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<strong>Thesenpapier</strong><br />

Interpersonale Kommunikation<br />

zum Text „Kommunikative Gattungen“<br />

von Thomas Luckmann<br />

03. März 2009<br />

Gruppe A<br />

Nora Lenz, Johannes Lynker<br />

Dozentin: Dr. des. Halyna Leontiy<br />

<strong>Thesenpapier</strong> zu Thomas Luckmann: Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des<br />

Wissens: Kommunikative Gattungen. S.200–209<br />

1 Einordnung<br />

Autor<br />

Thomas Luckmann (geb. 1927) ist ein bedeutender Sprach-, Wissens- und Religionssoziologe<br />

unserer Zeit. Sein Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit“ (1966) ist die<br />

bekannteste Einführung in die Wissenssoziologie. Thomas Luckmann war Schüler von Alfred<br />

Schütz und lehrte in New York, Frankfurt und Konstanz.<br />

Definition des Begriffs „Kommunikative Gattungen“<br />

„Kommunikative Gattungen sind historisch und kulturspezifische, gesellschaftlich verfestigte und<br />

formalisierte Lösungen kommunikativer Probleme (...), deren – von Gattung zu Gattung<br />

unterschiedlich ausgeprägte – Funktion in der Bewältigung, Vermittlung und Tradierung<br />

intersubjektiver Erfahrungen der Lebenswelt besteht.“<br />

Luckmann, Thomas (1986): „Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens:<br />

Kommunikative Gattungen“. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie.<br />

Sonderheft 27. S. 256<br />

1


Analyse kommunikativer Gattungen<br />

Die Gattungsforschung ist seit langem Gegenstand verschiedener Fachrichtungen und<br />

Forschungstraditionen, doch standen meist schriftliche Formen der Hochkultur im Zentrum der<br />

Beschäftigung mit Gattungen. Erst in der jüngeren Zeit entstanden Methoden zur Analyse<br />

kommunikativer Gattungen. So begann anknüpfend an die in den 20er und 30er Jahren<br />

entstandenen Arbeiten Bachtins (1979/86) und Volosinovs (1929/75) mit der Ethnographie der<br />

Kommunikation (Gumperz/Hymes 1972; Baumann/Sherzer 1974) die Erforschung von<br />

Gattungen als Teil des kommunikativen Haushalts einer Gemeinschaft.<br />

Luckmann operationalisiert den Begriff der „Gattung“ zur Beschreibung musterhafter Abläufe<br />

gesellschaftlichen Handelns. So liefert er eine soziologische Begründung zur Existenz<br />

„kommunikativer Gattungen“, indem er deren Funktion mit der Tradierung und Vermittlung<br />

bestimmter gesellschaftlich relevanter Wissensvorräte definiert.<br />

Weitere Arbeiten zur Gattungsforschung: Briggs/Bauman 1992; Hanks 1987; Kallmeyer 1995<br />

u.A.<br />

2 Zum Text „Kommunikative Gattungen“<br />

Einleitung<br />

Luckmanns ordnet in seinem Text kommunikative Handlungen in Schemata ein. Grundsätzlich<br />

unterscheidet er zwischen spontanen kommunikativen Handlungen und voraussagbaren<br />

typischen Gesamtmuster. Letztere bezeichnet er als kommunikative Gattungen, deren<br />

Charakteristika, Funktion und Struktur im Folgenden dargestellt werden und sich je nach<br />

gesellschaftlichen Wissensvorrat gestalten. Er zeigt auf das diese gewisse Grundstrukturen<br />

besitzen und Routinisierung und Institutionalisierung unterliegen, wodurch sie Kommunikation<br />

erleichtern.<br />

Thesen<br />

1. 1.These: Alle Rekonstruktionen gesellschaftlicher Wirklichkeit bestehen aus<br />

kommunikativem Handeln. (S.200)<br />

Diese Rekonstruktionen ordnet Luckmann in „einfache“ Erfahrungs-, Handlungs- und<br />

Beobachtungsbeschreibung auf der einen Seite und „höherstufige“ deutende Ereignis- und<br />

2


Lebenszusammenfassungen auf der anderen Seite ein. Die wiederkehrenden Schemata werden<br />

zum gesellschaftlichen Wissensvorrat.<br />

3. 2.These: Kommunikative Handlungen lassen sich grundsätzlich in spontane, kommunikative<br />

Handlungen und in Handlungen mit vorgefestigten Gattungsregeln und voraussagbarer<br />

Typik unterscheiden. (S.201)<br />

Je nach Situation und Bedarf kommuniziert ein Interagierender nach einem der oben genannten<br />

Muster.<br />

Bei der spontanen Handlung baut sich die Kommunikation schrittweise auf, ohne dass der<br />

