Dezember 2012 Scott matthew michael maar Die USA im ... - Pony
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<strong>Die</strong> Platte<br />
am Anfang<br />
The Spaceape<br />
X-Orcism Hyperdub<br />
Christoph Braun<br />
Open-Source-Musik: „X-Orcism“ ist als<br />
Umsonst-Download zu haben. Und der<br />
Spaceape veröffentlicht die Quellen, legt<br />
also offen, woher seine Samples kommen.<br />
Damit sagt er auch, und nicht nur damit,<br />
er sagt es auch explizit: „X-Orcism“ cutte<br />
ich aus Voodoo-Musik zusammen. Das ist geistliche Musik,<br />
die darf ich nicht verkaufen.<br />
Von Ensembles wie den Drummers of the Societe Absolument<br />
Guinin oder Street Music of Haiti legt sich der Londoner<br />
MC Stephen Samuel Gordon scharf geschnittene Teilchen<br />
zurecht. <strong>Die</strong> Drumsounds klingen gar nicht erst dokumentarisch:<br />
The Spaceape macht daraus eine Londoner<br />
Innenstadtmusik. Es geht, so hieß es einst bei einer größeren<br />
Kunstausstellung, um die „Migration der Formen“.<br />
Das kann der Spaceape: <strong>Die</strong> Kunstform, hier die Trommeln<br />
des Voodoo, nach Europa schippern, nach West-Europa, in<br />
die Hauptstadt Englands, in die Hauptstadt Großbritanniens,<br />
in die Hauptstadt des Commonwealth. Es ist aber keine<br />
Liebhaberei <strong>im</strong> Spiel.<br />
Bei „X-Orcism“ handelt es sich um einen Exorzismus. Vor<br />
einer Handvoll Jahren wurde The Spaceape durch seine<br />
Zusammenarbeit mit Kode 9 bekannt: „Memories of the<br />
Future“ von Kode 9 & The Spaceape machte das Label Hyperdub<br />
schlagartig berühmt, war es doch das erste Langformat<br />
des Dubstep, das die Kicksuche des Tracks durch<br />
die Erzählungen des Songs ersetzte. Ein Schritt in Richtung<br />
Popwerdung der einstigen Underground-Musik junger<br />
englischer Rasta- und Rucksack-Träger. Inzwischen aber<br />
kämpft Gordon gegen eine schwere Krankheit – gegen<br />
den Krebs. Schon <strong>im</strong> dritten Jahr hat er damit zu tun, und<br />
so spannen sich die Re<strong>im</strong>e <strong>im</strong> Feld zwischen Schulmedizin<br />
und rituellen Körperreinigungen. Bewusst falsch vertretene<br />
Geigen, Sekundenbruchteilaufnahmen jenes Moments,<br />
da die Hand am Fell der Trommel aufdippt. In das Zentrum<br />
legt der Spaceape seine St<strong>im</strong>me. Und beginnt zu erzählen.<br />
Benjamin Biolay<br />
Vengeance Naive/Indigo<br />
Michael Saager<br />
Weshalb dreht gleich halb Gazetten-Europa<br />
durch, wenn in Frankreich ein Popalbum<br />
erscheint, das ausnahmsweise nicht<br />
nur Franzosen hören wollen? Steckt sie<br />
bereits in der Frage – die Antwort? Denn<br />
natürlich ist halbwegs relevanter Pop aus<br />
Frankreich ein eher seltener Fall.<br />
Angenommen, der 39-jährige Wahlpariser wäre bloß irgendein<br />
Musiker mit einem Faible für französisches<br />
Liedgut (à la Serge Gainsbourg und Edith Piaf) und einem<br />
zuletzt deutlich erstarkten Interesse für anglophilen Indie-<br />
Pop, Mainstream-HipHop, Popelektronik und New Wave,<br />
wie ihn New Order oder The Smiths spielten, dann … genau:<br />
dann nichts.<br />
Des Rätsels naheliegende Lösung für all die Aufmerksamkeit,<br />
die Biolay und seinem jüngsten Album „Vengeance“<br />
