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Analyse<br />
Die Freiheit, die Extrembergsteiger und Antarktis-Abenteurer meinen: Der Berg ist aus eigener Kraft bezwungen, die Auss<strong>i<strong>ch</strong></strong>t über das Dronning-Maud-Land ist überwältigend.<br />
Von Christoph Höbenre<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
(Text und Bilder)<br />
Das erste Fahrzeug des Konvois s<strong>ch</strong>iebt ein<br />
Radargerät an einem langen Auslegerarm vor<br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong> her. Mit diesem Gerät können verborgene<br />
Glets<strong>ch</strong>erspalten entdeckt werden. Au<strong>ch</strong><br />
wenn wir sie mit freiem Auge n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t erkennen,<br />
an unserem vereinbarten Abholungs -<br />
punkt wimmelt es nur so von Spalten. So<br />
bleiben die Fahrzeuge dann au<strong>ch</strong> vor einem<br />
uns<strong>i<strong>ch</strong></strong>tbaren, mehrere dutzend Meter tiefen<br />
und drei Meter breiten Spalt, der mit einer<br />
dicken Presss<strong>ch</strong>nees<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>t bedeckt ist, stehen.<br />
Für Skiläufer sind diese Spalten kein<br />
Problem, aber für Fahrzeuge do<strong>ch</strong> ein Risiko.<br />
Die erste österre<strong>i<strong>ch</strong></strong>is<strong>ch</strong>e Expedition na<strong>ch</strong><br />
Dronning-Maud-Land, die <strong>i<strong>ch</strong></strong> im November<br />
2009 leitete, geht zu Ende. Nirgendwo sonst<br />
ragen derart imposante Türme und Pfeiler<br />
aus den horizontalen Eismassen Antarcticas.<br />
Mit Ski und selbst gezogenen Pulkas<strong>ch</strong>litten<br />
dur<strong>ch</strong> die südpolare Eiswüste und Gebirgs -<br />
welt zu reisen, war anstrengend und meditativ<br />
zugle<strong>i<strong>ch</strong></strong>.<br />
Nur auf der letzten Etappe unserer Expe dition<br />
am nördl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Ausläufer der Berge kamen in<br />
mir zwiespältige Gefühle auf. Als <strong>i<strong>ch</strong></strong> näml<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
die Fahrzeuge und die herumstehenden<br />
Mens<strong>ch</strong>en erspähte, mis<strong>ch</strong>te s<strong>i<strong>ch</strong></strong> neben die<br />
Abenteuer<br />
Antarctica<br />
Ein kritis<strong>ch</strong>er Überblick über das heutige Expeditionswesen<br />
und die sportl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Ers<strong>ch</strong>liessungsges<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>te der Antarktis.<br />
Freude über das Wiedersehen n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t nur<br />
Wehmut über das Ende unserer Skireise: Die<br />
Fahrzeuge wirkten auf m<strong>i<strong>ch</strong></strong> vielmehr wie<br />
Fremdkörper, die die Harmonie des Eises<br />
störten. Bei ihrem Anblick verlor <strong>i<strong>ch</strong></strong> das<br />
Gefühl, in der Wildnis zu sein, und fühlte<br />
m<strong>i<strong>ch</strong></strong> mit einem S<strong>ch</strong>lag zurück in die<br />
Zivilisation versetzt.<br />
Gemeinsam mit den Expeditionsteilnehmern<br />
Paul Koller und Karl P<strong>i<strong>ch</strong></strong>ler gelang es, auf<br />
150 Kilometern Gehstrecke zahlre<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Gipfel<br />
von Bergen und kleinen Nunataks zu besteigen.<br />
Wir stiessen im Holtedahl-Gebirge in ein<br />
Gebiet vor, in dem vor uns no<strong>ch</strong> nie Berg -<br />
steiger waren, und lernten diesen Teil der Ant -<br />
arktis im wahrsten Sinne als eine «Wunder -<br />
volle» Welt kennen. Hier gibt es keine Wege,<br />
Spuren oder sonstige Ze<strong>i<strong>ch</strong></strong>en von Mens<strong>ch</strong>en.<br />
In Dronning-Maud-Land ist der Mythos der<br />
Terra incognita no<strong>ch</strong> überall spürbar. Und<br />
was gibt es S<strong>ch</strong>öneres, als unbekannte<br />
Gebirge und unbestiegene Berge zu erkunden?<br />