Gesamtverlauf der Kommunikation vorhersehbar ist. Dabei wählt der Handelnde inhaltliche und<br />

formelle Strukturelementen aus seinem individuellen Wissensvorrat aus.<br />

Demgegenüber stehen die in der Grundlage bereits festgeschriebenen kommunikative<br />

Handlungen. Diese setzen sich aus verschiedenen Elementen des kommunikativen „Codes“ (=<br />

Gattungsregeln) zusammen. Daher ist der Verlauf der Kommunikation auch für das Gegenüber<br />

vorhersehbar.<br />

3. 3.These: Das Reservoir an verfügbaren kommunikativen Gattungen ist von Kultur zu Kultur<br />

unterschiedlich. (S.202)<br />

Je nach Gesellschaft, sozialem Milieu, ethnischer Gruppierung, Alter, Geschlecht etc. variieren<br />

die Gattungen mit ihren verbindlichen Regeln. Luckmann bezeichnet die Ausprägung<br />

rekonstruktiver Gattungen als „narrative Kultur“, an welcher der Unterschied sozialer Milieus<br />

deutlich wird.<br />

4. 4.These: Kommunikative Gattungen können in Analogie zu gesellschaftlichen Institutionen<br />

verstanden werden. (S.202)<br />

Kommunikative Gattungen sind wie Institutionen, das heißt sie stellen Lösungen für Probleme<br />

des gesellschaftlichen Lebens zur Verfügung, die nicht immer neu ausgehandelt werden<br />

müssen.<br />

Während gesellschaftliche Institutionen „Lösungen“ für Probleme gesellschaftlichen Lebens<br />

bieten, liegt die Grundfunktion kommunikativer Gattungen in der Schöpfung von wirksamen und<br />

verbindlichen „Lösungen“ kommunikativer Probleme.<br />

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Zweischneidigkeit beider bezüglich des Zwangscharakters<br />

und der Entlastungsfunktion.<br />

5. 5.These: Der Begriff „Kommunikative Gattungen“ ist ein Begriff zweiter Ordnung. (S. 203)<br />

3


Die Auseinandersetzung mit kommunikativen Gattungen ist dem Begriff des „Alltagsverstandes“<br />

untergeordnet und greift das in jedem innewohnenden Verständnis dieser Thematik abstrakttheoretisch<br />

beschreibend auf.<br />

6. 6.These: Kommunikative Gattungen sind „reale kulturelle Objekte“ (S.203)<br />

Interagierende in einer Gesellschaft orientieren sich bei der Konstruktion kommunikativer<br />

Gattungen an (vor-)theoretischem Wissen. Dadurch werden diese Gattungen aus sich selbst<br />

immer wieder reproduziert und prägen somit die Grundlage zukünftiger kommunikativer<br />

Entwicklungen.<br />

7. 7.These: Das Gesamtmuster des kommunikativen Handeln lässt sich in drei Strukturebenen,<br />

die Binnenstruktur, die interaktive Realisierungsebene und die Außenstruktur, unterteilen. (S.<br />

204)<br />

Die verfestigte und konventionalisierte Struktur von kommunikativen Gattungen zeigt sich nicht<br />

nur in den textuellen Merkmalen, sondern auch an der Struktur. Es gibt immer eine<br />

Binnenstruktur, eine Außenstruktur und zusätzlich noch eine situative Realisierungsebene.<br />

Die Binnenstruktur stellt die Beziehung zwischen Grundfunktion und „,materialer“ Basis dar, das<br />

heißt sie bezieht sich auf alle text-internen, verbalen und non-verbalen Elemente (Phonologie,<br />

Prosodie, Syntax, Semantik, textuelle Aspekte).<br />

Die situative Realisierungsebene bezieht sich auf den interaktionalen Kontext zwischen<br />

mehreren Interagierenden. Hier liegt der Fokus auf jenen Merkmalen, die sich auf die<br />

Koordination der kommunikativen Handlungen und ihren situativen Kontext beziehen (rituelle<br />

Aspekte, Muster von Redezugabfolgen, Paarsequenzen, Teilnehmerstatus, Äußerungsformat<br />

etc.).<br />

Die Außenstruktur bezeichnet die Beziehung zwischen kommunikativen Handlungen und der<br />

Sozialstruktur. Sie beschreibt wie sich der Gebrauch kommunikativer Gattungen je nach<br />

sozialem Milieu, ethnischer Gruppierung, Geschlechterkonstellation, kulturelle Zugehörigkeit etc.<br />

unterscheidet.<br />

8. 8.These: Für die Organisation moderner Gesellschaften scheint die Verschriftlichung von<br />

mündliche Rekonstruktionen unabdingbar. (S.205)<br />

So werden schriftliche Versionen übertragen und fixiert, obwohl geglaubt wird, dass im<br />

