Leben mit Sinnen und Sinn in der heutigen Lebenswelt - Baeuml ...
Leben mit Sinnen und Sinn in der heutigen Lebenswelt - Baeuml ...
Leben mit Sinnen und Sinn in der heutigen Lebenswelt - Baeuml ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Maria-Anna Bäuml-Roßnagl<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt<br />
Wege <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zeitgerechte pädagogische Soziologie<br />
onl<strong>in</strong>e-Ausgabe 2000
Maria-Anna Bäuml-Roßnagl<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> (<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt)<br />
Wege <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zeitgerechte pädagogische Soziologie<br />
Onl<strong>in</strong>eausgabe 2000<br />
alle Rechte liegen bei <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong><br />
1
Vorwort zur "onl<strong>in</strong>e" Publikation 2000<br />
LEBEN MIT SINNEN UND SINN<br />
ist nunmehr seit 10 Jahren e<strong>in</strong> vieldiskutiertes Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
HEUTIGEN LEBENSWELT<br />
Die gr<strong>und</strong>legenden anthropologischen Reflexionen, die ich vor 10 Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Buch <strong>mit</strong> diesem Titel veröffentlichte, haben seither an Bedeutung gewonnen.<br />
Da dieses Buch längst vergriffen ist, möchte ich den vielen Interessenten über die<br />
neuen Möglichkeiten des "Internet-Lesens" die Chance geben, sich <strong>mit</strong> me<strong>in</strong>en<br />
Gedanken zu e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen <strong>Leben</strong>sgestaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alltagskultur <strong>und</strong> spezifisch im<br />
Bildungsbereich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen.<br />
Auch ich selbst habe <strong>in</strong> den vergangenen 10 Jahren weitere Überlegungen dazu<br />
publiziert - die F<strong>und</strong>stellen f<strong>in</strong>den sie im Anhang an die Literaturliste 1990.<br />
Nach wie vor ist es für uns Menschen heute <strong>in</strong> allen Berufs- <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sbereichen<br />
dr<strong>in</strong>glich, den INTELLEKT nicht ohne die LEIBBASIS auszubilden -<br />
Wissensanhäufung ohne emotionale Verankerung führt selten zu vernunftgerechten<br />
Handlungsstrategien - KOGNITION <strong>und</strong> EMOTION bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />
München, im November 2000<br />
Prof. Dr. Maria-Anna Bäuml-Roßnagl<br />
PS:<br />
1. Die Urheberrechte für dieser Onl<strong>in</strong>eausgabe liegen bei <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong>; die<br />
Zitationsweise ist entsprechend anzugeben.<br />
2. Die ausgedruckten Seiten entsprechen etwa <strong>der</strong> gedruckten Ausgabe von 1990<br />
3. Die Abbildung aus <strong>der</strong> Erstaufgabe s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe nicht<br />
übernommen.<br />
2
INHALTSÜBERSICHT<br />
1. Kapitel<br />
DER LEIB ALS PÄDAGOGISCHES BILDUNGSGUT FÜR ERWACHSENE<br />
UND KINDER<br />
1.1. Leib-haftig leben lernen<br />
1.2. "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>mit</strong> dem Körper" als spezifische Aufgabe <strong>der</strong><br />
Industriegesellschaften<br />
1.3. Mit dem Leib <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n erfahren<br />
1.4. Bewußt den Leib erfahren<br />
1.5. Auch die pädagogische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung geschieht <strong>mit</strong> dem Leib<br />
2. Kapitel<br />
SINN-FRAGEN ANGESICHTS DER HEUTIGEN LEBENSWELT<br />
2.1. Ist die uns täglich "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt" unsere Welt?<br />
2.2. Gibt es e<strong>in</strong>en Weg von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nlich erfahrenen Welt zum<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> ganzen Welt?<br />
2.3. "Zivilisierte <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>n-en-nahe Zivilisation<br />
2.4. Durch <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esübungen zu e<strong>in</strong>em Selbst- <strong>und</strong> Sozialverständnis<br />
3. Kapitel<br />
SINNVOLL DIE WELT MIT ALLEN SINNEN ERFAHREN<br />
3.1. Bloße Wissensver<strong>mit</strong>tlung über die Welt verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen<br />
<strong>in</strong> die Welt<br />
3.2. "Hand <strong>in</strong> Hand" die Welt erk<strong>und</strong>en<br />
3.3. Auf eigenen Füßen die Welt erfahren<br />
3.4. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles Wissen aus Erfahrung <strong>und</strong> Handlung gew<strong>in</strong>nen<br />
3.5. Die Wahrnehmungsfähigkeit "ganzheitlich" sensibilisieren<br />
3.6. Sich selbst <strong>und</strong> die Welt geme<strong>in</strong>sam erfahren <strong>und</strong> deuten lernen<br />
3.7. In die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen erfor<strong>der</strong>t auch das Entwachsen aus<br />
<strong>der</strong> eigenen Welt<br />
3
4. Kapitel<br />
SINNVOLLE BILDUNG HEUTE DURCH SINNLICHES LERNEN<br />
4.1. <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nahes Lernen auch heute als bildungstheoretische Maxime<br />
4.2. Die Kraft <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als Bildungsaufgabe für den Menschen<br />
4.3. Der Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> als Bildungsweg<br />
4.4. Gr<strong>und</strong>legende Bildung im Spannungsverhältnis von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung<br />
5. Kapitel<br />
SINNLICHKEIT UND SINN DES MENSCHLICHEN LEBENS<br />
5.1. Der Mensch ist fortschreitende Bewegung<br />
5.2. Von <strong>der</strong> befremdlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung zur fragenden <strong>S<strong>in</strong>n</strong>suche<br />
5.3. Ohne Sachphänomene ke<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>phänomene -<br />
ohne Leiblichkeit ke<strong>in</strong>e menschlich s<strong>in</strong>nvolle Geistigkeit<br />
5.4. Das menschliche <strong>Leben</strong> ist <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit<br />
6. Kapitel<br />
MIT DEN SINNEN AUF DER SUCHE NACH WIRKLICHKEIT<br />
6.1. Der Mensch will die Welt <strong>in</strong> den "Griff" <strong>und</strong> "Begriff" bekommen<br />
6.2. Der bloß "registrierende Blick" übersieht die Wirklichkeit<br />
6.3. Mit allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> heute den wirklichen Bildungss<strong>in</strong>n wie<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den<br />
6.4. Erwachsene erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretieren die Wirklichkeit auch für die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
6.5. Nur <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> erkennt <strong>der</strong> Mensch die ganze Wirklichkeit<br />
7. Kapitel<br />
BEGEGNUNG ALS MENSCHENGEMÄSSE ERFAHRUNG DER WELT<br />
7.1. "Un-<strong>mit</strong>telbare" Begegnung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen als Unterrichtspr<strong>in</strong>zip<br />
7.2. "Ver-<strong>mit</strong>telte" Begegnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swelt<br />
7.3. Ganzheitliche Begegnung <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
7.4. Begegnung als Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Wirklichkeitsforschung<br />
PROLOG ZUR PÄDAGOGISCHEN PERESTROJKA IM JAHR 2000<br />
LITERATUR<br />
1. Kapitel<br />
4
Der Leib als pädagogisches Bildungsgut für Erwachsene <strong>und</strong> -<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
1.1. Leib-haftig leben lernen<br />
Des Menschen Herz braucht Bil<strong>der</strong> - des Menschen Geist braucht den Leib. Diese alte<br />
Wahrheit ist im Zuge <strong>der</strong> funktionalisierten Technisierung unseres mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>s<br />
<strong>in</strong> unserem Jahrh<strong>und</strong>ert oftmals zurückgedrängt worden - nicht nur im gesellschaftlichen<br />
<strong>Leben</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sogennannten Öffentlichkeit, son<strong>der</strong>n auch bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die<br />
<strong>in</strong>timen Prozesse <strong>der</strong> menschlichen <strong>Leben</strong>sführung. Auch pädagogische Strömungen -<br />
Denkmodelle <strong>und</strong> Praxiskonzepte - haben zeitweise versucht, Intellekt ohne Leibbasis,<br />
Leistung ohne Gemütsverwurzelung, Emotionen ohne Herzenstiefe <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
Lehradressaten zu för<strong>der</strong>n. Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Lehrer <strong>und</strong> Schüler werden dem<br />
fanatischen Sog e<strong>in</strong>er leistungsorientierten Zivilisation ausgesetzt, welche die<br />
Leibgeb<strong>und</strong>enheit menschlichen Leistenkönnens nicht mehr anerkennen wollte -<br />
leistungsschwache junge Menschen s<strong>in</strong>d das Ergebnis dieser gesellschaftlichen<br />
Erziehungsepoche.<br />
So warnen heute vor allem Ärzte <strong>und</strong> Psychologen (als letzte Anlaufstelle des<br />
Leistungsversagens) vor e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>seitigen o<strong>der</strong> falschen "Gebrauch" von Körper <strong>und</strong><br />
Leib. Und Pädagogen aller "Provenienz" denken wie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> auch neu darüber nach,<br />
wie lernen <strong>und</strong> leben, denken <strong>und</strong> "leiben", Kopf, Herz <strong>und</strong> Hand aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
angewiesen s<strong>in</strong>d. Der Leib ist neu zu e<strong>in</strong>er pädagogischen Aufgabe geworden <strong>und</strong> zu<br />
e<strong>in</strong>em Bildungsanliegen, das Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> gleichermaßen betrifft <strong>und</strong><br />
betroffen macht.<br />
Der menschliche Leib ist ja auch "e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g beson<strong>der</strong>er Art" (B.Waldenfels 1986, S.<br />
149ff). Seit es e<strong>in</strong> Nachdenken über den Menschen gibt, werden dem menschlichen<br />
Leib beson<strong>der</strong>e Merkmale zugeschrieben. Die Unterscheidung Körper - Leib ist <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
gesamten Kulturgeschichte <strong>der</strong> Menschheit da. Zum Begriff Leib - zusätzlich gegenüber<br />
dem Körperbegriff - gehören immer die Begriffe "Bewußtse<strong>in</strong>" o<strong>der</strong> "Seele".<br />
5
Das was <strong>der</strong> Mensch an D<strong>in</strong>glichkeit, an d<strong>in</strong>glichem Körper hat, ist <strong>mit</strong> Bewußtse<strong>in</strong>,<br />
<strong>mit</strong> Seele, <strong>mit</strong> Empf<strong>in</strong>dung ausgestattet.<br />
Nun wissen wir gerade <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten durch wissenschaftliche Analysen,<br />
daß auch Tiere, daß auch Pflanzen so etwas wie e<strong>in</strong>e "Seele" haben können. Also muß<br />
man zum Menschen weiter fragen. Die Begabtheit <strong>mit</strong> seelischem Empf<strong>in</strong>dungen kann<br />
noch nicht die Unterscheidung von Mensch <strong>und</strong> Tier br<strong>in</strong>gen. Es muß <strong>der</strong> Bewußtse<strong>in</strong>sbegriff<br />
im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des "Wissens <strong>und</strong> Gewissens" zum Leibbegriff dazugenommen<br />
werden: "Prüft man die Son<strong>der</strong>merkmale des menschlichen Leibes, so legt sich <strong>der</strong><br />
Gedanke nahe, daß dieser beson<strong>der</strong>e Körper, den ich als me<strong>in</strong>en Leib bezeichne, sich<br />
nicht e<strong>in</strong>fach durch e<strong>in</strong> Mehr an objektiven Bestimmungen auszeichnet, son<strong>der</strong>n<br />
ursprünglich für mich etwas ganz an<strong>der</strong>es ist als e<strong>in</strong> bloßes Körperd<strong>in</strong>g"<br />
(B.Waldenfels 1986, S. 149).<br />
Alle objektive Erfahrung <strong>und</strong> Forschung, auch die des eigenen Leibes, geschieht beim<br />
Menschen schon <strong>mit</strong>tels des Leibes. Das heißt: <strong>der</strong> Mensch kann <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong>,<br />
<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Wissen, <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er Seele nicht aus dem Leib "heraus". Wenn er über<br />
sich, über se<strong>in</strong>e Leiblichkeit, über se<strong>in</strong>en Körper nachdenkt, dann geschieht das immer<br />
schon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leib. Das haben Philosophie <strong>und</strong> Soziologie <strong>in</strong> den letzten 100 Jahren<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>tensiv bewußt gemacht. Der Mensch hat e<strong>in</strong>en Leib, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g ganz<br />
beson<strong>der</strong>er Art ist. Er kann die Erkenntnisse über se<strong>in</strong>en Leib als D<strong>in</strong>g nur dadurch<br />
gew<strong>in</strong>nen, daß er schon "<strong>mit</strong>tendr<strong>in</strong>" ist <strong>in</strong> dieser Leiblichkeit.<br />
Dieser typisch menschliche "Sachverhalt" hat e<strong>in</strong>e große Bedeutung für die Pädagogik<br />
<strong>und</strong> schulische Bildungsbemühungen. Es gibt demnach ke<strong>in</strong>e Bildungs<strong>in</strong>halte, die<br />
Lehrer, Eltern <strong>und</strong> Erzieher dem jungen Mensch gleichsam "von außen" her "beibr<strong>in</strong>gen"<br />
könnten (wie sehr verrät die pädagogische Alltagssprache hier falsches<br />
Denken!). Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> - beide stehen als "ganze" auch <strong>mit</strong> ihrem Leib<br />
immer "<strong>mit</strong>ten dr<strong>in</strong>" im Bildungsgeschehen. Die Wissensgew<strong>in</strong>nung wie auch<br />
konkrete Erfahrungen, die wir von D<strong>in</strong>gen machen, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> engem Zusammenhang <strong>mit</strong><br />
<strong>der</strong> Leiberfahrung zu sehen.<br />
6
Man kann sich das veranschaulichen am Beispiel Apfel. Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er naturwissenschaftlichen<br />
Veranstaltung, z.B. Biologiedidaktik, e<strong>in</strong>e Analyse über die Merkmale<br />
e<strong>in</strong>es Apfels gemacht wird - wenn so etwas auch an unseren Schulen geschieht (Wie<br />
sieht e<strong>in</strong> Apfel aus?) - e<strong>in</strong> Thema des 1. Schuljahres, dann muß man sich als Lehrer<br />
bewußt se<strong>in</strong>, daß da<strong>mit</strong> gleichsam "Körperhaftes" vom Apfel erfaßt wird. Was e<strong>in</strong>en<br />
Apfel als Ganzes ausmacht, was er für den Menschen bedeutet, das ist mehr! Denkt<br />
man etwa daran, was e<strong>in</strong> Apfel bedeuten kann, wenn man sehr Hunger hat o<strong>der</strong> was<br />
e<strong>in</strong> Apfel bedeuten kann, wenn er sehr schön ist, wird e<strong>in</strong>em bewußt, daß auch<br />
leiblich-körperliche Empf<strong>in</strong>dungen des Menschen <strong>in</strong> diese Apfelerfahrungen <strong>mit</strong><br />
e<strong>in</strong>gehen. Das naturwissenschaftlich untersuchbare "Objekt" Apfel ist nur e<strong>in</strong>e<br />
Dimension!<br />
Die For<strong>der</strong>ung, sich <strong>mit</strong> dem "eigenen Leibe" <strong>in</strong> das Bildungsgeschehen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zubegeben,<br />
gilt nicht nur für den Pädagogen als Praktiker, son<strong>der</strong>n auch für den<br />
Pädagogen als Forscher. Auch als Forscher muß sich <strong>der</strong> Pädagoge <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Forschungsarbeit<br />
selber leiblich e<strong>in</strong>lassen. Darum bemüht sich vor allem die<br />
pädagogische Phänomenologie. Wenn man über K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Schulen, K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
häuslichen <strong>und</strong> öffentlichen Erziehungsräumen etwas sagen will, kann das nicht vom<br />
theoretischen Schreibtisch aus geschehen. Am "grünen Tisch" können zwar "schöne"<br />
Modelle entwickelt werden - diese haben aber meistens sehr wenig <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />
Wirklichkeit zu tun. Die "phänomenologische" Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pädagogik geht<br />
demnach von den Phänomenen aus, von dem, was man sieht, von den Ersche<strong>in</strong>ungen<br />
<strong>und</strong> nicht von theoretischen Konstrukten, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> se<strong>in</strong> sollen. Reformpädagogische<br />
Postulate ohne ausreichenden Realitätsbezug haben nur Wirkkraft, wenn sie<br />
Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrer leibgeb<strong>und</strong>enen Existenz als pädagogischen Erfahrungsraum<br />
ernstnehmen.<br />
1.2. "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>mit</strong> dem Körper" als spezifische Aufgabe <strong>der</strong><br />
Industriegesellschaften<br />
Die Menschen haben auf verschiedene Weise immer versucht, die Welt "<strong>in</strong> den Griff"<br />
zu bekommen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> tun das vom 1. <strong>Leben</strong>sjahr an immer wie<strong>der</strong> neu. Doch je<br />
fanatischer <strong>der</strong> Griff <strong>der</strong> menschlichen Hand zum Zugriff <strong>und</strong> abstrahierten Begriff<br />
7
wurde <strong>und</strong> wird, desto größer ist die Gefahr des Danebengreifens <strong>und</strong> Entgleitens <strong>der</strong><br />
D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt. So machen die Bil<strong>der</strong> von <strong>der</strong> "wirklichen Welt" - wie sie unsere<br />
AV-Medien ausstrahlen - die Hände nicht frei zum Handeln <strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dieser Welt.<br />
Die "realistischen" Wahrnehmungsreize über die AV-Medien schafft gerade zu<br />
mediale Entfremdung von den realen "Handlungs-möglichkeiten". Menschliches<br />
Handlungsvermögen ist zur "Knopfdruck"- Aktivität geschrumpft. "Wenn ich e<strong>in</strong>en<br />
Knopf drücke, geht etwas <strong>in</strong> die Luft, e<strong>in</strong> Krieg beg<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong>e Kugelschreiberm<strong>in</strong>e<br />
kommt heraus. E<strong>in</strong> Computer startet. E<strong>in</strong> Motorrad startet. E<strong>in</strong> Aufzug kommt. E<strong>in</strong><br />
Licht geht an. E<strong>in</strong> Panzer startet. Der Kühlschrank geht auf. E<strong>in</strong> Flugzeug startet. Die<br />
Bohrmasch<strong>in</strong>e geht an. Der Fernseher geht an, Musik kommt, e<strong>in</strong> Schuß wird ausgelöst,<br />
stirbt die Menschheit aus, startet Challenger, öffnet sich <strong>der</strong> Mülleimer."<br />
(S.Jörg, 1987 S.70)<br />
Bei dieser täglich erfahrenen Handlungs-Unfähigkeit o<strong>der</strong> als "egal" empf<strong>und</strong>enen<br />
Handlungs-Beliebigkeit wird vom Menschen her selbst <strong>und</strong> auch die Welt als "blanke<br />
Unmöglichkeit" erfahren, wie H.Kükelhaus erläutert: "Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> unserer Tage, die <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e technisch-<strong>in</strong>dustrielle Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren werden, s<strong>in</strong>d von dieser durch <strong>und</strong><br />
durch alle<strong>in</strong> gelassen. Der Gr<strong>und</strong>: diese Art von Technik (es gibt auch ganz an<strong>der</strong>e) ist<br />
ihrem eigenen Anspruch gemäß darauf angelegt, den Menschen aus dem Bereich <strong>der</strong><br />
Produktion <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verteilung des Produzierten abzudrängen bis zu se<strong>in</strong>er völligen<br />
Ersetzung als Person <strong>und</strong> als Organismus. Dem K<strong>in</strong>d, das <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en jungen Augen <strong>in</strong><br />
diese Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>sieht, <strong>in</strong> sie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>hört <strong>und</strong> erlebt, wie auch se<strong>in</strong>e Eltern dar<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>gezwängt s<strong>in</strong>d, muß diese Welt als die blanke Unmöglichkeit vorkommen, dar<strong>in</strong><br />
<strong>und</strong> da<strong>mit</strong> zuleben" (H.Kükelhaus, 1978, S. 100).<br />
Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben heute "als Person <strong>und</strong> als Organismus" oftmals nur noch<br />
"auf Sparflamme". Doch sehr wach ist das Bewußtse<strong>in</strong> bei vielen Menschen gerade im<br />
letzten Jahrzehnt für die so sehr, "sehr" bedrohte Leiblichkeit geworden. Der "gefühlte<br />
Mangel" (Hegel) an s<strong>in</strong>nlich-leiblichen Erfahrungen hat zu e<strong>in</strong>er <strong>Leben</strong>skrise des<br />
menschlichen Leibes geführt. Das "Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e " (W.Kamper) <strong>in</strong> unser<br />
mo<strong>der</strong>nen Zivilisation hat die Frage nach dem "<strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" neu <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv<br />
8
stellen lassen. Gefor<strong>der</strong>t wird e<strong>in</strong>e "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>der</strong> Industriegesellschaften <strong>mit</strong><br />
dem Körper". "In <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>entdeckung <strong>der</strong> lebendigen E<strong>in</strong>heit des ganzen Menschen<br />
<strong>mit</strong> allen se<strong>in</strong>en Funktionen bieten sich Lösungsmöglichkeiten für immer<br />
entschiedener auftretende Probleme an - tatsächlich ist die Organisation unseres<br />
<strong>Leben</strong>s <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Planung jener E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> jenen Funktionen <strong>der</strong>art fremd, daß<br />
zwischen den herrschenden Problemen <strong>und</strong> Ansätzen zu ihrer Lösung wahrhaft mehr<br />
Schritte als e<strong>in</strong> paar Maßnahmen liegen. In immer mehr Bereichen unserer<br />
Organisation des <strong>Leben</strong>s ist die Rede von "<strong>Leben</strong>squalitäten", die uns <strong>in</strong> Arbeit,<br />
Alltag, Freizeit gesichert werden müßten. Wir wissen aber viel zu wenig, welche<br />
Maßstäbe e<strong>in</strong>em <strong>Leben</strong>srythmus des Menschen gerecht werden, welche<br />
<strong>Leben</strong>sbereiche beson<strong>der</strong>s wichtig s<strong>in</strong>d, welche äußeren <strong>und</strong> <strong>in</strong>neren Bed<strong>in</strong>gungen<br />
erfüllt werden müssen. E<strong>in</strong>e Forschung ist nötig, die den nur quantitativen Begriff<br />
<strong>Leben</strong>sstandard <strong>mit</strong> qualitativen Fragen überw<strong>in</strong>det. "<strong>Leben</strong>squalität" muß tiefer <strong>in</strong> die<br />
Zusammenhänge von körperlichen, seelischen <strong>und</strong> sozialen Vorgängen unserer<br />
<strong>Leben</strong>sweise e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen" ( R.z. Lippe 1984, S. 25).<br />
Leiblichkeit als <strong>Leben</strong>squalität neu leben zu lernen - das ist e<strong>in</strong>e wichtige Erziehungsmaxime<br />
heute. Allerd<strong>in</strong>gs liegt wohl "auf <strong>der</strong> Hand", daß e<strong>in</strong> solches Erziehungsziel<br />
nur <strong>in</strong> leibnaher Verwirklichung - auf dem Boden leibgeb<strong>und</strong>ener Erfahrungen <strong>und</strong><br />
Erlebnisse - erreicht werden kann. Die an leibhaftigen Möglichkeiten "verarmte" Lern<strong>und</strong><br />
Arbeitswelt for<strong>der</strong>t ihre komplementäre Ergänzung durch e<strong>in</strong>e leibnahe<br />
Erholungs- <strong>und</strong> Freizeitwelt. In diesem <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e hat H.Kükelhaus bereits <strong>in</strong> den 70iger<br />
Jahren e<strong>in</strong> "Erfahrungsfeld zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" ("zur Bewegung <strong>und</strong><br />
Bes<strong>in</strong>nung") entwickelt, das als "Versuchsfeld zur Organerfahrung" den Menschen <strong>in</strong><br />
den Industrielän<strong>der</strong>n neu die Tätigkeit <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e als Teil unseres menschlichen<br />
Dase<strong>in</strong>s, ihre Wirkungen <strong>in</strong> den Beziehungen zu uns selbst, zur menschlichen <strong>und</strong><br />
d<strong>in</strong>glichen Mitwelt bewußt machen soll" (A.Keil <strong>in</strong>: Kükelhaus/R.z.Lippe, 1984, S. 5).<br />
1.3. Mit dem Leib <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n erfahren<br />
9
Der menschliche Leib ist nicht nur e<strong>in</strong> "Körper-D<strong>in</strong>g". Wenn unser Leib nur e<strong>in</strong><br />
Körperd<strong>in</strong>g wäre, das nur aus Physis besteht, dann würden wir im Reiz-Reaktionsschema<br />
- also mechanisch - leben <strong>und</strong> reagieren - dann wäre das, was "Ich" ist, gar<br />
nicht wichtig. Aber (<strong>und</strong> das haben uns viele Richtungen <strong>der</strong> Psychologie gesagt) wir<br />
haben immer auch e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> von dem, was wir tun. Es gibt ke<strong>in</strong>e un<strong>mit</strong>telbare<br />
Reiz-Reaktion im Menschlichen, außer <strong>der</strong> menschliche Geist <strong>und</strong> Wille s<strong>in</strong>d<br />
ausgeschaltet. Wo sich <strong>der</strong> Mensch die sogenannte Wahrnehmungskrise <strong>der</strong><br />
Gegenwart bewußt macht, wird er das Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>fallen von Körper, Seele <strong>und</strong> Geist<br />
<strong>in</strong> den alltäglichen <strong>Leben</strong>svollzügen schmerzlich empf<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e therapeutisch<br />
orientierte Pädagogik müht sich deshalb vor allem um e<strong>in</strong>e ganzheitliche "Wie<strong>der</strong>aneignung<br />
"des Leibes" (R.C.Weyde).<br />
E<strong>in</strong> typisches <strong>und</strong> schönes Beispiel ist die "Samenkornübung" aus <strong>der</strong> Gestaltpädagogik:<br />
"Die Samenkornübung beg<strong>in</strong>nt da<strong>mit</strong>, daß <strong>der</strong> Übende sich selbst als das<br />
Samenkorn e<strong>in</strong>er Pflanze vorstellt <strong>und</strong> die entsprechende, ihm gemäße leibliche<br />
Haltung f<strong>in</strong>det. Während <strong>der</strong> Leiter (Therapeut) den Jahreszyklus <strong>mit</strong> den E<strong>in</strong>wirkungen<br />
<strong>und</strong> Qualitäten <strong>der</strong> Elemente <strong>in</strong> Worten <strong>in</strong>szeniert, läßt <strong>der</strong> Übende durch<br />
se<strong>in</strong>en Leib die Entwicklung <strong>der</strong> Pflanze im Jahreszyklus (Aus-<strong>der</strong>-Erde-kommen,<br />
Wachsen, Reifen, Zur-Erde-Zurückkehren) zum Ausdruck kommen. Dann wird die<br />
Art <strong>der</strong> Pflanze vorgestellt, z.B. Baum, Busch o<strong>der</strong> Blume, <strong>und</strong> im Anschluß bildlich<br />
dargestellt. Schließlich wird e<strong>in</strong> Text geschrieben, <strong>in</strong> dem vor allem die Zeiterfahrung<br />
<strong>in</strong> Worte gefaßt wird.<br />
Die Samenkornübung ist nicht nur diagnostisches Instrument, son<strong>der</strong>n selbst heilende<br />
Struktur. Sie ist nicht konfliktzentriert, wenngleich sie auch schwere Konflikte<br />
aktualisieren kann, son<strong>der</strong>n ganzheitlich. Sie bietet verschiedene Medien an, so daß<br />
die Erfahrungen des Leibes je nach Persönlichkeitsstruktur <strong>und</strong> Situation wie<strong>der</strong>angeeignet<br />
werden können, wenn auch das Bild hier zumeist Gegenstand <strong>und</strong> Gegenüber<br />
<strong>der</strong> Bewußtse<strong>in</strong>sarbeit ist. Sie br<strong>in</strong>gt <strong>mit</strong> Entstehen <strong>und</strong> Vergehen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Zeit, die<br />
me<strong>in</strong> Leib ist, <strong>in</strong> Kontakt <strong>und</strong> sie macht wie<strong>der</strong> bewußt, daß me<strong>in</strong> Leib selbst Natur<br />
ist" (R.C.Weyde <strong>in</strong>: Petzold, 1986, S. 432-433). Solche gestalthaften Erfahrungen des<br />
Leibes selbst s<strong>in</strong>d heilmachend <strong>und</strong> "ganz"-machend.<br />
10
Leibgestalten <strong>und</strong> Leibgestaltung wird für den Menschen so manchmal auch zur Symbolgestalt,<br />
welche ihm <strong>Leben</strong>serkenntnis ver<strong>mit</strong>telt. Welterfahrung <strong>und</strong> Selbsterfahrung<br />
s<strong>in</strong>d dem Menschen nur <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>er Leiblichkeit möglich. Nur <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leibe ist <strong>der</strong> Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt - aber auch: nur <strong>mit</strong> <strong>und</strong> durch<br />
se<strong>in</strong>en Leib "h<strong>in</strong>durch" kann er sich über den physischmateriellen Körper erheben.<br />
An e<strong>in</strong>em bekannten K<strong>in</strong><strong>der</strong>gedicht von J.Guggenmooos "Die Tulpe" kann <strong>der</strong><br />
anthropologische Bedeutungsgehalt <strong>der</strong> Samenkornübung - für Erwachsene <strong>und</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> glei-chermaßen - anschaulich nachempf<strong>und</strong>en werden (vgl. Bäuml-Roßnagl,<br />
1989).<br />
DIE TULPE<br />
Dunkel war alles <strong>und</strong> Nacht<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erde tief<br />
die Zwiebel schlief<br />
die braune<br />
Was ist das für e<strong>in</strong>e Gemunkel,<br />
was ist das für e<strong>in</strong>e Geraune,<br />
fragte die Zwiebel<br />
vom Schlafe erwacht -<br />
da hat ihr <strong>der</strong> Frühl<strong>in</strong>g<br />
entgegengelacht.<br />
JOSEF GUGGENMOOS<br />
In die Erde gelegt werden, umso schöner <strong>und</strong> lebendiger aufzuerstehen - dieses Bild<br />
begegnet uns alljährlich bee<strong>in</strong>druckend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur: Mit dem Aufgebrauchtwerden<br />
<strong>der</strong> braunen Zwiebel wächst dann die grüne Pflanze <strong>und</strong> die bunte Blüte - noch<br />
immer! Trotz aller technisch-wissenschaftlichen E<strong>in</strong>griffe des mo<strong>der</strong>nen Menschen <strong>in</strong><br />
den Kreislauf <strong>der</strong> Natur - e<strong>in</strong> Bild <strong>der</strong> Hoffnung!<br />
Blüte <strong>und</strong> Frucht tragen bedeutet:<br />
sich den Gesetzen <strong>der</strong> Natur überlassen<br />
11
den Rhythmus des Wachsens, das Blühen <strong>und</strong> Vergehen, das Geben <strong>und</strong><br />
Nehmen anzuerkennen.<br />
H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelegt worden <strong>in</strong> den Mutterboden des <strong>Leben</strong>s - das s<strong>in</strong>d wir alle. Die Erde<br />
unseres <strong>Leben</strong>s ersche<strong>in</strong>t uns manchmal wie e<strong>in</strong> dunkles Grab, <strong>in</strong> dem wir nichts tun<br />
können als zu warten - zu warten, bis Sonne <strong>und</strong> Regen unsere <strong>Leben</strong>sgeister wecken,<br />
unsere <strong>Leben</strong>skraft stark machen. Mit bangem Herzen liegen wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ackerfurche<br />
<strong>und</strong> es ist gut, wenn wir<br />
<strong>in</strong> Geduld warten, bis das <strong>Leben</strong>dige wächst. Vertrauen wir uns ehrfürchtig <strong>der</strong> Erde<br />
<strong>und</strong> unserem Leibe an: dann geschieht Verwandlung durch Sturm, Regen, Licht <strong>und</strong><br />
Wärme, die Gott schickt - an uns ist es, nach <strong>der</strong> Verwandlung Ausschau zu halten<br />
vertrauend <strong>und</strong> hoffend die Verwandlung geschehen zu lassen.<br />
Gedanken, Bil<strong>der</strong>, <strong>S<strong>in</strong>n</strong> - sie wurzeln im leiblichen Tun des Menschen. Wo dieses Tun<br />
im E<strong>in</strong>klang ist <strong>mit</strong> den <strong>Leben</strong>sgesetzen <strong>der</strong> Natur, erfährt <strong>der</strong> Mensch Harmonie<br />
zwischen Körper, Seele <strong>und</strong> Geist - er erlebt dann se<strong>in</strong>en <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n.<br />
1.4. Bewußt den Leib erfahren<br />
Wir hören bei unserem Reden die akustischen Laute <strong>mit</strong>, können diese aber nicht von<br />
uns isoliert wahrnehmen. Das erlebt je<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>tensiv, wenn er se<strong>in</strong>e Stimme<br />
auf Tonband gehört hat. "Auf Band" ist unsere Stimme von uns getrennt. Man<br />
empf<strong>in</strong>det sich selber dann meist nicht "identisch", son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong> "Ich" ausgeschlossen<br />
- es kl<strong>in</strong>gt fremd, was man da hört.<br />
Um "mich" weiß ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em leiblichen Tätigkeiten ganz un-<strong>mit</strong>telbar: das zeigt<br />
diese Erfahrung. Aber me<strong>in</strong>e Ich-Erfahrung <strong>in</strong> <strong>und</strong> durch leiblich s<strong>in</strong>n- liche Welt.<br />
Selbstbef<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> Zuwendung zur Welt s<strong>in</strong>d für den Menschen untrennbar<br />
<strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en.<br />
12
Eröffnet <strong>der</strong> alltägliche Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt - den D<strong>in</strong>gen, Sachverhalten <strong>und</strong><br />
Menschen - wenig leiblich-s<strong>in</strong>nliche Bewußtse<strong>in</strong> gleichsam "e<strong>in</strong>gekerkert" (auch das<br />
hat schon das Hospitalismus-Phänomen nach R. Spitz gezeigt!). Und das geschieht<br />
heute <strong>in</strong> unseren Bildungsstätten allzuoft: "Die Schule ist tot. Sie ist nicht tot, weil ihr<br />
Programm, ihre Ziele, ihre Form <strong>und</strong> ihr Gefüge <strong>und</strong> die darauf bezogenen Reformen<br />
falsch s<strong>in</strong>d; son<strong>der</strong>n ihr Programm, ihre Ziele, ihre Form <strong>und</strong> ihre Gefüge <strong>und</strong> die<br />
darauf bezogenen Reformen s<strong>in</strong>d falsch, weil die Schule sich nicht begreift als<br />
För<strong>der</strong>er <strong>und</strong> Ort des zum Selbstbewußtse<strong>in</strong> angelegten Organ-geschehens" (H.Kükelhaus<br />
1987 3 , S. 41).<br />
Leib <strong>und</strong> Leibbewußtse<strong>in</strong> müssen neu als pädagogische Bildungsaufgabe gesehen<br />
werden. Nur die aktive "Wie<strong>der</strong>aneignung des Leibbewußtse<strong>in</strong>s" (R.C.Weyde)<br />
ermöglicht dem Menschen heute e<strong>in</strong> realitätsgetreues Selbst- <strong>und</strong> Weltbewußtse<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong>e methodisch schöne <strong>und</strong> bedeutsame Arbeit dieser Art ist das plastische Gestalten,<br />
wenn es <strong>in</strong> Ausübung von leiblich-s<strong>in</strong>nlichen Tätigkeiten vollzogen wird. Daß K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
ihre Leiblichkeit erfahren <strong>und</strong> den bildnerischen Ausdruck dafür suchen können,<br />
geschieht <strong>in</strong> unseren Schulen <strong>und</strong> Freizeitstätten zu wenig. Erzieher <strong>und</strong> Lehrer sollten<br />
Situationen schaffen, <strong>in</strong> denen das Motiv <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dliche Körper ist <strong>und</strong> zwar als Leib -<br />
<strong>in</strong> Bewegung <strong>und</strong> <strong>in</strong> Beziehung <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en "Leibern". Szenische Darstellung,<br />
leibliche Selbsterfahrung, bewußte Erfahrung von Mimik <strong>und</strong> Gestik, von sich <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>en s<strong>in</strong>d Voraussetzung für nachgestaltende bildnerische Tätigkeiten z.B. <strong>mit</strong> Ton<br />
o<strong>der</strong> Pappmacheé. Die eigene Leiblichkeit des K<strong>in</strong>des soll <strong>in</strong> die Figurengestaltungen<br />
"e<strong>in</strong>fließen". Dabei wird <strong>der</strong> eigene <strong>und</strong> fremde Leib bewußt, die Leib-Raum-Konstellation<br />
<strong>in</strong>tuitiv erfaßt <strong>und</strong> Beziehungen zwischen "me<strong>in</strong> Leib" <strong>und</strong> "de<strong>in</strong> Leib"<br />
