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Dezember 2012 Scott matthew michael maar Die USA im ... - Pony

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R o m a n<br />

Öl auf Wasser<br />

Helon Habila<br />

Kerstin Cornils<br />

Rufus, ein junger Reporter aus der nigerianischen<br />

Ölstadt Port Harcourt, erhält die Chance seines Lebens.<br />

Man bietet ihm an, gemeinsam mit seinem<br />

journalistischen Idol Zaq die Entführung einer weißen<br />

Engländerin durch Rebellen aufzuklären. <strong>Die</strong><br />

fantastische Gelegenheit, endlich eine große Story<br />

von transzendentaler Bedeutung zu schreiben,<br />

hat nur einen Haken: Es ist gar nicht lange her, dass<br />

weit begabtere Reporter bei ähnlichen Recherchen<br />

in die Maschinerie des Ölkriegs geraten und<br />

ums Leben gekommen sind. Rufus, dessen Vater <strong>im</strong><br />

Knast sitzt und dessen Schwester das halbe Gesicht<br />

weggebrannt ist, ergreift dennoch seine Chance.<br />

Was der junge Mann erlebt, als er sich auf der Suche<br />

nach Isabel Floode aufs Wasser wagt, ist so<br />

majestätisch wie schrecklich. <strong>Die</strong> Mangrovenwälder<br />

geben eine überwältigende Kulisse von großer<br />

Finsternis ab und in den Flüssen schw<strong>im</strong>men seltsame<br />

Dinge wie „ein totes Huhn, ein aufgedunsener<br />

Hund“ und ein „am Ellbogen abgetrennte(r)<br />

menschliche(r) Arm“. Wenn Helon Habila in seinem<br />

Roman „Öl auf Wasser“ von Rufus’<br />

Reisen erzählt, hat man als Leser den<br />

Eindruck, allmählich den Boden unter<br />

den Füßen zu verlieren. Klare Zuordnungen<br />

zwischen Gut und Böse<br />

gibt es nicht: <strong>Die</strong> Soldaten der Regierung<br />

sind ebenso korrupt und<br />

gewalttätig wie die Rebellen, die<br />

behaupten, <strong>im</strong> Namen des Volkes gegen die Ausbeutung<br />

nigerianischer Dörfer durch ausländische<br />

Ölkonzerne zu kämpfen. Selbst Rufus’ Mentor Zaq<br />

büßt am Ende seinen Glanz ein: Der einstige Starreporter<br />

stellt sich als desillusionierter Alkoholiker heraus,<br />

der wirr <strong>im</strong> Dengue-Fieber deliriert.<br />

Der heute in den <strong>USA</strong> lebende Habila schreibt nicht<br />

nur Romane, sondern hat sich zudem als Herausgeber<br />

einer wichtigen Anthologie afrikanischer Short<br />

Stories hervorgetan. Seinen Namen wird man sich<br />

merken dürfen. <strong>Die</strong> bäuchlings <strong>im</strong> Wasser treibenden<br />