zuteil wurde, liegt, na klar, auf dem Boulevard, wo es Biolay<br />
zuletzt, als kettenrauchender Snob und respektloses<br />
Großmaul geziehen, nicht ganz leicht hatte.<br />
Zwar verhalf Biolay dem karibischen Chansonnier Henri<br />
Salvador zu einem Comeback, beförderte das Ansehen<br />
des Nouvelle Chanson mit seinem Debüt „Rose Kennedy“<br />
(2001) und produzierte seither viele namhafte Künstler.<br />
Doch trotz all seiner guten Taten gab er sich derart arrogant<br />
und unfreundlich, dass ihn bald halb Paris hasste<br />
und entsprechend hämisch reagierte, als Biolays Ehe mit<br />
der Schauspielertochter Chiara Mastroianni in die Binsen<br />
ging. Biolay war laut französischer Klatschpresse mit Vanessa<br />
Paradis zusammen, just als die sich gerade von Johnny<br />
Depp getrennt hatte. Heikel! Angeblich hatte er, der erklärte<br />
Salon-Sozialist, sogar eine Affäre mit Carla Bruni –<br />
ausgerechnet! Hilft ihm die dicke Freundschaft zu Frankreichs<br />
Präsident Hollande darüber hinweg? Oder bleibt er<br />
für <strong>im</strong>mer haften, der Makel des fatalen Verdachts, mit der<br />
falschen Dame <strong>im</strong> Bett gelegen zu haben? Man wüsste es<br />
zu gern, weiß es aber einfach nicht.<br />
Biolay spielt das große Frage-und-Antwort-Spiel bloßgelegter<br />
Int<strong>im</strong>itäten äußerst bereitwillig mit. Selbstverständlich<br />
fletscht er die Zähne, wenn es in Interviews wie<br />
<strong>im</strong>mer um sein Privatleben geht: „Das ist typisch französisch!“,<br />
wettert er dann los, verweist auf Frankreichs generelles<br />
Desinteresse an Musik, erzählt, dass die Menschen,<br />
obwohl sie keinen seiner Titel nennen könnten, ihn auf der<br />
Straße ansprechen würden, um ein Foto mit ihm zu machen.<br />
Nun, er sieht ja auch auffallend gut aus mit diesen interessant<br />
verlebten Benicio-Del-Toro-Augenringen. Schon<br />
ist das Foto <strong>im</strong> Kasten.<br />
Und was bliebe auch groß ohne all die Geschichten und<br />
Geschichtchen? Etwas Rauch und eine Prise Erotik in der<br />
St<strong>im</strong>me, Gainsbourg <strong>im</strong> Sinn, ein paar lakonische Elegien<br />
über die Liebe, ein irgendwie niedliches Duett mit Vanessa<br />
Paradis, in dem sie davon singen, das Leben genießen zu<br />
wollen, nun ja. Rock, Pop, französische Balladen, ergänzt<br />
um oben genannte musikalische „Neuerungen“. Dick aufgetragen<br />
in vielen Momenten, viel zu dick eigentlich, denn<br />
das Songwriting darunter ist stellenweise ziemlich dünn,<br />
keineswegs zwingend, und spätestens an Weihnachten –<br />
Schnee von gestern.<br />
Pit Przygodda<br />
Lied Solaris Empire/Broken Silence<br />
Markus von Schwerin<br />
Mit Go Plus schuf er emotionalen Postrock,<br />
der sich vor David Grubbs und J<strong>im</strong><br />
O‘Rourke nicht zu verstecken brauchte.<br />
<strong>Die</strong> Hamburger-Schule-Hörer waren jedoch<br />
mehr den Lyrismen von Blumfeld<br />
und Kante zugetan. Pit Przygodda brachte<br />
darauf seinen Harmoniereichtum bei Film und Theater<br />
zum Einsatz. Erst das Album „Lied“ vereint wieder die ver-<br />
lässliche Klangvielfalt, in der auch Mezzosopran-St<strong>im</strong>men,<br />
Posaunenchöre und Fuzz-Gitarren ihren Platz haben, mit<br />