erlebt. Zuneigung o<strong>der</strong> Abwehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung können an Gestik <strong>und</strong> Gebärde<br />
"abgelesen" werden. In Beschreibung <strong>und</strong> Reflexion <strong>der</strong> nachgestalteten "Leiber"<br />
können spezifisch leibliche Ausdruckselemente <strong>mit</strong> dem ihnen <strong>in</strong>newohnenden kommunikativen<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> bewußt werden.<br />
13
E<strong>in</strong> weiteres Beispiel soll aus dem Bereich <strong>der</strong> Bewegungserziehung o<strong>der</strong> "Moto-pädagogik"<br />
gewählt werden: "Balancieren als Angleichen <strong>und</strong> Ausgleich: wobei<br />
Ausgleich <strong>und</strong> Gleichgewicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht zu verstehen ist: <strong>mit</strong> sich selbst, <strong>mit</strong><br />
<strong>der</strong> Welt <strong>mit</strong> dem "An<strong>der</strong>en" - Balancieren als e<strong>in</strong> für die Gesamtbef<strong>in</strong>dlichkeit höchst<br />
för<strong>der</strong>liches <strong>Leben</strong>sspiel. Auf den Halbkugelscheiben ist <strong>der</strong> Besucher zum Mittun<br />
e<strong>in</strong>geladen, zur spielerischen Entdeckung se<strong>in</strong>es Gleichgewichtsorgans, zu e<strong>in</strong>em für<br />
das Gehör <strong>und</strong> die Gesamtbef<strong>in</strong>dlichkeit höchst för<strong>der</strong>lichen <strong>Leben</strong>sspiel, wobei<br />
Ausgleich <strong>und</strong> Gleichgewicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht zu verstehen ist: <strong>mit</strong> sich selbst (im<br />
E<strong>in</strong>zelspiel), <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem An<strong>der</strong>en (im Gruppenspiel)" (H.Kükelhaus o.J.<br />
S. 16).<br />
Geräte zum Balancieren gibt es auch schon immer im schulischen Sportunterricht.<br />
Viele Turnübungen im Bereich des Geräteturnens können nur ausgeführt werden,<br />
wenn Gleichgewicht - halten <strong>und</strong> Gleichgewicht - wie<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>nen beherrscht werden.<br />
Kükelhaus geht es bei dieser Balance-Gew<strong>in</strong>nungs-Station aber nicht so sehr um das<br />
Erlebnis des "<strong>mit</strong> dem Körper-herrschen-könnens". Er möchte <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en Halbkugelarrangements<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Rotationsscheibe den Menschen e<strong>in</strong>e Möglichkeit geben, das<br />
Gefühl des "<strong>mit</strong>-sich-Selbst" im Gleichgewichtse<strong>in</strong>s bewußt erleben zu lassen.<br />
Balancespiele können auf spielerische Art als e<strong>in</strong> "höchst för<strong>der</strong>liches <strong>Leben</strong>sspiel"<br />
nicht nur die Körper-Leib-Ebene, son<strong>der</strong>n auch die Tiefendimensionen von Seele <strong>und</strong><br />
Geist erleben lassen.<br />
1.5. Auch die pädagogische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung geschieht <strong>mit</strong> dem Leib<br />
Die "Warum-Frage" ist die dem Menschen existenzielle <strong>und</strong> die vom K<strong>in</strong>de schon früh<br />
gestellte Frage. Ob sie nun auf kausale o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>ale Zusammenhänge abzielt: immer ist<br />
die Warumfrage auch e<strong>in</strong>e Frage nach dem, was "h<strong>in</strong>ter" Erklärungsweisen <strong>und</strong><br />
Erklärungsmodellen "noch" steckt - vor allem <strong>und</strong> gerade bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n! Die<br />
Warumfrage ist die Frage nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Sachverhalte.<br />
14
Es gab Strömungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturgeschichte <strong>der</strong> Menschheit, die versucht haben, den<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge ohne die D<strong>in</strong>ge selbst suchen <strong>und</strong> f<strong>in</strong>den zu wollen. Alle <strong>der</strong>artigen<br />
idealen o<strong>der</strong> idealistischen Philosophien hatten ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Wirkung für die<br />
Menschen; als Idole o<strong>der</strong> Utopien dienten sie dem Wahn <strong>und</strong> nicht <strong>der</strong> Wahrheitsf<strong>in</strong>dung.<br />
Wo <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des Menschen unter Vernachlässigung o<strong>der</strong> Verachtung <strong>der</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Menschen formuliert wird, entsteht Un-<strong>S<strong>in</strong>n</strong> o<strong>der</strong> Wahn-<strong>S<strong>in</strong>n</strong>.<br />
So haben pädagogische Vertreter o<strong>der</strong> pädagogische Strömungen auch geme<strong>in</strong>t,im<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>er behütenwollenden "Schonraum-Schule" o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er abson<strong>der</strong>nden "Ghetto-<br />
Pädagogik" die jungen Menschen vor dem Kontakt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Welt bewahren<br />
zu müssen - das Ergebnis solcher Erziehung war <strong>und</strong> ist e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nlose <strong>Leben</strong>sferne <strong>und</strong><br />
ents<strong>in</strong>nlichte <strong>Leben</strong>se<strong>in</strong>stellung.<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> kann nur "<strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>" - s<strong>in</strong>nenhaft - vom Menschen erfahren werden. <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
ist - so sagt Coenen - situationsimmanent, zeitlich <strong>und</strong> immer mehrdeutig. <strong>S<strong>in</strong>n</strong> "ist<br />
immer <strong>in</strong> Bewegung, immer auf <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung, auf den Wegen <strong>und</strong> Kreuzwegen, auf<br />
denen aller Verkehr läuft d.h. verflochten <strong>in</strong> viele Momente <strong>der</strong> wahrnehmbaren,<br />
alltäglichen Geschäfte zwischen Menschen von Fleisch <strong>und</strong> Blut" (Coenen 1984,<br />
S.39). Jede Erfahrung <strong>und</strong> Bewußtwerdung von <strong>S<strong>in</strong>n</strong> erwächst aus <strong>der</strong> leiblichen<br />
Erfahrung des Menschen. Deshalb muß <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, wegen se<strong>in</strong>er leiblichen Verhaftetheit ,<br />
als e<strong>in</strong> konkretes Ereignis anerkannt werden, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em historisch datierten,<br />
ökologisch <strong>und</strong> sozial lokalisierten, personal gelebten Milieu stattf<strong>in</strong>det, durchwoben<br />
von Sorge <strong>und</strong> Freude" (Coenen ebda.).<br />
Deshalb kann <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> pädagogischen Tuns nicht an Schreibtischen "entworfen" o<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> Erziehungszielkatalogen "festgemacht" werden. Im geme<strong>in</strong>samen Tun <strong>mit</strong> den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zeigt sich den Erwachsenen <strong>und</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Das sich - leiblich -<br />
H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begeben <strong>in</strong> die lebendige Erziehungssituation ist die Bed<strong>in</strong>gung für die<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung. Denn "durch die leibliche Aktivität werden Situationen als s<strong>in</strong>nhafte<br />
Kontexte strukturiert. Diese Strukturierung hat e<strong>in</strong>en sehr direkten <strong>und</strong> augenblicklichen<br />
Charakter; sie ist <strong>in</strong> das Fungieren des Leibes e<strong>in</strong>geschlossen, <strong>in</strong> das Anführen<br />
von Bewegungen <strong>und</strong> das Erfahren von Wahrnehmungen; sie trägt die Merkmale des<br />
konkreten Augenblicks, <strong>in</strong> dem sie stattf<strong>in</strong>det" (Coenen ebda.).<br />
15
Man kann K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zehn Thesen über e<strong>in</strong> Weltbild diktieren, das sie auswendiglernen<br />
sollen <strong>und</strong> man kann dieses Weltbild "abfragen" - aber wissen sie dann, was die Welt<br />
für e<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong> hat? Das ist zwar sehr naiv formuliert, aber solche Strukturen gibt es im<br />
pädagogischen Tun vielfach. <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist immer zeitgeb<strong>und</strong>en, situationsgeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ist<br />
immer mehrdeutig. Wenn Eltern <strong>und</strong> Lehrer die Gesichter ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewußt<br />
anschauen, dann spüren sie e<strong>in</strong> bißchen, was <strong>in</strong> ihnen vorgeht. Und diese Gesichter<br />
können sehr verschieden se<strong>in</strong> - <strong>der</strong> <strong>mit</strong>geteilte <strong>S<strong>in</strong>n</strong> "kommt" eben meist "verschieden<br />
an"! Deshalb ist es e<strong>in</strong> sehr mühevolles Geschäft, irgendetwas <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles theoretisch<br />
über <strong>S<strong>in</strong>n</strong> aussagen zu wollen. Die Agnostiker unter den Pädagogen wollen sich zu<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>aussagen nicht äußern. Man kann das schon vestehen, denn es ist schwierig:<br />
"e<strong>in</strong>fache" Aussagen s<strong>in</strong>d oft ohne offenk<strong>und</strong>igen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> komplexen Erklärungen<br />
mangelt es oft an theoretisch-analytischer Klarheit.<br />
Aber: die Leibgeb<strong>und</strong>enheit menschlicher <strong>und</strong> pädagogischer <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung ist auch die<br />
unerschöpfliche Quelle e<strong>in</strong>er immer "neuen" <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>nerfahrung. So gibt es gerade<br />
heute wohl nicht wenige "erwachsene" Pädagogen, die theoretisch für sich <strong>und</strong> "die<br />
Pädagogik" ke<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong> formulieren können, die aber dennoch tagtäglich im Umgang<br />
<strong>mit</strong> "ihren" K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>und</strong> "den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> Pädagogik" erfahren.<br />
2. Kapitel<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>-Fragen angesichts <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt<br />
2.1. Ist die uns täglich "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt" unsere Welt?<br />
Schon <strong>in</strong> den 60iger Jahren hat Günter An<strong>der</strong>s mahnend aufgezeigt, daß die den<br />
Menschen durch die mo<strong>der</strong>nen AV-Medien "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt verbie<strong>der</strong>t<br />
wird". Und das von ihm angeführte Beispiel <strong>der</strong> Wasserstoffbombenexplosion vom 7.<br />
Mai 1955 muß im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>der</strong> "Verbie<strong>der</strong>ung" durch die mo<strong>der</strong>ne Medienwelt nicht<br />
weiter expliziert werden. Seither hat die öffentliche Me<strong>in</strong>ung zunehmend das<br />
16
Abrücken <strong>der</strong> menschlichen Alltagserfahrung vom realen <strong>Leben</strong>sprozeß beklagt -<br />
allüberall spricht man von e<strong>in</strong>er beängstigenden "Wahrnehmungskrise" bis h<strong>in</strong> zum<br />
beson<strong>der</strong>s kritischen Phänomen, daß selbst lebensbedrohliche Gegebenheiten wie z.B.<br />
<strong>der</strong> radioaktive Fallout nicht mehr <strong>mit</strong> unseren menschlichen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> wahrgenommen<br />
werden können. Die Krise <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung läßt den Menschen<br />
weith<strong>in</strong> e<strong>in</strong> "Ersatz"-<strong>Leben</strong> führen: "Das so zugerichtete Ersatzleben, aus dem die<br />
Gefahren <strong>der</strong> Un<strong>mit</strong>telbarkeit, die Abenteuer des Erlebens, die Risiken des nicht<br />
Normierten verdrängt s<strong>in</strong>d, verzichtet auf lebendige Reich <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>gänger <strong>und</strong><br />
Phantome" (H.Eggebrecht 1988).<br />
Schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> lernen die Welt nur noch zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gen Teil durch körperlichs<strong>in</strong>nliche<br />
Wahrnehmung kennen. Erfahrung wird "durch Kenntnis ersetzt", wie H.<br />
Kükelhaus sagt - <strong>und</strong> so leben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ersatzwelt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sche<strong>in</strong>welt.<br />
Nur mühsam wehren sich die Menschen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft gegen Täuschungen<br />
<strong>und</strong> Enttäuschungen <strong>in</strong> ihrem <strong>Leben</strong>, welche Leib <strong>und</strong> Seele ignorieren <strong>und</strong> gefährden.<br />
Normierungen <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>sführung gemäß <strong>der</strong> sog. "öffentlichen Me<strong>in</strong>ung" bestimmen<br />
das <strong>Leben</strong> im Alltag stärker als die e<strong>in</strong>zelmenschliche s<strong>in</strong>nliche Bedürftigkeit. Der<br />
"Strudel" bes<strong>in</strong>nungsloser Geschw<strong>in</strong>digkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung ersetzt die<br />
Bes<strong>in</strong>nnung auf den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung - e<strong>in</strong>zelpersönlich <strong>und</strong><br />
gesamtgesellschaftlich. Verme<strong>in</strong>tlich gewonnene <strong>Leben</strong>szeit wird so zur verlorenen<br />
<strong>Leben</strong>szeit. Schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> erleben diese bes<strong>in</strong>nungslose Geschw<strong>in</strong>digkeit, welche die<br />
Ursache ist für all die schlimmen Krankheiten, die wir heute haben: Infarkte,<br />
Krebserkrankungen, <strong>der</strong> Streßfaktor, das Nicht-zu-sich-kommen, das Sich-nuräußeren-Normen-fügen<br />
<strong>in</strong> Schule, Arbeitswelt, Wirtschaft <strong>und</strong> auch im Privatleben,<br />
selbst im Freizeitverhalten - all das s<strong>in</strong>d Phantome des Todes <strong>in</strong> unserer <strong>Leben</strong>swelt.<br />
Die täglich "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt" <strong>der</strong> AV-Medien trägt viele Kennzeichen dieser<br />
tödlichen Phantomwelt - die Phänomene des <strong>Leben</strong>s können <strong>in</strong> ihr nur mühsam<br />
überleben.<br />
Doch "unsere" Welt - me<strong>in</strong>e, de<strong>in</strong>e, die für den Menschen lebenswerte Welt - kann<br />
nicht "angeliefert" werden, sie muß vom Menschen <strong>mit</strong> allen ihm eigenen<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> freien Entscheidung <strong>und</strong> Schaffenskraft "gestaltet" werden. Und<br />
17
dazu ist es notwendig, daß wir Menschen uns wie<strong>der</strong> auf "unsere", auf die uns eigenen<br />
Möglichkeiten (<strong>und</strong> auch Grenzen) bes<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong>e nur medial "auf Nähe" gebrachte<br />
Welt ist eben nicht die reale Welt, die uns als "Gegenüber" zur Gestaltung aufruft.<br />
Es kann aber auch nicht darum gehen, die medial "ver<strong>mit</strong>telte" Welt als unreal,<br />
unwirklich zu def<strong>in</strong>ieren. Denn wir alle: ob K<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> Erwachsene, ob Lehrer o<strong>der</strong><br />
Eltern - alle erfahren wir die Wirklichkeit heute multiperspektivisch von ganz<br />
verschiedenen Seiten her - auch die mediale Welt ist Wirklichkeit <strong>und</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e<br />
"sek<strong>und</strong>äre", wie Medienpädagogen fälschlicherweise me<strong>in</strong>ten. Im Kopf <strong>und</strong> Herz von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> auch Erwachsenen "mischen" sich die Wirklichkeitsebenen. Das zeigt S.<br />
Jörg (1987, S.102) recht anschaulich: "Die erste Wirklichkeit steht für uns <strong>und</strong> für die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht immer an erster Stelle. Fiktive Ereignisse werfen ihre<br />
Schatten auf die wirkliche Welt. Über den E<strong>in</strong>sturz e<strong>in</strong>es Hotels berichtet die<br />
"Süddeutsche Zeitung" unter folgen<strong>der</strong> Überschrift: Es war wie e<strong>in</strong> Horrorfilm -<br />
merken Sie was hier als primäre Wirklichkeit gesehen wird? Es war wie e<strong>in</strong><br />
Horrorfilm, wenn e<strong>in</strong> Hotel e<strong>in</strong>stürzt. Zur Beschreibung <strong>der</strong> Wirklichkeit wird die<br />
Fiktion herangezogen <strong>und</strong> die Käte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwarzwaldkl<strong>in</strong>ik möchte auch so sterben,<br />
wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sendung sterben durfte, das zum<strong>in</strong>dest behauptet die "Neue Welt". Bei<br />
e<strong>in</strong>er Befragung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Altersheim hat man festgestellt, daß diese Identifikation <strong>mit</strong><br />
dieser Rolle, <strong>mit</strong> dieser Filmfigur, die sich nun gar nicht <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Schauspieler<strong>in</strong> decken<br />
muß, e<strong>in</strong> Leitbild ist. Für viele Menschen ist die "Käte aus <strong>der</strong> Schwarzwaldkl<strong>in</strong>ik"<br />
viel wichtiger als <strong>der</strong> Nachbar nebenan."<br />
Was heißt das für uns Pädagogen? Erwachsene <strong>und</strong> vor allem Erwachsene als Erzieher<br />
<strong>und</strong> Lehrer sollten den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen, daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihren Blick auf<br />
unterschiedliche Wirklichkeitserfahrungen schärfen. Im Zusammenhang <strong>mit</strong> dem<br />
Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule z.B. ist es wichtig, daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> vom magischen<br />
Denken her, vom Fühlen her, von dem, was sie erleben an Träumen <strong>und</strong><br />
Wunschträumen her langsam zu e<strong>in</strong>er sachlichen, multiperspektivischen E<strong>in</strong>stellung<br />
h<strong>in</strong>geführt werden. Die Wirklichkeit <strong>in</strong> den Medien <strong>und</strong> die "rauhe" Wirklichkeit <strong>in</strong><br />
ihren unterschiedlichen Gestalten ist Erziehungs"feld". Die uns täglich "<strong>in</strong>s Haus<br />
gelieferte Welt" ist auch e<strong>in</strong> Teil unserer Welt - aber eben nur e<strong>in</strong> Teil, <strong>der</strong> durch<br />
18
an<strong>der</strong>e Teil-Erfahrungen von Welt ergänzt werden muß zu e<strong>in</strong>em "ganzheitlichen"<br />
Weltbild. Das ist umso schwieriger, je vielfältiger sich unsere Welt darstellt.<br />
2.2. Gibt es e<strong>in</strong>en Weg von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nlich erfahrenen Welt zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong><br />
ganzen Welt?<br />
Fast gleichnishaft beschreibt H. Kükelhaus das Echo-Hören <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Tunnel (Höhle)<br />
als e<strong>in</strong>e Welterfahrung, die das "Aufgehobense<strong>in</strong>" <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt o<strong>der</strong> das<br />
"Alle<strong>in</strong>gelassense<strong>in</strong>" <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt ver<strong>mit</strong>telt (H.Kükelhaus 1978, S.100):"Als K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
g<strong>in</strong>gen wir kaum an e<strong>in</strong>em Tunnel vorüber, ohne h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerufen zu haben. Das hohl<br />
kl<strong>in</strong>gende mehrfältige Wi<strong>der</strong>hallen unserer Rufe empfanden wir als die Anwesenheit<br />
<strong>und</strong> Nähe von Wesen, die Antwort geben. Man spürte, du bist nicht alle<strong>in</strong>". Ich hoffe,<br />
wir alle haben das auch so positiv erfahren, wenn wir <strong>in</strong> so e<strong>in</strong> Tunnel h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerufen<br />
haben. Es gibt ja auch die an<strong>der</strong>e Erfahrung, daß man Angst bekommt, aber vielleicht<br />
ist man schon "verbildet", wenn man Angst bekommt. H.Kükelhaus berichtet weiter:<br />
"So riefen wir <strong>in</strong> den Wald <strong>und</strong> liebten es, uns vorzustellen, daß es Baumgeister s<strong>in</strong>d,<br />
die uns unseren Ruf zurückgeben wie e<strong>in</strong>en zugeworfenen Ball. Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Enge <strong>der</strong><br />
Täler wohnenden Gebirgsbauern <strong>und</strong> Hirten haben Alphornklänge <strong>und</strong> holen dadurch<br />
über die Schwelle ihres begrenzten Horizonts h<strong>in</strong>weg die Weiten, die dah<strong>in</strong>ter liegen,<br />
<strong>in</strong> ihre Nähe. Jahrtausende lang war das Echo des Höhlensystems von Syrakus <strong>in</strong><br />
Sizilien für die Griechen das Ohr des Dionysos, das Ziel von Pilgerzügen <strong>der</strong><br />
Mittelmeerkultur. Se<strong>in</strong>e Interpretation: Der Gott antwortet hier auf de<strong>in</strong> Rufen <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />
Vervielfältigung <strong>und</strong> Verfremdung de<strong>in</strong>es Rufes. Er gibt mehr als du gabst, er läßt<br />
dich fühlen, daß er um dich ist." Die vielfachen Höhlenmythen <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Kulturen sprechen davon ja auch e<strong>in</strong>e anschauliche <strong>und</strong> beredete Sprache.<br />
Welche Erfahrungen machen wir Menschen dazu <strong>in</strong> unserem technisierten Zeitalter?<br />
"Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> unserer Tage, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e technisch <strong>in</strong>dustrielle Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren<br />
werden, s<strong>in</strong>d von dieser durch <strong>und</strong> durch alle<strong>in</strong>e gelassen. Der Gr<strong>und</strong>, diese Art von<br />
Technik ist ihrem eigenen Anspruch gemäß darauf angelegt, den Menschen aus dem<br />
19
Bereich <strong>der</strong> Produktion <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verteilung des Produzierten abzudrängen bis zu se<strong>in</strong>er<br />
völligen Verdrängung <strong>und</strong> Ersetzung se<strong>in</strong>er Person als Organismus" (H.Kükelhaus<br />
ebda).<br />
Die Technik, wie wir sie <strong>in</strong> unserer westlichen Zivilisation gebildet <strong>und</strong> entfaltet<br />
haben, hat den Menschen h<strong>in</strong>ausgedrängt, den Menschen <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en Organen, die er<br />
verwirklichen möchte <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>. Die Industrie- <strong>und</strong> Arbeitswelt legt nur noch<br />
"wert" auf das Produkt, aber nicht auf den arbeitenden Menschen. Das war ja auch<br />
e<strong>in</strong>e Hauptthese von Karl Marx, daß er gesagt hat: <strong>der</strong> Mensch ist eben ke<strong>in</strong>e "Ware",<br />
die Arbeit des Menschen muß mehr <strong>S<strong>in</strong>n</strong> haben als "Produkte" zu erzeugen. (vgl. bes.<br />
die "Frühschriften" von K.Marx).<br />
Ke<strong>in</strong>e Kultur <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Staat <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Wirtschaftssystem kann es sich auf Dauer<br />
leisten, den Menschen zu übergehen. Und <strong>der</strong> Mensch ist nicht ohne Leiblichkeit,<br />
ohne se<strong>in</strong>e LeibGeist- Seele-E<strong>in</strong>heit lebensfähig. Wenn e<strong>in</strong>e Seite unterdrückt wird,<br />
dann kann das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft sehr lange dauern, ja sogar Jahrh<strong>und</strong>erte - aber<br />
irgendwann kommt e<strong>in</strong>e Zeit, wo es nicht mehr "funktioniert", wo es entwe<strong>der</strong> nur<br />
noch leeres Territorium <strong>und</strong> Verwüstung gibt o<strong>der</strong> wo man sich auf den Menschen <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>e menschliche Welt rückbes<strong>in</strong>nen muß. So me<strong>in</strong>t H.Kükelhaus auch, daß wir e<strong>in</strong>e<br />
an<strong>der</strong>e Technik brauchen, <strong>und</strong> er hat e<strong>in</strong>e "Anthropo-Technik" gefor<strong>der</strong>t. Das<br />
bedeutet: Die Technik <strong>in</strong> Zusammenhang br<strong>in</strong>gen <strong>mit</strong> dem lebendigen Menschen, die<br />
menschlichen Organe auch durch die technischen Möglichkeiten entfalten, nicht die<br />
Ersetzung von Person <strong>und</strong> Organismus durch die Technik.<br />
E<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen s<strong>in</strong>d dabei ernstzunehmen: Denn: die e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nliche<br />
Erfahrung jedes e<strong>in</strong>zelnen Menschen kann den Maßstab abbilden für den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> aller<br />
E<strong>in</strong>zelerfahrungen. E<strong>in</strong>zels<strong>in</strong>nliche, gleichsam ausschnitthafte Erfahrung kann<br />
exemplarisch se<strong>in</strong> <strong>und</strong> den "Blick" schärfen für den ganzen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichen <strong>und</strong><br />
den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> ganzen Welt. Das ist ja auch <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> aller meditativen Übungen, die <strong>in</strong><br />
unserer Zeit wie<strong>der</strong> "hoch im Kurs" stehen.<br />
20
Dabei kann es aber nicht um e<strong>in</strong>e nur s<strong>in</strong>nesphysiologische Datenerfassung gehen, um<br />
e<strong>in</strong>e nur empirische Naturwissenschaft: diese würden dem Menschen vom<br />
Physiologischen her, vom Materiellen her, von <strong>der</strong> Körperlichkeit her gerecht, aber<br />
den Menschen als Ganzes erfaßten sie nicht. Um "real"wissenschaftlich die Welt<br />
erfassen zu können, so wie sie für den Menschen bedeutsam ist, muß <strong>der</strong> Mensch "als<br />
Ganzer": <strong>mit</strong> Körper, Seele <strong>und</strong> Geist forschen <strong>und</strong> leben. Der Mensch muß Forscher<br />
se<strong>in</strong> <strong>und</strong> nicht irgende<strong>in</strong> Phantom! So reicht es <strong>in</strong> den anthropologischen<br />
Wissenschaften nicht aus, e<strong>in</strong>e Sammlung von Daten anzulegen. Das kann höchstens<br />
die erste Stufe wissenschaftlicher Arbeit se<strong>in</strong>, aber nicht die Endstufe.<br />
Das läßt sich gut verdeutlichen, wenn man zusieht, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> Augen zeichnen:<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> zeichnen die Augen immer e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en <strong>in</strong> den Kopf als "Ganzen". Die Art,<br />
wie <strong>der</strong> Kopf gezeichnet wird <strong>und</strong> die Art, wie die Augen selbst gestaltet s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong><br />
Farbe <strong>und</strong> Form, drücken nicht nur s<strong>in</strong>nesphysiologisches Wissen, son<strong>der</strong>n immer<br />
auch die Bedeutung des <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esphysiologischen für die s<strong>in</strong>nliche Tätigkeit des ganzen<br />
Menschen aus.<br />
Forschung, die dem ganzen Menschen gerecht werden will, muß den nur "materialen"<br />
Weg überschreiten <strong>und</strong> auch Fragen nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des "Materialen" ernstnehmen. So<br />
hat die "phänomenologische Methode" (nach Husserl u.a.) betont (auf obiges Beispiel<br />
bezogen formuliert): Wenn wir das Phänomen Gesicht o<strong>der</strong> das Phänomen Auge<br />
erforschen wollen, dann steht schon fest, daß wir alle (ob nun Forscher o<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>),<br />
e<strong>in</strong>en bestimmten Vorbegriff von Auge o<strong>der</strong> Gesicht haben. Dieser "Vorbegriff" ist<br />
allem Unterricht <strong>und</strong> al- ler Forschung "a Priori".<br />
Wenn man <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Unterricht anhand von Sachbildfolien "durchnimmt", was<br />
das Auge "ist", <strong>und</strong> wenn die K<strong>in</strong><strong>der</strong> hernach die biologischen Fachbegriffe genau<br />
unterscheiden, Physiologisches genau zeigen können, dann darf sich e<strong>in</strong>e Lehrer nicht<br />
e<strong>in</strong>bilden, daß erst nach e<strong>in</strong>em solchen Unterricht die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wissen, was e<strong>in</strong>e Auge<br />
"ist".<br />
Wie wir Menschen erfahren, was wichtig ist für uns Menschen auf <strong>der</strong> Welt, wie wir<br />
von D<strong>in</strong>gen Begriffe <strong>und</strong> Erkenntnisse bilden, das haben wir <strong>in</strong> gewisser Weise schon<br />
21
angeboren. Das s<strong>in</strong>d auch menschliche Vorgegebenheiten. Der Säugl<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> <strong>in</strong> das<br />
Gesicht <strong>der</strong> Mutter h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>blickt <strong>und</strong> dieses Gesicht, auch wenn er es nur vage sieht, als<br />
zuwendendes Gesicht, als entgegenkommendes Gesicht erfährt, <strong>der</strong> hat vom Auge <strong>und</strong><br />
von dem, was das Auge für den Menschen bedeutet, wichtiges schon "begriffen". Das,<br />
was e<strong>in</strong> Mensch "ist", hat er schon <strong>in</strong> sich; das, was die Welt für den Menschen<br />
bedeutet, ist e<strong>in</strong> lebensweltliches "a priori" d.h. von Anfang an als Konkretes gegeben<br />
(vgl.u.a. Waldenfels 1988).<br />
Allerd<strong>in</strong>gs ist Voraussetzung für die Erfahrung dessen, was D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Welt für den<br />
Menschen bedeuten, daß <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong>e Erfahrungen ganz konkret macht, daß er<br />
<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nlich die unterschiedlichen Dimensionen von Mensch <strong>und</strong><br />
Welt "er-probt". So wie das "a priori"-Gesicht" dem Säugl<strong>in</strong>g ke<strong>in</strong>e Geborgenheit <strong>und</strong><br />
Zuwendung ver<strong>mit</strong>teln kann, wenn das konkrete Gesicht <strong>der</strong> Mutter nicht "ver<strong>mit</strong>telt",<br />
ebenso kann <strong>der</strong> Mensch das Gesicht <strong>der</strong> ganzen Welt nicht erblicken, wenn<br />
er nur auf selbstgeschaffene "Produkte" schaut, wozu unsere technische Zivilisation<br />
verleitet.<br />
2.3. "Zivilisierte <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>n-en-nahe Zivilisation?<br />
Unsere zivilisatorische <strong>Leben</strong>swelt for<strong>der</strong>t von uns Kenntnisse des funktionellen<br />
Ablaufs von Alltagsvorgängen - "Erfahrungen machen" <strong>und</strong> "Erfahrungen<br />
verarbeiten", um daraus <strong>Leben</strong>svorgängen zu entwickeln, ist nicht mehr allgeme<strong>in</strong><br />
gefragt <strong>und</strong> gefor<strong>der</strong>t. Weil wir gewohnt s<strong>in</strong>d, Erfahrungen durch Kenntnisse zu<br />
"ersetzen", leben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "Ersatz"-Welt, - <strong>der</strong> "wirklichen" Welt begegnet <strong>der</strong><br />
Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zivilisation nur noch selten "<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em ganzen Leibe".<br />
So haben auch Pädagogen <strong>und</strong> Kulturkritiker warnend die "übergangene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit"<br />
(vgl. H.Rumpf 1981) aufgezeigt. Menschen <strong>und</strong> vor allem K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die noch <strong>mit</strong> all<br />
ihren <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> leben möchten, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer Zivilisation oft alle<strong>in</strong>e gelassen <strong>mit</strong> ihrer<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit. E<strong>in</strong>e menschengerechte <strong>Leben</strong>sführung wird schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit<br />
geschmälert, verbaut o<strong>der</strong> sogar zerstört. Unser <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esgebrauch ist weith<strong>in</strong> degeneriert<br />
22
zu e<strong>in</strong>em flachen Vorgang. Hören <strong>und</strong> Sehen z.B. nützen wir zum Registrieren o<strong>der</strong><br />
Rezipieren von Informationen.<br />
Viele Menschen haben durch Beruf <strong>und</strong> Alltagswelt die Beziehungen zu ihrem Leib<br />
<strong>und</strong> ihren Organen verloren. Beruf <strong>und</strong> Alltagswelt - dazu gehört auch die Schule -<br />
verbauen <strong>in</strong> unserer technischen Zivilisation die Beziehungen zu unseren Organen <strong>und</strong><br />
zum KörperlichLeiblichen überhaupt. Deshalb erfahren wir heute oft folgenschwere<br />
humanökologische Fehlsteuerungen, kämpfen weith<strong>in</strong> vergeblich <strong>mit</strong><br />
lebensbedrohenden Zivilisationskrankheiten <strong>und</strong> tun uns schwer, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> auch<br />
öffentlich gefor<strong>der</strong>ten "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>der</strong> Industriegesellschaft <strong>mit</strong> dem Körper"<br />
(R.z.Lippe 1982).<br />
Verlorene <strong>Leben</strong>squalitäten werden heute nicht nur kognitiv, son<strong>der</strong>n als "gefühlter<br />
Mangel" festgestellt: e<strong>in</strong> Mangel, e<strong>in</strong> Verlust, den man fühlt <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em "ganzen"<br />
Leib!<br />
Auch im Zusammenhang <strong>mit</strong> neueren Überlegungen zu e<strong>in</strong>er lebensnotwendigen<br />
ökologischen Ethik wird e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nlicher reagierende Gesellschaft angestrebt: "Neben<br />
<strong>der</strong> Kritischen Vernunft müssen unsere <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e, unsere <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit wie<strong>der</strong> stärker <strong>in</strong>s<br />
Spiel gebracht werden. Die Pflege <strong>und</strong> Entwicklung unserer <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>und</strong> unserer<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit gehört vielleicht <strong>mit</strong> zu den wichtigsten Beiträgen e<strong>in</strong>er sozialen<br />
Umweltgestaltung <strong>und</strong> Naturpolitik" (W.Bierter 1990, S.126).<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> fühlen noch ganzheitlicher als wir Erwachsene, was ethisch gut ist im<br />
Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Menschen <strong>und</strong> Natur. Die un<strong>mit</strong>telbare, un-ver<strong>mit</strong>telte Fähigkeit zur<br />
Erfahrung von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>haftem <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>losen ist jedem K<strong>in</strong>d auch heute noch <strong>in</strong> die<br />
Wiege gelegt. Eltern <strong>und</strong> Lehrer lernen im ehrlichen, offenen Gespräch <strong>mit</strong> den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n oft mehr als aus "ge-lehr-("ee"?)ten Büchern, was dem menschlichen <strong>Leben</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> gibt. Das gilt auch für die mo<strong>der</strong>ne Umwelterziehung (vgl. Bäuml-Roßnagl<br />
1990).<br />
2.4. Durch <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esübungen zu e<strong>in</strong>em Selbst- <strong>und</strong> Sozialverständnis<br />
Die Fragen an unser Selbstverständnis als Menschen, die heute immer bedrängen<strong>der</strong><br />
werden, lassen sich nicht - <strong>und</strong> das war <strong>in</strong> allen Umbruchzeiten <strong>der</strong><br />
Menschheitsgeschichte so - nur "theoretisch" lösen. Antworten auf <strong>Leben</strong>sprobleme<br />
23
erhält <strong>der</strong> Mensch im konkret gelebten <strong>Leben</strong>, nicht im "Vorweg" von gedanklicher<br />
