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pdfMI02S40D 02.02.2006 16:22 Uhr Seite 40<br />
reportage afghanistan<br />
loren haben, brauchen sie einen<br />
Menschen, der sie seelsorgerisch<br />
begleitet. Auch der Kulturschock<br />
macht vielen zu schaffen: „Es ist oft<br />
nicht einfach damit umzugehen,<br />
welche Armut und welches Leid<br />
hier herrschen“, so der Pater.<br />
Familie als Mittelpunkt des<br />
Lebens<br />
Pater Andreas bewundert den<br />
Lebensmut und die Zuversicht der<br />
Pater Andreas<br />
Meyer<br />
„Ein echter<br />
Austausch über<br />
Glaubensfragen<br />
scheitert oft<br />
schon an der<br />
Sprachbarriere.“<br />
Bevölkerung: „Die Menschen hier<br />
sind vielleicht nach unserem Verständnis<br />
sehr arm, aber sie ruhen in<br />
sich und in ihrer Familie. Die<br />
Familie ist nach wie vor der Lebensmittelpunkt<br />
für die meisten<br />
Afghanen, in Deutschland ist das<br />
ja leider nicht mehr der Fall.“<br />
Gerade die große Anzahl der<br />
Kinder in Afghanistan fasziniert<br />
den Militärpfarrer. Die traditionelle<br />
Großfamilie habe dort nach wie<br />
vor eine enorme Bedeutung, Kinder<br />
würden als Glück und Segen<br />
verstanden und nicht als Last.<br />
Pater Andreas wirkt nicht wie<br />
ein Soldat, trotz seiner Uniform.<br />
Der Benediktiner strahlt eine<br />
große Ruhe aus und ist deshalb ein<br />
sehr beliebter Gesprächspartner.<br />
Dort, wo die Soldaten ihr Dienstgradabzeichen<br />
tragen, hat er eine<br />
Schulterklappe mit einem großen<br />
Kreuz, die ihn als einen der weni-<br />
40 41<br />
gen christlichen Priester in einem<br />
streng islamischen Land ausweist.<br />
Die meisten Afghanen wissen<br />
nur sehr wenig über den christlichen<br />
Glauben. „Ein echter Austausch<br />
über Glaubensfragen scheitert<br />
oft schon an der Sprachbarriere“,<br />
sagt Meyer, der in der<br />
Erinnerung an manches Gespräch<br />
noch heute den Kopf schüttelt. So<br />
erzählte ihm ein muslimischer<br />
Geistlicher, er wisse durchaus, dass<br />
auch die Christen eine Fastenzeit<br />
haben. „Doch der Mullah war<br />
überzeugt, dass wir Katholiken<br />
von Gott offenbar besonders bestraft<br />
sein müssten, denn unsere<br />
Fastenzeit dauert ja mit 40 Tagen<br />
deutlich länger als der islamische<br />
Ramadan.“<br />
Mittelalter und High-Tech<br />
Die unterschiedlichen Kulturen<br />
treffen auch direkt in den Kasernen<br />
aufeinander. So arbeiten in<br />
den ISAF-Lagern in Kunduz und<br />
Kabul hunderte von Afghanen für<br />
die Bundeswehr. Die Einheimischen<br />
sind als Bauarbeiter, Reinigungskräfte<br />
und Dolmetscher<br />
beschäftigt. Jeden Morgen wechseln<br />
sie aus einer Welt in eine völlig<br />
andere. Während nur ein<br />
Bruchteil der afghanischen Bevölkerung<br />
über Strom, Kanalisation<br />
und fließendes Wasser verfügt,<br />
sind die Kasernen nach westlichem<br />
Standard ausgerüstet. Zwar müssen<br />
die Soldaten etwa in Kunduz<br />
in Containern duschen, aber immerhin<br />
haben sie heißes Wasser –<br />
für den durchschnittlichen Afghanen<br />
ein unerhörter Luxus. Frischfleisch<br />
wird aus der Heimat eingeflogen,<br />
denn in ganz Afghanistan<br />
gibt es keinen Schlachthof, der<br />
ausreichend Steaks unter garantiert<br />
hygienischen Bedingungen liefern<br />
könnte. Das frische Trinkwasser<br />
kommt aus Dubai, der Diesel für<br />
den riesigen Fuhrpark der mehr als<br />
2200 Bundeswehrsoldaten wird<br />
aus dem benachbarten Pakistan<br />
angeliefert. Die Versorgung klappt<br />
reibungslos, und das trotz der<br />
extrem schwierigen Verkehrsbedingungen.<br />
So gibt es im ganzen Land nur<br />
wenige geteerte Straßen. Wenn<br />
