ohne soziale Absicherung.<br />
„Verbesserungen setzen voraus, dass die Forschung<br />
die Situation der Arbeitnehmer untersucht<br />
und solide Fakten auf den Tisch legt“,<br />
sagt Professor Sharit Bhowmik. Er leitet das<br />
Tata Institute of Social Sciences in Mumbai<br />
und begrüßt die neue Zusammenarbeit der<br />
Hochschulen. „Die Menschen müssen wissen,<br />
dass sie Rechte haben und diese auch einfordern.“<br />
Aus diesem Grund sind Dachorganisationen<br />
von Gewerkschaften aus Deutschland,<br />
Südafrika und Brasilien in das Kompetenzzentrum<br />
eingebunden.<br />
Gesundheit steht im Mittelpunkt des fünften<br />
Kompetenzzentrums, das im Programm<br />
„Hochschulexzellenz in der „Entwicklungszusammenarbeit“<br />
ausgezeichnet wurde. Die Universität<br />
München und ihre Partnerhochschulen<br />
in Äthiopien, Tansania, Chile und Vietnam<br />
errichten das „LMU Center of International<br />
Health“ und bieten den ersten Ph.D.-Studiengang<br />
„International Health“ für Graduierte<br />
aus der ganzen Welt an. Außerdem werden<br />
die Forscher Lehrpläne entwickeln, die den<br />
Besonderheiten der Länder und Regionen<br />
Rechnung tragen. Darüber hinaus bildet das<br />
LMU Center Hochschullehrer und politische<br />
Entscheidungsträger weiter.<br />
„Wir signalisieren mit der Exzellenzinitiative,<br />
dass sich der Einsatz für die Entwicklungszusammenarbeit<br />
lohnt“, sagt <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />
Christian Bode. „Wir wollen eine<br />
globale Lerngemeinschaft schaffen.“<br />
Bettina Mittestraß<br />
zeugt davon, dass Wissenschaft der Antrieb<br />
für Veränderung ist.“ Für ihn ist ein Ziel der<br />
Kooperation die Bündelung von Fachwissen in<br />
der Agrarforschung, der Lehre und besonders<br />
in der Politikberatung. „Wir brauchen zwar<br />
technische Expertise, aber weit mehr Schwierigkeiten<br />
bereitet die soziale Dynamik, die Armut<br />
und Hunger mit sich bringen. Politische<br />
Lösungsansätze sind daher entscheidend.“<br />
Bestehende Brücken zwischen Universitäten<br />
wie in Mittelamerika oder Afrika werden<br />
durch die Exzellenzinitiative des <strong>DAAD</strong> gestärkt.<br />
Gemeinsam gestalten die Universitäten<br />
Hohenheim und Costa Rica mit Hochschulen<br />
in Tansania und Thailand ein „Food Security<br />
Center“. „Wir wollen genügend Wissenschaftler<br />
so gut ausbilden, dass sie weltweit mit<br />
Foto: Jochen Eckel<br />
Gemeinsam forschen und handeln: deutsche Wissenschaftler<br />
im Verbund mit Kollegen aus Entwicklungsländern<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
32 <strong>DAAD</strong><br />
Neuer Blick auf Indien<br />
Gastprofessoren vermitteln Aktuelles<br />
Mit fünf Wissenschaftlern aus Indien startete<br />
im Sommersemester <strong>2009</strong> das neue<br />
Programm „Rotating Chairs“. Der <strong>DAAD</strong><br />
fördert es gemeinsam mit dem Indian<br />
Council for Cultural Relations. Schwerpunkt<br />
sind die Geistes- und Sozialwissenschaften.<br />
Er ist Stückeschreiber und Schauspieler,<br />
Theaterregisseur, Musikproduzent – und<br />
zugleich Professor für Volkskunde an der Universität<br />
Srinagar in Kaschmir. Den kulturellen<br />
Reichtum seiner Heimat an Riten, Festen und<br />
Geschichten vermittelt Data Ram Purohit am<br />
Südasien-Institut der Universität Heidelberg<br />
mit Lehrveranstaltungen über das Volksschauspiel<br />
in der Garhwale-Region und über die<br />
Deutung des uralten Mahabharata-Epos, einer<br />
für Hindus heiligen Schrift. Sein Lehrangebot<br />
ist voll integriert in das Heidelberger Masterund<br />
Doktorandenstudium.<br />
Data Ram Purohit hat einen „Rotierenden<br />
Lehrstuhl“ inne, der gemeinsam vom Indian<br />
Council for Cultural Relations und vom <strong>DAAD</strong><br />
getragen wird. „Pro Jahr entsendet das Indian<br />
Council for Cultural Relations fünf erfahrene<br />
Professoren zur Intensivierung der Indienstudien<br />
nach Deutschland, wobei die deutschen<br />
Hochschulen Kandidaten vorschlagen können“,<br />
erläutert die Referatsleiterin Südasien<br />
beim <strong>DAAD</strong>, Dorothea Jecht, das Prinzip.<br />
Reger intellektueller Austausch<br />
Wer auf einen solchen Lehrstuhl kommt,<br />
bringt meist Deutschlanderfahrung mit. Data<br />
Ram Purohit beteiligt sich bereits seit 2002<br />
am Heidelberger Sonderforschungsbereich für<br />
„Ritual Dynamics and the Science of Ritual“.<br />
Und Gastprofessor Gaya Charan Tripathi ist<br />
seit Jahrzehnten an indischen und deutschen<br />
Universitäten zu Hause: Der Philologe mit<br />
Schwerpunkt in den altindischen Sprachen<br />
Vedisch und Sanskrit promovierte in Indien<br />
und in Deutschland, forschte und lehrte in<br />
beiden Ländern. „Ich nehme jede Gelegenheit<br />
zum Besuch einer deutschen Universität wahr,<br />
weil der rege intellektuelle Austausch mich<br />
mit frischen Forschungsideen bereichert“,<br />
sagt Gaya Charan Tripathi, der Deutsch wie<br />
seine Muttersprache beherrscht. Nach einer<br />
Lehrstuhlvertretung in Leipzig im Jahr 2000<br />
ist er nun Gast auf einem Rotating Chair in<br />
Marburg, wo er „Indische Metrik<br />
und Rezitation“ sowie „Modernes<br />
Sanskrit“ unterrichtet.<br />
Die „Rotating Chairs“ zählen zu<br />
dem vielfältigen Austauschpaket,<br />
das der <strong>DAAD</strong> unter dem Motto „A<br />
New Passage to India“ aufgelegt<br />
hat. Gegenwärtig studieren etwa<br />
90 000 Inder in den USA, 33 000<br />
in Australien und 20 000 an britischen<br />
Universitäten – aber in<br />
Deutschland nicht viel mehr als<br />
4 000. Und umgekehrt sind in Indien<br />
schätzungsweise nur einige<br />
hundert deutsche Gaststudenten<br />
registriert. Neue Zentren für zeitgenössische<br />
Indienstudien in<br />
Deutschland sollen das Interesse<br />
am Partnerland steigern.<br />
„Wir bauen ein solches Indien-<br />
Zentrum auf“, erklärt Stephan Klasen,<br />
Professor für Volkswirtschaftslehre<br />
und Entwicklungs ökonomik<br />
an der Universität Göttingen. „Unser<br />
Gast Sunil Kanwar von der University<br />
of Delhi spielt dabei eine<br />
wichtige Rolle.“ Als Inhaber eines<br />
„Rotating Chairs“ doziert der Wirtschaftswissenschaftler<br />
über die<br />
„Arbeitsmärk te in Entwicklungsländern.<br />
Am Hamburger Asien-<br />
Foto: Sybille Zerr für SFB 619, Uni Heidelberg<br />
Afrika-Institut liest sein Kollege<br />
Ramprasad Sengupta von der Jawaharlal Nehru<br />
University in Neu Delhi über „Nachhaltige Entwicklung<br />
in Indien“, beleuchtet also den Zusammenhang<br />
von Ökonomie und Ökologie.<br />
Der fünfte indische Gastdozent der ersten<br />
Runde ist Surinder Aggarwal von der Universität<br />
Neu Delhi. Der Geograf untersucht<br />
mit seiner Kölner Kollegin Frauke Kraas die<br />
Verstädterung in Entwicklungsländern, das<br />
Problem krisenhafter „Megacities“. Sein Lebensmittelpunkt<br />
Neu Delhi mit 17 Millionen<br />
Einwohnern, davon die Hälfte in Slums, bietet<br />
Rituale, Feste und Geschichten: Data Ram Purohit<br />
vermittelt den kulturellen Reichtum Indiens<br />
Anschauungsunterricht für die Infrastrukturprobleme:<br />
von der Wasserversorgung bis zur<br />
Entsorgung sowie die damit verbundene Gesundheitsvorsorge.<br />
Seit mehr als zwei Jahrhunderten ist das<br />
deutsche Indienbild vorwiegend von Literatur<br />
und Kunst geprägt. In den vergangenen 50<br />
Jahren hat sich das Blickfeld mit der Entwicklungszusammenarbeit<br />
auf wirtschaftliche und<br />
soziale Fragen erweitert. Die „Rotating Chairs“<br />
tragen dieser Entwicklung Rechnung.<br />
Hermann Horstkotte<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
<strong>DAAD</strong><br />
33<br />
Ihre Großmutter sprach Jiddisch. Die Sprache<br />
der osteuropäischen Juden ist dem Deutschen<br />
sehr ähnlich. Um die Großmutter besser<br />
zu verstehen, lernte Cécile Wajsbrot in der<br />
Schule Deutsch. Doch lange Zeit mit zwiespältigen<br />
Gefühlen. Für sie war es die Sprache der<br />
Nationalsozialisten, die ihrer Familie Leid und<br />
Tod gebracht hatten. Heute spricht die französische<br />
Schriftstellerin fließend Deutsch und<br />
wohnt abwechselnd in Paris und Berlin, wo<br />
sie ein Jahr auch als Stipendiatin des Berliner<br />
Künstlerprogramms des <strong>DAAD</strong> lebte.<br />
Doch dahin war es ein langer Weg. Er war<br />
geprägt von der schmerzhaften Auseinandersetzung<br />
mit der Geschichte. Wie sehr die<br />
Vergangenheit das gegenwärtige Leben beeinflusst,<br />
das wurde zum Lebensthema der<br />
Schriftstellerin und zum Gegenstand ihrer<br />
erfolgreichen Bücher. Geboren wurde sie 1954<br />
in Paris, wohin ihre polnischen Großeltern<br />
bereits Anfang der 30er Jahre ausgewandert<br />
waren. Nach der Besetzung der französischen<br />
Hauptstadt durch die Nazis wurde ihr Großvater<br />
1941 in ein Lager verschleppt und später in<br />
Auschwitz ermordet. Die Großmutter und die<br />
damals 10-jährige Mutter von Cécile Wajsbrot<br />
mussten 1942 untertauchen und überlebten in<br />
