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Superwahljahr 2009 - DAAD-magazin

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nr. 2 august <strong>2009</strong>, 29.Jg.<br />

Leopoldina<br />

Deutschland hat eine Nationalakademie<br />

Bildung<br />

Arbeiterkinder kommen zu kurz<br />

Aktionsplan<br />

Den Europäischen Forschungsraum gestalten<br />

<strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong><br />

Ankreuzen und mitbestimmen


2<br />

inhalt<br />

<strong>DAAD</strong> Letter – Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />

titel:<br />

Entscheidungshilfe:<br />

Wahl-O-Mat hilft bei der Parteienauswahl<br />

S.10<br />

Dialog Seite 4<br />

Der Homer-Übersetzer Raoul Schrott im Gespräch S. 4<br />

Interview mit dem Nobelpreisträger Mario Molina S. 6<br />

<strong>DAAD</strong>-Standpunkt S. 7<br />

Spektrum Deutschland Seite 8<br />

Titel Seite 10<br />

Kleiner Akt mit großem Einfluss<br />

<strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong> S. 10<br />

Interview mit Wahlforscher Hans Rattinger S. 13<br />

Erkenntnis: Forschungszug<br />

rollt durch Deutschland<br />

S.18<br />

Hochschule Seite 14<br />

Bildung trotz „falschem Elternhaus“<br />

Arbeiterkinder studieren selten S. 14<br />

Neues vom Campus S. 16<br />

Erholung:<br />

Studieren und forschen am Bodensee<br />

S.22<br />

Wissenschaft Seite 18<br />

Spitzenforschung auf Reisen<br />

Science-Express rollt durch Deutschland S. 18<br />

Im Verein mit Darwin und Einstein<br />

Deutschland hat eine Nationale Akademie<br />

der Wissenschaften S. 20<br />

Ortstermin Seite 22<br />

Bodensee: Studieren und forschen mit Seeblick<br />

Foto: flickr.com<br />

Europa Seite 24<br />

Wegweiser zur Spitze<br />

Aktionsplan für den Europäischen Forschungsraum<br />

Extreme:<br />

Hightech und Geschichte in Taipeh<br />

S.26<br />

Arbeiten weltweit Seite 26<br />

Nicht die Fassung verlieren<br />

Business und Sozialarbeit in Taiwan<br />

Rätsel Seite 28<br />

Sprachecke Seite 29<br />

Foto: Jochen Eckel<br />

Exzellenz: Zentren für<br />

Entwicklungszusammenarbeit ausgewählt<br />

S.30<br />

Foto: Mr. Speckamp:<br />

<strong>DAAD</strong> Report Seite 30<br />

Fünf Kompetenzzentren für Entwicklungszusammenarbeit S. 30<br />

Neuer Blick auf Indien<br />

Gastprofessoren vermitteln aktuelles Wissen S. 32<br />

Gestern Stipendiatin – und heute ...<br />

Cécile Wajsbrot S. 33<br />

Stipendiaten forschen S. 34<br />

Nachrichten S. 36<br />

Köpfe S. 41<br />

Impressum S. 42<br />

Bücher von unseren Lesern S. 42<br />

Deutsche Chronik Seite 43<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


EDitoRial 3<br />

Im Juli erreichte ein Brief des <strong>DAAD</strong>-Präsidenten Professor<br />

Stefan Hormuth alle aktuellen <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten.<br />

Darin schreibt er von der Bestürzung und Trauer,<br />

mit der der <strong>DAAD</strong> von dem Mord an einer jungen<br />

Ägypterin in Dresden erfahren hat. Hintergrund: Am<br />

1. Juli wurde Marwa El-Sherbini in einem Gerichtssaal<br />

von einem Russlanddeutschen erstochen. Die junge Frau<br />

hatte den Mann angezeigt, weil er sie als Islamistin und<br />

Terroristin beleidigt hatte. In erster Instanz war der Angeklagte<br />

verurteilt worden. Der Mord geschah während<br />

des Berufungsverfahrens. Marwa El-Sherbini lebte mit<br />

ihrem Ehemann und ihrem Sohn seit drei Jahren in Dresden<br />

– ihr Mann forscht als Stipendiat der ägyptischen<br />

Regierung am Max-Planck-Institut für Zellbiologie. Der<br />

<strong>DAAD</strong>-Präsident erklärt in seinem Brief, dass der Mord<br />

für den <strong>DAAD</strong> „Alarm und Mahnung ist, rassistischen<br />

und fremdenfeindlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft<br />

jederzeit energisch entgegenzutreten. Deutschland<br />

muss, will und wird ein gastfreundliches Land<br />

bleiben. Dafür setzen wir uns durch unsere Arbeit<br />

seit vielen Jahren ein.“ Diesen Worten schließt sich<br />

die Letter-Redaktion nachdrücklich an. Den vollständigen<br />

Brief des Präsidenten können Sie lesen<br />

unter: www.daad­<strong>magazin</strong>.de/11177/index.html<br />

In einer Demokratie ist es jedem Bürger möglich,<br />

sich gegen Rassismus aufzulehnen, und<br />

jeder bestimmt die politischen Geschicke seines<br />

Landes mit: an der Wahlurne. Das Jahr<br />

<strong>2009</strong> beschert den Deutschen so viele Wahlen<br />

wie lange nicht mehr. Sie entscheiden mit ihren<br />

Stimmen, wer in Europa, wer in Deutschland,<br />

wer in ihrem Bundesland und in ihrer<br />

Stadt das Sagen hat. Zwar ist die große Anzahl<br />

von Wahlen in einem föderalen Staatssystem<br />

nichts Außergewöhnliches, aber<br />

das System strapaziert die Wähler: Immer<br />

mehr nehmen ihr Wahlrecht nicht wahr.<br />

Wie die Wahlen in Deutschland ablaufen<br />

und was Wahlforscher leisten, erfahren Sie<br />

in der Titelgeschichte (Seite 10).<br />

Manche nehmen ihre Chancen<br />

nicht wahr, andere haben keine<br />

Wahl oder nur eine eingeschränkte.<br />

Das Thema „Arbeiterkinder an Hochschulen“<br />

macht das deutlich: Wer aus<br />

einem Arbeiterhaushalt stammt, für<br />

den ist das Studium häufig keine Wahl.<br />

Gegen diesen diskriminierenden Zusammenhang<br />

zwischen Herkunft und<br />

Bildungschancen kämpft <strong>DAAD</strong>-Alumna<br />

Katja Urbatsch (Seite 14).<br />

Wie durchlässig die Bildungswege<br />

sind, ist eine wichtige gesellschaftspolitische<br />

Frage. Zu solchen Themen nimmt<br />

zunehmend auch die Akademie der Naturforscher<br />

Leopoldina Stellung, seit sie vor einem<br />

Jahr zur ersten Nationalen Akademie Deutschlands<br />

ernannt wurde. Eines ihrer jüngsten interdisziplinären<br />

Projekte galt dem gesellschaftlich<br />

brisanten Thema „Altern in Deutschland“<br />

(Seite 20).<br />

Interdisziplinär geht es auch am Bodensee zu:<br />

Die noch junge Universität Konstanz stieg unter<br />

anderem mit einem generationen- und fächerübergreifenden<br />

Zukunftskolleg in die Elite-Liga der<br />

deutschen Hochschulen auf. Wie man dort studiert<br />

und forscht, wo andere Urlaub machen, lesen Sie<br />

in unserem Beitrag über die Bodensee-Region<br />

(Seite 22).<br />

Wir wünschen viel Freude beim Lesen. Schreiben<br />

Sie uns Ihre Meinung: Briefe und E-Mails (info@<br />

trio-medien.de) sind herzlich willkommen!<br />

Der <strong>DAAD</strong> und Ihre Letter-Redaktion<br />

Abb.: axeptDESIGN<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


4 Dialog<br />

Ein Dichter<br />

provoziert<br />

Der Schriftsteller und Homer-Übersetzer<br />

Raoul Schrott über die „Ilias“, die Grenzen<br />

der Fachwissenschaft und die Bedeutung<br />

alter Sprachen heute.<br />

Herr Schrott, Sie haben sich kürzlich<br />

an der Freien Universität Berlin einem<br />

Gremium von Fachwissenschaftlern<br />

gestellt, die darum bemüht waren, Ihre<br />

Thesen von der Herkunft Homers zu<br />

erschüttern. Ein wissenschaftliches<br />

Standgericht oder Gedankenaustausch<br />

unter Gleichgesinnten?<br />

Es ist eine große Ehre für mich, wenn sich<br />

so viele Leute mit meinem Text auseinandersetzen.<br />

Das ist weit mehr wissenschaftliches<br />

Echo, als ich erwarten konnte. Mir ist klar,<br />

dass man 250 Jahre Lehrmeinung nicht von<br />

heute auf morgen über den Haufen werfen<br />

kann. Aber bisher habe ich auf keinem<br />

Kolloquium zu dem Thema – auch nicht<br />

in Berlin – etwas gehört, was meine These<br />

ausgehebelt hätte. Man trifft bei diesen Veranstaltungen<br />

auf Leute, die ganz in ihrem<br />

Spezialgebiet stecken. Zur Zeit von Homer<br />

kannte man die Aufteilung in Gräzisten,<br />

Orientalisten oder Alt-Historiker nicht. Also<br />

ist diese Unterteilung auch nicht sinnvoll,<br />

wenn man die Zeit von Homer verstehen will.<br />

Werden Sie als vergleichender<br />

Literaturwissenschaftler und Komparatist<br />

von den Fachwissenschaftlern in<br />

dieser Diskussion gelegentlich als ein<br />

Halbgebildeter beargwöhnt?<br />

Ja, das ist schon ein strukturelles Problem.<br />

Ich betreibe so etwas wie eine Oberflächenarchäologie.<br />

Ich trage Fakten zusammen, die<br />

ein neues Bild ergeben. Damit konfrontiere<br />

ich Fachwissenschaftler, die jeweils nur ihr<br />

Gebiet sehen. Das macht eine Verständigung<br />

mühsam. Wenn ich eine Vase habe, die aus<br />

zypriotischen, levantinischen, assyrischen<br />

und anatolischen Teilen besteht, und präsentiere<br />

sie einem Gräzisten – was soll der<br />

damit anfangen? Es ist letztlich ein Problem,<br />

das im 19. Jahrhundert entstand. Damals sind<br />

Foto: Isolde Ohlbaum<br />

diese Einteilungen vorgenommen worden,<br />

die heute so schwer zu überwinden sind.<br />

Vielleicht hängt die kritische, manchmal<br />

sogar feindselige Diskussion in der<br />

Fachwelt auch damit zusammen, dass der<br />

habilitierte Literaturwissenschaftler Schrott<br />

auch noch Dichter ist?<br />

Ja, das mag auch eine Rolle spielen. Hinzu<br />

kommt, dass man die “Ilias” in der Wissenschaft<br />

als alles Mögliche angesehen<br />

hat, nur nicht als Literatur. Dass da nun<br />

ein Dichter kommt und die “Ilias” als ein<br />

Stück Literatur sieht und behandelt, hat<br />

sicher auch für Irritationen gesorgt.<br />

Ist diese Diskussion zwischen Dichter<br />

und Wissenschaftler eine deutsche oder<br />

österreichische Schubladen-Diskussion,<br />

die es in anderen Ländern in dieser Form<br />

nicht gibt?<br />

Die Konkurrenz ist überall groß, aber ich<br />

bin sicher, dass man etwa in England gelassener<br />

reagieren würde. Bei uns wird<br />

eine solche Diskussion leicht sehr persönlich<br />

– so habe ich es auf jeden Fall erlebt.<br />

Ihre Thesen haben nicht nur die Fachwelt<br />

erregt, sondern auch die Öffentlichkeit sehr<br />

beschäftigt. Woher kommt das Interesse<br />

an Homer, am alten Griechenland und an<br />

alten Sprachen?<br />

Das hat etwas mit dem 18. und 19. Jahrhundert<br />

zu tun, als man in Deutschland<br />

Homer entdeckt und ihn zur Galionsfigur<br />

des deutschen Bildungsbürgertums ge-<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Dialog<br />

5<br />

die Wissenschaft<br />

Ja, das kommt absolut zu kurz. Die Beschäftigung<br />

mit einer etwas abgelegenen Sprache<br />

– abgelegen in der Zeit und im Raum – heißt<br />

Zugang zu einer Kultur zu finden, die einem<br />

sonst völlig fremd bleiben wird. Je weiter<br />

diese Kultur geografisch und zeitlich entfernt<br />

ist, umso mehr kann sie zum Vergleich für<br />

die eigene Sprache und Kultur werden.<br />

Werden Sie sich weiter mit Homer<br />

beschäftigen?<br />

Nein, jetzt haben andere Pläne Vorrang, über<br />

die ich aber noch nicht sprechen kann.<br />

Das Gespräch führte Horst Willi Schors<br />

macht hat. Nach der Nazizeit gehörten<br />

Homer und die Griechen zu den wenigen<br />

Säulen des Bürgertums, die heil geblieben<br />

waren. Das heutige Homer-Bild stammt<br />

also aus dem 19. Jahrhundert. Da das Bild<br />

vom blinden Seher als Stammvater Europas<br />

völlig anachronistisch ist, war das Bedürfnis<br />

nach einer Neubewertung sicher da.<br />

Dass diese dann solche Wellen schlägt und<br />

sich die Diskussion auf die Frage konzentrierte,<br />

ob die Türkei zu Europa gehört oder<br />

nicht, finde ich unangemessen. Es zeigt aber<br />

auch, dass die Vergangenheit schon immer<br />

ein Politikum war und durch die Gegenwart<br />

konstruiert wurde. Die “Ilias” ist schon in der<br />

Antike instrumentalisiert worden. Sie galt<br />

während der Perserkriege als literarisches<br />

Manifest für die Einigung der Griechen. Im<br />

„Oberflächen-Archäologie“: Raoul Schrott<br />

2008 in der Glyptothek in München<br />

19. Jahrhundert hatte sie dieselbe Funktion<br />

für die Einigkeit der Deutschen.<br />

Welche Erfahrungen haben Sie während<br />

Ihrer Gastprofessur mit den Studenten in<br />

Berlin gemacht?<br />

Ich denke, die Zuteilung der Studienplätze<br />

nach Abiturnoten in Deutschland birgt die<br />

Gefahr, dass man die Schüler zu Strebern erzieht.<br />

Vor diesem Hintergrund war ich ziemlich<br />

überrascht, dass die Studenten nicht nur<br />

gut waren, sondern auch sehr neugierig und<br />

offen. Das war eine sehr positive Erfahrung.<br />

Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit<br />

alten Sprachen. Würden Sie sich das<br />

auch an Gymnasien und Universitäten in<br />

Deutschland wünschen?<br />

Raoul Schrott, 1964 in Österreich geboren,<br />

wuchs in Tunis als Sohn eines Handelsvertreters<br />

auf. Er studierte Literatur- und Sprachwissenschaft<br />

in Norwich, Paris, Berlin und Innsbruck<br />

und habilitierte sich 1996 an der Universität<br />

Innsbruck. Er ist als Autor viel beachteter Romane<br />

(„Finis Terrae“, 1995, „Tristan da Cunha“, 2003)<br />

und Gedichtbände hervorgetreten und bekam<br />

zahlreiche Literaturpreise.<br />

Für großes Aufsehen sorgte er mit einer Neu-<br />

Übersetzung von Homers „Ilias“ (2008) und noch<br />

mehr mit seinem Buch über „Homers Heimat“<br />

(2008). Darin verortet er Homer als griechischen<br />

Schreiber in assyrischem Dienst am Hof von<br />

Karatepe, auf dem Gebiet der heutigen Türkei,<br />

der seine „Ilias“ aus griechischen Sagen, altorientalischen<br />

Epen und der Genesis zusammengestellt<br />

hat. Auch der Trojanische Krieg fand nach<br />

Schrotts Darstellung nicht an der berühmten<br />

Fundstätte des Archäologen Schliemann, sondern<br />

in Kilikien statt. Das klassische Abendland, so<br />

wurde die These in der Berichterstattung zugespitzt,<br />

begann also im „Morgenland“.<br />

Bei Publikum und Kritik waren beide Bücher ein<br />

Erfolg, einige Fachwissenschaftler bezeichneten<br />

Schrotts Thesen als „anregend“, die Mehrheit<br />

jedoch reagierte abweisend und warf Schrott<br />

methodische Fehler und überschäumende Phantasie<br />

vor.<br />

Im Wintersemester 2008/<strong>2009</strong> hatte Schrott<br />

die Samuel Fischer- Gastprofessur an der Freien<br />

Universität Berlin inne. Der Lehrstuhl wird seit<br />

1998 gemeinsam vom S. Fischer Verlag, dem<br />

<strong>DAAD</strong>, der Freien Universität Berlin und dem Veranstaltungsforum<br />

der Verlagsgruppe Georg von<br />

Holtzbrinck getragen.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


6 Dialog<br />

„Direkt zum Regierungschef“<br />

Der mexikanische Nobelpreisträger Mario Molina engagiert sich für<br />

Klimaschutz in seinem Heimatland<br />

Einsatz sprechen, es geht ja um den gesamten<br />

Energie- und Verkehrssektor.<br />

Trotzdem wird der Kampf gegen den Klimawandel<br />

viel weniger kosten, vielleicht<br />

ein Prozent des Welteinkommens, als die<br />

Schäden, wenn wir nichts tun. Es ist also<br />

eine gute Investition für den Planeten.<br />

Klimaschutz ist das Top-Thema der Politik<br />

weltweit. Politische Entscheidungen<br />

wären undenkbar ohne die Kenntnisse<br />

von Forschern wie Mario Molina. Der Mexikaner<br />

erhielt 1995 gemeinsam mit zwei<br />

Kollegen den Chemie-Nobelpreis, weil sie<br />

die Entstehung des Ozonlochs enträtselt<br />

hatten. Molina war 1965/66 <strong>DAAD</strong>-Stipendiat<br />

in Freiburg und forscht heute am Massachusetts<br />

Institute of Technology (MIT).<br />

Zurzeit berät er die Regierung seines eigenen<br />

Landes bei einem Low-Carbon-Plan,<br />

der Mexiko-Stadt zu besserer Luft verhelfen<br />

soll. Dazu äußerte er sich im Juni in<br />

einem Interview mit der Süddeutschen<br />

Zeitung.<br />

SZ: Professor Molina, was kann ein Low-<br />

Carbon-Plan in Mexiko-Stadt bewirken?<br />

Sie ist berüchtigt für ihren Smog, der durch<br />

Millionen alte Lastwagen, Taxis, Busse und<br />

Autos entsteht.<br />

Molina: Wir sind das erste Entwicklungsland,<br />

das überhaupt einen solchen Plan aufstellt.<br />

Es geht darum, wirtschaftliches Wachstum zu<br />

ermöglichen, bei dem nur wenig Kohlenstoff<br />

aus Quellen wie Erdöl verbrannt wird. Wir<br />

fangen an mit der Energieeinsparung im<br />

Verkehr. Da gibt es Projekte, die eigentlich<br />

nichts kosten und bei denen alle gewinnen.<br />

Maßnahmen, die der Wirtschaft und dem<br />

Klima helfen. Tief hängende Trauben also.<br />

SZ: Was machen Sie zum Beispiel?<br />

Molina: Wir haben Standards für den Benzinverbrauch<br />

von Autos, und gleichzeitig<br />

überwachen wir die Verkehrssituation. Wenn<br />

wir striktere Regeln für Abgase und vor allem<br />

den Rußausstoß der Dieselmotoren durchsetzen,<br />

dann hilft das mehrere Probleme<br />

gleichzeitig zu lösen, denn auch die Luft wird<br />

besser. Sie ist schon besser geworden, obwohl<br />

die Autoflotte gewachsen ist. Die ältesten Autos<br />

dürfen nicht mehr auf die Straße zurück,<br />

wenn sie bei der Inspektion durchfallen.<br />

SZ: Geht es bei Ihrem Plan vor allem um<br />

den Verkehr?<br />

Molina: Nein, wir wollen auch bei der<br />

Stadtplanung mitreden und versuchen zu<br />

verhindern, dass weit außerhalb der Metropole<br />

neue Wohngebiete erschlossen werden,<br />

deren Bewohner dann pendeln müssen.<br />

Und neue Gebäude sollen energieeffizient<br />

gebaut werden, wobei das Warmwasser zum<br />

Beispiel mit Sonnenenergie erzeugt wird.<br />

SZ: Gibt es Widerstand von der Öl-<br />

Industrie gegen Ihren Plan?<br />

Molina: Nein, die Pemex ist zum Glück ein<br />

Monopolbetrieb und wird vom Staat kontrolliert.<br />

Es geht ja darum, den wichtigen<br />

Rohstoff Öl weiter zu nutzen, aber effektiver.<br />

SZ: Nach den tiefhängenden Trauben<br />

werden Sie Maßnahmen ergreifen müssen,<br />

die etwas kosten.<br />

Molina: Nun, erst kommen Änderungen, die<br />

kostenneutral sind. Für die dritte Kategorie<br />

hoffen wir auf Hilfe im Rahmen eines internationalen<br />

Klimaabkommens. Dann müssten<br />

uns die industrialisierten Staaten Geld zur<br />

Verfügung stellen, das wir zusammen mit<br />

eigenen Mitteln nutzen, um neue Technologie<br />

zu bezahlen. Dafür gibt es schon ein Beispiel:<br />

Das Montreal-Protokoll sah einen Fonds vor,<br />

der ärmeren Ländern beim Ausstieg aus der<br />

Produktion von Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen<br />

half. Der hat sehr gut funktioniert.<br />

SZ: Das Montreal-Protokoll ist Ihnen<br />

besonders nahe, weil es ein Abkommen<br />

zum Schutz der Ozonschicht ist. Aber<br />

kann man das mit der heutigen Situation<br />

vergleichen, mit einem Vertrag über die<br />

Reduktion von Treibhausgasen?<br />

Molina: Das Problem beim Klimawandel<br />

ist, dass wir über einen viel breiteren<br />

SZ: Gibt es über solche Fragen einen<br />

Dialog zwischen den Schwellenländern,<br />

also mit Brasilien, China und Indien?<br />

Molina: Ja, das ist ein Teil der Strategie:<br />

Mexiko ist vorausgegangen, aber<br />

wir sprechen mit anderen Ländern. Wir<br />

haben uns sogar verpflichtet, unsere<br />

Emissionen bis zum Jahr 2050 zu halbieren.<br />

So viel verlangen wir nicht von den<br />

Entwicklungsländern, die uns folgen. Sie<br />

sollen nur einen Plan für wirtschaftliches<br />

Wachstum mit geringem Kohlenstoffverbrauch<br />

aufstellen, an den sie sich halten.<br />

SZ: In Mexiko leben viele Menschen in<br />

Armut. Sehen Sie einen Widerspruch<br />

zwischen dem Kampf gegen den<br />

Klimawandel und dem gegen Armut?<br />

Molina: Wenn wir nicht gegen die Risiken<br />

kämpfen, die der Klimawandel<br />

birgt, können wir auch nicht gegen die<br />

Armut angehen. Dazu brauchen wir eine<br />

funktionierende, effektive Wirtschaft.<br />

SZ: Hilft Ihnen eigentlich der Nobelpreis,<br />

damit Ihnen die Leute zuhören?<br />

Molina: Der Preis hat mir Macht gegeben,<br />

Treffen zu arrangieren, mit den<br />

entscheidenden Leuten zu reden. Das<br />

Problem des Klimawandels ist so wichtig<br />

und die Zeit so knapp, da muss man<br />

direkt zum Regierungschef gehen.<br />

Interview: Christopher Schrader<br />

Der Text des Interviews ist aus der Süddeutschen<br />

Zeitung vom 4. Juni <strong>2009</strong> nachgedruckt.<br />

Foto: ullstein bild aslu


Dialog<br />

7<br />

Foto: Eric Lichtenscheidt<br />

Dr. Christian Bode ist<br />

Generalsekretär des <strong>DAAD</strong><br />

<strong>DAAD</strong>-Standpunkt<br />

Vor zehn Jahren unterzeichneten im italienischen<br />

Bologna die Bildungsminister aus<br />

30 europäischen Ländern eine gemeinsame<br />

Erklärung, mit der sie bis 2010 einen attraktiven<br />

und weltweit wettbewerbsfähigen europäischen<br />

Hochschulraum schaffen wollten.<br />

Grenzenlose Mobilität, ein zweistufiges Studiensystem<br />

mit vergleichbaren und international<br />

anerkannten Abschlussgraden und hohe<br />

Qualitätsstandards – so lauten die wichtigen<br />

Eckpunkte. Die Promotion kam später als dritter<br />

akademischer Zyklus hinzu.<br />

Mit dem Bologna-Prozess setzten die Bildungsminister<br />

unabhängig von der Europäischen<br />

Union eine umfassende Reform in Gang, die<br />

in vielen Teilen der Welt zunehmende Beachtung<br />

findet. Das zeigt auch die im belgischen<br />

Leuven stattgefundene Bologna-Konferenz:<br />

Ende April trafen sich dort die Bildungsminister<br />

aus inzwischen 46 europäischen Ländern<br />

erstmals mit Vertretern aus insgesamt<br />

15 außereuropäischen Ländern (darunter<br />

Australien, USA, Brasilien und China), um<br />

Erfahrungen auszutauschen und eine engere<br />

Zusammenarbeit zu verabreden. Auch in den<br />

ASEM-Konferenzen (Asia-Europe Meeting)<br />

2008 in Berlin und <strong>2009</strong> in Hanoi waren die<br />

Themen des Bologna-Prozesses ein wichtiger<br />

Bologna 2020<br />

Der europäische Reformprozess geht in die nächste Runde<br />

Von Christian Bode<br />

Diskussionsgegenstand. Die Minister einigten<br />

sich darauf, in den kommenden Jahren bestimmte<br />

Aspekte wie Mobilität, Anerkennung<br />

und Qualitätssicherung zu vertiefen und mit<br />

Blick auf die asiatisch-europäische Zusammenarbeit<br />

Verbesserungen zu erzielen. Die<br />

verschiedenen Aktivitäten, die dazu von den<br />

ASEM-Ländern durchgeführt werden, sollen<br />

von einem ASEM-Sekretariat koordiniert werden,<br />

das mit Unterstützung des Bundesministeriums<br />

für Bildung und Forschung beim<br />

<strong>DAAD</strong> eingerichtet wird.<br />

Der Bologna-Prozess hat auch in Deutschland<br />

die Hochschulen tiefgreifend verändert. So<br />

schließen bereits 76 Prozent aller Studiengänge<br />

mit einem Bachelor- oder Masterabschluss<br />

ab. Die Akkreditierung ist zu einem obligatorischen<br />

Standard der Qualitätssicherung geworden.<br />

Gleichwohl sind die Reformen noch<br />

lange nicht abgeschlossen – einige Fächer wie<br />

Jura und Medizin werden erst langsam einbezogen.<br />

Die Bildungsminister haben daher<br />

in Leuven die nächste Etappe bis 2020 eingeläutet.<br />

Gerade in Deutschland läuft noch<br />

nicht alles rund bei der Umsetzung der Reformen.<br />

Oft wurden, ohne dass es von Bologna<br />

vorgegeben wäre, die bisherigen längeren Diplom-<br />

oder Magisterstudiengänge bei der Umstellung<br />

in dreijährige Bachelor-Studiengänge<br />

umgewandelt. Dies hat zu einer vor allem von<br />

Studierenden beklagten Verschulung des Studiums<br />

geführt und lässt zudem kaum Raum<br />

für ein Auslandsstudium. Auch eine zu komplexe<br />

Konzeption von Modulen, ein manchmal<br />

falsches Verständnis von Credit Points und die<br />

Einführung von Mindestanwesenheitszeiten<br />

in den Kursen haben bisweilen die Mobilität<br />

behindert und das Besondere der universitären<br />

Studien – das selbstständige forschende<br />

Lernen – gefährdet.<br />

Diese Kinderkrankheiten stellen die Bologna-<br />

Reformen nicht grundsätzlich in Frage. Der<br />

<strong>DAAD</strong> sieht keine Alternative zu einer konsequenten<br />

Fortsetzung der Hochschulreform. Es<br />

ist ein unstrittiges Verdienst des Bologna-Prozesses,<br />

dass er Studium und Lehre im Sinne<br />

eines kompetenzorientierten Bildungsprozesses<br />

in den Mittelpunkt der Reform und diese<br />

wiederum in einen internationalen Kontext<br />

gestellt hat. Sicher ist bei der konkreten Umsetzung,<br />

gerade auch in Deutschland, einiges<br />

nachzubessern – und der <strong>DAAD</strong> wird sich daran<br />

nach Kräften beteiligen. Aber der Prozess<br />

als solcher darf nicht zerredet werden: Er ist<br />

nicht zuletzt auch für andere Politikfelder ein<br />

Best-Practice-Beispiel dafür, wie Globalisierung<br />

proaktiv und partnerschaftlich gestaltet<br />

werden kann.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


8 Spektrum Deutschland<br />

UNESCO-Welterbe<br />

Das Wattenmeer ist Weltnaturerbe<br />

Muscheln und Schnecken, Krebse und Krabben<br />

sind hier zu Hause, mehr als 3 000 Tierarten<br />

insgesamt, und jedes Jahr machen rund 12 Millionen<br />

Zugvögel Station: im Wattenmeer. Die<br />

Küstenlandschaft an der Nordsee ist im Juni<br />

von der UNESCO als „einzigartiges Öko sys tem<br />

mit besonderer Artenvielfalt“ in die Liste des<br />

Weltnaturerbes aufgenommen worden.<br />

Von den Niederlanden über Deutschland<br />

bis Dänemark erstreckt sich das Wattenmeer,<br />

13 000 Quadratkilometer groß. Den Welterbe-<br />

Titel bekamen der niederländische Teil und<br />

der deutsche Küstenstreifen in Niedersachsen<br />

und Schleswig-Holstein. Flut und Ebbe bestimmen<br />

hier die Landschaft. Zweimal am Tag zieht<br />

sich das Wasser zurück, und der Meeresboden<br />

bildet eine bis zu 20 Kilometer breite, von Wellen<br />

zerfurchte Fläche aus Sand und Schlick,<br />

ein Eldorado für seltene Tiere und Pflanzen.<br />

Das Wattenmeer ist eins von 174 Naturerben<br />

weltweit, dazu gehören der Grand Canyon und<br />

die Galapagos-Inseln. Die UNESCO belohnte<br />

damit die Bemühungen um den Naturschutz<br />

in einem Gebiet, das bereits in den 1980er Jahren<br />

zum Nationalpark deklariert wurde. Ernst<br />

zu nehmen ist die Verpflichtung, das Welterbe<br />

so zu erhalten, wie es ist. Das bekam Deutschland<br />

zu spüren, als dem Elbtal bei Dresden<br />

in diesem Jahr der Rang des Weltkulturerbes<br />

abgesprochen wurde, weil dort eine nach Auffassung<br />

der UNESCO störende Brücke gebaut<br />

wurde. (Siehe auch Seite 43.) <br />

Llo<br />

Foto: flickr.com<br />

Großdemonstration in Berlin:<br />

Studenten fordern mehr Geld<br />

für Bildung<br />

Bildungsstreik<br />

Protest gegen Missstände<br />

Mit einem bundesweiten Bildungsstreik<br />

demonstrierten im Juni<br />

Schüler und Studenten eine Woche<br />

lang für bessere Lernbedingungen<br />

in Schulen und Universitäten. An<br />

den zahlreichen Aktionen – von<br />

der Großdemonstration über Besetzungen<br />

von Klassenzimmern<br />

und Hörsälen bis zum symbolischen<br />

Banküberfall – beteiligten sich mehr<br />

als 200 000 junge Leute in rund 80 deutschen<br />

Städten.<br />

Die Schüler protestierten gegen Missstände<br />

wie zu große Klassen, zu wenige Lehrer und<br />

den Zeitdruck durch das neue „Turboabitur“ –<br />

nach 12 statt wie bisher nach 13 Schuljahren.<br />

Die Studierenden forderten unter anderem<br />

mehr Geld für die Hochschulen, die Abschaffung<br />

der Studiengebühren und die soziale<br />

Öffnung der Universitäten. In der Kritik stand<br />

auch das neue Bachelor- und Masterstudium,<br />

das vor zehn Jahren mit der in Bologna beschlossenen<br />

europäischen Studienreform eingeführt<br />

wurde. Die Studierenden protestierten<br />

gegen die zu große Stofffülle und den Zeitdruck<br />

in dem auf sechs Semester verdichteten<br />

Bachelor-Studium und kritisierten, dass nicht<br />

jeder Bachelor-Absolvent Anspruch auf ein anschließendes<br />

Master-Studium hat.<br />

Unterstützung bekamen die Streikenden<br />

nicht nur von den Gewerkschaften, sondern<br />

auch Eltern, Lehrer, Professoren und Uni-<br />

Rektoren erklärten sich mit vielen ihrer Forderungen<br />

solidarisch. Bundesbildungsministerin<br />

Annette Schavan empfahl nach Beendigung des<br />

Streiks eine Kurskorrektur beim Bachelor- und<br />

Masterstudium. Umgesetzt werden muss diese<br />

angesichts des föderalen deutschen Bildungssystems<br />

allerdings von den Kultusministern<br />

der Länder und den einzelnen Hochschulen.<br />

<br />

Llo<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Spektrum Deutschland<br />