Kalkulation o<strong>der</strong> im "Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>" von analytischer Retrospektion. We<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Schule noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> praktischen Umweltpolitik, noch auch für uns selbst, für unsere<br />
eigenen E<strong>in</strong>stellungen, lassen sich die <strong>Leben</strong>sprobleme "außerhalb" des konkreten<br />
<strong>Leben</strong>s lösen. Wir s<strong>in</strong>d als Menschen immer wie<strong>der</strong> darauf angewiesen, "<strong>mit</strong> unserem<br />
ganzen Leibe" den <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n zu suchen - als e<strong>in</strong>zelner Mensch <strong>und</strong> im Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
von Mensch <strong>und</strong> Mensch, Mensch <strong>und</strong> Natur, Mensch <strong>und</strong> Umwelt.<br />
Alles was wir <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Menschen <strong>der</strong> äußeren <strong>Leben</strong>swelt erleben, ist e<strong>in</strong><br />
Bild, ist Zeichen <strong>und</strong> Symbol - nicht nur Metapher unseres <strong>in</strong>neren <strong>Leben</strong>s.<br />
Goetheanisches Denken <strong>und</strong> Handeln macht das immer wie<strong>der</strong> deutlich. In dieser<br />
Tradition hat H.Kükelhaus für den zivilisatorischen "Mangelmenschen" e<strong>in</strong><br />
"Experimentierfeld" zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e geschaffen, das seit fast 20 Jahre die<br />
Menschen <strong>in</strong> den europäischen Großstädten begeistert (vgl. H.Kükelhaus 1987 3 ).<br />
Unterschiedliche Erfahrungsgeräte: optiche Geräte, Strudelgeräte, Balancier-scheiben,<br />
Summloch, Duftbaum, Aromaspirale, Tastgalerie, Schaukel usw. werden als<br />
Erfahrungs"medien" genutzt. Das gesamte "Erfahrungsfeld" umfaßt ca. 40<br />
"Erfahrungsstationen". So z.B. das "Strudelgerät": e<strong>in</strong> säulenförmiger Wasserbehälter,<br />
<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>e Kurbel e<strong>in</strong>gebaut ist. Das Wasser steht still, wenn man nichts tut; wenn<br />
man <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kurbel dreht, bewegt sich das Wasser. In <strong>der</strong> Mitte des Wassers bildet<br />
sich dann e<strong>in</strong> Kegel. Es ist fasz<strong>in</strong>ierend, zuzusehen, was <strong>mit</strong> dieser Wassersäule<br />
geschieht, wenn sie <strong>in</strong> Bewegung gerät. Wenn die Geschw<strong>in</strong>digkeit, die Kraft <strong>der</strong><br />
Drehung sehr hoch ist, bewegt sich <strong>der</strong> ganze Bewegungskegel nach oben; läßt man<br />
dann nach <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Rotationskurbel, dann s<strong>in</strong>kt das Wasser ganz langsam <strong>in</strong><br />
w<strong>und</strong>erbaren Schlieren wie e<strong>in</strong> Spiralnebel wie<strong>der</strong> nach unten. Man muß diese D<strong>in</strong>ge<br />
"machen", "tun", um Erfahrungen zu machen. Die Idee von H.Kükelhaus war nicht<br />
zuletzt - kulturkritisch - daran zu verdeutlichen, daß man den Menschen viel<br />
"erklären" kann, ihnen viele Informationen über ihre Welt geben kann (so wie Lehrer<br />
e<strong>in</strong>e Menge von Informationswissen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n "beibr<strong>in</strong>gen" können) - aber was<br />
fehlt <strong>in</strong> unserer Gesellschaft (auch <strong>in</strong> unserer Pädagogik) ist das Tun zusammen <strong>mit</strong><br />
den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, das leibnahe, das direkte Tun. Und darauf kommt es an bei e<strong>in</strong>er<br />
menschen-s<strong>in</strong>nnahen <strong>Leben</strong>sführung.<br />
24
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esverlust, nur noch "<strong>mit</strong> dem Kopf" <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> umgehen, das br<strong>in</strong>gt<br />
auch große Bedeutungsverluste im sozialen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>mit</strong> sich. An<br />
Balancierscheiben <strong>und</strong> Partnerschaukeln kann das anschaulich werden. Da sieht man<br />
auch junge Leute, die man selten <strong>in</strong> so etwas wie "pädagogische Arrangements"<br />
br<strong>in</strong>gt, begeistert solche Erfahrungen machen. Und beim Blick auf mehrere solcher<br />
Balancierscheiben spürt man, wie plötzlich mehrere Leute, die sich gar nicht<br />
"kennen", irgendwann <strong>in</strong> so etwas wie e<strong>in</strong>e Zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>bewegung geraten. Es ist etwas<br />
sehr Schönes, wenn man konkret erfahren kann, wie e<strong>in</strong>s dem an<strong>der</strong>en nicht nur die<br />
Hand gibt, son<strong>der</strong>n wie das Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gehen kann. Das geschieht auch auf <strong>der</strong><br />
Partnerschaukel. Der Name ist von H.Kükelhaus bewußt gewählt; die beiden Begriffe<br />
"aktiv <strong>und</strong> passiv" s<strong>in</strong>d konzeptionell wichtig: Aktiv <strong>und</strong> Passiv als zwei Pole, als zwei<br />
Elemente, die <strong>in</strong> Spannung se<strong>in</strong> sollen, wenn <strong>Leben</strong> da ist, was man <strong>in</strong> vielen<br />
Bereichen des <strong>Leben</strong>s beobachten kann.<br />
So gew<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> Mensch Selbstverständnis durch das Tun <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>, <strong>mit</strong><br />
se<strong>in</strong>em Leib. Auch die heute notwendige Kompensation von sozialen<br />
Erfahrungsdefiziten ist durch solche s<strong>in</strong>nlichen Erfahrungsarrangements möglich. Das<br />
zeigten auch vielfältige Erfahrungen auf e<strong>in</strong>em Symposium zum "Lernen <strong>mit</strong> allen<br />
<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>" (vgl. Bäuml-Roßnagl 1990). Nicht nur e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen wurden<br />
<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nlichen Erlebnisräumen <strong>mit</strong> Freude gemacht. In vielen Gesprächen wurde<br />
deutlich, wie e<strong>in</strong> neues Selbst- <strong>und</strong> Sozialverständnis durch solch s<strong>in</strong>n-en-nahe<br />
Tätigkeiten erwachsen kann (vgl.auch Kapitel 4)<br />
25
3. Kapitel<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>voll die Welt <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> erfahren<br />
3.1. Bloße Wissensver<strong>mit</strong>tlung über die Welt verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t das H<strong>in</strong>we<strong>in</strong>wachsen<br />
<strong>in</strong> die Welt<br />
Informationen über die Welt garantieren das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> die Welt nicht. Nicht<br />
nur Pädagogen denken heute darüber nach, wie die Informationsver<strong>mit</strong>tlung, welche<br />
die Schule betreibt, sich auf das <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verständnis <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
auswirkt. "Unsere Schule ist weith<strong>in</strong> bemüht, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt bekannt zu<br />
machen. Man zeigt den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n D<strong>in</strong>ge, spricht darüber, stellt Modelle <strong>und</strong><br />
Abbildungen <strong>und</strong> Objekte vor, später Geräte, Werkzeuge <strong>und</strong> Bücher. Schließlich<br />
br<strong>in</strong>gt man ihnen Regeln <strong>und</strong> Verfahren für eigenes Weiterf<strong>in</strong>den von D<strong>in</strong>gen nahe,<br />
Spielzeuge, Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Namen s<strong>in</strong>d die von Eltern <strong>und</strong> Lehrern zur Verfügung<br />
gestellten Hilfen für die Wahrnehmung. So überliefern wir die Entdeckungen <strong>der</strong><br />
Menschheit zur nächsten Generation. Die Mühen <strong>der</strong>er, die zuerst wahrgenommen<br />
haben, die früheren Kulturen, Generationen, werden für die Nachkommenden<br />
überflüssig" (Gibson 1982, S.222).<br />
So bemüht sich das sog. Bildungssystem, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n Kenntnisse von <strong>der</strong> Welt zu<br />
über<strong>mit</strong>teln, zu "übereignen" - doch die "gebotene Welt" ist oftmals nicht die von den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n "erfahrene Welt" <strong>und</strong> ebenso oft nicht die gegenwärtige <strong>Leben</strong>swelt. Die<br />
26
durch Schullernen ver<strong>mit</strong>telte Welt ist e<strong>in</strong>e im Begriff <strong>und</strong> Modell "ab-strahierte"<br />
Welt. Am Beispiel von <strong>der</strong> Katze auf <strong>der</strong> Matte verdeutlicht Gibson (1982, S.222) den<br />
Unterschied zwischen komplex-ganz-heitlicher Weltschau <strong>und</strong> begrifflichabstrahierter<br />
Weltsicht:<br />
"Man stelle sich e<strong>in</strong>en Erwachsenen vor, z.B. e<strong>in</strong>en philosophierenden, <strong>der</strong> die Katze<br />
auf <strong>der</strong> Matte sieht. Er weiß, daß sich die Katze auf <strong>der</strong> Matte bef<strong>in</strong>det. Er glaubt an<br />
diesen Sachverhalt <strong>und</strong> kann ihn aussprechen. Doch offenbar sieht er die ganze Zeit<br />
über auch alle möglichen Arten wortloser Fakten - wie sich die Matte h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Katze<br />
ohne Unterbrechung fortsetzt, welche Seite <strong>der</strong> Katze die entferntere ist, welchen Teil<br />
<strong>der</strong> Matte die Katze verdeckt, die Unterstützung <strong>der</strong> Katze durch die Matte, das Ruhen<br />
auf ihr, den festen horizontalen Boden unter <strong>der</strong> Matte <strong>und</strong> so weiter. Die sogenannten<br />
Begriffe von Erstreckung, von Ferne <strong>und</strong> Nähe, von Gravitation, Starrheit,<br />
Horizontaler <strong>und</strong> an<strong>der</strong>em mehr s<strong>in</strong>d nichts an<strong>der</strong>es als Teilabstraktionen von e<strong>in</strong>er<br />
reichhaltigen <strong>und</strong> doch zugleich e<strong>in</strong>heitlichen Wahrnehmung von Katze-auf-<strong>der</strong>-<br />
Matte. Diejenigen Teile davon, die man benennen kann, bezeichnet man als Begriffe;<br />
sie können nicht alles wie<strong>der</strong>geben, was man sieht."<br />
Die "wortlosen Fakten" unserer Welt bekommt Schule als "Bildungssystem" nicht <strong>in</strong><br />
den Griff <strong>und</strong> "Be-griff". Um diese lebendigen Dimensionen <strong>der</strong> Welt <strong>in</strong> den<br />
Bildungsprozeß e<strong>in</strong>beziehen zu können, bedarf es lebendiger Personen, die nicht nur<br />
den kognitiven Anteil ihrer Lehrer- <strong>und</strong> Erzieherpersönlichkeiten <strong>in</strong> das<br />
Bildungsgeschehen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Die reichhaltige <strong>und</strong> zugleich e<strong>in</strong>heitliche<br />
"Wahrnehmung" von Mensch <strong>und</strong> Welt im Lehrer <strong>und</strong> Erzieher selbst ist auch die<br />
Basis für die durch Bildungsprozesse ganzheitlich ver<strong>mit</strong>telte Weltauffassung.<br />
Deutung von Welt - personal ver<strong>mit</strong>telt - ist dabei ebenso erfor<strong>der</strong>lich, wie die<br />
Ver<strong>mit</strong>tlung von gesichertem Wissen über die Welt, Deutung von <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Erklärung<br />
von Sachzusammenhängen stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Komplementärverhältnis.<br />
Gerade das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen von jungen Menschen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> die Welt setzt beide<br />
Bildungsmaßnahmen im gegenseitigen Ausgleich wie die beiden Schalen e<strong>in</strong>er Waage<br />
voraus.<br />
27
Lehrer <strong>und</strong> Schüler s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem deutenden Prozeß <strong>der</strong> "Weltaneignung"<br />
gleichermaßen gefor<strong>der</strong>t. Informationen "über" die Welt müssen auf dem Boden <strong>der</strong><br />
"gelebten" Welt wachsen, wenn sie zur Wirklichkeitsbewältigung beitragen sollen.<br />
Wirklichkeit konstitutiert sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Schule o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulklasse nur dann,<br />
wenn die Anteile <strong>der</strong> bisherigen <strong>Leben</strong>swelt <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> die schulischen Denkweisen<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlichen Betrachtungen e<strong>in</strong>gebracht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gereiht werden. Dazu ist es<br />
notwendig, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich auf unterrichtliche Ziele <strong>und</strong> schulische Inhalte e<strong>in</strong>lassen<br />
<strong>und</strong> sie nicht als außerhalb von sich sehen. Das ist sehr wichtig <strong>und</strong> gilt natürlich nicht<br />
nur für K<strong>in</strong><strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> größerem Ausmaß für die Lehrer.<br />
Sich e<strong>in</strong>lassen auf unterrichtliche Inhalte bedeutet z.B. das Thema "Umweltschutz"<br />
nicht außerhalb <strong>der</strong> eigenen Person, des eigenen Handelns "abzuhandeln" - we<strong>der</strong><br />
außerhalb <strong>der</strong> Schüler - noch außerhalb <strong>der</strong> Lehrerpersönlichkeit. So formuliert auch<br />
Czerwenka (1982, S. 564): "Nur das sich E<strong>in</strong>lassen, das tiefe E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die<br />
Probleme, Situationen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>ge, die Anteilnahme <strong>mit</strong> <strong>der</strong> eigenen Subjektivität, nur<br />
diese Anteilnahme kann Verfremdungsprozesse <strong>der</strong> Schüler gegenüber <strong>der</strong> Schule<br />
aufhalten."<br />
Schule kann <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n stiften, wenn Lehrer <strong>und</strong> Schüler geme<strong>in</strong>sam den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> von<br />
Sachverhalten erk<strong>und</strong>en. Das "Vorweg" <strong>der</strong> Lehrerpersönlichkeit gegenüber dem<br />
Schüler ist nicht im Bereich des Wissens zu sehen, son<strong>der</strong>n vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> vertieften<br />
Fähigkeit zur s<strong>in</strong>nvollen Weltdeutung.<br />
3.2. "Hand <strong>in</strong> Hand" die Welt erk<strong>und</strong>en<br />
Viel wird heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen <strong>und</strong> psychologischen Fachliteratur vom sog.<br />
"Handlungswissen" gesprochen - nicht immer ist <strong>in</strong> den entsprechenden<br />
Theoriegebäuden dann noch etwas spürbar vom Worts<strong>in</strong>n, <strong>der</strong> ja e<strong>in</strong> Wissen me<strong>in</strong>t,<br />
das durch "Handlung", durch die "Hand" erworben wird. Wissen <strong>mit</strong> den eigenen<br />
Händen erwerben bedeutet zuerst e<strong>in</strong>mal ganz konkret, daß die Hände als Organe des<br />
Tastens <strong>und</strong> Greifens helfen, die Welt zu be-greifen. Die "Zu-Handenheit" <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />
<strong>der</strong> Welt ist ja die Gr<strong>und</strong>lage für jegliches "Die-Welt-<strong>in</strong>-den-Griff-bekommen". Das<br />
28
gilt nicht nur für die handwerklich-technischen Lern- <strong>und</strong> Arbeitsweisen, son<strong>der</strong>n für<br />
jegliche Art <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nung von Handlungs- <strong>und</strong> Erfahrungswissen über die Welt.<br />
Die Hand als "Werkzeughand" <strong>und</strong> als "Gesprächshand" ist oftmals gedeutet worden.<br />
Die Hand schafft "Distanz zum An<strong>der</strong>en, hilft, die Symbiose zu durchbrechen,<br />
an<strong>der</strong>erseits aber auch, bei aller Trennung <strong>der</strong> Leiber <strong>in</strong> "me<strong>in</strong> Leib" <strong>und</strong> "de<strong>in</strong> Leib",<br />
den Leibkontext im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>es Gesprächs, d.h. e<strong>in</strong>es geistigen Kontaktes<br />
aufrechtzuerhalten." (Mollenhauer <strong>in</strong>: Lippitz/Rittelmeyer (Hsg.), 1989, S. 42).<br />
Unsere Hände führen "Gespräche" <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> den Menschen. "Hand <strong>in</strong><br />
Hand" gehen Erwachsene <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> - im konkreten <strong>und</strong> im<br />
symbolischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. "Die fühlende, greifende, bildende Hand, die Hand, wenn sie<br />
fühlt, greift, bildet ist die Transzendenz. E<strong>in</strong>e Transzendenz, die sich nun nicht mehr<br />
auf die Hände beschränkt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e des ganzen Menschen ist. Nicht die Hände<br />
s<strong>in</strong>d es, die da handeln. Der ganze Mensch ist es. Er ist es, <strong>der</strong> sich erhebt <strong>in</strong> den<br />
Zustand, <strong>in</strong> dem er <strong>mit</strong> den Händen denkt, <strong>mit</strong> dem Denken fühlt" (H.Kükelhaus<br />
1987 3 ,S. 21). Alle Ich-Erfahrung hat <strong>mit</strong> Leiberfahrung zu tun - aber alle<br />
Leiberfahrung auch <strong>mit</strong> dem Du. Es gibt <strong>in</strong> <strong>der</strong> philosophischen Anthropologie seit<br />
etwa 100 Jahren verstärkt die Maxime, daß <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong> Ich immer erfährt im<br />
Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Leib des an<strong>der</strong>en. So kann ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sich <strong>und</strong> die<br />
Bewußtwerdung von dem, was es ist, erfahren ohne die Hand <strong>der</strong> Eltern, ohne die<br />
Hand <strong>der</strong> Pädagogen, ohne die Hand <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e.<br />
Die Gegenbil<strong>der</strong> muß man gerade heute ebenso <strong>mit</strong>denken: wo <strong>der</strong> Kontakt verweigert<br />
wird, wo dieses "Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>"-"Hand <strong>in</strong> Hand" verschw<strong>und</strong>en ist. Auch das<br />
Lehrerse<strong>in</strong> ist oft auf e<strong>in</strong>e bestimmte e<strong>in</strong>l<strong>in</strong>ige Richtung fixiert. Sicher gibt es<br />
Reformbestrebungen verschiedenster Art, die e<strong>in</strong>en wechselseitig offenen Umgang<br />
zwischen Lehrer <strong>und</strong> Schüler for<strong>der</strong>n. Und es gibt viele Eltern, Lehrer <strong>und</strong> Erzieher,<br />
die täglich den menschlichen Austausch als Maxime ihres Erzieherhandelns<br />
verwirklichen. Wichtig ist aber auch, daß das öffentliche Bewußtse<strong>in</strong> gestärkt wird für<br />
e<strong>in</strong>e Schulbildung, welche die sozialen Interaktionen als Leitmotiv pflegt. Das würde<br />
auch bedeuten, daß Schulen an<strong>der</strong>s gebaut werden als "Bewahr- <strong>und</strong> Lernanstalten"<br />
(vgl. Bäuml-Roßnagl 1990).<br />
29
Weltlichkeit als Wurzel <strong>der</strong> <strong>in</strong>tersubjektiven Verb<strong>in</strong>dung - das ist e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />
mo<strong>der</strong>nen Anthropologie. Der leibliche Interaktionsprozess erzeugt <strong>S<strong>in</strong>n</strong>.<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung kann man nicht im "stillen Kämmerle<strong>in</strong>" vollziehen, <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung<br />
geschieht bei <strong>der</strong> Interaktion <strong>der</strong> Menschen im s<strong>in</strong>nlichem Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />
Mead entwickelte dabei den kommunikativen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>begriff <strong>in</strong> enger Begründung zum<br />
leibgeb<strong>und</strong>enen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>vollzug: "Intentionalität als das auf den Zusammenhang<br />
Abgestimmtse<strong>in</strong> <strong>der</strong> verschiedenen Bewegungen des Menschen. Die e<strong>in</strong>zelnen<br />
Bewegungen s<strong>in</strong>d also nur aus dem gesamten leiblichen Kontext heraus zu verstehen.<br />
Dieses spontane Bezogense<strong>in</strong> auf den Zusammenhang unseres leiblichen Verhaltens<br />
kann <strong>in</strong> vielen alltäglichen Situationen wahrgenommen werden. Man vergleiche z.B.<br />
die wechselnden Haltungen <strong>der</strong> Partner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch. Zuerst steht man aufrecht<br />
<strong>und</strong> steif zusammen, die Begegnung hat e<strong>in</strong>en formellen Charakter.<br />
Dann stellt e<strong>in</strong>er sich etwas bequemer h<strong>in</strong>, er stellt e<strong>in</strong>en Fuß vor den an<strong>der</strong>en <strong>und</strong> oft<br />
ohne bewußte Aufmerksamkeit än<strong>der</strong>n auch die an<strong>der</strong>en die Haltung. Jemand steckt<br />
nun die Hände <strong>in</strong> die Taschen usw. Dieser Haltungswechsel ist nicht nur so, <strong>und</strong> er ist<br />
nichts nur Äußerliches. Es verän<strong>der</strong>t sich <strong>mit</strong> diesem äußerlichen Handlungswechsel<br />
<strong>und</strong> Haltungswechsel zugleich auch etwas Inneres <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesprächssituation <strong>und</strong><br />
zwischen den Gesprächspartnern. Haltung, Mimik, Gestik <strong>und</strong> Worte s<strong>in</strong>d äußere<br />
Kennzeichen <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Än<strong>der</strong>ungen, die zwischen den Menschen sich vollziehen.<br />
An ihnen kann man sehen, ob e<strong>in</strong> Gespräch wirklich als Interaktion stattf<strong>in</strong>det o<strong>der</strong> ob<br />
es nur e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> Äußerliches, re<strong>in</strong> körperliches Geschehen ist" (Mead 1934, S. 13f).<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit hat <strong>S<strong>in</strong>n</strong> im Austausch - "Hand <strong>in</strong> Hand" erfahren die Menschen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Die<br />
Hand als "Werkzeug" <strong>und</strong> das Hän<strong>der</strong>eichen als Geste des Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d "Medien"<br />
<strong>der</strong> leibgeb<strong>und</strong>enen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung <strong>der</strong> Menschen.<br />
3.3. Auf eigenen Füßen die Welt erfahren<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> blicken aus dem Haus h<strong>in</strong>aus, sie wollen die Welt erfahren <strong>und</strong> erkennen. Ihr<br />
Blick birgt die Sehnsucht, die ihre Füße laufen lehrt. In sehr anschaulicher Weise hat<br />
Maria Montessori dieses Phänomen folgen<strong>der</strong>maßen beschrieben: "Wenn also dieses<br />
30
unser K<strong>in</strong>d, das wir vor uns haben, den Wunsch äußert, das Haus e<strong>in</strong>mal zu verlassen,<br />
dann machen wir es doch etwas feierlich auf se<strong>in</strong>e Füße aufmerksam. Ehe es fortgeht,<br />
wird es sich um so mehr dessen bewußt, was es zu tun im Begriffe ist. Wir lenken die<br />
Aufmerksamkeit des K<strong>in</strong>des auf diesen Teil se<strong>in</strong>es Leibes, <strong>der</strong> das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Fehltritt<br />
begehen lassen kann" (M.Montessori 1979 3 , S. 37f).<br />
Wie schwer fällt es beson<strong>der</strong>s vielen Müttern, ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong> fürsorglichen (o<strong>der</strong><br />
an-sich-b<strong>in</strong>denden) Obhut <strong>in</strong> <strong>der</strong>en eigene Welt "h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen" zu lassen, sie auf ihre<br />
eigenen Füße zu stellen. Nach M.Montessori sollten die Mütter wie auch alle an<strong>der</strong>en<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Erzieher das K<strong>in</strong>d anleiten, daß es auf se<strong>in</strong>e Füße Acht haben muß,<br />
sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>: "Edel ist <strong>der</strong> Fuß <strong>und</strong> edel ist das<br />
Gehen <strong>und</strong> dank se<strong>in</strong>er Füße kann das K<strong>in</strong>d, das schon laufen kann, die Außenwelt um<br />
bestimmte Antworten se<strong>in</strong>er geheimen Fragen bitten. Die Lehrer<strong>in</strong> darf niemals<br />
vergessen, daß das angestrebte Ziel nicht das augenblickliche Ziel ist. Das eigentliche<br />
Ziel besteht dar<strong>in</strong>, das geistige Wesen, das sie erzieht, das K<strong>in</strong>d, fähig zu machen,<br />
se<strong>in</strong>en Weg ganz alle<strong>in</strong> zu f<strong>in</strong>den. Nur so auf eigenen Füßen, dr<strong>in</strong>gt das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die<br />
Wirklichkeit <strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong>. Und das nennen wir seit alters Erfahrung"(M.Montessori,<br />
1979 3 , S. 37f).<br />
Auf eigenen Füßen <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, die <strong>der</strong> Pädagoge, die<br />
Mutter, die Lehrer<strong>in</strong> von kle<strong>in</strong> auf im H<strong>in</strong>blick auf das K<strong>in</strong>d beachten muß. Die Welt<br />
er"fahren", die Welt "erwan<strong>der</strong>n" bedeutet aber auch, "die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille":<br />
Wenn man h<strong>in</strong>ausführt <strong>in</strong> die Welt, wenn man das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Welt gehen läßt, erfährt<br />
es auch, wie es <strong>der</strong> Welt "er-geht". In diesem Sprachspiel, das wir <strong>in</strong> unserer<br />
deutschen Sprache haben, wird e<strong>in</strong> tieferer <strong>S<strong>in</strong>n</strong> deutlich: Erfahren bedeutet zugleich:<br />
bemerken, wie es <strong>der</strong> Welt ergeht. Auch da haben wir wie<strong>der</strong> den Zusammenhang <strong>mit</strong><br />
dem Fuß, <strong>mit</strong> dem Gehen, <strong>mit</strong> dem Konkret-die-Welt-erk<strong>und</strong>en.<br />
Indem Menschen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> "umgehen", <strong>in</strong>terpretieren Sie für sich <strong>und</strong> auch für<br />
an<strong>der</strong>e die Welt - die deutsche Sprache zeigt hier auch anschaulich den <strong>in</strong>neren<br />
31
Zusammenhang zwischen dem leiblichen "Um-Gehen" <strong>und</strong> dem geistigen Prozeß, <strong>der</strong><br />
sich beim Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>Umgehen vollzieht. Der Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt hat se<strong>in</strong>e<br />
konkrete "Basis" im "Ergehen" <strong>und</strong> "Erfahren" <strong>der</strong> Welt durch die Menschen. Das gilt<br />
im beson<strong>der</strong>en Maße für das K<strong>in</strong>d. Das K<strong>in</strong>d lernt nicht durch se<strong>in</strong>en Kopf, son<strong>der</strong>n<br />
durch se<strong>in</strong>e Bewegungen. Durch das Bewegungssystem erfaßt das K<strong>in</strong>d die Welt. Das<br />
hat H.Kükelhaus immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich aufgezeigt: "Wir müssen uns darüber im<br />
klaren se<strong>in</strong>, daß das K<strong>in</strong>d die Welt nur durch se<strong>in</strong>e Bewegungen erfährt. Denn dar<strong>in</strong><br />
besteht ja eigentlich die Fortsetzung se<strong>in</strong>es embryonischen <strong>Leben</strong>s, das überhaupt nur<br />
<strong>in</strong> Bewegungsformen vor sich geht. Die nachgeburtliche Form dieses pränatalen<br />
<strong>Leben</strong>s, das Bewegungsspiel des K<strong>in</strong>des, verlangt nach e<strong>in</strong>er baulichen Umwelt, die<br />
diesen Bewegungsbedürfnissen Rechnung trägt - e<strong>in</strong>e Welt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es Stufen <strong>und</strong><br />
Treppen gibt, labyr<strong>in</strong>thisch angelegte Räume <strong>mit</strong> reliefartigen Böden. E<strong>in</strong>e völlige<br />
Verkennung <strong>der</strong> Funktionen des Fußes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedeutung se<strong>in</strong>er Erfahrungsqualitäten<br />
für die Entwicklung des Gesamtorganismus hat dazu geführt, daß <strong>der</strong> Schulbau die<br />
diesbezüglichen Erfor<strong>der</strong>nisse auf dem Hochaltar des Re<strong>in</strong>igungsetats geopfert <strong>und</strong><br />
den Blick dafür versperrt hat, <strong>in</strong> welchem Ausmaß das K<strong>in</strong>d primär ja nicht durch den<br />
"Kopf" lernt, son<strong>der</strong>n auch durch die Rhythmik se<strong>in</strong>er Bewegungssysteme <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" (H.Kükelhaus, 1979, S.61f).<br />
Für das Gr<strong>und</strong>schulalter haben entwicklungspsychologische Forschungen e<strong>in</strong>e<br />
zunehmende Differenzierung <strong>und</strong> gleichzeitige Zentralisierung <strong>der</strong> Bewegungsmotorik<br />
des K<strong>in</strong>des nachgewiesen. Die Bereiche Neuromotorik, Sensomotorik <strong>und</strong><br />
Psychomotorik werden als Teilaspekte e<strong>in</strong>es umfassenden, dynamischen<br />
Adaptionsprozesses des Organismus an die Umwelt <strong>in</strong>terpretiert (vgl. u.a. Bäuml-<br />
Roßnagl, 1979).<br />
Organerfahrungen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Fuß-Tast-Erfahrungen s<strong>in</strong>d Gr<strong>und</strong>elemente <strong>der</strong><br />
Welterfahrung <strong>und</strong> ebenso auch <strong>der</strong> Icherfahrung. Auch nach alter Kulturtradition<br />
(z.B. Tibet, Vor<strong>der</strong>er Orient, Amerika) repräsentiert <strong>der</strong> Fuß den "ganzen" Körper <strong>und</strong><br />
ver<strong>mit</strong>telt auch die "ganze" Welt.<br />
3.4. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles Wissen aus Erfahrung <strong>und</strong> Handlung gew<strong>in</strong>nen<br />
32
Erfahrungwissen, Handlungwissen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>snähe s<strong>in</strong>d schon immer<br />
Unterrichtspr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>n- <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nesorientierten Schulpädagogik gewesen.<br />
Jede s<strong>in</strong>nvolle Pädagogik orientiert sich daran, wenn sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Wert des<br />
menschlichen <strong>Leben</strong>s h<strong>in</strong>führen will. So galt jahrh<strong>und</strong>ertelang das<br />
Anschauungspr<strong>in</strong>zip als pädagogisches Leitpr<strong>in</strong>zip. Heute spricht man vom Pr<strong>in</strong>zip<br />
<strong>der</strong> Handlungsorientierung als schulischem Erziehungspr<strong>in</strong>zip. Man for<strong>der</strong>t<br />
Erfahrungswissen statt "re<strong>in</strong>em" Informationswissen, <strong>Leben</strong>snähe statt Lehrbuchwissen.<br />
Erfahrungswissen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>snähe erreichen wir <strong>mit</strong> unseren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht, wenn<br />
wir Schule als "störungsfreie Atmosphäre" gestalten. Darüber haben vor allem Lern<strong>und</strong><br />
Verhaltenspsychologen nachgedacht. Nach e<strong>in</strong>em Problemlösungsmodell von<br />
He<strong>in</strong>rich Roth (1969) wurde e<strong>in</strong> entsprechendes Artikulationsmodell für den Aufbau<br />
von Unterrichtsst<strong>und</strong>en entwickelt. Die E<strong>in</strong>stiegsphase be<strong>in</strong>haltet immer e<strong>in</strong>e<br />
Fragestellung, e<strong>in</strong> Problem - e<strong>in</strong> Problem als "Störung" dessen, was schon gewußt<br />
wird. Dann folgt das Weiterfragen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wodurch die Störung behoben werden<br />
soll. Man will herausf<strong>in</strong>den, warum man etwas nicht versteht. Und nach <strong>der</strong><br />
unterrichtlichen Lösung des Problems erfolgt das Zuordnen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>ordnen des<br />
Erkannten <strong>in</strong> die Alltagssituation, wovon die Frage- <strong>und</strong> Problemstellung ja ausg<strong>in</strong>g.<br />
Unterricht als Problemlösungsprozeß dieser Art gestaltet, zielt also nicht ab, e<strong>in</strong>en<br />
störungs- <strong>und</strong> konfliktfreien theoretischen Lernprozeß zu arrangieren. Theoretische<br />
Erkenntnisse <strong>und</strong> abstrakte Lernwege werden stets <strong>in</strong>haltlich <strong>in</strong> konkrete<br />
<strong>Leben</strong>welt<strong>in</strong>halte e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> diese s<strong>in</strong>d komplex <strong>und</strong> konfliktträchtig.<br />
Erfahrungswissen wird so un<strong>mit</strong>telbar zu e<strong>in</strong>em Bedeutungwissen, zu s<strong>in</strong>nvollem<br />
Wissen für das <strong>Leben</strong>. K<strong>in</strong><strong>der</strong>n fällt es weniger schwer als Erwachsenen, den<br />
Zusammenhang zwischen Erfahrungswissen, "Sach"-wissen <strong>und</strong> Bedeutungswissen<br />
als "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>"-wissen zu sehen. "Warum"-Fragen aus K<strong>in</strong><strong>der</strong>m<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d oft nicht <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er<br />
kausallogischen Erklärungsweise zu beantworten. K<strong>in</strong><strong>der</strong> fragen <strong>mit</strong> ihrem "Warum"<br />
auch nach <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Bedeutung von D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Sachverhalten (vgl. Bäuml-Roßnagl<br />
1989).<br />
33
Daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> noch zu zweckfreien Fragen d.h. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>fragen, zu Bedeutungsfragen den<br />
D<strong>in</strong>gen gegenüber fähig s<strong>in</strong>d, wo wir Erwachsenen meistens nur e<strong>in</strong> gelerntes<br />
Antwortschema im H<strong>in</strong>terkopf haben, kann je<strong>der</strong> erleben, wenn er <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>er Klasse Erfahrungen konkret "vor Ort" <strong>und</strong> <strong>mit</strong> D<strong>in</strong>gen macht. Für e<strong>in</strong>e<br />
s<strong>in</strong>norientierte Schulpädagogik bedeutet das, daß sie sich darum bemüht, das<br />
Hauptaugenmerk nicht auf Infowissen <strong>und</strong> abfragbare Kenntnisse zu lenken.<br />
Dieser Theorieansatz hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Didaktik des Sachunterrichts <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule zur<br />
For<strong>der</strong>ung nach "Mehrperspektivität <strong>und</strong> "Mehrdeutigkeit" <strong>der</strong> Unterrichts<strong>in</strong>halte, zum<br />
Pr<strong>in</strong>zip des "fächer<strong>in</strong>terpretierenden "Sachunterrichts" geführt:<br />
Reduktion des Fachwissens <strong>und</strong> Betonung e<strong>in</strong>es lebensorientierten,<br />
fächerübergreifenden Interpretationswissens, das den Schülern den alltagsgerechten<br />
"mehrdeutigen" Zugang zu den "Sachen" ermöglicht (vgl. Bäuml-Roßnagl 1985). In<br />
e<strong>in</strong>em solchen Sachunterricht kann es nicht um abfragbare Kenntnisse alle<strong>in</strong> gehen.<br />
Lei<strong>der</strong> haben wir ja auch im Sachunterricht Noten zu vergeben <strong>in</strong> unseren Schulen.<br />
Das ist aus <strong>der</strong> Sicht e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>norientierten Sachunterrichts e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> unglücklichsten<br />
E<strong>in</strong>richtungen, vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule.<br />
Die "gebotene Welt" (M.Langeveld) <strong>in</strong> unseren Schulen darf nicht zu e<strong>in</strong>er gebotenen<br />
("befohlenen") Welt werden. Informationswissen - ohne Handlungs- <strong>und</strong><br />
Erfahrungszugang von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n selbst gewonnen - ist pädagogisch wertlos. Immer ist<br />
zu fragen: wie wird Sacherfahrung so gemacht, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> ihrem ganzen Leib, <strong>mit</strong><br />
all ihren <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> e<strong>in</strong>bezogen s<strong>in</strong>d? Die "am eigenen Leibe" erfahrenen Lernsituationen<br />