wechselnden Verstecken und mit gefälschten<br />
Papieren. Auch die Familie des Vaters, der<br />
ebenfalls aus Polen nach Paris kam, wurde<br />
Opfer der Nazis.<br />
„Meine Eltern haben nur wenig über ihre polnische<br />
Herkunft, den Zweiten Weltkrieg und<br />
die Vernichtung gesprochen“, erinnert sich<br />
Cécile Wajsbrot. „Sie wollten, dass ich eine<br />
Französin bin wie jede andere. Aber für uns<br />
aus der zweiten Generation der Emigranten<br />
und Holocaust-Opfer ist das schwierig: Das<br />
verborgene Land und die Vergangenheit existieren<br />
weiter.“ Cécile Wajsbrot studierte Vergleichende<br />
Literaturwissenschaft, arbeitete<br />
acht Jahre als Französischlehrerin an einem<br />
Gymnasium, danach als Literaturredakteurin<br />
für Zeitungen und Rundfunk. 1982 veröffentlichte<br />
sie ihren ersten Roman („Une vie à soi“)<br />
und seitdem viele weitere, in denen sie sich<br />
immer wieder mit den gravierenden Folgen<br />
der Nazi-Vergangenheit für ihre Generation<br />
auseinandersetzt. In ihrem jüngsten Roman<br />
„Mémorial“ (deutsch „Aus einer Nacht“, 2008)<br />
reist eine junge Frau von Paris nach Polen und<br />
gerät auf den Spuren ihrer Familie in einen<br />
schmerzhaften Dialog mit der eigenen Geschichte,<br />
ohne daraus für die Gegenwart Trost<br />
zu ziehen.<br />
Cécile Wajsbrot selbst hat Osteuropa ausführlich<br />
bereist, lange bevor sie sich Berlin nähern<br />
konnte: „Bis zum Fall der Mauer war Berlin<br />
für mich die Hauptstadt des Dritten Reiches,<br />
ich hätte nie dorthin fahren können“, sagt sie<br />
heute und fügt erklärend hinzu: „Es war, als<br />
Foto: Christian Thiel<br />
Gestern Stipendiatin – und heute...<br />
Cécile Wajsbrot<br />
Französische Schriftstellerin<br />
hätte die Mauer die Geschichte eingefroren.“<br />
Doch auch nach dem Mauerfall wartete sie<br />
noch fünf Jahre bis zu einem ersten kurzen<br />
Besuch – „quasi auf der Durchreise“ – und<br />
weitere fünf Jahre, bis sie 2000 mit einem Stipendium<br />
mehrere Wochen blieb. Dann allerdings<br />
war sie von Berlin „geradezu besessen“.<br />
In kürzester Zeit entstand ihr Berlin-Roman<br />
„Caspar-Friedrich-Strasse“ (deutsch „Mann<br />
und Frau den Mond betrachtend“, 2003), in<br />
dem sie sich in der ihr eigenen poetischen<br />
und zugleich mitreißenden Erzählweise mit<br />
Vergangenheit und Gegenwart der deutschen<br />
Hauptstadt auseinandersetzt.<br />
Ihre Faszination für Berlin erklärt Wajsbrot<br />
so: „Die Stadt ist voller Gegenwart und Zukunft,<br />
mit viel Raum – geographisch, geistig<br />
und intellektuell. Gleichzeitig sind die Spuren<br />
der Geschichte überall präsent. Ob durch<br />
Mahnmale, Gedenktafeln, Stolpersteine – in<br />
den Straßen Berlins spricht die Geschichte zu<br />
einem.“ Das sei ganz anders als in Paris, sagt<br />
Wajsbrot. Es waren französische Polizisten,<br />
Kollaborateure der Nazis, die bei den Pariser<br />
Juden die Razzien durchführten und ihren<br />
Großvater deportierten. Doch eine Aufarbeitung<br />
dieser Vergangenheit gebe es dort kaum.<br />
„Paris ist in dieser Beziehung eine stumme<br />
Stadt“, bedauert Wajsbrot. So haben auch ihre<br />
Bücher in Frankreich weit weniger Resonanz<br />
als in Deutschland.<br />
Neuerdings schlägt Wajsbrot Brücken ganz<br />
anderer Art zwischen Deutschland und Frankreich.<br />
Die Schriftstellerin, die bereits englische<br />
Literatur übersetzt hat, überträgt nun<br />
auch Bücher deutscher Autoren – darunter<br />
von Gert Ledig und Stefan Heym –<br />
ins Französische. Deutsch ist<br />
für sie schon lange nicht<br />
mehr die „Sprache des<br />
Feindes“.<br />
Leonie Loreck<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
34 <strong>DAAD</strong><br />
Stipendiaten forschen<br />
Bildende Kunst<br />
Ohne Berührungsängste<br />
Eine Person erwirbt eine Theaterkarte, Tag<br />
und Stunde sind angegeben, der Ort fehlt.<br />
Denn die eigene Lebenswelt wird zum Schauspiel,<br />
Mitmenschen werden zu Darstellern,<br />
Orte zu Schauplätzen, Gegenstände zu Kulissen.<br />
Der Zuschauer zeichnet seine Eindrücke<br />
auf, daraus entsteht ein Theaterstück, das später<br />
auf einer „echten“ Bühne aufgeführt wird.<br />
Dieses neue Theaterkonzept will der <strong>DAAD</strong>-<br />
Stipendiat Bertram Haude während seiner<br />
künstlerischen Weiterbildung in Israel realisieren.<br />
Seit Dezember 2008 ist er Gaststudent<br />
an der Bezalel Academy of Arts and Design<br />
in Jerusalem. „Ich will Momente kreieren, in<br />
denen Menschen ihre Realität von einer anderen<br />
Seite anschauen“, sagt der 38-Jährige.<br />
Wer derart verblüffen will, muss mutig sein –<br />
in einem politisch so angespannten Land wie<br />
Israel noch viel mehr als in Deutschland. Doch<br />
Angst hat Bertram Haude nicht: „Als Künstler<br />
agiere ich in einem seltsam rechtsfreien<br />
Raum. Ich bin ein moderner Hofnarr.“<br />
Er bewegt sich völlig frei in Israel. Ohne<br />
Scheu vor den Krisengebieten erkundet er das<br />
Land, die Menschen und das politisch-religiöse<br />
Leben – oft ohne Karte, aber immer mit<br />
der Fotokamera im Gepäck. Nur selten arbeitet<br />
er in den Ateliers der Kunsthochschule, Eindrücke<br />
und Inspiration zu sammeln ist ihm<br />
wichtiger.<br />
„Meine Arbeit besteht aus Ideen und viel<br />
Organisationsaufwand“, erklärt der gebürtige<br />
Dresdner, der Kunstpädagogik und Erziehungswissenschaften<br />
studiert hatte, bevor er<br />
seine künstlerische Ausbildung an der Hochschule<br />
für Grafik und Buchkunst in Leipzig begann.<br />
Bertram Haude hat sich von der Intimität<br />
seiner frühen Zeichnungen entfernt und stellt<br />
seine Kunst heute in den öffentlichen Raum.<br />
Durch Installationen und Aktionen holt er seine<br />
Werke in die Alltagswelt der Menschen und<br />
begegnet ihnen dabei auf neue Weise.<br />
Foto: CERN www.cern.ch<br />
Teilchenphysik<br />
An der Grenze des Machbaren<br />
Die deutsche Teilchenphysikerin Kristin Lohwasser<br />
forscht an einem der größten Geheimnisse<br />
unseres Kosmos. Warum hat alles im<br />
Universum Masse? Im Higgs-Boson soll die<br />
Antwort auf diese Frage liegen. Schon 1964<br />
wurde das Teilchen von Peter Higgs mathematisch<br />
vorhergesagt, allerdings verriet der Physiker<br />
nicht, in welchem Massebereich es zu<br />
finden sei. Seit 20 Jahren jagen Forscher mit<br />
Teilchenbeschleunigern der Superlative das<br />
geheimnisvolle Teilchen. Kristin Lohwasser ist<br />
an vorderster Front mit dabei. Sie arbeitet am<br />
europäischen Forschungszentrum CERN, wo<br />
sich der weltweit leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger<br />
LHC (Large Hadron Collider) befindet.<br />
In ihrer Dissertation, die die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin<br />
an der Universität Oxford schreibt,<br />
bereitet Kristin Lohwasser eine Messung vor,<br />
mit der die Produktion von W-Bosonen am<br />
ATLAS-Experiment untersucht werden soll.<br />
Kann das Verhalten dieser Elementarteilchen<br />
zuverlässig untersucht werden, können die<br />
CERN-Forscher die Genauigkeit ihrer theoretischen<br />
Vorhersagen verbessern. Damit<br />
erweist Kristin Lohwasser auch den Higgs-<br />
Suchern einen entscheidenden Dienst: „Die<br />
Messung fügt 2 000 Datenpunkten zehn weitere<br />
hinzu. Das klingt nicht viel, es sind aber<br />
genau diejenigen, die für den Messbereich des<br />
LHC relevant sind.“<br />
Mit größtem Gerät zur kleinsten Materie:<br />
der Teilchen beschleuniger LHC in Genf<br />
Kristin Lohwasser wollte die Messung für ihre<br />
Dissertation eigentlich selbst durchführen.<br />
Doch im September 2008 kam der Tiefschlag:<br />
Nur wenige Tage nachdem der LHC in Betrieb<br />
genommen worden war, schmorte eine Verbindung<br />
durch und verschob den Forschungsbeginn<br />
um ein Jahr. Im September <strong>2009</strong> will die<br />
30-Jährige aber ihre Promotion schon beenden<br />
und danach als Post-Doc weiter nach dem<br />
Higgs-Teilchen suchen. „Ich muss also eine<br />
Trockenübung abgeben“, sagt sie. Sie verwendet<br />
nun keine echten Daten, sondern nur Simulationen,<br />
die sie umso sorgfältiger für eine<br />
Anwendung vorbereitet hat. Nach ihrer Zeit in<br />
Oxford zieht Kristin Lohwasser eine positive<br />
Bilanz. Aber sie betont auch: „Manche deutschen<br />
Universitäten müssen sich, besonders<br />
in den Naturwissenschaften, nicht hinter Oxford<br />
verstecken.“<br />
Zoologie<br />
Wildesel gefährdet<br />
Von 2001 bis 2004 sammelten deutsche und<br />
mongolische Zoologen 400 Schädel des gefährdeten<br />
und wenig erforschten Asiatischen<br />
Wildesels in der Wüste Gobi. Doch in der Mongolei<br />
fehlten Methoden, um diese Fundstücke<br />
zu konservieren, und ein geeigneter Platz,<br />
um sie aufzubewahren. Deshalb wurden die<br />
Schädel nach Deutschland transportiert und<br />
an der Universität Halle und am Senckenberg<br />
Impressionen aus Israel: Alltag in einem krisengeschüttelten Staat<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