Fische und der orangefarbene Glanz der tödlichen<br />

Abgasfackeln, die auf Schritt und Tritt durch<br />

den Text irrlichtern, gehen einem lange nicht mehr<br />

aus dem Kopf.<br />

R o m a n<br />

Der Eindringling<br />

Raul Zelik<br />

Moritz Scheper<br />

Daniel, antriebsloser Student mit Persönlichkeit von<br />

der Stange, versucht nach seinem Studienbeginn an<br />

der Humboldt Universität Berlin das vor Jahren eingeschlafene<br />

Verhältnis zu seinem Vater Fil aufzuwärmen.<br />

Dass dieser jedoch kurz nach der ersten<br />

Kontaktaufnahme auf die Intensivstation und von<br />

dort weiter ins künstliche Koma wandert, erschwert<br />

Daniels Spurensuche zur „unvermittelt abgebrochenen<br />

Ferienvaterschaft“ zusätzlich.<br />

Ohne die ganze Handlung ausplaudern zu wollen:<br />

Natürlich gelingt es Daniel, Bruchstücke der Biographie<br />

seines Vaters zusammenzusetzen. Langsam<br />

verschwindet das Bild vom desinteressierten Loservater<br />

und wird ersetzt durch einen prinzipienfesten<br />

politischen Aktivisten. Antworten von Freunden,<br />

Freundinnen und Geliebten Fils werfen daher plötzlich<br />

vor allem Fragen zum eigenen Lebensmodell<br />

be<strong>im</strong> jungen Lehramtsstudenten auf, erodieren behutsam<br />

das Selbstverständnis seiner säuberlich eingehegten<br />

Bausparer-Existenz.<br />

Wie langweilig eine solche Lebensführung sein<br />

muss, darf der Leser höchstselbst erleben, wenn<br />

er sich durch die zähfließende, hundert Seiten lange<br />

Exposition arbeitet. Dranzubleiben lohnt sich<br />

allerdings, denn durch den Auftritt dreier gänzlich<br />

unterschiedlicher Frauenfiguren<br />

gewinnt der Roman dramatisch an<br />

Tempo. Wobei Daniels Entwicklung<br />

dankenswerterweise plausibel bleibt,<br />

er also weder den bewaffneten<br />

Kampf noch den utopischen Strand<br />

unterm Pflaster sucht.<br />

Bei aller Wertschätzung für diesen<br />

schriftstellernden Politikwissenschaftler ist „Der<br />

Eindringling“ eines von Raul Zeliks schwächeren Büchern.<br />

Zu mühselig ist insbesondere der Anfang,<br />

nicht zu vergleichen mit der konspirationsgeladenen<br />

St<strong>im</strong>mung von „La Negra“ oder dem Einblick in<br />

den ETA-Konflikt in „Der bewaffnete Freund“. Das<br />

Lebensmodell der Generation Facebook verkommt<br />

unter seiner Hand zum Klischee, statt wie intendiert<br />

zur Farce. Mit einer ganz unmelodramatisch-ehrlichen<br />

Liebesgeschichte fängt sich der Roman zwar<br />

wieder – nichtsdestotrotz haben wir von Zelik schon<br />

Besseres gelesen.<br />

R o m a n<br />

Der Schneesturm<br />

Vlad<strong>im</strong>ir Sorokin<br />

Michael Saager<br />

In einer grandiosen Szene des retrofuturistischen<br />

Romans „Der Schneesturm“ darf Doktor Garin ein<br />

nagelneues Produkt des „Dopaminierer“-Stammes<br />

testen. Der Trip, der in einer gläsernen High-Tech-<br />

Pyramide steckt, ist heilsamer Horror par excellence:<br />

Der Landarzt erlebt seine eigene öffentliche<br />

Hinrichtung vor johlendem Publikum. Er verbrennt<br />

lebendigen Leibes unter unfassbaren Schmerzen<br />

in einem Kessel siedenden Öls. Und kann, nachdem<br />

der Spuk endlich vorbei ist, sein Glück zu leben<br />

kaum fassen.<br />

Willkommen in der schrecklich-komischen Zukunftsmärchenwelt<br />

Welt Vlad<strong>im</strong>ir Sorokins! Im Grunde ist<br />

es ganz schön, dass der 1953 geborene Autor, berüchtigt<br />

als einer schärfsten literarischen Kritiker<br />

russischer Politik, in seinem jüngsten Buch die Gegenwart<br />

Russlands ausnahmsweise nicht allzu deutlich<br />

zur Kenntlichkeit entstellt. Das war in „Der Tag<br />

des Opritschniks“ (2008) noch anders, ließ sich dieser<br />

hellgrelle, so garstige wie gewaltgeladene Roman<br />

doch kinderleicht als Parabel auf demokratiefeindliche<br />

Tendenzen <strong>im</strong> Reich Putins lesen. „Der<br />

Schneesturm“ ist zumindest keine naheliegende Parodie<br />

auf die Situation seiner He<strong>im</strong>at. Der Erzählton,<br />

sanfter und ironischer als sonst, wurde dem<br />

neunzehnten Jahrhundert entliehen.<br />

Es geht um eine absurde Reise, deren<br />

(erzählerischer) Sinn darin besteht,<br />

die Protagonisten niemals ans<br />

Ziel kommen zu lassen. Zitiert werden<br />

Puschkin, Tolstoi und Kafka, na<br />

klar – der darf ja nie fehlen.<br />

Während also der etwas einfältige,<br />

gutmütige Kutscher Krächz und der dienstbeflissene,<br />

nachgerade ungeduldige Doktor in einem von<br />

fünfzig winzigen „Pferdis“ gezogenen „Schneemobil“<br />

unterwegs sind, um Todkranke vor der dräuenden<br />

Verwandlung in menschenfressende Zombies<br />

zu bewahren, arbeiten ein heftiger Schneesturm,<br />

mehrfacher Kufenbruch, lauernde Wölfe, Trägheit<br />

und Wutanfälle, Drogentrips, Eiseskälte und die<br />

sinnliche Erotik einer Müllerin hart daran, das so lebenswichtige<br />

Unterfangen kläglich scheitern zu lassen.<br />

Auf die Frage, ob sie tatsächlich so sind, die<br />

Russen, kann es nur eine Antwort geben: Wer weiß?<br />

Wunderhorn, <strong>2012</strong>, 231 Seiten, 24,80 Euro<br />

Edition Suhrkamp, <strong>2012</strong>, 291 Seiten, 14 Euro<br />

Kiepenheuer & Witsch, <strong>2012</strong>, 206 Seiten, 17,99 Euro<br />

32 Bücher

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