s<strong>in</strong>d es, die später noch bedeutsam s<strong>in</strong>d für das K<strong>in</strong>d, für se<strong>in</strong>e Erkenntnisgew<strong>in</strong>nung,<br />
dafür, wie es sich die Welt erobert, wie es auf die D<strong>in</strong>ge des <strong>Leben</strong>s zugeht.<br />
3.5. Die Wahrnehmungsfähigkeit "ganzheitlich" sensibilisieren<br />
Wahrnehmungsfähigkeit gehört zum Wesen menschlicher <strong>Leben</strong>sgestaltung, ihre<br />
Verkümmerung ist Kulturverlust. E<strong>in</strong>seitige Wahrnehmungsorientierug, wie wir sie <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> Öffentlichkeit <strong>und</strong> Medienwelt oft vorf<strong>in</strong>den, muß <strong>der</strong> ihr gebührende,<br />
34
egrenzte Stellenwert <strong>in</strong> <strong>der</strong> menschlichen <strong>Leben</strong>sführung zugewiesen weden - vor<br />
allem durch die Pädagogik. Das bedeutet nicht: "weg" von allen Medien <strong>und</strong><br />
Wahrnehmungshilfen, son<strong>der</strong>n vielmehr e<strong>in</strong>e bewußte Schulung <strong>der</strong><br />
Wahrnehmungsfähigkeit <strong>in</strong> allen Dimensionen. Die ursprüngliche, dem Menschen<br />
eigene Wahrnehmung <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en 5 <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> ist neben <strong>und</strong> zusammen <strong>mit</strong> den "medial"<br />
erweiterten Möglichkeiten zu entwickeln.<br />
Die Spezifizierung <strong>der</strong> Wahrnehmungsfähigkeiten durch technische Hilfen bedeutet<br />
oft e<strong>in</strong>e "Fragmentierung" bzw. e<strong>in</strong> "Destillieren" vom komplexen <strong>Leben</strong>svorgang <strong>und</strong><br />
<strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung. "Wie die isolierten Wörter zum<br />
s<strong>in</strong>ngere<strong>in</strong>igten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsfeld für Rechtschreibung, wie die Äcker <strong>und</strong> Häuser <strong>und</strong><br />
Flüsse zu e<strong>in</strong>em aller Ängste o<strong>der</strong> Hoffungen baren homogenen<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esschärfungsmaterial wurden, so mutieren die Bewegungen des eigenen Körpers<br />
zum Material, das es zu perfektionieren gilt - stufenweise, vor aller Augen, an<br />
festliegendenden Standards, <strong>mit</strong> Hilfe feststehen<strong>der</strong> Kommandos" (H.Rumpf 1982, S.<br />
93).<br />
Die Assoziation des komplexen <strong>Leben</strong>svorganges gibt dem Wahrnehmungsvollzug<br />
erst den menschlichen Handlungss<strong>in</strong>n. Die Menschen müssen sich heute wie<strong>der</strong> neu<br />
auf diese organologische Leiberfahrung über die eigentätige <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung<br />
e<strong>in</strong>lassen. Denn je<strong>der</strong> Mensch - <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße das K<strong>in</strong>d - ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
<strong>Leben</strong>serfahrung <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit an die Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>er leiblichen <strong>und</strong><br />
geistigen Möglichkeiten geb<strong>und</strong>en. Gut funktionierende Organe <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e bilden <strong>in</strong><br />
ihrer Gesamtheit die Basis für das Lernen,<br />
Leistenkönnen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>lernen <strong>in</strong> allen Dimensionen. Im Umgang <strong>mit</strong> den s<strong>in</strong>nlichen<br />
Phänomenen wird <strong>der</strong> Mensch von sich selbst wahrgenommen; im ganz konkreten<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e ist Wahrnehmung konstitutiv für unsere Existenz. So kann H. Kükelhaus auch<br />
sagen: "Organerfahrung ist Welterfahrung" - <strong>der</strong> Mensch hat nur körperlich-leiblich<br />
geb<strong>und</strong>ene <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Erkenntnismöglichkeiten. Durch die Betätigungen <strong>und</strong><br />
Wahrnehmungen <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Organismus erfährt <strong>der</strong> Mensch Bewußtse<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
von sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt.<br />
35
Reformpädagogische Strömungen <strong>in</strong> allen Jahrh<strong>und</strong>erten haben deshalb <strong>der</strong><br />
Körperbeherrschung <strong>und</strong> Schulung leibgeb<strong>und</strong>ener Fähigkeiten große Bedeutung<br />
beigemessen, so z.B. <strong>der</strong> gesamte Strom <strong>der</strong> Aufklärungspädagogik, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>stellungsän<strong>der</strong>ung zur Körperlichkeit <strong>in</strong> Richtung "Offenheit" als<br />
gesamtgesellschaftliche Aufgabe postulierte. Er<strong>in</strong>nert sei <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
auch an R. Ste<strong>in</strong>ers Bewegungskunst: "Eurythmie", <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit von Kunst,<br />
weltanschaulicher, pädagogischer <strong>und</strong> heilpädagogischer Anwendung <strong>der</strong><br />
menschlichen Leibgestik angestrebt wird. "Zivilisationskritik" (N.Elias) <strong>und</strong><br />
"Schwarze Pädagogik" (Rutschky) s<strong>in</strong>d neuere Mahnmodelle angesichts e<strong>in</strong>er<br />
"übergangenen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" (H.Rumpf) <strong>in</strong> unserer mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swelt. Dem<br />
"Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" (W.Kamper) <strong>in</strong> <strong>der</strong> leiblichen <strong>Leben</strong>sgestaltung entspricht die<br />
"<strong>Leben</strong>sweltvergessenheit" (Husserl) <strong>in</strong> <strong>der</strong> geistigen <strong>Leben</strong>sführung. E<strong>in</strong>e<br />
"Domestizierung <strong>der</strong> Seele" (D.Baacke) ist die Folge. Diese "Domestizierung <strong>der</strong><br />
Seele" ist e<strong>in</strong>e wesentliche Ursache für den <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Leistungsfreude <strong>in</strong> unserer<br />
mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft. Die erzwungene Rücknahme <strong>und</strong> Vernachlässigung des<br />
Leibes <strong>in</strong> unserer technisch-<strong>in</strong>dustriellen Zivilisation kerkert auch Seele <strong>und</strong> Geist e<strong>in</strong>.<br />
Kükelhaus als ganzheitlich-goetheanisch denken<strong>der</strong> <strong>und</strong> leben<strong>der</strong> Kulturkritiker hatte<br />
die Hoffnung, daß es "jenseits aller nostalgisch rückwärts <strong>und</strong> futurologisch vorwärts<br />
gerichteten Zielsetzungen <strong>und</strong> sonstigen Verdrängungen <strong>und</strong> Kompensationen über<br />
kurz o<strong>der</strong> lang öffentliche Anlagen <strong>und</strong> Stätten <strong>der</strong> Leibgew<strong>in</strong>nung geben wird"<br />
(H.Kükelhaus 1979, S.415).<br />
3.6. Sich selbst <strong>und</strong> die Welt geme<strong>in</strong>sam erfahren <strong>und</strong> deuten lernen<br />
"Leib-se<strong>in</strong> heißt Ich-se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Leib-se<strong>in</strong> heißt Du-se<strong>in</strong>. Aber Leibse<strong>in</strong> bedeutet also<br />
auch: Welt haben <strong>und</strong> für an<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong>-Welt-se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Leib-se<strong>in</strong>. Leib-se<strong>in</strong> bedeutet <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Welt, aber auch e<strong>in</strong>s <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt se<strong>in</strong>, <strong>mit</strong> <strong>und</strong> zu den D<strong>in</strong>gen Riechen, Sehen <strong>und</strong><br />
Dienen" (J.M. Langeveld 1968 3 ,S.130).<br />
Dem Menschen alle<strong>in</strong> ist es eigen, e<strong>in</strong>en "Leib" zu haben. Se<strong>in</strong>e Leiblichkeit ist die<br />
"Schnittstelle" zwischen Ich <strong>und</strong> Welt, zwischen Subjektivität, Intersubjektivität <strong>und</strong><br />
Objektivität. Ich <strong>und</strong> Du <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s erfahren zu können - "Welt haben" <strong>und</strong> "für an<strong>der</strong>e <strong>in</strong><br />
36
<strong>der</strong> Welt se<strong>in</strong>" - das ist e<strong>in</strong> typisch menschliches <strong>Leben</strong>sexistential. Darüber haben<br />
Philosophen, Biologen <strong>und</strong> Psychologen gerade <strong>in</strong> den letzten Jahrh<strong>und</strong>erten viel<br />
nachgedacht.<br />
Auch <strong>in</strong> gr<strong>und</strong>schulpädagogischen Gr<strong>und</strong>satzüberlegungen wurden <strong>der</strong>artige<br />
anthropologische Erklärungsmodelle e<strong>in</strong>gebracht, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Kontext <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>haltlichen Bestimmung des Leitziels "Gr<strong>und</strong>legung <strong>der</strong> Bildung" <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong><br />
sachunterrichtsdidaktischen Leitfrage: Wie ist das Verhältnis von "K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Sache" zu<br />
verstehen <strong>und</strong> zu bestimmen? M. Wagensche<strong>in</strong> formulierte diese gr<strong>und</strong>legende Frage<br />
so: "Mit dem K<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Sache aus, die für das K<strong>in</strong>d die Sache ist". K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Sache,<br />
Lernsubjekt <strong>und</strong> Lernstoff, Schüler <strong>und</strong> Lern-"Gegenstand" dürfen im konkreten Lern<strong>und</strong><br />
<strong>Leben</strong>svollzug nicht nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gestellt werden - wie das e<strong>in</strong> analytischsondierendes<br />
Verfahren <strong>in</strong> theoretischen Erklärungsmodellen tun kann <strong>und</strong> tun darf.<br />
Menschliches <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> Lernen geschieht <strong>in</strong> leiblicher Geb<strong>und</strong>enheit:"Leib-se<strong>in</strong>"<br />
heißt "Ich-se<strong>in</strong>" <strong>und</strong> "Du-se<strong>in</strong>" <strong>und</strong> "<strong>mit</strong>-<strong>der</strong>-Welt-se<strong>in</strong>"!<br />
"Für das K<strong>in</strong>d ist se<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Liebl<strong>in</strong>gsplüschbär nicht nur e<strong>in</strong> Gegenstand, son<strong>der</strong>n<br />
e<strong>in</strong>e Person. Es kann ihm e<strong>in</strong>en Kosenamen geben, <strong>mit</strong> ihm lange, vertrauliche<br />
Gespräche führen, ihm se<strong>in</strong>e Geheimnisse <strong>mit</strong>teilen, ihn küssen <strong>und</strong> von ihm<br />
Liebkosungen erhalten, wenn es <strong>mit</strong> ihm zart über se<strong>in</strong>e Wangen streicht... Und nicht<br />
nur bei e<strong>in</strong>em Stoffbären, dem Abbild e<strong>in</strong>es lebenden Tieres, son<strong>der</strong>n bei allem, was<br />
es berührt, offenbart das K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Fähigkeit zu personifizieren. Der unbedeutendste<br />
Gegenstand kann diesen persönlichen Charakter annehmen... So ist die Fähigkeit zur<br />
persönlichen Beziehung charakteristisch für die menschliche Natur <strong>und</strong> verleiht ihr<br />
gerade ihre Menschlichkeit. Je nach unserem Seelenzustand können alle D<strong>in</strong>ge für uns<br />
zu Personen werden, die ganze Welt kann sich <strong>mit</strong> Personen bevölkern. Es ist immer<br />
die gleiche Welt, sie än<strong>der</strong>t sich nicht; ich selbst habe mich geän<strong>der</strong>t, me<strong>in</strong>e<br />
persönliche o<strong>der</strong> unpersönliche Haltung dem Mitmenschen gegenüber, ich sehe die<br />
Welt an<strong>der</strong>s an. Nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ersche<strong>in</strong>t sie mir entwe<strong>der</strong> als e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge o<strong>der</strong><br />
als e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> Personen...<br />
Denn so, wie man die D<strong>in</strong>ge personifizieren kann, kann man auch die Personen versachlichen.<br />
Charles Péguy hat schon zu Anfang dieses Jahrh<strong>und</strong>erts jene Tendenz als<br />
37
e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> gefährlichsten unserer westlichen Zivilisation angeprangert. Was würde er<br />
heute sagen? Der Siegeszug <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Technik, das Taylorsystem bei<br />
<strong>der</strong> Produktion, die bürokratische Zentralisation des Staates, die Vermassung selbst<br />
<strong>der</strong> Freizeitgeschäftigung, all das reißt uns immer schneller <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, wobei die Person ausgeschlossen wird" (P.Tournier 1985, S. 20f).<br />
Das typisch menschliche Phänomen des "Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>" birgt gleichermaßen Chance<br />
<strong>und</strong> Gefahr für die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung von Mensch <strong>und</strong> Welt. "Sachen"- die Welt <strong>der</strong><br />
D<strong>in</strong>ge - be<strong>in</strong>halten ke<strong>in</strong>en Wert "an sich": "Es gibt ke<strong>in</strong>e Werte an sich, es gibt ke<strong>in</strong>e<br />
Welt an sich. Sie ist geprägt von den jeweils menschlichen Erfahrungen <strong>und</strong> Wahrnehmungsmöglichkeiten,<br />
aber auch wie<strong>der</strong> regional, kulturell von den jeweiligen<br />
Traditionen, Sichtweisen, Erfahrungsmöglichkeiten <strong>und</strong> geistigen<br />
E<strong>in</strong>ordnungsversuchen e<strong>in</strong>er jeweiligen Kultur o<strong>der</strong> Landschaft. Wie bestimmte<br />
Ersche<strong>in</strong>ungen o<strong>der</strong> Objekte <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> Umwelt gesehen werden, ist wesentlich<br />
abhängig von den Wahrnehmungsmöglichkeiten <strong>der</strong> Menschen, aber auch von den<br />
Bewertungen <strong>und</strong> gelernten E<strong>in</strong>schätzungen <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong> ihrem jeweiligen<br />
Kulturkreis" (Cerwenka 1982, S. 564).<br />
Die D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Alltagsphänomene erfahren ihre <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung im Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>mit</strong><br />
den Menschen. Die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung <strong>und</strong> Bedeutungsgebung für D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Sachen<br />
("Objekte") <strong>der</strong> Welt ist deshalb auch e<strong>in</strong>em subjektiven, sozialen <strong>und</strong> zeitlichen<br />
Wandel unterworfen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsene leben <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> sie leben <strong>mit</strong> den<br />
D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt. Sie leben, reden, essen, tr<strong>in</strong>ken, sprechen, handeln: was das<br />
menschliche <strong>Leben</strong> ausmacht, ist von diesen konkreten Tätigkeiten nicht zu trennen.<br />
Im konkreten Vollzug baut sich e<strong>in</strong> Weltverständnis auf - zugleich bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
Erwachsenen. Dieses wird auch immer wie<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>vorstellungen über das<br />
<strong>Leben</strong> <strong>und</strong> über die Welt s<strong>in</strong>d nicht etwas, das man als theoretische Maximen "hat"<br />
<strong>und</strong> dann <strong>in</strong> den Alltag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>holt; aus dem Alltag heraus entsteht vielmehr so etwas<br />
wie <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung <strong>und</strong> Wertzuordnung <strong>und</strong> Weltbildaufbau (vgl. K. Rahner 1980) .<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung ist deshalb auch e<strong>in</strong> soziologisches Phänomen: Menschen gehen<br />
<strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> um, Menschen sprechen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, Menschen handeln <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />
38
Nur so erfahren K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsene <strong>S<strong>in</strong>n</strong> - <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Wohl<br />
kann man theoretisch <strong>S<strong>in</strong>n</strong>aussagen machen, Wertvorstellungen <strong>und</strong> Wertziele<br />
entwickeln; die konkrete <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung aber ist immer neu strukturell zu bestimmen<br />
für den e<strong>in</strong>zelnen Menschen, je nachdem, <strong>in</strong> welchen D<strong>in</strong>g-, Menschen- <strong>und</strong><br />
Weltbeziehungen er gerade lebt. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><strong>in</strong>terpretation von<br />
Alltagsd<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Alltagserfahrungen können s<strong>in</strong>nvoll nur von den Menschen<br />
gemacht werden, die <strong>mit</strong> diesen D<strong>in</strong>gen umgehen. Das bedeutet für viele<br />
"wissenschaftlich" argumentierenden Pädagogen heute immer noch e<strong>in</strong> Umdenken,<br />
denn e<strong>in</strong>e unpersönliche Weltanschaung wird ja oft noch als pädagogisches Ziel<br />
angestrebt:<br />
"Es fällt uns sehr schwer, uns darüber klar zu werden, daß wir selbst unter e<strong>in</strong>er<br />
Bee<strong>in</strong>flussung stehen. Daher geben wir uns nicht Rechenschaft, <strong>in</strong> welchem Maß wir<br />
von dieser unpersönlichen Weltanschaung geprägt s<strong>in</strong>d. Sie wird uns schon <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Schule suggeriert: Vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>fragen an bis zur Universität lehrt man uns, e<strong>in</strong>e<br />
wissenschaftliche Haltung e<strong>in</strong>zunehmen. Nun kennt die Wissenschaft zwangsläufig<br />
nur die Welt <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge. Die Natur, die Geschichte, selbst die Gesellschaft ersche<strong>in</strong>en<br />
folglich nur als e<strong>in</strong>e endlose Kette von Phänomenen, welche streng nach Ursache <strong>und</strong><br />
Wirkung ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gereiht s<strong>in</strong>d. Es ist nur noch e<strong>in</strong>e riesengroße Masch<strong>in</strong>erie, die uns<br />
unerbittlich <strong>mit</strong>reißt, e<strong>in</strong>e Art Karussell, das sich unaufhörlich <strong>und</strong> ziellos dreht...<br />
Heute, <strong>in</strong> dieser Zeit, da man nur noch an die Wissenschaft glaubt, s<strong>in</strong>d selbst die<br />
Theologen darum besorgt, als objektive Gelehrte zu ersche<strong>in</strong>en, <strong>und</strong> sie versuchen die<br />
Bibel zu entmythologisieren. Und das sogar <strong>in</strong> dem Augenblick, da an<strong>der</strong>e Gelehrte,<br />
die Psychoanalytiker, uns offenbaren, daß <strong>der</strong> Mensch nicht durch die Vernunft<br />
gelenkt wird, son<strong>der</strong>n durch die Mythen, <strong>und</strong> wenn man ihm die offenbarten Mythen<br />
wegnimmt, erf<strong>in</strong>det er an<strong>der</strong>e, sehr gefährliche, wie die des technischen Fortschritts<br />
o<strong>der</strong> des Rassismus" (Tournier 1985 3 ,S.21).<br />
Die Bewußtse<strong>in</strong>sbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung wie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
wissenschaftlichen Forschung sche<strong>in</strong>t gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er<br />
vernünftigeren Auffassung von "Wissenschaft" zu se<strong>in</strong>. Das ist für die "pädagogischen<br />
Wissenschaften" e<strong>in</strong>e Chance.<br />
39
3.7. In die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen erfor<strong>der</strong>t auch das Entwachsen aus <strong>der</strong> eigenen<br />
Welt<br />
Der 5-jährige Junge Stefan wollte von se<strong>in</strong>er Mutter zu Ostern ke<strong>in</strong>en Osterhasen <strong>und</strong><br />
erklärte: "Mama, kauf mir lieber e<strong>in</strong>en Globus, da<strong>mit</strong> ich weiß <strong>und</strong> schauen kann, wo<br />
ich auf <strong>der</strong> Welt b<strong>in</strong>."<br />
Warum s<strong>in</strong>d schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> darauf aus, für sich selber e<strong>in</strong>en Standort <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt zu<br />
suchen? "Menschen werden nicht e<strong>in</strong>fach geboren <strong>und</strong> wachsen dann weiter. Die Welt<br />
ist schon jeweils da, sie wird vom Geborenen jeweils neu erfahren. Wärme, das<br />
vertraute Gesicht, die Ereignisse des Alltäglichen, aber so Zuverlässigen. Bald werden<br />
dann Werte <strong>und</strong> Aufgaben erkannt <strong>und</strong> gefor<strong>der</strong>t, später entstehen die festen<br />
Gebräuche (z.B. die geregelten Mahlzeiten o<strong>der</strong> die Tischsitten). Man fängt an, sich<br />
selbst zu verwirklichen; erst esse ich selbst, dann belege ich me<strong>in</strong> Brot selbst <strong>und</strong><br />
schneide es; später kommt immer mehr dazu, bilden sich verschiedene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>- <strong>und</strong><br />
Bedeutungsgeschichten auf verschiedenen Niveaus heraus. Geboren werden genügt<br />
nicht <strong>und</strong> ebensowenig genügt es, "K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu haben", um sie zu Menschen er-<br />
"wachsen" zu lassen" (J.M.Langeveld 1968, S. 78f).<br />
Das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> die "gebotene", geschenkte <strong>Leben</strong>swelt ist die e<strong>in</strong>e Aufgabe -<br />
das Entwachsen aus dem Vertrauten, h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> den neuen <strong>Leben</strong>skreis <strong>und</strong><br />
Welthorizont ist die an<strong>der</strong>e Aufgabe: beide Vollzüge ergänzen sich. Mit dem<br />
H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> die sachliche <strong>und</strong> soziale Umwelt entwächst es<br />
schrittweise <strong>der</strong> eigenen, subjektiv begrenzten <strong>Leben</strong>swelt. Gleichzeitig ist <strong>der</strong><br />
s<strong>in</strong>nvolle Aufbau des eigenen Weltbildes gekoppelt an den s<strong>in</strong>nenhaften Ausbau<br />
se<strong>in</strong>er <strong>Leben</strong>sweltbeziehungen.<br />
Innerhalb <strong>der</strong> Vor- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulzeit s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>dividuellen Erfahrungen von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vor allem an 4 sozial-ökologische Zonen geb<strong>und</strong>en, die sich <strong>in</strong><br />
konzentrischen Kreisen (nach Bronfenbrenner <strong>in</strong>: Baacke 1984, S. 80ff) o<strong>der</strong> besser<br />
<strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es curricular angeordneten Spiralenmodells entwickeln: Familie - Nachbarschaft/Wohngegend<br />
- Schule/Freizeitstätten - Urlaubs- <strong>und</strong> erweiterte<br />
40
Erlebniswelten. Wir kennen das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> konzentrischen Kreise auch aus <strong>der</strong><br />
geographisch orientierten Heimatk<strong>und</strong>etradition <strong>in</strong> <strong>der</strong> Volksschule (F<strong>in</strong>ger 1844).<br />
Je mehr Bewegungsfreiheit je mehr Kommunikation <strong>und</strong> je mehr Handlungschancen<br />
die e<strong>in</strong>zelnen Zonen für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> bereithalten, desto mehr wird <strong>der</strong>en Entwicklung<br />
geför<strong>der</strong>t. Das ist e<strong>in</strong>e These, die für uns Pädagogen Auffor<strong>der</strong>ungscharakter hat.<br />
Eltern <strong>und</strong> Erzieher sollten versuchen, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> allen vier Zonen sich entfalten zu<br />
lassen. Sozialökologisch restriktives Erwachsenenverhalten engt so auch die geistigen<br />
Entwicklungsräume <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>.<br />
Es gibt aber heute auch immer mehr das Phänomen, daß <strong>der</strong> soziale <strong>Leben</strong>sraum des<br />
K<strong>in</strong>des schneller wächst als die das K<strong>in</strong>d aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividual-psychologischen<br />
Entwicklungsentfaltung <strong>mit</strong>vollziehen kann. Das betrifft vor allem die<br />
sozialpsychologische Perspektive des Umweltbezuges. Wenn wir heute teilweise<br />
schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dphase K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Partnerersatz vorf<strong>in</strong>den, Partnersatz für<br />
Mutter, für Väter o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fach für <strong>Leben</strong>spartner des jeweilig fehlenden Elternteils -<br />
dann werden diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> viel zu schnell aus <strong>der</strong> ersten ökologischen Zone Familie<br />
herausgelöst <strong>und</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genommen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zweckbestimmte Aufgabe. Dazu lassen sich<br />
auch schulkritische Beispiele br<strong>in</strong>gen. Lehrer haben oft das Gefühl, sie müssen Schule<br />
ganz an<strong>der</strong>s def<strong>in</strong>ieren als sie eigentlich ist. Solche Lehrer me<strong>in</strong>en, sie müßten die<br />
ganze <strong>Leben</strong>swelterfahrung, die später Erwachsene machen, schon <strong>in</strong> die Schule<br />
<strong>mit</strong>h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nehmen, <strong>und</strong> das oft nur im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Informierens. Dabei wird <strong>der</strong><br />
anthropologische Gr<strong>und</strong>begriff des "Wachsens" nicht genug ernst genommen - denn<br />
alles Wachsen "hat se<strong>in</strong>e Zeit".<br />
Es genügt auch nicht, daß <strong>der</strong> Erwachsene, <strong>der</strong> Lehrer, sich se<strong>in</strong> Weltbild<br />
"zurechtzimmert"; er muß sich <strong>mit</strong> dem Weltverständnis des K<strong>in</strong>des, so wie es aus<br />
Elternhaus <strong>und</strong> Öffentlichkeit <strong>mit</strong> <strong>in</strong> die Schule gebracht wird, ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />
Auch die Welt des Lehrers <strong>und</strong> Erziehers wächst <strong>und</strong> <strong>der</strong> "er-wachsene" Pädagoge<br />
wird "se<strong>in</strong>er" Welt <strong>in</strong> immer neuen <strong>Leben</strong>sr<strong>in</strong>gen immer neu ent-wachsen müssen.<br />
(vgl. R.M.Rilke: "Ich lebe me<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> <strong>in</strong> wachsenden R<strong>in</strong>gen...")<br />
41
H.Kükelhaus hat die spiralige Drehbewegung als Urform <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>sentfaltung<br />
anschaulich gedeutet. "In <strong>der</strong> Spiralbewegung offenbart sich e<strong>in</strong> die ganze Natur <strong>in</strong><br />
allen Bereichen, von <strong>der</strong> Schnecke bis zu den Milchstraßen, vom organischen bis zum<br />
anorganischen <strong>Leben</strong> beherrschendes Ordnungspr<strong>in</strong>zip. Als K<strong>in</strong><strong>der</strong> waren wir<br />
fasz<strong>in</strong>iert vom Anblick des Strudels, <strong>mit</strong> dem das Badewasser <strong>in</strong> den Abfluß gurgelte.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> sehen an<strong>der</strong>s als Erwachsene. Bei ihnen ist <strong>der</strong> sowohl nervöse wie bluthafte<br />
Zusammenhang <strong>der</strong> Sehvorgänge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sehgegenstände <strong>mit</strong> allen an<strong>der</strong>en<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esverrichtungsorganen noch ebenso <strong>in</strong>nig verb<strong>und</strong>en, wie während <strong>der</strong>en<br />
Entwicklungsgeschichte vor <strong>der</strong> Geburt. Die Spiralbewegung ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Urformen,<br />
die die Entwicklungsbewegung des werdenden <strong>Leben</strong>s ausführen" (H.Kükelhaus, o.J.<br />
S.16).<br />
Die spiralige Strudelbewegung fasz<strong>in</strong>iert K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsene gleichermaßen, weil<br />
<strong>in</strong> ihr die organologische Urbewegung des <strong>Leben</strong>s überhaupt anschaulich wird. Das<br />
gilt im Materielen wie auch im geistigen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>sachsen <strong>in</strong> die Welt entfaltet<br />
sich zunehmend aus dem je neuen Herauswachsen ("Ent-wachsen") aus e<strong>in</strong>er Ebene <strong>in</strong><br />
die "nächst höhere" des "lebendigen Bewegungswirbels" unserer Welt.<br />
4. Kapitel<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>volle Bildung heute durch s<strong>in</strong>nliches Lernen<br />
4.1. <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nahes Lernen auch heute als bildungstheoretische Maxime<br />
"Man solle die Weisheit soviel als möglich nicht aus Büchern schöpfen, son<strong>der</strong>n aus<br />
<strong>der</strong> Betrachtung von Himmel <strong>und</strong> Erde, Eichen <strong>und</strong> Buchen ...<br />
Die D<strong>in</strong>ge müssen den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> nachgebracht werden: Sichtbares den Augen, Hörbares<br />
den Ohren, Riechbares <strong>der</strong> Nase, Schmeckbaren dem Geschmack, Fühlbares dem<br />
Gefühl."<br />
42
Wir alle kennen diese berühmt gewordene bildungstheoretische Maxime des ersten,<br />
großen Didaktikers <strong>der</strong> abendländischen Schulgeschichte: Johann Amos Comenius.<br />
Und als Comenius se<strong>in</strong>en "Orbis Sensualium Pictus" (Die Welt <strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>n) als 1.<br />
Sachbil<strong>der</strong>buch für die Schule geschaffen hatte, war ihm sehr wohl bewußt, daß dieser<br />
"Erdkreis <strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>n" nur e<strong>in</strong> "Schulnotsurrogat" se<strong>in</strong> konnte.<br />
Das war im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert - doch <strong>mit</strong> dem "Schulnotsurrogat" von Bil<strong>der</strong>n, Zeichen,<br />
Büchern <strong>und</strong> Medien anstelle <strong>der</strong> realen, s<strong>in</strong>nlichen Wirklichkeit leben Schul-Pädagogen<br />
heute noch! Die wirkliche s<strong>in</strong>nliche Erfahrung nimmt <strong>in</strong> unseren Schulen viel<br />
weniger Zeit <strong>und</strong> Raum e<strong>in</strong> als es die Bildungsanliegen eigentlich for<strong>der</strong>n. Der Weg<br />
von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> wird vielfach verkürzt gegangen, <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>heit von<br />
Anschauung <strong>und</strong> Weltanschauung, von Sachlichem <strong>und</strong> Sprachlichem - auch schon<br />
didaktische For<strong>der</strong>ungen von J.A.Comenius <strong>und</strong> bis heute vielfach neu erhoben - ist<br />
schwierig zu verwirklichen.<br />
Vielfach hört man huete, daß unsere Zeit e<strong>in</strong>e Zeit verlorener <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit (vgl.<br />
BäumlRoßnagl 1985) <strong>und</strong> unsere Schule e<strong>in</strong>e Schule "übergangener <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" (vgl.<br />
H.Rumpf 1981) sei. Der Verlust leiblich-s<strong>in</strong>nlicher <strong>Leben</strong>svollzüge sei e<strong>in</strong>e<br />
Hauptursache für den <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust <strong>in</strong> unserer Selbst- <strong>und</strong> Welterfahrung. Unsere<br />
rationelle, ent-s<strong>in</strong>nlichte Alltagswelt erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e <strong>Leben</strong>sführung, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit "<strong>mit</strong> Haut <strong>und</strong> Haar", <strong>mit</strong> "Kopf, Herz <strong>und</strong> Hand" oft nicht mehr<br />
möglich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> nicht mehr nötig zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en. Da<strong>mit</strong> ist viel an spürbarer,<br />
fühlbarer, greifbarer <strong>Leben</strong>squalität (im wahrsten <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Wortes) ab-"handen"<br />
gekommen.<br />
Den "Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>" gehen wir Erwachsene nur noch selten - an<strong>der</strong>s<br />
tun <strong>und</strong> wollen das immer noch die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, aber nur, wenn wir Erwachsene ihnen<br />
diesen s<strong>in</strong>nlichen Weg nicht verbauen. Das mahnt auch Erich Kästner <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
"Ansprache zum Schulbeg<strong>in</strong>n" an, wenn er den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> ihren Lehrern folgenden<br />
Rat gibt: "Laßt euch die K<strong>in</strong>dheit nicht austreiben! ...Man nötigt euch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />
eifrig von <strong>der</strong> Unter- über die Mittel- zur Oberstufe. Wenn ihr schließlich drobensteht<br />
<strong>und</strong> balanciert, sägt man die "überflüssig" gewordenen Stufen h<strong>in</strong>ter euch ab, <strong>und</strong> nun<br />
könnt ihr nicht mehr zurück. Aber müßte man nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em <strong>Leben</strong> wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
43
Hause treppauf <strong>und</strong> treppab gehen können? Was soll die schönste 1. Etage ohne Keller<br />
<strong>mit</strong> den duftenden Obstborden <strong>und</strong> ohne das Erdgeschoß <strong>mit</strong> <strong>der</strong> knarrenden Haustür<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> scheppernden Kl<strong>in</strong>gel? Nun - die meisten leben so! Sie stehen auf <strong>der</strong> obersten<br />
Stufe, ohne Treppe <strong>und</strong> ohne Haus, <strong>und</strong> machen sich wichtig. Früher waren sie<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>, nun s<strong>in</strong>d sie Erwachsene, aber was s<strong>in</strong>d sie nun? Nur wer erwachsen wird <strong>und</strong><br />
K<strong>in</strong>d bleibt, ist e<strong>in</strong> Mensch!"<br />
Gerade im letzten Jahrzehnt aber hat die Pädagogik, da die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>krise unserer<br />
<strong>Leben</strong>swelt vor allem auch als Wahrnehmungkrise erkannt wurde, viel<br />
<strong>Leben</strong>sbedeutsames <strong>und</strong> - um im Bild E.Kästners zu bleiben - auch die "unteren<br />
Stufen des Bildungsgeschehens wie<strong>der</strong> neu sehen gelernt. Die toten Lernzielkataloge<br />
e<strong>in</strong>er systematisch-abstrakten Curriculumtheorie wurden weith<strong>in</strong> "ad acta" gelegt. In<br />
unsere Schulen hat das lebendige K<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong> "E<strong>in</strong>zug halten dürfen", das K<strong>in</strong>d <strong>mit</strong><br />
se<strong>in</strong>em Leib <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Geist, "<strong>mit</strong> Kopf, Herz <strong>und</strong> Hand" (wie Pestalozzi so gerne<br />
sagte). So werden heute Lernstoffe <strong>und</strong> Lernstrategien als "kognitives Gepäck" <strong>der</strong><br />
Unterrichts- <strong>und</strong> Erziehungskunst häufig wie<strong>der</strong> auf den Rücken lebendiger K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
geschnürt Hand <strong>und</strong> Fuß, Kopf <strong>und</strong> Herz, Leib <strong>und</strong> Geist werden neu <strong>in</strong> ihrer e<strong>in</strong>heitlichen<br />
pädagogischen Bedeutung anerkannt. Viele Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen, Lehrer <strong>und</strong><br />
Erzieher mühen sich täglich auf vielfältige Weise um <strong>S<strong>in</strong>n</strong>kultivierung <strong>und</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung - zusammen <strong>mit</strong> ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n (vgl. auch Bäuml-Roßnagl 1990).<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>liches Lernen ist seit Jahren auch e<strong>in</strong> Anliegen von Lehreraus- <strong>und</strong> Lehrerfortbildungsprogrammen,<br />
