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Hilfe für couragierte Ärzte | Manuskript<br />

1<br />

Hilfe für couragierte Ärzte<br />

Bericht: Arndt Ginzel, Martin Kraushaar<br />

Schon das Anziehen der Schuhe ist für Petra Rädlinger ein Kraftakt. Früher genoss die heute<br />

50-Jährige die ausgedehnten Spaziergänge durch die Altmark. Heute kommt Petra Rädlinger<br />

gerade noch bis zum Gartenzaun. Der rechte Fuß ist taub, der Rücken schmerzt unerträglich.<br />

Petra Rädlinger:<br />

"Nein, früher bin ich vom Haus die Runde hier rum bis hinten zum Wald. Hier durch den<br />

Wald das Stück durch und dann wieder hier über das Feld zurück. Das war, sage ich mal,<br />

eine dreiviertel Stunde bis eine Stunde ein Spaziergang. Jetzt schaffe ich es gerade mal<br />

noch, dass ich den einen Weg hochgehe und wieder zurück. Und dann bin ich so fix und<br />

fertig, dass ich sage, ich möchte nicht mehr, kann nicht mehr."<br />

Petra Rädlinger ist eines von zahlreichen Opfern eines Krankenhausskandals. Sie wurde an<br />

der Wirbelsäule operiert, ohne entsprechenden Befund. Das haben unabhängige Gutachter<br />

mittlerweile bestätigt.<br />

Petra Rädlinger:<br />

"Die Operation war überflüssig, die war komplett überflüssig. Ich hätte... Also es gab keine<br />

Indikation, dass ich hätte operiert werden müssen."<br />

Petra Rädlingers Name steht in Krankenakten, die FAKT vor Monaten vertraulich zugespielt<br />

wurden. Im November enthüllten wir, dass Patienten gleich reihenweise ohne Grund unters<br />

Messer kamen.<br />

Tatort: Die Wirbelsäulenchirurgie des Altmark-Klinikums in Gardelegen. Recherchen<br />

brachten immer wieder neue Fälle ans Licht. Auf der Suche nach den Opfern stießen wir<br />

auch auf Todesfälle. Die Wohnung einer Rentnerin fanden wir bereits ausgeräumt vor. Die<br />

Nachbarin glaubt die Gründe zu kennen.<br />

Nachbarin:<br />

"Am 19. hat sie Urnenbeisetzung gehabt, 13 Uhr. Und am dritten ist sie gestorben."<br />

Monate zuvor wurde die Frau am Rücken operiert, ebenfalls ein mutmaßlich überflüssiger<br />

Eingriff. Unnötig operiert und danach gestorben ist auch Günter Mälzer. Inzwischen ist das<br />

offiziell. Tochter Jana befürchtete schon am Krankenbett ihres Vaters, dass etwas nicht<br />

stimmt.<br />

Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers<br />

verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.


Hilfe für couragierte Ärzte | Manuskript<br />

2<br />

Jana Mälzer:<br />

Ich habe mich darüber gewundert, dass er hier Schmerzen hat im Rücken sozusagen, aber<br />

hier oben am Hals haben sie ihn operiert. Und da sage ich mir, wenn ich hier Schmerzen<br />

habe, operiert man nicht am Hals."<br />

Im Zentrum des OP-Skandals steht dieser Arzt: Dr. T. Der Mediziner hatte all die<br />

überflüssigen Operationen durchgeführt. Aus Profitgier - so die Vermutung. Die<br />

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn in über 100 Fällen wegen Körperverletzung und<br />

Betrugs. Dabei hätte das Ganze viel eher gestoppt werden können. Leitende Ärzte hatten<br />

das Management immer wieder angeschrieben und über den ungeheuerlichen Verdacht<br />

informiert. Die Reaktion der Klinik? Abmahnungen und Kündigungen - nicht für Dr. T., Ärger<br />

bekamen nur die besorgten Mitarbeiter. Einer von ihnen war der langjährige Chefarzt Bernd<br />