der Lakonik seiner Texte.<br />
Auf dem Go-Plus-Abschiedswerk „Go Plus“ zeichnete er in<br />
der Art eines Entwicklungsromans den Aufbruch aus niedersächsischer<br />
Provinz über Hannover bis hin zur Wahlhe<strong>im</strong>at<br />
Hamburg in pointiert knappen Worten nach. Auf<br />
„Lied“ wird nun vor allem die Erfahrung beschrieben, wie<br />
es ist, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Und wie sich<br />
daraus Kraft gewinnen lässt. Ob über ein Leben nach dem<br />
Tod, Neuanfänge und unterschiedliche Formen der Liebe<br />
reflektiert oder schlicht die Freude besungen wird,<br />
„Back in Pop“ zu sein: <strong>Die</strong> Kombination aus Aufrichtigkeit,<br />
Sprachgefühl und musikalischer Abenteuerlust überzeugt<br />
auf ganzer Länge. Und <strong>im</strong> Klavierstück „Schweres<br />
Schiff“ zeigt Przygodda, was sich be<strong>im</strong> Altberliner Reibeisen<br />
Wolf Biermann an kraftvoller Diktion und Metaphorik<br />
abschauen lässt. Hier steht der heftig schaukelnde Kahn<br />
fürs selbsterlebte Auf und Ab und mündet, nach pfiffigem<br />
Korg-MS-20-Solo, in den Appell: „Schau in dich, traue dich<br />
/ Spürst du nicht der Erden Schicht?!“<br />
Mit seinen elf neuen Lieder hat sich Pit Przygodda etwas<br />
getraut. Und dabei ist er in puncto Schlichtheit und Schlüssigkeit<br />
dem Volkslied (<strong>im</strong> Sinne von Folkmusik) so nahe gekommen<br />
wie nur wenige seiner Zeitgenossen.<br />
T<strong>im</strong> Maia<br />
Nobody Can Live Forever: The Existential<br />
Soul of T<strong>im</strong> Maia Luaka Bop/Soulfood<br />
Ulrich Kriest<br />
T<strong>im</strong> Maia? Nie gehört? Kein Problem! Der<br />
Mann ist ja auch schon vierzehn Jahre tot.<br />
Aber Anfang der 70er war Maia, ein Hedonist<br />
vor dem Herrn, eine der zentralen<br />
Figuren des „Black Rio Movements“,<br />
das erfolgreich versuchte, US-amerikanischen<br />
Soul und Funk in die populäre Musik Brasiliens zu<br />
integrieren. Maia, Jahrgang 1942, gelang dies, wie diese<br />
vorzügliche Kompilation auf David Byrnes „Luaka Bop“-<br />
Label zeigt, mit lässigem Genie und ausgeprägter Liebe<br />
zur großen Geste: „We‘re gonna tell you the most <strong>im</strong>portant<br />
thing that you ever heard in your life! You never heard<br />
that before!“<br />
Maia hatte ein paar Jahre in den <strong>USA</strong> gelebt, bevor er kiffend<br />
in einem gestohlenen Fahrzeug von der Polizei aufgegriffen<br />
und sogleich abgeschoben wurde. Er blieb trotzdem<br />
Fan der US-Musikszene. 15 in jeder Hinsicht fette Hits<br />
zeugen davon, angefangen mit dem großartigen „Que Beleza“<br />
bis hin zur ausgedehnten Jam-Session „Rational Culture“<br />
aus der Zeit, als Maia als Anhänger der Racional-Engergy-Sekte<br />
auf die Ankunft der UFOs wartete.<br />
„Nobody Can Live Forever“ zeigt, wie Maia mit verstiegen-psychedelischem<br />
Soul die musica popular brasileira<br />
bereicherte und sich souverän und nicht epigonal in den<br />
Gefilden von Barry White und Isaac Hayes bewegte. Dass<br />
das Team von Luaka Bop zehn Jahre Arbeit in dieses Album<br />
gesteckt hat, um Rechte zu klären und die Tracks von<br />
altem Vinyl zu mastern, hat sich wirklich gelohnt.<br />
30 tonträger