9<br />

Foto: imago/mm images/zoellner<br />

Schützenswerte Küstenlandschaft:<br />

das Wattenmeer auf der Insel Sylt<br />

Umfrage zur Sprache<br />

Deutsche mögen Deutsch<br />

87 Prozent der Deutschen gefällt ihre Muttersprache<br />

gut oder „sehr gut“. Eine Mehrheit<br />

(56 Prozent) empfindet ihr gegenüber „Stolz“,<br />

fast die Hälfte gar „Liebe“ (47 Prozent). „Diese<br />

rundum positive Einschätzung hat uns<br />

überrascht“, sagt Ludwig Eichinger, Direktor<br />

des Mannheimer Instituts für Deutsche<br />

Sprache, das die repräsentative Umfrage zur<br />

„Spracheinstellung in Deutschland“ gemeinsam<br />

mit der Uni Mannheim durchgeführt hat.<br />

Aus deutscher Sicht galten bisher Franzosen,<br />

Spanier oder Italiener als besonders sprachstolz.<br />

„In Deutschland gab es bisher kaum solche<br />

Untersuchungen“, sagt Eichinger.<br />

Mit Sympathie begegnen die Deutschen<br />

auch ihren Dialekten. 60 Prozent sprechen<br />

eine Mundart, vor allem in den südlichen<br />

Bundesländern. Besonders angenehm klingt<br />

den Deutschen der – weniger ausgeprägte –<br />

norddeutsche Tonfall im Ohr, als eher unangenehm<br />

wird Sächsisch empfunden. Unter den<br />

ausländischen Akzenten gilt Französisch (vor<br />

Italienisch) als schön. An der Spitze der eher<br />

„unsympathischen“ Akzente stehen Russisch,<br />

Türkisch und Polnisch. Doch fast die Hälfte der<br />

Befragten stört sich generell nicht an einem<br />

ausländischen Akzent.<br />

www.ids-mannheim.de<br />

ors<br />

Islam in der Bundesrepublik<br />

Vier Millionen Muslime in Deutschland<br />

Die Zahl der Muslime in Deutschland ist viel<br />

größer, als bisher angenommen. Zu diesem<br />

Ergebnis kommt eine vom Bundesinnenministerium<br />

im Juni vorgelegte Studie des Bundesamtes<br />

für Migration und Flüchtlinge. Demnach<br />

leben in Deutschland statt drei Millionen, wie<br />

bislang vermutet, rund vier Millionen Muslime.<br />

Ein weiteres Ergebnis: Muslime sind in<br />

viel höherem Maße in Deutschland integriert,<br />

als man bisher dachte.<br />

Fast die Hälfte der Muslime, nämlich 45 Prozent,<br />

hat einen deutschen Pass. Jeder zweite<br />

ist laut Studie Mitglied in einem deutschen<br />

Verein. Die Befragung erfasst Menschen aus<br />

49 muslimisch geprägten Ländern. Mit 63,2<br />

Prozent haben die meisten Muslime türkische<br />

Wuzeln, gefolgt von solchen aus Südosteuropa<br />

(13,6 Prozent),dem Nahen Osten (acht Prozent)<br />

und Nordafrika (sieben Prozent).<br />

Mehr als 86 Prozent der Muslime bezeichnen<br />

sich als „stark gläubig“ bis „eher gläubig“. Die<br />

islamischen Vorschriften befolgen viele dennoch<br />

nicht sehr streng. So tragen 70 Prozent<br />

der Frauen nie ein Kopftuch, in Deutschland<br />

geborene Musliminnen wesentlich seltener<br />

als zugewanderte. Speisevorschriften und Fastengebote<br />

werden dagegen weithin beachtet.<br />

Nur knapp ein Viertel der Muslime fühlt sich<br />

von den großen muslimischen Dachverbänden<br />

in Deutschland vertreten, drei Viertel wünschen<br />

islamischen Religionsunterricht in den<br />

Schulen. <br />

Llo<br />

Friedenspreis<br />

Buchhandel ehrt Claudio Magris<br />

Der italienische Schriftsteller und Germanist<br />

Claudio Magris erhält den diesjährigen<br />

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.<br />

Magris habe sich „wie kaum ein anderer mit<br />

den Problemen des Zusammenlebens und<br />

Zusammenwirkens verschiedener Kulturen<br />

beschäftigt“, heißt es in der Begründung der<br />

Jury.<br />

Nach dem Studium in Turin und Freiburg<br />

erlangte Magris mit seiner Dissertation zum<br />

Thema „Der habsburgische Mythos in der österreichischen<br />

Literatur“ (1963) bereits den<br />

ersten Ruhm als Autor. Es folgten viele Bücher<br />

– darunter „Donau, Biographie eines Flusses“<br />

(1986) –, in denen er sich erzählend und reflektierend<br />

mit dem multikulturellen Gesicht<br />

Mitteleuropas befasst, laut Jury „ein Europa,<br />

das nicht allein unter ökonomischen Gesichtspunkten<br />

sein Selbstverständnis erreicht,<br />

sondern seine geschichtliche und kulturelle<br />

Tradition und Vielfalt bedenkt und darauf beharrt“.<br />

Der 1939 in Triest geborene Autor war bis zu<br />

seiner Emeritierung 2006 Professor für Deutsche<br />

Sprache und Literatur an der Universität<br />

Schriftsteller und Germanist:<br />

Claudio Magris<br />

Foto: picture-alliance/akg<br />

seiner Heimatstadt. Er hat Schriftsteller wie<br />

Georg Büchner und Joseph Roth ins Italienische<br />

übersetzt. Als Essayist und Kolumnist<br />

hat er immer wieder zu politischen Themen<br />

Stellung bezogen, saß von 1994 bis 1996 im<br />

römischen Senat und hat 2002 gemeinsam<br />

mit anderen Intellektuellen die Vereinigung<br />

„Libertá e Giustizia“ (Freiheit und Gerechtigkeit)<br />

gegründet, die Kritik an der Regierung<br />

von Silvio Berlusconi übt.<br />

Den mit 25 000 Euro dotierten Preis erhält<br />

Magris während der Frankfurter Buchmesse<br />

am 18. Oktober in der Frankfurter Paulskirche.<br />

<br />

Llo<br />

In Kürze<br />

In Köln soll eine Akademie der Künste der<br />

Welt entstehen. Der Rat der Stadt stimmte im<br />

Juni einem Konzept zu, das von Kölner Kulturschaffenden,<br />

darunter dem deutsch-iranischen<br />

Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani,<br />

erarbeitet wurde. Die Akademie soll in der ethnisch,<br />

religiös und kulturell sehr vielfältigen<br />

rheinischen Stadt Künstlern aus aller Welt ein<br />

Forum bieten für das „künstlerische Experiment<br />

und die diskursive, vergleichende und<br />

konfrontierende Orientierung aneinander“.<br />

Die Initiatoren, die eine „stärkere Vernetzung<br />

mit der globalen künstlerischen Szene“ anstreben,<br />

wollen auch mit dem Berliner „Haus<br />

der Kulturen der Welt“ zusammenarbeiten.<br />

Immer mehr Deutsche entscheiden sich fürs<br />

Fahrrad als Verkehrsmittel. Im vergangenen<br />

Jahr benutzten es die Deutschen für zehn<br />

Prozent aller Wege, das heißt für täglich insgesamt<br />

90 Millionen Kilometer. Im Vergleich<br />

zum Jahr 2002 stieg die Radnutzung um 17<br />

Prozent. Wie aus einer Studie des Bundesverkehrsministeriums<br />

zur Mobilität in Deutschland<br />

hervorgeht, fahren auch mehr Bürger mit<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln: 2008 wurden<br />

neun Prozent aller Wege mit Bus oder Bahn<br />

zurückgelegt.<br />

Mehr als 436 000 Menschen erkranken in<br />

Deutschland jährlich an Krebs. Ihnen soll<br />

künftig schneller geholfen werden. Bundesforschungsministerin<br />

Annette Schavan stellte<br />

im Juni eine Initiative zum besseren Wissenstransfer<br />

aus der Krebsforschung in die klinische<br />

Praxis vor. Damit die Ergebnisse aus der<br />

Grundlagenforschung direkt in die Versorgung<br />

von Patienten gelangen, soll ein am Deutschen<br />

Krebsforschungszentrum in Heidelberg angesiedeltes<br />

„Nationales Konsortium für Translationale<br />

Krebsforschung“ mit sechs ausgewählten<br />

Universitätskliniken kooperieren.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


10 titEl<br />

kleiner akt mit<br />

großem Einfluss<br />

Acht Kommunalwahlen, eine Regionalwahl,<br />

fünf Landtagswahlen, eine Europaund<br />

eine Bundestagswahl: Das Jahr <strong>2009</strong><br />

beschert den Deutschen insgesamt 16<br />

Gänge an die Wahlurne.<br />

Im <strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong> haben die Deutschen viel zu entscheiden<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


titEl<br />

11<br />

Ekkehart Grünberg, Diplom-Physiker aus<br />

Bonn, wird in diesem Jahr dreimal seine<br />

Stimme abgeben: zur Europawahl, zur<br />

Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen und<br />

zur Bundestagswahl. Eine Belastung ist das<br />

für den Naturwissenschaftler aber nicht, im<br />

Gegenteil. „Zur Wahl zu gehen, ist eine der<br />

wenigen Einflussmöglichkeiten, die wir als<br />

Bürger auf die Politik haben. Wer sie nicht<br />

nutzt, überlässt sein Schicksal denjenigen, die<br />

es tun.“ Grünberg hat daher noch nie einen<br />

Urnengang ausgelassen und verfolgt auch den<br />

Wahlausgang in anderen Bundesländern mit<br />

großem Interesse.<br />

Foto: picture-alliance/dpa<br />

Wahlkampf am Straßenrand:<br />

Parteien buhlen um Stimmen<br />

Einige Wahlen sind bereits gelaufen, wie die<br />

Kommunalwahlen in Baden-Württemberg und<br />

Sachsen oder die Europawahl, andere stehen<br />

noch bevor. Jede einzelne Wahl hat ihren eigenen<br />

Charakter und eigene Botschaften. Doch<br />

eigentlich bilden sie alle nur das Vorspiel zur<br />

Bundestagswahl, bei der am 27. September<br />

etwa 62 Millionen Wählerinnen<br />

und Wähler darüber<br />

entscheiden können, wer<br />

Deutschland bis 2013 regieren<br />

wird. Ein kleiner Akt<br />

mit großem Einfluss.<br />

Alle fünf Jahre wählen die<br />

Deutschen ihre Vertreter in<br />

den Gemeinden und Städten<br />

sowie in den Länderparlamenten, alle vier<br />

Jahre entscheiden sie mit ihren Stimmen über<br />

die Bundesregierung und wiederum alle fünf<br />

Jahre über die Zusammensetzung des Europäischen<br />

Parlaments. Im <strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong><br />

wählen die Bürger auf allen Ebenen. „In einem<br />

föderalen System ist das nichts Außergewöhnliches,<br />

es ist aber auch ein System, das die<br />

Wähler strapaziert“, sagt Professor Tilmann<br />

Mayer vom Institut für Politische Wissenschaft<br />

und Soziologie der Universität Bonn.<br />

In acht Bundesländern, unter anderem Rheinland-Pfalz<br />

und Nordrhein-Westfalen, finden<br />

in diesem Jahr Kommunalwahlen und damit<br />

Wahlen von Bürgermeistern oder Landräten<br />

statt. Hier geht es um die alltäglichen Sorgen<br />

der Bürger, nicht um die große Politik. Für den<br />

passionierten Gärtner Willi Gerhards aus der<br />

Kleinstadt Düren bei Aachen ist beispielsweise<br />

wichtig, wie die Parteien<br />

mit dem Thema Naturschutz<br />

umgehen. „Die Christdemokraten<br />

wollen Teile des<br />

Natur schutzgebiets Drover<br />

Heide für die Öffentlichkeit<br />

zugänglich machen, obwohl<br />

dort seltene Vogelarten nisten.<br />

Die Sozialdemokraten<br />

„Das<br />

Pflichtbewusstsein<br />

zu wählen ist bei<br />

vielen nicht mehr<br />

vorhanden.“<br />

„Ich habe mich<br />

darauf gefreut.<br />

Der eigentliche<br />

Akt war aber eher<br />

unspektakulär.“<br />

und die Grünen wollen das verhindern. Da<br />

liegt für mich auf der Hand, wen ich wähle“,<br />

erklärt der 79-Jährige.<br />

Die große Politik rückt dann nach der Sommerpause,<br />

spätestens am 30. August, wieder<br />

ins Blickfeld, wenn im Saarland, in Sachsen<br />

und Thüringen die Landesparlamente gewählt<br />

werden. Denn oft werden Landtagswahlen als<br />

Testlauf für Bundestagswahlen gewertet, obwohl<br />

sie über Regierung und Opposition im jeweiligen<br />

Bundesland entscheiden. Höhepunkt<br />

für viele Bürger ist die Bundestagswahl. Erfahrungsgemäß<br />

gehen dann sehr viel mehr Menschen<br />

an die Urnen als bei anderen Wahlen,<br />

dennoch werden es auch hier immer weniger:<br />

Seit 1990 liegt die Wahlbeteiligung bei knapp<br />

unter 80 Prozent.<br />

Anders bei der Europawahl: Diesmal machten<br />

in Deutschland nur etwa 42 Prozent der<br />

Wahlberechtigten ihr Kreuzchen auf dem<br />

langen Stimmzettel. Die europäische Regierung<br />

in Brüssel ist für viele Deutsche zu weit<br />

weg. „Die Bürger haben ein Gespür dafür,<br />

dass sie über ihre Länderregierungen<br />

ohnehin an<br />

Brüsseler Entscheidungen<br />

beteiligt sind“, erklärt Politikwissenschaftler<br />

Tilmann<br />

Mayer die Zurückhaltung.<br />

Häufig nutzen die Wähler<br />

diese Wahl auch, um der eigenen<br />

nationalen Regierung<br />

einen Denkzettel zu verpassen. So erlitten die<br />

Sozialdemokraten (SPD) mit 21,5 Prozent der<br />

Stimmen ein niederschmetterndes Ergebnis.<br />

Hart erkämpft<br />

Das Wahlrecht wurde im Laufe der deutschen<br />

Geschichte hart erkämpft. Während im 19.<br />

Jahrhundert nur Bürger eines gewissen Standes<br />

oder Alters wählen durften, setzte sich<br />

nach dem Ersten Weltkrieg 1918 das Wahlrecht<br />

für alle Männer durch. Frauen durften<br />

erst mit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung<br />

1919 an die Urne gehen. Damals konnten<br />

selbst kleinste Parteien ins Parlament einziehen.<br />

Hinzu kam eine aufgewühlte und in sich<br />

gespaltene Gesellschaft. Die Folgen waren<br />

eine Parteienzersplitterung und Regierungen,<br />

die sich auf viele Koalitionen mit knapper<br />

Mehrheit stützen mussten. Schließlich war<br />

vernünftiges Regieren nicht<br />

mehr möglich: Die Weimarer<br />

Republik scheiterte und die<br />

Nationalsozialisten kamen<br />

1933 an die Macht.<br />

Die Erfahrungen aus der<br />

Weimarer Republik beeinflussten<br />

die Entwicklung des<br />

heutigen Wahlsystems. Seit<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


12 titEl<br />

1949 gilt für Bundestags- und Landtagswahlen<br />

eine Sperrklausel. Sie verhindert sehr kleine<br />

Parteien in den Parlamenten. Wer nicht fünf<br />

Prozent der Stimmen erzielt, muss draußen<br />

bleiben. Kritiker sehen dadurch die politische<br />

Meinungsvielfalt gefährdet. „Doch der Einzug<br />

der Grünen in die Parlamente in den 1980er<br />

Jahren hat gezeigt, dass neue politische Kräfte<br />

durchaus eine Chance haben“, sagt Politikwissenschaftler<br />

Tilmann Mayer. Heute existiert<br />

ein Fünfparteiensystem aus Christdemokraten<br />

(CDU/CSU), Sozialdemokraten (SPD), Freien<br />

Demokraten (FDP), Bündnis 90/Die Grünen<br />

und Die Linke.<br />

Wählen als Recht<br />

Im Gegensatz zu Belgien oder Griechenland ist<br />

der Urnengang in Deutschland keine Pflicht,<br />

sondern bürgerliches Recht, verankert in Artikel<br />

20 des Grundgesetzes. Er besagt, dass alle<br />

Staatsgewalt vom Volke ausgeht, und verleiht<br />

damit Wahlen eine besondere Bedeutung. Sie<br />

garantieren Pluralismus und gewährleisten,<br />

dass die Gewählten im Namen aller entscheiden.<br />

Dieses Recht nutzt nicht jeder Wahlberechtigte;<br />

die Zahl der Nichtwähler steigt: Beteiligten<br />

sich 1972 noch etwa 91 Prozent der Wahlberechtigten<br />

an der Bundestagswahl, waren es<br />

2005 nur rund 77 Prozent. Laut einer Umfrage<br />

im Jahr 2008 ist mehr als jeder zweite Deutsche<br />

mit der Demokratie unzufrieden, etwa 66<br />

Prozent haben sogar wenig bis gar kein Vertrauen<br />

in die Bundesregierung. Nichtwähler<br />

sind nicht nur Politikverdrossene oder Protestwähler,<br />

sondern auch Gruppen, in deren<br />

Leben Politik kaum vorkommt. „Das Pflichtbewusstsein<br />

zu wählen ist bei vielen nicht mehr<br />

vorhanden. Immer weniger Menschen sind<br />

bereit, sich an Parteien zu binden, ähnliches<br />

zeigt sich bei Gewerkschaften oder Kirchen“,<br />

so Politikwissenschaftler Tilmann Mayer.<br />

Kein Blick über den Tellerrand<br />

Auch vielen Studierenden fehlt das politische<br />

Engagement, sagt Tino Bargel von der Arbeitsgemeinschaft<br />

Hochschulforschung der Universität<br />

Konstanz. Durch Globalisierung, Finanzkrise<br />

und unsichere Jobs müsse jeder sich so<br />

sehr um die eigene Existenz kümmern, dass der<br />

Blick über den eigenen Tellerrand nicht mehr<br />

gelingt. Diesen verengten Horizont fördern, so<br />

der Forscher, auch die Studienstrukturen an<br />

den Hochschulen, die vor allem auf Leistung<br />

und Erfolg setzen. Studierende werden immer<br />

mehr zu Kunden. „Der Kunde nimmt die Angebote,<br />

sei es in der Lehre oder in der Politik,<br />

nur passiv hin“, sagt Tino Bargel. Mitdenken<br />

und Einmischen würden weder verlangt noch<br />

gefördert. Politikwissenschaftler Tilmann<br />

Mayer sieht in der sinkenden Wahlbeteiligung<br />

aber auch einen Normalisierungsprozess. „Die<br />

Wähler scheinen dem System zu vertrauen<br />

und glauben, dass es auch ohne ihre Beteiligung<br />

funktioniert.“<br />

Erstwählerin Valerie Heidel hat sich beteiligt.<br />

Die 18-jährige Bonnerin gab zur Europawahl<br />

erstmals ihre Stimme ab. „Ich habe<br />

mich darauf gefreut. Der eigentliche Akt war<br />

aber eher unspektakulär.“ Neben Zeitung und<br />

Fernsehen half ihr vor allem der Wahlomat,<br />

sich zwischen den Parteien zu entscheiden.<br />

Mit dieser interaktiven Wahlmaschine,<br />

initiiert von der<br />

Bundeszentrale für politische<br />

Bildung, kann der Nutzer<br />

die Positionen der einzelnen<br />

Parteien vergleichen und per<br />

Mausklick auswählen, ob<br />

er den Aussagen zustimmt<br />

oder nicht. Am Ende sieht er,<br />

welche Partei seinen Vorstellungen<br />

am nächsten kommt.<br />

„Der Wahlomat wurde 2002<br />

entwickelt, um vor allem<br />

junge Wähler auf spielerische<br />

Weise zu motivieren,<br />

ihre Stimme abzugeben“, erläutert Stephan<br />

Trinius von der Bundeszentrale für politische<br />

Bildung.<br />

Seine klare und leicht verständliche Darstellung<br />

der Parteipositionen will mit den Vorurteilen<br />

aufräumen, dass Politik langweilig ist,<br />

nichts mit dem Wähler zu tun hat und alle<br />

Parteien gleich sind. Offenbar mit Erfolg, denn<br />

immer mehr Bürger nutzen den Wahlomat<br />

als Entscheidungshilfe. Stephan Trinius: „Zur<br />

Bundestagswahl 2005 wurde er fünf Millionen<br />

Mal aufgerufen, wobei die Hälfte der Nutzer<br />

älter als 30 Jahre war.“ Zur Europawahl <strong>2009</strong><br />

Abb.: ullstein Archiv Gerstenberg<br />

1919: Frauen erhalten das<br />

Recht zu wählen<br />

nutzten ihn immerhin 1,56 Millionen Menschen.<br />

„Da ich kurz vor dem Studium stehe,<br />

waren für mich besonders Bildungsthemen<br />

interessant, wie Zentralabitur und Studiengebühren.<br />

Die konnte ich mit dem Wahlomat<br />

gut vergleichen“, sagt Valerie Heidel. Auch zur<br />

anstehenden Wahl des Bundestags steht die<br />

Entscheidungshilfe unter www.wahl-o-mat.de<br />

wieder bereit.<br />

Wer Wähler an die Urnen holen will, muss<br />

sie da abholen, wo sie stehen. In Zeiten der<br />

Wirtschaftskrise treiben die Menschen vor<br />

allem „Brot- und Butterthemen“ um. Sie erwarten<br />

von den Politikern Lösungen für die<br />

Misere und sichere Einkommen. Themen wie<br />

Umweltschutz treten eher in den Hintergrund.<br />

Inhalte sind aber nur eine Seite der Medaille<br />

– die andere Seite wird vom öffentlichen Auftritt<br />

und Image der Spitzenpolitiker bestimmt.<br />

„Wir leben in einer Mediendemokratie, Politik<br />

und Medien gehen eng zusammen. Inhalte<br />

müssen über interessante<br />

Geschichten transportiert<br />

werden“, sagt Tilmann<br />

Mayer. Parteien brauchen<br />

deshalb Präsenz und<br />

starke Führungspersönlichkeiten.<br />

Sie müssen<br />

Kompetenz zeigen, Problemlösungen<br />

anbieten<br />

und die Wähler dabei unterhalten<br />

– besonders die<br />

jungen. Zur Bundestagswahl<br />

2005 gaben etwa 70<br />

Prozent der Wahlberechtigten<br />

unter 21 Jahren<br />

ihre Stimme ab, weniger als der Durchschnitt.<br />

Bis zum Alter von 30 nimmt das politische Interesse<br />

stetig zu, danach stagniert es.<br />

Für die bevorstehende Bundestagswahl erwartet<br />

der Politikwissenschaftler keine großen<br />

Überraschungen. „Generell ist alles möglich.<br />

Derzeit zeichnet sich eine deutliche Wechselstimmung<br />

ab. Schwarz-Gelb, das Bündnis von<br />

Christdemokraten und Freien Demokraten, erzielt<br />

stabile Umfragewerte, eine rot-rot-grüne<br />

Koalition aus Sozialdemokraten, Die Linke<br />

und Die Grünen ist eher unwahrscheinlich.“<br />

Sabine Wygas<br />

„Wir leben in einer<br />

Mediendemokratie,<br />

Politik und<br />

Medien gehen<br />

eng zusammen.<br />

Inhalte müssen<br />

über interessante<br />

Geschichten<br />

transportiert werden.“<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


aBStRact<br />

A Little Act with a Big Effect<br />

Germans have many decisions to make in<br />

<strong>2009</strong>, the “super election year”. Sixteen elections<br />

will be held this year, including eight<br />

municipal and one regional election, five<br />

state legislative elections, and the European<br />

and Federal parliamentary elections. The<br />

election of the Bundestag, the German parliament,<br />

on September 27 is the high point of<br />

the electoral year. Prominent campaign issues<br />

are the big political themes such as security<br />

and fiscal policy. Some 62 million voters will<br />

determine who will sit in the Bundestag until<br />

2013, and thus decide the composition of the<br />

next German government. Critical issues in<br />

the municipal elections are those that touch<br />

on the voters’ day-to-day concerns, such as<br />

the conservation of nearby nature preserves.<br />

Unlike Belgians and Greeks, Germans are not<br />

legally required to vote. In 2005, just under 80<br />

percent of those entitled to vote in the federal<br />

legislative election actually did so — and electoral<br />

participation is in decline. Researchers<br />

disagree on the causes and consequences of<br />

this trend. In any case, the results of an election<br />

are determined not only by political positions,<br />

but also by the public appearances and<br />

images of the politicians and their parties.<br />

titEl<br />

13<br />

Den Wählern in die köpfe schauen<br />

Interview mit dem Wahlforscher Hans Rattinger<br />

Das <strong>Superwahljahr</strong> <strong>2009</strong> ist ein arbeitsreiches<br />

Jahr für die Wissenschaftler am<br />

Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften<br />

GESIS: Sie befragen Wähler und analysieren<br />

ihr Wahlverhalten. GESIS-Präsident<br />

und Politikwissenschaftler Professor Hans<br />

Rattinger erläutert, was Wahlforschung<br />

leis ten kann, wie sie sich verändert hat und<br />

wo sie überschätzt wird.<br />

Außenminister Frank-Walter Steinmeier<br />

von den Sozialdemokraten oder<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel von den<br />

