APPARAT BAND
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20<br />
April 2012<br />
| SEEFAHRT |<br />
Wo ein Körper ist,<br />
kann kein<br />
anderer sein<br />
300 SEEMEILEN SÜDÖSTLICH VON NEUFUNDLAND ist die See<br />
ruhig, der Himmel sternenlos. Mit Beinahe-Höchstgeschwindigkeit<br />
gleitet das als ›unsinkbar‹ angepriesene, größte bewegliche<br />
Objekt, das je von Menschen gebaut wurde, durch die kalte<br />
Nacht: die Titanic. Direkt voraus wartet ein Eisberg auf eine geschichtsträchtige<br />
Begegnung. Stadtmagazin 07 blickt 100 Jahre<br />
zurück.<br />
Es ist Sonntagabend, der 14. April 1912.<br />
Die Titanic ist auf ihrer ersten Überfahrt<br />
nach New York bereits den vierten Tag<br />
unterwegs und die Aufregung um den Beginn<br />
der Reise, als ein Beinahe-Zusammenstoß mit<br />
dem Dampfer ›New York‹ — welch Omen! — im<br />
Hafen von Southampton die Jungfernfahrt in<br />
ein Fiasko zu verwandeln drohte, längst vergessen.<br />
An Bord befinden sich zu diesem Zeitpunkt<br />
1322 Passagiere und 892 Mann Besatzung,<br />
insgesamt also 2214 Menschen. Damit<br />
ist die ›Titanic‹ bei weitem nicht ausgebucht,<br />
sie hätte gut Tausend Gäste mehr mitnehmen<br />
können. Denen, die mitfahren ist dies egal:<br />
Sie genießen die Zeit auf dem 269 Meter langen<br />
Ozeanriesen, der mit seinen sieben ›Etagen‹<br />
und 762 Zimmern wie ein schwimmendes<br />
Palasthotel gen Amerika fährt, in vollen<br />
Zügen.<br />
LUXURIÖSES WASSERSCHLOSS<br />
Insbesondere für die Passagiere der Ersten<br />
Klasse hält die ›Titanic‹ einen luxuriösen<br />
Komfort bereit, wie man ihn auf einem Schiff<br />
noch nicht zuvor erlebt hat. Für die Reichen<br />
und Betuchten ist das komplette A-Deck und<br />
die vordere Hälfte des Bootsdecks als Promenade<br />
reserviert, die Zweite und Dritte Klasse<br />
hat hierzu keinen Zugang. Gespeist wird in<br />
einem prunkvollen Speisesaal — am Abend<br />
des Untergangs wird ein 10-Gänge-Menü mit<br />
dem Besten, was die bourgeoise Küche der<br />
Jahrhundertwende zu bieten hat, serviert.<br />
Zur weiteren Auswahl stehen darüber hinaus<br />
ein À-la-carte-Restaurant und das wie ein<br />
französisches Straßencafé eingerichtete Café<br />
Parisien, ebenso Lese-, Schreib- und Rauchsalons<br />
sowie ein Türkisches Bad für Wellness<br />
und Musestunden bereit. Wer es aktiver mag,<br />
kann sich die Zeit zudem auch im Spielzimmer,<br />
im Fitness-Center, auf dem Squash-Court<br />
oder im elektrisch beheizten Schwimmbecken<br />
vertreiben.<br />
Der Luxus der Ersten Klasse<br />
hatte natürlich auch seinen<br />
Preis: Für die größten Suiten<br />
waren für die Überfahrt<br />
nach New York bis zu 4.400<br />
Dollar fällig, das entspricht<br />
heute rund 70.000 Euro. Dafür<br />
bekam man dann allerdings<br />
auch einen eigenen<br />
Promenadenabschnitt auf<br />
dem Oberdeck gestellt. Die<br />
billigste Karte kostete 36<br />
Dollar (heute 580 Euro) — das<br />
war für Passagiere der Dritten<br />
Klasse zwar noch lange<br />
kein Schnäppchenpreis,<br />
jedoch waren sie auch sie<br />
vergleichsweise komfortabel<br />
untergebracht: statt in den<br />
bis dahin üblichen Schlafsälen<br />
schlief man auf der ›Titanic‹<br />
in Kabinen mit zwei bis<br />
sechs Betten.<br />
Absolutes Prunkstück des<br />
Luxusschiffs war das große<br />
Treppenhaus: Mit Eichenholz<br />
getäfelt und von einer<br />
Glaskuppel bedeckt, erstreckte sich dieses<br />
über sechs Stockwerke — und wer keine Lust<br />
auf Treppen steigen hatte, konnte auch einen<br />
der zahlreichen Aufzüge nutzen.<br />
Entgegen manch nachträglicher Überlieferung<br />
ist die ›Titanic‹ nicht für Geschwindigkeitsrekorde<br />
ausgelegt und auch nie auf<br />
das Blaue Band aus gewesen, mit dem jenes<br />
Passagierschiff geehrt wurde, das die Strecke<br />
von Europa nach New York am schnellsten<br />
zurücklegte.<br />
Zwei Kolbendampfmaschinen und eine<br />
Turbine — befeuert von insgesamt 29 Kesseln —<br />
bringen den größten Passagierdampfer der<br />
Welt dennoch auf eine solide Reisegeschwindigkeit<br />
von 21 Knoten (ca. 39 km/h). Dafür<br />
müssen allerdings mehr als 300 Ingenieure,<br />
Maschinenfetter, Heizer und Kohlentrimmer,<br />
die mit Schubkarren den Brennstoff (640<br />
Tonnen pro Tag!) von den Bunkern zu den<br />
insgesamt 29 Kesseln schaffen, im Schichtsystem<br />
mehr oder weniger rund um die Uhr<br />
arbeiten, um den Schiffsgiganten in Schwung<br />
zu halten.<br />
DIREKTER KURS AUFS EISFELD<br />
Warum der Schiffsgigant am diesem<br />
14. April 1912 fast mit Volldampf durch die<br />
Nacht fährt, wird wohl auf ewig ein Rätsel<br />
bleiben. Heute verbürgte Tatsache ist, dass<br />
den ganzen vorangegangenen Tag über Funk<br />
Warnungen vor Treibeis und Eisbergen an<br />
die ›Titanic‹ durchgegeben wurden. Die ›Caronia‹<br />
warnt, das holländische Linienschiff<br />
Bild: wikipedia