Jeff Wall - Transit Schroedel Kunstportal.pdf
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November 2010<br />
Schülerarbeitsblatt<br />
<strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong>: <strong>Transit</strong><br />
<strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong> (geb. 1946) ist einer der bedeutenden<br />
Fotokünstler der Gegenwart. Als promovierter<br />
Kunsthistoriker verarbeitet er in seinen Werken<br />
immer wieder kunstgeschichtliche Bezüge. <strong>Wall</strong><br />
präsentiert seine inszenierten Fotografien als<br />
großformatige Farbdias in Leuchtkästen, sogenannten<br />
„Transparencies“, was ihnen ein besonderes<br />
Licht verleiht, so auch bei der 2000 entstandenen<br />
Arbeit „Tattoos and Shadows“ (Abb. 1).<br />
Wie auf einer Bühne präsentiert <strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong> drei Personen,<br />
zwei Frauen und einen Mann, die auf dem<br />
Rasen sitzen. Ein Holzzaun und dichte Bäume, eine<br />
Tanne und Birken, lassen an ganz wenigen<br />
Stellen den Blick des Betrachters auf dahinter liegende<br />
Häuser zu. Es könnte sich um eine Siedlung<br />
handeln. In seiner Bildinszenierung trennt<br />
<strong>Wall</strong> ganz deutlich Innen und Außen, einem eher<br />
anonymen Hintergrund jenseits des Zaunes und<br />
einem geschlossenen, intim wirkenden Bereich.<br />
Die rothaarige Frau links lehnt sich an einen filigranen,<br />
verrosteten Gartenstuhl. Sie präsentiert<br />
deutlich dem Betrachter ihren tätowierten rechten<br />
Arm. Daneben liegt – den Kopf auf dem Arm gestützt<br />
– eine weitere Frau, deren Aussehen man<br />
als „asiatisch“ bezeichnen kann. Rechts daneben<br />
sitzt mit überkreuzten Beinen ein bärtiger Mann,<br />
der in ein Buch vertieft ist. Seine beiden Arme sind<br />
tätowiert, auf seinem T-Shirt kann man über einem<br />
Porträt den Namen „Bukowski“ lesen. Die Blicke<br />
der beiden Frauen verlieren sich, alle drei Personen<br />
wirken in sich versunken, still, ohne Kommunikation<br />
untereinander. Auf dem Rasen liegende<br />
Schuhe und Flaschen.<br />
Die bühnenhafte Rauminszenierung und das Bildlicht<br />
(Beleuchtung) sind die zentralen Gestaltungsmittel<br />
dieses Werkes: „Die flirrende Stimmung<br />
mit den durch das Spiel von Licht und<br />
Schatten erzeugten Mustern, die sich über die<br />
ganze Fläche verteilen, verleiht der Fotografie einen<br />
impressionistisch anmutenden Charakter. Ihre<br />
Präsentation als großformatiges Dia im Kasten unterstützt<br />
diese Wirkung durch das zusätzliche, von<br />
hinten kommende Licht, das die hellen Partien<br />
noch intensiviert. Aufgehoben in dieser sommerlich-leichten<br />
Atmosphäre fließen dargestellter<br />
Raum und Bildraum ineinander, werden zu einem<br />
Schutzraum, in dem ein Ausruhen möglich, die<br />
Gelegenheit zur Reflexion gegeben ist.“ (Agnes<br />
Matthias)<br />
Dass Vorbilder aus der Geschichte der Kunst für<br />
die Inszenierung der eigenen Bilder bedeutend<br />
sind, das hat <strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong> nie bestritten. In einem aktuellen<br />
Interview äußerte er sich so dazu: „Ich hatte<br />
bis in die siebziger Jahre als Künstler nichts<br />
wirklich erreicht, da begann ich mich mit Werken<br />
aus anderen Jahrhunderten zu beschäftigen. Und<br />
so kam es, dass ich irgendwann beim Komponieren<br />
meiner Fotografien mit Delacroix und Manet<br />
herumspielte. Mein kunsthistorisches Spiel sollte<br />
eine gewisse Form von Manierismus in die Fotografie<br />
einführen. Dieser Aspekt meiner Arbeit wurde<br />
später von den Kritikern und Kunsthistorikern<br />
überbewertet. Ich will meine Kunst nicht nur als<br />
Kunsthistoriker-Kunst verstanden wissen! Obwohl<br />
der Vorwurf teilweise berechtigt ist.“ (<strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong>)<br />
Was für den Prozess des Verstehens dieses Bildes<br />
noch von Bedeutung scheint, ist der Name<br />
(Schriftzug) des Schriftstellers Charles Bukowski<br />
(1920–1994) auf dem T-Shirt des Mannes, den<br />
man als Zitat oder als Bild im Bild interpretieren<br />
kann. Der in Deutschland geborene USamerikanische<br />
Schriftsteller veröffentlichte zwischen<br />
1960 und den frühen 1990er Jahren über<br />
40 Bücher mit Erzählungen und Gedichten. Bukowskis<br />
Biografie zeichnet sich durch unstetes<br />
Leben, wechselnde Jobs, Alkoholismus und zunächst<br />
geringen Erfolg als Schriftsteller aus. Seine<br />
Texte sind alles anderes als idyllisch, sie benutzen<br />