Christdemokraten – wer wird die nächste<br />

Bundestagswahl für sich entscheiden?<br />

Das werden wir alle erst am 27. September<br />

wissen. Wahlforscher sind<br />

schließlich keine Propheten.<br />

Können Sie durch Ihre Umfragen nicht<br />

schon Tendenzen erkennen?<br />

Mir liegen noch keine eigenen Ergebnisse<br />

vor. Außerdem hat die Forschung gezeigt: Je<br />

mehr Zeit zwischen Umfragen und Wahlen<br />

liegt, desto mehr spiegeln die Ergebnisse nur<br />

eine temporäre Stimmung wider, die wenig<br />

über den Wahlausgang aussagt. Das zeigt<br />

sich zum Beispiel deutlich bei der Europawahl.<br />

Da verpassen viele Wähler der Regierung<br />

einen Denkzettel und wählen eine Partei,<br />

für die sie sonst nicht stimmen würden.<br />

Was kann Wahlforschung leisten?<br />

Sie soll aufzeigen, wer wen wählt oder nicht<br />

wählt und warum. Diese Fragen beantworten<br />

wir, indem wir die persönlichen Einschätzungen<br />

der Wähler herausfinden. Wir wollen<br />

zum Beispiel erfahren, für wie kompetent jemand<br />

eine Partei hält oder welche politischen<br />

Sachfragen eine Rolle spielen. Erst eine<br />

Kombination aus vielen Faktoren liefert eine<br />

Erklärung für das jeweilige Wahlverhalten.<br />

Das kann individuell sehr verschieden sein.<br />

Was bedeutet das für Wahlprognosen?<br />

Die Zeiten, in denen galt: „Sag mir deine soziale<br />

Lage, und ich sage dir deine politische<br />

Präferenz“, sind vorbei. Wir greifen nicht<br />

mehr nur auf soziale Erklärungsmuster wie<br />

Geschlecht, Alter oder Schicht zurück. Zum<br />

anderen gibt es die typischen CDU- oder<br />

SPD-Wähler kaum noch. Nehmen wir den<br />

Arbeiter, der mit einer Ärztin verheiratet ist.<br />

Oder den Mobilitätsfanatiker, der Mitglied<br />

im Motorradverein ist, sich aber gleichzeitig<br />

in einem Bürgerverein gegen den<br />

Bau einer Eisenbahntrasse engagiert. Der<br />

Mensch als vielfältiges Individuum steht<br />

im Vordergrund. Das sieht man auch daran,<br />

dass es seit den 1970ern bei Bundestagswahlen<br />

keine klaren Mehrheiten, sondern<br />

nur noch sehr knappe Wahlsiege gibt. Das<br />

macht Prognosen schwieriger. Wir können<br />

keine Pauschalaussagen treffen, sondern<br />

müssen den Leuten in die Köpfe schauen.<br />

Die Bundestagswahl 2005 hat gezeigt,<br />

dass sich etwa 20 Prozent der Wähler erst<br />

kurz vorher auf eine Partei festlegen. Wird<br />

dieser Trend zunehmen?<br />

Ja, aber es gibt ihn bereits seit 30 Jahren.<br />

Schuld sind auch immer kürzere Wahlkämpfe.<br />

Während früher die Bundestagswahlen im<br />

Frühjahr stattfanden, wurden sie dann auf<br />

Foto: GESIS<br />

den Herbst, also nach den Schulferien, gelegt.<br />

Die Parteien versuchen gar nicht mehr, einen<br />

Dauerwahlkampf zu inszenieren, weil viele<br />

im Urlaub sind. Erst wenige Wochen vor der<br />

Wahl nimmt ein Großteil der Bevölkerung<br />

den Wahlkampf bewusst wahr, setzt sich damit<br />

auseinander und trifft eine Entscheidung.<br />

Welche Auswirkungen hat das auf die<br />

Wahlforschung?<br />

Wir müssen künftig viel mehr Aufmerksamkeit<br />

auf die kurze Wahlkampfzeit legen.<br />

Das erfordert häufigere Befragungen in<br />

einer Phase, in der die Leute sechs bis acht<br />

Wochen vor der Wahl durch verschiedene<br />

Stimmungslagen gehen. Wichtig für uns ist,<br />

welchen Effekt die durch die Medien vermittelten<br />

Botschaften auf den Wähler haben.<br />

Verstehen Sie die Menschen, die nicht zur<br />

Wahl gehen?<br />

Sehr gut sogar. Wählen ist ein Bürgerrecht,<br />

aber keine Pflicht. Es gibt Menschen, für die<br />

die Familie oder der Sport am wichtigsten<br />

sind. Ich würde mir andererseits zum Beispiel<br />

nie ein Autorennen ansehen, weil<br />

es mich nicht interessiert. Wenn jemand<br />

nichts mit Politik zu tun haben will, ist es<br />

nur konsequent, nicht zur Wahl zu gehen.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


14<br />

Hochschule<br />

Bildung trotz<br />

„falschem Elternhaus“<br />

Arbeiterkinder sind an<br />

deutschen Universitäten immer noch selten<br />

„Aufstieg durch Bildung“ hieß das Motto der großen Bildungsoffensive<br />

in den sechziger und siebziger Jahren. Fast ein halbes<br />

Jahrhundert später sind die Zahlen ernüchternd: Sind die Eltern<br />

Akademiker, beginnen die Kinder in acht von zehn Fällen ein Studium,<br />

von 100 Arbeiterkindern schaffen es gerade einmal 23 auf<br />

eine Hochschule. Eltern, die keine Hochschule besucht haben,<br />

können bei Bewerbungen für einen Studienplatz oder für ein Stipendium<br />

nicht helfen. Hier will die Webplattform www.arbeiterkind.de<br />

Unterstützung leisten.<br />

Als ich an die Uni kam, hatte ich sehr großen<br />

Respekt vor Professoren und habe anfangs<br />

nur Seminare von Assistenten besucht“,<br />

erinnert sich Katja Urbatsch. Die heute 30-jährige<br />

<strong>DAAD</strong>-Alumna hat vor gut einem Jahr in<br />

Gießen die Webplattform www.arbeiterkind.de<br />

ins Leben gerufen und kann sich seitdem vor<br />

Anfragen kaum retten. Alle überregionalen<br />

Zeitungen haben sie interviewt, es erschienen<br />

Radio- und Fernsehbeiträge – so als ob die Spezies<br />

Arbeiterkind bisher eine unbekannte Art<br />

im deutschen Hochschulbiotop sei. Dabei wird<br />

seit den sechziger Jahren darüber diskutiert,<br />

inwieweit die Herkunft Bildungs- und Aufstiegschancen<br />

beeinflusst. „Es ist eben nicht<br />

nur das Geld, das häufig knapp ist“, sagt Katja<br />

Urbatsch mit Überzeugung, „sondern die fehlende<br />

ideelle und intellektuelle Unterstützung<br />

durch die Eltern.“<br />

Das bestätigen Bildungsforscher. Der Berliner<br />

Erziehungswissenschaftler Heinz-Elmar<br />

Tenorth sprach im Mai <strong>2009</strong> von „skandalösen<br />

Befunden“: Trotz aller Arbeit und Anstrengungen<br />

im Bildungssystem werde die Entstehung<br />

und Vererbung von Bildungsarmut nicht<br />

verhindert. Gemeinsam mit Lehrer- und Bildungsgewerkschaften<br />

möchte er ein Recht auf<br />

Bildung im Grundgesetz verankern. Besonders<br />

deutlich wird die Abhängigkeit von Bildung<br />

und Herkunft an Übergängen, beispielsweise<br />

von der Grundschule an die weiterführende<br />

Schule – in fast allen deutschen Bundesländern<br />

findet dieser Wechsel bereits im Alter<br />

von zehn Jahren statt.<br />

Elvira Jankowski hat Anfang der sechziger Jahre<br />

gespürt, was es heißt, aus „dem falschen<br />

Elternhaus“ zu kommen: „In der Volksschule<br />

ist mir ganz klar vermittelt worden, dass wir<br />

weniger wert waren, weil wir wenig Geld hatten.“<br />

Heute ist zwar eine solche offensichtliche<br />

Benachteiligung nicht mehr denkbar. Doch<br />

eine Erhebung unter allen Hamburger Fünftklässlern<br />

zeigt, dass ein Kind, dessen Vater<br />

das Abitur gemacht hat, ein Drittel weniger<br />

Punkte benötigt, um für den Besuch eines<br />

Gymnasiums empfohlen zu werden, als ein<br />

Kind, dessen Vater die Schule ohne Abschluss<br />

verlassen hat. Bei Elvira Jankowski haben sich<br />

die Lehrer gründlich geirrt: Die heute 53-Jährige<br />

ist Fachhochschul-Professorin für Maschinenbau.<br />

Eine Ausnahme bleibt das einstige<br />

Arbeiterkind aus Wattenscheid dennoch.<br />

Bildungstrichter<br />

Die Trennung der Milieus geht weiter, denn<br />

längst nicht alle Abiturienten entscheiden sich<br />

für ein Studium. Das Deutsche Studentenwerk<br />

macht es in seiner 18. Sozialerhebung deutlich:<br />

2005 begannen von den 19- bis 25-Jährigen,<br />

deren Vater Abitur hat, 71 Prozent ein<br />

Studium. Hat der Vater einen Hauptschulabschluss,<br />

also den niedrigsten Schulabschluss,<br />

schreiben sich nur 19 Prozent an einer Hochschule<br />

ein. Das heißt: Aus der größten Gruppe<br />

der deutschen Bevölkerung, also denen, deren<br />

Eltern einen Haupt- oder Realabschluss haben,<br />

überwinden prozentual die wenigsten Kinder<br />

die Schwelle zur Hochschule – von Chancengleichheit<br />

keine Spur. „Es ist normal, dass<br />

Eltern bei Seminararbeiten helfen oder die<br />

Bewerbung für ein Stipendium noch einmal<br />

überarbeiten“, beschreibt Katja Urbatsch die<br />

privilegierte Situation vieler Kommilitonen.<br />

Ihre eigenen Eltern unterstützten sie zwar finanziell<br />

beim Studium, doch mit den Fächern<br />

Nordamerikanistik und Publizistik wussten<br />

sie zunächst nichts anzufangen. „Bis heute<br />

muss ich mich bei Familienfeiern rechtfertigen,<br />

warum ich studiert habe und warum ich<br />

jetzt auch noch promoviere. Wäre ich Lehrerin<br />

geworden, wären alle zufriedener“, erzählt<br />

Katja Urbatsch, die ihre Doktorarbeit an der<br />

Universität Gießen schreibt. Für die Eltern von<br />

Elvira Jankowski war klar: Die Tochter sollte<br />

einen Beruf lernen. Dass sie danach aber ihr<br />

Katja Urbatsch gründete die<br />

Webplattform www.arbeiterkind.de<br />

Foto: Gerd Scheffler<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Hochschule 15<br />

Erfolgen. Der Vorteil: Studierende und Schüler<br />

sprechen die gleiche Sprache, da fällt es<br />

leicht, auch scheinbar ‚dumme’ Fragen zu<br />

stellen“, erläutert Katja Urbatsch. Eine andere<br />

Rolle nehmen die inzwischen 1000<br />

Mentorinnen und Mentoren in 70 deutschen<br />

Städten ein. Sie sind berufstätig, stammen<br />

selbst aus einem nicht akademischen Milieu<br />

und sind daher sensibel für entsprechende<br />

Fragen. Dazu gehören ganz einfache Dinge:<br />

„Viele trauen sich nicht, in der Hochschule<br />

anzurufen oder einem Professor eine Mail zu<br />

senden, zu groß sind die Berührungsängs te“,<br />

hat Godiva Jammerthal festgestellt. Die 34-Jährige<br />

ist Mentorin in Karlsruhe. Meistens bitten<br />

die Ratsuchenden um ein persönliches<br />

Gespräch, wie beispielsweise eine Familie,<br />

die zu ihr kam, weil die Tochter ihr Abitur<br />

nachholen wollte. „Natürlich kann man alle<br />

Informationen im Internet recherchieren, aber<br />

wer die akademische Struktur, die dortigen<br />

Abstract<br />

Web Portal for Upward Mobility<br />

Policy in the 1970s promised “advancement<br />

through education” — but the promise has not<br />

been fulfilled. More than in other European<br />

countries, educational achievement in Germany<br />

depends on social background: eight out of<br />

ten children of academics undertake postsecondary<br />

studies, while only 23 percent of<br />

working-class children enter higher education<br />

institutions. And they face difficulties: because<br />

their parents are unfamiliar with the world of<br />

higher education, they cannot offer scholarship<br />

advice, and many of them argue against<br />

going to university at all. <strong>DAAD</strong> alumna Katja<br />

Urbatsch, who comes from a non-academic<br />

family, has created the web platform<br />

www.arbeiterkind.de to help rectify this situation.<br />

The site provides information and hints as well as<br />

contact to 1,000 mentors throughout Germany.<br />

Mit seinem Plakat „Je goldener Löffel, desto Elite“ gewann<br />

der Design-Student Stefan Schaubitzer von der Berliner<br />

Technischen Kunsthochschule einen dritten Preis (500 Euro)<br />

beim 23. Plakatwettbewerb des Deutschen Studentenwerks,<br />

Thema: „Elite! Für alle?“<br />

Abitur nachholte und studierte, verstanden sie<br />

anfangs nicht.<br />

Doch es ist nicht nur das Unverständnis für<br />

den unbekannten Bildungsweg der Kinder, es<br />

fehlen auch Informationen, die für den Studienerfolg<br />

entscheidend sein können. „Eine<br />

meiner Freundinnen war Stipendiatin einer<br />

Stiftung. Ich hatte ein besseres Abitur und<br />

engagierte mich sozial sehr viel stärker als<br />

sie, hatte aber keine Ahnung von solch einer<br />

Förderung“, erinnert sich Katja Urbatsch. Sie<br />

wurde wütend, ärgerte sich über diese Informationslücken,<br />

bewarb sich als Doktorandin<br />

um ein Stipendium und bekam eine Zusage<br />

der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung.<br />

Sie hatte schon im Studium beschlossen,<br />

dass sie ihr Wissen weitergeben wollte – die<br />

Idee zur Webplattform www.arbeiterkind.de entstand.<br />

Professoren: eine Klasse für sich<br />

Unter www.arbeiterkind.de gibt es Informationen<br />

über Stipendien, Tipps für die Wahl eines Studienfachs<br />

und Antworten auf die Frage: Warum<br />

lohnt sich ein Studium? Das ist die virtuelle<br />

Seite, eine persönliche kommt hinzu. „Wir<br />

gehen mit Studierenden in die Schule, und<br />

dort erzählen sie Schülern und Schülerinnen<br />

von ihrem Studienalltag, ihren Ängs ten und<br />

Gepflogenheiten und die Sprache nicht kennt,<br />

hat Hemmungen, Kontakt aufzunehmen“, so<br />

die Mentorin. Professoren erscheinen nicht als<br />

normale Ansprechpartner, sondern als Klasse<br />

für sich.<br />

Kulturelles Kapital nannte der französische<br />

Soziologe Pierre Bourdieu Anfang der achtziger<br />

Jahre dieses Wissen, ohne das kein Aufstieg<br />

möglich ist; es gab und gibt „verborgene<br />

Mechanismen der Macht“. In seiner Studie<br />

„Der Mythos von den Leistungseliten“ bestätigt<br />

der Soziologe Michael Hartmann dies:<br />

Unter den deutschen Wirtschaftsbossen finden<br />

sich gerade einmal 0,5 Prozent Arbeiterkinder.<br />

Einen solch diskriminierenden Zusammenhang<br />

zwischen Herkunft und Bildung kann<br />

sich Deutschland nicht mehr leisten – darin<br />

sind sich alle einig. Doch was ist zu tun? „Die<br />

Hochschulen dürfen geeignete Studienbewerber<br />

nicht nur unter den Kindern der früheren<br />

Absolventen vermuten. Das wären auch viel<br />

zu wenig, denn aus demografischen Gründen<br />

brauchen wir 40 Prozent eines Jahrgangs“,<br />

betont Sabine Behrenbeck. Die Referatsleiterin<br />

im Wissenschaftsrat, dem Beratungsorgan<br />

für die Wissenschaftspolitik, denkt an andere<br />

Strategien: „Hochschulen könnten Studienbewerber<br />

ohne akademischen Hintergrund<br />

gezielt ansprechen und maßgeschneiderte<br />

Angebote für sie bereithalten.“ Dazu gehören<br />

eine intensive Beratung am Übergang<br />

von der Schule an die Hochschule sowie eine<br />

Ausrichtung der Lehrpläne an den Berufsvorstellungen<br />

der künftigen Studierenden. Besonders<br />

wichtig ist Sabine Behrenbeck: „Weil<br />

eine akademische Sozialisierung nicht im Elternhaus<br />

stattfinden konnte, muss sie in der<br />

Hochschule passieren.“ Isabell Lisberg-Haag<br />

www.arbeiterkind.de<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


16<br />

Hochschule<br />

Neues vom Campus<br />

Rostock<br />

Robben testen<br />

am offenen Meer<br />

In der Unterwasserwelt finden sich<br />

Menschen nur mit technischen<br />

Hilfsmitteln zurecht. Robben haben<br />

das nicht nötig. Wie sie sich<br />

auf langen Streifzügen problemlos<br />

orientieren und im dunklen Meeresraum<br />

Fische fangen, welche Informationen<br />

sie dabei nutzen und<br />

wie ihre Sensorik funktioniert,<br />

wollen Wissenschaftler am neuen<br />

Robbenforschungszentrum (Marine<br />

Science Center) der Universität<br />

Rostock herausfinden.<br />

Neun Seehunde im Alter zwischen<br />

drei und 27 Jahren tummeln<br />

sich hier in ihrem natürlichen<br />

Lebensraum. Das 60 mal<br />

30 Meter große und fünf Meter<br />

tiefe Gehege im Yachthafen Hohe<br />

Düne in Rostock-Warnemünde<br />

ist Europas größte Anlage zur<br />

Erforschung der Meeressäuger.<br />

Ein umgebautes Flussschiff dient<br />

dem Zoologieprofessor und Robbenforscher<br />

Guido Dehnhardt und<br />

seinem jungen Wissenschaftler-<br />

Team als Forschungsstation.<br />

Bisher sind die Sinnesleistungen<br />

der Robben nur unzureichend erforscht.<br />

Von Experimenten, mit<br />

denen die Orientierungsmechanismen<br />

der Tiere getestet werden,<br />

erwarten die Forscher praktische<br />

Ergebnisse. So etwa für die Bionik,<br />

die aus den Grundlagen<br />

biologischer Systeme technische<br />

Anwendungen ableitet: An den<br />

Robben orientierte Sensoren sollen<br />

in der Unterwasser-Robotik<br />

Verwendung finden.<br />

Seit einem Jahr arbeiten die Forscher<br />

mit den Seehunden, dabei<br />

nur durch ein Netz vom offenen<br />

Meer getrennt. Bei der feierlichen<br />

Eröffnung im Juni dieses<br />

Jahres erhielt das Zentrum als<br />

„ausgewählter Ort“ den Preis der<br />

Bundesregierung im Wettbewerb<br />

„Deutschland – Land der Ideen“.<br />

Robbenforscher Dehnhardt kündigte<br />

dabei an, dass künftig auch<br />

Besucher die Robben beobachten<br />

und die Experimente verfolgen<br />

können. „Unsere Forschung wird<br />

einsehbar“, sagte Dehnhardt. Llo<br />

Halle-Wittenberg/Leipzig<br />

Kreative Konzepte für Afrika<br />

Wie können die Länder auf dem<br />

afrikanischen Kontinent ihre<br />

Zukunft gestalten und bewältigen<br />

– politisch, sozial und wirtschaftlich?<br />

Diese Frage steht im<br />

Mittelpunkt des ehrgeizigen, groß<br />

angelegten Forschungsprojekts<br />

„Anpassung und Kreativität in<br />

Afrika“, das unter Leitung von<br />

Wissenschaftlern an der Universität<br />

Halle-Wittenberg und Leipzig<br />

bundesweit an mehreren Universitäten<br />

und in verschiedenen<br />

Fachbereichen angesiedelt ist.<br />

Die Einzelprojekte – bisher wurden<br />

30 vorgeschlagen – fragen<br />

etwa: Wie können erprobte westliche<br />

Konzepte für den öffentlichen<br />

Nahverkehr auf die spezifischen<br />

Bedingungen Afrikas übertragen<br />

werden? Welche High-tech-Industrien<br />

können sich in Ländern mit<br />

reichen Ressourcen entwickeln?<br />

Welche Rolle spielen afrikanische<br />

Führungsnationen (Ägypten, Nigeria,<br />

Südafrika) für die politische<br />

Entwicklung des Kontinents? Wie<br />

kommen Mädchen in Westafrika<br />

mit neuen Rollenbildern zurecht?<br />

Welche Rolle können heimkehrende<br />

Bürgerkriegsflüchtlinge beim<br />

Aufbau neuer politischer Strukturen<br />

spielen?<br />

Bei dem Projekt geht es um<br />

Grundlagenforschung. Im Mittel-<br />

punkt steht die Frage, wie bewährte<br />

Muster adaptiert und<br />

kreativ für die afrikanische Wirklichkeit<br />

umgesetzt werden können.<br />

Dabei ist – gerade auch auf<br />

westlicher Seite – Umdenken nötig.<br />

„Für uns bedeutet Demokratie<br />

in erster Linie Abstimmung, also<br />

Wahl“, sagt Richard Rottenburg,<br />

Ethnologie-Professor an der Universität<br />

Halle-Wittenberg. „Afrikanische<br />

Gesellschaften, die ein solches<br />

von außen kommendes Ordnungsmuster<br />

adaptieren, können<br />

damit aber nicht ohne weiteres<br />

arbeiten.“ Gefragt sind in solchen<br />

Fällen kreative Adaptionen und<br />

die Entwicklung neuer Formen.<br />

Wie diese entstehen, sei noch<br />

nicht ausreichend bekannt.<br />

Rottenburg leitet gemeinsam mit<br />

dem Politologen Ulf Engel (Universität<br />

Leipzig) das Projekt. Es<br />

wird als Schwerpunktprogramm<br />

von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

mit 3,2 Millionen Euro<br />

zunächst für die ersten beiden<br />

Jahre gefördert und ist auf sechs<br />

Jahre angelegt. Aus mehr als 30<br />

Projektvorschlägen wird eine internationale<br />

Jury die besten auswählen.<br />

Die Arbeit beginnt 2010.<br />

www.uni-leipzig.de/ ~ afrika ors<br />

Gießen<br />

Mit 35 jüngster<br />

Uni-Präsident<br />

Wenn Joybrato Mukherjee einem<br />

ausländischen Studenten ein Studium<br />

in Gießen schmackhaft machen<br />

sollte, würde er schwärmen:<br />

„Nirgends kann man leichter Kontakte<br />

knüpfen als bei uns. Denn<br />

keine andere deutsche Universitätsstadt<br />

hat eine so hohe Studentendichte:<br />

75 000 Einwohner und<br />

30 000 Studierende.“ Mit ebenso<br />

viel Lokalpatriotismus und obendrein<br />

äußerst kundig und eloquent<br />

wüsste Mukherjee dem<br />

Gießen-Interessenten auch das<br />

große Uni-Angebot in Forschung<br />

und Lehre zu schildern. Und das<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Hochschule 17<br />

Anzeige<br />

Zutraulich:<br />

Experiment mit Seehund<br />

Foto: Rolf Wegst Foto: Uni Rostock<br />

verwundert nicht: Der 35-jährige<br />

Anglistik-Professor wurde im Juli<br />

zum neuen Präsidenten der Gießener<br />

Universität gewählt. Wenn<br />

er im Dezember sein Amt antritt,<br />

ist er der jüngste Uni-Präsident<br />

Deutschlands.<br />

Leicht könnte man Mukherjee<br />

selbst der Gruppe internationaler<br />

Studierender oder junger Wissenschaftler<br />

zurechnen – und das liegt<br />

an seinem jugendlichen Aussehen<br />

ebenso wie an seiner Herkunft. Er<br />

entstammt einer indischen Einwandererfamilie,<br />

die in den 1960er<br />

Jahren nach Deutschland kam.<br />

Mukherjee sagt von sich selbst:<br />

„Ich bin Rheinländer.“ Nach dem<br />

Studium in Aachen promovierte er<br />

an der Universität Bonn und habilitierte<br />

sich dort mit 29 Jahren.<br />

Seit 2003 ist er Professor für Englische<br />

Sprachwissenschaft an der<br />

Universität Gießen. Auch seiner<br />

offenen und zupackenden Art hat<br />

er es wohl zu verdanken, dass er<br />

an der Uni bereits als „unser Obama“<br />

gehandelt wird.<br />

Erfahrung in der Universitätsleitung<br />

sammelt Mukherjee bereits<br />

seit 2008 als Erster Vizepräsident<br />

der Universität. Im Präsidentenamt<br />

wird er Nachfolger von Stefan<br />

Hormuth, der auch Präsident des<br />

<strong>DAAD</strong> ist. Der Sozialpsychologie-<br />

Professor ist seit 1997 Uni-Präsident<br />

in Gießen und ist nach zwei<br />

Amtsperioden nicht zur Wiederwahl<br />

angetreten.<br />

Llo<br />

Zupackend:<br />

Joybrato Mukherjee<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


18 WiSSEnSchaft<br />

Spitzenforschung<br />

auf Reisen<br />

333 Meter lang, 480 Tonnen schwer: In zwölf Themen-Waggons reist zurzeit der Pioniergeist<br />

der deutschen Forschung quer durchs Land. Der Wissenschaftszug zählt zu den<br />

Hauptattraktionen der Bundesregierung anlässlich des 60. Bestehens der Bundesrepublik.<br />

Von Überalterung bis Überfischung – der „ScienceExpress“ zeigt auf 750 Quadratmetern<br />

Fläche, mit welchen Fragen sich Forscher beschäftigen und wie sich unser Leben<br />

in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren verändern wird. Bis November hält die<br />

„Expedition Zukunft“ in mehr als 60 Städten.<br />

Fotos: Philipp Herrnberger<br />

Alt und gesund<br />

Eine Welt ohne Krankheiten bleibt vermutlich eine<br />

Utopie, ein gesundes, verlängertes Leben hingegen ist<br />

möglich. Die Medizintechnik von morgen beschränkt<br />

sich aber nicht allein auf innovative Apparate, die dem<br />

Chirurgen den Operationsfortschritt live auf das Display<br />

übertragen. Längst ist die Rede von neuen Verfahren,<br />

die Leben retten und verlängern: beispielsweise<br />

ein medizinisch-biologisch gefertigtes Gewebe, das als<br />

Zahnersatz oder gar als Herz zum Einsatz kommt. Oder<br />

molekulare Bildgebungsverfahren, die mithilfe von<br />

Bio markern Krebswucherungen sichtbar machen und<br />

punktgenau lokalisieren können.<br />

Forschungsexpedition Deutschland Höhepunkte im Wissenschaftsjahr <strong>2009</strong><br />

Bis 24. November:<br />

Der ScienceExpress rollt durch Deutschland.<br />

Der Eintritt ist frei. Tourdaten gibt es im Internet unter<br />

www.expedition-zukunft.org<br />

Bis 1. Oktober:<br />

Die Zukunft kommt per Schiff: Die MS Wissenschaft<br />

besucht mehr als 30 Städte. Die diesjährige Ausstellung<br />

wirft auf 600 m² einen Blick in die Zukunft.<br />

www.ms-wissenschaft.de<br />

Bis Ende <strong>2009</strong>:<br />

Hightech auf Rädern: Der NanoTruck und das Bio-<br />

Technikum informieren über zwei Forschungsfelder und<br />

deren Anwendungsbereiche: die Nanotechnologie und<br />

die Biotechnologie. Truck-Anfragen von Schulen oder<br />

Hochschulen unter<br />

www.forschungsexpedition.de<br />

Bis Ende <strong>2009</strong>:<br />

120 Fragen an die Forschung: Was hat die Forschung<br />

in Deutschland in den letzten 60 Jahren bewegt?<br />

Was sind die Fragen der Zukunft? Die spannendsten<br />

Wissenschaftsfragen gibt es im Internet unter<br />

www.forschungsexpedition.de<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


WiSSEnSchaft<br />

19<br />

In Kreisläufen denken – Ressourcen schonen<br />

Und plötzlich steht der Besucher inmitten von Birkenstämmen, die<br />

in einem lila-blauen Licht in den Wagenhimmel wachsen. Sie sind<br />

echt – einer von ihnen treibt gerade aus. In Kreisläufen denken,<br />

Ressourcen schonen – nur so lässt sich das Leben von morgen gestalten.<br />

Als Lebenselixier steht vor allem das Wasser im Mittelpunkt. Immer<br />

noch sterben jährlich etwa zwei Millionen Menschen – überwiegend<br />

Kinder und alte Menschen – an Krankheiten, die durch<br />

verunreinigtes Wasser verursacht wurden. Eine Antwort: Der Sky-<br />

Hydrant, ein robustes Membranfiltersystem, das ohne großen finanziellen<br />

Aufwand überall dort aufgebaut werden kann, wo Trinkwasser<br />

aufbereitet werden muss.<br />

Leuchtende Zukunft<br />

Licht der Zukunft – 1900 bunte LED-Lichtkacheln sorgen in Wagen 11<br />

für ein leuchtendes Farbenspiel. James Bond hätte in diesem Abteil keine<br />

Chance: Im Handumdrehen würde ein 3-D-Gesichtsscan die Identität<br />

des Geheimagenten entlarven. Eine Videokamera filmt das Gesicht des<br />

Besuchers und projiziert darauf ein Muster aus hunderten paralleler<br />

infraroter Farbstreifen. Binnen Sekunden errechnet ein Computer aus<br />

den Daten eine dreidimensionale, täuschungssichere Darstellung des<br />

Gesichts. Ebenso unbestechlich: der Handvenenscanner. Kommt diese<br />

Technologie zum Zug, müssen Kunden an Geldautomaten künftig keine<br />

PIN-Nummer mehr eingeben – ein Scan ihres Handrückens übernimmt<br />

die zuverlässige Identifizierung.<br />

Vernetzung als Chance<br />

Monitore flackern, elektronische Anzeigen erleuchten<br />

den Wageninnenraum, Strichcodes auf den Wänden,<br />

am Boden und entlang der Decke: der Weg in eine digitalisierte<br />

Gesellschaft lässt sich nicht mehr aufhalten.<br />

Vernetzung lautet das Schlagwort. Eine riesige, leuchtende,<br />

interaktive Weltkugel zeigt die verschlungenen<br />

Pfade, auf denen die Internetdaten rund um den Globus<br />

reisen, während an einem „Multitouch-Table“ Jugendliche<br />

stehen und ihn lässig bedienen. Das Internet ist<br />

für sie zu einer Wissenswerkstatt geworden, eine unerschöpfliche<br />

Antwortmaschine. Computer durchdringen<br />

heute alle Lebensbereiche. Mit ihnen verändert sich stetig<br />

die Art, wie wir leben, arbeiten und kommunizieren.<br />

Immer stärker rücken die Gesellschaften zusammen,<br />

immer schneller kann Wissen ausgetauscht werden.<br />

Eine riesige Chance für alle.<br />

Katja Lüers<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


20 Wissenschaft<br />

Im Verein mit<br />

Darwin und Einstein<br />

Deutschland hat neuerdings eine Nationale Akademie<br />

der Wissenschaften<br />

Frankreich hat sie schon lange und Großbritannien<br />

ebenso – in Deutschland gibt es<br />

sie erst seit einem Jahr: eine Nationalakademie.<br />

Im Juli 2008 übernahm die Deutsche<br />

Akademie der Naturforscher Leopoldina<br />

in Halle an der Saale diese Aufgabe.<br />

Die exquisite Gelehrtenvereinigung soll<br />

die Politik beraten und die deutsche Wissenschaft<br />

international vertreten.<br />

Was haben der Mediziner Harald zur<br />

Hausen, der Chemiker Wolfgang Ertl<br />

und der Physiker Wolfgang Ketterle gemeinsam?<br />

Für die bahnbrechenden Forschungen<br />

auf ihrem Gebiet erhielten alle drei kürzlich<br />

den Nobelpreis. Der Preis aus Stockholm ist<br />

aber keineswegs das einzige, was die Wissenschaftler<br />

verbindet: Alle drei Forscher sind<br />

auch Mitglied in der Deutschen Akademie der<br />

Naturforscher Leopoldina.<br />

Eine große Ehre ist diese Mitgliedschaft<br />

nicht erst, seit die Leopoldina im Juli 2008 zur<br />

deutschen Nationalakademie ernannt wurde.<br />

Ihren weltweiten Ruf verdankt sie vielmehr<br />

ihrer ruhmreichen Geschichte. 1652 wurde<br />

sie von vier Ärzten in Schweinfurt gegründet<br />

– acht Jahre vor der Royal Society in London<br />

und 14 Jahre vor der Académie des sciences<br />

in Paris. Die Gelehrtengesellschaft mit dem<br />

Gründungsziel, „die Natur zu erforschen zum<br />

Wohle der Menschheit“, ist heute die älteste<br />

fortdauernd bestehende Akademie der Welt.<br />

Der interdisziplinäre Diskurs und wissenschaftliche<br />

Austausch der Mitglieder untereinander<br />

sowie die Verbreitung ihrer wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse gehören seit der<br />