<strong>und</strong> es gibt kaum e<strong>in</strong> Thema, das Erzieher <strong>und</strong> Lehrer mehr<br />
<strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> engagiert se<strong>in</strong> läßt. E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> viele Gr<strong>und</strong>schulklassen genügt, um<br />
die <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nähe <strong>der</strong> Bildungsbemühungen an s<strong>in</strong>nenfreudigen Klassenzimmern <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Schulhausgestaltung auch öffentlich wahrzunehmen.<br />
4.2. Die Kraft <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als Bildungsaufgabe für den Menschen<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit "an sich" zeitigt noch ke<strong>in</strong>e bildsamen Käfte. Aber humane Bildung ohne<br />
<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nähe kann nicht gel<strong>in</strong>gen. So haben immer wie<strong>der</strong> - <strong>in</strong> allen Kulturkreisen,<br />
nicht nur heute - Mahner zum Menschlichen darauf aufmerksam gemacht, daß des<br />
Menschen <strong>Leben</strong>sweg nicht nur auf dem Weg des Denkens s<strong>in</strong>nvoll gestaltet werden<br />
44
kann. Ob es Dichter <strong>und</strong> Maler <strong>mit</strong> ihren Gestaltungsmöglichkeiten ausgedrückt haben<br />
- ob es Forscher <strong>und</strong> Wissenschaftler auf unterschiedlichen Forschungswegen<br />
erk<strong>und</strong>eten: auf ihre je eigene Weise haben sie daran er<strong>in</strong>nert, daß <strong>der</strong> Mensch den<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> se<strong>in</strong>es <strong>Leben</strong>s <strong>und</strong> die Fülle <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>squalität nicht ohne se<strong>in</strong>e leiblichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e<br />
erlangen kann. Die leibgeb<strong>und</strong>ene Existenz des Menschen erfor<strong>der</strong>t den s<strong>in</strong>nlichleiblichen<br />
<strong>Leben</strong>svollzug.<br />
Viele Varianten e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>nvoll gestalteten <strong>Leben</strong>s aus <strong>der</strong> Kraft <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, aber<br />
auch die Kehrseite e<strong>in</strong>er uns<strong>in</strong>nig ausgelebten, vere<strong>in</strong>seitigten <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit erleben wir<br />
heute. Die humanen Mangelzustände <strong>in</strong> unserer zivilisatorisch-technisch geprägten<br />
<strong>Leben</strong>swelt werden uns gegenwärtig beängstigend bewußt. Der rationale <strong>und</strong><br />
rationelle <strong>Leben</strong>svollzug hat die Eigenschaften des Herzens, <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dsamkeit, des<br />
Gefühls <strong>und</strong> des Gewissens verkümmern lassen <strong>und</strong> doch: "sie schlummern auch auf<br />
dem Gr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er von <strong>der</strong> Zivilisation verachteten Seele" (wie Paul Tournier sagt).<br />
Mediz<strong>in</strong>er, Psychologen <strong>und</strong> Pädagogen vor allem haben immer wie<strong>der</strong> darauf<br />
h<strong>in</strong>gewiesen, daß <strong>der</strong> "kosmos anthropos" (He<strong>in</strong>rich Schipperges) nur dann <strong>in</strong><br />
Ordnung, nur dann <strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvoller Harmonie ist, wenn <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong>e Denk- <strong>und</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>eswelt, se<strong>in</strong>e Leib- <strong>und</strong> Geistdimensionen <strong>in</strong> regem Austausch <strong>und</strong> gegenseitiger<br />
Befruchtung lebt <strong>und</strong> erlebt. So betonte z.B. Paracelsus, daß <strong>der</strong> Mensch, will er<br />
ges<strong>und</strong> se<strong>in</strong>, so leben müsse, "daß auch die Augen den Verstand begreifen <strong>und</strong> daß es<br />
<strong>in</strong> den Ohren töne wie <strong>der</strong> Fall des Rhe<strong>in</strong>s <strong>und</strong> daß das Getöse <strong>der</strong> Philosophei also<br />
hell <strong>in</strong> den Ohren liege wie die sausenden W<strong>in</strong>de aus dem Meer, <strong>und</strong> die Zunge<br />
<strong>der</strong>maßen e<strong>in</strong> Wissen trage wie des Honigs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gall, <strong>und</strong> die Nase schmecke<br />
e<strong>in</strong>en jeglichen Geruch des ganzen Subjekts -" (Paracelsus <strong>in</strong>: Schipperges 1978,S.<br />
125).<br />
E<strong>in</strong>e Fehldeutung <strong>der</strong> menschlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit läßt die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane als<br />
Informationslieferanten <strong>und</strong> Orientierungsvehikel verstehen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er physikalistisch<br />
<strong>und</strong> biologistisch <strong>in</strong>terpretierten Reizumwelt. E<strong>in</strong>e solche Bedeutungszuweisung<br />
dokumentiert e<strong>in</strong> reduktives Verständnis des <strong>S<strong>in</strong>n</strong>s unserer <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e. Denn hier ersche<strong>in</strong>t<br />
<strong>der</strong> menschliche Organismus als e<strong>in</strong>er unter vielen, nicht aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er spezifisch<br />
menschlichen Bedeutung.<br />
45
Die Kulturszene <strong>der</strong> Gegenwart br<strong>in</strong>gt auf vielen Ebenen immer wie<strong>der</strong> das Phänomen<br />
<strong>der</strong> sog. "Wahrnehmungskrise" <strong>in</strong>s Gespräch. So stellen Kamper/Wulf <strong>in</strong> ihrem<br />
bekannten Buch "Das Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" (1984) die Frage, ob die "traditionelle<br />
Sicht, daß die menschlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens,<br />
Tastens immer zugleich auch soziale <strong>und</strong> historische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>stiftungen abgegeben<br />
haben", noch aufrecht erhalten werden kann. Und sie fragen weiter, ob "die<br />
Verabschiedung des traditionellen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>s von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit den Durchgang zu an<strong>der</strong>en<br />
Wahrnehmungsstrukturen unter Suspendierung gängiger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>strukturen" anzeigt. Die<br />
abendländische Metaphorik-Tradition hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Metaphorik des menschlichen<br />
Körpers e<strong>in</strong> Bedeutungsystem Sui generis verstanden: "In die zusammenhängenden<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Körpers spielte immer auch <strong>der</strong> jeweilige <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Solche<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisungen des Zusammenhangs waren historisch gerade zw<strong>in</strong>gend, so daß die<br />
Frage zugespitzt werden muß: Ist das umschriebene anthropologische Modell für<br />
zeitdiagnostische Vorstellungen <strong>und</strong> Darstellungen am Ausgang <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne noch<br />
brauchbar? Die Kunst deutet an, was auf dem Spiel steht: bis <strong>in</strong> die<br />
Wahrnehmungsprozesse h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> bleibt umstritten, ob <strong>der</strong> Körper modellhaft Zeugnis<br />
für e<strong>in</strong>e natürliche Sprache o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e geschichtliche Schrift ablegt" (ebda, S. 10).<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als bildende Kraft, die <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Existenz des Menschen un<strong>mit</strong>telbar<br />
verb<strong>und</strong>en ist, wird da<strong>mit</strong> für unsere heutige "deprivierte" (verarmte) <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung<br />
<strong>in</strong> Frage gestellt. Und doch sche<strong>in</strong>t es ke<strong>in</strong>en vernünftigen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvollen<br />
<strong>Leben</strong>svollzug des Menschen ohne se<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit zu geben. Denn <strong>der</strong> Mensch ist<br />
nur Mensch <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em "ganzen Leibe" Mensch - <strong>und</strong> <strong>der</strong> Leib des Menschen "ist"<br />
nicht ohne <strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit.<br />
Aber vielleicht täte es dem Gegenwartsmenschen gut, se<strong>in</strong> Selbstverständnis <strong>in</strong> aller<br />
Bescheidenheit wie<strong>der</strong> ganz nah aus <strong>der</strong> "organo-logischen" <strong>Leben</strong>sgestaltung heraus<br />
zu entwickeln. Rout<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>sführung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
technischen Zivilisation bekämen dann e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Gewichtung <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nennahes Tun<br />
des Menschen e<strong>in</strong>e Nähe zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, was J.R<strong>in</strong>gelnatz (1952, S. 94) im K<strong>in</strong><strong>der</strong>gedicht<br />
vom "K<strong>in</strong><strong>der</strong>sand" schlicht, aber e<strong>in</strong>drücklich aussagt:<br />
Das Schönste für K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist Sand<br />
46
Ihn gibts immer reichlich<br />
Er r<strong>in</strong>nt unvergleichlich<br />
zärtlich durch die Hand.<br />
Weil man se<strong>in</strong>e Nase behält<br />
wenn man auf ihn fällt,<br />
ist er so weich.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>f<strong>in</strong>ger fühlen,<br />
wenn sie <strong>in</strong> ihm wühlen,<br />
Nichts <strong>und</strong> das Himmelreich<br />
Denn ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d lacht<br />
über gemahlene Macht.<br />
Der Ausgang <strong>der</strong> "Mo<strong>der</strong>ne " ist für den Menschen ke<strong>in</strong> "Ausgang" aus <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>, wenn er selbst ihn nicht dazu bestimmt. Doch die Wahrnehmungskrise am<br />
"Ausgang <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne" ist sicher e<strong>in</strong>e Bildungsaufgabe, die das "Selbstverständlich-<br />
Menschliche" wie<strong>der</strong> <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> entdecken lernen muß.<br />
Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer rationalisierten Zivilisation oft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gefahr, das<br />
"Selbstverständlich-Menschliche" nicht mehr zu erfahren. Dieses Selbstverständlichste<br />
muß gleichsam "<strong>mit</strong> fremden Blick" neu gesehen werden. Die Wahrnehmung des<br />
Zerfalls von "Rout<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit" kann dann zur Quelle neuer<br />
<strong>Leben</strong>skunst werden: "Die Rout<strong>in</strong>e des Bescheid-Wissenden bekommt e<strong>in</strong>en Knacks.<br />
So unähnlich ist sie gar nicht dem leisen Entzücken des Sechsjährigen, dem es noch<br />
nicht das Selbstverständlichste von <strong>der</strong> Welt ist, daß über Nacht aus e<strong>in</strong>er<br />
Wasserpfütze dieses krachig glatte <strong>und</strong> spiegeliges Etwas geworden ist. Ne<strong>in</strong> - <strong>der</strong> tut<br />
nicht, worauf wir Erwachsenen Belehrungsfreudigen gerne warten: er stellt sich ke<strong>in</strong>e<br />
Schülerfrage. Er fragt nicht "wieso"? Er gerät <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit, die noch nicht<br />
auf Antworten aus ist. Er sagt: Guck mal! Hier ist was an<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt geworden -<br />
unvertraut, fremdartig, neu" (H.Rumpf 1986, S. 28).<br />
Ergänzend zum Verstandesdenken, das <strong>der</strong> neuzeitliche Mensch ja perfekt e<strong>in</strong>geübt<br />
hat, muß wie<strong>der</strong> das Fühl-Denken treten. Im Bildungsgeschehen ist die organologische<br />
47
Verwirklichung des Menschen <strong>und</strong> die organo-logische Deutung von Mensch <strong>und</strong><br />
Welt heute gleichermaßen gefor<strong>der</strong>t.<br />
4.3. Der Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> als Bildungsweg<br />
E<strong>in</strong> wahrlich großer Pädagoge unseres Jahrh<strong>und</strong>erts, M. Wagensche<strong>in</strong>, hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
lebenslangen Lehrtätigkeit als Ergebnis e<strong>in</strong>er lebendigen pädagogischen Bemühung<br />
immer wie<strong>der</strong> darauf aufmerksam gemacht, daß das "Stehen auf den Phänomenen" die<br />
Haltung e<strong>in</strong>es jeden Unterrichtenden se<strong>in</strong> muß, <strong>der</strong> bei se<strong>in</strong>en Schülern e<strong>in</strong> echtes<br />
"Verstehen" anstrebt. Und er kritisierte hart jene Gepflogenheiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em falsch<br />
verstandenen akademischen Unterricht, <strong>der</strong> "die Naturphänomene nur noch im<br />
Vorbeigehen streift, um dann eilig <strong>in</strong>s Apparative, Abstrakte, Laborhafte, Technische<br />
<strong>und</strong> Mathematisierte sich zu versteigen, so daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht mehr blickend,<br />
lauschend, handelnd teilnehmen können. In e<strong>in</strong>er bloßen Zuschauerhaltung<br />
lahmgelegt, können sie nicht e<strong>in</strong>mal s<strong>in</strong>nlich-körperlich anwesend se<strong>in</strong> <strong>und</strong> deshalb<br />
auch die Abstraktion nicht wirklich leisten" (M.Wagensche<strong>in</strong> 1983, S. 108).<br />
Zum<strong>in</strong>dest seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80iger-Jahre ist aber <strong>in</strong> unserem Bildungswesen - <strong>und</strong> ich<br />
me<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>s auch durch das persönliche Engagement vieler Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Lehrer - e<strong>in</strong>e gewisse Tendenzwende spürbar, e<strong>in</strong> "Tauwetter für die Eisigkeit <strong>der</strong><br />
wahnhaft verabsolutierten Rationalität" (Wagensche<strong>in</strong>). Die Problematik des<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlustes e<strong>in</strong>er von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> entfremdeten Schule wurde bei<br />
Bildungspolitikern, Bildungstheoretikern <strong>und</strong> Lehrplanmachern - zuvor aber schon bei<br />
Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrern - immer deutlicher gesehen. So wurde <strong>in</strong> den neueren<br />
Lehrplänen die For<strong>der</strong>ung nach mehr Anschauung <strong>und</strong> Anschaulichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Unterrichtsmethodik nachdrücklich neu erhoben; aber auch die E<strong>in</strong>sicht, daß die<br />
D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong>nerhalb ihres <strong>Leben</strong>sraumes erfahren, gefühlt, getastet, erlebt, gerochen,<br />
geschmeckt, gesehen <strong>und</strong> gehört werden müssen, wenn ihre s<strong>in</strong>nlichen Qualitäten<br />
ver<strong>in</strong>nerlicht <strong>und</strong> versprachlicht werden sollen, wurde neu lebendig. So haben <strong>der</strong><br />
Unterrichtsgang <strong>und</strong> außerschulische <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Lernsitutationen e<strong>in</strong> neues Gewicht<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e vertiefte Wertschätzung erhalten. Bei Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen, Lehrern <strong>und</strong><br />
Erziehern wächst die E<strong>in</strong>sicht, daß die Schule die <strong>Leben</strong>swelt des Alltags ernst<br />
48
nehmen muß <strong>und</strong> daß gr<strong>und</strong>legende Bildung heute nur geschieht, wenn Erwachsene<br />
<strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zusammen sich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen, Sachverhalten <strong>und</strong><br />
Menschen ihrer <strong>Leben</strong>swelt. Die Phänomene <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt wollen primär s<strong>in</strong>nlichleiblich<br />
<strong>und</strong> erst sek<strong>und</strong>är "medial" wahrgenommen se<strong>in</strong>. Die musisch s<strong>in</strong>nliche<br />
Betätigung ist dabei von elementarer Bedeutung. In ihr werden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> ihren<br />
<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> schöpferisch tätig; ihre <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e werden geschärft <strong>und</strong> sensibel gemacht für die<br />
Wahrnehmungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> menschlichen Innenwelt - Mitwelt - Umwelt. E<strong>in</strong> Augleich zur<br />
oft e<strong>in</strong>seitigen Leistung abfor<strong>der</strong>nden Lernwelt wird möglich. So fand die Mediation -<br />
fast e<strong>in</strong> Zauberwort unserer Zeit - auch E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> Schulen <strong>und</strong> Lehrpläne.<br />
Der Lehrer, die Lehrer<strong>in</strong> ist <strong>in</strong> ganzheitlicher Weise gefor<strong>der</strong>t. Denn "<strong>in</strong> die Nähe<br />
meditativer Erfahrungen können wir nur führen, wenn wir nicht den denkenden,<br />
logischen, abstrahierenden Verstand ansprechen, son<strong>der</strong>n jene tieferen, <strong>in</strong>nerlichen<br />
Schichten, <strong>in</strong> denen sich Erlebnis, Begegnung, Betroffenheit, Angerührtse<strong>in</strong> ereignet.<br />
Das bedeutet, daß wir nicht etwas <strong>in</strong>haltlich <strong>mit</strong>teilen, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> <strong>in</strong> uns Vollzogenes<br />
dem an<strong>der</strong>en so ver<strong>mit</strong>teln, daß es für ihn vollziehbar wird" (K.Tilmann, 1969 S. 98).<br />
Wer selbst die sogenannten Sachen erk<strong>und</strong>et <strong>und</strong> das dann geme<strong>in</strong>sam <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
tut, wird Sacherfahrungen zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrungen führen können.<br />
Aber auch e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weg zur <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule beschreiten vor allem<br />
Gr<strong>und</strong>schul- <strong>und</strong> Sachunterichtslehrpläne (Son<strong>der</strong>schule<strong>in</strong>richtungen quasi PER SE<br />
schon immer!): "Entdecken, was die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e leisten" ist hier die Maxime, welche<br />
anregen möchte zu sachunterrichtlichen Sequenzen über Leistung <strong>und</strong> Funktion <strong>der</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane. Durch Lernziele etwa folgen<strong>der</strong> Art sucht man dieses Ziel zu erreichen<br />
(J.Meyer 1985, S. 40).<br />
"Der Schüler soll:<br />
die Leistungen e<strong>in</strong>iger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane spielerisch entdecken - selbständig<br />
Grenzen <strong>und</strong> Leistungen e<strong>in</strong>iger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane erkennen <strong>und</strong> beschreiben<br />
die Wahrnehmungen Riechen, Hören, Tasten, Sehen den entsprechenden<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorganen zuordnen können<br />
erkennen, daß nur alle <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>en richtigen E<strong>in</strong>druck<br />
von Gegenständen ver<strong>mit</strong>teln können<br />
49
die Bedeutung e<strong>in</strong>iger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane <strong>in</strong> alltäglichen Situationen beschreiben<br />
können<br />
die Leistungen <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane erproben <strong>und</strong> die Wahrnehmung schulen<br />
lernen, daß die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane e<strong>in</strong>e Orientierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umwelt ermöglichen."<br />
Für e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Bildung ist es dabei wichtig, daß <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> unseren Schulen<br />
<strong>der</strong> Versuchung wi<strong>der</strong>standen, wird vorschnelle abstrakte <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisungen ohne den<br />
zugehörigen s<strong>in</strong>nlichen Erfahrungsgr<strong>und</strong> vorzunehmen.<br />
4.4. Gr<strong>und</strong>legende Bildung im Spannungsverhältnis von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit <strong>und</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung<br />
Der Begriff "gr<strong>und</strong>legende Bildung" ist e<strong>in</strong> zentraler Begriff <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong><br />
Gr<strong>und</strong>schullehrerausbildung. Es gibt dazu programmatische Ausführungen, die fast<br />
<strong>mit</strong> Sprachspielen zu vergleichen s<strong>in</strong>d, so z.B. "gr<strong>und</strong>legende Bildung" heißt, "den<br />
Gr<strong>und</strong> legen für die aufbauende Bildung des jungen Menschen" - doch zu welchem<br />
"Bild" vom Menschen soll <strong>der</strong> "Gr<strong>und</strong>" gelegt werden? Schon diese noch sehr<br />
abstrakte Frage br<strong>in</strong>gt so manche gut kl<strong>in</strong>genden Lehrplanpräambeln <strong>in</strong> konkrete<br />
Verlegenheit.<br />
E<strong>in</strong>e nähere "Operationalisierung" dieser Bildungsaufgabe führt zu zahlreichen<br />
E<strong>in</strong>zeltätigkeiten von Schülern <strong>und</strong> Lehrern im Lernprozeß, von denen hier, vor allem<br />
bezogen auf den Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule, nur e<strong>in</strong>ige angeführt werden.<br />
E<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe des Sachunterrichts liegt dar<strong>in</strong>, Sachverhalte zu "ergründen".<br />
Zu diesem Ergründen gehört das Erk<strong>und</strong>en, Erfragen, Entdecken, Erproben:<br />
Arbeitsweisen, die den Sachunterricht methodisch prägen, Arbeitsweisen, die aber<br />
e<strong>in</strong>geengt nur aus fachdidaktischer o<strong>der</strong> fachwissenschaftlicher Perspektive<br />
"formalisiert" verstehen kann (vgl. Bäuml-Roßnagl 1989). Es gibt für das Erk<strong>und</strong>en,<br />
Erfragen, Entdecken aber auch den Zugang vom "K<strong>in</strong>d als Ganzem" her, vom<br />
"Menschen als Ganzem" her. Da geschieht das Fragen <strong>und</strong> Entdecken nicht <strong>mit</strong> dem<br />
"Kopf" alle<strong>in</strong>, nur <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Intelligenz des K<strong>in</strong>des, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kognition, son<strong>der</strong>n<br />
entdeckendes Lernen wird vollzogen <strong>mit</strong> dem ganzen Körper, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> ganzen<br />
Leiblichkeit, <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>: also <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>!<br />
50
Gr<strong>und</strong>legende Bildung nur <strong>mit</strong> den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> o<strong>der</strong> nur <strong>mit</strong> dem Denken vollzogen ist<br />
ke<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende Bildung, weil sie den Menschen als "Ganzen" nicht zu sich<br />
kommen läßt.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Aufgabe <strong>der</strong> "Gr<strong>und</strong>legung von Bildung" besteht dar<strong>in</strong>, Sachverhalte<br />
begründen zu können <strong>mit</strong> "<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>". Auch dieses Begründenkönnen, das<br />
irgendwo auf diese Frage nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> h<strong>in</strong>tendiert, den <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zusammenhang <strong>der</strong><br />
D<strong>in</strong>ge "sehen" will, kann nur dann <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gut geschehen, wenn s<strong>in</strong>nliche<br />
Tätigkeiten vorausgegangen s<strong>in</strong>d, wenn ke<strong>in</strong> "verkopftes" Begründen gefor<strong>der</strong>t ist -<br />
ke<strong>in</strong> Denken primär <strong>in</strong> Formeln, <strong>in</strong> mathematischen Gleichungen. Das Begründen muß<br />
erwachsen aus <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen, aus <strong>der</strong> leiblichen<br />
Erfahrung, es muß aus den leiblichen Erlebnissen heraus ver<strong>mit</strong>telt se<strong>in</strong>.<br />
Sich-Wissen-aneignen ist e<strong>in</strong>e weitere gr<strong>und</strong>legende Bildungsaufgabe. E<strong>in</strong> Wissen,<br />
das nur <strong>mit</strong> dem Kopf "erreicht" wird, ist etwas ganz an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong> Wissen, das auch<br />
auf Erlebnissen <strong>und</strong> Erfahrungen gründet. Das gilt beson<strong>der</strong>s für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>, aber auch noch für Erwachsene! Die Vorstellung (o<strong>der</strong><br />
Wirklichkeit), daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> isoliert vor e<strong>in</strong>em PC sitzen <strong>und</strong> sich die Welt wie e<strong>in</strong> "Bit"<br />
aneignen, ist e<strong>in</strong>e Vorstellung, die nichts zu tun hat <strong>mit</strong> dem Anliegen e<strong>in</strong>er<br />
gr<strong>und</strong>legenden Bildung. Dieses sucht nach Zusammenhängen von Wissen <strong>und</strong><br />
Können, nach Zusammenhängen, die verdeutlichen, daß <strong>der</strong> Mensch als "Ganzer" lebt,<br />
<strong>mit</strong> sich, <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Umwelt. Leiblichkeit <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit<br />
gehören zu diesem ganzen Menschen. Und das heißt lernen, gründlich zu se<strong>in</strong> im<br />
Sachumgang, achtsam <strong>und</strong> allseitig <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen umgehen - e<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> lang! Dazu<br />
gehört nicht nur das s<strong>in</strong>nliche Tun: Hören, Sehen, Fühlen, Tasten, Empf<strong>in</strong>den - dazu<br />
gehört auch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Komplex wie die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille: achtsam se<strong>in</strong> im<br />
H<strong>in</strong>blick auf die Bedeutung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, auf das, was sich von den D<strong>in</strong>gen her "zeigt".<br />
Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>e abtasten, dann empf<strong>in</strong>den sie viel mehr als nur "Form"-merkmale<br />
- sie fühlen, was e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> "ausmacht". Sacherfahrungen <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erlebnisse werden<br />
oft gleichzeitig erlebt.<br />
51
Solche s<strong>in</strong>n-lichen Erfahrungen sollen Schüler auch <strong>in</strong> unseren Schulen machen - an<br />
exemplarischen Beispielen, wo die Sachen <strong>mit</strong> möglichst vielen Aspekten "zur<br />
Sprache kommen" <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong> Mensch als Ganzer "zum Zuge"<br />
kommt. Dann geschieht auch die Sprachentfaltung sachgerecht <strong>und</strong> "von <strong>in</strong>nen<br />
heraus". Voraussetzung für solche Bildungskonzepte ist, daß Lehrer <strong>und</strong> Erzieher<br />
selbst solche s<strong>in</strong>n-lichen Bildungswege beschreiten. Pestalozzi hat das bereits 1780<br />
gefor<strong>der</strong>t: "Erzieher sollen den ganzen Kreis <strong>der</strong> Gegenstände, die die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des<br />
K<strong>in</strong>des nahe berühren, <strong>in</strong>s Auge fassen <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem K<strong>in</strong>d zusammen behandeln". E<strong>in</strong>e<br />
gute pädagogische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>(e)übung ist es, e<strong>in</strong>e Liste über diesen "ganzen Kreis <strong>der</strong><br />
Gegenstände, welche die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des K<strong>in</strong>des heute nahe berühren", zusammenzustellen<br />
- alle D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Situationen unserer alltäglichen <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Lernwelt, so man fühlt:<br />
da s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlich <strong>mit</strong> Gegenständen <strong>in</strong> Kontakt.<br />
Diesen "Kreis <strong>der</strong> Gegenstände" hat die Schule weith<strong>in</strong> <strong>mit</strong> den sachunterrichtlichen<br />
Inhaltsstoffen gleichgesetzt - <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Gültigkeit ist fraglich. Wenn wir heute e<strong>in</strong>e<br />
alltags- <strong>und</strong> lebensweltorientierte Pädagogik wollen, dürfen wir die Anstrengung nicht<br />
scheuen, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sweltd<strong>in</strong>gen "<strong>in</strong>s Gesicht" zu sehen; recht oft haben<br />
diese Alltagsphänomene e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Gesicht als <strong>in</strong> fachdidaktischen<br />
Merkmalsbeschreibungen. Wir sollten gerade <strong>in</strong> unserem gr<strong>und</strong>legenden<br />
Bildungswesen ke<strong>in</strong>e falschen Bil<strong>der</strong> von Menschen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Welt ver<strong>mit</strong>teln,<br />
weil uns die "Anstrengung des Gemüts" (R.z.Lippe) zu mühsam ist, <strong>und</strong> wir die<br />
Anstrengung des Begriffs me<strong>in</strong>en "geleistet" zu haben. Denn: "E<strong>in</strong>bildung,<br />
menschliches Wissen wird versäumt, wenn es nur e<strong>in</strong>e Liste <strong>der</strong> Fakten ist o<strong>der</strong> nur<br />
esoterische E<strong>in</strong>bildung - entscheidend ist die menschliche Begegnung. Beide<br />
versperren sich dem Wesentlichen an Erfahrung; sie erlauben dem Erleben nicht, im<br />
Erlebenden e<strong>in</strong>e Vorstellung vom Begegneten bis zu ihrer Übertragbarkeit auf Neues<br />
auszureifen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> neues Unterscheidungsvermögen als die Kraft wachsen zu lassen.<br />
Gefühlsduselei <strong>und</strong> Datenhuberei stehen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> als traurige Alternativen gegenüber<br />
<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sich gleich im Entscheidenden: die Anstrengungen des Gemüts bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> Erwachsenen über die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung <strong>in</strong><strong>mit</strong>ten <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung" (R.z.Lippe<br />
1988).<br />
52
5. Kapitel<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des menschlichen <strong>Leben</strong>s<br />
5.1. Der Mensch ist fortschreitende Bewegung<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Schaukel erfahren <strong>in</strong> fortschreiten<strong>der</strong> Bewegung schaukelnd lustvoll<br />
sich im E<strong>in</strong>klang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt. Die "übergängliche Elastizität" (H.Kükelhaus) br<strong>in</strong>gt<br />
e<strong>in</strong>e Harmonie des Sich-Fühlens. Wenn <strong>der</strong> Mensch sich "schw<strong>in</strong>gend" - <strong>in</strong><br />
rhythmischer Bewegung - auf die Welt e<strong>in</strong>läßt, kann er sich "im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>klang" <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />
Welt erfahren: "So wird das Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gegensätze Steigen <strong>und</strong> Fallen, Heben <strong>und</strong><br />
Senken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pendelschw<strong>in</strong>gung als e<strong>in</strong> keimartiges Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vonstatten gehen, so -<br />
im Gleichklang <strong>mit</strong> <strong>der</strong>en Wahrnehmung wird das Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von mir, dem Subjekt,<br />
<strong>und</strong> dem Pendel als Objekt e<strong>in</strong> ebenso keimhaftes Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wie die Steige- <strong>und</strong><br />
Fallkraft im schw<strong>in</strong>genden Pendel" (H.Kükelhaus 1974, S. 230).<br />
Auch das Nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong> Stufen e<strong>in</strong>er Treppe ersteigt <strong>der</strong> Mensch "pendelnd" <strong>mit</strong><br />
se<strong>in</strong>em ganzen Leibe. Und auf allen Wegen kommt <strong>der</strong> Mensch "pendelnd" <strong>und</strong><br />
"fe<strong>der</strong>nd" am schnellsten voran. In <strong>der</strong> Pendelschw<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Schritte, organisch<br />
durch die Gelenke "vorprogrammiert", wird das zeitliche Nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schritte zu<br />
e<strong>in</strong>em harmonischen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> "se<strong>in</strong>es" Gangs. Fortschreitend geht <strong>der</strong> Mensch den<br />
"Gang" se<strong>in</strong>es <strong>Leben</strong>s - im wörtlichen <strong>und</strong> im geistigen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> (vgl. Bäuml-Roßnagl<br />
1990, S. 242).<br />
Für K<strong>in</strong><strong>der</strong> bedeutet <strong>Leben</strong> immer Bewegung. Aus pädagogischer Sicht, aus<br />
psychologischer Sicht, aus anthropologischer Sicht - immer ist Bewegung e<strong>in</strong><br />
Hauptmerkmal des k<strong>in</strong>dlichen <strong>Leben</strong>s. K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben nur dann ihre K<strong>in</strong>dheit wirklich<br />
aus, wenn sie sich <strong>in</strong> ihrer Existenz <strong>in</strong> allen Dimensionen <strong>und</strong> <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong><br />
53
ewegen. Dazu haben Psychologen <strong>und</strong> Pädagogen seit etwa 100 Jahren viele<br />
Forschungsergebnisse beigetragen <strong>und</strong> festgestellt, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> nur dann ihren Geist<br />
<strong>und</strong> ihre Psyche s<strong>in</strong>nvoll entwickeln können, wenn sie die körperliche, die leibliche<br />
Bewegung von kle<strong>in</strong> auf ganz <strong>in</strong>tensiv leben können. Der Mensch <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />
junge Mensch strebt ständig e<strong>in</strong>er neuen Gestalt entgegen. Es ist e<strong>in</strong>e<br />
Gr<strong>und</strong>eigenschaft des <strong>Leben</strong>s, daß es nur "<strong>in</strong>" Bewegung ist. Bewegungslosigkeit<br />
bedeutet Tod.<br />
Umso problematischer ist es, wenn sich <strong>der</strong> Bewegungsalltag unserer Gr<strong>und</strong>schüler<br />
kaum vom bewegungsarmen Alltagsleben <strong>der</strong> Erwachsenen unterscheidet. Daß <strong>Leben</strong><br />
durch Bewegung erst ist <strong>und</strong> daß die k<strong>in</strong>dliche Entwicklung durch Fülle o<strong>der</strong> Fehlen<br />
von Bewegungsmöglichkeiten geför<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird, das ist e<strong>in</strong>e <strong>mit</strong>tlerweile<br />
auch <strong>in</strong>s öffentliche Bewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegangene Wahrheit. Doch wie wenig s<strong>in</strong>d die<br />
<strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Erziehungsräume unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong> von dieser existentiell notwendigen<br />
Bed<strong>in</strong>gung her geprägt!<br />
Sicher gibt es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> curricularen Zielsetzung im Schul- <strong>und</strong> Sportuntericht<br />
vielfältige Bemühungen, Bewegungsschulung zu för<strong>der</strong>n. Jedoch ist e<strong>in</strong>e am "ganzen"<br />
Menschen, am "ganzen" K<strong>in</strong>d orientierte Bewegungserziehung noch nicht genug<br />