eine harte, direkte Sprache, schildern die Schattenseiten<br />
des amerikanischen „Way of Life“*, haben<br />
Außenseiter zum Helden oder erzählen von<br />
Menschen, die im sozialen Abseits stehen.<br />
Charles Bukowski, der heute als „Klassiker“ gilt,<br />
schockierte seine Zeitgenossen durch eine oft<br />
auch obszöne* Sprache und die Schilderung von<br />
Gewalt. Er selbst hat den Mythos und Kult um seine<br />
Person als „versoffenes und krakeelendes, lau-<br />
ein Angebot des SCHROEDEL-Verlages<br />
Autor: Prof. Josef Walch<br />
www.schroedel.de/kunstportal
tes Genie“, das sich jenseits tradierter Normen literarischer<br />
Produktion bewegte, nie bestritten.<br />
Die so auf den ersten Blick fast zufällig wirkende<br />
Inszenierung einer alltäglichen Szene in <strong>Wall</strong>s<br />
„Tattoos and Shadows“, wird zu einer Art Erzählung.<br />
Durch seine Inszenierung bringt <strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong> etwas<br />
ins Bild, was nicht sichtbar ist: „Zwischen alter<br />
Kunst und neuen Bildern, zwischen vermeintlichen<br />
Fakten und plausiblen Fiktionen, zwischen verunsichernder<br />
Ungewissheit und hoffnungsloser Zuversicht<br />
bewegen sich die Arbeiten von <strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong>.<br />
In eindringlichen, verführerischen Bildern gelingt<br />
es ihm, unserer persönlichen Befindlichkeit und<br />
dem sozialen Zustand der Gegenwart universellen<br />
Ausdruck zu verleihen. Sowohl in vorgefundenen<br />
als auch arrangierten Bildern legt er die kaum erkennbaren<br />
Zwischenräume menschlichen Verhaltens<br />
und gesellschaftlicher Entwicklungen frei.“<br />
(Martin Roth)<br />
Fragen und Anregungen<br />
• Wie wirkt das Bild auf den ersten Blick?<br />
• Erläutern Sie den räumlichen Aufbau des Bildes.<br />
• Erläutern Sie die Bedeutung des Bildlichtes (Beleuchtung).<br />
• Wie könnte man den Titel des Bildes begründen?<br />
• Versuchen Sie durch extreme Vergrößerung der<br />
Tattoos auf den Armen der beiden Personen herauszufinden,<br />
welche Bilder hier dargestellt sind.<br />
• Vergleichen sie das Bild des Impressionisten<br />
Auguste Renoir (Abb. 2) mit dem Bild von <strong>Jeff</strong><br />
<strong>Wall</strong> (Abb. 1)<br />
• Recherchieren Sie weitere Bilder des Impressionismus,<br />
die man mit dem Bild von <strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong> vergleichen<br />
könnte.<br />
• Vergleichen Sie das Bild von <strong>Wall</strong> mit dem berühmten<br />
Gemälde „Frühstück im Grünen“ von<br />
Edouard Manet.<br />
(http://www.shafe.co.uk/crystal/images/lshafe/<br />
Manet_Dejeuner_sur_lherbe.jpg)<br />
• Worin unterscheidet sich das Bild von <strong>Wall</strong> von<br />
einer herkömmlichen Fotografie, z.B. einer privaten<br />
Gartenszene?<br />
• Erläutern Sie mögliche Bedeutungen des Zitates<br />
im Bild, die sich über den Schriftzug „Bukowski“<br />
auf T-Shirt des Mannes ergeben?<br />
• Recherchieren Sie Texte von Charles Bukowski.<br />
• „<strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong>s Bilder kann man auf vielen Wegen<br />
und Umwegen – ästhetischen narrativen, kunsthistorischen,<br />
soziologischen, philosophischen<br />
Gedanken folgend – betreten und wieder verlassen.“<br />
(Ulrich Bischof/Mathias Wagner) Welche<br />
Wege oder Umwege stehen für Sie im Vordergrund<br />
bei der Betrachtung des Bildes „Tattoos<br />
and Shadows“<br />
• Entwickeln Sie Konzepte für mögliche Inszenierungen<br />
eines Fotos Ihrer Klasse. Suchen Sie<br />
nach einem interessanten Thema, und entwickeln<br />
Sie skizzenhaft einen Bildentwurf.<br />
Anmerkungen*<br />
obszön: das Schamgefühl verletzend, schlüpfrig<br />
American Way of Life: Lebensstil der Vereinigten<br />
Staaten<br />
Quelle der beiden Abbildungen<br />
Abb.1) http://www.roswithahaftmannstiftung.com/en/prizewinners/2003_works.htm)<br />
Abb.2)<br />
http://de.academic.ru/pictures/dewiki/80/Pierre-<br />
Auguste_Renoir_-<br />
_Madame_Monet_and_her_Son.jpg<br />
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Autor: Prof. Josef Walch<br />
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Abb. 1) <strong>Jeff</strong> <strong>Wall</strong>: Tattoos and Shadows, 2000. Großbilddia in Leuchtkasten, 195,5 x 255 cm. Im<br />
Besitz des Künstlers<br />
Abb. 2) Auguste Renoir: Madame Monet und ihr Sohn, 1874 Öl auf Leinwand50, 4 x 68 cm. National<br />
Gallery of Art Washington<br />
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Autor: Prof. Josef Walch<br />
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