<strong>DAAD</strong><br />
35<br />
Museum für Naturkunde in Görlitz präpariert.<br />
Wenn das Material nicht zum Forscher kommen<br />
kann, muss der Weg umgekehrt verlaufen:<br />
Mit der Unterstützung des <strong>DAAD</strong> lädt das<br />
Görlitzer Forschungsmuseum mongolische<br />
Doktoranden ein. Der Zoologe Davaa Lkhagvasuren<br />
ist bereits zum zweiten Mal als <strong>DAAD</strong>-<br />
Stipendiat in Deutschland, um wichtige Daten<br />
für seine Dissertation zu sammeln. Durch das<br />
„Sandwich-Stipendium“ kann der 28-Jährige<br />
eher jüngere oder ältere Tiere schießen“, erläutert<br />
er. Davaa Lkhagvasuren kam im Herbst<br />
2008 nach Görlitz und fühlt sich wohl in der<br />
Stadt an der deutsch-polnischen Grenze. Was<br />
für andere Görlitzer Studierende Normalität<br />
ist, erlebt er als Abenteuer: „Ich lebe im Studentenwohnheim.<br />
Das ist für mich eine ganz<br />
neue Erfahrung. Daheim in der Mongolei teile<br />
ich mir ein kleines, festes Zelt mit meiner Familie.“<br />
Forschung für den<br />
Artenschutz: Warum<br />
wird der Asiatische<br />
Wildesel gejagt?<br />
So rät sie, den Anlagenschutz zu erhöhen, um<br />
das Vertrauen neuer Anleger zu gewinnen.<br />
Außerdem müsse die moldawische Bankenaufsichtsbehörde<br />
enger mit der Versicherungsaufsicht<br />
zusammenarbeiten. „Diese wichtigen<br />
Handlungsansätze werden sich wahrscheinlich<br />
in den nächsten fünf Jahren umsetzen lassen“,<br />
prognostiziert die Ökonomin. Mariana<br />
Cucu hat bereits praktische Erfahrungen gesammelt:<br />
Sie hat in der moldawischen Hauptstadt<br />
Chisinau promoviert und fünf Jahre in<br />
der Zentralbank ihres Heimatlandes gearbeitet.<br />
„Doch in Deutschland muss ich mich zum<br />
ersten Mal intensiv mit theoretischen Modellen<br />
auseinandersetzen“, berichtet die 28-Jährige.<br />
„Die Quellen sind hier reichhaltiger als<br />
in Moldawien.“ Nach ihrer Promotion will sie<br />
eine Habilitation anschließen und später ihre<br />
Foto: Senckenberg Görlitz<br />
Schwierige<br />
Lebensverhältnisse:<br />
Moldawien ist das<br />
ärmste Land Europas<br />
nach dem zweijährigen Deutschlandaufenthalt<br />
seine Arbeit an der mongolischen Nationaluniversität<br />
in Ulaanbaatar abschließen.<br />
Er möchte eine Populationsanalyse des Asiatischen<br />
Wildesels erstellen.<br />
Öffnungen an den Schädeln der Tiere geben<br />
ihm Hinweise auf die Verwandtschaft, er kann<br />
dadurch Veränderungen in der Population<br />
nachvollziehen. An den Zähnen stellt der Zoologe<br />
fest, wie alt die Tiere zum Zeitpunkt des<br />
Todes waren. „Meine Marken für diese Bestimmung<br />
sind die Zahnwechsel und die Jahreslinien,<br />
die man bei einem Längsschnitt durch<br />
den Schneidezahn findet“, sagt Davaa Lkhagvasuren.<br />
Obwohl der Asiatische Wildesel seit<br />
1953 unter Jagdschutz steht, ist das Fleisch<br />
des Tieres noch heute beliebt bei Wilderern.<br />
Darum möchte der Mongole in seiner Arbeit<br />
einen Plan zum Artenschutz entwickeln. „Dafür<br />
ist es wichtig zu wissen, ob die Wilderer<br />
Wirtschaftswissenschaften<br />
Stabilität und Armut<br />
Die kleine Republik Moldawien ist das ärmste<br />
Land Europas – gebeutelt vom Bürgerkrieg<br />
Anfang der neunziger Jahre, der schwierigen<br />
Transformation vom Sowjetregime zu einem<br />
demokratischen Staat und immer wieder zurückgeworfen<br />
durch Unruhen und Korruption.<br />
Dieses Land, über das in Deutschland so wenig<br />
berichtet wird, ist die Heimat von Mariana<br />
Cucu. Die Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitet<br />
seit 2007 an der Universität Regensburg<br />
an ihrer Dissertation über Bankenstabilität. In<br />
ihrer Arbeit vergleicht sie die Regulierung und<br />
Überwachung des Bankensektors in mittelund<br />
osteuropäischen Transformationsländern.<br />
Daraus entwickelt die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin konkrete<br />
Ansätze, um Banken in Moldawien stabiler<br />
zu machen.<br />
Arbeit im moldawischen Bankensystem mit<br />
einer Universitätsprofessur verbinden. Bis dahin<br />
wird sie in Deutschland weiter forschen<br />
und Vorträge über ihre moldawische Heimat<br />
halten, die in den Köpfen vieler Deutscher oft<br />
ein unbeschriebenes Blatt ist. Julia Walter<br />
Fotos: Bertram Haude www.bertramhaude.de<br />
Foto: Railean Viorel<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
36<br />
<strong>DAAD</strong><br />
Nachrichten und Berichte<br />
Foto: <strong>DAAD</strong><br />
ASEM-Sekretariat<br />
Europa und Asien rücken<br />
zusammen<br />
Asien und Europa vertiefen ihren<br />
Austausch auf dem Feld der<br />
Bildung. Das haben die Bildungsminister<br />
der am Asia-Europe-Meeting<br />
(ASEM) beteiligten Staaten<br />
im Mai im vietnamesischen Hanoi<br />
beschlossen. Die Länder wollen<br />
die Zusammenarbeit ihrer<br />
Hochschulen intensivieren und<br />
sich über Fragen der beruflichen<br />
Bildung austauschen. Außerdem<br />
sollen noch mehr Akademiker auf<br />
dem jeweils anderen Kontinent<br />
studieren und forschen.<br />
Um den asiatisch-europäischen<br />
Bildungsdialog zu koordinieren,<br />
richtet Deutschland im Auftrag<br />
der ASEM-Länder ein internationales<br />
Sekretariat ein. Es wird<br />
beim <strong>DAAD</strong> in Bonn angesiedelt<br />
und ab dem 1. September seine<br />
Arbeit aufnehmen. Nach vier Jahren<br />
übernimmt ein asiatisches<br />
Land das Sekretariat.<br />
2010 wird Deutschland die<br />
ASEM-Mitglieder zu einer Konferenz<br />
einladen, um sich auf eine<br />
gemeinsame Linie bei der Anerkennung<br />
von Kreditpunkten und<br />
der Verwendung der Lernergebnisse<br />
zu verständigen. Ziel ist es,<br />
die Vergleichbarkeit und Aner-<br />
kennung von Studienleistungen<br />
zu verbessern. „Die asiatischen<br />
Partner sind an den europäischen<br />
Erfahrungen aus dem Bologna-<br />
Prozess interessiert, da sie die<br />
Schaffung eines gemeinsamen<br />
Hochschulraums für Asien prüfen<br />
wollen“, berichtet Siegbert Wuttig,<br />
Leiter der Nationalen Agentur für<br />
EU-Hochschulzusammenarbeit<br />
beim <strong>DAAD</strong>.<br />
An ASEM nehmen die 27 EU-<br />
Länder, die Europäische Kommission,<br />
16 asiatische Staaten sowie<br />
das Sekretariat des Verbandes<br />
Südostasiatischer Nationen (ASE-<br />
AN) teil. Die Vereinigung wurde<br />
1996 gegründet, um die Beziehungen<br />
zwischen beiden Kontinenten<br />
zu intensivieren. Deutschland<br />
hat sich, unterstützt vom<br />
<strong>DAAD</strong>, dafür eingesetzt, den Dialog<br />
auf die Bildung auszuweiten.<br />
Nach dem erfolgreichen Auftakt<br />
2008 in Berlin war die Konferenz<br />
in Hanoi das zweite Treffen der<br />
ASEM-Bildungsminister. cho<br />
Fünf Jahre RISE-Programm<br />
Immer beliebter<br />
Joshua Klobas und Thomas Bischof,<br />
beide angehende Chemiker<br />
aus den USA, schwärmen von der<br />
„sehr cleveren und effizienten Arbeitsweise“<br />
in deutschen Laboren<br />
und der Einstellung ihrer Betreuer:<br />
„Natürlich wollen die<br />
Doktoranden, die uns betreuen,<br />
dass wir unseren<br />
Job machen, aber trotzdem<br />
kommt der Spaßfaktor nie<br />
zu kurz.“ Deutschland ist<br />
attraktiv für den wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs<br />
aus den USA, Kanada und<br />
Großbritannien. Das beweist<br />
das RISE (Research<br />
Internships in Science and<br />
Engineering)-Programm,<br />
das seit seiner Gründung<br />
Clever und effizient:<br />
RISE-Stipendiaten<br />
loben deutsche Labore<br />
Foto: flickr.com<br />
vor fünf Jahren immer größeren<br />
Zulauf erhält.<br />
Die Stipendiaten forschen im<br />
Sommer gemeinsam mit einem<br />
Doktoranden einer deutschen<br />
Hochschule. Besonders beliebt ist<br />
der Maschinenbau, im Kommen<br />
sind aber auch Biologie und Chemie.<br />
So stieg die Zahl der Bewerbungen<br />
kontinuierlich, und aus<br />
den 98 Stipendien, die der <strong>DAAD</strong><br />
im ersten Jahr vergab, sind inzwischen<br />
364 geworden. Nur jeder<br />
zehnte Stipendiat verfügt dabei<br />
über Deutsch-Kenntnisse oder<br />
Deutschland-Erfahrung.<br />
Auffällig ist das hohe Interesse<br />
an den Umweltwissenschaften.<br />
Neben der Forschungsarbeit bekommen<br />
die Gäste durch gemeinsame<br />
Reisen vielfältige Eindrücke<br />
von Land und Leuten. Das kommt<br />
gut an: Mehr als die Hälfte kann<br />
sich vorstellen, später wiederzukommen.<br />
Rund 350 Stipendiaten<br />
trafen sich Anfang Juli in Heidelberg<br />
zum jährlichen Stipendiatentreffen.<br />
<br />
cho<br />
Namibia/Ghana<br />
Fachzentren für Afrika<br />
Namibia hat das, wovon andere<br />
Länder im südlichen Afrika nur<br />
träumen können: den Standortvorteil<br />
Küstenlage. Doch das logistische<br />
Potenzial, das für die<br />
gesamte afrikanische Wirtschaft<br />
eine wichtige Rolle spielt, wird<br />
in Namibia noch viel zu schlecht<br />
genutzt. An diesem Problem setzt<br />
das neue namibisch-deutsche<br />
Fachzentrum für Logistik an, das<br />