Gründung zu ihren wichtigsten Aufgaben.<br />

Gesamtdeutsch geblieben<br />

Zwölfmal wechselte die regional unabhängige<br />

Leopoldina mit dem Wohnsitz ihrer Präsidenten<br />

den Ort, bis 1878 Halle an der Saale<br />

zu ihrem festen Sitz bestimmt wurde. 1687<br />

ernannte sie Kaiser Leopold I., dem sie ihren<br />

Namen verdankt, zur Reichsakademie, was<br />

sie mehr als 100 Jahre blieb. Herausragende<br />

Forscherleistungen sind bis heute Voraussetzung,<br />

um in die Akademie gewählt zu werden.<br />

Goethe und Darwin, Marie Curie und<br />

Einstein, Max Planck und Heisenberg<br />

gehörten ihr an, insgesamt 167 inund<br />

ausländische Nobelpreisträger.<br />

Derzeit zählt sie 32 Nobelpreisträger<br />

in ihren Reihen und ist mit 1350<br />

Mitgliedern – davon drei Viertel aus<br />

deutschsprachigen, ein Viertel aus<br />

anderen Ländern – die weitaus größte<br />

Gelehrtenvereinigung in Deutschland.<br />

Zur Zeit der deutschen Teilung war<br />

die Leopoldina die einzige wissenschaftliche<br />

Einrichtung, die gesamtdeutsch<br />

agieren konnte. Forscher<br />

aus Westdeutschland und dem westlichen<br />

Ausland gehörten ihr weiterhin<br />

an, und sogar der Vizepräsident<br />

stammte aus dem Westen. Angesichts<br />

ihres internationalen Renommees<br />

konnte die DDR-Regierung dies nicht<br />

verhindern. Für den Würzburger<br />

Virologie-Professor Volker ter Meulen,<br />

der 1984 Leopoldina-Mitglied<br />

und 2003 ihr Präsident wurde, zählt<br />

dieser gesamtdeutsche Aspekt zu<br />

den wichtigen Gründen, warum die<br />

Leopoldina zur Nationalen Akademie<br />

prädestiniert ist.<br />

Unumstritten war ihre Ernennung nicht.<br />

Im föderalistisch strukturierten Deutschland<br />

haben viele Bundesländer ihre eigenen Akademien<br />

der Wissenschaften, insgesamt acht<br />

zwischen Bayern und Brandenburg. Diese vorwiegend<br />

geisteswissenschaftlich orientierten<br />

Länderakademien haben sich in der „Union<br />

der Akademien“ zusammengeschlossen. Nur<br />

die Leopoldina und die Deutsche Akademie<br />

der Technikwissenschaften (acatech) stehen<br />

als überregionale Einrichtungen außerhalb<br />

dieses Verbunds. Über das Modell einer Nationalakademie<br />

wurde jahrelang heftig gestritten.<br />

Doch als Bundesforschungsministerin<br />

Annette Schavan vor einem Jahr die Leopoldina<br />

zur nationalen Akademie ausrief, glätteten<br />

sich die Wogen schnell – und dies umso leichter,<br />

als ein Drittel der Leopoldina-Mitglieder<br />

auch einer der Länderakademien angehört<br />

und die Zeichen damit von Beginn auf Kooperation<br />

standen.<br />

Ein Forscher im Kabinett<br />

Geballte Kompetenz ist nötig, wenn die Akademie<br />

ihre wichtigste neue Aufgabe erfüllen will:<br />

die Politikberatung. Volker ter Meulen, der<br />

auch international in vielen wissenschaftlichen<br />

Beiräten und Gremien tätig ist, bringt hinreichend<br />

Erfahrung mit. „Als in Großbritannien<br />

die Rinderkrankheit BSE ausbrach, saß ich<br />

als ausländischer Experte in einer britischen<br />

Regierungskommission. Unsere Empfehlung,<br />

die Tiere rigoros zu keulen, war der britischen<br />

Regierung zunächst zu weitgehend. Aber als<br />

schließlich 180 000 Tiere und erstmals auch<br />

Menschen erkrankt waren, folgte sie unserem<br />

Rat und bekam so die Seuche in den Griff.“<br />

Ter Meulen schwebt ein hierzulande ähnlich<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Wissenschaft<br />

21<br />

„Mehr Einfluss der Wissenschaft auf die Politik“:<br />

Präsident Volker ter Meulen vor der Leopoldina<br />

Foto: jens schlueter<br />

gro ßer Einfluss der Wissenschaft auf die Politik<br />

vor, wie ihn Akademien im Ausland bereits<br />

besitzen. So in Großbritannien, wo dem Regierungskabinett<br />

obligatorisch ein von der Royal<br />

Society gestellter Wissenschaftler angehört,<br />

der die Politiker berät.<br />

Ter Meulen ist überzeugt, dass Akademien<br />

für diese Aufgabe bestens vorbereitet sind:<br />

„Politiker brauchen angesichts der zahlreichen<br />

Innovationen in allen Bereichen der Gesellschaft<br />

Entscheidungshilfe. Und nirgends gibt<br />

es so viel interdisziplinären Sachverstand wie<br />

in den Akademien.“ Die Leopoldina betreibt –<br />

anders als andere Akademien – außer einigen<br />

wenigen wissenschaftshistorischen Projekten<br />

keine eigene Forschung. Vielmehr bietet sie<br />

ihren Mitgliedern mit Symposien und Arbeitsgruppen<br />

die Plattform für den regelmäßigen<br />

Austausch ihrer Forschungsergebnisse. Seit<br />

1996 gehören neben den medizinisch-naturwissenschaftlichen<br />

Disziplinen auch die empirischen<br />

Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

zu ihren Arbeitsgebieten. Ob in Zukunftsfragen<br />

wie Klima und Energie, Wasser, Evolutionsbiologie<br />

oder Infektionskrankheiten – die<br />

Akademie knüpft hier nicht selten an bestehende<br />

Projekte an. Zu wichtigen Fragen der<br />

Gesellschaft hat sie sich bereits in den letzten<br />

Jahren mit Stellungnahmen geäußert, so<br />

zum Gentechnikgesetz oder zur Stammzellforschung,<br />

zuletzt zur aktuellen Influenza, der so<br />

genannten Schweinegrippe, die sich seit März<br />

von Mexiko ausgehend weltweit ausbreitet.<br />

Im März <strong>2009</strong> schloss die Akademiengruppe<br />

„Altern in Deutschland“ das bisher größte<br />

deutsche interdisziplinäre Projekt zu diesem<br />

gesellschaftlich brisanten Thema ab und überreichte<br />

Bundespräsident Horst Köhler ihre<br />

Empfehlungen. 23 Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftler aus zehn Bereichen hatten in<br />

diesem Gemeinschaftsprojekt der Leopoldina<br />

mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften<br />

drei Jahre lang Forschungsergebnisse<br />

gesichtet und bewertet. „Eine Gesellschaft<br />

des längeren Lebens erfordert auch<br />

ein längeres Arbeits- und Bildungsleben“, sagt<br />

Projektleiterin Ursula M. Staudinger, Psychologie-Professorin<br />

an der Jacobs University<br />

Bremen und Vizepräsidentin der Leopoldina.<br />

„Hier müssen politische Entscheidungen getroffen<br />

werden.“ Ob die von den Forschern<br />

empfohlene Flexibilisierung der Arbeitszeit-<br />

Dauer durchzusetzen ist, bleibt abzuwarten.<br />

Immerhin soll Staudinger dem Bundesarbeitsministerium<br />

in dieser Sache auch künftig mit<br />

Rat zur Seite stehen.<br />

Internationale Lösungen<br />

Immer wichtiger wird für die Leopoldina<br />

die internationale Zusammenarbeit bei Forschungsfragen,<br />

die national nicht mehr zu<br />

lösen sind. Mehrere Empfehlungen etwa zur<br />

weltweiten Herausforderung der Infektionskrankheiten<br />

sind gemeinsam mit dem European<br />

Academies Science Advisory Council<br />

(EASAC) entstanden, in dem Leopoldina-Präsident<br />

ter Meulen zurzeit den Vorsitz hat. Die<br />

Wirkung solcher international abgestimmten<br />

Forscheräußerungen sei gar nicht hoch genug<br />

einzuschätzen, meint er. Als Deutschland<br />

2007 in Heiligendamm dem G8-Gipfel<br />

vorsaß, lag Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

eine wissenschaftliche Stellungnahme zum<br />

Klimaschutz vor, die unter Federführung der<br />

Leopoldina alle nationalen Akademien der G8-<br />

Staaten erarbeitet hatten. Das Papier, dessen<br />

Aussage konträr zur Meinung der Regierung<br />

Bush stand, hatte auch die amerikanische Academy<br />

of Sciences unterschrieben. Ter Meulen:<br />

„Das hat der Kanzlerin den Rücken gestärkt.“<br />

Das langjährige öffentliche Image von den<br />

Akademien als verstaubten Altherrenvereinen<br />

gilt nicht mehr. Dabei hilft auch, dass sich ihre<br />

Mitglieder mit Veranstaltungen zu aktuellen<br />

Forschungsergebnissen zunehmend direkt<br />

an die Bevölkerung wenden. Um die „Verjüngung“<br />

der Mitglieder ging es der Leopoldina,<br />

als sie im Jahr 2000 gemeinsam mit der<br />

Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften<br />

die Junge Akademie gründete. In<br />

ihr widmen sich 50 Nachwuchsforscherinnen<br />

und -forscher Projekten an der Schnittstelle<br />

von Wissenschaft und Gesellschaft. Für ihre<br />

neuen Aufgaben erhält die Leopoldina jährlich<br />

rund fünf Millionen Euro, davon 80 Prozent<br />

vom Bund, 20 Prozent vom Land Sachsen-Anhalt,<br />

wo die Akademie ihren Sitz hat. Von 23,5<br />

festen Mitarbeitern (2008) will sie bis 2011 auf<br />

70 aufstocken. Leonie Loreck<br />

Informationen: www.leopoldina-halle.de<br />

www.akademienunion-de<br />

www.diejungeakademie.de<br />

Abstract<br />

Darwin’s and<br />

Einstein’s Academy<br />

Germany’s National Academy is now a year<br />

old: in July, 2008, the Leopoldina German<br />

Academy of Naturalists in Halle became a<br />

national institution. The elite association<br />

of scholars is to advise policy-makers and<br />

represent German scientists internationally.<br />

The Leopoldina, founded in 1652, is the<br />

world’s oldest continuously existing academy.<br />

Goethe, Darwin and Einstein were<br />

members. Today its international membership<br />

of 1,300 includes 32 Nobel laureates.<br />

During the division of Germany, the Leopoldina<br />

was the only academic institution with<br />

members on both sides of the border.<br />

The academy’s president, Volker ter Meulen,<br />

Professor of Virology in Würzburg, says that the<br />

interdisciplinary expertise and the international<br />

contacts of its members make it ideally suited to<br />

advise decision-makers on current issues such<br />

as climate and energy, water, evolutionary biology<br />

and infectious diseases. The Leopoldina cooperates<br />

closely with the eight primarily humanities-oriented<br />

academies of the German states,<br />

the German Academy of Science and Engineering,<br />

and numerous national academies abroad.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


22<br />

Ortstermin<br />

Bodensee<br />

Studieren und forschen<br />

mit Seeblick<br />

Wer vom Lehrbuch aufschaut, sieht die<br />

schneebedeckten Alpen<br />

Wer am Bodensee studiert oder forscht,<br />

wird von Freunden und Bekannten bald<br />

den Satz hören, wie schön es doch sein<br />

muss, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub<br />

machen. Doch die Hochschulen der Region<br />

können Studierende und Forscher auch<br />

ohne Alpenblick überzeugen.<br />

Von der Mensa der Universität Konstanz<br />

fällt der Blick auf die Blumeninsel Mainau.<br />

Sie ist mit 1,1 Millionen Besuchern im<br />

Jahr die größte Touristenattraktion am Bodensee.<br />

Die Universität hat eine eigene Flotte an<br />

Segelbooten und einen eigenen Badeplatz.<br />

Auch die private Konkurrenz, die Zeppelin-<br />

University in Friedrichshafen, liegt direkt am<br />

Foto: Heinz Schiffer/Fotolia.com<br />

Wasser. An der Konstanzer Fachhochschule<br />

locken auf einem künstlichen Sandstrand Liegestühle<br />

mit Blick auf den nahen Rhein. Es<br />

werden kühle Drinks serviert.<br />

Doch die meist jungen Hochschulen der Region<br />

hätten den Zauber der alten Landschaft<br />

gar nicht nötig, um zu überzeugen: Die erst<br />

1966 gegründete Konstanzer Universität stieg<br />

vor zwei Jahren in die neu geschaffene Elite-Liga<br />

der deutschen Hochschulen auf. Mit ihren<br />

9 200 Studierenden und 174 Professoren ist<br />

sie die kleinste jener neun deutschen Universitäten,<br />

die den Exzellenztitel für zunächst fünf<br />

Jahre führen dürfen. Die Fachhochschule Konstanz<br />

ist für ihre Weiterbildungs-Studiengänge<br />

in Technik und Wirtschaft vom renommierten<br />

Stifterverband als beste deutsche Weiterbildungshochschule<br />

ausgezeichnet worden. Und<br />

die Zeppelin-University gilt sechs Jahre nach<br />

ihrer Gründung als eine der wenigen erfolgreichen<br />

Privathochschulen, die nicht nur praxisnah<br />

Manager ausbilden, sondern auch losgelöst<br />

von Anwendungsfragen die Grundlagen<br />

von Wirtschaft und Gesellschaft erforschen.<br />

Partner aus vier Ländern<br />

Rund um den Bodensee gibt es aber mehr als<br />

diese drei Hochschulen. Im lockeren Verbund<br />

der Internationalen Bodensee-Hochschule<br />

(IBH) haben sich 27 Partner zusammengefunden,<br />

aus allen vier Anrainerländern des Sees:<br />

Deutschland, Österreich, der Schweiz und<br />

Liechtenstein. Dabei versteht sich die Wissenschaftsregion<br />

als deutlich weiträumiger,<br />

als man vom 273 Kilometer langen Seeufer<br />

ins Landesinnere schauen kann. Die Liste der<br />

Mitglieder beginnt mit der Fachhochschule<br />

Albstadt-Sigmaringen, auf halbem Weg zwischen<br />

Stuttgart und Bodensee und endet mit<br />

der Universität Zürich in der Schweiz. Dazwischen<br />

stehen Adressen wie die Pädagogische<br />

Hochschule Weingarten, die Fachhochschule<br />

Vorarlberg (Österreich) oder die Internationale<br />

Akademie für Philosophie im Fürstentum<br />

Liechtenstein. Auch die für ihre Wirtschaftswissenschaften<br />

berühmte und bei internationalen<br />

Studierenden beliebte Universität St.<br />

Gallen (Schweiz) ist darunter.<br />

Die Internationale Bodensee-Hochschule ist<br />

– anders als ihr Name nahelegt – keine eigene<br />

Universität, auch wenn unter ihrem Dach einige<br />

Mitglieder gemeinsam ein Dutzend Masterstudiengänge<br />

anbieten. Sie dient in erster<br />

Linie als Netzwerk, das Kontakte erleichtert.<br />

Wissenschaftler waren in den vergangenen<br />

Jahrzehnten am Bodensee die ersten, die den<br />

Nutzen von Partnerschaften über die Staatsgrenzen<br />

hinaus erkannten.<br />

Als größte Stadt am Bodensee hat Konstanz<br />

gerade 85 000 Bürger. Während die<br />

Konkurrenz-Universitäten in Freiburg oder<br />

Heidelberg Einrichtungen wie Forschungsinstitute<br />

der Max-Planck-Gesellschaft und Industriekonzerne<br />

in der Nachbarschaft haben,<br />

kooperieren die Hochschulen am Bodensee<br />

miteinander. Zwar schwärmte Dichter Alexandre<br />

Dumas Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Ortstermin<br />

23<br />

vom Bodensee als der „großen Wasserfläche,<br />

die wie ein Stück Himmel aussieht, in Erde<br />

gerahmt, um Gott als Spiegel zu dienen.“ Beim<br />

Werben um Spitzenleute und Geld ist dies<br />

aber eher ein Argument von begrenzter Kraft.<br />

Mehr hilft der Verweis auf eine akademische<br />

Partnerschaft mit Adressen in Zürich oder St.<br />

Gallen.<br />

Nobelpreisträger treffen Nachwuchs<br />

Selbst die 1951 ins Leben gerufene Tagung der<br />

Nobelpreisträger in Lindau vertraut nicht auf<br />

Urlaubslaune, sondern will der Elite von heute<br />

und morgen zur Begegnung verhelfen. Die<br />

Nachwuchsforscher und Studierenden sollen<br />

karrierefördernde Eindrücke und Kontakte<br />

mit nach Hause nehmen. Anfang Juli ging das<br />

59. Treffen mit 23 Nobelpreisträgern und 600<br />

Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt zu<br />

Ende. Die Begegnungswoche richtet den Fokus<br />

auf jeweils eine Naturwissenschaft, <strong>2009</strong><br />

auf die Chemie.<br />

Mitunter entsteht durch die Nachbarschaft<br />

am See etwas völlig Neues: Die Pädagogische<br />

Hochschule (PH) des Schweizer Kantons Thurgau<br />

in Kreuzlingen bietet seit wenigen Semestern<br />

gemeinsam mit der Universität Konstanz<br />

ein Lehrerstudium an. Fachwissen von der<br />

Universität, pädagogische Kompetenz von der<br />

PH: Der Thurgau, ohne eigene Universität,<br />

kann so erstmals in seiner Geschichte Gymnasiallehrer<br />

ausbilden. Beide Hochschulen sind<br />

mit dem Bus kaum 20 Minuten voneinander<br />

entfernt, auch wenn dieser dabei die letzte<br />

Grenze der Bundesrepublik überqueren muss,<br />

die nicht in ein Land der Europäischen Union<br />

führt: Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, doch<br />

seit ihrem Beitritt zum Schengen-Abkommen<br />

wird an dieser Grenze nur noch der Warenverkehr<br />

vom Zoll kontrolliert, die ständigen<br />

Personenkontrollen sind abgeschafft.<br />

Flache Hierarchien<br />

Die Kooperation einer Universität mit einer<br />

Pädagogischen Hochschule ist keine Selbstverständlichkeit.<br />

Vom mancherorts verbreiteten<br />

Standesdünkel, wonach Professoren<br />

einer Universität sich nicht mit anderen<br />

Hochschularten einlassen, wurde sie am Bodensee<br />

jedoch kaum gebremst. Längst wird<br />

an Fach- und Pädagogischen Hochschulen der<br />

Region geforscht: In der Photovoltaiktechnik<br />

gilt die Konstanzer Hochschule für Technik,<br />

Wirtschaft und Gestaltung als ebenso führend<br />

wie die Universität. Vor allem aber liegt der<br />

Universität Konstanz als dem wissenschaftlichen<br />

Zentrum zwar die Exzellenz nahe, jedes<br />

elitäre Gehabe aber fern. Flache Hierarchien<br />

gehören seit über 40 Jahren zu ihrem Grundkonzept.<br />

Und der Rektor trägt sein festliches<br />

Amtskleid, den Talar, hier als Kostüm<br />

zum Fasching, nicht zum universitären<br />

Festakt. Statt kleiner Königreiche<br />

einzelner Professoren gibt es<br />

große Sektionen. Statt vieler kleiner<br />

Institutsbibliotheken bildet eine große<br />

gemeinsame Uni-Bibliothek das Herz<br />

der Hochschule, deren Gebäude sich<br />

um die Bibliothek schmiegen.<br />

Noch wichtiger: Junge Nachwuchsforscher<br />

schreiben Forschungsanträge<br />

und schicken sie auch unter eigenem<br />

Namen ab, nicht unter dem ihres Professors.<br />

International haben sich die<br />

Konstanzer Physiker einen Spitzenruf<br />

erworben, aber auch die Sozial- und<br />

Geisteswissenschaften gelten als führend.<br />

In Psychologie, Linguistik oder<br />

Informatik arbeiten vielfach Geistesund<br />

Naturwissenschaftler fachübergreifend<br />

zusammen.<br />

Foto: Uni Konstanz/Pressestelle<br />

Universitätsbibliothek Konstanz:<br />

zwei Millionen Bücher sind rund<br />

um die Uhr frei zugänglich<br />

Beim Exzellenz-Wettbewerb war die Universität<br />

Konstanz mit dem Konzept erfolgreich,<br />

europaweit zur ersten Adresse für die besten<br />

Nachwuchsforscher zu werden. Es umfasst<br />

ein interdisziplinäres und generationenübergreifendes<br />

Zukunftskolleg, das Stipendien<br />

an exzellente Jungforscher vergibt. Zudem<br />

gibt es ein Exzellenzcluster (einen großen<br />

Forschungsverbund) zum Thema „Kulturelle<br />

Grundlagen von Integration“, eine neue Graduiertenschule<br />

Chemical Biology und Angebote<br />

wie den Master-Studiengang „Öffentliche<br />

Verwaltung und Konfliktmanagement“, der<br />

auf die Arbeit in Krisenregionen vorbereitet.<br />

So hat sich die Universität im besten Sinne<br />

einen Ruf als Durchlauferhitzer erworben:<br />

Forscher beginnen hier, sich einen Namen zu<br />

machen – und bekommen dann Rufe in alle<br />

Welt. In Erinnerung bleibt ihnen eine junge<br />

Wissenschaftsszene in einer alten Kulturlandschaft.<br />

Frank van Bebber<br />

Abstract<br />

Research and Study at<br />

the Foot of the Alps<br />

The region around Lake Constance offers students<br />

and scientists more than just a beautiful<br />

Alpine panorama. In the four neighbouring<br />

countries, Germany, Austria, Switzerland and<br />

Liechtenstein, some 30 institutions of higher<br />

education are located near Lake Constance,<br />

including the University of Konstanz, one of<br />

the nine universities honoured by Germany’s<br />

Excellence Initiative. The University of Konstanz<br />

is the scientific centre of the Lake<br />

Constance region, and wants to solidify its<br />

reputation as the best address for Europe’s<br />

top young researchers. Its partner institutions<br />

in Switzerland include the University of<br />

Sankt Gallen, famous for its school of business<br />

administration, and the scientific and<br />

engineering university ETH Zurich. On the<br />

German side of the lake, the award-winning<br />

Konstanz University of Applied Sciences offers<br />

continuing education courses in business and<br />

engineering, and Zeppelin University is one of<br />

Germany’s most successful private universities.<br />

International scientific cooperation is a longstanding<br />

tradition in the Lake Constance<br />

region. Most of the colleges and universities in<br />

the region have now formed a network, named<br />

the International University of Lake Constance<br />

(Internationale Bodensee-Hochschule),<br />

which not only provides a framework for the<br />

partner institutions’ academic contacts, but<br />

also offers joint master’s degree courses.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


24 EuRopa<br />

aktionsplan<br />

Den Europäischen Forschungsraum gestalten<br />

Die Freiheit der Forscher, in jedem Land<br />

der Europäischen Union (EU) arbeiten zu<br />

können, ist zurzeit das Lieblingsthema von<br />

EU-Forschungskommissar Janez Potočnik.<br />

Kein Wunder, steht doch der einheitliche<br />

Europäische Forschungsraum ganz oben<br />

auf seiner Tagesordnung. Er soll – wie für<br />

Waren, Dienstleistungen, Arbeitnehmer<br />

und Kapital bereits umgesetzt – einen Binnenmarkt<br />

für Forscher, Wissen und Technologie<br />

schaffen, der für exzellente Wissenschaftler<br />

mindestens ebenso attraktiv<br />

ist wie die USA oder Japan.<br />

Bereits 2000 beschlossen die EU-Staatsund<br />

Regierungschefs in ihrer „Lissabon-<br />

Agenda“, einen Europäischen Forschungsraum<br />

auf den Weg zu bringen. Sieben Jahre<br />

später fasste Janez Potočnik das bisher Erreichte<br />

in einem Grünbuch zusammen und<br />

skizzierte aus Sicht der EU-Kommission, wie<br />

es weitergehen soll. Jedoch spielen in dieser<br />

Bilanz die einzelnen Länder mit ihren Geldgebern<br />

für Forschung, wie etwa Deutschland<br />

mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft,<br />

keine Rolle. Dabei verfügen gerade sie gemeinsam<br />

mit den Universitäten über den Löwenanteil<br />

(95 Prozent) der öffentlichen Mittel für<br />

die Grundlagenforschung. So geben die nationalen<br />

Forschungsorganisationen und Hochschulen<br />

jährlich 20 Milliarden Euro dafür aus,<br />

die EU-Kommission dagegen nur eine Milliarde<br />

Euro.<br />

Mit einer Stimme sprechen<br />

„Offenbar hat es die EU-Kommission den nationalen<br />

Organisationen nicht zugetraut, sich<br />

zusammenzuschließen und mit einer Stimme<br />

zu sprechen“, vermutet Achim Haag von der<br />

Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das Gegenteil<br />

ist der Fall: Die Chefs der nationalen<br />

europäischen Forschungsförderorganisationen<br />

(European Heads of Research Councils<br />

– EUROHORCs) und die Dachorganisation nationaler<br />

Förderorganisationen (European Science<br />

Foundation) erarbeiteten einen eigenen<br />

Aktionsplan (Road Map) für den Europäischen<br />

Forschungsraum, den sie im April <strong>2009</strong> verabschiedeten.<br />

Darin machen sie deutlich, dass<br />

sie Grundlagenforschung fördern, die „von<br />

unten“, also unmittelbar aus der Wissenschaft<br />

Foto: fotolia.de/Anne Katrin Figge, Montage: axeptDESIGN<br />

heraus entsteht: Die Forscher formulieren die<br />

Fragen und konzipieren ihre Projekte. Es werden<br />

keine Vorhaben „von oben“ vorgegeben.<br />

Die Qualität ist das entscheidende Förderkriterium.<br />

Im Rahmen der Road Map wollen die EURO-<br />

HORCs zehn Aufgaben bis 2020 erledigen.<br />

Sie wollen beispielsweise Forscherkarrieren<br />

in Europa besser fördern, ein europäisches<br />

Begutachtungssystem entwickeln sowie Forschungsgeräte<br />

gemeinsam finanzieren und<br />

nutzen.<br />

Teilweise revolutionär<br />

Kernstück des Aktionsplans ist die Ausgestaltung<br />

des Forschungsraums zu einer europäischen<br />

Förderunion. Sie soll es Wissenschaftlern<br />

erleichtern, sich innerhalb Europas zu<br />

bewegen: So dürfen sie nationale Fördergelder<br />

mit ins Ausland nehmen und sich Experten<br />

aus einem anderen Land dazuholen. Außerdem<br />

wollen die Organisationen Förderzusagen<br />

wechselseitig anerkennen, das heißt: Ein<br />

Forschungsantrag wird nur einmal begutachtet,<br />

aber von mehreren Ländern finanziert.<br />

„Was wir mit der Förderunion erreichen wollen,<br />

ist teilweise revolutionär“, sagt Achim<br />

Haag. So bezahlt die Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />

zum Beispiel künftig einen irischen<br />

Forscher in Irland, weil seine Expertise von<br />

einem internationalen Team in Deutschland<br />

angefordert wird. Oder ein deutsch-französisch-schwedisches<br />

Forschungsvorhaben wird<br />

nur in Frankreich begutachtet, aber von allen<br />

drei beteiligten Ländern finanziert.<br />

Die EUROHORCs wollen die europäische Forschungsförderung<br />

nicht abschaffen, sondern<br />

erweitern. „Die supranationale und die nationale<br />

Forschungsförderung ergänzen sich wie<br />

ein System kommunizierender Röhren“, sagt<br />

Achim Haag. In diesem Sinn definiert auch der<br />

Präsident der EUROHORCs, Professor Dieter<br />

Imboden, die Rolle seiner Organisation: „Ohne<br />

nationale Förderorganisationen und Universitäten<br />

kann es den Europäischen Forschungsraum<br />

nicht geben. Wir sind die Partner für<br />

die EU-Kommission, um den Forschungsraum<br />

gemeinsam zu gestalten.“ Katja Spross<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