entwickelt <strong>und</strong> das K<strong>in</strong>d als "homo sedens" ist e<strong>in</strong>e wichtige Ursache für die<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung an <strong>Leben</strong>squalität <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sfreude <strong>in</strong> unserer Gesellschaft. Denn je<strong>der</strong><br />
Mensch - <strong>und</strong> <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße das K<strong>in</strong>d - muß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Leben</strong>serfahrung <strong>und</strong><br />
Leistungsfähigkeit se<strong>in</strong>e leiblichen <strong>und</strong> geistigen Möglichkeiten zusammen<br />
realisieren. Nur dann entwickeln sich auch gut funktionierende Organe <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e, die<br />
<strong>in</strong> ihrer Gesamtheit die Basis für das Lernen, Leistenkönnen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>lernen <strong>in</strong> allen<br />
Dimensionen ausmachen.<br />
5.2. Von <strong>der</strong> befremdlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung zur fragenden <strong>S<strong>in</strong>n</strong>suche<br />
Der bekannte Pädagoge <strong>der</strong> Naturwissenschaften, M.Wagensche<strong>in</strong>, hat e<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> lang<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> beobachtet <strong>und</strong> bes<strong>in</strong>nliche Analysen dazu vorgestellt, wie sich K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
denkend, sprechend oft auch handelnd spontan verhalten, wenn unerwartete<br />
Naturphänomene e<strong>in</strong>e Verw<strong>und</strong>erung <strong>in</strong> ihnen auslösen. Es setzt dann e<strong>in</strong> erstes<br />
54
Fragen <strong>und</strong> Suchen e<strong>in</strong>: die ersten Regungen für e<strong>in</strong> auch physikalisches<br />
Naturverständniss bahnen sich an. "Der Weg, auf dem diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> angetroffen<br />
werden, ist nicht e<strong>in</strong>e schon gebahnte Straße, auf welche man sie gesetzt hätte, da<strong>mit</strong><br />
sie ihr nun weiter folgen. Niemand braucht sich zu überlegen, wer diese K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
motivieren, <strong>in</strong>teressieren o<strong>der</strong> gar begeistern könnte. Nichts braucht ihnen<br />
nahegebracht werden, es geht ihnen von selber nahe. Ke<strong>in</strong>er hat sie ausgefragt. Sie<br />
haben etwas Befremdendes erlebt, <strong>und</strong> haben sich dann selber fragen müssen, was hier<br />
los sei" (M.Wagensche<strong>in</strong>, 1976, S.10ff).<br />
In e<strong>in</strong>gängiger Sprache macht Wagensche<strong>in</strong> deutlich, wie diese befremdliche<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung zum Fragen nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des Erfahrenen h<strong>in</strong>führt: Und M.<br />
Wagensche<strong>in</strong> fragt weiter: "Was setzt sie <strong>in</strong> Bewegung, fragt <strong>der</strong> Pädagoge, was lockt<br />
sie <strong>in</strong> jene Richtung, als wären sie wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vogelschwarm angeführt. Es sche<strong>in</strong>t,<br />
als wäre dieser Impuls, <strong>der</strong> diesen Forschungszug <strong>in</strong> Strömung br<strong>in</strong>gt, nicht jenes<br />
bew<strong>und</strong>ernde <strong>und</strong> ehrfürchtige Staunen, das man vor dem Sternenhimmel empf<strong>in</strong>den<br />
kann o<strong>der</strong> vor dem Niagarafall, wie auch vor dem menschlichen Bemühungen des<br />
Sports, <strong>der</strong> Kunst, <strong>der</strong> Technik, <strong>der</strong> Wissenschaft. Nicht das große Auge <strong>der</strong> Andacht,<br />
auch nicht <strong>der</strong> suchende Blick des Sammlers von Neuigkeiten - es ist die umwölkte<br />
Stirn <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>erung, ja <strong>der</strong> Beunruhigung, die das Gesicht dessen zeichnet, <strong>der</strong><br />
hier die ersten Schritte tut" (ebda).<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er bekannter, phänomenologisch orientierter Pädagoge, M.J. Langeveld,<br />
spricht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von "Appell <strong>der</strong> Sachen an das Menschenk<strong>in</strong>d"<br />
(1968, S. 146) In se<strong>in</strong>em berühmt gewordenen Beispiel von <strong>der</strong> leeren Schachtel<br />
verdeutlicht er den Appell <strong>der</strong> Sachen an den Menschen zur <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung: "Schenken<br />
wir <strong>in</strong> Gedanken e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Schachtel - Wir schenken ihm tatsächlich<br />
e<strong>in</strong>e Anfor<strong>der</strong>ung, denn was gehört denn da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>? Die Leere starrt e<strong>in</strong>en schweigend<br />
an. So kann es nicht bleiben. Das K<strong>in</strong>d vernimmt diese Schweigestimme sehr wohl,<br />
diese Schweigestimme <strong>der</strong> Schachtel. Es schaut sich bald um, <strong>und</strong> nach e<strong>in</strong>igen<br />
M<strong>in</strong>uten hat sich etwas da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gef<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> es steht e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Bettler vor uns.<br />
Aber was soll ich jetzt da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tun?" Der "Appell", <strong>der</strong> "Auffor<strong>der</strong>ungscharakter" <strong>der</strong><br />
D<strong>in</strong>ge for<strong>der</strong>t den Menschen zu Bedeutungs-(<strong>S<strong>in</strong>n</strong>-)Gebung <strong>und</strong> Handlung heraus.<br />
55
Nehmen wir die Fragen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht ernst - <strong>und</strong> zwar so, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute diese<br />
Fragen stellen - leisten wir e<strong>in</strong>en Sachunterricht, <strong>der</strong> Informationen br<strong>in</strong>gt, aber nicht<br />
<strong>Leben</strong>swelterklärungen. Und wenn auch uns Erwachsenen die Fragen <strong>in</strong>nerlich näher<br />
s<strong>in</strong>d als vorschnell tradierte, aber lebensweltferne Antworten, ist es im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>er<br />
verantwortlichen Gegenwartspädagogik, sich <strong>mit</strong> den jungen Menschen zusammen auf<br />
"fragende <strong>S<strong>in</strong>n</strong>suche" zu begeben. Es kann e<strong>in</strong>e wichtige Vorstufe für diese<br />
Gr<strong>und</strong>haltung se<strong>in</strong>, selbst als "Er-wachsener" neu zu lernen, befremdliche<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrungen zu machen.<br />
5.3. Ohne Sachphänomene ke<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>phänomene -<br />
ohne Leiblichkeit ke<strong>in</strong>e menschlich s<strong>in</strong>nvolle Geistigkeit<br />
Pestalozzi schreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Stanzer Brief (1782): "Die Schule br<strong>in</strong>gt dem Menschen<br />
das Urteil <strong>in</strong> den Kopf ehe er die Sache sieht <strong>und</strong> kennt." Diese Kritik an e<strong>in</strong>er Schule,<br />
die e<strong>in</strong>seitig kognitiv orientiert ist, haben alle reformpädagogischen Strömungen seit<br />
dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert aufgegriffen. Die Anfor<strong>der</strong>ung, mehr Anschauung, mehr<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit direkt <strong>in</strong> die Schule h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen, hat beson<strong>der</strong>s die sogenannte<br />
"Pädagogik vom K<strong>in</strong>de aus" um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende betont (Montessori,<br />
Scharrelmann, Ellen Key, Gansberg, Kerschenste<strong>in</strong>er u.a.).<br />
Die Strömung <strong>der</strong> Neuorientierung am sogenannten "K<strong>in</strong>d" im vergangenen Jahrzehnt<br />
hat sich ebenso engagiert gegen e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>seitigende sogenannte<br />
"Verwissenschaftlichung" <strong>und</strong> falsche Akademisierung des Unterrichts gewandt, <strong>in</strong><br />
denen bereits <strong>in</strong> den Gr<strong>und</strong>schulen Theorien <strong>und</strong> Formeln, abstrakte Begrifflichkeit<br />
<strong>und</strong> abstrahierte Leitsätze höher geschätzt wurden als e<strong>in</strong>e aus <strong>der</strong> konkreten<br />
Erfahrung gewonnene Erkenntnis. Beson<strong>der</strong>s für die naturwissenschaftlichen<br />
Fach<strong>in</strong>halte ist die Art <strong>der</strong> Erkenntnis- <strong>und</strong> Wissensaneignung zu diskutieren, wenn<br />
nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> gewonnenen naturwissenschaftlichen Kenntnisse gefragt wird -<br />
<strong>und</strong> dazu liegen <strong>in</strong> Schule <strong>und</strong> Alltagsleben oftmals Mißverständnisse zugr<strong>und</strong>e.(vgl.<br />
M.Wagensche<strong>in</strong> 1976)<br />
56
Musik gleich Lufterschütterung o<strong>der</strong> Wellenlänge, Wärme gleich<br />
Molekularbewegung, Farbe als elektromagnetische Wellenlänge: das kennzeichnet die<br />
Phänomene <strong>der</strong> Alltagswelt eben nur unter e<strong>in</strong>em ganz kle<strong>in</strong>en Sektor, dem<br />
Physikalischen <strong>und</strong> nicht unter dem gesamten alltagsweltlichen Phänomen. Was<br />
Musik <strong>und</strong> Farbe für den Menschen an vielfältiger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>es- <strong>und</strong> s<strong>in</strong>ngeben<strong>der</strong><br />
<strong>Leben</strong>squalität bedeuten können, überschreitet physikalische Erklärungsmodelle<br />
vielfach - das zeigt nicht zuletzt die bunte meditative Kulturszene <strong>der</strong> Gegenwart <strong>in</strong><br />
diesen Bereichen.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> können noch unterscheiden, daß blau nicht gleich blau ist, rot nicht gleich rot,<br />
grün nicht gleich grün - daß e<strong>in</strong>e blaue Kornblume an<strong>der</strong>s "blau" ist als ihr blauer<br />
Pullover, daß an<strong>der</strong>e Erfahrungs- <strong>und</strong> Empf<strong>in</strong>dungsqualitäten da s<strong>in</strong>d. An<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>zeichnungen kann man das oft anschaulich ablesen, wenn<br />
Empf<strong>in</strong>dungsqualitäten für das K<strong>in</strong>d die Wahl dieses o<strong>der</strong> jenes Farbstiftes bestimmen<br />
<strong>und</strong> nicht die "natürliche" Farbgebung blau, rot, grün.<br />
Die k<strong>in</strong>dliche Sacherfahrung wird begleitet von Emotionen <strong>und</strong> Denkprozessen. Die<br />
k<strong>in</strong>dliche Sacherfahrung ist nicht zu trennen von dem, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> fühlen, von dem<br />
was K<strong>in</strong><strong>der</strong> denken. E<strong>in</strong>e analytische Scheidung <strong>in</strong> das, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> fühlen, spüren,<br />
<strong>mit</strong> ihren 5 <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> wahrnehmen o<strong>der</strong> was sie denken, das können wir als Erwachsene<br />
tun. K<strong>in</strong><strong>der</strong> selbst empf<strong>in</strong>den, erleben diese Situationen komplex, denn: "Wahrnehmen<br />
ist leibgeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> das heißt, sie wird über alle <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e ganzheitlich erfahren <strong>und</strong><br />
gew<strong>in</strong>nt dadurch eben ihre Intensität. K<strong>in</strong><strong>der</strong> behalten e<strong>in</strong> ursprünglich vitales<br />
Verhältnis zu ihrer Umgebung <strong>und</strong> zu den Menschen. Ihre Wahrnehmung ist s<strong>in</strong>nlich<br />
bestimmt <strong>und</strong> diese <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit führt zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung h<strong>in</strong>" (D.Baacke 1984, S.133).<br />
9-jährige K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Optimum erreicht <strong>in</strong> ihrer Entwicklung,<br />
sie denken nicht zu kompliziert, sie verlieren sich nicht <strong>in</strong> weitergehenden<br />
Abstraktionen, bleiben aber sachbezogen, d.h. die Waage "Denken-Fühlen" ist dort,<br />
wo wir die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Alter "sie selbst" se<strong>in</strong> lassen, relativ im Gleichgewicht.<br />
Als Pädagogen <strong>und</strong> Lehrer sollen wir deshalb vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule dafür<br />
Sorge tragen, daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihre Erkenntnisse <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>fragen konkret an den D<strong>in</strong>gen<br />
o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest an den "Phänomenen" <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt erarbeiten können. Der ganze<br />
57
Leib, <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>, ist dabei <strong>der</strong> "Organismus des Denkens". Erst im Anschluß an<br />
die phänomenalganzheitlichen Erfahrungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> kann die Schule erklärende<br />
Modellvorstellungen <strong>und</strong> Fachbegriffe ver<strong>mit</strong>teln - diese aber zum Zwecke des<br />
besseren "Verstehens" <strong>der</strong> lebensweltlichen Phänomene. Das Erkenntnisniveau <strong>der</strong><br />
Schule liegt zwischen den alltäglichen Phänomenen <strong>und</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Fachwelt. Im "guided discovery learn<strong>in</strong>g" wird dieses Erkennen im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e "des Stehens<br />
auf den Phänomenen" (M.Wagensche<strong>in</strong>) gesucht. Aus körperlichen Vorgängen <strong>in</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorganen <strong>und</strong> Gehirn "wird" im Umgang <strong>mit</strong> den konkreten D<strong>in</strong>gen die Welt -<br />
immer wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> neu für den Menschen. Und die K<strong>in</strong><strong>der</strong> stellen<br />
uns Erwachsenen immer wie<strong>der</strong> neue Fragen dazu.<br />
Gerade die Sachphänomene <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> unsicher gewordenen <strong>Leben</strong>swelt können <strong>in</strong><br />
"geme<strong>in</strong>samer Befragung" durch Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong>phänomenen<br />
werden. K<strong>in</strong><strong>der</strong> helfen, die notwendige Leiblichkeit dort e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, wo vorschnelle<br />
Theoretisierung zu Unwahrheit führt.<br />
5.4. Das menschliche <strong>Leben</strong> ist <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit<br />
Der <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des menschlichen <strong>Leben</strong>s ist ke<strong>in</strong> "vorweg"-gegebener <strong>S<strong>in</strong>n</strong>; er schließt sich<br />
erst auf dem Weg <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen <strong>Leben</strong>sführung des Menschen M.J. Langeveld (1968<br />
S. 143) hat diese These <strong>in</strong> 3 Schritten entfaltet:<br />
1. Der Mensch hat e<strong>in</strong>e Welt <strong>und</strong> ist <strong>mit</strong>samt dieser Welt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Aufgabe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en.<br />
Die Welterfahrung die D<strong>in</strong>gerfahrung ist - das merkt man vor<br />
allem schon beim K<strong>in</strong>d nicht vorgesetzt, son<strong>der</strong>n Welt <strong>und</strong> D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d für den<br />
Menschen e<strong>in</strong>e Aufgabe. Er wird durch die Alltagsd<strong>in</strong>ge aufgefor<strong>der</strong>t, zu<br />
handeln.<br />
2. Die Aufgabe, die dem Menschen zukommt, ist e<strong>in</strong>e Deutungs- <strong>und</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit.<br />
3. Die Deutung o<strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung kann außerordentlich verschiedene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>bezüge<br />
aktualisieren. Die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung ist nicht festgelegt."<br />
58
Auf welche Weise die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung <strong>und</strong> Deutungsarbeit geschieht, ist vor allen D<strong>in</strong>gen<br />
durch die Art des s<strong>in</strong>nlichen Umgangs <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Gegebenheiten <strong>der</strong> Um-<br />
Welt <strong>und</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlich s<strong>in</strong>nenhaften Kommunikation <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen bestimmt.<br />
Solche "Kreativität" im Umgang <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen haben K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch heute noch - auch<br />
wenn wir Erwachsene oft me<strong>in</strong>en, unsere "normierte" <strong>Leben</strong>sführung schon möglichst<br />
früh auf sie "übertragen" zu müssen - <strong>und</strong> das oft genug noch durch uns<strong>in</strong>nige<br />
Erziehungsziele wie "Das tut man nicht!" Dabei hat die Kreativitätsforschung schon<br />
seit geraumer Zeit empirisch nachgewiesen, daß die Flexibilität, Vielseitigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Ideenreichtum Kennzeichen hoher (zum<strong>in</strong>dest) pragmatischer Alltags<strong>in</strong>telligenz s<strong>in</strong>d!<br />
Die s<strong>in</strong>nliche Beschränkung <strong>in</strong> <strong>der</strong> alltäglichen <strong>Leben</strong>swelt zw<strong>in</strong>gt uns heute geradezu,<br />
"erf<strong>in</strong><strong>der</strong>isch" zu werden <strong>und</strong> "erweiternde" <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungen vorzunehmen, wenn<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>stiftung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rout<strong>in</strong>e des Alltagslebens nicht verloren gehen soll. Daß D<strong>in</strong>ge,<br />
Situationen <strong>und</strong> Menschen für uns "<strong>S<strong>in</strong>n</strong> haben" <strong>und</strong> bedeutsam s<strong>in</strong>d, ist eben nicht<br />
e<strong>in</strong>e schicksalhafte Vorgegebenheit unseres <strong>Leben</strong>s, son<strong>der</strong>n: <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist weith<strong>in</strong> von<br />
unserem <strong>in</strong>dividuellen Bemühen um "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung", von unserer "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit"<br />
abhängig.<br />
Trotz alles "Determ<strong>in</strong>ismus" <strong>und</strong> trotzend aller E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Handlungsfreiheit des Menschen haben die Menschen auch heute wie<strong>der</strong> erkannt, daß<br />
<strong>der</strong> Mensch ke<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e ist <strong>und</strong> nie wie e<strong>in</strong> Roboter funktionieren kann - mögen<br />
se<strong>in</strong>e alltäglichen <strong>Leben</strong>sbed<strong>in</strong>gungen noch so "computergesteuert" se<strong>in</strong>. Und wenn<br />
heutige Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> sich danach sehnen, daß ihnen e<strong>in</strong> "Computer-bit" das<br />
Erlernen von Kenntnissen <strong>in</strong> allen "Lernfächern" abnimmt, dann wohl nur aus <strong>der</strong><br />
Sehnsucht heraus, frei zu werden - frei zu se<strong>in</strong> von den Leistungszwängen e<strong>in</strong>er<br />
rotierenden "Bildungsmasch<strong>in</strong>erie"- endlich "tun zu können, was ich will".<br />
6. Kapitel<br />
Mit den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> auf <strong>der</strong> Suche nach Wirklichkeit<br />
6.1. Der Mensch will die Welt <strong>in</strong> den "Griff" <strong>und</strong> "Begriff" bekommen<br />
59
Mit dem Stolz des "Großse<strong>in</strong>s" <strong>und</strong> "Wie-die-Großen-Se<strong>in</strong>s" versuchen K<strong>in</strong><strong>der</strong> die<br />
D<strong>in</strong>ge ihrer <strong>Leben</strong>swelt zu ergreifen, um sie zu "haben" o<strong>der</strong> sich ihrer zu<br />
"vergewissern" <strong>und</strong> wir Erwachsene bestätigen lobend dieses Greifen, Ergreifen <strong>und</strong><br />
Ausgreifen des K<strong>in</strong>des nach <strong>der</strong> sogenannten "Welt". Es sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Ursehnsucht des<br />
Menschen zu se<strong>in</strong>, an<strong>der</strong>e <strong>und</strong> an<strong>der</strong>s ergreifen <strong>und</strong> besitzen zu wollen <strong>und</strong> zu können.<br />
So hat vor allem <strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong> Neuzeit dort, wo er <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en "nur menschlichen",<br />
leibs<strong>in</strong>nlichen Möglichkeiten nicht genug ergreifen <strong>und</strong> erreichen konnte, versucht,<br />
se<strong>in</strong>en Zugriff zu präzisieren: er entwickelte den technologisch ver<strong>mit</strong>telten Zugriff<br />
auf die Welt, ja sogar auf die Menschen, so lange <strong>und</strong> so vielfältig, so technisch glatt,<br />
bis dem Menschen heute die D<strong>in</strong>ge, die Menschen <strong>und</strong> die Welt "aus den Händen" zu<br />
gleiten drohen.<br />
In unserer Schul-"Bildung" geschieht Ähnliches - das kann man an vielen<br />
sachunterichtlichen Unterrichtse<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Schulbüchern, Lehrerhandbüchern <strong>und</strong><br />
Schulpraxis sehen, z.B. wenn das Thema "Der Kirschblütenzweig" sachunterrichtlich<br />
"erarbeitet" wird. Die Perspektive wird eng, die Sachperspektive <strong>und</strong> auch <strong>der</strong> Blick<br />
<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, die Gestik, alles bekommen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>grenzung, e<strong>in</strong>e "be-griffliche"<br />
Präzisierung auf das "D<strong>in</strong>g Kirschblütenzweig" h<strong>in</strong>. Das wird an <strong>der</strong> Handgestik<br />
deutlich, wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> z.B. Blüten erk<strong>und</strong>en. Der Kirschblütenzweig wird nicht<br />
mehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ganzheitlichkeit, wie er am Baum ist, erfahren. Kirschbaum <strong>und</strong><br />
Insekten, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur draußen s<strong>in</strong>d, werden zu didaktischen Zwecken<br />
elem<strong>in</strong>iert. Das "D<strong>in</strong>g" bekommt e<strong>in</strong>en begrenzten Ausschnitt, <strong>in</strong> dem es genau<br />
"untersucht" wird. Das ist typisch am naturwissenschaftlichen Erk<strong>und</strong>en, das wir <strong>in</strong><br />
unseren Schulen versuchen. Wir wollen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> h<strong>in</strong>führen zu e<strong>in</strong>em begrifflich<br />
genauen Erkennen.<br />
Aber wir wissen - <strong>und</strong> manchmal br<strong>in</strong>gen uns gerade heute die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie<strong>der</strong> dazu,<br />
daß es noch e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weg des "Be-greifens" <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Welt gibt. R.z.Lippe<br />
(1987, S. 359ff) führt für diese Art naturwissenschaflichen Erk<strong>und</strong>ens den Begriff <strong>der</strong><br />
(goetheanischen) Begegnung an: "Begegnung ist ke<strong>in</strong>e Sache des Augenblicks. Natur<br />
erforschen sollte man nicht im Labor <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em Experiment machen wollen. Sonst<br />
bleiben wir <strong>in</strong> dem Erlebnis stecken o<strong>der</strong> wir erfassen nur Daten <strong>der</strong> Naturd<strong>in</strong>ge, aber<br />
nicht das ganze Wesen".<br />
60
Begegnung führt auch zum "Begriff", aber nicht durch den e<strong>in</strong>seitigen "Zugriff". Das,<br />
was deutlich wird, wenn das K<strong>in</strong>d sich freut: so "ist" die Pflanze, <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>, die Nuß,<br />
die Blüte - das geschieht nicht nur durch objektives Erk<strong>und</strong>en, denn dabei verleibt das<br />
Subjekt draußen - <strong>und</strong> das verlangt e<strong>in</strong>e nur empirische Naturwissenschaft. Humane<br />
"Begriffs"-Bildung <strong>in</strong> unserem Unterricht heißt immer auch: die Begegnung<br />
geschehen lassen <strong>und</strong> den voreiligen "Begriff" zu vermeiden.<br />
6.2. Der bloß "registrierende Blick" übersieht die Wirklichkeit<br />
E<strong>in</strong>e Fehlform unseres abendländischen Denkens <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>s ist <strong>der</strong> bloß<br />
"registrierende Blick". "Der bloß registrierende Blick zerstört die Natur", sagt C.Fr.<br />
von Weizsäcker (1947). Wenn <strong>der</strong> Wissenschaftler e<strong>in</strong> "Stücken Natur" se<strong>in</strong>em<br />
Experiment unterzieht, zerstört er es; wir müssen h<strong>in</strong>zufügen, daß er auch sich selbst<br />
dabei zerstört. In dem er das Begegnende zum Gegenstand macht, als Objekt se<strong>in</strong>em<br />
Urteil unterwirft, löscht er <strong>in</strong> sich selbst das eigentlich Subjekthafte aus. Er erhebt sich<br />
zwar zum Herrn <strong>der</strong> Versuchsanordnung, doch dieses Subjekt ist genauso still gestellt<br />
wie <strong>der</strong> Gegenstand". So wird im schulischen Beispiel die Blüte im Blütenstand<br />
zerstört, wenn Schüler registrierend sogenannte "biologische" Daten erfassen sollen,<br />
wenn sie <strong>mit</strong> naturwissenschaftlichen Methoden wie messende Untersuchung <strong>und</strong><br />
datenerfassendem Experiment die biologischen Merkmale <strong>der</strong> "Wirklichkeit Blüte"<br />
erforschen. Oft wird so an "Erkenntnis" von den wirklichen D<strong>in</strong>gen gewonnen, was<br />
nur e<strong>in</strong>e Teil(e)-Erkenntnis ist, so wie Blüten, Blumen o<strong>der</strong> Tiere reagieren, wenn sie<br />
schon (fast) tot s<strong>in</strong>d. Das <strong>Leben</strong>dige selbst aber bleibt oft außerhalb dieser Erkenntnis.<br />
Diese Kritik muß man auch an e<strong>in</strong>e eng empirisch orientiere pädagogische Forschung<br />
herantragen: K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Labor gesetzt, <strong>und</strong> so untersucht: erforscht man da die<br />
"wirklichen" K<strong>in</strong><strong>der</strong>? Wenn man zum Beispiel dem Invarianzversuch von Piaget <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er 1.Schulklasse durchführt, wo dreißig unterschiedliche K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> sehr<br />
unterschiedlichem Vorwissen sitzen, kann man erleben, daß von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
61
Reaktionsweisen kommen, die bei Piaget überhaupt nicht erfaßt s<strong>in</strong>d, weil er eben e<strong>in</strong>e<br />
spezifische Laborsituation an"setzte".<br />
Unsere Zeit ist durch die Betonung e<strong>in</strong>er reduzierten "Perspektive" zu den D<strong>in</strong>gen<br />
<strong>und</strong> den Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Erkenntnis-Engpaß h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gekommen. Technik,<br />
Politik, auch die heutige Art von Lehrerbildung s<strong>in</strong>d das Ergebnis e<strong>in</strong>er <strong>mit</strong><br />
"verkürztem Blick" durchgeführten wissenschaftlichen Erforschung <strong>der</strong> Welt. Konrad<br />
Lorenz hat se<strong>in</strong>e Gänse nicht <strong>in</strong>s Labor geholt, son<strong>der</strong>n ist zu ihnen an den Weiher<br />
h<strong>in</strong>ausgegangen <strong>und</strong> hat ihr Verhalten im Blick auf ihre natürliche <strong>Leben</strong>sweise<br />
erforscht - zum<strong>in</strong>dest genausoviel "<strong>Leben</strong>snähe" müßte die pädagogische Forschung<br />
aufbr<strong>in</strong>gen, wenn sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> verstehen lernen will.<br />
Forschung, die dem Menschen als Ganzen gerecht werden will, muß Wege gehen, die<br />
den nur materialen, physiologischen Weg überschreiten. Und dazu gibt es auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
abendländischen Geistesgeschichte recht verschiedene Wege. Von <strong>der</strong><br />
philosophischen Schule, die sich vor allem an Husserl orientiert <strong>der</strong> sogenannten<br />
"Phänomenologie", möchte ich e<strong>in</strong> Beispiel anführen, das pädagogisch bedeutsam ist:<br />
Wenn wir das Phänomen Gesicht o<strong>der</strong> das Phänomen Auge erforschen wollen, dann<br />
steht schon fest, daß wir e<strong>in</strong>em bestimmten Vorbegriff von Auge o<strong>der</strong> Gesicht haben.<br />
Aber diesen Vorbegriff, was e<strong>in</strong> Gesicht, was e<strong>in</strong> Auge ist, hat e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />
Erwachsener nicht durch empirische Forschung gewonnen. O<strong>der</strong> wenn wir z.B. im<br />
Unterricht <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n "durchnehmen", was das Auge "ist", <strong>und</strong> die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
können die biologischen Fachbegriffe genau unterscheiden, das Physiologische genau<br />
zeigen, dann darf sich e<strong>in</strong> Lehrer nicht e<strong>in</strong>bilden, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> erst dann, wenn er das<br />
<strong>mit</strong> ihnen gemacht hat, wissen, was e<strong>in</strong> Auge ist.<br />
Der Säugl<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> <strong>in</strong> das Gesicht <strong>der</strong> Mutter blickt <strong>und</strong> <strong>der</strong> das Gesicht, auch wenn er<br />
es vielleicht nur wage sieht, als zuwendendes, entgegenkommendes erfährt, <strong>der</strong> hat<br />
vom Auge <strong>und</strong> von dem, was das Auge für den Menschen bedeutet, m<strong>in</strong>destens<br />
genausoviel Wichtiges erfahren.<br />
62
Um die D<strong>in</strong>ge möglichst genau zu "sehen", hat <strong>der</strong> neuzeitliche Mensch die sche<strong>in</strong>bar<br />
zu ger<strong>in</strong>ge Sehkraft des Menschen "über-stiegen" <strong>und</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> "camera obscura" <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Dunkelkammer des wissenschaftlichen Untersuchungslabors die D<strong>in</strong>ge detailreich zu<br />
"besichtigen" versucht - aber <strong>der</strong> "obscure" Blick wurde zum "abgeson<strong>der</strong>ten" Blick<br />
<strong>und</strong> zu abson<strong>der</strong>nden Blicken von den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> vom Menschen selbst. Mit <strong>der</strong><br />
Anstrengung, die D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begrenztheit des menschlichen Blickes isoliert sehen<br />
zu wollen, hat <strong>der</strong> Mensch die so gesehenen D<strong>in</strong>ge auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e eigenen Grenzen<br />
e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en (vgl. Bäuml-Roßnagl 1990, S. 252ff).<br />
"Haben wir nicht die tausendjährige Erfahrung, daß die D<strong>in</strong>ge umso stummer werden,<br />
je deutlicher wir ihnen den "optischen Spiegel ihrer Ersche<strong>in</strong>ung vorhalten". (Franz<br />
Marc 1987, S.24)<br />
6.3. Mit allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> heute den wirklichen Bildungss<strong>in</strong>n wie<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den<br />
Sich selbst, die Gesellschaft <strong>und</strong> die Welt zu verstehen ist e<strong>in</strong> altes Anliegen von<br />
Bildungsbemühungen, ganz gleichgültig von welcher Provenienz <strong>und</strong> aus welcher<br />
Zeit. Der lange, mühsame Weg des Sich-o<strong>der</strong>-an<strong>der</strong>e-Bildens hat heute - im letzten<br />
Jahrzehnt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Jahr 2000 - e<strong>in</strong> neues Gewicht im öffentlichen Bewußtse<strong>in</strong><br />
erhalten. Dabei nehmen viele Pädagogen <strong>in</strong> diesen Jahren <strong>in</strong>nerlich Abstand von e<strong>in</strong>er<br />
nur erfolgsorientierten, lerneffektiven Sicht <strong>der</strong> Bildungsprozesse, welche e<strong>in</strong> Streben<br />
nach perfekt funktionierenden Lern- <strong>und</strong> Leistungsstrategien <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
als Maß bildungspolitischer Bemühungen setzte. So wie <strong>der</strong> "Mensch als Maß <strong>der</strong><br />
Schule" (Affemann 1976) wird auch wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n als "Maß" des<br />
Bildungsgeschehnes gefor<strong>der</strong>t. Denn <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust im <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>salltag wird<br />
von vielen heute auf vielfältige Weise erlebt - von Erwachsenen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf je<br />
eigene Weise. Und daß <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> eng zusammengehören, daß Lernen nicht nur<br />
e<strong>in</strong>e Frage des Intellekts ist, son<strong>der</strong>n auch <strong>mit</strong> den Füßen, <strong>mit</strong> den Händen <strong>und</strong> <strong>mit</strong><br />
dem Herzen geschieht, wird <strong>in</strong> letzter Zeit nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> meditativen Kulturszene,<br />
63
son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> Schulpraxis, Lehrerausbildung <strong>und</strong> Lehrerfortbildung anschaulich<br />
verdeutlicht.<br />
E<strong>in</strong>e wichtige pädagogische Aufgabe ist es heute, <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geme<strong>in</strong>sam den<br />
Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> zu gehen. In <strong>der</strong> allseitig erfahrenen<br />
Wahrnehmungskrise <strong>der</strong> Gegenwart ist für den Menschen die Bedeutung <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> des <strong>Leben</strong>s unklar geworden. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lich erfahrene Wirklichkeit wird von<br />
vielen Menschen als "Kulissenwirklichkeit" (Wiese) o<strong>der</strong> "zerrissene Wirklichkeit"<br />
(Hegel) erfahren. Welchen gültigen Zugang zur Welt können unsere <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e uns heute<br />
noch schaffen? Der Siegeszug <strong>der</strong> technologischen, von den realen D<strong>in</strong>gen<br />
abstrahierenden Verlust hat den Menschen als Ganzes vernachlässigt <strong>und</strong> aus <strong>der</strong><br />
umfassenden Wirklichkeitserfahrung herausgenommen. Das impliziert e<strong>in</strong>en Verlust<br />
<strong>der</strong> Orientierungskraft <strong>der</strong> Vernunft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Verlust <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>essicherheit im Zuge<br />
<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nesverarmten <strong>Leben</strong>sführung.<br />
Die Frage, welche heute von Wissenschaftlern, Anthropologen, Philosophen <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />
anschaulicher Weise von Künstlern <strong>und</strong> Dichtern neu gestellt wird, lautet: Gibt es für<br />
uns Menschen <strong>der</strong> Gegenwart e<strong>in</strong> Denken <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>, das nicht losgelöst von den<br />
D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Erde ist? Was bedeutet die Erde, die Materie für uns? Haben Materie <strong>und</strong><br />
Erde für die menschlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e noch so viel <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, daß sie <strong>S<strong>in</strong>n</strong>stiftung<br />
bewirken können?<br />
E<strong>in</strong>e mögliche <strong>und</strong> wichtige Antwort hat auf diese Frage Victor von Weizsäcker<br />
(1940, S. 3f) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Theorie vom "Gestaltkreis" als E<strong>in</strong>heit von Wahrnehmen <strong>und</strong><br />
Bewegen gegeben: "Um <strong>Leben</strong>des als <strong>Leben</strong>des wahrzunehmen, muß man sich an <strong>der</strong><br />