am 7. Mai an der Polytechnic of<br />
Namibia in Windhuk eröffnet<br />
wurde. „Namibia braucht für eine<br />
bessere Infrastruktur vor allem<br />
entsprechend ausgebildetes Personal“,<br />
sagt Professor Thomas<br />
Schmidt von der Fachhochschule<br />
Flensburg, Projektleiter auf deutscher<br />
Seite. Deshalb baut das vom<br />
<strong>DAAD</strong> unterstützte Zentrum neben<br />
akademischer Aus- und Weiterbildung<br />
auf internationalem Niveau<br />
auch auf Technologietransfer<br />
und Beratung von Wirtschaft und<br />
Politik. Eine Fachbibliothek befindet<br />
sich zurzeit im Aufbau. Der<br />
Studienbetrieb ist für Anfang 2010<br />
geplant.<br />
Auch Ghana hat seit Juni <strong>2009</strong><br />
ein neues Fachzentrum, und zwar<br />
gleich für zwei wissenschaftliche<br />
Disziplinen: für Entwicklungsund<br />
für Gesundheitsforschung.<br />
Das Konzept des interdisziplinären<br />
Austauschs überzeugte den<br />
<strong>DAAD</strong>, das an der University of<br />
Ghana in Accra angesiedelte Zentrum<br />
zu fördern. „Das öffentliche<br />
Gesundheitswesen in der Region<br />
kann man nur in Verbindung mit<br />
dem Wissen über die Dorfstrukturen<br />
stärken“, sagt Dorothee<br />
Weyler, <strong>DAAD</strong>-Projektleiterin für<br />
die Fachzentren in Afrika. In der<br />
Abteilung für Entwicklungsforschung<br />
arbeiten das ghanaische<br />
Institute of Statistical, Social and<br />
Economic Research und das Zentrum<br />
für Entwicklungsforschung<br />
an der Universität Bonn zusammen.<br />
Im gemeinsamen Promotions-Programm<br />
forschen Doktoranden<br />
in deutsch-ghanaischen<br />
Tandems zu regional relevanten<br />
Problemen.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
DaaD 37<br />
Umschlagplatz Hafen: Namibisch-deutsches<br />
Fachzentrum bildet Fachkräfte für Logistik aus<br />
Die Abteilung für Gesundheitsforschung<br />
befasst sich mit der klinisch-medizinischen<br />
Forschung,<br />
der biomedizinischen Grundlagenforschung<br />
und Public Health.<br />
Partner der School of Public Health<br />
an der Universität Ghana sind das<br />
Universitätsklinikum Heidelberg,<br />
das Swiss Tropical Institute in<br />
Basel und die Bielefeld School of<br />
Public Health.<br />
CW<br />
<strong>DAAD</strong>-Außenstellen<br />
Sieben Standorte umbesetzt<br />
Neue Gesichter in den Außenstellen:<br />
Seit Anfang des Jahres<br />
leitet Sebastian Fohrbeck die New<br />
Yorker Außenstelle des <strong>DAAD</strong>.<br />
Zur gleichen Zeit übernahm Helmut<br />
Buchholt die Außenstelle<br />
in Jakarta; er löste Ilona<br />
Krüger-Rechmann ab, die<br />
in Bonn das Länderreferat<br />
Afghanistan und Pakistan<br />
leitet. Holger Finken vertritt<br />
die <strong>DAAD</strong>-Belange in<br />
Tokio, seine Vorgängerin<br />
Irene Jansen verantwortet<br />
nun in der Bonner Zentrale<br />
den Bereich Kommunikation<br />
und Marketing. Sie<br />
übernimmt diese Position<br />
von Christian Müller, der<br />
in die Außenstelle nach Rio<br />
de Janeiro geht. Dort vertrat<br />
Gabriele Althoff die letzten<br />
Jahre den <strong>DAAD</strong>, jetzt übernimmt<br />
sie in der Bonner<br />
Zentrale die Internationale<br />
<strong>DAAD</strong>-Akademie.<br />
Der neue Leiter in Moskau heißt<br />
Gregor Berghorn, sein Vorgänger<br />
Thomas Prahl zeichnet künftig in<br />
Bonn für die Russische Föderation<br />
und Belarus verantwortlich. In Mexiko<br />
übernimmt Hanns Sylvester,<br />
bisher Chef der Gruppe „Entwicklungszusammenarbeit<br />
und Alumniprogramme“,<br />
die Außenstelle.<br />
Sein Vorgänger Arnold Spitta koordiniert<br />
dann wissenschaftliche<br />
Veranstaltungen zu den 200-Jahr-<br />
Feiern in Argentinien und Chile.<br />
Ende November verlässt Heinz<br />
Nastansky den <strong>DAAD</strong> und geht in<br />
den Ruhestand. Die Leitung der<br />
Außenstelle Hanoi übergibt er an<br />
Hannelore Bossmann, die zurzeit<br />
in Bonn für die Region Süd- und<br />
Südostasien zuständig ist. Lb<br />
Familienbild vor Siebengebirge: <strong>DAAD</strong>-Außenstellenleiter trafen sich in Bonn<br />
Auf einen Klick<br />
Der <strong>DAAD</strong> im Internet<br />
www.daad.de/<strong>magazin</strong><br />
Nachrichten und Berichte über<br />
das weltweite Engagement des<br />
<strong>DAAD</strong> – informativ und aktuell.<br />
www.daad.de/alumni<br />
Das <strong>DAAD</strong>-Portal für alle<br />
Alumni mit Infos zu Alumni-<br />
Vereinen, Alumni-Kalender,<br />
Alumni-VIP-Galerie und<br />
Alumni-Adressdatenbank.<br />
15 Jahre UNISTAFF<br />
Hochschulen managen<br />
Voneinander lernen über Grenzen<br />
hinweg: Die Fortbildung für Hochschulmanager<br />
UNISTAFF feiert in<br />
diesem Jahr ihren 15. Geburtstag.<br />
Seit 1994 nehmen jährlich rund<br />
20 ausgewählte Hochschulmanager,<br />
Institutsleiter und Professoren<br />
aus Asien, Afrika und<br />
Lateinamerika von Mai bis Mitte<br />
Juli an UNISTAFF teil. Die Fortbildung<br />
zu Themen wie Organisationsentwicklung,<br />
Didaktik und<br />
Forschungsmanagement wird von<br />
der Universität Kassel angeboten<br />
und vom <strong>DAAD</strong> unterstützt.<br />
Das Besondere: Die Kursteilnehmer<br />
bewerben sich mit einem<br />
Arbeitsvorhaben und entwickeln<br />
ihr Projekt im Austausch mit Kollegen<br />
und Dozenten während der<br />
Fortbildung weiter.<br />
Rund 300 Hochschulmitarbeiter<br />
haben seit dem Start vor 15 Jahren<br />
das UNISTAFF-Programm durchlaufen.<br />
Eine von ihnen ist Ilah<br />
Sailah, Mitarbeiterin des indonesischen<br />
Bildungsministeriums.<br />
„Ich habe viel über die Techniken<br />
der Wissensvermittlung gelernt:<br />
kontextuelles Lernen, Kommunikation<br />
mit Teilnehmern und Evaluierung<br />
des Lernerfolgs“, sagt<br />
sie rückblickend. „Das hat mich<br />
bei der Planung und Umsetzung<br />
von Trainingsmaßnahmen für das<br />
akademische Personal in Indonesien<br />
vorangebracht.“<br />
Inzwischen haben sich Netzwerke<br />
unter den Absolventen des<br />
UNISTAFF-Programms etabliert:<br />
in Ostafrika, Zentralamerika und<br />
Indonesien. Ilah Sailah schätzt<br />
das indonesische Netzwerk IN-<br />
DOSTAFF: „Dort finde ich für jede<br />
Projektidee die richtigen Partner.“<br />
JW<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09<br />
Foto: Eric Lichtenscheidt
38<br />
<strong>DAAD</strong><br />
Australien-Alumni<br />
Mehr als sonnen und surfen<br />
Was zieht deutsche Studierende<br />
nach Australien? „Das „Sun and<br />
Surf“-Image des Landes spielt nur<br />
eine untergeordnete Rolle“, sagt<br />
Ursula Toyka, im <strong>DAAD</strong> unter<br />
anderem für den Austausch mit<br />
Australien zuständig. Viele wollen<br />
wegen der guten Studienbedingungen<br />
an die Hochschulen „down<br />
under“ wechseln: Das Studium<br />
ist klar strukturiert, Studierende<br />
finden eine verlässliche Betreuung<br />
und eine sehr internationale<br />
Atmosphäre. Das berichteten die<br />
Australien-Alumni des <strong>DAAD</strong> bei<br />
ihrem ersten Treffen am 7. Mai<br />
<strong>2009</strong> in der Australischen Botschaft<br />
in Berlin.<br />
Zu den über 80 Teilnehmern aus<br />
ganz Deutschland zählte Kathrin<br />
Ilka Staudinger. Die Designerin<br />
nahm 2003 ein Masterstudium an<br />
der Universität Sydney auf. „Von<br />
den guten Arbeitsbedingungen<br />
habe ich sehr profitiert, besonders<br />
vom regen Austausch mit Kommilitonen<br />
und Dozenten“, sagt sie.<br />
Die Zahl der deutschen Bewerber<br />
für ein Australien-Stipendium<br />
steigt seit 2004 kontinuierlich an.<br />
„In diesem Jahr haben wir mit 375<br />
Bewerbern schon in der ersten Jahreshälfte<br />
einen Rekord erreicht“,<br />
sagt Ursula Toyka. Um ebenso<br />
viele Australier nach Deutschland<br />
zu holen, will der <strong>DAAD</strong> nun in<br />
Australien ein Alumni-Netzwerk<br />
aufbauen, das unter anderem<br />
die gute Hochschulausbildung in<br />
Deutschland bekannter macht.<br />
UNESCO-Weltkonferenz<br />
Gemeinsam an morgen<br />
denken<br />
Der <strong>DAAD</strong> veranstaltete im März<br />
<strong>2009</strong> mit Unterstützung des<br />
Bundesministeriums für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit vier<br />
Frühjahrsschulen für internationale<br />
Alumni. Sie waren der akademische<br />
Vorlauf zur anschließenden<br />
UNESCO-Weltkonferenz<br />
„Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
<strong>2009</strong>“ in Bonn. So ging es in<br />
der Frühjahrsschule an der Universität<br />
Greifswald um UNESCO-Biosphärenreservate<br />
als Lernstätten<br />
Foto: azurepro<br />
Immer beliebter: Australien lockt mit guten Studien- und Surfbedingungen<br />
African Good Governance<br />
Die Grundlagen der<br />
Demokratie<br />
Die Zivilgesellschaft gilt als Grundlage<br />
jeder Demokratie. Allerdings<br />
gibt es für sie unterschiedliche<br />
Konzepte. Das zeigte sich auch<br />
beim zweiten Seminar des African<br />
Good Governance Netzwerks<br />
(AGGN), das der <strong>DAAD</strong> gemeinsam<br />