Eine Mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>keit, die in den Alpen<br />
Bergsteiger zuletzt im 19. Jahrhundert hatten.<br />
Den von uns erstbestiegenen Bergen<br />
gaben wir dann in Übereinstimmung mit den<br />
eins<strong>ch</strong>lägigen R<strong>i<strong>ch</strong></strong>tlinien zur Namens -<br />
gebung in der Antarktis Namen wie «Österre<strong>i<strong>ch</strong></strong>spitze»,<br />
«Steirerturm», «Gipfel der<br />
Stille», «Kamelbuckel» oder «Galileoberg».<br />
Mit Vollgas dur<strong>ch</strong> die Antarktis<br />
Anfangs war <strong>i<strong>ch</strong></strong> über den Einsatz der<br />
Fahrzeuge für unsere Abholung n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t sehr<br />
erfreut. N<strong>i<strong>ch</strong></strong>t nur aus ökologis<strong>ch</strong>en Gründen,<br />
sondern au<strong>ch</strong> deshalb, da ein Land, das man<br />
mit dem Auto bereisen kann, seinen Mythos<br />
und Abenteuerwert verliert. Do<strong>ch</strong> meine<br />
Skepsis – zumindest was die Umweltfrage<br />
betrifft – w<strong>i<strong>ch</strong></strong> ein wenig, als <strong>i<strong>ch</strong></strong> sah, wie<br />
sauber diese modernen Fahrzeuge gegenüber<br />
den oft jahrzehntealten Kettenfahrzeugen der<br />
Fors<strong>ch</strong>ungsstationen sind, wel<strong>ch</strong>e Ölspuren<br />
im Eis hinterlassen und spr<strong>i<strong>ch</strong></strong>wörtl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
Tonnen an Diesel verblasen.<br />
Die Toyotas wurden in Island eigens für sol<strong>ch</strong>e<br />
extremen Wintereinsätze adaptiert und<br />
mit dicken Ballonreifen samt Spikes ausgerüstet.<br />
Dur<strong>ch</strong> sie wurde es mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>, au<strong>ch</strong> die<br />
modernen «Wettläufe zum Südpol» dur<strong>ch</strong>zuführen.<br />
In den letzten Jahren fuhren mehrmals<br />
Allradfahrzeuge zur Unterstützung dieser<br />
Rennen rund 2200 Kilometer von der<br />
Novo-Airbase bis zum Südpol und wieder<br />
zurück. Bis zu 80 km/h erre<strong>i<strong>ch</strong></strong>en die Fahrer<br />
auf dem ebenen <strong>Polar</strong>plateau. Ledigl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
Sastrugifelder, das sind Gebiete mit sturmgefrästen<br />
Eiswellen, die einem erstarrten Meer<br />
gle<strong>i<strong>ch</strong></strong>en, zwingen bisweilen zu S<strong>ch</strong>ritt -<br />
tempo.<br />
Die moderne Te<strong>ch</strong>nik hat ein neues Zeitalter<br />
des Transportwesens in Antarctica eingeläutet,<br />
dessen erste Versu<strong>ch</strong>e bis in die goldene<br />
Ära der Eroberungsexpeditionen zurückre<strong>i<strong>ch</strong></strong>en.<br />
Bereits Ernest Shackleton versu<strong>ch</strong>te<br />
auf der Nimrod-Expedition 1907-09 Kraf -<br />
tfahrzeuge einzusetzen, hatte dabei jedo<strong>ch</strong><br />
wenig Erfolg. Au<strong>ch</strong> Robert Falcon Scott<br />
glaubte 1911 irrtüml<strong>i<strong>ch</strong></strong>erweise, dur<strong>ch</strong> die<br />
Leistungsfähigkeit seiner Ketten-Autos den<br />
Wettlauf gegen Roald Amundsen und seine<br />
S<strong>ch</strong>littenhunde gewinnen zu können.<br />
Und die kreative Te<strong>ch</strong>nik des grossen<br />
<strong>Polar</strong>fors<strong>ch</strong>ers Alfred Wegener, der in Grön -<br />
land s<strong>ch</strong>on 1930 propellerbetriebene S<strong>ch</strong>litten -<br />
fahrzeuge einsetzte, wurde 2010 im Zuge der<br />
Moon-Regan-Transantarctic-Expedition an -<br />
gewendet: Diese raste mit Allradfahr zeugen<br />
und einem dreikufigen Propeller s<strong>ch</strong>litten in<br />
einer «Rekordzeit» von 303 Stunden von der<br />
neuen Landebasis am Union Glacier über<br />
den Südpol bis na<strong>ch</strong> McMurdo. Und dann<br />
wieder retour.<br />
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<strong>Polar</strong> NEWS<br />
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