Falkenberg, hier bei seinem Anwalt.<br />

Bernd Falkenberg:<br />

"Ich habe in kürzester Zeit drei Kündigungen bekommen, von August bis heute, das ist<br />

nicht sehr angenehm für mich persönlich. Ich vermute, dass ich mundtot gemacht werden<br />

soll. Die Gründe hierfür sind mir sicherlich bekannt, ich möchte die auch sagen, aber aus<br />

rechtlichen Gründen kann ich das nicht."<br />

Bernd Falkenberg und seine Mitstreiter ließen sich nicht einschüchtern. Aus Verantwortung<br />

für die Patienten zeigten sie die Missstände in der Wirbelsäulenchirurgie ihrer Klinik immer<br />

wieder an. Aufnahmen von der letzten Unterschriftenaktion der Ärzte.<br />

Bernd Falkenberg:<br />

"Hier haben alle sechs Führungskräfte noch mal bekräftigt, dass sie dem Schreiben nichts<br />

hinzufügen noch etwas zurückzunehmen haben. Und dass die Vorfälle um die<br />

Wirbelsäulenchirurgie seit September 2011 von uns kritisiert werden und leider nichts<br />

passiert ist."<br />

Dabei riskierten die Mediziner nichts Geringeres als ihre berufliche Existenz.<br />

Bernd Falkenberg:<br />

"Missstände im Krankenhaus im Gesundheitswesen aufzudecken, ist nicht ganz einfach für<br />

den Einzelnen, weil er natürlich mit Repressalien zu rechnen hat. Wenn er die Dinge, die<br />

von oben, von der Geschäftsführungen vorgegeben nicht erfüllt und kann zum Beispiel im<br />

Prinzip abgeschottet wird von den Dinge, die da so laufen und seine persönliche Kariere<br />

echt gefährdet ist."<br />

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Hilfe für couragierte Ärzte | Manuskript<br />

3<br />

Gegen den Widerstand der Geschäftsführung machten Falkenberg und seine Kollegen auf<br />

die überflüssigen Operationen in der Altmark-Klinik aufmerksam. Für den Arzt und<br />

Medizinethiker Paul Brandenburg ein vorbildliches Verhalten.<br />

Paul Brandenburg:<br />

"Das ist ja schon schwer kriminell und es ist ganz großartig, dass sich da schon fast<br />

geschlossen alle Kollegen einer Abteilung gegen gestellt haben und gewarnt haben. Schon<br />

sehr frühzeitig offenbar. Sehr frühzeitig gewarnt haben, dass da Operationen<br />

ausschließlich zum Schaden von Patienten stattfinden."<br />

Was tun, wenn in der eignen Klinik etwas gründlich schief läuft? Wenn Management und<br />

Aufsicht versagen? Und Kritikern wie in der Altmark-Klinik arbeitsrechtliche Folgen drohen?<br />

Paul Brandenburg:<br />

"Die Seite ist zu finden unter medleaks.org ..."<br />

Die Homepage Medleaks könnte so eine Lösung sein - Paul Brandenburg unterstützt das<br />

Online-Projekt. Die Macher wollen Ärzten die Angst nehmen, Missstände publik zu machen.<br />

Paul Brandenburg:<br />

"So ein anonymes Portal wie Medleaks kann so eine Art Zwischenschritt sein. Vielleicht hin<br />

zu einer neuen Kultur im Umgang innerhalb der Ärzteschaft und sie haben dann die<br />

Sicherheit, dass sie selbst nicht bekannt werden, selbst nicht Pressekontakt haben, dass sie<br />

selbst nicht in Gefahr kommen, isoliert zu werden in ihrer eigenen Abteilung. Vielleicht<br />

senkt es die Hemmschwelle bei manchen Kollegen, mal schneller den Mund<br />

aufzumachen."<br />

Der OP-Skandal in der Altmark-Klinik - hätten hier Ärzte geschwiegen, wäre er sicher<br />

unentdeckt geblieben. Inzwischen hat auch das Krankenhaus öffentlich eingeräumt, dass<br />

ohne entsprechende Befunde operiert wurde. Erste Konsequenz: Der Geschäftsführer<br />

musste gehen. Betroffene Patienten sollen nun entschädigt werden.<br />

Petra Rädlinger:<br />

"Ich bin dankbar, dass Dr. Falkenberg das aufgedeckt hat. Ich würde sonst den Glauben<br />

verlieren, ich würde sonst überhaupt nicht mehr ins Krankenhaus gehen."<br />

Übrigens: Ein Gericht hob Bernd Falkenbergs Kündigungen auf. Auch seine Kollegen sollen<br />

laut Klinik nichts mehr zu befürchten haben.<br />

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