mit dem Freiburger Arnold-<br />
Bergstraesser-Institut Anfang Juni<br />
unter dem Titel „Civil Societies“<br />
organisierte. Die 22 Teilnehmer<br />
debattierten etwa die Frage, ob<br />
Frauen ermutigt werden sollten,<br />
Führung zu übernehmen. Ebenso<br />
erörterten sie, ob eine afrikafür<br />
Nachhaltigkeit, in Lüneburg<br />
entwickelten die Alumni Ideen für<br />
eine ressourcenschonende Hochschule.<br />
Ihre Ergebnisse trugen die<br />
Teilnehmer in Bonn zusammen.<br />
Dort waren auch die Hindernisse<br />
für Nachhaltigkeit ein wichtiges<br />
Thema: Die Universitäten der Entwicklungs-<br />
und Schwellenländer<br />
seien in der Regel mit der Aufgabe<br />
überfordert, umweltschonend<br />
zu forschen. Schrittmacher für<br />
Verbesserungen finden Kraft und<br />
Ideen in Netzwerken, wie sie der<br />
<strong>DAAD</strong> initiiert. Die Frühjahrsschulen<br />
bilden entsprechende Knotenpunkte.<br />
Ingesamt meldeten sich<br />
in diesem Jahr 600 Alumni für<br />
die vier Frühjahrsschulen an. Der<br />
<strong>DAAD</strong> war vom großen Ansturm<br />
überrascht und wählte hundert<br />
Teilnehmer aus. „Wir werden<br />
Nachhaltigkeit künftig zu einem<br />
Wir-Gefühl: Afrikanisches Netzwerk<br />
unterstützt angehende Führungskräfte<br />
festen Tagesordnungspunkt aller<br />
unserer Alumni-Treffen machen“,<br />
sagt Referatsleiter Cay Etzold. JW<br />
Foto: <strong>DAAD</strong>/Adelmann<br />
nische Vereinigung eine Lösung<br />
für die Probleme des Kontinents<br />
bietet. „Die Aushandlung von<br />
Kompromissen im Gespräch ist<br />
eine unverzichtbare Fähigkeit für<br />
die kommenden Führungskräfte<br />
Afrikas und wird deshalb bei den<br />
Seminaren auch im Skills Training<br />
geübt“, sagt Andreas Hettiger,<br />
der beim <strong>DAAD</strong> das AGGN<br />
koordiniert.<br />
Das Seminar war angebunden an<br />
die dritte „European Conference<br />
on African Studies“. Die AGGN-<br />
Mitglieder hatten dort Gelegenheit,<br />
Kontakte zu europäischen<br />
und afrikanischen Wissenschaftlern,<br />
Journalisten, Politikern sowie<br />
Entwicklungshilfeorganisationen<br />
zu knüpfen. <br />
cho<br />
Neue Mobilitätsstudie<br />
Auslandsstudium<br />
kommt zu kurz<br />
Bachelor- und Masterstudierende<br />
haben kaum Zeit für ein<br />
Auslandssemester. Das zeigt<br />
eine neue Studie des Hochschul-<br />
Informations-Systems (HIS), die<br />
auf der dritten Fachkonferenz „go<br />
out! studieren weltweit“ in Berlin<br />
vorgestellt wurde. Zwar stieg<br />
die Auslandsmobilität von 2007<br />
bis <strong>2009</strong> um drei Prozentpunkte<br />
auf 26 Prozent, doch trügt dieser<br />
Schein, was Bachelor- und Masterstudiengänge<br />
angeht: Ins Ausland<br />
wechselten vor allem diejenigen,<br />
die noch einen Studiengang mit<br />
den Abschlüssen Diplom, Magister<br />
oder Staatsexamen besuchen.<br />
„Diese Studierenden befinden<br />
sich bereits in höheren Fachse-<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
<strong>DAAD</strong> 39<br />
mestern, in denen traditionell<br />
der Anteil der Auslandsmobilität<br />
höher liegt“, relativiert Claudius<br />
Habbich vom <strong>DAAD</strong> das Ergebnis<br />
der Studie.<br />
Das Ziel des <strong>DAAD</strong> und des<br />
Bundesministeriums für Bildung<br />
und Forschung (BMBF), dass jeder<br />
zweite Studierende eine Zeit<br />
im Ausland verbringen soll, kann<br />
wegen des Zeitdrucks im Bachelor-Master-System<br />
schwerer umgesetzt<br />
werden. Deshalb will der<br />
<strong>DAAD</strong> künftig bereits bei Schülern<br />
für einen Auslandsaufenthalt<br />
während des Studiums werben<br />
und sich stärker für integrierte<br />
Studiengänge mit ausländischen<br />
Hochschulen einsetzen. JW<br />
Foto: <strong>DAAD</strong>/Reiner Zensen<br />
Projektion in Peking<br />
Mit Kunst hoch hinaus<br />
Öl auf Leinwand war gestern: Der<br />
junge deutsche Künstler Tobias<br />
Zaft arbeitet mit Lichtprojektionen<br />
auf Hochhausfassaden. Derzeit<br />
erstrahlt ein Kunstwerk des<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten von einem<br />
107 Meter hohen Bürokomplex<br />
an einem viel befahrenen Autobahnring<br />
mitten in Peking. Überdimensionale<br />
Hände spielen auf<br />
der größten LED-Fläche der Stadt<br />
„Schere, Stein, Papier“ – ein international<br />
beliebtes Zufallsspiel,<br />
das ohne Sprache auskommt und<br />
überall verstanden wird.<br />
Der interkulturelle Dialog reizt<br />
Tobias Zaft, der 2007 mit einem<br />
Graduiertenstipendium des <strong>DAAD</strong><br />
nach Peking kam und in der<br />
chinesischen Hauptstadt blieb.<br />
„Ich schöpfe viel Inspiration aus<br />
meinen alltäglichen Erfahrungen<br />
in China“, sagt der 27-jährige<br />
Künstler. Und die Chinesen sind<br />
begeistert: Tobias Zaft steht schon<br />
in den Startlöchern für weitere<br />
Projekte im öffentlichen Raum der<br />
chinesischen Hauptstadt. JW<br />
Indische Praktikanten<br />
Schnupperforschung<br />
„Die Arbeit ist straff organisiert,<br />
und die Bahnen fahren unglaublich<br />
pünktlich.“ Das sagt Mayur<br />
Vaidya spontan, wenn man<br />
ihn nach seinen Erfahrungen in<br />
Deutschland fragt. Dabei ist der<br />
Erleben Deutschland: Indische Forschungspraktikanten lernen Land und Labore kennen<br />
Ingenieurstudent vom Indian Institute<br />
of Technology (IIT) Madras<br />
erst wenige Wochen in Deutschland.<br />
Er ist einer von 220 jungen<br />
Inderinnen und Indern, die in diesem<br />
Sommer ein zwei- bis dreimonatiges<br />
Forschungspraktikum<br />
an verschiedenen Universitäten<br />
und Instituten Deutschlands absolvieren.<br />
Der <strong>DAAD</strong> finanziert diesen<br />
Austausch im so genannten WISE-<br />
Programm – das steht für „Working<br />
Internship in Science and<br />
Engineering“. Es ist Teil des im<br />
vorigen Jahr initiierten und vom<br />
Bundesforschungsministerium<br />
finanzierten Programms „A New<br />
Passage to India“, mit dem der<br />
Austausch mit Indien intensiviert<br />
werden soll.<br />
Die Praktikanten, die daheim<br />
im dritten oder vierten Jahr an<br />
einem der indischen Top-Institute<br />
studieren, sind bei ihrer Arbeit<br />
in Deutschland eng in ein Forschungsprojekt<br />
eingebunden und<br />
werden dabei von Doktoranden<br />
betreut. Das Praktikum wird in<br />
Indien als Teil ihres Studiums anerkannt.<br />
„In der Forschung kann<br />
man nur durch internationale<br />
Zusammenarbeit zu Lösungen<br />
kommen“, sagte Vaidya, der eine<br />
Karriere als Materialwissenschaftler<br />
anstrebt, bei einem Treffen aller<br />
Praktikanten in Berlin. „Deshalb<br />
möchte ich schon früh wissen, wie<br />
man in anderen Ländern forscht –<br />
und auch, wie man dort lebt.“ Llo<br />
PROFIN-Programm<br />
Integration statt Betreuung<br />
Ausländische Studierende müssen<br />
in Deutschland häufig Barrieren<br />
überwinden, um in einer<br />
Hochschule integriert zu werden.<br />
Das wurde auf der Auftaktkonferenz<br />
zum <strong>DAAD</strong>-Programm zur<br />
Förderung der Integration ausländischer<br />
Studierender (PRO-<br />
FIN) in Bonn erneut deutlich.<br />
Das neue Programm<br />
fördert Projekte, die über<br />
die reine Betreuung hinausgehen.<br />
„Der Schwerpunkt<br />
liegt auf Integration –<br />
und damit ist die Hochschule als<br />
Ganzes gefragt“, sagt Judith Peltz<br />
vom <strong>DAAD</strong>. „Wir haben deshalb<br />
Projekte ausgewählt, bei denen<br />
sich auch deutsche Studierende<br />
einbringen.“<br />
Die Fachhochschule Hannover<br />
beispielsweise plant für das Wintersemester<br />
<strong>2009</strong>/2010 ein dreiwöchiges<br />
Propädeutikum für ausländische<br />
und deutsche Studienanfänger.<br />
Sie werden an ihre neue<br />
Lernumgebung herangeführt und<br />
erfahren zum Beispiel, wie man<br />
sich in Seminaren verhält. Auch<br />
fachliche Vorkenntnisse werden<br />
harmonisiert – wer bringt welche<br />
Fertigkeiten mit? „Die Studierenden<br />
sollen sich gegenseitig als<br />
kompetent wahrnehmen“, sagt<br />
die Projektkoordinatorin Rosita<br />
Frei vom Internationalen Büro der<br />
FFH. Sämtliche PROFIN-Projekte<br />
sind als Modell für andere Hochschulen<br />
gedacht und sollen möglichst<br />
viele Nachahmer finden.<br />
<br />
boh<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
40<br />
DaaD<br />
Alumni-Treffen<br />
Premiere und Perspektiven<br />
Jedes Jahr fördert der <strong>DAAD</strong> etwa<br />
140 Armenier mit einem Studienoder<br />
Forschungsstipendium. Seit<br />
dem Ende der Sowjetunion ist<br />
die Zahl der Alumni mit Deutschlanderfahrung<br />
auf über 1300<br />
angewachsen. Auf dem ersten<br />
Alumni-Treffen in Eriwan Mitte<br />
termine<br />
12./13. September <strong>2009</strong><br />
Symposium zur Frankfurter<br />
Buchmesse<br />
Im Oktober <strong>2009</strong> ist China Ehrengast<br />
auf der größten Buchmesse<br />
der Welt. Der <strong>DAAD</strong> ist Mitorganisator<br />
eines Symposiums zum<br />
Thema „China in der Welt“.<br />