EuRopa<br />

25<br />

nachrichten<br />

EU-Rahmenprogramm<br />

Balkan forscht mit<br />

Bosnien und Herzegowina ist seit Januar<br />

<strong>2009</strong> mit dem siebten Forschungsrahmenprogramm<br />

der Europäischen Union (EU) assoziiert<br />

und kann nun gleichberechtigt mit den<br />

EU-Mitgliedstaaten Mittel aus dem Programm<br />

beantragen. Wissenschaftler haben somit bessere<br />

Möglichkeiten, sich an der Forschungszusammenarbeit<br />

mit Kollegen in ganz Europa<br />

zu beteiligen. Im siebten Forschungsrahmenprogramm<br />

stellt die EU für die Zeit von<br />

2007 bis 2013 nahezu 55 Milliarden Euro zur<br />

Verfügung. Damit unterstützt sie vor allem<br />

die grenzüberschreitende Forschung in strategisch<br />

wichtigen Bereichen wie etwa Gesundheit,<br />

Klimawandel oder Nanotechnologie. Mit<br />

Bosnien und Herzegowina sind nun alle Balkanstaaten<br />

mit dem Programm assoziiert, was<br />

die regionale Zusammenarbeit intensivieren<br />

dürfte. Die Integration in die europäische Forschung<br />

ist für Bosnien und Herzegowina ein<br />

wichtiger Schritt in Richtung Mitgliedschaft<br />

in der Europäischen Union.<br />

Eurobarometer<br />

Mehr Unternehmergeist gefragt<br />

Wie beurteilen europäische Studierende die<br />

Hochschulbildung in Europa? Die Kommission<br />

für allgemeine und berufliche Bildung, Kultur<br />

und Jugend der Europäischen Union wollte es<br />

genauer wissen und führte im Februar <strong>2009</strong><br />

eine „Eurobarometer“-Umfrage durch. Befragt<br />

wurden Studierende aus 31 europäischen Ländern.<br />

Sie wünschen sich vor allem eine Annäherung<br />

der Universitäten an den Arbeitsmarkt:<br />

87 Prozent sind der Meinung, dass die<br />

Hochschulen Innovationen und unternehmerisches<br />

Denken fördern müssen. Praktika in<br />

Unternehmen etwa sollten fester Bestandteil<br />

der Studienprogramme sein. Dreiviertel der<br />

Befragten möchten im Studium Kenntnisse<br />

erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt nützlich<br />

sind: Kommunikations- und Lerntechniken<br />

oder Teamwork.<br />

Ein Auslandsaufenthalt steht bei einem<br />

gro ßen Teil der Studierenden nicht auf der<br />

Agenda: 41 Prozent wollen nicht im Ausland<br />

studieren, elf Prozent planten es, verwarfen<br />

die Idee aber wieder. Immerhin ein Drittel der<br />

Befragten strebt einen Studienaufenthalt in<br />

einem anderen Land an.<br />

Abb.: axeptDESIGN<br />

Gemeinsame Abschlüsse<br />

Europas Unis liegen vorn<br />

„Jüdische Studien – Geschichte jüdischer<br />

Kulturen“ ist ein Joint Degree-Programm der<br />

Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg<br />

und der Universität Graz. Der gemeinsame<br />

Master-Abschluss befähigt Studierende zur<br />

Promotion in Deutschland und Österreich. Der<br />

Double Degree-Studiengang „Internationale<br />

Betriebswirtschaftslehre“ der Katholischen<br />

Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Tongji<br />

University in Shanghai bietet hingegen einen<br />

zweifachen Abschluss – einen deutschen und<br />

chinesischen Bachelor. Solche Joint Degree<br />

und Double Degree-Programme an Hochschulen<br />

in der Europäischen Union und in den USA<br />

hat die Freie Universität Berlin gemeinsam<br />

mit dem Institute of International Education<br />

erstmals untersucht.<br />

Abb.: Moi Cody<br />

EU-Mitgliedstaaten<br />

Bosnien und Herzegowina<br />

Laut Studie bieten europäische Universitäten<br />

deutlich mehr Joint Degrees an als US-amerikanische<br />

und gewinnen damit für ausländische<br />

Studierende an Attraktivität. „Die meisten<br />

US-Universitäten hat diese Entwicklung<br />

kalt erwischt. Hier gab es plötzlich einen<br />

wichtigen Trend im internationalen Hochschulmarkt,<br />

bei dem sie nicht vorne mitspielen“,<br />

sagt Matthias Kuder, Mitautor der Studie.<br />

Die Hochschulen bieten diese Abschlüsse vor<br />

allem an, um sich international zu positionieren<br />

und ihrer Institution ein höheres Ansehen<br />

zu verschaffen. Aus der Studie geht hervor,<br />

dass künftig Double Degrees noch weiter zunehmen<br />

werden, da sie rechtlich einfacher<br />

umzusetzen sind.<br />

Boris Hänßler<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


26 Arbeiten Weltweit<br />

Nicht die Fassung verlieren<br />

Business und Sozialarbeit in Taiwan<br />

Foto: flickr.com<br />

2,7 Millionen Menschen, glitzernde Einkaufszentren,<br />

das zweithöchste Gebäude<br />

der Welt – Taipeh pulsiert. Die Hauptstadt<br />

Taiwans symbolisiert wie kein anderer<br />

Ort der Insel den Wechsel vom Agrar- zum<br />

Hightech-Land. Trotz westlicher Orientierung<br />

kultiviert die Stadt auch ihre Jahrtausende<br />

alte Geschichte. Vor allem aber<br />

ist Taipeh eine florierende Wirtschaftsmetropole.<br />

Taiwan betreibt Handel mit der<br />

ganzen Welt. Politisch wird die Insel nur<br />

von wenigen Staaten anerkannt, für China<br />

ist sie nur eine abtrünnige Provinz. Inmitten<br />

dieser Extreme leben und arbeiten zwei<br />

Deutsche: Harald Worsch, bei Siemens Taiwan<br />

Verantwortlicher für industrielle Lösungen,<br />

und die Soziologin Regina Fuchs.<br />

Ein zwölfstöckiges Wohnhaus in Taipeh,<br />

Downtown. Von hier aus fährt Diplom-<br />

Ingenieur Harald Worsch jeden Morgen durch<br />

ein Meer von Autos und Motorrollern zu seinem<br />

Büro. Das liegt am Rande der Metropole<br />

in einem edlen Gebäudekomplex, gebaut von<br />

der taiwanesischen Regierung. Von dort aus<br />

entwickelt Harald Worsch in leitender Position<br />

industrielle Lösungen für Siemens Taiwan.<br />

Seine Kunden sind unter anderem Stahlhersteller,<br />

die ihre Produktion ausweiten wollen<br />

und dafür zum Beispiel ein neues Walzwerk<br />

benötigen. „Wir stellen ihnen nicht einfach<br />

ein paar Motoren hin, sondern liefern ein<br />

Komplettpaket vom fertigen Produkt bis hin<br />

zur Software und Projektierung“, erzählt der<br />

41-Jährige. Viele seiner Kollegen wohnen im<br />

Grünen. Das kam für den gebürtigen Erlanger<br />

nicht in Frage. „Ich will da leben, wo die<br />

Taiwanesen leben, mittendrin“, sagt Harald<br />

Worsch. Denn das bedeutet Abwechslung. Für<br />

den Ingenieur gibt es nichts Schlimmeres als<br />

Routine. Die hat er auch in seiner 20-jährigen<br />

Karriere bei Siemens stets vermieden: Der<br />

studierte Elektrotechniker durchlief diverse<br />

Abteilungen und war in verschiedenen Positionen<br />

in München, Portland und Sacramento<br />

tätig. Auch nach vier Jahren in Taipeh fehlt<br />

von Routine jede Spur. Zu groß sind die täglichen<br />

kulturellen Herausforderungen.<br />

Harmonisch Probleme lösen<br />

„Viele Asiaten sind hervorragend ausgebildet,<br />

ihnen fehlt jedoch die Eigeninitiative“, erläutert<br />

Harald Worsch. „Sagt man ihnen aber, was<br />

zu tun ist, setzen sie dies hervorragend um.“<br />

Hat sein Glück gefunden: Harald Worsch<br />

mit seiner taiwanesischen Freundin<br />

Die Mentalitäten seien sehr verschieden. Das<br />

zeige sich auch bei privaten Feiern. Während<br />

die Europäer aufeinander zugingen und sich<br />

in kleinen Grüppchen unterhielten, säßen die<br />

Taiwanesen alle im Kreis und nur ein Einziger<br />

rede. Auch im beruflichen Miteinander gälten<br />

andere Regeln. „Haben zwei Mitarbeiter Differenzen,<br />

sprechen sie die niemals direkt an.<br />

Unsere deutsche Geradeaus-Mentalität ist hier<br />

völlig fehl am Platz.“ Taiwanesen beseitigten<br />

ihre Probleme, ohne die allgemeine Harmonie<br />

zu stören. „Wer hier die Fassung verliert, der<br />

Foto: privat<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


Arbeiten Weltweit<br />

27<br />

Normales Leben in der<br />

Hightech-Metropole Taipeh<br />

Foto: Jörg Wirtgen<br />

verliert die Achtung der Einheimischen. Mir<br />

ist das bisher nur zweimal passiert.“ Während<br />

sich die westliche Mentalität eher auf das Individuum<br />

fixiere, stehe bei den Taiwanesen das<br />

große Ganze im Vordergrund. Eine Form der<br />

Bescheidenheit, für die auch Taiwan als Wirtschaftsmetropole<br />

stehe. Worsch: „Das Land<br />

ist der größte Hersteller von Notebooks. Obwohl<br />

es 80 Prozent der gefertigten Produkte<br />

exportiert, tritt es nie direkt in Erscheinung,<br />

sondern steht immer in der zweiten Reihe.“<br />

Diese Bescheidenheit und der Gemeinschaftssinn<br />

trügen wahrscheinlich dazu bei, dass<br />

man in Taipeh sehr sicher lebt. „Wenn Sie ein<br />

Laptop in der Bahn liegen lassen, können Sie<br />

davon ausgehen, dass es Ihnen jemand wiederbringt“,<br />

so der Ingenieur.<br />

Hilfe für Migranten<br />

Das kann auch die Soziologin Regina Fuchs<br />

bestätigen. „Die Menschen hier sind sehr hilfsbereit“,<br />

meint sie. Aber die Schwäbin kennt<br />

durch ihre Arbeit auch ein anderes Gesicht<br />

Taiwans. Die 38-Jährige aus der Nähe von<br />

Ulm kam vor zwei Jahren auf die Pazifik-Insel,<br />

um Arbeitsmigranten aus Südostasien zu betreuen.<br />

„Die Leute werden hier nicht als Menschen,<br />

sondern nur als Arbeitskraft angesehen<br />

und ausgebeutet“, sagt sie. Seit ihrer Jugend<br />

wusste Regina Fuchs, dass sie mit Menschen<br />

am Rand der Gesellschaft arbeiten wollte. Als<br />

sie Soziologie in Ulm studierte, arbeitete sie in<br />

einem Behindertenheim. Dann kam sie über<br />

die Bethlehem Mission Immensee, die Personaleinsätze<br />

für Entwicklungs-, Bildungs- und<br />

Pastoralprojekte in aller Welt organisiert, nach<br />

Taiwan. Die Soziologin lebt südlich der Hauptstadt<br />

in einer kleinen Reihenhaussiedlung an<br />

einem Hang und teilt sich das kleine Haus<br />

mit einem schottischen Mitbewohner. „Taipeh<br />

selbst ist mir zu schmutzig.“<br />

Anderthalb Stunden braucht die 38-Jährige<br />

mit Bus und Bahn bis zu ihrer Arbeitsstelle,<br />

dem Hope Workers’ Center in Jhongli, einer<br />

350 000-Einwohner-Stadt. Es ist eine Anlaufstelle<br />

für Migranten, vorwiegend aus Indonesien<br />

und von den Philippinen. „Diese Leute arbeiten<br />

im Straßenbau, in Fabriken, als Fischer<br />

oder als Haushälterinnen in taiwanesischen<br />

Familien“, erzählt Regina Fuchs. Nur über<br />

teure Vermittlungsagenturen kämen die Arbeiter<br />

nach Taipeh. Um zu verhindern, dass<br />

sie in Taiwan sesshaft werden, dürfen die<br />

Migranten nicht privat unterkommen, ausschließlich<br />

der Arbeitgeber kann ihnen eine<br />

Unterkunft stellen. Die Mitarbeiter des Hope<br />

Workers’ Center geben praktische Tipps und<br />

regeln für sie Formalitäten. Sie vermitteln,<br />

wenn das Gehalt nicht pünktlich überwiesen<br />

wird, Überstunden nicht anerkannt werden<br />

oder Hausangestellte geschlagen werden.<br />

„Viele Migranten kommen illegal hierher, da<br />

sie die 8000 US-Dollar für die Arbeitsvermittlung<br />

nicht bezahlen können“, so Regina Fuchs.<br />

Gerade sie würden häufig nicht entlohnt oder<br />

müssten oft ohne Pause durcharbeiten.<br />

Jeden Mittwoch besucht Regina Fuchs ein<br />

Lager, in dem illegal eingereiste Arbeiter auf<br />

ihre Abschiebung warten. Die Zustände dort<br />

seien verheerend: viele Menschen in vergitterten<br />

Räumen und ein Etagenbett neben dem<br />

anderen. „Ich kann nur zuhören und trösten.<br />

Neulich hat mir eine Philippinin erzählt, sie<br />

sei von einer Freundin an die Behörden verraten<br />

worden.“<br />

Foto: privat<br />

Stets engagiert: Regina Fuchs setzt sich für Migranten ein<br />

Um abzuschalten, geht Regina Fuchs in ihrer<br />

Freizeit oft schwimmen oder mit Freunden<br />

ins Kino und ins Theater. „Mittlerweile zählen<br />

nicht nur Europäer, sondern auch Taiwanesen<br />

zu meinem Freundeskreis.“ Das habe lange<br />

gedauert. „Da die Taiwanesen nur in gro ßen<br />

Gruppen ausgehen, ist es sehr schwer, in<br />

dieses geschlossene System einzudringen.“<br />

Im Goethe-Institut in Taipeh hat die Soziologin<br />

viele Kontakte zu Europäern und Taiwanesen<br />

geknüpft. Auch Harald Worsch besucht die<br />

deutsche Einrichtung regelmäßig wegen des<br />

Austauschs und der Veranstaltungen. Durch<br />

seine taiwanesische Freundin, die sehr gut<br />

Englisch spricht, lernt er jedoch immer mehr<br />

die einheimische Kultur kennen. „Ich beherrsche<br />

die Landessprache nicht, weil Mandarin<br />

unglaublich schwer ist. Das ist schon eine Kontaktbarriere“,<br />

sagt Worsch. Soziologin Regina<br />

Fuchs meistert zumindest einfache Unterhaltungen<br />

problemlos auf Chinesisch. Sie fühlt<br />

sich wohl in Taiwan, doch an einige Landessitten<br />

kann sie sich gar nicht gewöhnen. „Hier<br />

ist es völlig normal, beim Essen zu schlürfen<br />

und zu schmatzen oder laut aufzustoßen.“ Das<br />

sei genauso normal wie das fehlende Umweltbewusstsein,<br />

meint Harald Worsch. Niemand<br />

stelle bei einer Ampel-Rotphase, die in Taipeh<br />

fast anderthalb Minuten dauere, den Motor ab.<br />

„Dennoch habe ich großen Respekt vor diesem<br />

Land, das eine 5 000 Jahre alte Kultur widerspiegelt.<br />

Wir in Europa haben da allesamt<br />

noch auf den Bäumen gesessen.“<br />

Sabine Wygas<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


28 RÄtSEl<br />

In der deutschen Sprache gibt es Wörter,<br />

die „eindeutig mehrdeutig“ sind. Ein<br />

„Boxer“ kann zum Beispiel ein Faustkämpfer, aber auch<br />

eine bestimmte Hunderasse sein. „Pflaster“ kann bedeuten:<br />

Verbandsmaterial oder Straßenbelag. Hier gilt es, weiteren Wörtern<br />

auf die Spur zu kommen, die verschiedene Bedeutung haben. Die dick<br />

umrandeten Buchstaben ergeben das Lösungswort: Es ist ebenfalls ein<br />

Wort mit Doppelsinn und bezeichnet entweder etwas sehr Schmackhaftes<br />

oder sehr Schmerzhaftes.<br />

Sitzgelegenheit / Geldinstitut<br />

Chef einer Gruppe / Kletterhilfe<br />

bösartige Geschwulst / Tierkreiszeichen<br />

Aufhängung für ein Bild /<br />

Teil der Finger- oder Fußspitze<br />

Behörde für Verurteilung oder<br />

Freispruch / allgemein für<br />

Mahlzeit<br />

Kopfbedeckung für sehr<br />

feierliche Gelegenheiten /<br />

Teil des Motors bzw. Raum<br />

für Kolben<br />

Laufvogel (steckt den Kopf in<br />

den Sand) / Blumengebinde<br />

Nahrung für Tiere / Innenstoff der<br />

Kleidung<br />

Nadelbaum / Gebissknochen<br />

männliches Huhn /<br />

Regler für den Wasserabfluss<br />

besonders vornehme Residenz /<br />

Sperrvorrichtung an der Tür<br />

Schreiben Sie das Lösungswort an<br />

Unter den richtigen Lösungen werden zehn Hauptgewinne und zehn Trostpreise vergeben. Bei<br />

diesem Rätsel nehmen an der Auslosung nur Einsendungen von Leserinnen und Lesern teil,<br />

deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bitte die vollständige<br />

Adresse des Absenders angeben!<br />

DIE GEWINNER KÖNNEN ZWISCHEN FOLGENDEN PREISEN WÄHLEN:<br />

1. Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 25. Auflage. Dudenverlag<br />

2. Duden – Zitate und Aussprüche. Herkunft und aktueller Gebrauch. Dudenverlag<br />

3. Der große Conrady: Das Buch deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.<br />

Hrsg. Von Karl Otto Conrady. Artemis und Winkler Verlag 2008<br />

4. Kein schöner Land (1 CD Volkslieder), Knabenchor capella vocalis. Eckhard Weyand.<br />

Häussler classic<br />

Bitte geben Sie mit der Lösung auch den von Ihnen gewünschten Preis an.<br />

Wer war’s? Professor Grübler fragt<br />

Möglichst viel von der großen, weiten Welt sehen –<br />

diesen Lebenstraum erfüllt sich vor mehr als 300 Jahren<br />

ein sprachbegabter Mann, der aus der Nähe von Bielefeld<br />

stammt. Er verlässt seine Heimat, studiert in Polen und dem<br />

heute zu Russland gehörenden Königsberg. Nach Abschlusss<br />

des Medizinstudiums lebt er in Schweden. Dort erklärt er sich<br />

bereit, eine Regierungsdelegation im Auftrag des schwedischen<br />

Königs nach Russland und in den Iran zu begleiten. So lernt er<br />

Städte wie Moskau, Baku und Isfahan näher kennen. Im Iran nimmt<br />

er eine Stelle als Schiffsarzt an und kommt nach Oman, Indien, Thailand<br />

und Indonesien.<br />

Es folgt der Höhepunkt seines Forscher- und Reiselebens: Mit einem<br />

niederländischen Handelsschiff gelangt er 1690 nach Japan – damals<br />

ein gegenüber der Außenwelt weitgehend abgeschirmtes Land,<br />

das kaum zuvor ein Europäer hat bereisen können. Mit offenen<br />

Augen schaut er auf die ihm fremde Welt – egal, ob es sich dabei<br />

um die Gingko-Bäume handelt oder die Technik der Meditation.<br />

Letztere erklärt er als eine Form der „geistlichen Nachdenkung“,<br />

bei der „die Füße unnatürlich übereinander geflochten liegen“.<br />

Respektvoll urteilt er über die Japaner, sie seien „beherzt, klug<br />

und heroisch“.<br />

Zurückgekehrt in seine deutsche Heimat, heiratet er eine<br />

Frau, die über 30 Jahre jünger ist als er. Und er bringt nun<br />

seine vielen Reiseeindrücke zu Papier. Doch erst elf<br />

Jahre nach seinem Tod erscheint die erste Ausgabe<br />

seiner Aufzeichnungen über Japan – nicht etwa<br />

auf Deutsch, sondern auf Englisch.<br />

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />

findet der gelehrte Forschungsreisende<br />

endlich auch in Deutschland die ihm gebührende<br />

Anerkennung. Seither gilt er<br />

hierzulande als Mitbegründer der Japanologie.<br />

Professor Grübler fragt: Wer war’s?<br />

▼<br />

Unter den richtigen Lösungen werden<br />

fünf Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg<br />

ist ausgeschlossen. Bitte wählen Sie unter<br />

den links unten genannten Preisen.<br />

Senden Sie die Lösung an ▼<br />

Redaktion <strong>DAAD</strong> Letter<br />

Trio MedienService<br />

Chausseestraße 103<br />

10115 Berlin, Germany<br />

Fax: +49 30/85 07 54 52<br />

E-Mail: raetsel@trio-medien.de<br />

Einsendeschluss ist der 10. November <strong>2009</strong><br />

Die Lösung und die Gewinner<br />

der vorigen Letter-Rätsel<br />

!finden Sie auf Seite 42<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


SpRachWERkStatt<br />

Universitätsgründung aus Protest<br />

Kleine Wörter mit großer Wirkung: Die so genannten kausalen Präpositionen kennzeichnen<br />

die Ursache, den Zweck oder die Veranlassung eines Sachverhalts. Beispiele<br />

sind: angesichts, anlässlich, aufgrund, aus, dank, durch, für, gemäß, infolge, mangels,<br />

seitens, trotz, wegen, zu, zwecks. Bitte setzen Sie im folgenden Text die jeweils passende<br />

Präposition ein.<br />

Leipzig, die in Sachsen gelegene Großstadt, ist ein bedeutendes<br />

Wirtschaftszentrum in den neuen Bundesländern<br />

und einer der ältesten Messeplätze der Welt, bekannt<br />

insbesondere _____ seiner Buchmesse. Aber Leipzig<br />

ist auch berühmt _____ seine Universität, die nach<br />

der Heidelberger Uni die zweitälteste Deutschlands<br />

ist. _____ ihrer Gründung 1409 wird in diesem Jahr<br />

das 600-jährige Bestehen der Alma Mater Lipsiensis<br />

gefeiert. _____ Jubiläum gibt es rund 300 kulturelle<br />

und wissenschaftliche Veranstaltungen.<br />

Die Universität hat eine bewegte Gründungsgeschichte:<br />

An der Karls-Universität in Prag hatte Böhmenkönig Wenzel<br />

IV. _____ machtpolitischer Bestrebungen die Rektorenwahl im Mai 1409 für ungültig<br />

erklären lassen und den Posten – _____ des Wahlsiegs eines Deutschen – mit einem<br />

Böhmen besetzt. _____ Protest darüber machten sich Lehrkräfte und Studierende aus<br />

Deutschland auf den Weg zurück in ihre Heimat – _____ Neugründung einer Universität<br />

in Leipzig. _____ der Unterstützung _____ die herrschenden Markgrafen und einer<br />

schnellen Zustimmung _____ Papst Alexanders V. gelang dies noch im selben Jahr: Am<br />

2. Dezember 1409 wurde die Universität offiziell eröffnet.<br />

Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde die Universität Leipzig _____ Lehrmaterials<br />

und intakter Gebäude erst 1946 wiedereröffnet. 1953 wurde sie _____ der<br />

kommunistischen Machthaber im Osten Deutschlands in „Karl-Marx-Universität“ umbenannt<br />

und hieß so bis kurz nach der Wiedervereinigung. Heute ist sie eine klassische<br />

Volluniversität mit 14 Fakultäten und fast 30 000 Studierenden aus aller Welt. Forschung<br />

und Lehre sind – _____ dem Leitmotto „Aus Tradition Grenzen überschreiten“ – auf<br />

Inter- und Transdisziplinarität angelegt, so zum Beispiel _____ das Biotechnologisch-<br />

Biomedizinische Zentrum als Teil der 2003 eröffneten „Bio City Leipzig“. 2006 wurde<br />

_____ Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die „Research Academy Leipzig“<br />

eingerichtet. Und _____ der Exzellenzinitiative gibt es das Exzellenzcluster „Translationszentrum<br />

Regenerative Medizin“.<br />

Die weltweit 15 000 Alumni der Universität befinden sich _____ so berühmter Ehemaliger<br />

wie Goethe und Lessing, Friedrich Nietzsche und Richard Wagner in bester Gesellschaft.<br />

_____ Bundeskanzlerin Angela Merkel oder dem früheren Außenminister Hans-Dietrich<br />

Genscher ist auch Deutschlands politische Prominenz unter den Alumni vertreten, ebenso<br />

wie die ausländische: Dazu zählen _____ ihrer Studienzeit in Leipzig etwa der polnische<br />

Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, und die Staatspräsidentin Chiles,<br />

Michelle Bachelet.<br />

Christine Hardt<br />

aufgESpiESSt<br />

„Morgen geh ich Oma“<br />

SpRachEckE<br />

„Die sind alle Schule“, „Hast gesehen Fußball?“<br />

oder „Morgen geh ich Oma“ – drei deutsche Sätze,<br />

die man auf Anhieb versteht. Oder? Die deutsche<br />

Sprache bietet durchaus die Möglichkeit,<br />

Ortsangaben ohne Präpositionen wie „in“, „zu“<br />

oder „nach“ zu bilden, ohne dass die Verständlichkeit<br />

groß darunter leidet. Solche Sätze, so hat<br />

es die Potsdamer Sprachwissenschaftlerin Heike<br />

Wiese kürzlich in Berlin gesagt, seien typisch<br />

für „Kiezdeutsch“, das Deutsch, das im „Kiez“,<br />

einem überschaubaren, kleinen Stadtbereich,<br />

gesprochen wird.<br />

Was das nun wieder ist? Jedenfalls etwas anderes<br />

als die seit den 90er Jahren durch den<br />

Schriftsteller Feridun Zaimoglu geadelte „Kanaksprak“.<br />

Das „Kiezdeutsch“ entwickle sich, so<br />

Wiese, im Kontakt von großstädtischen Jugendlichen<br />

aus verschiedenen Herkunftsländern und<br />

Muttersprachen, unter denen in der Regel auch<br />

Deutschland und die deutsche Sprache sind.<br />

Man möchte sich um jeden Preis abgrenzen<br />

vom Gerede der Erwachsenen, und manchmal<br />

kann jemand, der auch im Kiez auf elaboriertem<br />

Hochdeutsch besteht, schon zu hören bekommen:<br />

„Dich mach isch Krankenhaus“. Kommt<br />

aber selten vor.<br />

Streiten kann man sich selbstverständlich über<br />

die Frage, ob dieser Slang als neue Varietät des<br />

Deutschen zu akzeptieren ist oder ob man sich<br />

gegen einen derart unkorrekten Sprachgebrauch<br />

wehren muss. Stichworte: Kasusverfall, Verschleiß<br />

der Endungen, lexikalische Reduktion,<br />

Umbau der Wortstellung und manches mehr.<br />

Dass die deutsche Sprache durch das keineswegs<br />

nur in Berlin gesprochene „Kiezdeutsch“<br />

nicht wirklich in Gefahr ist, scheint klar. Laut<br />

Heike Wiese wissen das sogar die Kieztypen<br />

selbst: „Wer nur Kiezdeutsch kann, der kommt<br />

nicht weit.“ Manche Jugendliche wechseln zwischen<br />

Standarddeutsch, „Kiezdeutsch“ und<br />

ihrer womöglich ganz anderen Muttersprache<br />

blitzschnell hin und her. Wer sich von seinen<br />

Kumpeln mit „Isch geh Vorstellungsgespräch“<br />

verabschiedet, kommt dort oft mit einem „Schönen<br />

guten Morgen! Mein Name ist …“ an. Beruhigend?<br />

Eigentlich schon. Kann er bedenkenlos<br />

gehen Kneipe, der<br />

29<br />

LÖSUNG: wegen; für; anlässlich; zum; aufgrund; trotz; aus; zwecks; infolge; durch; seitens; mangels; seitens; gemäß; durch; zur;<br />

infolge; angesichts; dank; wegen.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


30 DaaD<br />

Mit 25 Millionen Euro fördert der <strong>DAAD</strong><br />

den Aufbau von fünf Hochschulexzellenzzentren<br />

in der Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Die Zentren sollen dazu beitragen, die<br />

Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten<br />

Nationen zu erreichen und die Globalisierung<br />

menschenwürdig zu gestalten.<br />

Wasser wird immer knapper. Davor warnte<br />

zuletzt im März <strong>2009</strong> der dritte UNESCO-<br />

Weltwasserbericht: Die wachsende Weltbevölkerung<br />

und steigender Konsum werden die<br />

„Wasserkrise“ in den ohnehin trockenen Regionen<br />

verschärfen. Am Wasserforschungszentrum<br />

der Universität von Jordanien arbeiten<br />

Wissenschaftler bereits an einer Lösung der<br />

Wasserprobleme ihres Landes. „Wir haben<br />

technisch gut ausgebildete Leute, um Anlagen<br />

zur Aufbereitung von Abwasser zu bauen“,<br />

sagt Professorin Manar Fayyad. „Aber wenige<br />

von ihnen verstehen zugleich etwas von Wassermanagement.<br />

Uns fehlen interdisziplinär<br />

ausgebildete Entscheidungsträger, die sowohl<br />

ökonomische als auch soziale und ökologische<br />

Aspekte beim Bau von Wasseranlagen berücksichtigen.“<br />

Das soll sich nun ändern. Das „Water Research<br />

Center“ in Amman ist Partner im Projekt<br />

„Centre for Natural Resources and Development“<br />

unter Federführung der Fachhochschule<br />

Köln. Rund fünf Millionen Euro steckt<br />

das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in<br />

dieses länderübergreifende Vorhaben. Die<br />

Kölner Wissenschaftler errichten das Zentrum<br />

mit ihren Kollegen von den Partnerhochschulen<br />

in Jordanien, Mexiko, Mozambique und<br />

Vietnam. Der Schwerpunkt von Lehre und Forschung<br />

liegt im nachhaltigen Wassermanagement.<br />

Dafür schaffen die Partner neue Lehrstühle,<br />

Masterkurse, Doktorandenprogramme<br />

oder E-Learning-Angebote.<br />

Nachhaltiges Wassermanagement verfolgt<br />

auch das ausgezeichnete Projekt „Excellence<br />

through Dialogue – Sustainable Water Management<br />

in Developing Countries.“ „Viele<br />

Entwicklungsziele können wir nur erreichen,<br />

wenn wir die Wasserknappheit beseitigen<br />

oder wenigstens lindern“, sagt Professor Müfit<br />

Bahadir, Vizepräsident der Technischen<br />

Universität Braunschweig. Daran arbeiten die<br />

deutschen Wissenschaftler mit Experten aus<br />

den Partnerhochschulen in Vietnam, Mexiko<br />

und Jordanien.<br />

Hochschulnetzwerke bündeln Wissen<br />

Exzellente Entwicklungszusammenarbeit ist<br />

gefragt, um Armut, mangelhafter Gesundheitsvorsorge,<br />

der Ausbeutung natürlicher<br />

Foto: OKAPIA KG<br />

globale lerngemeinschaft<br />

gegen hunger und armut<br />

Fünf Kompetenzzentren für Entwicklungszusammenarbeit<br />

Ressourcen, Unterernährung oder menschenunwürdigen<br />

Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken.<br />

Insgesamt fließen rund 25 Millionen<br />

Euro aus Mitteln des BMZ in fünf Kompetenzzentren,<br />

die problemorientierte „think tanks“<br />

schaffen sollen. „Der <strong>DAAD</strong> fördert zwar viele<br />

Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit,<br />

aber jetzt bekommen Universitäten Geld<br />

in die Hand, um sich innerhalb der geplanten<br />

Zentren auch untereinander besser zu vernetzen“,<br />

sagt <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär Christian<br />

Bode. „Wir fördern Menschen in Arbeitszusammenhängen,<br />

die über einzelne Kontakte<br />

hinaus weltweit bestehen bleiben und sich<br />

immer mehr verdichten sollen.“<br />

„An der Universität Costa Rica haben wir vor<br />

ein paar Jahren begonnen, ein Netzwerk für<br />

Lebensmittelsicherheit zu organisieren“, sagt<br />

der Vizerektor und <strong>DAAD</strong>-Alumnus Professor<br />

Henning Jensen. Es umfasst bereits alle Länder<br />

Mittelamerikas und einige südamerikanische<br />

Länder. „Wir müssen uns gemeinsam nicht<br />

nur um die bessere Produktion von Nahrungsmitteln<br />

kümmern, sondern auch dafür sorgen,<br />

dass sich Arme leichter gut und ausreichend<br />

ernähren können.“<br />

Ein ähnliches regionales Netzwerk aus 20<br />

Universitäten besteht in Afrika. Der Koordinator,<br />

Professor Adipala Ekwamu, betont:<br />

„Hunger ist das Hauptproblem in Afrika. Die<br />

Hälfte der Afrikaner hat nur eingeschränkten<br />

Zugang zu Nahrungsmitteln. Weltweiter Austausch<br />

in der Forschung ist dringend nötig, um<br />

diesem Problem zu begegnen. Wir sind über-<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


<strong>DAAD</strong><br />

31<br />

Gegen die Dürre: zwei von fünf<br />

Kompetenzzentren widmen sich dem<br />

nachhaltigen Wassermanagement<br />

Abstract<br />

Global Community of Scholars against<br />

Hunger and Poverty<br />

Poverty, inadequate preventive health care, malnutrition,<br />

the water crisis and the exploitation<br />

of natural resources: these are the problems<br />

that many regions in Africa, Asia and Latin<br />

America have to contend with. Solutions can<br />

best be found cooperatively, by reinforced developmental<br />

cooperation, bundled expertise,<br />

and networking among the regions concerned.<br />

The <strong>DAAD</strong> is promoting these objectives by<br />

establishing five university centres of excellence.<br />

Concepts by five German universities<br />

and their partners in developing countries have<br />

been selected in a competition, and each of the<br />

winning schools will receive up to five million<br />

euro. The <strong>DAAD</strong> sees these centres as important<br />

building blocks for a global community of<br />

scholars. They are also intended to help shape<br />

globalisation in keeping with human needs.<br />

ihren Arbeiten helfen, Lebensmittel sicherer<br />

zu machen“, sagt Henning Jensen.<br />

Mehr Bewusstsein für eigene Rechte<br />

Unmenschliche Arbeitsbedingungen vor allem<br />

in Entwicklungsländern sind eine weitere<br />

Herausforderung, auch für die Forschung. Im<br />

„International Center for Development and Decent<br />

Work“ kooperiert die Universität Kassel<br />

mit Partnern in Indien, Brasilien, Kenia, Südafrika,<br />

Pakistan und Mexiko. Beispiel Indien:<br />

Dort arbeiten 93 Prozent der Bevölkerung<br />

ohne Rechte und ohne soziale Absicherung.<br />

„Verbesserungen setzen voraus, dass die Forschung<br />

die Situation der Arbeitnehmer untersucht<br />

und solide Fakten auf den Tisch legt“,<br />

sagt Professor Sharit Bhowmik. Er leitet das<br />

Tata Institute of Social Sciences in Mumbai<br />

und begrüßt die neue Zusammenarbeit der<br />

Hochschulen. „Die Menschen müssen wissen,<br />

dass sie Rechte haben und diese auch einfordern.“<br />

Aus diesem Grund sind Dachorganisationen<br />

von Gewerkschaften aus Deutschland,<br />

Südafrika und Brasilien in das Kompetenzzentrum<br />

eingebunden.<br />

Gesundheit steht im Mittelpunkt des fünften<br />

Kompetenzzentrums, das im Programm<br />

„Hochschulexzellenz in der „Entwicklungszusammenarbeit“<br />

ausgezeichnet wurde. Die Universität<br />

München und ihre Partnerhochschulen<br />

in Äthiopien, Tansania, Chile und Vietnam<br />

errichten das „LMU Center of International<br />

Health“ und bieten den ersten Ph.D.-Studiengang<br />

„International Health“ für Graduierte<br />

aus der ganzen Welt an. Außerdem werden<br />

die Forscher Lehrpläne entwickeln, die den<br />

Besonderheiten der Länder und Regionen<br />

Rechnung tragen. Darüber hinaus bildet das<br />

LMU Center Hochschullehrer und politische<br />

Entscheidungsträger weiter.<br />

„Wir signalisieren mit der Exzellenzinitiative,<br />

dass sich der Einsatz für die Entwicklungszusammenarbeit<br />

lohnt“, sagt <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />

Christian Bode. „Wir wollen eine<br />

globale Lerngemeinschaft schaffen.“<br />

Bettina Mittestraß<br />

zeugt davon, dass Wissenschaft der Antrieb<br />

für Veränderung ist.“ Für ihn ist ein Ziel der<br />

Kooperation die Bündelung von Fachwissen in<br />

der Agrarforschung, der Lehre und besonders<br />

in der Politikberatung. „Wir brauchen zwar<br />

technische Expertise, aber weit mehr Schwierigkeiten<br />

bereitet die soziale Dynamik, die Armut<br />

und Hunger mit sich bringen. Politische<br />

Lösungsansätze sind daher entscheidend.“<br />

Bestehende Brücken zwischen Universitäten<br />

wie in Mittelamerika oder Afrika werden<br />

durch die Exzellenzinitiative des <strong>DAAD</strong> gestärkt.<br />

Gemeinsam gestalten die Universitäten<br />

Hohenheim und Costa Rica mit Hochschulen<br />

in Tansania und Thailand ein „Food Security<br />

Center“. „Wir wollen genügend Wissenschaftler<br />

so gut ausbilden, dass sie weltweit mit<br />

Foto: Jochen Eckel<br />

Gemeinsam forschen und handeln: deutsche Wissenschaftler<br />

im Verbund mit Kollegen aus Entwicklungsländern<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


32 <strong>DAAD</strong><br />

Neuer Blick auf Indien<br />

Gastprofessoren vermitteln Aktuelles<br />

Mit fünf Wissenschaftlern aus Indien startete<br />

im Sommersemester <strong>2009</strong> das neue<br />

Programm „Rotating Chairs“. Der <strong>DAAD</strong><br />

fördert es gemeinsam mit dem Indian<br />

Council for Cultural Relations. Schwerpunkt<br />

sind die Geistes- und Sozialwissenschaften.<br />

Er ist Stückeschreiber und Schauspieler,<br />

Theaterregisseur, Musikproduzent – und<br />

zugleich Professor für Volkskunde an der Universität<br />

Srinagar in Kaschmir. Den kulturellen<br />

Reichtum seiner Heimat an Riten, Festen und<br />

Geschichten vermittelt Data Ram Purohit am<br />

Südasien-Institut der Universität Heidelberg<br />

mit Lehrveranstaltungen über das Volksschauspiel<br />

in der Garhwale-Region und über die<br />

Deutung des uralten Mahabharata-Epos, einer<br />

für Hindus heiligen Schrift. Sein Lehrangebot<br />

ist voll integriert in das Heidelberger Masterund<br />

Doktorandenstudium.<br />

Data Ram Purohit hat einen „Rotierenden<br />

Lehrstuhl“ inne, der gemeinsam vom Indian<br />

Council for Cultural Relations und vom <strong>DAAD</strong><br />

getragen wird. „Pro Jahr entsendet das Indian<br />

Council for Cultural Relations fünf erfahrene<br />

Professoren zur Intensivierung der Indienstudien<br />

nach Deutschland, wobei die deutschen<br />

Hochschulen Kandidaten vorschlagen können“,<br />

erläutert die Referatsleiterin Südasien<br />

beim <strong>DAAD</strong>, Dorothea Jecht, das Prinzip.<br />

Reger intellektueller Austausch<br />

Wer auf einen solchen Lehrstuhl kommt,<br />

bringt meist Deutschlanderfahrung mit. Data<br />

Ram Purohit beteiligt sich bereits seit 2002<br />

am Heidelberger Sonderforschungsbereich für<br />

„Ritual Dynamics and the Science of Ritual“.<br />

Und Gastprofessor Gaya Charan Tripathi ist<br />

seit Jahrzehnten an indischen und deutschen<br />

Universitäten zu Hause: Der Philologe mit<br />

Schwerpunkt in den altindischen Sprachen<br />

Vedisch und Sanskrit promovierte in Indien<br />

und in Deutschland, forschte und lehrte in<br />

beiden Ländern. „Ich nehme jede Gelegenheit<br />

zum Besuch einer deutschen Universität wahr,<br />

weil der rege intellektuelle Austausch mich<br />

mit frischen Forschungsideen bereichert“,<br />

sagt Gaya Charan Tripathi, der Deutsch wie<br />

seine Muttersprache beherrscht. Nach einer<br />

Lehrstuhlvertretung in Leipzig im Jahr 2000<br />

ist er nun Gast auf einem Rotating Chair in<br />

Marburg, wo er „Indische Metrik<br />

und Rezitation“ sowie „Modernes<br />

Sanskrit“ unterrichtet.<br />

Die „Rotating Chairs“ zählen zu<br />

dem vielfältigen Austauschpaket,<br />

das der <strong>DAAD</strong> unter dem Motto „A<br />

New Passage to India“ aufgelegt<br />

hat. Gegenwärtig studieren etwa<br />

90 000 Inder in den USA, 33 000<br />

in Australien und 20 000 an britischen<br />

Universitäten – aber in<br />

Deutschland nicht viel mehr als<br />

4 000. Und umgekehrt sind in Indien<br />

schätzungsweise nur einige<br />

hundert deutsche Gaststudenten<br />

registriert. Neue Zentren für zeitgenössische<br />

Indienstudien in<br />

Deutschland sollen das Interesse<br />

am Partnerland steigern.<br />

„Wir bauen ein solches Indien-<br />

Zentrum auf“, erklärt Stephan Klasen,<br />

Professor für Volkswirtschaftslehre<br />

und Entwicklungs ökonomik<br />

an der Universität Göttingen. „Unser<br />

Gast Sunil Kanwar von der University<br />

of Delhi spielt dabei eine<br />

wichtige Rolle.“ Als Inhaber eines<br />

„Rotating Chairs“ doziert der Wirtschaftswissenschaftler<br />

über die<br />

„Arbeitsmärk te in Entwicklungsländern.<br />

Am Hamburger Asien-<br />

Foto: Sybille Zerr für SFB 619, Uni Heidelberg<br />

Afrika-Institut liest sein Kollege<br />

Ramprasad Sengupta von der Jawaharlal Nehru<br />

University in Neu Delhi über „Nachhaltige Entwicklung<br />

in Indien“, beleuchtet also den Zusammenhang<br />

von Ökonomie und Ökologie.<br />

Der fünfte indische Gastdozent der ersten<br />

Runde ist Surinder Aggarwal von der Universität<br />

Neu Delhi. Der Geograf untersucht<br />

mit seiner Kölner Kollegin Frauke Kraas die<br />

Verstädterung in Entwicklungsländern, das<br />

Problem krisenhafter „Megacities“. Sein Lebensmittelpunkt<br />

Neu Delhi mit 17 Millionen<br />

Einwohnern, davon die Hälfte in Slums, bietet<br />

Rituale, Feste und Geschichten: Data Ram Purohit<br />

vermittelt den kulturellen Reichtum Indiens<br />

Anschauungsunterricht für die Infrastrukturprobleme:<br />

von der Wasserversorgung bis zur<br />

Entsorgung sowie die damit verbundene Gesundheitsvorsorge.<br />

Seit mehr als zwei Jahrhunderten ist das<br />

deutsche Indienbild vorwiegend von Literatur<br />

und Kunst geprägt. In den vergangenen 50<br />

Jahren hat sich das Blickfeld mit der Entwicklungszusammenarbeit<br />

auf wirtschaftliche und<br />

soziale Fragen erweitert. Die „Rotating Chairs“<br />

tragen dieser Entwicklung Rechnung.<br />

Hermann Horstkotte<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


<strong>DAAD</strong><br />

33<br />

Ihre Großmutter sprach Jiddisch. Die Sprache<br />

der osteuropäischen Juden ist dem Deutschen<br />

sehr ähnlich. Um die Großmutter besser<br />

zu verstehen, lernte Cécile Wajsbrot in der<br />

Schule Deutsch. Doch lange Zeit mit zwiespältigen<br />

Gefühlen. Für sie war es die Sprache der<br />

Nationalsozialisten, die ihrer Familie Leid und<br />

Tod gebracht hatten. Heute spricht die französische<br />

Schriftstellerin fließend Deutsch und<br />

wohnt abwechselnd in Paris und Berlin, wo<br />

sie ein Jahr auch als Stipendiatin des Berliner<br />

Künstlerprogramms des <strong>DAAD</strong> lebte.<br />

Doch dahin war es ein langer Weg. Er war<br />

geprägt von der schmerzhaften Auseinandersetzung<br />

mit der Geschichte. Wie sehr die<br />

Vergangenheit das gegenwärtige Leben beeinflusst,<br />

das wurde zum Lebensthema der<br />

Schriftstellerin und zum Gegenstand ihrer<br />

erfolgreichen Bücher. Geboren wurde sie 1954<br />

in Paris, wohin ihre polnischen Großeltern<br />

bereits Anfang der 30er Jahre ausgewandert<br />

waren. Nach der Besetzung der französischen<br />

Hauptstadt durch die Nazis wurde ihr Großvater<br />

1941 in ein Lager verschleppt und später in<br />

Auschwitz ermordet. Die Großmutter und die<br />

damals 10-jährige Mutter von Cécile Wajsbrot<br />

mussten 1942 untertauchen und überlebten in<br />

wechselnden Verstecken und mit gefälschten<br />

Papieren. Auch die Familie des Vaters, der<br />

ebenfalls aus Polen nach Paris kam, wurde<br />

Opfer der Nazis.<br />

„Meine Eltern haben nur wenig über ihre polnische<br />

Herkunft, den Zweiten Weltkrieg und<br />

die Vernichtung gesprochen“, erinnert sich<br />

Cécile Wajsbrot. „Sie wollten, dass ich eine<br />

Französin bin wie jede andere. Aber für uns<br />

aus der zweiten Generation der Emigranten<br />

und Holocaust-Opfer ist das schwierig: Das<br />

verborgene Land und die Vergangenheit existieren<br />

weiter.“ Cécile Wajsbrot studierte Vergleichende<br />

Literaturwissenschaft, arbeitete<br />

acht Jahre als Französischlehrerin an einem<br />

Gymnasium, danach als Literaturredakteurin<br />

für Zeitungen und Rundfunk. 1982 veröffentlichte<br />

sie ihren ersten Roman („Une vie à soi“)<br />

und seitdem viele weitere, in denen sie sich<br />

immer wieder mit den gravierenden Folgen<br />

der Nazi-Vergangenheit für ihre Generation<br />

auseinandersetzt. In ihrem jüngsten Roman<br />

„Mémorial“ (deutsch „Aus einer Nacht“, 2008)<br />

reist eine junge Frau von Paris nach Polen und<br />

gerät auf den Spuren ihrer Familie in einen<br />

schmerzhaften Dialog mit der eigenen Geschichte,<br />

ohne daraus für die Gegenwart Trost<br />

zu ziehen.<br />

Cécile Wajsbrot selbst hat Osteuropa ausführlich<br />

bereist, lange bevor sie sich Berlin nähern<br />

konnte: „Bis zum Fall der Mauer war Berlin<br />

für mich die Hauptstadt des Dritten Reiches,<br />

ich hätte nie dorthin fahren können“, sagt sie<br />

heute und fügt erklärend hinzu: „Es war, als<br />

Foto: Christian Thiel<br />

Gestern Stipendiatin – und heute...<br />

Cécile Wajsbrot<br />

Französische Schriftstellerin<br />

hätte die Mauer die Geschichte eingefroren.“<br />

Doch auch nach dem Mauerfall wartete sie<br />

noch fünf Jahre bis zu einem ersten kurzen<br />

Besuch – „quasi auf der Durchreise“ – und<br />

weitere fünf Jahre, bis sie 2000 mit einem Stipendium<br />

mehrere Wochen blieb. Dann allerdings<br />

war sie von Berlin „geradezu besessen“.<br />

In kürzester Zeit entstand ihr Berlin-Roman<br />

„Caspar-Friedrich-Strasse“ (deutsch „Mann<br />

und Frau den Mond betrachtend“, 2003), in<br />

dem sie sich in der ihr eigenen poetischen<br />

und zugleich mitreißenden Erzählweise mit<br />

Vergangenheit und Gegenwart der deutschen<br />

Hauptstadt auseinandersetzt.<br />

Ihre Faszination für Berlin erklärt Wajsbrot<br />

so: „Die Stadt ist voller Gegenwart und Zukunft,<br />

mit viel Raum – geographisch, geistig<br />

und intellektuell. Gleichzeitig sind die Spuren<br />

der Geschichte überall präsent. Ob durch<br />

Mahnmale, Gedenktafeln, Stolpersteine – in<br />

den Straßen Berlins spricht die Geschichte zu<br />

einem.“ Das sei ganz anders als in Paris, sagt<br />

Wajsbrot. Es waren französische Polizisten,<br />

Kollaborateure der Nazis, die bei den Pariser<br />

Juden die Razzien durchführten und ihren<br />

Großvater deportierten. Doch eine Aufarbeitung<br />

dieser Vergangenheit gebe es dort kaum.<br />

„Paris ist in dieser Beziehung eine stumme<br />

Stadt“, bedauert Wajsbrot. So haben auch ihre<br />

Bücher in Frankreich weit weniger Resonanz<br />

als in Deutschland.<br />

Neuerdings schlägt Wajsbrot Brücken ganz<br />

anderer Art zwischen Deutschland und Frankreich.<br />

Die Schriftstellerin, die bereits englische<br />

Literatur übersetzt hat, überträgt nun<br />

auch Bücher deutscher Autoren – darunter<br />

von Gert Ledig und Stefan Heym –<br />

ins Französische. Deutsch ist<br />

für sie schon lange nicht<br />

mehr die „Sprache des<br />

Feindes“.<br />

Leonie Loreck<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


34 <strong>DAAD</strong><br />

Stipendiaten forschen<br />

Bildende Kunst<br />

Ohne Berührungsängste<br />

Eine Person erwirbt eine Theaterkarte, Tag<br />

und Stunde sind angegeben, der Ort fehlt.<br />

Denn die eigene Lebenswelt wird zum Schauspiel,<br />

Mitmenschen werden zu Darstellern,<br />

Orte zu Schauplätzen, Gegenstände zu Kulissen.<br />

Der Zuschauer zeichnet seine Eindrücke<br />

auf, daraus entsteht ein Theaterstück, das später<br />

auf einer „echten“ Bühne aufgeführt wird.<br />

Dieses neue Theaterkonzept will der <strong>DAAD</strong>-<br />

Stipendiat Bertram Haude während seiner<br />

künstlerischen Weiterbildung in Israel realisieren.<br />

Seit Dezember 2008 ist er Gaststudent<br />

an der Bezalel Academy of Arts and Design<br />

in Jerusalem. „Ich will Momente kreieren, in<br />

denen Menschen ihre Realität von einer anderen<br />

Seite anschauen“, sagt der 38-Jährige.<br />

Wer derart verblüffen will, muss mutig sein –<br />

in einem politisch so angespannten Land wie<br />

Israel noch viel mehr als in Deutschland. Doch<br />

Angst hat Bertram Haude nicht: „Als Künstler<br />

agiere ich in einem seltsam rechtsfreien<br />

Raum. Ich bin ein moderner Hofnarr.“<br />

Er bewegt sich völlig frei in Israel. Ohne<br />

Scheu vor den Krisengebieten erkundet er das<br />

Land, die Menschen und das politisch-religiöse<br />

Leben – oft ohne Karte, aber immer mit<br />

der Fotokamera im Gepäck. Nur selten arbeitet<br />

er in den Ateliers der Kunsthochschule, Eindrücke<br />

und Inspiration zu sammeln ist ihm<br />

wichtiger.<br />

„Meine Arbeit besteht aus Ideen und viel<br />

Organisationsaufwand“, erklärt der gebürtige<br />

Dresdner, der Kunstpädagogik und Erziehungswissenschaften<br />

studiert hatte, bevor er<br />

seine künstlerische Ausbildung an der Hochschule<br />

für Grafik und Buchkunst in Leipzig begann.<br />

Bertram Haude hat sich von der Intimität<br />

seiner frühen Zeichnungen entfernt und stellt<br />

seine Kunst heute in den öffentlichen Raum.<br />

Durch Installationen und Aktionen holt er seine<br />

Werke in die Alltagswelt der Menschen und<br />

begegnet ihnen dabei auf neue Weise.<br />

Foto: CERN www.cern.ch<br />

Teilchenphysik<br />

An der Grenze des Machbaren<br />

Die deutsche Teilchenphysikerin Kristin Lohwasser<br />

forscht an einem der größten Geheimnisse<br />

unseres Kosmos. Warum hat alles im<br />

Universum Masse? Im Higgs-Boson soll die<br />

Antwort auf diese Frage liegen. Schon 1964<br />

wurde das Teilchen von Peter Higgs mathematisch<br />

vorhergesagt, allerdings verriet der Physiker<br />

nicht, in welchem Massebereich es zu<br />

finden sei. Seit 20 Jahren jagen Forscher mit<br />

Teilchenbeschleunigern der Superlative das<br />

geheimnisvolle Teilchen. Kristin Lohwasser ist<br />

an vorderster Front mit dabei. Sie arbeitet am<br />

europäischen Forschungszentrum CERN, wo<br />

sich der weltweit leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger<br />

LHC (Large Hadron Collider) befindet.<br />

In ihrer Dissertation, die die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin<br />

an der Universität Oxford schreibt,<br />

bereitet Kristin Lohwasser eine Messung vor,<br />

mit der die Produktion von W-Bosonen am<br />

ATLAS-Experiment untersucht werden soll.<br />

Kann das Verhalten dieser Elementarteilchen<br />

zuverlässig untersucht werden, können die<br />

CERN-Forscher die Genauigkeit ihrer theoretischen<br />

Vorhersagen verbessern. Damit<br />

erweist Kristin Lohwasser auch den Higgs-<br />

Suchern einen entscheidenden Dienst: „Die<br />

Messung fügt 2 000 Datenpunkten zehn weitere<br />

hinzu. Das klingt nicht viel, es sind aber<br />

genau diejenigen, die für den Messbereich des<br />

LHC relevant sind.“<br />

Mit größtem Gerät zur kleinsten Materie:<br />

der Teilchen beschleuniger LHC in Genf<br />

Kristin Lohwasser wollte die Messung für ihre<br />

Dissertation eigentlich selbst durchführen.<br />

Doch im September 2008 kam der Tiefschlag:<br />

Nur wenige Tage nachdem der LHC in Betrieb<br />

genommen worden war, schmorte eine Verbindung<br />

durch und verschob den Forschungsbeginn<br />

um ein Jahr. Im September <strong>2009</strong> will die<br />

30-Jährige aber ihre Promotion schon beenden<br />

und danach als Post-Doc weiter nach dem<br />

Higgs-Teilchen suchen. „Ich muss also eine<br />

Trockenübung abgeben“, sagt sie. Sie verwendet<br />

nun keine echten Daten, sondern nur Simulationen,<br />

die sie umso sorgfältiger für eine<br />

Anwendung vorbereitet hat. Nach ihrer Zeit in<br />

Oxford zieht Kristin Lohwasser eine positive<br />

Bilanz. Aber sie betont auch: „Manche deutschen<br />

Universitäten müssen sich, besonders<br />

in den Naturwissenschaften, nicht hinter Oxford<br />

verstecken.“<br />

Zoologie<br />

Wildesel gefährdet<br />

Von 2001 bis 2004 sammelten deutsche und<br />

mongolische Zoologen 400 Schädel des gefährdeten<br />

und wenig erforschten Asiatischen<br />

Wildesels in der Wüste Gobi. Doch in der Mongolei<br />

fehlten Methoden, um diese Fundstücke<br />

zu konservieren, und ein geeigneter Platz,<br />

um sie aufzubewahren. Deshalb wurden die<br />

Schädel nach Deutschland transportiert und<br />

an der Universität Halle und am Senckenberg<br />

Impressionen aus Israel: Alltag in einem krisengeschüttelten Staat<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


<strong>DAAD</strong><br />

35<br />

Museum für Naturkunde in Görlitz präpariert.<br />

Wenn das Material nicht zum Forscher kommen<br />

kann, muss der Weg umgekehrt verlaufen:<br />

Mit der Unterstützung des <strong>DAAD</strong> lädt das<br />

Görlitzer Forschungsmuseum mongolische<br />

Doktoranden ein. Der Zoologe Davaa Lkhagvasuren<br />

ist bereits zum zweiten Mal als <strong>DAAD</strong>-<br />

Stipendiat in Deutschland, um wichtige Daten<br />

für seine Dissertation zu sammeln. Durch das<br />

„Sandwich-Stipendium“ kann der 28-Jährige<br />

eher jüngere oder ältere Tiere schießen“, erläutert<br />

er. Davaa Lkhagvasuren kam im Herbst<br />

2008 nach Görlitz und fühlt sich wohl in der<br />

Stadt an der deutsch-polnischen Grenze. Was<br />

für andere Görlitzer Studierende Normalität<br />

ist, erlebt er als Abenteuer: „Ich lebe im Studentenwohnheim.<br />

Das ist für mich eine ganz<br />

neue Erfahrung. Daheim in der Mongolei teile<br />

ich mir ein kleines, festes Zelt mit meiner Familie.“<br />

Forschung für den<br />

Artenschutz: Warum<br />

wird der Asiatische<br />

Wildesel gejagt?<br />

So rät sie, den Anlagenschutz zu erhöhen, um<br />

das Vertrauen neuer Anleger zu gewinnen.<br />

Außerdem müsse die moldawische Bankenaufsichtsbehörde<br />

enger mit der Versicherungsaufsicht<br />

zusammenarbeiten. „Diese wichtigen<br />

Handlungsansätze werden sich wahrscheinlich<br />

in den nächsten fünf Jahren umsetzen lassen“,<br />

prognostiziert die Ökonomin. Mariana<br />

Cucu hat bereits praktische Erfahrungen gesammelt:<br />

Sie hat in der moldawischen Hauptstadt<br />

Chisinau promoviert und fünf Jahre in<br />

der Zentralbank ihres Heimatlandes gearbeitet.<br />

„Doch in Deutschland muss ich mich zum<br />

ersten Mal intensiv mit theoretischen Modellen<br />

auseinandersetzen“, berichtet die 28-Jährige.<br />

„Die Quellen sind hier reichhaltiger als<br />

in Moldawien.“ Nach ihrer Promotion will sie<br />

eine Habilitation anschließen und später ihre<br />

Foto: Senckenberg Görlitz<br />

Schwierige<br />

Lebensverhältnisse:<br />

Moldawien ist das<br />

ärmste Land Europas<br />

nach dem zweijährigen Deutschlandaufenthalt<br />

seine Arbeit an der mongolischen Nationaluniversität<br />

in Ulaanbaatar abschließen.<br />

Er möchte eine Populationsanalyse des Asiatischen<br />

Wildesels erstellen.<br />

Öffnungen an den Schädeln der Tiere geben<br />

ihm Hinweise auf die Verwandtschaft, er kann<br />

dadurch Veränderungen in der Population<br />

nachvollziehen. An den Zähnen stellt der Zoologe<br />

fest, wie alt die Tiere zum Zeitpunkt des<br />

Todes waren. „Meine Marken für diese Bestimmung<br />

sind die Zahnwechsel und die Jahreslinien,<br />

die man bei einem Längsschnitt durch<br />

den Schneidezahn findet“, sagt Davaa Lkhagvasuren.<br />

Obwohl der Asiatische Wildesel seit<br />

1953 unter Jagdschutz steht, ist das Fleisch<br />

des Tieres noch heute beliebt bei Wilderern.<br />

Darum möchte der Mongole in seiner Arbeit<br />

einen Plan zum Artenschutz entwickeln. „Dafür<br />

ist es wichtig zu wissen, ob die Wilderer<br />

Wirtschaftswissenschaften<br />

Stabilität und Armut<br />

Die kleine Republik Moldawien ist das ärmste<br />

Land Europas – gebeutelt vom Bürgerkrieg<br />

Anfang der neunziger Jahre, der schwierigen<br />

Transformation vom Sowjetregime zu einem<br />

demokratischen Staat und immer wieder zurückgeworfen<br />

durch Unruhen und Korruption.<br />

Dieses Land, über das in Deutschland so wenig<br />

berichtet wird, ist die Heimat von Mariana<br />

Cucu. Die Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitet<br />

seit 2007 an der Universität Regensburg<br />

an ihrer Dissertation über Bankenstabilität. In<br />

ihrer Arbeit vergleicht sie die Regulierung und<br />

Überwachung des Bankensektors in mittelund<br />

osteuropäischen Transformationsländern.<br />

Daraus entwickelt die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin konkrete<br />