Bewegung des <strong>Leben</strong>s beteiligen. <strong>Leben</strong> f<strong>in</strong>den wir als <strong>Leben</strong>de vor; es entsteht nicht,<br />
son<strong>der</strong>n es ist schon da, es fängt nicht an, denn es hat schon angefangen. Am Anfang<br />
je<strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swissenschaft steht nicht <strong>der</strong> Anfang des <strong>Leben</strong>s selbst, son<strong>der</strong>n die<br />
Wissenschaft hat <strong>mit</strong> dem Erwachen des Fragens <strong>mit</strong>ten im <strong>Leben</strong> angefangen."<br />
64
Und diese Transformation, dieses Transzendieren von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, beg<strong>in</strong>nt<br />
bei uns selbst, <strong>in</strong> unserem eigenen Leibe: "Heute können wir uns nicht mehr <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>sicht verschließen, daß <strong>der</strong> Leib <strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en Prozessen überhaupt nur durch das<br />
existieren kann, was bisher Theologie <strong>und</strong> Philosophie für sich alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Anspruch<br />
genommen haben: durch Transzendieren, das heißt durch Ablösen von sich selbst,<br />
durch Preisgabe an das Se<strong>in</strong>, durch Entsicherung. Dies ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> entscheidenden<br />
Schritte, die wir <strong>in</strong> den nächsten Generationen zu tun haben - die Entdeckung des<br />
Leibes als e<strong>in</strong>es dynamischen Universums o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er universalen Dynamik. Wir s<strong>in</strong>d<br />
jetzt dabei, uns <strong>in</strong> das äußere Universum vorzuwagen o<strong>der</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zufühlen. Aber wir<br />
kommen nicht darum, die Symmetrie zu diesem Ausbruch <strong>in</strong> die Fernen des<br />
Weltraums im Allernächsten, <strong>in</strong> unserer Leib-Körperlichkeit, zu entdecken <strong>und</strong><br />
herzustellen. Erst dann haben wir die beiden gegensätzlichen Pole ausbalanciert"<br />
(H.Kükelhaus 1979, S.46f).<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen diesen Weg ganz natürlich - auch heute noch! K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen den Weg<br />
vom Leib h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Herz <strong>und</strong> Geist, den Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>.<br />
6.4. Erwachsene erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretieren die Wirklichkeit auch für die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Nun wäre es aber e<strong>in</strong> Mißverständnis, wenn wir Erwachsene unser Selbstverständnis<br />
nur "von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n" her def<strong>in</strong>ieren wollten. Vielmehr wird doch gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />
<strong>der</strong> "post-antiautoritären" Pädagogik deutlich, wie sehr es K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht gut tut, wenn<br />
sie <strong>mit</strong> Erwachsenen aufwachsen, die ihnen gegenüber ke<strong>in</strong>en eigenen Standpunkt,<br />
ke<strong>in</strong>e "Erwachsenen - Perspektive" vertreten.<br />
Die Sehnsucht nach "Orientierungsverhalten" durch Erwachsene, das Verlangen nach<br />
"Ordnung schaffen" von Erwachsenen wird heute von Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n deutlich k<strong>und</strong>getan. Und wenn unsere Gesellschaft die Neigung<br />
zum "Rechts-Reaktionismus" von Jugendlichen beklagt, muß ganz klar auch das<br />
Fehlen von "Aktion" <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvoller <strong>Leben</strong>sführung auf <strong>der</strong> Erwachsenenseite als<br />
65
Ursachenmotiv angegeben werden. Das "Vorweg" an <strong>Leben</strong>serfahrung <strong>und</strong><br />
<strong>Leben</strong>swissen des Erwachsenen (Pädagogen) braucht je<strong>der</strong> junge Mensch, um <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
eigene <strong>Leben</strong>sgestaltung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen zu können. "Vor"- bil<strong>der</strong> im Pädagogischen<br />
s<strong>in</strong>d für die Nachahmung o<strong>der</strong> auch Entgegensetzung <strong>der</strong> "Eigen"-Bil<strong>der</strong> unabd<strong>in</strong>gbar.<br />
Das eigene s<strong>in</strong>nliche Erfassen <strong>der</strong> Wirklichkeit ist nur die e<strong>in</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille des<br />
Weltbezuges - die an<strong>der</strong>e liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung (durchaus im wörtlichen<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>!) <strong>mit</strong> de Wirklichkeit, <strong>und</strong> dazu gehört auch die Wirklichkeitsdeutung durch den<br />
an<strong>der</strong>en Menschen.<br />
In diesem <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e ist auch <strong>der</strong> "K<strong>und</strong>e"-Begriff jahrh<strong>und</strong>ertelang <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gr<strong>und</strong>schultradition verstanden worden. Heimatk<strong>und</strong>e "geben" bedeutet demnach<br />
"K<strong>und</strong>e geben" von <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>und</strong> nicht nur "über" Sachen unterrichten. Die<br />
eigene Deutung, das D<strong>in</strong>g- <strong>und</strong> Weltverständnis des Gebers geht <strong>in</strong><br />
Heimatk<strong>und</strong>eunterricht an die Schüler über. Es soll e<strong>in</strong> Unterricht se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem<br />
Austausch, Begegnung zwischen Lehrer, K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Lerngegenständen stattf<strong>in</strong>den darf,<br />
wo sich <strong>der</strong> Lehrer <strong>in</strong> diesen Austausch <strong>mit</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begibt.<br />
Das Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, das "Integrative", d.h. das Zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, das Sprechen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ist<br />
Gr<strong>und</strong>lage für Unterricht <strong>und</strong> Erziehung. In diesem sozialen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> erfahren wir<br />
Menschen auch <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> "den" <strong>S<strong>in</strong>n</strong> von D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Menschen. Allerd<strong>in</strong>gs ist dieses<br />
"Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>" ke<strong>in</strong> automatischer Vorgang, son<strong>der</strong>n immer <strong>in</strong> menschlicher<br />
Verantwortung als Gestalt menschlicher Freiheit zu vollziehen: "Vielleicht muß man<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen die entstehende Beziehung zwischen D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Menschen auch<br />
verweigern, weil e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> erste E<strong>in</strong>druck dazu rät... Jedenfalls darf nicht die Ahnung<br />
verd<strong>in</strong>glicht werden, wie <strong>der</strong> geübt verklärte Blick <strong>der</strong>er, die schon im voraus wissen,<br />
wie begeistert sie se<strong>in</strong> werden o<strong>der</strong> wie ablehnend" (R.z.Lippe, 1987, S. 359).<br />
Hier wird deutlich, woh<strong>in</strong> wir unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> "unterrichtend" führen sollten. Viele<br />
wissen heute "altklug" schon im voraus alles. Das Urteil aufschieben, bis genau<br />
geprüft ist, das Urteil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Menschen- <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gerfahrung aufschieben vor allem<br />
66
dann, wenn es allzu angenehm "un<strong>mit</strong>telbar" kommt - e<strong>in</strong> Erziehungsziel für den<br />
<strong>heutigen</strong> Sachuntericht (<strong>und</strong> das Verhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ungsbildung!)! Wir<br />
Erwachsene s<strong>in</strong>d heute beson<strong>der</strong>s aufgefor<strong>der</strong>t, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Wirklichkeit so zu<br />
<strong>in</strong>terpretieren, daß nicht vorschnelle, (oft angenehme) Urteile die<br />
Wirklichkeitserfahrung verfälschen - auch Enttäuschungen <strong>und</strong> Unvermögen bei <strong>der</strong><br />
Erk<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> Deutung <strong>der</strong> Welt zu ertragen müssen gelernt werden.<br />
6.5. Nur <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> erkennt <strong>der</strong> Mensch die ganze Wirklichkeit<br />
Es gibt seit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Jahrzehnt <strong>in</strong> unserer westlichen Zivilisation ganz<br />
verstärkt den Ruf nach e<strong>in</strong>er neuen "Kultur <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" - die öffentlichen Medien<br />
<strong>und</strong> Publikationsjournale verdeutlichen diesen Wunsch auf manchmal recht<br />
ansprechende, aber so manches Mal auch recht überraschende Weise. Nicht immer<br />
überzeugt diese Auffor<strong>der</strong>ung zu e<strong>in</strong>er neuen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, <strong>und</strong> gerade Pädagogen<br />
fragen <strong>mit</strong> Nachdruck, wo denn <strong>der</strong> "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>" <strong>der</strong> neuen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit liege?<br />
Am viel gedeuteten Beispiel <strong>der</strong> "Samenkornübung" wird anschaulich, wie aus<br />
pädagogisch-anthropologischer Sicht, welche den "ganzen" Menschen im Blick hat,<br />
diese <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit zu verstehen ist.(vgl. Oaklan<strong>der</strong> 1987)<br />
Pflanzen, Bäume, <strong>und</strong> auch wir Menschen wachsen <strong>und</strong> vergehen.<br />
Schulbücher,Klassenzimmerwände <strong>und</strong> Unterrichsst<strong>und</strong>en "unterrichten" darüber.<br />
Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> beobachten das Planzenwachsen auch <strong>mit</strong> dem Metermaß. Aber messen<br />
alle<strong>in</strong>e wäre Seziererei o<strong>der</strong> Datenhuberei. An<strong>der</strong>erseits: Pflanzen nur <strong>mit</strong> Riechen,<br />
Fühlen, Empf<strong>in</strong>den wahrzunehmen wäre Gefühlsduselei. Und als Lehrer muß man<br />
acht geben, daß Unterricht nicht den E<strong>in</strong>druck des "rotierenden Rades", des "immerwie<strong>der</strong>-Gleichen"<br />
h<strong>in</strong>terläßt. Jedes <strong>Leben</strong> ist "eigen" <strong>und</strong> neu. Das abgefallene Blatt<br />
wie<strong>der</strong> an den Baum nageln wollen, das ist nicht wahrhaftig <strong>und</strong> überzeugt auch<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht. Der Tod gehört zum <strong>Leben</strong> - zum "ganzen" <strong>Leben</strong>. Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> das<br />
gemüthaft erfahren, dann s<strong>in</strong>d Erlebnis <strong>und</strong> Wissen, <strong>S<strong>in</strong>n</strong>liches <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles<br />
zusammen da. Das Naturgeschehen wird zum Weg <strong>der</strong> Selbst- erfahrung; das Sichselber-<strong>in</strong>-das-<strong>Leben</strong>-<strong>der</strong>-Natur-h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>fühlen<br />
zum Natur-geschehen.<br />
67
Auch bei unserem Umgang <strong>mit</strong> Bäumen können wir - oft schön zusammen <strong>mit</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n - diese ganzheitliche Naturerfahrung als Wirklichkeits<strong>mit</strong>teilung erkennen.<br />
Wenn wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt e<strong>in</strong>en Baum anschauen, haben wir meist e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Blick<br />
darauf, als wenn wir am Wochenende irgendwo "<strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur" unter Bäumen sitzen,<br />
<strong>und</strong> wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en ganz an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>druck, wenn wir im Urlaub Bäume erleben. Der<br />
Kontext des Erlebens bestimmt das Baumerlebnis <strong>mit</strong>. Und was geschieht, wenn man<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe von drei, vier o<strong>der</strong> fünf Bäumen, im Kreis gepflanzt, sitzt <strong>und</strong> sich<br />
dem un<strong>mit</strong>telbaren Empf<strong>in</strong>den überläßt? Dazu hat R.z.Lippe e<strong>in</strong> Beispiel für s<strong>in</strong>nvolle<br />
Begegnung <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nlich-s<strong>in</strong>nvoller Wahrnehmung beschrieben: "Wir begeben uns an<br />
e<strong>in</strong>en uns guten Ort z.B. auf e<strong>in</strong>e Wiese zwischen Bäume. Dort stehend o<strong>der</strong> sitzend<br />
öffnen wir für e<strong>in</strong>e Weile die Augen, lassen die Momente des Sehfeldes sich uns<br />
<strong>mit</strong>teilen, ohne auf irgendetwas e<strong>in</strong>en Blick zu richten. Nach kurzer o<strong>der</strong> längerer<br />
Weile wird unser Verhältnis zu den Gegenständen <strong>der</strong> Wahrnehmung zu den Bäumen,<br />
sich gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>n, wie sehr wir auch sonst das H<strong>in</strong>sehen <strong>und</strong> H<strong>in</strong>starren<br />
gewohnt se<strong>in</strong> mögen. Während wir etwa mehrere Bäume, die eben noch vor uns rechts<br />
<strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks neben uns gestanden haben, gleichzeitig <strong>und</strong> gleichermaßen aufnehmen, <strong>mit</strong><br />
unserem ganzen Leib, beg<strong>in</strong>nen sie um uns herum zu stehen. Die Wiese wird unser <strong>mit</strong><br />
ihnen geme<strong>in</strong>samer Ort.<br />
Wir spüren da, wo wir neben <strong>und</strong> h<strong>in</strong>ter uns nicht mehr sehen, Bäume <strong>und</strong> Öffnungen.<br />
So ungeführ wie man nach e<strong>in</strong>er Weile <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dunklen Zimmer tastend Möbelstücke<br />
schon wahrzunnehmen beg<strong>in</strong>nt, noch bevor man sie berührt. Im Spüren aus dem<br />
Abstand h<strong>in</strong>ter uns wird auch das Sehen vor uns verän<strong>der</strong>t. Wir empf<strong>in</strong>den die<br />
Sehwahrnehmungen zunehmend als e<strong>in</strong>e Bestätigung <strong>und</strong> Ergänzung e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />
Wahrnehmung. Wir erleben uns selber als Körper <strong>in</strong> diesem Raum, wie die an<strong>der</strong>en<br />
Körper, denen wir da leiblich begegnen. Raum als abstrakte vorgegebene Kategorie<br />
wie Kant zum Beispiel gedacht hat, läßt sich <strong>in</strong> Bewegungen des Wahrnehmens <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />
wahrgenommene Beziehungen auflösen. Im gelebten <strong>S<strong>in</strong>n</strong> entsteht so <strong>der</strong> Raum<br />
allererst. Wir werden vielleicht sogar Bäume unter Bäumen; als Baum unter Bäumen<br />
werden wir <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>heit unserer Gegenwärtigkeit geführt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> ganze Mensch,<br />
nicht nur se<strong>in</strong> Auge, sieht" (R.z.Lippe 1987, S. 356).<br />
68
Die e<strong>in</strong>zelnen Wahrnehmungen <strong>der</strong> unterschiedlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Menschen haben<br />
isoliert noch ke<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong>; die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eswahrnehmungen bieten bestenfalls die e<strong>in</strong>zelnen<br />
"Buchstabenkörper" für den Aussage-Gesamts<strong>in</strong>n von Worten <strong>und</strong> Sätzen. Der Weg<br />
von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist für den Menschen e<strong>in</strong> Weg, den er selbst gehen muß. Es<br />
wäre e<strong>in</strong> "Holzweg", das hohe Maße ausgelebter <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als Maß für menschliche<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung machen zu wollen. E<strong>in</strong>e von Geist, Seele <strong>und</strong> Gemüt isolierte<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit macht sogar den Menschenkörper <strong>und</strong> noch vielmehr den Menschen als<br />
"Ganzen" müde <strong>und</strong> elend. Im Fortgang <strong>der</strong> "Div<strong>in</strong>a Comedia" (Dante) wird <strong>der</strong><br />
s<strong>in</strong>nlich-begreifenwollende Zugriff des Menschen auf die Welt immer<br />
bedeutungsloser - aber die "Blickkraft" nimmt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kraft <strong>und</strong> Tiefe des geschauten<br />
Lichts zu, das die D<strong>in</strong>ge wi<strong>der</strong>spiegeln - nur so erkennt <strong>der</strong> Mensch die ganze<br />
Wirklichkeit. (vgl. Bäuml-Roßnagl 1990).<br />
7. Kapitel<br />
Begegnung als menschengemäße Erfahrung <strong>der</strong> Welt<br />
7.1. "Un-<strong>mit</strong>telbare" Begegnung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen als Unterrichtspr<strong>in</strong>zip<br />
Spätestens seit J.A. Comenius (1592 - 1670) ist dem abendländischen Denken ganz<br />
bewußt gemacht worden, daß jede schulische Bildung lebensfern <strong>und</strong> wirkungslos ist,<br />
wenn sie ihre unterrichtlichen <strong>und</strong> erziehlichen Bildungsbemühungen nicht auf <strong>der</strong><br />
Basis realer Anschauungen aufbaut. Mit programmatisch gewordenen For<strong>der</strong>ungen hat<br />
Comenius <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er "Didactica Magna" <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em "Orbis sensualium pictus"<br />
immer wie<strong>der</strong> die E<strong>in</strong>heit von Sachlichem <strong>und</strong> Sprachlichem, von <strong>Leben</strong>snähe <strong>und</strong><br />
Sach- bzw. Facherklärung betont. Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zip aller Bildungsarbeit ist es demnach,<br />
"so viel als möglich die Weisheit nicht aus Büchern (zu) schöpfen, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong><br />
Betrachtung von Himmel <strong>und</strong> Erde, Eichen <strong>und</strong> Buchen... Die D<strong>in</strong>ge müssen den<br />
D<strong>in</strong>gen nahegebracht werden: Sichtbares den Augen, Hörbares den Ohren, Riechbares<br />
<strong>der</strong> Nase, Fühlbares dem Gefühl. Der Anfang des Wissens soll vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichen se<strong>in</strong><br />
...<strong>mit</strong> realer Anschauung gemacht werden" (J.A. Comenius 1627). Die Anschauung<br />
<strong>der</strong> Welt - <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> vollzogen - führt nach Comenius zur Erfah- rung vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
<strong>der</strong> Welt.<br />
69
Sach"ansichten" <strong>und</strong> Welt"sichten" s<strong>in</strong>d auch von J.H. Pestalozzi (1746 - 1827) <strong>in</strong><br />
enger gegenseitiger Beziehung <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gung erläutert worden. Als Pädagoge, <strong>der</strong><br />
aus dem pädagogischen Tun <strong>und</strong> fürsorglichen <strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n heraus se<strong>in</strong>e<br />
pädagogischen Theorien entwickelte, hat er immer wie<strong>der</strong> aufgezeigt, wie bildungsgr<strong>und</strong>legend<br />
es ist, "den ganzen Kreis <strong>der</strong> Gegenstäde, die die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des K<strong>in</strong>des nahe<br />
berühren, <strong>in</strong>s Auge zu fassen" (vgl. bes. das "Buch <strong>der</strong> Mütter" <strong>und</strong> "ABC <strong>der</strong><br />
Anschauung").<br />
Die konkrete Anschauung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt war im abendländischen<br />
Bildungsdenken e<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ung, die deshalb von Schulreformern <strong>und</strong> pädagogischen<br />
Erneuerern so <strong>in</strong>tensiv vertreten wurde, weil die reale Schulwirklichkeit oft weit<br />
entfernt war von e<strong>in</strong>er un-<strong>mit</strong>telbaren Anschauung <strong>und</strong> Begegnung <strong>der</strong> Schüler <strong>mit</strong><br />
den D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Welt. E<strong>in</strong>e "Lern- <strong>und</strong> Buchschule" hat sich nicht nur im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert breit gemacht. Es sche<strong>in</strong>t im "Wesen" <strong>der</strong> "Institution Schule" zu liegen,<br />
"Wortstudium anstelle von Sachstudium" besser betreiben zu können, lieber betreiben<br />
zu wollen <strong>und</strong> erfolgreicher beschreiben zu können. Davon zeugen viele<br />
Schuler<strong>in</strong>nerungen von Schülern aus Gegenwart <strong>und</strong> Vergangenheit. Doch bis heute<br />
treten "Reformpädagogen" <strong>und</strong> "alternative Schulkonzeptoren" nachdrücklich <strong>und</strong><br />
phantasievoll dafür e<strong>in</strong>, daß "Schule <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>" sich als zusammengehörig erfahren<br />
möchten, daß Begriffe <strong>und</strong> D<strong>in</strong>ge, Anschauung <strong>und</strong> Weltanschauung, Sach<strong>in</strong>halte <strong>und</strong><br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>aussagen <strong>in</strong> ihrer gegenseitigen Verwiesenheit <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gtheit im<br />
Bildungsgeschehen gesehen werden.<br />
Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulbildung ist das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>snähe, <strong>der</strong><br />
Heimatorientierung, <strong>der</strong> un-<strong>mit</strong>telbaren Begegnung <strong>mit</strong> den Bildungs"gegenständen"<br />
das Leitpr<strong>in</strong>zip unterrichtlichen Arbeitens (vgl. Bäuml-Roßnagl 1979, S.78 ff). Für das<br />
Fach "Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule" wird immer wie<strong>der</strong> betont, daß die "un<strong>mit</strong>telbare<br />
Begegnung" <strong>mit</strong> den "Sachen" als Unterrichtsgegenstand über<br />
Wahrnehmungen <strong>und</strong> Handlungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> erfolgen sollte. So zeigt zum Beispiel<br />
<strong>der</strong> Lehrer den Gebrauch von Säge, von Bohrer - von Werkzeugen. Er führt <strong>in</strong> den<br />
Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Waage e<strong>in</strong>, <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Meßgeräten - o<strong>der</strong> er veranlaßt K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
70
selber zu bohren, zu sägen, zu wiegen o<strong>der</strong> zu messen. Wenn Lehrer <strong>und</strong> Schüler so<br />
konkret <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> dem Unterrichtsgegenstand "begegnen", ihn sehen, hören,<br />
riechen, fühlen, "an ihm" weiterdenken, auch nach se<strong>in</strong>er Bedeutung, nach se<strong>in</strong>em<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong> fragen, wird e<strong>in</strong> un-<strong>mit</strong>telbarer Zusammenhang von Sache <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, von D<strong>in</strong>gen<br />
<strong>und</strong> Worten erfahrbar.<br />
Solcher Unterricht setzt fort, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> von frühester K<strong>in</strong>dheit an durch Aufheben,<br />
Fallenlassen, durch Balancieren, Laufen, Brechen, Biegen usw. erfahren, nämlich die<br />
s<strong>in</strong>nliche Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Begriffe. K<strong>in</strong><strong>der</strong> lernen die D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Welt dann so erfahren,<br />
wie sie nur dem Menschen möglich ist: <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>! Ohne die konkreten<br />
s<strong>in</strong>nlichen Erlebnisse <strong>und</strong> Erfahrungen ist alles, was wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule an kognitiver<br />
Begriffsver<strong>mit</strong>tlung, an Lernkenntnissen o<strong>der</strong> auch an dem oft plakativ gebrauchten<br />
Wort "wertorientiertes Handeln" ver<strong>mit</strong>teln wollen, ohne "Boden", ohne Bedeutung.<br />
In <strong>der</strong> Begegnung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen erschließt sich dem Menschen <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge - von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n können Erwachsene auch hier viel lernen.<br />
7.2. "Ver-<strong>mit</strong>telte" Begegnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swelt<br />
Un-<strong>mit</strong>telbar, d.h. ohne "Mittler", ohne Ver-<strong>mit</strong>tlung den Menschen <strong>und</strong> den D<strong>in</strong>gen<br />
unseres <strong>Leben</strong>s begegnen zu können - davon träumen <strong>in</strong> unserer mo<strong>der</strong>nen Welt viele<br />
Menschen. Die Un-Mittelbarkeit <strong>der</strong> Begegnung <strong>mit</strong> Menschen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gen gel<strong>in</strong>gt<br />
uns "Heutigen" nicht mehr alltäglich. Zu viele "Mittler" schieben sich zwischen uns<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e(s). Bildschirm <strong>und</strong> Kopfhörer "ver<strong>mit</strong>teln" unseren Augen <strong>und</strong> Ohren die<br />
Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Töne <strong>der</strong> Welt - diese Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Töne <strong>in</strong> ihrer realen Gestalt zu erleben<br />
gel<strong>in</strong>gt dem mo<strong>der</strong>nen Menschen viel seltener als ihre audiovisuelle "Übertragung" zu<br />
erfahren. Es ist wohl übertrieben, wenn e<strong>in</strong> bedeuten<strong>der</strong> Pädagoge <strong>der</strong> Gegenwart das<br />
"Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> Wirklichkeit" (H.v.Hentig) <strong>in</strong> unserer <strong>Leben</strong>swelt beklagt - aber<br />
71
e<strong>in</strong> auf wenig Raum <strong>und</strong> Zeit unseres Alltags zurückgedrängter direkter Kontakt <strong>mit</strong><br />
den "wirklichen" D<strong>in</strong>gen unserer <strong>Leben</strong>swelt ist überall festzustellen.<br />
Meist "begegnen" uns D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Menschen "ver<strong>mit</strong>telt" - durch den "Blick" an<strong>der</strong>er<br />
gesehen <strong>in</strong> Fernsehen, öffentlicher Presse <strong>und</strong> gesellschaftlicher Me<strong>in</strong>ungsbildung.<br />
Das Schlagwort von <strong>der</strong> Wirklichkeit aus "2. Hand" wurde geprägt, um auszusagen,<br />
daß Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute nur noch selten "<strong>mit</strong> eigenen Händen" das <strong>Leben</strong><br />
"<strong>in</strong> den Griff" bekommen können, daß ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "mediatisierten" Welt kaum noch<br />
die Möglichkeit geboten ist - we<strong>der</strong> im Lern- noch im "Arbeitsprozeß - selbst "Hand<br />
anlegen" zu können, um die <strong>Leben</strong>swelt zu gestalten.<br />
So wichtig <strong>in</strong> unserer medial ver<strong>mit</strong>telten <strong>Leben</strong>swelt das Nachdenken über die<br />
s<strong>in</strong>nesverarmte Gegenwartskultur ist, so wenig ist es m.E. s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>er<br />
"Wirklichkeit aus 1. Hand" unter allen Umständen den Vorzug zu geben gegenüber<br />
e<strong>in</strong>er "Wirklichkeit aus 2. Hand". Was z.B. die Schule betrifft: Es kann wohl nicht nur<br />
darum gehen, daß wir als Lehrer Wirklichkeiten aus erster Hand <strong>in</strong> die Schule<br />
"h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>"nehmen. Darüber hat Comenius auch schon nachgedacht. Wenn man bei ihm<br />
nachliest, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schriftenstellen, wo er sagt: alles was <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />
Schule stattf<strong>in</strong>det <strong>und</strong> selbst, wenn du e<strong>in</strong>e Blume <strong>in</strong>s Schulzimmer <strong>mit</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nimmst,<br />
ist das nicht die orig<strong>in</strong>ale Wirklichkeit. Es ist schon e<strong>in</strong>e Wirklichkeit, die aus ihrem<br />
normalen, aus dem realen Wirklichkeitszusammenhang herausgenommen ist. Darüber<br />
nachzudenken haben die Pädagogen weith<strong>in</strong> versäumt.<br />
Was ist Wirklichkeit?<br />
Wenn wir diese alte Frage heute als Pädagogen neu stellen, dann kommen wir nicht<br />
darum herum, daß wir die Medien, wie sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute erfahren, die sogenannten<br />
öffentlichen Medien: Fernsehen, Kassettenrekor<strong>der</strong>, Audiomedien, Videoclips, daß<br />
wir alle diese Medien als Ver<strong>mit</strong>tler <strong>der</strong> Wirklichkeit kritisch ernst nehmen <strong>in</strong> ihrer<br />
Wirklichkeit! Sie haben nicht nur e<strong>in</strong>e mediale Funktion - sie s<strong>in</strong>d selber auch e<strong>in</strong> Teil<br />
<strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swirklichkeit - <strong>mit</strong> vielfältiger Wirksamkeit! AV-Medien<br />
s<strong>in</strong>d nicht nur "Brillen" <strong>der</strong> Wirklichkeit - Ver<strong>mit</strong>tler von "Wirklichkeit aus 2. Hand" -<br />
sie s<strong>in</strong>d auch selbst "Wirklichkeit aus 1. Hand"! Medienwirklichkeit ist sek<strong>und</strong>äre<br />
Wirklichkeit, Wirklichkeit außerhalb des Klassenzimmers ist primäre Wirklichkeit -<br />
so e<strong>in</strong>fach geht es nicht. "Gehört <strong>der</strong> Pumuckel, den wir anfassen, sehen, hören <strong>und</strong><br />
72
iechen können <strong>in</strong> unsere erste, un<strong>mit</strong>telbare Wirklichkeit, o<strong>der</strong> ist er e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g<br />
aus e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en gedachten Wirklichkeit? Den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ist gleich. Sie lieben den<br />
Pumuckel, egal auf welcher Wirklichkeitsebene er daherkommt. K<strong>in</strong><strong>der</strong> trennen nicht<br />
genau zwischen Wirklichkeit <strong>und</strong> Fiktion" (S.Jörg, 1987 S.100).<br />
Das Kästchendenken <strong>der</strong> Erwachsenen nimmt das <strong>in</strong>tuitive K<strong>in</strong><strong>der</strong>wissen nicht ernst<br />
genug, das solche logisch-analytischen Kriterien nicht ansetzt. Wie wirklich ist denn<br />
unsere Wirklichkeit? Heute unterscheiden wir zwischen e<strong>in</strong>er ersten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er zweiten<br />
Wirklichkeit. Die dritte, vierte <strong>und</strong> fünfte nennen wir meistens nicht mehr. Wir tun so,<br />
als ob die AV-Wirklichkeit <strong>der</strong> Medien, als ob das alle<strong>in</strong> die zweite<br />
Wirklichkeitsebene wäre. Dabei gibt es noch viel mehr Wirklichkeitsebenen - nicht<br />
nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung des mo<strong>der</strong>nen Menschen!<br />
Wir müssen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen, daß sie ihren Blick auf unterschiedliche<br />
Wirklichkeitserfahrungen h<strong>in</strong> schärfen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen langsam vom magischen<br />
Denken her, vom Fühlen her, von dem, was sie "an Wirklichkeit" erleben <strong>in</strong> Träumen,<br />
im Alltag <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Medien. Von daher sollen sie langsam zu e<strong>in</strong>er "sachlichen", d.h.<br />
sachgerechten E<strong>in</strong>stellung geführt werden. Die Mischung <strong>der</strong> Wirklichkeitsebenen <strong>in</strong><br />
ihrer Bedeutung für den Menschen, für die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, muß auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mischung <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> je verschiedenen Bedeutung für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> pädagogisch entfaltet werden.<br />
Auch die "ver-<strong>mit</strong>telte" Begegnung - durch Film, durch Buch, durch Phantasie <strong>und</strong><br />
Traum, durch Hörkassette <strong>und</strong> Videoclip - ist e<strong>in</strong>e Realitätsebene <strong>der</strong> Weltbegegnung<br />
des mo<strong>der</strong>nen Menschen. Sie hat wohl e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Bedeutung für den menschlichen<br />
<strong>Leben</strong>svollzug als die "un-<strong>mit</strong>telbare" Begegnung, aber sie hat auch "positive Lern<strong>und</strong><br />
Erfahrungspotentiale" (H.Zacharias), die Erwachsene heute wohl nur zusammen<br />
<strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n erschließen können ohne sich auf ihr "Vorweg" an "erfahrener<br />
Wirklichkeit" den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gegenüber berufen zu dürfen.<br />
7.3. Ganzheitliche Begegnung <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
"Weltlichkeit" ist die "Wurzel <strong>der</strong> <strong>in</strong>ter-subjektiven Verb<strong>in</strong>dung" - das ist nicht nur e<strong>in</strong><br />
berühmt gewordenes Wort von Merleau-Ponty, son<strong>der</strong>n das gesamte "Programm"<br />
73
e<strong>in</strong>er Philosophie <strong>und</strong> Anthropologie <strong>der</strong> menschlichen Intersubjektivität - ganz gleich<br />
welcher Provenienz. "Me<strong>in</strong> Leib" wird von mir erst als "me<strong>in</strong>" Leib erfahren, wenn<br />
ihn e<strong>in</strong> Du als "de<strong>in</strong>en" Leib erfährt. Im Austausch von Ich <strong>und</strong> Du vollzieht sich das<br />
"Wir" - dieses Wir braucht aber die "Brücke" <strong>der</strong> Leiblichkeit.<br />
<strong>Leben</strong> im Leib bedeutet für den Menschen: empf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> empf<strong>und</strong>en werden - lieben<br />
<strong>und</strong> geliebt werden - erfahren <strong>und</strong> erfahren werden. Und das gilt für alle Weisen <strong>und</strong><br />
Formen des menschlichen <strong>Leben</strong>s - auch für das Lernen <strong>und</strong> die Wissenschaft. Der<br />
Leib ist "Gegenstand" <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit von Körper <strong>und</strong> Geist. Der Mensch hat e<strong>in</strong>e nur ihm<br />
eigene <strong>Leben</strong>sform - <strong>in</strong> <strong>der</strong> Leiblichkeit als Ver<strong>mit</strong>tlung von Körper <strong>und</strong> Geist.<br />
Vom Mutterleib an lebt sich <strong>der</strong> Mensch als "ganzer" <strong>mit</strong> allen se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong><br />
se<strong>in</strong>em <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Die Begegnung <strong>mit</strong> Mensch <strong>und</strong> Welt geschieht <strong>mit</strong><br />
Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, <strong>mit</strong> Geist <strong>und</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>. "Alle <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d bei <strong>der</strong> Geburt<br />
hellwach: es hat bereits im Mutterleib se<strong>in</strong>en Gleichgewichts- <strong>und</strong> Tasts<strong>in</strong>n üben<br />
können. Es br<strong>in</strong>gt aus dieser Zeit sogar Hörer<strong>in</strong>nerungen <strong>mit</strong> auf die Welt. Und es<br />
kann sehen. Gleich <strong>in</strong> den ersten St<strong>und</strong>en des E<strong>in</strong>tritts <strong>in</strong> die Welt <strong>der</strong> Luft, des Lichts,<br />
<strong>der</strong> lauten Geräusche <strong>und</strong> rauhen Berührungen beg<strong>in</strong>nt es eifrig, all die verwirrenden<br />
Informationen, die ihm se<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e über<strong>mit</strong>teln, <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu verknüpfen...In<br />
Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>und</strong> im Zusammenspiel <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er Bewegungs-Wahrnehmungs- <strong>und</strong><br />
Sozialentwicklung entfaltet es se<strong>in</strong>e geistigen Fähigkeiten" (K.Zimmer 1988 2 , S. 23).<br />