16. bis 19. September <strong>2009</strong><br />
Jahreskonferenz der EAIE<br />
in Madrid<br />
Auf der Bildungsmesse zur 21.<br />
Jahreskonferenz der European<br />
Association for International Education<br />
(EAIE) ist Deutschland<br />
erstmals mit einem Länderpavillon<br />
vertreten, in dem sich der<br />
<strong>DAAD</strong> und deutsche Hochschulen<br />
vorstellen.<br />
www.eaie.org/conference<br />
Mai – zu den Gästen zählten<br />
der armenische Bildungsminister<br />
Armen Ashotyan und<br />
die deutsche Botschafterin<br />
Andrea Wiktorin – tauschten<br />
sich die ehemaligen Stipendiaten<br />
mit deutschen Experten<br />
aus. Neueste Entwicklungen<br />
in den Agrar-, Sozial- und Naturwissenschaften<br />
sowie der<br />
Germanistik standen ebenso<br />
auf der Tagesordnung wie<br />
künftige gemeinsame Wege<br />
in Wissenschaft und Forschung.<br />
Dieses Thema griff<br />
auch <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />
Christian Bode im Gespräch<br />
mit Vertretern von Ministerien<br />
und Hochschulen auf.<br />
Bode, der Armenien zum<br />
ersten Mal besuchte, lud Bildungsminister<br />
Ashotyan im<br />
Herbst zu einer Informationsreise<br />
nach Deutschland ein.<br />
Der fachliche Austausch mit<br />
deutschen Experten stand auch im<br />
Mittelpunkt des Alumni-Treffens<br />
in Shenyang, China. Thema war<br />
der Strukturwandel Chinas, insbesondere<br />
in den nordöstlichen<br />
Provinzen, wo sich Schwerindustriezentren<br />
des Landes befinden.<br />
Mit großem Interesse folgten die<br />
17. bis 25. Oktober <strong>2009</strong><br />
China Education Expo (CEE)<br />
<strong>DAAD</strong> und deutsche Hochschulen<br />
präsentieren sich auf der chinesischen<br />
Bildungsmesse in Peking,<br />
Wuhan und Shanghai.<br />
www.chinaeducationexpo.com<br />
12. bis 14. November <strong>2009</strong><br />
Education and Career<br />
in Moskau<br />
Der <strong>DAAD</strong> beteiligt sich an der<br />
größten internationalen Bildungsmesse<br />
Russlands.<br />
14./15. November <strong>2009</strong><br />
Messe des Alumniportals<br />
in Jakarta<br />
Unter dem Motto „Erfolge verbinden“<br />
treffen sich indonesische<br />
Deutschland-Alumni des <strong>DAAD</strong><br />
Foto: privat<br />
Teilnehmer zum Beispiel den<br />
deutschen Berichten über alte Industriebauten<br />
im Ruhrgebiet, die<br />
heute für Kultur- und Freizeitaktivitäten<br />
genutzt werden. Die Revitalisierung<br />
von Industriegeländen<br />
in China, Lebensqualität und Umweltprobleme<br />
wurden ebenfalls<br />
debattiert. Das Fachseminar war<br />
das vierte Alumni-Seminar unter<br />
dem Titel „Stadtmodernisierung<br />
und Lebensqualität“, im Rahmen<br />
einer deutsch-chinesischen Veranstaltungsreihe.<br />
Der Aufbau eines Ostsee-Raums<br />
für Bildung und Forschung beschäftigte<br />
<strong>DAAD</strong>-Alumni aus Estland<br />
und Finnland während ihres<br />
und wollen ihr Netzwerk stärken:<br />
Es geht um die Rolle der Alumni<br />
in der indonesischen Wirtschaft<br />
und Bildung. Im Anschluss präsentieren<br />
sich Unternehmen und<br />
Institutionen, die Interesse am Potenzial<br />
der Alumni haben.<br />
18. bis 19. November <strong>2009</strong><br />
Improve! <strong>2009</strong> in Köln<br />
Die europäische Messe für Innovation<br />
im Hochschulbereich mit Begleitkongress<br />
ist das erste gesamteuropäische<br />
Forum dieser Art.<br />
Entscheider und Anwender aus<br />
den Hochschulen sowie Anbieter<br />
von Produkten und Dienstleistungen<br />
für Lehre, Forschung und<br />
Verwaltung im Hochschulbereich<br />
tauschen sich aus. Der <strong>DAAD</strong> ist<br />
Partner.<br />
dreitägigen Treffens Ende Mai im<br />
finnischen Helsinki. Mehr als 120<br />
Ehemalige konnten der Rektor der<br />
Universität Helsinki, Thomas Wilhelmsson,<br />
selbst <strong>DAAD</strong>-Alumnus,<br />
und <strong>DAAD</strong>-Vizepräsident Max Huber<br />
begrüßen. In Workshops und<br />
Podiumsdiskussionen erörterten<br />
die Teilnehmer, wie dieser Bildungsraum<br />
funktionieren könnte<br />
und wie die Kooperation in Forschung<br />
und Lehre weiter vertieft<br />
werden kann. Zum Abschluss lud<br />
der deutsche Botschafter Wilfried<br />
Grolig in seine Residenz. Dort<br />
stellten die Alumni-Vereine aus<br />
Estland und Finnland ihre Arbeit<br />
vor.<br />
cho<br />
Alumni in Shenyang: kulinarische Erinnerungen an Deutschland<br />
20. bis 22. November <strong>2009</strong><br />
Expolingua in Berlin<br />
Zum 22. Mal öffnet die Internationale<br />
Messe für Sprachen und<br />
Kulturen ihre Pforten.<br />
www.expolingua.com<br />
21. Nov. bis 1. Dez. <strong>2009</strong><br />
EuroPosgrados in Mexiko<br />
und Kolumbien<br />
Interessenten können sich in der<br />
mexikanischen Hauptstadt und<br />
in Monterrey über ein Studium<br />
in Europa informieren. Danach<br />
zieht die Messe weiter in die kolumbianischen<br />
Städte Bogotá und<br />
Medellín.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
<strong>DAAD</strong> 41<br />
Köpfe<br />
Davon hätte Soňa Žáčková nie<br />
zu träumen gewagt: Dass sie<br />
einmal mit dem deutschen Außenminister<br />
gemeinsam auf einer<br />
Bühne stehen würde – und das<br />
auf dem Wenzelsplatz mitten in<br />
Prag. Minister Frank-Walter Steinmeier<br />
überreichte dort der jungen<br />
Tschechin den <strong>DAAD</strong>-Preis <strong>2009</strong>.<br />
Der Anlass war hochpolitisch: Am<br />
Abend des 1. Juni startete Steinmeier<br />
in Prag eine „Dankestour“<br />
durch Osteuropa, mit der er an<br />
den Mauerfall vor 20 Jahren und<br />
die Hilfe der Osteuropäer bei der<br />
deutschen Wiedervereinigung erinnerte.<br />
Denn im September 1989<br />
ließ die damalige Tschechoslowakei<br />
4 000 DDR-Flüchtlinge, die<br />
in der bundesdeutschen Botschaft<br />
in Prag Schutz gesucht hatten, in<br />
den Westen ausreisen.<br />
Bei der Gedenkfeier auf dem<br />
Wenzelsplatz hielt Steinmeier<br />
eine Rede und überreichte der jungen<br />
Tschechin den Preis, für den<br />
sie von der Handelshochschule<br />
Leipzig (HHL) ausgewählt worden<br />
war. Die Auszeichnung vergibt der<br />
<strong>DAAD</strong> jährlich an ausländische<br />
Studierende für besonders gute<br />
Leistungen und soziales Engagement<br />
an ihrer deutschen Hochschule.<br />
Soňa Žáčková studiert –<br />
nach ihrem Wirtschaftsstudium in<br />
Prag – zurzeit im Masterprogramm<br />
„International Management“ der<br />
HHL. 1989 war Soňa fünf Jahre alt.<br />
An die Ereignisse von 1989 könne<br />
sie sich nicht erinnern, sagt sie.<br />
„Ich bin froh, dass ich im neuen<br />
Europa aufgewachsen bin und die<br />
alte Zeit nicht erlebt habe.“ Sehr<br />
gefreut hat sie allerdings, dass<br />
sie dem historischen Jubiläum die<br />
Begegnung mit dem deutschen<br />
Außenminister zu verdanken hat.<br />
Ihn findet sie „sehr sympathisch<br />
und charismatisch“. Llo<br />
Der amerikanische Bestseller-<br />
Autor Richard Powers („Vom<br />
Klang der Zeit”, „Das Echo der<br />
Erinnerung”) zählt zu den bekanntesten<br />
Schriftstellern seines<br />
Landes, fühlt sich aber nach wie<br />
vor an der Universität besonders<br />
wohl. Von seiner Heimatuniversität<br />
in Illinois kam er im Sommersemester<br />
<strong>2009</strong> als Samuel<br />
Fischer-Gastprofessor an die Freie<br />
Universität (FU) Berlin. Diese<br />
Gastprofessur wird vom <strong>DAAD</strong><br />
mitgetragen.<br />
Powers’ Seminar für die Berliner<br />
Studenten stand unter dem Thema<br />
„Factitious Fiction, Fictitious Fact“<br />
und behandelte ein besonderes<br />
literarisches Verfahren, das zum<br />
Markenzeichen des Autors geworden<br />
ist: die kunstvolle Verschränkung<br />
von Fiktion und Fakten.<br />
Dabei geht es Powers stets um gewichtige<br />
gesellschaftliche Themen<br />
wie Neurowissenschaften, Rassenprobleme<br />
oder Genforschung.<br />
Als Professor zeigte sich Powers<br />
vom „Engagement und<br />
der Sprachfertigkeit“ der FU-<br />
Studenten stark beeindruckt. Als<br />
prominenter Schriftsteller war<br />
er während seines Deutschlandaufenthalts<br />
auch außerhalb der<br />
Universität präsent: Er las für die<br />
Berliner aus seinen Werken und<br />
diskutierte in Bonn über „Glück<br />
und Gene“. Die Themenwahl war<br />
Foto: ullstein bild B. Friedrich<br />
kein Zufall, denn eine mit einem<br />
„Glücks-Gen“ gesegnete Frau<br />
steht im Mittelpunkt des neuen<br />
Romans „Generosity“, der im Oktober<br />
gleichzeitig in Deutschland<br />
und den USA erscheinen wird. ors<br />
Der Psychologe Jürgen Margraf<br />
(53), führender Experte<br />
in der klinischen Psychologie und<br />
der Psychotherapie, hat sich besonders<br />
mit den Ursachen und der<br />
Therapie von Panik- und Angststörungen<br />
beschäftigt. Dafür wurde<br />
der Wissenschaftler jetzt von der<br />
Alexander von Humboldt-Stiftung<br />
mit einer Humboldt-Professur<br />
ausgezeichnet.<br />
Bei seinen Forschungen konnte<br />
Margraf nachweisen, dass<br />