Ansätze, um Banken in Moldawien stabiler<br />

zu machen.<br />

Arbeit im moldawischen Bankensystem mit<br />

einer Universitätsprofessur verbinden. Bis dahin<br />

wird sie in Deutschland weiter forschen<br />

und Vorträge über ihre moldawische Heimat<br />

halten, die in den Köpfen vieler Deutscher oft<br />

ein unbeschriebenes Blatt ist. Julia Walter<br />

Fotos: Bertram Haude www.bertramhaude.de<br />

Foto: Railean Viorel<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


36<br />

<strong>DAAD</strong><br />

Nachrichten und Berichte<br />

Foto: <strong>DAAD</strong><br />

ASEM-Sekretariat<br />

Europa und Asien rücken<br />

zusammen<br />

Asien und Europa vertiefen ihren<br />

Austausch auf dem Feld der<br />

Bildung. Das haben die Bildungsminister<br />

der am Asia-Europe-Meeting<br />

(ASEM) beteiligten Staaten<br />

im Mai im vietnamesischen Hanoi<br />

beschlossen. Die Länder wollen<br />

die Zusammenarbeit ihrer<br />

Hochschulen intensivieren und<br />

sich über Fragen der beruflichen<br />

Bildung austauschen. Außerdem<br />

sollen noch mehr Akademiker auf<br />

dem jeweils anderen Kontinent<br />

studieren und forschen.<br />

Um den asiatisch-europäischen<br />

Bildungsdialog zu koordinieren,<br />

richtet Deutschland im Auftrag<br />

der ASEM-Länder ein internationales<br />

Sekretariat ein. Es wird<br />

beim <strong>DAAD</strong> in Bonn angesiedelt<br />

und ab dem 1. September seine<br />

Arbeit aufnehmen. Nach vier Jahren<br />

übernimmt ein asiatisches<br />

Land das Sekretariat.<br />

2010 wird Deutschland die<br />

ASEM-Mitglieder zu einer Konferenz<br />

einladen, um sich auf eine<br />

gemeinsame Linie bei der Anerkennung<br />

von Kreditpunkten und<br />

der Verwendung der Lernergebnisse<br />

zu verständigen. Ziel ist es,<br />

die Vergleichbarkeit und Aner-<br />

kennung von Studienleistungen<br />

zu verbessern. „Die asiatischen<br />

Partner sind an den europäischen<br />

Erfahrungen aus dem Bologna-<br />

Prozess interessiert, da sie die<br />

Schaffung eines gemeinsamen<br />

Hochschulraums für Asien prüfen<br />

wollen“, berichtet Siegbert Wuttig,<br />

Leiter der Nationalen Agentur für<br />

EU-Hochschulzusammenarbeit<br />

beim <strong>DAAD</strong>.<br />

An ASEM nehmen die 27 EU-<br />

Länder, die Europäische Kommission,<br />

16 asiatische Staaten sowie<br />

das Sekretariat des Verbandes<br />

Südostasiatischer Nationen (ASE-<br />

AN) teil. Die Vereinigung wurde<br />

1996 gegründet, um die Beziehungen<br />

zwischen beiden Kontinenten<br />

zu intensivieren. Deutschland<br />

hat sich, unterstützt vom<br />

<strong>DAAD</strong>, dafür eingesetzt, den Dialog<br />

auf die Bildung auszuweiten.<br />

Nach dem erfolgreichen Auftakt<br />

2008 in Berlin war die Konferenz<br />

in Hanoi das zweite Treffen der<br />

ASEM-Bildungsminister. cho<br />

Fünf Jahre RISE-Programm<br />

Immer beliebter<br />

Joshua Klobas und Thomas Bischof,<br />

beide angehende Chemiker<br />

aus den USA, schwärmen von der<br />

„sehr cleveren und effizienten Arbeitsweise“<br />

in deutschen Laboren<br />

und der Einstellung ihrer Betreuer:<br />

„Natürlich wollen die<br />

Doktoranden, die uns betreuen,<br />

dass wir unseren<br />

Job machen, aber trotzdem<br />

kommt der Spaßfaktor nie<br />

zu kurz.“ Deutschland ist<br />

attraktiv für den wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs<br />

aus den USA, Kanada und<br />

Großbritannien. Das beweist<br />

das RISE (Research<br />

Internships in Science and<br />

Engineering)-Programm,<br />

das seit seiner Gründung<br />

Clever und effizient:<br />

RISE-Stipendiaten<br />

loben deutsche Labore<br />

Foto: flickr.com<br />

vor fünf Jahren immer größeren<br />

Zulauf erhält.<br />

Die Stipendiaten forschen im<br />

Sommer gemeinsam mit einem<br />

Doktoranden einer deutschen<br />

Hochschule. Besonders beliebt ist<br />

der Maschinenbau, im Kommen<br />

sind aber auch Biologie und Chemie.<br />

So stieg die Zahl der Bewerbungen<br />

kontinuierlich, und aus<br />

den 98 Stipendien, die der <strong>DAAD</strong><br />

im ersten Jahr vergab, sind inzwischen<br />

364 geworden. Nur jeder<br />

zehnte Stipendiat verfügt dabei<br />

über Deutsch-Kenntnisse oder<br />

Deutschland-Erfahrung.<br />

Auffällig ist das hohe Interesse<br />

an den Umweltwissenschaften.<br />

Neben der Forschungsarbeit bekommen<br />

die Gäste durch gemeinsame<br />

Reisen vielfältige Eindrücke<br />

von Land und Leuten. Das kommt<br />

gut an: Mehr als die Hälfte kann<br />

sich vorstellen, später wiederzukommen.<br />

Rund 350 Stipendiaten<br />

trafen sich Anfang Juli in Heidelberg<br />

zum jährlichen Stipendiatentreffen.<br />

<br />

cho<br />

Namibia/Ghana<br />

Fachzentren für Afrika<br />

Namibia hat das, wovon andere<br />

Länder im südlichen Afrika nur<br />

träumen können: den Standortvorteil<br />

Küstenlage. Doch das logistische<br />

Potenzial, das für die<br />

gesamte afrikanische Wirtschaft<br />

eine wichtige Rolle spielt, wird<br />

in Namibia noch viel zu schlecht<br />

genutzt. An diesem Problem setzt<br />

das neue namibisch-deutsche<br />

Fachzentrum für Logistik an, das<br />

am 7. Mai an der Polytechnic of<br />

Namibia in Windhuk eröffnet<br />

wurde. „Namibia braucht für eine<br />

bessere Infrastruktur vor allem<br />

entsprechend ausgebildetes Personal“,<br />

sagt Professor Thomas<br />

Schmidt von der Fachhochschule<br />

Flensburg, Projektleiter auf deutscher<br />

Seite. Deshalb baut das vom<br />

<strong>DAAD</strong> unterstützte Zentrum neben<br />

akademischer Aus- und Weiterbildung<br />

auf internationalem Niveau<br />

auch auf Technologietransfer<br />

und Beratung von Wirtschaft und<br />

Politik. Eine Fachbibliothek befindet<br />

sich zurzeit im Aufbau. Der<br />

Studienbetrieb ist für Anfang 2010<br />

geplant.<br />

Auch Ghana hat seit Juni <strong>2009</strong><br />

ein neues Fachzentrum, und zwar<br />

gleich für zwei wissenschaftliche<br />

Disziplinen: für Entwicklungsund<br />

für Gesundheitsforschung.<br />

Das Konzept des interdisziplinären<br />

Austauschs überzeugte den<br />

<strong>DAAD</strong>, das an der University of<br />

Ghana in Accra angesiedelte Zentrum<br />

zu fördern. „Das öffentliche<br />

Gesundheitswesen in der Region<br />

kann man nur in Verbindung mit<br />

dem Wissen über die Dorfstrukturen<br />

stärken“, sagt Dorothee<br />

Weyler, <strong>DAAD</strong>-Projektleiterin für<br />

die Fachzentren in Afrika. In der<br />

Abteilung für Entwicklungsforschung<br />

arbeiten das ghanaische<br />

Institute of Statistical, Social and<br />

Economic Research und das Zentrum<br />

für Entwicklungsforschung<br />

an der Universität Bonn zusammen.<br />

Im gemeinsamen Promotions-Programm<br />

forschen Doktoranden<br />

in deutsch-ghanaischen<br />

Tandems zu regional relevanten<br />

Problemen.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


DaaD 37<br />

Umschlagplatz Hafen: Namibisch-deutsches<br />

Fachzentrum bildet Fachkräfte für Logistik aus<br />

Die Abteilung für Gesundheitsforschung<br />

befasst sich mit der klinisch-medizinischen<br />

Forschung,<br />

der biomedizinischen Grundlagenforschung<br />

und Public Health.<br />

Partner der School of Public Health<br />

an der Universität Ghana sind das<br />

Universitätsklinikum Heidelberg,<br />

das Swiss Tropical Institute in<br />

Basel und die Bielefeld School of<br />

Public Health.<br />

CW<br />

<strong>DAAD</strong>-Außenstellen<br />

Sieben Standorte umbesetzt<br />

Neue Gesichter in den Außenstellen:<br />

Seit Anfang des Jahres<br />

leitet Sebastian Fohrbeck die New<br />

Yorker Außenstelle des <strong>DAAD</strong>.<br />

Zur gleichen Zeit übernahm Helmut<br />

Buchholt die Außenstelle<br />

in Jakarta; er löste Ilona<br />

Krüger-Rechmann ab, die<br />

in Bonn das Länderreferat<br />

Afghanistan und Pakistan<br />

leitet. Holger Finken vertritt<br />

die <strong>DAAD</strong>-Belange in<br />

Tokio, seine Vorgängerin<br />

Irene Jansen verantwortet<br />

nun in der Bonner Zentrale<br />

den Bereich Kommunikation<br />

und Marketing. Sie<br />

übernimmt diese Position<br />

von Christian Müller, der<br />

in die Außenstelle nach Rio<br />

de Janeiro geht. Dort vertrat<br />

Gabriele Althoff die letzten<br />

Jahre den <strong>DAAD</strong>, jetzt übernimmt<br />

sie in der Bonner<br />

Zentrale die Internationale<br />

<strong>DAAD</strong>-Akademie.<br />

Der neue Leiter in Moskau heißt<br />

Gregor Berghorn, sein Vorgänger<br />

Thomas Prahl zeichnet künftig in<br />

Bonn für die Russische Föderation<br />

und Belarus verantwortlich. In Mexiko<br />

übernimmt Hanns Sylvester,<br />

bisher Chef der Gruppe „Entwicklungszusammenarbeit<br />

und Alumniprogramme“,<br />

die Außenstelle.<br />

Sein Vorgänger Arnold Spitta koordiniert<br />

dann wissenschaftliche<br />

Veranstaltungen zu den 200-Jahr-<br />

Feiern in Argentinien und Chile.<br />

Ende November verlässt Heinz<br />

Nastansky den <strong>DAAD</strong> und geht in<br />

den Ruhestand. Die Leitung der<br />

Außenstelle Hanoi übergibt er an<br />

Hannelore Bossmann, die zurzeit<br />

in Bonn für die Region Süd- und<br />

Südostasien zuständig ist. Lb<br />

Familienbild vor Siebengebirge: <strong>DAAD</strong>-Außenstellenleiter trafen sich in Bonn<br />

Auf einen Klick<br />

Der <strong>DAAD</strong> im Internet<br />

www.daad.de/<strong>magazin</strong><br />

Nachrichten und Berichte über<br />

das weltweite Engagement des<br />

<strong>DAAD</strong> – informativ und aktuell.<br />

www.daad.de/alumni<br />

Das <strong>DAAD</strong>-Portal für alle<br />

Alumni mit Infos zu Alumni-<br />

Vereinen, Alumni-Kalender,<br />

Alumni-VIP-Galerie und<br />

Alumni-Adressdatenbank.<br />

15 Jahre UNISTAFF<br />

Hochschulen managen<br />

Voneinander lernen über Grenzen<br />

hinweg: Die Fortbildung für Hochschulmanager<br />

UNISTAFF feiert in<br />

diesem Jahr ihren 15. Geburtstag.<br />

Seit 1994 nehmen jährlich rund<br />

20 ausgewählte Hochschulmanager,<br />

Institutsleiter und Professoren<br />

aus Asien, Afrika und<br />

Lateinamerika von Mai bis Mitte<br />

Juli an UNISTAFF teil. Die Fortbildung<br />

zu Themen wie Organisationsentwicklung,<br />

Didaktik und<br />

Forschungsmanagement wird von<br />

der Universität Kassel angeboten<br />

und vom <strong>DAAD</strong> unterstützt.<br />

Das Besondere: Die Kursteilnehmer<br />

bewerben sich mit einem<br />

Arbeitsvorhaben und entwickeln<br />

ihr Projekt im Austausch mit Kollegen<br />

und Dozenten während der<br />

Fortbildung weiter.<br />

Rund 300 Hochschulmitarbeiter<br />

haben seit dem Start vor 15 Jahren<br />

das UNISTAFF-Programm durchlaufen.<br />

Eine von ihnen ist Ilah<br />

Sailah, Mitarbeiterin des indonesischen<br />

Bildungsministeriums.<br />

„Ich habe viel über die Techniken<br />

der Wissensvermittlung gelernt:<br />

kontextuelles Lernen, Kommunikation<br />

mit Teilnehmern und Evaluierung<br />

des Lernerfolgs“, sagt<br />

sie rückblickend. „Das hat mich<br />

bei der Planung und Umsetzung<br />

von Trainingsmaßnahmen für das<br />

akademische Personal in Indonesien<br />

vorangebracht.“<br />

Inzwischen haben sich Netzwerke<br />

unter den Absolventen des<br />

UNISTAFF-Programms etabliert:<br />

in Ostafrika, Zentralamerika und<br />

Indonesien. Ilah Sailah schätzt<br />

das indonesische Netzwerk IN-<br />

DOSTAFF: „Dort finde ich für jede<br />

Projektidee die richtigen Partner.“<br />

JW<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09<br />

Foto: Eric Lichtenscheidt


38<br />

<strong>DAAD</strong><br />

Australien-Alumni<br />

Mehr als sonnen und surfen<br />

Was zieht deutsche Studierende<br />

nach Australien? „Das „Sun and<br />

Surf“-Image des Landes spielt nur<br />

eine untergeordnete Rolle“, sagt<br />

Ursula Toyka, im <strong>DAAD</strong> unter<br />

anderem für den Austausch mit<br />

Australien zuständig. Viele wollen<br />

wegen der guten Studienbedingungen<br />

an die Hochschulen „down<br />

under“ wechseln: Das Studium<br />

ist klar strukturiert, Studierende<br />

finden eine verlässliche Betreuung<br />

und eine sehr internationale<br />

Atmosphäre. Das berichteten die<br />

Australien-Alumni des <strong>DAAD</strong> bei<br />

ihrem ersten Treffen am 7. Mai<br />

<strong>2009</strong> in der Australischen Botschaft<br />

in Berlin.<br />

Zu den über 80 Teilnehmern aus<br />

ganz Deutschland zählte Kathrin<br />

Ilka Staudinger. Die Designerin<br />

nahm 2003 ein Masterstudium an<br />

der Universität Sydney auf. „Von<br />

den guten Arbeitsbedingungen<br />

habe ich sehr profitiert, besonders<br />

vom regen Austausch mit Kommilitonen<br />

und Dozenten“, sagt sie.<br />

Die Zahl der deutschen Bewerber<br />

für ein Australien-Stipendium<br />

steigt seit 2004 kontinuierlich an.<br />

„In diesem Jahr haben wir mit 375<br />

Bewerbern schon in der ersten Jahreshälfte<br />

einen Rekord erreicht“,<br />

sagt Ursula Toyka. Um ebenso<br />

viele Australier nach Deutschland<br />

zu holen, will der <strong>DAAD</strong> nun in<br />

Australien ein Alumni-Netzwerk<br />

aufbauen, das unter anderem<br />

die gute Hochschulausbildung in<br />

Deutschland bekannter macht.<br />

UNESCO-Weltkonferenz<br />

Gemeinsam an morgen<br />

denken<br />

Der <strong>DAAD</strong> veranstaltete im März<br />

<strong>2009</strong> mit Unterstützung des<br />

Bundesministeriums für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit vier<br />

Frühjahrsschulen für internationale<br />

Alumni. Sie waren der akademische<br />

Vorlauf zur anschließenden<br />

UNESCO-Weltkonferenz<br />

„Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

<strong>2009</strong>“ in Bonn. So ging es in<br />

der Frühjahrsschule an der Universität<br />

Greifswald um UNESCO-Biosphärenreservate<br />

als Lernstätten<br />

Foto: azurepro<br />

Immer beliebter: Australien lockt mit guten Studien- und Surfbedingungen<br />

African Good Governance<br />

Die Grundlagen der<br />

Demokratie<br />

Die Zivilgesellschaft gilt als Grundlage<br />

jeder Demokratie. Allerdings<br />

gibt es für sie unterschiedliche<br />

Konzepte. Das zeigte sich auch<br />

beim zweiten Seminar des African<br />

Good Governance Netzwerks<br />

(AGGN), das der <strong>DAAD</strong> gemeinsam<br />

mit dem Freiburger Arnold-<br />

Bergstraesser-Institut Anfang Juni<br />

unter dem Titel „Civil Societies“<br />

organisierte. Die 22 Teilnehmer<br />

debattierten etwa die Frage, ob<br />

Frauen ermutigt werden sollten,<br />

Führung zu übernehmen. Ebenso<br />

erörterten sie, ob eine afrikafür<br />

Nachhaltigkeit, in Lüneburg<br />

entwickelten die Alumni Ideen für<br />

eine ressourcenschonende Hochschule.<br />

Ihre Ergebnisse trugen die<br />

Teilnehmer in Bonn zusammen.<br />

Dort waren auch die Hindernisse<br />

für Nachhaltigkeit ein wichtiges<br />

Thema: Die Universitäten der Entwicklungs-<br />

und Schwellenländer<br />

seien in der Regel mit der Aufgabe<br />

überfordert, umweltschonend<br />

zu forschen. Schrittmacher für<br />

Verbesserungen finden Kraft und<br />

Ideen in Netzwerken, wie sie der<br />

<strong>DAAD</strong> initiiert. Die Frühjahrsschulen<br />

bilden entsprechende Knotenpunkte.<br />

Ingesamt meldeten sich<br />

in diesem Jahr 600 Alumni für<br />

die vier Frühjahrsschulen an. Der<br />

<strong>DAAD</strong> war vom großen Ansturm<br />

überrascht und wählte hundert<br />

Teilnehmer aus. „Wir werden<br />

Nachhaltigkeit künftig zu einem<br />

Wir-Gefühl: Afrikanisches Netzwerk<br />

unterstützt angehende Führungskräfte<br />

festen Tagesordnungspunkt aller<br />

unserer Alumni-Treffen machen“,<br />

sagt Referatsleiter Cay Etzold. JW<br />

Foto: <strong>DAAD</strong>/Adelmann<br />

nische Vereinigung eine Lösung<br />

für die Probleme des Kontinents<br />

bietet. „Die Aushandlung von<br />

Kompromissen im Gespräch ist<br />

eine unverzichtbare Fähigkeit für<br />

die kommenden Führungskräfte<br />

Afrikas und wird deshalb bei den<br />

Seminaren auch im Skills Training<br />

geübt“, sagt Andreas Hettiger,<br />

der beim <strong>DAAD</strong> das AGGN<br />

koordiniert.<br />

Das Seminar war angebunden an<br />

die dritte „European Conference<br />

on African Studies“. Die AGGN-<br />

Mitglieder hatten dort Gelegenheit,<br />

Kontakte zu europäischen<br />

und afrikanischen Wissenschaftlern,<br />

Journalisten, Politikern sowie<br />

Entwicklungshilfeorganisationen<br />

zu knüpfen. <br />

cho<br />

Neue Mobilitätsstudie<br />

Auslandsstudium<br />

kommt zu kurz<br />

Bachelor- und Masterstudierende<br />

haben kaum Zeit für ein<br />

Auslandssemester. Das zeigt<br />

eine neue Studie des Hochschul-<br />

Informations-Systems (HIS), die<br />

auf der dritten Fachkonferenz „go<br />

out! studieren weltweit“ in Berlin<br />

vorgestellt wurde. Zwar stieg<br />

die Auslandsmobilität von 2007<br />

bis <strong>2009</strong> um drei Prozentpunkte<br />

auf 26 Prozent, doch trügt dieser<br />

Schein, was Bachelor- und Masterstudiengänge<br />

angeht: Ins Ausland<br />

wechselten vor allem diejenigen,<br />

die noch einen Studiengang mit<br />

den Abschlüssen Diplom, Magister<br />

oder Staatsexamen besuchen.<br />

„Diese Studierenden befinden<br />

sich bereits in höheren Fachse-<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


<strong>DAAD</strong> 39<br />

mestern, in denen traditionell<br />

der Anteil der Auslandsmobilität<br />

höher liegt“, relativiert Claudius<br />

Habbich vom <strong>DAAD</strong> das Ergebnis<br />

der Studie.<br />

Das Ziel des <strong>DAAD</strong> und des<br />

Bundesministeriums für Bildung<br />

und Forschung (BMBF), dass jeder<br />

zweite Studierende eine Zeit<br />

im Ausland verbringen soll, kann<br />

wegen des Zeitdrucks im Bachelor-Master-System<br />

schwerer umgesetzt<br />

werden. Deshalb will der<br />

<strong>DAAD</strong> künftig bereits bei Schülern<br />

für einen Auslandsaufenthalt<br />

während des Studiums werben<br />

und sich stärker für integrierte<br />

Studiengänge mit ausländischen<br />

Hochschulen einsetzen. JW<br />

Foto: <strong>DAAD</strong>/Reiner Zensen<br />

Projektion in Peking<br />

Mit Kunst hoch hinaus<br />

Öl auf Leinwand war gestern: Der<br />

junge deutsche Künstler Tobias<br />

Zaft arbeitet mit Lichtprojektionen<br />

auf Hochhausfassaden. Derzeit<br />

erstrahlt ein Kunstwerk des<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten von einem<br />

107 Meter hohen Bürokomplex<br />

an einem viel befahrenen Autobahnring<br />

mitten in Peking. Überdimensionale<br />

Hände spielen auf<br />

der größten LED-Fläche der Stadt<br />

„Schere, Stein, Papier“ – ein international<br />

beliebtes Zufallsspiel,<br />

das ohne Sprache auskommt und<br />

überall verstanden wird.<br />

Der interkulturelle Dialog reizt<br />

Tobias Zaft, der 2007 mit einem<br />

Graduiertenstipendium des <strong>DAAD</strong><br />

nach Peking kam und in der<br />

chinesischen Hauptstadt blieb.<br />

„Ich schöpfe viel Inspiration aus<br />

meinen alltäglichen Erfahrungen<br />

in China“, sagt der 27-jährige<br />

Künstler. Und die Chinesen sind<br />

begeistert: Tobias Zaft steht schon<br />

in den Startlöchern für weitere<br />

Projekte im öffentlichen Raum der<br />

chinesischen Hauptstadt. JW<br />

Indische Praktikanten<br />

Schnupperforschung<br />

„Die Arbeit ist straff organisiert,<br />

und die Bahnen fahren unglaublich<br />

pünktlich.“ Das sagt Mayur<br />

Vaidya spontan, wenn man<br />

ihn nach seinen Erfahrungen in<br />

Deutschland fragt. Dabei ist der<br />

Erleben Deutschland: Indische Forschungspraktikanten lernen Land und Labore kennen<br />

