Superwahljahr 2009 - DAAD-magazin
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4 Dialog<br />
Ein Dichter<br />
provoziert<br />
Der Schriftsteller und Homer-Übersetzer<br />
Raoul Schrott über die „Ilias“, die Grenzen<br />
der Fachwissenschaft und die Bedeutung<br />
alter Sprachen heute.<br />
Herr Schrott, Sie haben sich kürzlich<br />
an der Freien Universität Berlin einem<br />
Gremium von Fachwissenschaftlern<br />
gestellt, die darum bemüht waren, Ihre<br />
Thesen von der Herkunft Homers zu<br />
erschüttern. Ein wissenschaftliches<br />
Standgericht oder Gedankenaustausch<br />
unter Gleichgesinnten?<br />
Es ist eine große Ehre für mich, wenn sich<br />
so viele Leute mit meinem Text auseinandersetzen.<br />
Das ist weit mehr wissenschaftliches<br />
Echo, als ich erwarten konnte. Mir ist klar,<br />
dass man 250 Jahre Lehrmeinung nicht von<br />
heute auf morgen über den Haufen werfen<br />
kann. Aber bisher habe ich auf keinem<br />
Kolloquium zu dem Thema – auch nicht<br />
in Berlin – etwas gehört, was meine These<br />
ausgehebelt hätte. Man trifft bei diesen Veranstaltungen<br />
auf Leute, die ganz in ihrem<br />
Spezialgebiet stecken. Zur Zeit von Homer<br />
kannte man die Aufteilung in Gräzisten,<br />
Orientalisten oder Alt-Historiker nicht. Also<br />
ist diese Unterteilung auch nicht sinnvoll,<br />
wenn man die Zeit von Homer verstehen will.<br />
Werden Sie als vergleichender<br />
Literaturwissenschaftler und Komparatist<br />
von den Fachwissenschaftlern in<br />
dieser Diskussion gelegentlich als ein<br />
Halbgebildeter beargwöhnt?<br />
Ja, das ist schon ein strukturelles Problem.<br />
Ich betreibe so etwas wie eine Oberflächenarchäologie.<br />
Ich trage Fakten zusammen, die<br />
ein neues Bild ergeben. Damit konfrontiere<br />
ich Fachwissenschaftler, die jeweils nur ihr<br />
Gebiet sehen. Das macht eine Verständigung<br />
mühsam. Wenn ich eine Vase habe, die aus<br />
zypriotischen, levantinischen, assyrischen<br />
und anatolischen Teilen besteht, und präsentiere<br />
sie einem Gräzisten – was soll der<br />
damit anfangen? Es ist letztlich ein Problem,<br />
das im 19. Jahrhundert entstand. Damals sind<br />
Foto: Isolde Ohlbaum<br />
diese Einteilungen vorgenommen worden,<br />
die heute so schwer zu überwinden sind.<br />
Vielleicht hängt die kritische, manchmal<br />
sogar feindselige Diskussion in der<br />
Fachwelt auch damit zusammen, dass der<br />
habilitierte Literaturwissenschaftler Schrott<br />
auch noch Dichter ist?<br />
Ja, das mag auch eine Rolle spielen. Hinzu<br />
kommt, dass man die “Ilias” in der Wissenschaft<br />
als alles Mögliche angesehen<br />
hat, nur nicht als Literatur. Dass da nun<br />
ein Dichter kommt und die “Ilias” als ein<br />
Stück Literatur sieht und behandelt, hat<br />
sicher auch für Irritationen gesorgt.<br />
Ist diese Diskussion zwischen Dichter<br />
und Wissenschaftler eine deutsche oder<br />
österreichische Schubladen-Diskussion,<br />
die es in anderen Ländern in dieser Form<br />
nicht gibt?<br />
Die Konkurrenz ist überall groß, aber ich<br />
bin sicher, dass man etwa in England gelassener<br />
reagieren würde. Bei uns wird<br />
eine solche Diskussion leicht sehr persönlich<br />
– so habe ich es auf jeden Fall erlebt.<br />
Ihre Thesen haben nicht nur die Fachwelt<br />
erregt, sondern auch die Öffentlichkeit sehr<br />
beschäftigt. Woher kommt das Interesse<br />
an Homer, am alten Griechenland und an<br />
alten Sprachen?<br />
Das hat etwas mit dem 18. und 19. Jahrhundert<br />
zu tun, als man in Deutschland<br />
Homer entdeckt und ihn zur Galionsfigur<br />
des deutschen Bildungsbürgertums ge-<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 2/09