Panikstörungen von ganz eigenständigen<br />
subjektiven, psychologischen<br />
und physiologischen Faktoren<br />
ausgelöst werden können.<br />
So fand er den Ansatz für neue<br />
psychotherapeutische Verfahren<br />
zur Behandlung dieser Krankheiten.<br />
Margrafs neuere Forschungen<br />
widmen sich Vorbeugemaßnahmen<br />
gegen psychische<br />
Erkrankungen.<br />
Margraf, der sich 1983/84 als<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiat in Stanford/USA<br />
aufhielt und seit 1999 als Ordinarius<br />
für Klinische Psychologie und<br />
Psychotherapie an der Universität<br />
Basel (Schweiz) tätig ist, will nun<br />
als Humboldt-Professor an der<br />
Ruhr-Universität Bochum ein Forschungs-<br />
und Behandlungszentrum<br />
für psychische Gesundheit<br />
aufbauen. Der mit bis zu fünf Millionen<br />
Euro dotierte internationale<br />
Preis ermöglicht herausragenden<br />
Forschern die langfristige Arbeit<br />
an deutschen Universitäten. Seit<br />
2008 werden jährlich zehn Wissenschaftler<br />
ausgezeichnet. ors<br />
Foto: Volker Stößel/HHL<br />
Foto: Mike Wolff<br />
Sonǎ Žáčková mit Außenminister<br />
Steinmeier in Prag<br />
Wissenschaftler träumen davon,<br />
etwas ganz Neues zu<br />
entdecken. Emad Flear Aziz Bekhit<br />
ist das bereits während seiner<br />
Promotion in Berlin gelungen. Am<br />
Helmholtz-Zentrum für Materialien<br />
und Energie (Adlershof) entwickelte<br />
er das „Liquidrom“: eine<br />
Experimentierkammer, in der<br />
erstmals wässerige Substanzen<br />
im Hochvakuum spektroskopisch<br />
analysiert werden können. Der<br />
30-jährige Ägypter untersuchte<br />
zum Beispiel die Sauerstoffaufnahme<br />
von Hämoglobin unter<br />
physiologischen Bedingungen. So<br />
eröffnete er der Spektroskopie<br />
ganz neue Möglichkeiten. Bekhit<br />
wurde dafür gleich zweimal ausgezeichnet:<br />
2008 erhielt er den<br />
„Ernst-Eckhard-Koch-Preis“ und<br />
<strong>2009</strong> den mit 3 000 Euro dotierten<br />
„Dissertationspreis Adlershof“.<br />
Mit einem Stipendium des <strong>DAAD</strong><br />
war der ehemalige Chemie-Student<br />
der Universität Kairo 1999<br />
nach Berlin gekommen und für<br />
das Master- und Promotionsstudium<br />
hierher zurückgekehrt. Heute<br />
leitet er am Helmholtz-Zentrum<br />
eine eigene Arbeitsgruppe und<br />
lockt mit seinem „Liquidrom“,<br />
das von der Medizin bis zur Solarforschung<br />
einsetzbar ist, in- und<br />
ausländische Forscher verschiedenster<br />
Sparten nach Adlershof.<br />
<br />
kj<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09
42<br />
<strong>DAAD</strong><br />
Bücher von<br />
unseren Lesern<br />
Weisheit der Athener<br />
2500 Jahre auf dem Buckel und<br />
doch jung und dynamisch – die<br />
griechische Hauptstadt Athen<br />
hält für ihre Besucher viele Überraschungen<br />
bereit. Von ihnen<br />
berichtet Ellen Katja Jaeckel in<br />
ihrem Buch „Der Sandalenpoet<br />
tanzt niemals in der Metro“. Ihre<br />
Streifzüge durch die Stadt und<br />
ihre Begegnungen mit deren Einwohnern<br />
vermitteln dem Leser<br />
authentische Eindrücke von athenischer<br />
Lebensart und Weisheit.<br />
Die Autorin, von Haus aus Romanistin<br />
und Komparatistin, hat<br />
als <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin an der<br />
Universität Tours, Frankreich,<br />
studiert und ist seit 2005 Leiterin<br />
des <strong>DAAD</strong>-Informationszentrums<br />
in Athen. Die Mittelmeer-Spezialistin<br />
hat bereits Bücher über<br />
Neapel, die Côte d’Azur und Kreta<br />
geschrieben.<br />
Ellen Katja Jaeckel: Der Sandalenpoet<br />
tanzt niemals in der Metro.<br />
Athener Weisheiten. Picus Lesereisen<br />
<strong>2009</strong><br />
Sicht der Migranten<br />
Migrationsliteratur als Spiegel für<br />
die deutsche und niederländische<br />
nationale Befindlichkeit? Die Literaturwissenschaftlerin<br />
Liesbeth<br />
Minnaard hat dies zum Thema<br />
ihrer Dissertation gemacht, die<br />
jetzt unter dem Titel „New Germans,<br />
New Dutch“ erschienen<br />
Menschen in Athen, hier<br />
in der Metrostation<br />
Foto: flickr.com<br />
ist. Die Niederländerin, die als<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiatin an der Europa-<br />
Universität Viadrina in Frankfurt<br />
(Oder) geforscht hat, promovierte<br />
2007 an der Universität Trier und<br />
arbeitet heute als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an der Universität<br />
Leiden (Niederlande).<br />
In ihrem Buch beschäftigt sie<br />
sich mit Werken der türkischdeutschen<br />
Schriftsteller Emine<br />
Sevgi Özdamar und Feridun Zaimoglu<br />
und der marokkanischniederländischen<br />
Autoren Abdelkader<br />
Benali und Hafid Bouazza.<br />
Ein wichtiger Aspekt sind dabei<br />
die polarisierenden Diskussionen<br />
über Themen wie Multikulturalität<br />
oder „deutsche Leitkultur“.<br />
Minnaard gelingt – durch die Sicht<br />
der Migranten – ein aufschlussreicher<br />
deutsch-niederländischer<br />
Vergleich.<br />
Der Tempel Todai-ji ist<br />
das größte buddhistische<br />
Bauwerk in Japan und<br />
ganz Ostasien<br />
Foto: flickr.com<br />
Liesbeth Minnaard: New Germans,<br />
New Dutch. Literary Interventions.<br />
Amsterdam University<br />
Press <strong>2009</strong><br />
Geschichte der Japaner<br />
Die Grundlagen des modernen<br />
Japans bringt der neue Roman<br />
von Dierk Stuckenschmidt seinen<br />
Lesern nahe. In „Todai-ji oder Des<br />
Alexios von Dor lange Reise nach<br />
China und Japan“ nimmt der Autor<br />
seine Leser mit auf die Reise<br />
des fiktiven Helden Alexios, der<br />
im 8. Jahrhundert von Konstantinopel<br />
in das Japan der Nara-Zeit<br />
gelangt. Hier lebt und arbeitet er<br />
– in einer überraschend liberalen<br />
Gesellschaft – als Universitätsdozent<br />
und Regierungsberater.<br />
In dem historisch sorgfältig recherchierten<br />
Roman ist manches<br />
durchaus autobiografisch. Stuckenschmidt<br />
hat während seiner<br />
Tätigkeit beim <strong>DAAD</strong> (1966 – 1999)<br />
selbst viele Jahre in Japan gelebt,<br />
zunächst als Universitätslektor,<br />
dann als Leiter des <strong>DAAD</strong>-Büros<br />
Tokio, und hat das Land intensiv<br />
bereist. Er hat sich bereits in mehreren<br />
Büchern mit dem „Wunderland<br />
Japan“ befasst. Der neue<br />
Roman soll auch ins Japanische<br />
übersetzt werden.<br />
Dierk Stuckenschmidt: Todai-ji<br />
oder Des Alexios von Dor lange<br />
Reise nach China und Japan. Historischer<br />
Roman. Verlag Dieter<br />
Born <strong>2009</strong><br />
Llo<br />
Rätsel-Lösungen<br />
Die Lösung des vorigen Letter-Rätsels lautet:<br />
MAIKÄFER.<br />
Die Lösung ergibt sich aus folgenden Wörtern: Mücke,<br />
Schwalbe, Fliege, Kuh, Mäuse, Wolf, Taube, Frosch<br />
Einen Hauptpreis haben gewonnen:<br />
Ermek Baibagyshov, Naryn/Kirgisien; Mary Lyons,<br />
Clydagh Moycullen, Irland; Márta Lévai, Subotica/<br />
Serbien; Ralf Kersanach, Rio Grande/Brasilien; Emine<br />
Secer, Ankara/Türkei; Ilyana Byurchieva, Elista/Russland;<br />
Mirna Alejandra González, Monterrey/Mexiko; James<br />
Reynolds, Niagara-on-the-Lake/Kanada; Pyshyev Parahat,<br />
Mary, Turkmenistan; Deyan Yosifov, Pernik/Bulgarien<br />
Einen Trostpreis erhalten:<br />
Olli Savela, Turku/Finnland; Luis Enrique Bordon, Asunción/<br />
Paraguay; Judit Christman, Cegléd/Ungarn; Tatsiana<br />
Herrmann, Böblingen/Deutschland; Egle Aloseviciene,<br />
Kaunas/Litauen; Christian Köhler Pinzón, Santa Tecla/<br />
El Salvador; Carlos Gustavo Vilela Dias, Karlsruhe/<br />
Deutschland; Artur Zaghini Francesconi, Campinas/<br />
Brasilien; Virdjinija Pasku, Novi Beograd/Serbien;<br />
Martin Zubiria, Las Heras Mendoza/Argentinien<br />
Wer war’s?<br />
ERNST MORITZ ARNDT<br />
Einen Preis erhalten:<br />
Camelia Ratiu-Suciu, Bukarest/Rumänien; Margarita<br />
Corrales Moreno, Madrid/Spanien; Anna Konstantinova,<br />
Woronesch/Russland; Marja-Liisa Tommola, Helsinki/<br />
Finnland; Monika Steimer, Passau/Deutschland<br />
<strong>DAAD</strong> Letter<br />
Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
Herausgeber:<br />
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Redaktion: Katja Sproß (verantwortlich),<br />
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Christine Hardt, Christian Hohlfeld (cho), Hermann Horstkotte<br />
(H.H.), Dr. Klaus Hübner (Michel), Katharina Jung (kj), Katja<br />
Lüers, Bettina Mittelstraß, Horst Willi Schors (ors), Claudia<br />
Wallendorf (CW), Julia Walter (JW), Sabine Wygas<br />
Übersetzungen Abstracts: Tony Crawford<br />
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Auch nicht ausgezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall<br />
die Meinung des Herausgebers wieder.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter erscheint dreimal im Jahr.<br />
Einzelpreis 4,– Euro, Jahresabonnement 15,– Euro<br />
inklusive Porto und MwSt.<br />
Printed in Germany – Imprimé en Allemagne PVST 20357<br />
Einem Teil dieser Ausgabe liegt ein Faltblatt des<br />
<strong>DAAD</strong>-Freundeskreises bei.