Ingenieurstudent vom Indian Institute<br />

of Technology (IIT) Madras<br />

erst wenige Wochen in Deutschland.<br />

Er ist einer von 220 jungen<br />

Inderinnen und Indern, die in diesem<br />

Sommer ein zwei- bis dreimonatiges<br />

Forschungspraktikum<br />

an verschiedenen Universitäten<br />

und Instituten Deutschlands absolvieren.<br />

Der <strong>DAAD</strong> finanziert diesen<br />

Austausch im so genannten WISE-<br />

Programm – das steht für „Working<br />

Internship in Science and<br />

Engineering“. Es ist Teil des im<br />

vorigen Jahr initiierten und vom<br />

Bundesforschungsministerium<br />

finanzierten Programms „A New<br />

Passage to India“, mit dem der<br />

Austausch mit Indien intensiviert<br />

werden soll.<br />

Die Praktikanten, die daheim<br />

im dritten oder vierten Jahr an<br />

einem der indischen Top-Institute<br />

studieren, sind bei ihrer Arbeit<br />

in Deutschland eng in ein Forschungsprojekt<br />

eingebunden und<br />

werden dabei von Doktoranden<br />

betreut. Das Praktikum wird in<br />

Indien als Teil ihres Studiums anerkannt.<br />

„In der Forschung kann<br />

man nur durch internationale<br />

Zusammenarbeit zu Lösungen<br />

kommen“, sagte Vaidya, der eine<br />

Karriere als Materialwissenschaftler<br />

anstrebt, bei einem Treffen aller<br />

Praktikanten in Berlin. „Deshalb<br />

möchte ich schon früh wissen, wie<br />

man in anderen Ländern forscht –<br />

und auch, wie man dort lebt.“ Llo<br />

PROFIN-Programm<br />

Integration statt Betreuung<br />

Ausländische Studierende müssen<br />

in Deutschland häufig Barrieren<br />

überwinden, um in einer<br />

Hochschule integriert zu werden.<br />

Das wurde auf der Auftaktkonferenz<br />

zum <strong>DAAD</strong>-Programm zur<br />

Förderung der Integration ausländischer<br />

Studierender (PRO-<br />

FIN) in Bonn erneut deutlich.<br />

Das neue Programm<br />

fördert Projekte, die über<br />

die reine Betreuung hinausgehen.<br />

„Der Schwerpunkt<br />

liegt auf Integration –<br />

und damit ist die Hochschule als<br />

Ganzes gefragt“, sagt Judith Peltz<br />

vom <strong>DAAD</strong>. „Wir haben deshalb<br />

Projekte ausgewählt, bei denen<br />

sich auch deutsche Studierende<br />

einbringen.“<br />

Die Fachhochschule Hannover<br />

beispielsweise plant für das Wintersemester<br />

<strong>2009</strong>/2010 ein dreiwöchiges<br />

Propädeutikum für ausländische<br />

und deutsche Studienanfänger.<br />

Sie werden an ihre neue<br />

Lernumgebung herangeführt und<br />

erfahren zum Beispiel, wie man<br />

sich in Seminaren verhält. Auch<br />

fachliche Vorkenntnisse werden<br />

harmonisiert – wer bringt welche<br />

Fertigkeiten mit? „Die Studierenden<br />

sollen sich gegenseitig als<br />

kompetent wahrnehmen“, sagt<br />

die Projektkoordinatorin Rosita<br />

Frei vom Internationalen Büro der<br />

FFH. Sämtliche PROFIN-Projekte<br />

sind als Modell für andere Hochschulen<br />

gedacht und sollen möglichst<br />

viele Nachahmer finden.<br />

<br />

boh<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


40<br />

DaaD<br />

Alumni-Treffen<br />

Premiere und Perspektiven<br />

Jedes Jahr fördert der <strong>DAAD</strong> etwa<br />

140 Armenier mit einem Studienoder<br />

Forschungsstipendium. Seit<br />

dem Ende der Sowjetunion ist<br />

die Zahl der Alumni mit Deutschlanderfahrung<br />

auf über 1300<br />

angewachsen. Auf dem ersten<br />

Alumni-Treffen in Eriwan Mitte<br />

termine<br />

12./13. September <strong>2009</strong><br />

Symposium zur Frankfurter<br />

Buchmesse<br />

Im Oktober <strong>2009</strong> ist China Ehrengast<br />

auf der größten Buchmesse<br />

der Welt. Der <strong>DAAD</strong> ist Mitorganisator<br />

eines Symposiums zum<br />

Thema „China in der Welt“.<br />

16. bis 19. September <strong>2009</strong><br />

Jahreskonferenz der EAIE<br />

in Madrid<br />

Auf der Bildungsmesse zur 21.<br />

Jahreskonferenz der European<br />

Association for International Education<br />

(EAIE) ist Deutschland<br />

erstmals mit einem Länderpavillon<br />

vertreten, in dem sich der<br />

<strong>DAAD</strong> und deutsche Hochschulen<br />

vorstellen.<br />

www.eaie.org/conference<br />

Mai – zu den Gästen zählten<br />

der armenische Bildungsminister<br />

Armen Ashotyan und<br />

die deutsche Botschafterin<br />

Andrea Wiktorin – tauschten<br />

sich die ehemaligen Stipendiaten<br />

mit deutschen Experten<br />

aus. Neueste Entwicklungen<br />

in den Agrar-, Sozial- und Naturwissenschaften<br />

sowie der<br />

Germanistik standen ebenso<br />

auf der Tagesordnung wie<br />

künftige gemeinsame Wege<br />

in Wissenschaft und Forschung.<br />

Dieses Thema griff<br />

auch <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />

Christian Bode im Gespräch<br />

mit Vertretern von Ministerien<br />

und Hochschulen auf.<br />

Bode, der Armenien zum<br />

ersten Mal besuchte, lud Bildungsminister<br />

Ashotyan im<br />

Herbst zu einer Informationsreise<br />

nach Deutschland ein.<br />

Der fachliche Austausch mit<br />

deutschen Experten stand auch im<br />

Mittelpunkt des Alumni-Treffens<br />

in Shenyang, China. Thema war<br />

der Strukturwandel Chinas, insbesondere<br />

in den nordöstlichen<br />

Provinzen, wo sich Schwerindustriezentren<br />

des Landes befinden.<br />

Mit großem Interesse folgten die<br />

17. bis 25. Oktober <strong>2009</strong><br />

China Education Expo (CEE)<br />

<strong>DAAD</strong> und deutsche Hochschulen<br />

präsentieren sich auf der chinesischen<br />

Bildungsmesse in Peking,<br />

Wuhan und Shanghai.<br />

www.chinaeducationexpo.com<br />

12. bis 14. November <strong>2009</strong><br />

Education and Career<br />

in Moskau<br />

Der <strong>DAAD</strong> beteiligt sich an der<br />

größten internationalen Bildungsmesse<br />

Russlands.<br />

14./15. November <strong>2009</strong><br />

Messe des Alumniportals<br />

in Jakarta<br />

Unter dem Motto „Erfolge verbinden“<br />

treffen sich indonesische<br />

Deutschland-Alumni des <strong>DAAD</strong><br />

Foto: privat<br />

Teilnehmer zum Beispiel den<br />

deutschen Berichten über alte Industriebauten<br />

im Ruhrgebiet, die<br />

heute für Kultur- und Freizeitaktivitäten<br />

genutzt werden. Die Revitalisierung<br />

von Industriegeländen<br />

in China, Lebensqualität und Umweltprobleme<br />

wurden ebenfalls<br />

debattiert. Das Fachseminar war<br />

das vierte Alumni-Seminar unter<br />

dem Titel „Stadtmodernisierung<br />

und Lebensqualität“, im Rahmen<br />

einer deutsch-chinesischen Veranstaltungsreihe.<br />

Der Aufbau eines Ostsee-Raums<br />

für Bildung und Forschung beschäftigte<br />

<strong>DAAD</strong>-Alumni aus Estland<br />

und Finnland während ihres<br />

und wollen ihr Netzwerk stärken:<br />

Es geht um die Rolle der Alumni<br />

in der indonesischen Wirtschaft<br />

und Bildung. Im Anschluss präsentieren<br />

sich Unternehmen und<br />

Institutionen, die Interesse am Potenzial<br />

der Alumni haben.<br />

18. bis 19. November <strong>2009</strong><br />

Improve! <strong>2009</strong> in Köln<br />

Die europäische Messe für Innovation<br />

im Hochschulbereich mit Begleitkongress<br />

ist das erste gesamteuropäische<br />

Forum dieser Art.<br />

Entscheider und Anwender aus<br />

den Hochschulen sowie Anbieter<br />

von Produkten und Dienstleistungen<br />

für Lehre, Forschung und<br />

Verwaltung im Hochschulbereich<br />

tauschen sich aus. Der <strong>DAAD</strong> ist<br />

Partner.<br />

dreitägigen Treffens Ende Mai im<br />

finnischen Helsinki. Mehr als 120<br />

Ehemalige konnten der Rektor der<br />

Universität Helsinki, Thomas Wilhelmsson,<br />

selbst <strong>DAAD</strong>-Alumnus,<br />

und <strong>DAAD</strong>-Vizepräsident Max Huber<br />

begrüßen. In Workshops und<br />

Podiumsdiskussionen erörterten<br />

die Teilnehmer, wie dieser Bildungsraum<br />

funktionieren könnte<br />

und wie die Kooperation in Forschung<br />

und Lehre weiter vertieft<br />

werden kann. Zum Abschluss lud<br />

der deutsche Botschafter Wilfried<br />

Grolig in seine Residenz. Dort<br />

stellten die Alumni-Vereine aus<br />

Estland und Finnland ihre Arbeit<br />

vor.<br />

cho<br />

Alumni in Shenyang: kulinarische Erinnerungen an Deutschland<br />

20. bis 22. November <strong>2009</strong><br />

Expolingua in Berlin<br />

Zum 22. Mal öffnet die Internationale<br />

Messe für Sprachen und<br />

Kulturen ihre Pforten.<br />

www.expolingua.com<br />

21. Nov. bis 1. Dez. <strong>2009</strong><br />

EuroPosgrados in Mexiko<br />

und Kolumbien<br />

Interessenten können sich in der<br />

mexikanischen Hauptstadt und<br />

in Monterrey über ein Studium<br />

in Europa informieren. Danach<br />

zieht die Messe weiter in die kolumbianischen<br />

Städte Bogotá und<br />

Medellín.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


<strong>DAAD</strong> 41<br />

Köpfe<br />

Davon hätte Soňa Žáčková nie<br />

zu träumen gewagt: Dass sie<br />

einmal mit dem deutschen Außenminister<br />

gemeinsam auf einer<br />

Bühne stehen würde – und das<br />

auf dem Wenzelsplatz mitten in<br />

Prag. Minister Frank-Walter Steinmeier<br />

überreichte dort der jungen<br />

Tschechin den <strong>DAAD</strong>-Preis <strong>2009</strong>.<br />

Der Anlass war hochpolitisch: Am<br />

Abend des 1. Juni startete Steinmeier<br />

in Prag eine „Dankestour“<br />

durch Osteuropa, mit der er an<br />

den Mauerfall vor 20 Jahren und<br />

die Hilfe der Osteuropäer bei der<br />

deutschen Wiedervereinigung erinnerte.<br />

Denn im September 1989<br />

ließ die damalige Tschechoslowakei<br />

4 000 DDR-Flüchtlinge, die<br />

in der bundesdeutschen Botschaft<br />

in Prag Schutz gesucht hatten, in<br />

den Westen ausreisen.<br />

Bei der Gedenkfeier auf dem<br />

Wenzelsplatz hielt Steinmeier<br />

eine Rede und überreichte der jungen<br />

Tschechin den Preis, für den<br />

sie von der Handelshochschule<br />

Leipzig (HHL) ausgewählt worden<br />

war. Die Auszeichnung vergibt der<br />

<strong>DAAD</strong> jährlich an ausländische<br />

Studierende für besonders gute<br />

Leistungen und soziales Engagement<br />

an ihrer deutschen Hochschule.<br />

Soňa Žáčková studiert –<br />

nach ihrem Wirtschaftsstudium in<br />

Prag – zurzeit im Masterprogramm<br />

„International Management“ der<br />

HHL. 1989 war Soňa fünf Jahre alt.<br />

An die Ereignisse von 1989 könne<br />

sie sich nicht erinnern, sagt sie.<br />

„Ich bin froh, dass ich im neuen<br />

Europa aufgewachsen bin und die<br />

alte Zeit nicht erlebt habe.“ Sehr<br />

gefreut hat sie allerdings, dass<br />

sie dem historischen Jubiläum die<br />

Begegnung mit dem deutschen<br />

Außenminister zu verdanken hat.<br />

Ihn findet sie „sehr sympathisch<br />

und charismatisch“. Llo<br />

Der amerikanische Bestseller-<br />

Autor Richard Powers („Vom<br />

Klang der Zeit”, „Das Echo der<br />

Erinnerung”) zählt zu den bekanntesten<br />

Schriftstellern seines<br />

Landes, fühlt sich aber nach wie<br />

vor an der Universität besonders<br />

wohl. Von seiner Heimatuniversität<br />

in Illinois kam er im Sommersemester<br />

<strong>2009</strong> als Samuel<br />

Fischer-Gastprofessor an die Freie<br />

Universität (FU) Berlin. Diese<br />

Gastprofessur wird vom <strong>DAAD</strong><br />

mitgetragen.<br />

Powers’ Seminar für die Berliner<br />

Studenten stand unter dem Thema<br />

„Factitious Fiction, Fictitious Fact“<br />

und behandelte ein besonderes<br />

literarisches Verfahren, das zum<br />

Markenzeichen des Autors geworden<br />

ist: die kunstvolle Verschränkung<br />

von Fiktion und Fakten.<br />

Dabei geht es Powers stets um gewichtige<br />

gesellschaftliche Themen<br />

wie Neurowissenschaften, Rassenprobleme<br />

oder Genforschung.<br />

Als Professor zeigte sich Powers<br />

vom „Engagement und<br />

der Sprachfertigkeit“ der FU-<br />

Studenten stark beeindruckt. Als<br />

prominenter Schriftsteller war<br />

er während seines Deutschlandaufenthalts<br />

auch außerhalb der<br />

Universität präsent: Er las für die<br />

Berliner aus seinen Werken und<br />

diskutierte in Bonn über „Glück<br />

und Gene“. Die Themenwahl war<br />

Foto: ullstein bild B. Friedrich<br />

kein Zufall, denn eine mit einem<br />

„Glücks-Gen“ gesegnete Frau<br />

steht im Mittelpunkt des neuen<br />

Romans „Generosity“, der im Oktober<br />

gleichzeitig in Deutschland<br />

und den USA erscheinen wird. ors<br />

Der Psychologe Jürgen Margraf<br />

(53), führender Experte<br />

in der klinischen Psychologie und<br />

der Psychotherapie, hat sich besonders<br />

mit den Ursachen und der<br />

Therapie von Panik- und Angststörungen<br />

beschäftigt. Dafür wurde<br />

der Wissenschaftler jetzt von der<br />

Alexander von Humboldt-Stiftung<br />

mit einer Humboldt-Professur<br />

ausgezeichnet.<br />

Bei seinen Forschungen konnte<br />

Margraf nachweisen, dass<br />

Panikstörungen von ganz eigenständigen<br />

subjektiven, psychologischen<br />

und physiologischen Faktoren<br />

ausgelöst werden können.<br />

So fand er den Ansatz für neue<br />

psychotherapeutische Verfahren<br />

zur Behandlung dieser Krankheiten.<br />

Margrafs neuere Forschungen<br />

widmen sich Vorbeugemaßnahmen<br />

gegen psychische<br />

Erkrankungen.<br />

Margraf, der sich 1983/84 als<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiat in Stanford/USA<br />

aufhielt und seit 1999 als Ordinarius<br />

für Klinische Psychologie und<br />

Psychotherapie an der Universität<br />

Basel (Schweiz) tätig ist, will nun<br />

als Humboldt-Professor an der<br />

Ruhr-Universität Bochum ein Forschungs-<br />

und Behandlungszentrum<br />

für psychische Gesundheit<br />

aufbauen. Der mit bis zu fünf Millionen<br />

Euro dotierte internationale<br />

Preis ermöglicht herausragenden<br />

Forschern die langfristige Arbeit<br />

an deutschen Universitäten. Seit<br />

2008 werden jährlich zehn Wissenschaftler<br />

ausgezeichnet. ors<br />

Foto: Volker Stößel/HHL<br />

Foto: Mike Wolff<br />

Sonǎ Žáčková mit Außenminister<br />

Steinmeier in Prag<br />

Wissenschaftler träumen davon,<br />

etwas ganz Neues zu<br />

entdecken. Emad Flear Aziz Bekhit<br />

ist das bereits während seiner<br />

Promotion in Berlin gelungen. Am<br />

Helmholtz-Zentrum für Materialien<br />

und Energie (Adlershof) entwickelte<br />

er das „Liquidrom“: eine<br />

Experimentierkammer, in der<br />

erstmals wässerige Substanzen<br />

im Hochvakuum spektroskopisch<br />

analysiert werden können. Der<br />

30-jährige Ägypter untersuchte<br />

zum Beispiel die Sauerstoffaufnahme<br />

von Hämoglobin unter<br />

physiologischen Bedingungen. So<br />

eröffnete er der Spektroskopie<br />

ganz neue Möglichkeiten. Bekhit<br />

wurde dafür gleich zweimal ausgezeichnet:<br />

2008 erhielt er den<br />

„Ernst-Eckhard-Koch-Preis“ und<br />

<strong>2009</strong> den mit 3 000 Euro dotierten<br />

„Dissertationspreis Adlershof“.<br />

Mit einem Stipendium des <strong>DAAD</strong><br />

war der ehemalige Chemie-Student<br />

der Universität Kairo 1999<br />

nach Berlin gekommen und für<br />

das Master- und Promotionsstudium<br />

hierher zurückgekehrt. Heute<br />

leitet er am Helmholtz-Zentrum<br />

eine eigene Arbeitsgruppe und<br />

lockt mit seinem „Liquidrom“,<br />

das von der Medizin bis zur Solarforschung<br />

einsetzbar ist, in- und<br />

ausländische Forscher verschiedenster<br />

Sparten nach Adlershof.<br />

<br />

kj<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09


42<br />

<strong>DAAD</strong><br />

Bücher von<br />

unseren Lesern<br />

Weisheit der Athener<br />

2500 Jahre auf dem Buckel und<br />

doch jung und dynamisch – die<br />

griechische Hauptstadt Athen<br />

hält für ihre Besucher viele Überraschungen<br />

bereit. Von ihnen<br />

berichtet Ellen Katja Jaeckel in<br />

ihrem Buch „Der Sandalenpoet<br />

tanzt niemals in der Metro“. Ihre<br />

Streifzüge durch die Stadt und<br />

ihre Begegnungen mit deren Einwohnern<br />

vermitteln dem Leser<br />

authentische Eindrücke von athenischer<br />

Lebensart und Weisheit.<br />

Die Autorin, von Haus aus Romanistin<br />

und Komparatistin, hat<br />

als <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin an der<br />

Universität Tours, Frankreich,<br />

studiert und ist seit 2005 Leiterin<br />

des <strong>DAAD</strong>-Informationszentrums<br />

in Athen. Die Mittelmeer-Spezialistin<br />

hat bereits Bücher über<br />

Neapel, die Côte d’Azur und Kreta<br />

geschrieben.<br />

Ellen Katja Jaeckel: Der Sandalenpoet<br />

tanzt niemals in der Metro.<br />

Athener Weisheiten. Picus Lesereisen<br />

<strong>2009</strong><br />

Sicht der Migranten<br />

Migrationsliteratur als Spiegel für<br />

die deutsche und niederländische<br />

nationale Befindlichkeit? Die Literaturwissenschaftlerin<br />

Liesbeth<br />

Minnaard hat dies zum Thema<br />

ihrer Dissertation gemacht, die<br />

jetzt unter dem Titel „New Germans,<br />

New Dutch“ erschienen<br />

Menschen in Athen, hier<br />

in der Metrostation<br />

Foto: flickr.com<br />

ist. Die Niederländerin, die als<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiatin an der Europa-<br />

Universität Viadrina in Frankfurt<br />

(Oder) geforscht hat, promovierte<br />

2007 an der Universität Trier und<br />

arbeitet heute als wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin an der Universität<br />

Leiden (Niederlande).<br />

In ihrem Buch beschäftigt sie<br />

sich mit Werken der türkischdeutschen<br />

Schriftsteller Emine<br />

Sevgi Özdamar und Feridun Zaimoglu<br />

und der marokkanischniederländischen<br />

Autoren Abdelkader<br />

Benali und Hafid Bouazza.<br />

Ein wichtiger Aspekt sind dabei<br />

die polarisierenden Diskussionen<br />

über Themen wie Multikulturalität<br />

oder „deutsche Leitkultur“.<br />

Minnaard gelingt – durch die Sicht<br />

der Migranten – ein aufschlussreicher<br />

deutsch-niederländischer<br />

Vergleich.<br />

Der Tempel Todai-ji ist<br />

das größte buddhistische<br />

Bauwerk in Japan und<br />

ganz Ostasien<br />

Foto: flickr.com<br />

Liesbeth Minnaard: New Germans,<br />

New Dutch. Literary Interventions.<br />

Amsterdam University<br />

Press <strong>2009</strong><br />

Geschichte der Japaner<br />

Die Grundlagen des modernen<br />

Japans bringt der neue Roman<br />

von Dierk Stuckenschmidt seinen<br />

Lesern nahe. In „Todai-ji oder Des<br />

Alexios von Dor lange Reise nach<br />

China und Japan“ nimmt der Autor<br />

seine Leser mit auf die Reise<br />

des fiktiven Helden Alexios, der<br />

im 8. Jahrhundert von Konstantinopel<br />

in das Japan der Nara-Zeit<br />

gelangt. Hier lebt und arbeitet er<br />

– in einer überraschend liberalen<br />

Gesellschaft – als Universitätsdozent<br />

und Regierungsberater.<br />

In dem historisch sorgfältig recherchierten<br />

Roman ist manches<br />

durchaus autobiografisch. Stuckenschmidt<br />

hat während seiner<br />

Tätigkeit beim <strong>DAAD</strong> (1966 – 1999)<br />

selbst viele Jahre in Japan gelebt,<br />

zunächst als Universitätslektor,<br />

dann als Leiter des <strong>DAAD</strong>-Büros<br />

Tokio, und hat das Land intensiv<br />

bereist. Er hat sich bereits in mehreren<br />

Büchern mit dem „Wunderland<br />

Japan“ befasst. Der neue<br />

Roman soll auch ins Japanische<br />

übersetzt werden.<br />

Dierk Stuckenschmidt: Todai-ji<br />

oder Des Alexios von Dor lange<br />

Reise nach China und Japan. Historischer<br />

Roman. Verlag Dieter<br />

Born <strong>2009</strong><br />

Llo<br />

Rätsel-Lösungen<br />

Die Lösung des vorigen Letter-Rätsels lautet:<br />

MAIKÄFER.<br />

Die Lösung ergibt sich aus folgenden Wörtern: Mücke,<br />

Schwalbe, Fliege, Kuh, Mäuse, Wolf, Taube, Frosch<br />

Einen Hauptpreis haben gewonnen:<br />

Ermek Baibagyshov, Naryn/Kirgisien; Mary Lyons,<br />

Clydagh Moycullen, Irland; Márta Lévai, Subotica/<br />

Serbien; Ralf Kersanach, Rio Grande/Brasilien; Emine<br />

Secer, Ankara/Türkei; Ilyana Byurchieva, Elista/Russland;<br />

Mirna Alejandra González, Monterrey/Mexiko; James<br />

Reynolds, Niagara-on-the-Lake/Kanada; Pyshyev Parahat,<br />

Mary, Turkmenistan; Deyan Yosifov, Pernik/Bulgarien<br />

Einen Trostpreis erhalten:<br />

Olli Savela, Turku/Finnland; Luis Enrique Bordon, Asunción/<br />

Paraguay; Judit Christman, Cegléd/Ungarn; Tatsiana<br />

Herrmann, Böblingen/Deutschland; Egle Aloseviciene,<br />

Kaunas/Litauen; Christian Köhler Pinzón, Santa Tecla/<br />

El Salvador; Carlos Gustavo Vilela Dias, Karlsruhe/<br />

Deutschland; Artur Zaghini Francesconi, Campinas/<br />

Brasilien; Virdjinija Pasku, Novi Beograd/Serbien;<br />

Martin Zubiria, Las Heras Mendoza/Argentinien<br />

Wer war’s?<br />

ERNST MORITZ ARNDT<br />

Einen Preis erhalten:<br />

Camelia Ratiu-Suciu, Bukarest/Rumänien; Margarita<br />

Corrales Moreno, Madrid/Spanien; Anna Konstantinova,<br />

Woronesch/Russland; Marja-Liisa Tommola, Helsinki/<br />

Finnland; Monika Steimer, Passau/Deutschland<br />

<strong>DAAD</strong> Letter<br />

Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />

Herausgeber:<br />

Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V., Bonn<br />

Kennedyallee 50, 53175 Bonn, Germany<br />

Tel.: +49-228-882-0, Fax: +49-228-882-444<br />

E-Mail: postmaster@daad.de<br />

Redaktion: Katja Sproß (verantwortlich),<br />

Uschi Heidel, Dr. Isabell Lisberg-Haag, Dr. Leonie Loreck<br />

Weitere Autoren: Boris Hänßler (boh), Frank von Bebber,<br />

Christine Hardt, Christian Hohlfeld (cho), Hermann Horstkotte<br />

(H.H.), Dr. Klaus Hübner (Michel), Katharina Jung (kj), Katja<br />

Lüers, Bettina Mittelstraß, Horst Willi Schors (ors), Claudia<br />

Wallendorf (CW), Julia Walter (JW), Sabine Wygas<br />

Übersetzungen Abstracts: Tony Crawford<br />

Koordination: Sabine Pauly<br />

Redaktionsbeirat: Dr. Gregor Berghorn, Claudius Habbich,<br />

Alexander Haridi, Francis Hugenroth (Vorsitz), Dr. Anette Pieper,<br />

Friederike Schomaker, Ruth Schulze, Dr. Hanns Sylvester,<br />

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Gestaltung/Titel: axeptDESIGN, Berlin<br />

Titelfoto: plainpicture/Roland Schneider<br />

Herstellung: Bonifatius GmbH Paderborn<br />

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Auch nicht ausgezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall<br />

die Meinung des Herausgebers wieder.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter erscheint dreimal im Jahr.<br />

Einzelpreis 4,– Euro, Jahresabonnement 15,– Euro<br />

inklusive Porto und MwSt.<br />

Printed in Germany – Imprimé en Allemagne PVST 20357<br />

Einem Teil dieser Ausgabe liegt ein Faltblatt des<br />

<strong>DAAD</strong>-Freundeskreises bei.


Deutsche Chronik<br />

Eine Auswahl von Ereignissen, die in der Bundesrepublik Schlagzeilen machten (1. April bis 31. Juli <strong>2009</strong>)<br />

43<br />

20. April<br />

UN-Konferenz boykottiert<br />

Erstmals sagt Deutschland seine<br />

Teilnahme an einer Konferenz<br />

der Vereinten Nationen ab. Die<br />

Bundesregierung befürchtet, dass<br />

die Antirassismus-Konferenz in<br />

Genf für Attacken gegen Israel<br />

missbraucht werden könnte. Aus<br />

diesem Grund hatte die erste Weltkonferenz<br />

2001 zu dem Thema<br />

mit einem Eklat geendet.<br />

29. April<br />

Schweinegrippe kommt<br />

In Deutschland gibt es die ersten<br />

Fälle der Schweinegrippe. Das Virus<br />

wird bei einer Frau in Hamburg<br />

und zwei Männern in Bayern<br />

nachgewiesen. Alle drei waren<br />

zuvor aus Mexiko, dem Ausgangspunkt<br />

der Infektionskrankheit,<br />

heimgekehrt.<br />

13. Mai<br />

Schlechte Bank<br />

Banken können in Deutschland<br />

künftig ihre Bilanzen von wertlosen<br />

Papieren befreien. Sie geben<br />

sie an eine so genannte „Bad<br />

Bank“ ab und bekommen im Gegenzug<br />

besonders sichere Papiere<br />

zurück. Mit dem Gesetz will die<br />

Bundesregierung die Kreditvergabe<br />

wieder in Schwung bringen.<br />

23. Mai<br />

Köhler bleibt<br />

Horst Köhler (CDU) bleibt Bundespräsident.<br />

Der Amtsinhaber<br />

erhielt im ersten Wahldurchgang<br />

die notwendigen 613 Stimmen der<br />

Bundesversammlung. Mitbewerberin<br />

Gesine Schwan (SPD) kam<br />

auf 503 Stimmen. Auf den Schauspieler<br />

Peter Sodann, Kandidat<br />

der Linken, entfielen 91 Stimmen.<br />

Erstmals Meister<br />

Der VfL Wolfsburg ist deutscher<br />

Fußballmeister. Es ist der erste<br />

Meistertitel für die Überraschungsmannschaft,<br />

die Rekordsieger<br />

Bayern München auf den<br />

zweiten Platz verwies.<br />

26. Mai<br />

Schnellster Rechner Europas<br />

Das Forschungszentrum Jülich<br />

nimmt mit „Jugene“ einen neuen<br />

Superrechner in Betrieb. Er schafft<br />

eine Billiarde Rechenoperationen<br />

in einer Sekunde. Das entspricht<br />

der Leistung von gut 50 000 PCs.<br />

Damit ist „Jugene“ der schnellste<br />

Rechner Europas.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09<br />

Foto: Henry Ripke Architekten<br />

Gestrichen: Das Dresdner Elbtal gehört wegen der Waldschlösschenbrücke nicht mehr zum Weltkulturerbe<br />

7. Juni<br />

Wahldebakel für SPD<br />

Bei der Europa-Wahl erhält die<br />

CDU/CSU trotz deutlicher Verluste<br />

mit 37,9 Prozent die meisten<br />

Stimmen. Die SPD kommt auf 20,9<br />

Prozent, so wenig wie nie zuvor.<br />

Ihr Ergebnis fast verdoppelt hat<br />

die FDP mit nun 11 Prozent. Leichte<br />

Gewinne verzeichnen die Grünen<br />

(12,1 Prozent) und die Linke<br />

(7,5 Prozent). Die Wahlbeteiligung<br />

war mit 43,3 Prozent geringfügig<br />

höher als 2004.<br />

17. Juni<br />

Dahrendorf gestorben<br />

Der deutsch-englische Soziologe<br />

und Politiker Lord Ralf Dahrendorf<br />

ist im Alter von 80 Jahren in<br />

Köln gestorben. Er zählt zu den<br />

bedeutendsten deutschen Gesellschaftswissenschaftlern<br />

und gilt<br />

als einer der wichtigsten Vordenker<br />

der Liberalen in Europa.<br />

24. Juni<br />

Schulden in Rekordhöhe<br />

Die Bundesregierung beschließt<br />

den größten Schuldenhaushalt in<br />

der bundesdeutschen Geschichte.<br />

2010 nimmt Deutschland 86,1 Milliarden<br />

Euro an neuen Krediten<br />

auf. Bislang lag der Rekord bei<br />

40 Milliarden Euro im Jahr 1996.<br />

Grund ist die tiefste Rezession seit<br />

mehr als 60 Jahren.<br />

25. Juni<br />

Kein Weltkulturerbe mehr<br />

Die UNESCO erkennt dem Elbtal<br />

in Dresden seinen Status als<br />

Weltkulturerbe ab. Sie stört sich<br />

am Bau der Waldschlösschenbrücke<br />

über das Tal, für den sich die<br />

Dresdner bei einem Bürgerentscheid<br />

ausgesprochen hatten.<br />

30. Juni<br />

EU-Reformvertrag bestätigt<br />

Der „Vertrag von Lissabon“, der<br />

die Reform der Europäischen<br />

Union (EU) regelt, verstößt nicht<br />

gegen das deutsche Grundgesetz.<br />

Das hat das Bundesverfassungsgericht<br />

entschieden. Damit kann<br />

Deutschland den Vertrag verabschieden<br />

und muss ihn nicht mit<br />

den anderen EU-Mitgliedern neu<br />

verhandeln. Allerdings haben die<br />

Richter zur Auflage gemacht, dass<br />

zunächst die Zusammenarbeit<br />

von Bundesregierung, Bundestag<br />

und Bundesrat bei EU-Angelegenheiten<br />

neu geregelt werden muss.<br />

6. Juli<br />

Erste Tapferkeitsorden<br />

Vier Bundeswehrsoldaten erhalten<br />

die neue deutsche Tapferkeitsmedaille.<br />

Sie hatten sich im<br />

Oktober 2008 nach einem Selbstmordanschlag<br />

in Afghanistan<br />

unter Lebensgefahr um verletzte<br />

Kameraden gekümmert. Es ist das<br />

erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg,<br />

dass Deutschland Soldaten<br />

auf diese Weise auszeichnet.<br />

9. Juli<br />

Streit um ehemalige Spitzel<br />

Etwa 17 000 ehemalige Mitarbeiter<br />

des früheren DDR-Geheimdienstes<br />

arbeiten heute noch im<br />

öffentlichen Dienst der Bundesrepublik.<br />

Die hohe Zahl hat eine öffentliche<br />

Diskussion über Konsequenzen<br />

ausgelöst. Experten und<br />

ehemalige DDR-Bürgerrechtler<br />

fordern eine neue Überprüfung<br />

der Mitarbeiter. Zahlreiche Politiker<br />

halten das für unnötig.<br />

11. Juli<br />

Opel-Rettung in der Schwebe<br />

Mit dem Finanzinvestor RHJ International<br />

ist ein neuer Bieter für<br />

den angeschlagenen Autohersteller<br />

Opel im Rennen. Die Verhandlungen<br />

des amerikanischen Mutter-Konzerns<br />

General Motors mit<br />

dem Interessenten Magna sind<br />

ins Stocken geraten. Deutschland<br />

hat für die Rettung von Opel einen<br />

Kredit in Höhe von 1,5 Millionen<br />

Euro in Aussicht gestellt.<br />

12. Juli<br />

Strom aus der Wüste<br />

Zwölf deutsche Unternehmen,<br />

darunter Siemens und E.ON, wollen<br />

künftig saubere Energie in<br />

der Wüste gewinnen. Das Projekt<br />

„Desertec Industrial Initiative“<br />

plant gigantische Solaranlagen<br />

in der nordafrikanischen Wüste.<br />

Bis 2050 sollen sie 15 Prozent<br />

des europäischen Energiebedarfs<br />

decken.<br />

27. Juli<br />

Werbung auf Türkisch<br />

Mit sechsminütigen Filmen wirbt<br />

das Land Baden-Württemberg im<br />

türkischen Fernsehen für Ausund<br />

Weiterbildung in Deutschland.<br />

Erfolgreiche türkischstämmige<br />

Vorbilder erzählen in ihrer<br />

Muttersprache über ihren Werdegang<br />

in Deutschland. Die Porträts<br />

werden mit deutschen Untertiteln<br />

gezeigt und sollen türkischstämmige<br />

Familien besser über das<br />

deutsche Berufsbildungssystem<br />

informieren.<br />

www.zkm.de/agacyasikenegilir<br />

Gestorben: Lord Ralf Dahrendorf<br />

Foto: Mike Minehan

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