17.11.2013 Aufrufe

Superwahljahr 2009 - DAAD-magazin

Superwahljahr 2009 - DAAD-magazin

Superwahljahr 2009 - DAAD-magazin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

4 Dialog<br />

Ein Dichter<br />

provoziert<br />

Der Schriftsteller und Homer-Übersetzer<br />

Raoul Schrott über die „Ilias“, die Grenzen<br />

der Fachwissenschaft und die Bedeutung<br />

alter Sprachen heute.<br />

Herr Schrott, Sie haben sich kürzlich<br />

an der Freien Universität Berlin einem<br />

Gremium von Fachwissenschaftlern<br />

gestellt, die darum bemüht waren, Ihre<br />

Thesen von der Herkunft Homers zu<br />

erschüttern. Ein wissenschaftliches<br />

Standgericht oder Gedankenaustausch<br />

unter Gleichgesinnten?<br />

Es ist eine große Ehre für mich, wenn sich<br />

so viele Leute mit meinem Text auseinandersetzen.<br />

Das ist weit mehr wissenschaftliches<br />

Echo, als ich erwarten konnte. Mir ist klar,<br />

dass man 250 Jahre Lehrmeinung nicht von<br />

heute auf morgen über den Haufen werfen<br />

kann. Aber bisher habe ich auf keinem<br />

Kolloquium zu dem Thema – auch nicht<br />

in Berlin – etwas gehört, was meine These<br />

ausgehebelt hätte. Man trifft bei diesen Veranstaltungen<br />

auf Leute, die ganz in ihrem<br />

Spezialgebiet stecken. Zur Zeit von Homer<br />

kannte man die Aufteilung in Gräzisten,<br />

Orientalisten oder Alt-Historiker nicht. Also<br />

ist diese Unterteilung auch nicht sinnvoll,<br />

wenn man die Zeit von Homer verstehen will.<br />

Werden Sie als vergleichender<br />

Literaturwissenschaftler und Komparatist<br />

von den Fachwissenschaftlern in<br />

dieser Diskussion gelegentlich als ein<br />

Halbgebildeter beargwöhnt?<br />

Ja, das ist schon ein strukturelles Problem.<br />

Ich betreibe so etwas wie eine Oberflächenarchäologie.<br />

Ich trage Fakten zusammen, die<br />

ein neues Bild ergeben. Damit konfrontiere<br />

ich Fachwissenschaftler, die jeweils nur ihr<br />

Gebiet sehen. Das macht eine Verständigung<br />

mühsam. Wenn ich eine Vase habe, die aus<br />

zypriotischen, levantinischen, assyrischen<br />

und anatolischen Teilen besteht, und präsentiere<br />

sie einem Gräzisten – was soll der<br />

damit anfangen? Es ist letztlich ein Problem,<br />

das im 19. Jahrhundert entstand. Damals sind<br />

Foto: Isolde Ohlbaum<br />

diese Einteilungen vorgenommen worden,<br />

die heute so schwer zu überwinden sind.<br />

Vielleicht hängt die kritische, manchmal<br />

sogar feindselige Diskussion in der<br />

Fachwelt auch damit zusammen, dass der<br />

habilitierte Literaturwissenschaftler Schrott<br />

auch noch Dichter ist?<br />

Ja, das mag auch eine Rolle spielen. Hinzu<br />

kommt, dass man die “Ilias” in der Wissenschaft<br />

als alles Mögliche angesehen<br />

hat, nur nicht als Literatur. Dass da nun<br />

ein Dichter kommt und die “Ilias” als ein<br />

Stück Literatur sieht und behandelt, hat<br />

sicher auch für Irritationen gesorgt.<br />

Ist diese Diskussion zwischen Dichter<br />

und Wissenschaftler eine deutsche oder<br />

österreichische Schubladen-Diskussion,<br />

die es in anderen Ländern in dieser Form<br />

nicht gibt?<br />

Die Konkurrenz ist überall groß, aber ich<br />

bin sicher, dass man etwa in England gelassener<br />

reagieren würde. Bei uns wird<br />

eine solche Diskussion leicht sehr persönlich<br />

– so habe ich es auf jeden Fall erlebt.<br />

Ihre Thesen haben nicht nur die Fachwelt<br />

erregt, sondern auch die Öffentlichkeit sehr<br />

beschäftigt. Woher kommt das Interesse<br />

an Homer, am alten Griechenland und an<br />

alten Sprachen?<br />

Das hat etwas mit dem 18. und 19. Jahrhundert<br />

zu tun, als man in Deutschland<br />

Homer entdeckt und ihn zur Galionsfigur<br />

des deutschen Bildungsbürgertums ge-<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 2/09

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!