Deutsche Chronik<br />
Eine Auswahl von Ereignissen, die in der Bundesrepublik Schlagzeilen machten (1. April bis 31. Juli <strong>2009</strong>)<br />
43<br />
20. April<br />
UN-Konferenz boykottiert<br />
Erstmals sagt Deutschland seine<br />
Teilnahme an einer Konferenz<br />
der Vereinten Nationen ab. Die<br />
Bundesregierung befürchtet, dass<br />
die Antirassismus-Konferenz in<br />
Genf für Attacken gegen Israel<br />
missbraucht werden könnte. Aus<br />
diesem Grund hatte die erste Weltkonferenz<br />
2001 zu dem Thema<br />
mit einem Eklat geendet.<br />
29. April<br />
Schweinegrippe kommt<br />
In Deutschland gibt es die ersten<br />
Fälle der Schweinegrippe. Das Virus<br />
wird bei einer Frau in Hamburg<br />
und zwei Männern in Bayern<br />
nachgewiesen. Alle drei waren<br />
zuvor aus Mexiko, dem Ausgangspunkt<br />
der Infektionskrankheit,<br />
heimgekehrt.<br />
13. Mai<br />
Schlechte Bank<br />
Banken können in Deutschland<br />
künftig ihre Bilanzen von wertlosen<br />
Papieren befreien. Sie geben<br />
sie an eine so genannte „Bad<br />
Bank“ ab und bekommen im Gegenzug<br />
besonders sichere Papiere<br />
zurück. Mit dem Gesetz will die<br />
Bundesregierung die Kreditvergabe<br />
wieder in Schwung bringen.<br />
23. Mai<br />
Köhler bleibt<br />
Horst Köhler (CDU) bleibt Bundespräsident.<br />
Der Amtsinhaber<br />
erhielt im ersten Wahldurchgang<br />
die notwendigen 613 Stimmen der<br />
Bundesversammlung. Mitbewerberin<br />
Gesine Schwan (SPD) kam<br />
auf 503 Stimmen. Auf den Schauspieler<br />
Peter Sodann, Kandidat<br />
der Linken, entfielen 91 Stimmen.<br />
Erstmals Meister<br />
Der VfL Wolfsburg ist deutscher<br />
Fußballmeister. Es ist der erste<br />
Meistertitel für die Überraschungsmannschaft,<br />
die Rekordsieger<br />
Bayern München auf den<br />
zweiten Platz verwies.<br />
26. Mai<br />
Schnellster Rechner Europas<br />
Das Forschungszentrum Jülich<br />
nimmt mit „Jugene“ einen neuen<br />
Superrechner in Betrieb. Er schafft<br />
eine Billiarde Rechenoperationen<br />
in einer Sekunde. Das entspricht<br />
der Leistung von gut 50 000 PCs.<br />
Damit ist „Jugene“ der schnellste<br />
Rechner Europas.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09<br />
Foto: Henry Ripke Architekten<br />
Gestrichen: Das Dresdner Elbtal gehört wegen der Waldschlösschenbrücke nicht mehr zum Weltkulturerbe<br />
7. Juni<br />
Wahldebakel für SPD<br />
Bei der Europa-Wahl erhält die<br />
CDU/CSU trotz deutlicher Verluste<br />
mit 37,9 Prozent die meisten<br />
Stimmen. Die SPD kommt auf 20,9<br />
Prozent, so wenig wie nie zuvor.<br />
Ihr Ergebnis fast verdoppelt hat<br />
die FDP mit nun 11 Prozent. Leichte<br />
Gewinne verzeichnen die Grünen<br />
(12,1 Prozent) und die Linke<br />
(7,5 Prozent). Die Wahlbeteiligung<br />
war mit 43,3 Prozent geringfügig<br />
höher als 2004.<br />
17. Juni<br />
Dahrendorf gestorben<br />
Der deutsch-englische Soziologe<br />
und Politiker Lord Ralf Dahrendorf<br />
ist im Alter von 80 Jahren in<br />
Köln gestorben. Er zählt zu den<br />
bedeutendsten deutschen Gesellschaftswissenschaftlern<br />
und gilt<br />
als einer der wichtigsten Vordenker<br />
der Liberalen in Europa.<br />
24. Juni<br />
Schulden in Rekordhöhe<br />
Die Bundesregierung beschließt<br />
den größten Schuldenhaushalt in<br />
der bundesdeutschen Geschichte.<br />
2010 nimmt Deutschland 86,1 Milliarden<br />
Euro an neuen Krediten<br />
auf. Bislang lag der Rekord bei<br />
40 Milliarden Euro im Jahr 1996.<br />
Grund ist die tiefste Rezession seit<br />
mehr als 60 Jahren.<br />
25. Juni<br />
Kein Weltkulturerbe mehr<br />
Die UNESCO erkennt dem Elbtal<br />
in Dresden seinen Status als<br />
Weltkulturerbe ab. Sie stört sich<br />
am Bau der Waldschlösschenbrücke<br />
über das Tal, für den sich die<br />
Dresdner bei einem Bürgerentscheid<br />
ausgesprochen hatten.<br />
30. Juni<br />
EU-Reformvertrag bestätigt<br />
Der „Vertrag von Lissabon“, der<br />
die Reform der Europäischen<br />
Union (EU) regelt, verstößt nicht<br />
gegen das deutsche Grundgesetz.<br />
Das hat das Bundesverfassungsgericht<br />
entschieden. Damit kann<br />
Deutschland den Vertrag verabschieden<br />
und muss ihn nicht mit<br />
den anderen EU-Mitgliedern neu<br />
verhandeln. Allerdings haben die<br />
Richter zur Auflage gemacht, dass<br />
zunächst die Zusammenarbeit<br />
von Bundesregierung, Bundestag<br />
und Bundesrat bei EU-Angelegenheiten<br />
neu geregelt werden muss.<br />
6. Juli<br />
Erste Tapferkeitsorden<br />
Vier Bundeswehrsoldaten erhalten<br />
die neue deutsche Tapferkeitsmedaille.<br />
Sie hatten sich im<br />
Oktober 2008 nach einem Selbstmordanschlag<br />
in Afghanistan<br />
unter Lebensgefahr um verletzte<br />
Kameraden gekümmert. Es ist das<br />
erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg,<br />
dass Deutschland Soldaten<br />
auf diese Weise auszeichnet.<br />
9. Juli<br />
Streit um ehemalige Spitzel<br />
Etwa 17 000 ehemalige Mitarbeiter<br />
des früheren DDR-Geheimdienstes<br />
arbeiten heute noch im<br />
öffentlichen Dienst der Bundesrepublik.<br />
Die hohe Zahl hat eine öffentliche<br />
Diskussion über Konsequenzen<br />
ausgelöst. Experten und<br />
ehemalige DDR-Bürgerrechtler<br />
fordern eine neue Überprüfung<br />
der Mitarbeiter. Zahlreiche Politiker<br />
halten das für unnötig.<br />
11. Juli<br />
Opel-Rettung in der Schwebe<br />
Mit dem Finanzinvestor RHJ International<br />
ist ein neuer Bieter für<br />
den angeschlagenen Autohersteller<br />
Opel im Rennen. Die Verhandlungen<br />
des amerikanischen Mutter-Konzerns<br />
General Motors mit<br />
dem Interessenten Magna sind<br />
ins Stocken geraten. Deutschland<br />
hat für die Rettung von Opel einen<br />
Kredit in Höhe von 1,5 Millionen<br />
Euro in Aussicht gestellt.<br />
12. Juli<br />
Strom aus der Wüste<br />
Zwölf deutsche Unternehmen,<br />
darunter Siemens und E.ON, wollen<br />
künftig saubere Energie in<br />
der Wüste gewinnen. Das Projekt<br />
„Desertec Industrial Initiative“<br />
plant gigantische Solaranlagen<br />
in der nordafrikanischen Wüste.<br />
Bis 2050 sollen sie 15 Prozent<br />
des europäischen Energiebedarfs<br />
decken.<br />
27. Juli<br />
Werbung auf Türkisch<br />
Mit sechsminütigen Filmen wirbt<br />
das Land Baden-Württemberg im<br />
türkischen Fernsehen für Ausund<br />
Weiterbildung in Deutschland.<br />
Erfolgreiche türkischstämmige<br />
Vorbilder erzählen in ihrer<br />
Muttersprache über ihren Werdegang<br />
in Deutschland. Die Porträts<br />
werden mit deutschen Untertiteln<br />
gezeigt und sollen türkischstämmige<br />
Familien besser über das<br />
deutsche Berufsbildungssystem<br />
informieren.<br />
www.zkm.de/agacyasikenegilir<br />
Gestorben: Lord Ralf Dahrendorf<br />
Foto: Mike Minehan