die Soldaten im Hinterland auf<br />
Patrouille fahren, wird jeder Meter<br />
zur Strapaze. Die Straßen sind<br />
Holperpisten, die in einem wesentlich<br />
schlechteren Zustand sind<br />
als mancher deutsche Feldweg.<br />
Schlaglöcher gleichen Kratern und<br />
verwandeln Reifen und Stoßdämpfer<br />
unerbittlich in Schrott,<br />
dazu kommt der allgegenwärtige<br />
Staub, der den Fahrern gerade im<br />
Konvoi die Sicht nimmt. Dennoch<br />
sind die Patrouillen in den<br />
Hindukusch für viele Soldaten ein<br />
Höhepunkt ihres Einsatzes in Afghanistan.<br />
Hauptmann Christoph<br />
Huber war mit seinen Männern<br />
schon in Regionen, in die sich seit<br />
den Zeiten der sowjetischen Besatzung<br />
kein Ausländer mehr verirrt<br />
hatte: „Das ist teilweise sehr<br />
abenteuerlich, diese völlig abgelegenen<br />
Dörfer zu sehen, in denen<br />
die Menschen unter einfachsten<br />
Bedingungen leben müssen.“<br />
> afghanistan<br />
Zu Beginn des 20. Jhd. befreit<br />
sich das Land aus mehr als 60<br />
Jahren britischer Vorherrschaft.<br />
1973 Nach einem Staatsstreich<br />
geht König Zahir Schah ins Exil,<br />
aus dem er 2002 zurückkehrt.<br />
1978 übernimmt eine kommunistische<br />
Regierung nach einem<br />
Militärputsch die Macht.<br />
1979 ruft sie die Sowjetunion<br />
nach Volksaufständen zu Hilfe.<br />
Die Rote Armee marschiert ein.<br />
Der Bürgerkrieg beginnt.<br />
Gegen die Rote Armee kämpfen<br />
Gruppen muslimischer<br />
Mujahedinkrieger, die von den<br />
USA unterstützt werden.<br />
1989 zieht sich die Rote Armee<br />
zurück. In den Folgejahren<br />
bekämpfen sich unterschiedliche<br />
Mujahedin-Gruppen in<br />
einem blutigen Bürgerkrieg.<br />
Das Land zerfällt in Chaos.<br />
1995 übernehmen die Taliban<br />
die Macht. Sie einen zunächst<br />
das Land, errichten dann<br />
jedoch eine islamistische<br />
Schreckensherrschaft. Es<br />
entstehen Camps, in denen<br />
Terroristen ausgebildet werden.<br />
11. 9. 2001 Absolventen afghanischer<br />
Terrorcamps entführen<br />
in den USA vier Flugzeuge. Sie<br />
steuern sie in die Türme des<br />
World Trade Centers und ins<br />
Pentagon. Eine Maschine stürzt<br />
ab. Mehr als 3000 Menschen<br />
sterben. Wenige Wochen<br />
danach marschieren internationale<br />
Truppen ein und<br />
vertreiben die Taliban.<br />
2004 wird erstmals eine<br />
Regierung demokratisch<br />
gewählt.<br />
Die Narben des Krieges<br />
Vor allem die motorisierten<br />
Patrouillen von Kabul aus in die<br />
Bergregionen im Grenzgebiet zu<br />
Pakistan sind trotz der anstrengenden<br />
Fahrt eine beliebte Abwechslung<br />
zum Kasernenalltag.<br />
Hinter einem ausgetrockneten<br />
Stausee ragen die majestätischen<br />
Berge des Hindukusch in den wolkenlos<br />
blauen Himmel. Doch die<br />
Idylle trügt. Einer der Soldaten<br />
deutet auf einen besonders beeindruckenden<br />
Gipfel: „Das Gelände<br />
ist komplett vermint und wird es<br />
wohl lange Zeit bleiben, weil die<br />
Gegend so unzugänglich ist.“ Das<br />
ganze Land leidet noch auf Jahre<br />
unter dem tödlichen Erbe der jahrzehntelangen<br />
Kriege. Noch immer<br />
können hunderte von Quadratkilometern<br />
nicht betreten werden,<br />
weil dort Millionen von Landminen<br />
vergraben und verschüttet<br />
sind. Über ganz Afghanistan verstreut<br />
liegen tausende von Panzerwracks<br />
und abgeschossenen<br />
Hubschraubern am Straßenrand.<br />
Doch der Oberstleutnant Sabur<br />
Afsali ist zuversichtlich: „Irgendwann<br />
wird das Land wieder sicher<br />
sein. Dann können auch wieder<br />
Touristen aus dem Ausland kommen<br />
und unsere Gastfreundschaft<br />
und die wunderschöne Landschaft<br />
Afghanistans genießen.“