Alltagsverstand alles erfassen werden könne, was im Großen und Ganzen passiert.<br />

4


9. 9.These: Das gesamte Feld kommunikativer Gattungen wird als kommunikativer „Haushalt“<br />

einer Gesellschaft bezeichnet. (S206)<br />

Verschiedene Gesellschaften verfügen über unterschiedliche Relevanzsysteme, das heißt, was<br />

allgemein und spezifisch kommunikativ wichtig und problematisch ist. So haben unterschiedliche<br />

Gesellschaften trotz vieler Gemeinsamkeiten verschiedene Bestände an kommunikativen<br />

Gattungen. Der Begriff „kommunikativer Haushalt“ ist – anders als bei kommunikativen<br />

Gattungen – ein rein analytischer.<br />

Fazit<br />

Luckmann zeigt in seinem Text auf, dass kommunikativen Gattungen ein zentraler Bestandteil<br />

von menschlicher Sprache und Kommunikation sind. Diese Gattungen kennzeichnen bestimmte<br />

verfestigte kommunikative Muster, welche im jeweiligen gesellschaftlichen Wissensvorrat<br />

gespeichert sind und welche in kommunikativen Vorgängen reaktiviert werden. Diese<br />

Reaktivierung ist jedoch nicht invariant, sondern bietet durchaus Ausgestaltungsspielräume.<br />

Da kommunikative Gattungen „Lösungen“ zu spezifisch kommunikativen Problemen bieten,<br />

fungieren sie als Orientierungsmuster und Handlungsschemata mit prototypischen Elementen,<br />

die auf verschiedenen strukturellen Ebenen angesiedelt sind.<br />

Luckmann zeigt in seiner Arbeit zwar einen auf den ersten Blick banalen Zusammenhang<br />

zwischen dem speziellen kommunikativen Wissensvorrat einer Gesellschaft und den daraus<br />

resultierenden Vorgängen bei kommunikativen Handlungen auf. Doch diese Gattungsanalyse<br />

liefert einen geeigneten Ansatz, um sprachwissenschaftliche Analysen mit kommunikativer<br />

Praxis und Phänomenen sozio-kultureller Strukturen zu verbinden.<br />

Kritik<br />

Wie Luckmann selbst des Öfteren bemerkt, liefert sein Text noch keine abgeschlossene Analyse<br />

zu kommunikativen Gattungen, welche jedoch nötig wären, um das gesamte Feld der<br />

Gattungsmuster vollständig zu erfassen. So bleiben unter anderem der interkulturelle Kontext<br />

sowie sozio-kulturelle Schwierigkeiten, welche im Umgang miteinander entstehen können,<br />

nahezu unbeachtet. Die Aufsätze von Günthner (2001/2006) wirken hier ergänzend und liefern<br />

den fehlenden Praxisbezug.<br />

Da Luckmann seine Thesen bezüglich der Kategorisierung kommunikativer Handlungen<br />

relativiert, ist es für den Leser schwierig, eine klare Abgrenzung der zwei Formen<br />

kommunikativen Handelns (spontan versus festgelegt) zu erfassen. Unübersichtlichkeit entsteht<br />

5


auch durch Luckmanns Art, seine Thesen ungeordnet und gesammelt darzulegen, anstatt sie<br />

einzeln und eindeutig zu formulieren.<br />

Neben den positiven Aspekten von kommunikativen Gattungen wie ihre Entlastungsfunktion in<br />

der täglichen Kommunikation zeigt Luckmann leider nur am Rande ihre negativen Auswirkungen<br />

wie die Entindividualisierung des Handelns auf.<br />

Literatur<br />

Günthner, S. (1995): Gattungen in der sozialen Praxis. Die Analyse „kommunikativer Gattungen“<br />

als Textsorten mündlicher Kommunikation. In: Deutsche Sprache 3/1995. 193 -218.<br />

Günthner, S. (2001): Kulturelle Unterschiede in der Aktualisierung kommunikativer Gattungen.<br />

In: Info DaF 28, 1 (2001). 15-32.<br />

Günthner, S. (2006) : Von Konstruktionen zu kommunikativen Gattungen: Die Relevanz<br />

sedimentierter Muster für die Ausführung kommunikativer Aufgaben. In: gigi Arbeitspapierreihe<br />

No. 1. 08/2006.<br />

Knoblauch, H./Luckmann, T. (2000): Gattungsanalyse. In: Qualitative Forschung. Ein Handbuch.<br />

Sonderdruck aus: rowolts enzyklopädie im Rowolt Taschenbuch Verlag. Reinbeck bei Hamburg<br />

2000. S.538-546<br />

Luckmann, T. (1986): Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens:<br />

Kommunikative Gattungen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie.<br />

Sonderheft 27. 191-211<br />

6

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