Begegnung <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist das <strong>Leben</strong>spr<strong>in</strong>zip des Menschen. Nur durch die<br />
s<strong>in</strong>nliche, "leibhaftige" Begegnung <strong>mit</strong> Menschen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Welt entfaltet <strong>der</strong><br />
Mensch <strong>Leben</strong>sbezüge auf an<strong>der</strong>e <strong>und</strong> an<strong>der</strong>es h<strong>in</strong> <strong>und</strong> entfaltet so gleichsam<br />
"spiegelbildlich" se<strong>in</strong>e eigene Identität. Und diese Eigenart des menschlichen <strong>Leben</strong>s<br />
for<strong>der</strong>t immer auch e<strong>in</strong> "Spuren"-über-den-Leib h<strong>in</strong>aus. In Mimik, Gestik, Zeichen<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache - oft komb<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> ganzheitlichen Ausdrucksformen wie z.B.<br />
musisch - dramaturgischen Spielformen - entfaltet <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong> Ich zum an<strong>der</strong>en<br />
h<strong>in</strong>: <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> Geist, <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Begegnungsgesten s<strong>in</strong>d <strong>Leben</strong>sgesten.<br />
7.4. Begegnung als Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Wirklichkeitsforschung<br />
74
Die wechselseitige E<strong>in</strong>heit von Welt- <strong>und</strong> Selbsterkenntnis ist e<strong>in</strong>e Voraussetzung für<br />
e<strong>in</strong>e menschengemäße Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung. Goethe hat e<strong>in</strong>en Weg des Wissens über<br />
Natur aufgezeigt, <strong>der</strong> die Vielfalt <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen zu allgeme<strong>in</strong>en<br />
Erkenntnissen führt, auf dem auch Begegnungen, die <strong>der</strong> Mensch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Natur macht,<br />
wichtig s<strong>in</strong>d. Das Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zip des Goetheanischen Denkens im H<strong>in</strong>blick auf<br />
Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> Weltbildaufbau ist die E<strong>in</strong>heit von Beobachtung als<br />
kognitive Auffassung von D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Begegnung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen; <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begegnung<br />
s<strong>in</strong>d Erlebnis <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nliche Erfahrung e<strong>in</strong>gebracht.<br />
Das Anschauen, das Feststellen von Daten, von Fakten, das Dokumentieren, das<br />
Sachmerkmale feststellen, das ist für Goethe die erste, unterste Stufe. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
muß man kommen, wenn man menschengerechte Erfahrungen machen will. Man muß<br />
zu e<strong>in</strong>em wechselseitigen Verstehen von Welt- <strong>und</strong> Selbsterkenntnis kommen. Erst<br />
wenn dieses wechselseitige Versehen da ist, spricht Goethe von "Bildung". Aber wie<br />
gew<strong>in</strong>nt man diese Erfahrung über die Natur, diesen Weg, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> Ich,<br />
Objekt <strong>und</strong> Subjekt, D<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Mensch <strong>in</strong> engem Zusammenhang erlebt <strong>und</strong><br />
verstanden werden? Nach <strong>der</strong> Goetheanischen Methode <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung<br />
s<strong>in</strong>d 3 Schritte notwendig:(vgl.J.W.v.Goethe, München, dtv. 1988, Band I)<br />
1. Das empirische Phänomen.<br />
Wenn sie gestern spazieren gegangen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Blumenstrauß <strong>mit</strong> nach Hause<br />
genommen haben, dann hatten sie z.B. e<strong>in</strong> empirisches Phänomen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand.<br />
Pflanzen, Blumen, wie sie empirisch vorkommen, von ganz verschiedener Gestalt, als<br />
Individuum, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Vielfalt vorhanden - e<strong>in</strong>e Margerite, e<strong>in</strong>e<br />
Glockenblume, e<strong>in</strong> Hahnenfuß s<strong>in</strong>d solche "empirischen" Phänomene.<br />
2. Man macht sich davon e<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en Begriff.<br />
Der allgeme<strong>in</strong>e Begriff unseres Blumenstraußbeispiels: Blume. Diesen allgeme<strong>in</strong>en<br />
Begriff macht man sich, <strong>in</strong>dem man das empirische Phänomen unter an<strong>der</strong>en<br />
Umständen, unter an<strong>der</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen untersucht <strong>und</strong> vergleicht. Den allgeme<strong>in</strong>en<br />
Begriff hat man oft schon im "H<strong>in</strong>terkopf", aus dem Alltagswissen, wie bei <strong>der</strong> Blume<br />
o<strong>der</strong> man gew<strong>in</strong>nt ihn, wie z.B. beim Begriff Regenbogen aus optisch-physikalischen<br />
Gesetzenmäßigkeiten, durch experimentelle Anordnung. Beide Möglichkeiten <strong>der</strong><br />
75
Begriffsbildung wertet Goethe gleichwertig - aber <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Betonung, daß dort, wo es<br />
um lebendige Natur geht, die experimentelle "Experimentiererei" nicht gestattet ist.<br />
Erst aus <strong>der</strong> mehrfachen, <strong>und</strong> konkreten Analyse des empirischen Phänomens kommen<br />
wir zur 3. Stufe <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung:<br />
3. Das re<strong>in</strong>e Phänomen.<br />
Das re<strong>in</strong>e Phänomen steht zuletzt als Resultat aller Erfahrungen <strong>und</strong> Versuche da. In<br />
dieser Phase hat <strong>der</strong> Betrachter e<strong>in</strong> Wissen davon gewonnen, wie gr<strong>und</strong>legende<br />
Bewegungsformen <strong>und</strong> Wirkungsweisen <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Natur <strong>in</strong> dem<br />
gewählten E<strong>in</strong>zelbereich auf typische Weise zusammentreffen.<br />
Nun ist das Entscheidende bei dieser Goetheanischen Sicht <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung,<br />
daß alles, was <strong>der</strong> Mensch über diese drei phänomenalen Stufen "<strong>in</strong><br />
Erfahrung" br<strong>in</strong>gen kann, auch <strong>mit</strong> dem Menschen selber zu tun hat - e<strong>in</strong> Gleichnis<br />
se<strong>in</strong>es eigenen Wesens ist. Diese drei Stufen <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung s<strong>in</strong>d immer<br />
zugleich e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>mit</strong> den <strong>in</strong>neren <strong>Leben</strong>sformen des Menschen. Die<br />
Naturerfahrung, das Wissen über die Natur ist für den Menschen zugleich<br />
Selbsterfahrung.<br />
Das macht das Beispiel "Samenkornübung" aus <strong>der</strong> Gestalttherapie anschaulich: In <strong>der</strong><br />
tiefen Erde liege ich, Dunkelheit herrscht, ich weiß, daß es mich gibt, ich treibe aus<br />
mir heraus <strong>und</strong> weiß nicht, wie es geschieht. In e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Welt b<strong>in</strong> ich gewachsen.<br />
Himmel <strong>und</strong> Sonne, Luft <strong>und</strong> Wärme geben mir neue Gestalt. Blatt, Stamm <strong>und</strong> Blüte.<br />
Früchte entstehen <strong>und</strong> ziehen schwer zur Erde, ich lasse sie los. W<strong>in</strong>d, Regen <strong>und</strong><br />
Wolken sagen, daß die Zeit reif ist, ich gehe zurück zur Erde (vgl. 1.3.).<br />
Was im Pflanzenwachstum als Rhytmus des <strong>Leben</strong>s da ist, kann im eigenen <strong>Leben</strong><br />
nachvollzogen werden. Wie <strong>der</strong> Wuchs <strong>der</strong> Pflanze ist auch <strong>der</strong> menschliche vom<br />
Aufstreben <strong>und</strong> an spiraligen Momenten bestimmt. Wie die Brechungen des<br />
Regenbogens s<strong>in</strong>d auch unsere Augen Antwort auf das Licht <strong>der</strong> Sonne. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
ruhen diese Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>in</strong> den Tiefen des nicht bewußten, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>fach<br />
gelebten <strong>Leben</strong>s. Es geht nicht um Informationen "über" das <strong>Leben</strong>, son<strong>der</strong>n um<br />
gelebtes <strong>Leben</strong>, um e<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begegnung. Die Beobachtung von<br />
Naturphänomenen, (hier Pflanzenwachstum) br<strong>in</strong>gt uns E<strong>in</strong>sichten nicht nur über die<br />
D<strong>in</strong>ge, über die Natur, son<strong>der</strong>n auch über uns selber, über die <strong>in</strong>neren Vorgänge, die<br />
76
sich <strong>in</strong> uns vollziehen. Die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit solchen Wissens ist<br />
existenzielle, ästhetische, <strong>in</strong>dividuelle <strong>und</strong> wirkliche <strong>Leben</strong>sart - e<strong>in</strong>e Forschung <strong>mit</strong><br />
dem Anspruch <strong>der</strong> "Wirklichkeitserforschung" muß den Mut aufbr<strong>in</strong>gen, dem <strong>Leben</strong><br />
so zu begegnen.<br />
Aufgabe von Pädagogen ist es, <strong>mit</strong> den jungen Menschen zusammen die "aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
antwortenden <strong>Leben</strong>sgesten von Mensch <strong>und</strong> Natur" (B.Wölfen) wie<strong>der</strong> wahrnehmen<br />
zu lernen. Dann werden unter ihnen auch e<strong>in</strong>ige fähig se<strong>in</strong>, neue, humane <strong>und</strong><br />
naturgerechte Wissenschaftsstrategien zu entwickeln, bei denen neben <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nung<br />
von Erkenntnissen über Naturzusammenhänge die Selbsterkenntnis des<br />
Wissenschaftlers <strong>und</strong> Forschers gleichermaßen zu ihrem Recht kommt. Auch von A.<br />
Portmann läßt sich dabei lernen: "Se<strong>in</strong>e Forschungsarbeiten suchen die Nähe zur<br />
lebensweltlichen Erfahrung <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> leiten von den biologischen E<strong>in</strong>sichten über<br />
zu pädagogischen, künstlerischen, metaphysischen <strong>und</strong> religiösen Fragen. Da<strong>mit</strong> wird<br />
die Kluft zwischen "objektivem" Wissen <strong>und</strong> lebensweltlicher Bedeutsamkeit<br />
vermieden.<br />
Portmann öffnet <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en Forschungsarbeiten <strong>und</strong> <strong>der</strong> gleichzeitigen<br />
Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>bettung s<strong>in</strong>nlicher wie rationaler Elemente <strong>in</strong> das wissenschaftliche<br />
"Verstehen" die Möglichkeit, die je eigene Selbstdarstellung <strong>der</strong> Lebewesen als<br />
Äußerung ihrer spezifischen Weltbeziehung <strong>der</strong> Natur zu deuten - <strong>der</strong> Mensch wäre<br />
das sprachliche <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nliche Sprechen dieser Sprache. Da<strong>mit</strong> sollte es vielleicht auch<br />
möglich se<strong>in</strong>, Selbstdarstellung <strong>und</strong> Weltbeziehung, Selbständigkeit <strong>und</strong><br />
Weltzuwendung, Autonomie <strong>und</strong> Solidarität zusammenzudenken?" (W.Bierter, 1990<br />
S.126-128).<br />
Prolog zur pädagogischen Perestrojka im Jahr 2000<br />
"De<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
s<strong>in</strong>d nicht de<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Sie s<strong>in</strong>d die Söhne <strong>und</strong> Töchter<br />
<strong>der</strong> Sehnsucht des <strong>Leben</strong>s nach sich selbst.<br />
77
Sie kommen durch dich,<br />
aber nicht von dir<br />
<strong>und</strong> obwohl sie bei dir s<strong>in</strong>d,<br />
gehören sie dir nicht.<br />
Du kannst ihnen de<strong>in</strong>e Liebe geben,<br />
aber nicht de<strong>in</strong>e Gedanken.<br />
Du kannst ihrem Körper e<strong>in</strong> Heim geben,<br />
aber nicht ihrer Seele.<br />
Denn ihre Seele wohnt im Haus von Morgen<br />
das du nicht besuchen kannst,<br />
nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> ihren Träumen.<br />
Du kannst versuchen, ihnen gleich zu se<strong>in</strong>,<br />
aber suche nicht, sie dir gleich zu machen.<br />
Denn das <strong>Leben</strong> geht nicht rückwärts<br />
<strong>und</strong> verweilt nicht beim Gestern.<br />
Du bist <strong>der</strong> Bogen,<br />
von dem de<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
als Pfeile ausgeschickt werden -<br />
Laß de<strong>in</strong>e Bogenr<strong>und</strong>ung<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Schützen Freude bereiten."<br />
KAHLIL GIBRAN (1923)<br />
De<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> -<br />
Söhne <strong>und</strong> Töchter <strong>der</strong> Sehnsucht des <strong>Leben</strong>s nach sich selbst<br />
Pädagogen - Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen, Lehrer, Erzieher<strong>in</strong>nen, Erzieher - s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
anvertraut <strong>und</strong> nicht selten ist im Verhältnis von Pädagogen zu ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mehr<br />
Macht als Vertrauen offenk<strong>und</strong>ig. E<strong>in</strong> recht großes Kapitel Erziehungsgeschichte ist<br />
mehr <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Geißel <strong>der</strong> Macht als <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiheit geschrieben worden. Das<br />
78
gilt für Eltern- K<strong>in</strong>d-Beziehungen ebenso wie für <strong>in</strong>stitutionelle Erzieher-K<strong>in</strong>d-<br />
Beziehungen.<br />
An<strong>der</strong>s sieht da e<strong>in</strong> humanes Denken aus: "De<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d nicht de<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>!"<br />
Das will auch heißen: Pädagogen tun gut, die Achtung vor dem K<strong>in</strong>d immer aufrecht<br />
zu erhalten, auch dann, wenn dieses K<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>e Wege geht, se<strong>in</strong>e "eigenen" Wege<br />
geht, - auch dann, wenn Leibnähe <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit des K<strong>in</strong>des die <strong>in</strong>tellektuellen<br />
Erziehungspr<strong>in</strong>zipien über Bord werfen. Machtverhalten hat im pädagogischen Bezug<br />
nichts zu suchen - auch nicht unter dem Deckmantel noch so "vernünftiger"<br />
Erziehungsziele! Denn we<strong>der</strong> die Verfügung über das <strong>Leben</strong> noch über die<br />
<strong>Leben</strong>swege <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> obliegt dem Pädagogen. Er hat vielmehr zu respektieren, daß<br />
<strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n das <strong>Leben</strong> selbst sich neu entfalten will. Gerade <strong>in</strong> unserer Zeit <strong>der</strong><br />
unsicher gewordenen Urteile darüber, was lebensbedeutsam ist, tun Erwachsene gut<br />
daran, <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n diese "Sehnsucht des <strong>Leben</strong>s nach sich selbst" neu zu entdecken<br />
<strong>und</strong> zu suchen.<br />
Durch dich -<br />
aber nicht von dir<br />
Die Sehnsucht nach dem K<strong>in</strong>d, nach dem "eigenen" K<strong>in</strong>d ist <strong>in</strong> vielen Erwachsenen<br />
heute groß <strong>und</strong> wach geworden. "Geplante" Mutterschaft, "bewußte" Elternschaft,<br />
"effektive" Bildung <strong>und</strong> Erziehung s<strong>in</strong>d Schlagworte <strong>der</strong> pädagogischen Alltagsszene.<br />
"Per se" sche<strong>in</strong>en Eltern, Lehrer <strong>und</strong> Erzieher autorisiert zu se<strong>in</strong> für das "Geschäft" <strong>der</strong><br />
Erziehung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Doch je höher die Erwartungen s<strong>in</strong>d, desto größer ist oft die<br />
Enttäuschung - <strong>und</strong> das nicht selten! - wenn sich K<strong>in</strong><strong>der</strong> "an<strong>der</strong>s" entwickeln, an<strong>der</strong>s<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> an<strong>der</strong>s leben wollen.<br />
Auch hier kann KAHLIL GIBRAN's Sentenz "durch dich, aber nicht von dir" e<strong>in</strong>e<br />
befreien-de E<strong>in</strong>sicht deutlich machen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d eben nicht "Produkte", die man<br />
"produziert" <strong>und</strong> dann zum Gebrauch <strong>und</strong> Verbrauch besitzt - sie s<strong>in</strong>d "nur zu Lehn<br />
genommen", vom <strong>Leben</strong> selbst. Die Enttäuschung über "mißratene" K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollte für<br />
Eltern <strong>und</strong> Erzieher immer auch Anlaß se<strong>in</strong>, darüber nachzudenken, was diese<br />
Enttäuschung immer an Ent-Täuschung be<strong>in</strong>-haltet. Allzuoft s<strong>in</strong>d es die eigenen<br />
79
Wünsche <strong>und</strong> Projektionen <strong>der</strong> Erwachsenen, die im Verhalten von K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht<br />
verwirklicht werden. Selbstverständlich s<strong>in</strong>d die Erwachsenen dann enttäuscht - <strong>und</strong><br />
man sollte nicht das K<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n sich selbst "an <strong>der</strong> Nase" nehmen. Jedenfalls ist<br />
auch dann, wenn Pädagogen me<strong>in</strong>en, doch "alles" für "ihr" K<strong>in</strong>d getan zu haben - <strong>und</strong><br />
dieses K<strong>in</strong>d sich an<strong>der</strong>s ("mißraten") verhält - eben nicht alles für "dieses" K<strong>in</strong>d getan<br />
worden, bestenfalls für e<strong>in</strong>e Ideal- o<strong>der</strong> Klischeevorstellung vom sogenannten<br />
"K<strong>in</strong>d".<br />
De<strong>in</strong>e Liebe geben,<br />
aber nicht de<strong>in</strong>e Gedanken<br />
Erziehen <strong>und</strong> Unterrichten hat im abendländischen Verständnis viel <strong>mit</strong> Intellekt <strong>und</strong><br />
Wissen zu tun. Die Entwicklung von Erziehungs- <strong>und</strong> Bildungsprogrammen g<strong>in</strong>g bis<br />
dah<strong>in</strong>, daß sich oft auch schon Gr<strong>und</strong>schulpädagogen fühlen wie e<strong>in</strong> perfekt vernetzter<br />
Roboter des Unterrichtens o<strong>der</strong> wie e<strong>in</strong> logistisch-kybernetisch perfekter Stratege des<br />
pädagogischen Handelns.<br />
Aber Lernen <strong>und</strong> Erziehen von lebendigen Menschen ist nie zu "erledigen" als<br />
Programmieren, als "Füttern" im Simme des "In-Put - Out-Put - Modells" <strong>mit</strong> fremdem<br />
Wissen.<br />
Wenn <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Bedeutung beim Lernen für den jungen Menschen anwesend se<strong>in</strong><br />
sollen, ist e<strong>in</strong>e ganzheitliche <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit im pädagogischen <strong>und</strong> unterrichtlichen<br />
Handeln zu verwirklichen. Nur e<strong>in</strong> "Depot" an Wissen <strong>und</strong> Können "e<strong>in</strong>lagern" zu<br />
wollen o<strong>der</strong> "auf Abruf" sicherstellen zu wollen, ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>humaner Denk- <strong>und</strong><br />
Handlungsansatz. Denn je<strong>der</strong> Lernprozeß wird - wenn er menschengerecht vollzogen<br />
wird - e<strong>in</strong> Akt des Lernenden selbst se<strong>in</strong> müssen - e<strong>in</strong> Akt, e<strong>in</strong>e Reflexion <strong>und</strong> Aktion<br />
von Menschen auf sich selbst <strong>und</strong> auf die<br />
Welt h<strong>in</strong>.<br />
Reformpädagogen aller Provenienz haben das immer wie<strong>der</strong> betont, so auch<br />
M.Montessori, wenn sie den jungen Menschen zum Erzieher sprechen läßt: "Hilf mir,<br />
es selbst zu tun!" Und für diese Hilfestellung ist von Erziehern mehr Liebe als<br />
Bevorm<strong>und</strong>ung, mehr Zuwendung als Zuschnitt, mehr Intuition als Kalkulation, mehr<br />
80
Liebe als Verstand gefor<strong>der</strong>t. Nur so kann <strong>der</strong> junge Mensch auch vom Eigen-<strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />
zum Eigen-<strong>S<strong>in</strong>n</strong> geführt werden.<br />
Du kannst ihrem Körper e<strong>in</strong> Heim geben,<br />
aber nicht ihrer Seele<br />
Mit viel Liebe versuchen Eltern, Erzieher <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulpädagogen die Umgebung<br />
des K<strong>in</strong>des heimelig <strong>und</strong> heimisch zu gestalten. Kuschelecken <strong>in</strong> den Klassenzimmern<br />
von Gr<strong>und</strong>schulen erleben heute e<strong>in</strong>e Hochkonjuktur <strong>und</strong> die For<strong>der</strong>ung nach <strong>der</strong> sog.<br />
"Heimat-Orientierung" bestimmt wie<strong>der</strong> alle neueren Gr<strong>und</strong>schullehrpläne. Das<br />
Bedürfnis nach e<strong>in</strong>em Heim <strong>und</strong> Daheim hat <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch, <strong>der</strong> sich als e<strong>in</strong> <strong>in</strong>s<br />
Dase<strong>in</strong>"Geworfener" empf<strong>in</strong>det, beson<strong>der</strong>s stark.<br />
Doch die Seele <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> wohnt oft nicht im selben Haus wie die Seelen ihrer<br />
Betreuer. Sich selbst "orten" können, e<strong>in</strong>en Standpunkt f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> haben auf <strong>der</strong> Welt<br />
- das ist für K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute oft e<strong>in</strong> recht eigener <strong>und</strong> eigenwilliger Prozeß. K<strong>in</strong><strong>der</strong> bauen<br />
ihr <strong>Leben</strong>shaus als e<strong>in</strong> "Haus von Morgen, das du nicht besuchen kannst - nicht e<strong>in</strong>mal<br />
<strong>in</strong> ihren Träumen" - es sei denn, Erwachsene lassen sich von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n selbst dieses<br />
"Haus von Morgen" zeigen. Und ich me<strong>in</strong>e, daß das ganz beson<strong>der</strong>s für viele Fragen<br />
zur sogenannten Umwelterziehung gilt. Für e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nvollen Umweltschutz täten<br />
Erwachsene gut daran, von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu lernen - Wünsche, Ideen <strong>und</strong> Modelle von<br />
ihnen abzuholen, um das Haus <strong>der</strong> Zukunft zu bauen.<br />
Du kannst versuchen, ihnen gleich zu se<strong>in</strong>,<br />
aber nicht, sie dir gleich zu machen<br />
Dieses "Gleich-Se<strong>in</strong>" <strong>mit</strong> dem K<strong>in</strong>d kann wohl nicht bedeuten, daß sich Erwachsene<br />
regressiv <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dheit zurück "gebärden", wie das heute so manche<br />
psychologistischen Theorien <strong>und</strong> Therapieansätze postulieren. Auch geht es nicht an,<br />
daß Erwachsene e<strong>in</strong> naives, k<strong>in</strong>disches Verhalten an den Tag legen Geme<strong>in</strong>t ist wohl<br />
jene Art des "Werdet wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong>", die im biblischen Verständnis des Neues<br />
Testamentes das "Himmelreich" jenen zugesagt, die sich die Offenheit des "alles-von-<br />
Gott-Erwartens" als Gr<strong>und</strong>haltung ihres <strong>Leben</strong>s bewahren.<br />
81
Selbst <strong>in</strong> Sachbezügen <strong>und</strong> sachunterrichtlichen Strategien gilt, daß nicht nur<br />
Erwachsene die "objektive" Wahrheit f<strong>in</strong>den können. Es gilt, so zu unterrichten wie<br />
M. Wagensche<strong>in</strong> formulierte: "Mit dem K<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Sache aus, die für das K<strong>in</strong>d die<br />
Sache ist!". Das Denken <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> darf dem Denken <strong>der</strong> Erwachsenen nicht e<strong>in</strong>fach<br />
"gleich"gemacht werden. Die Individualität, die Freiheit des e<strong>in</strong>zelnen <strong>und</strong> die Freude<br />
am "Du bist e<strong>in</strong>malig" muß Erziehungsmotto se<strong>in</strong>.<br />
Das bedeutet auch, die ursprüngliche, spontane <strong>Leben</strong>sweise <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>smöglichkeit<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als Erwachsener zu sehen <strong>und</strong> so viel als möglich im Erwachsenenleben<br />
davon zu bewahren. Das Erziehen als "Heranziehen" o<strong>der</strong> gar "Heraufziehen" zu den<br />
Erwachsenen, wie es <strong>in</strong> manchen pädagogischen Begriffsanalysen steht, um e<strong>in</strong><br />
"Gleichmachen" <strong>mit</strong> dem Erwachsenen anzustreben, be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong> falsches<br />
Verständnis. Eher gilt das umgekehrte: "Werdet wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong>!" - auch da<strong>mit</strong> ihr<br />
erfahrt, daß "<strong>der</strong> Himmel nirgendwo endet", schon gar nicht auf <strong>der</strong> <strong>mit</strong> unseren<br />
<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> s<strong>in</strong>nvoll erfahrbaren Erde.<br />
Du bist <strong>der</strong> Bogen -<br />
laß de<strong>in</strong>e Bogenr<strong>und</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Schützen Freude bereiten<br />
Das Bild vom Erwachsenen Erzieher als "Bogen, von dem die K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Pfeile<br />
ausgeschickt werden", verweist e<strong>in</strong>erseits auf das Loslassenmüssen <strong>und</strong><br />
Loslassendürfen des K<strong>in</strong>des - an<strong>der</strong>erseits wird <strong>in</strong> diesem Bild auch anschaulich, daß<br />
es doch wichtig ist, wie die Eltern ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wie <strong>der</strong> Lehrer <strong>und</strong> Erzieher "se<strong>in</strong>e"<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> "<strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>ausschickt".<br />
Kahlil Gibran stellt <strong>in</strong> diesem Gleichnis den Bezug zur Bogenr<strong>und</strong>ung deutlich her:<br />
"Laß de<strong>in</strong>e Bogenr<strong>und</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Schützen Freude bereiten!" Der Schütze ist<br />
<strong>der</strong> Erwachsene selbst - er ist <strong>der</strong> Bogen. Der Schütze ist <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> allen <strong>Leben</strong>s -<br />
Gott. Eltern <strong>und</strong> Erziehern obliegt es, e<strong>in</strong>e "biegsame Bogenr<strong>und</strong>ung" zu se<strong>in</strong>:<br />
kraftvoll, spannungsgeladen sich führen-lassend vom "Schützen". Die oftmals<br />
gefor<strong>der</strong>te "Selbsterziehung des Erziehers", die Eigenbildung <strong>der</strong><br />
Lehrerpersönlichkeit" ist da<strong>mit</strong> auch angesprochen. Wichtig sche<strong>in</strong>t mir ebenso die<br />
da<strong>mit</strong> verb<strong>und</strong>ene Mahnung zur Bescheidenheit <strong>und</strong> die Mahnung zur Ehrfurcht vor<br />
82
dem Urgr<strong>und</strong> allen <strong>Leben</strong>s. Und man muß e<strong>in</strong>- sehen, daß diese Haltung <strong>der</strong> Ehrfurcht<br />
vor dem <strong>Leben</strong>digen nicht nur für das praktische, pädagogische Tun gilt, son<strong>der</strong>n auch<br />
e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>haltung bei wissenschaftlichen Zugangsweisen <strong>und</strong> Forschungsmethoden<br />
im pädagogischen Bereich se<strong>in</strong> müßte.<br />
Der Mensch, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>em <strong>Leben</strong> <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ihm <strong>in</strong>dividuell aufgetragenen<br />
Freiheitsgestalt <strong>S<strong>in</strong>n</strong> verleihen kann <strong>und</strong> soll, hat diesen Weg als E<strong>in</strong>zelner zu gehen,<br />
nur dann wird ihn die Menschheit als Ganzes auch wie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nvoll gehen können.<br />
<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lich-s<strong>in</strong>nvoller <strong>Leben</strong>svollzug von e<strong>in</strong>zelnen Menschen br<strong>in</strong>gt auch die kulturelle<br />
Evolution wie<strong>der</strong> auf s<strong>in</strong>nvolle Pfade. Man muß "um den Preis des <strong>Leben</strong>s die<br />
Wirklichkeit des Se<strong>in</strong>s <strong>in</strong> die Waagschale legen", denn es gibt e<strong>in</strong>e "geme<strong>in</strong>same<br />
Verknotung von Wissenschaft, moral <strong>und</strong> Metaphysik. Jede Kritik des <strong>Leben</strong>s, die<br />
sich auf e<strong>in</strong>e unvollständige Erfahrung stützt, ist von gr<strong>und</strong>sätzlicher Unkompetenz.<br />
E<strong>in</strong> dünner Lichtstrahl reicht nicht aus, die ungeheuere Weite des praktischen <strong>Leben</strong>s<br />
zu erleuchten; das, was man sieht, zerstört nicht das, was man nicht sieht; <strong>und</strong> solange<br />
man die Aktion <strong>mit</strong> dem Gedanken noch nicht vollkommen verknüpfen konnte, noch<br />
auch das Gewissen <strong>mit</strong> dem Wissen, haben alle, sowohl Unwissende wie Philosophen<br />
wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong> Empirik die Pflicht gegenüber gelehrig, ja naiv gelehrig zu<br />
bleiben" (Blondel, (1898) 1965 S. 21).<br />
Literatur<br />
AFFEMANN R.: Der Mensch als Maß <strong>der</strong> Schule. Empfehlungen e<strong>in</strong>es<br />
Psychotherapeuten. Freiburg Her<strong>der</strong> 1979<br />
ANDERS G.: Die Antiquiertheit des Menschen Band 2: Über die Zerstörung des <strong>Leben</strong>es<br />
im Zeitalter <strong>der</strong> dritten <strong>in</strong>dustriellen Revolution. München, C.H.Beck 1980<br />
BAACKE D.: Die 6 bis 12-jährigen. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> Probleme des K<strong>in</strong>desalters.<br />
We<strong>in</strong>heim/Basel. Beltz 1984<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule. Naturwissenschaftlicher<br />
technischer Lernbereich. München Ehrenwirth 1979<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: Verlorene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>-lichkeit? <strong>in</strong>: Pädagogische Welt 1985 (Heft 4)<br />
83
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Sache als "Sache" des Gr<strong>und</strong>schulsachunterrichts o<strong>der</strong><br />
"<strong>mit</strong> dem K<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Sache aus, die für das K<strong>in</strong>d die Sache ist" (Mart<strong>in</strong> Wagensche<strong>in</strong>) <strong>in</strong>:<br />
Blätter für Lehrerfortbildung 1985 Heft 12<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Sachen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt als Gegenstand<br />
schulischen Lernens. E<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>und</strong> kritische Überlegungen zum Postulat<br />
"Erarbeitung fachgerechter Arbeitsweisen im Sachunterricht <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule. <strong>in</strong>:<br />
Sachunterricht <strong>und</strong> Mathematik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarstufe 1989 (Heft 9)<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: E<strong>in</strong>e Zeit des Wachsenlassens. Beiträge zur Sendung: "Auf e<strong>in</strong><br />
Wort". Bayerischer R<strong>und</strong>funk 1989<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: Gott auf dem Weg zum Menschen im Licht <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge.<br />
Gotterfahrung durch D<strong>in</strong>gerfahrung. <strong>in</strong>: Gottes Nähe. Religiöse Erfahrung <strong>in</strong> Mystik <strong>und</strong><br />
Offenbarung. Hrsg. P. Imhof. Würzburg Echter 1990 S. 238 - 257<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.:"Wir haben die Erde nur geborgt". Umwelterziehung im Mit -<br />
e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Mensch <strong>und</strong> Natur.<strong>in</strong>:Lehrerjournal /Gr<strong>und</strong>schulmagaz<strong>in</strong>. 1990 (Heft 5)<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n - zur Erziehung von (Gr<strong>und</strong>)-<br />
schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n heute zwischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung. <strong>in</strong>:<br />
Gr<strong>und</strong>schulpädagogik.Wissenschafts<strong>in</strong>tegrierende Beiträge.Hrsg. von A. Ornter u. U.J.<br />
Ortner. Donauwörth Auer1990<br />
BÄUML-ROßNAGL M.-A.: E<strong>in</strong>e neue Schule zur Jahrtausendwende? Leitmotive für e<strong>in</strong>e<br />
zeitgerechte anthropologische Gr<strong>und</strong>legung <strong>der</strong> Schulbildung <strong>in</strong>: Pädagogische Welt. 1990<br />
(Heft 12)<br />
BIERTER W.: Vom Umweltschutz zur Naturpolitik. (ökologische Ethik) <strong>in</strong>: universitas.<br />
Zeitschrift für Interdiszipl<strong>in</strong>äre Wissenschaft. 1990 (Heft 2)<br />
BLONDEL M.: Die Aktion (1893). übers. von R. Scherer. Versuch e<strong>in</strong>er Kritik des <strong>Leben</strong>s<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Wissenschaft <strong>der</strong> Praktik. Freiburg Alber 1965<br />
CZERWENKA K.: Wirklichkeitsorientierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule <strong>in</strong>: Pädagogische Welt<br />
1982 (Heft 9)<br />
COENEN H.: Leiblichkeit <strong>und</strong> Sozialität. E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>problem <strong>der</strong> phänomenologischen<br />
Soziologie <strong>in</strong>: Petzold H.(Hrsg.): Leiblichkeit. Philosophische,gesellschaftliche <strong>und</strong><br />
therapeutische Perspektiven. Pa<strong>der</strong>born.Junfermann 1986<br />
COMENIUS J.A.: Didactica magna.In neuer Übersetzung hrsg. von Andrea Flitner.<br />
Düsseldorf/München Küpper 1954 (Orig<strong>in</strong>al 1627)<br />
EGGEBRECHT H.: Bl<strong>in</strong>de Augen, taube Ohren. Kulturkommentar am Bayerischen<br />
R<strong>und</strong>funk 8.5.1988.<br />
GIBRAN K. Der Prophet. Wegweiser zu e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nvollen <strong>Leben</strong>. Olten/Freiburg. Walter<br />
1980 (Orig<strong>in</strong>al 1923)<br />
84
GIBSON J.: Die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>und</strong> <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Wahrnehmung. Bern/Stuttgart/Wien Huber 1973.<br />
GOETHE J.W. von: Werke. Hamburger Ausgabe <strong>in</strong> 14 Bänden. München dtv.1988.<br />
HEIDEGGER M. Se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Zeit. Tüb<strong>in</strong>gen Niemeyer 1953<br />
JÖRG S.: Per Knopfdruck durch die K<strong>in</strong>dheit. Die Technik betrügt unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
We<strong>in</strong>heim/Berl<strong>in</strong> . Quadriga 1987<br />
KÄSTNER E.: Ansprache zum Schulbeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong>: Unterbrochene Schulst<strong>und</strong>e. Schrifteller <strong>und</strong><br />
Schule. E<strong>in</strong>e Anthologie. Frankfurt Suhrkamp 1972<br />
KAMPER D./WULF Chr.(Hrsg.): Das Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e. Frankfurt. Suhrkamp 1984<br />
KÜKELHAUS H.: E<strong>in</strong>e <strong>mit</strong>zuteilende Methode. Schweidewege Frankfurt 1974<br />
KÜKELHAUS H.: Fassen-Fühlen-Bilden. Organerfahrungen im Umgang <strong>mit</strong> Phänomenen.<br />
Köln Gaia 1978<br />
KÜKELHAUS H.: Organisumus <strong>und</strong> Technik. Gegen die Zerstörung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Wahrnehmung. Frankfurt Fischer alternativ 1979<br />
KÜKELHAUS H.: Organismus <strong>und</strong> Technik. Arbeitskreis für Organgesetzliche<br />
<strong>Leben</strong>sgestaltung. Lose Blattfolge/Son<strong>der</strong> heft, Hrsg. von Anne Barth. Münster 1987<br />
KÜKELHAUS H./zur LIPPE R.: Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e. E<strong>in</strong> "Erfahrungsfeld"zur Bewegung<br />
<strong>und</strong> Bes<strong>in</strong>nung Frankfurt. Fischer alternativ 1982<br />
KÜKELHAUS H.: Erfahrungsfeld zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e. Handbuch. Düsseldorf o.J.<br />
LANGEVELD J.M. Studien zur Antrhopologie des K<strong>in</strong>des. Tüb<strong>in</strong>gen Niemeyer 19683<br />
zur LIPPE R.: <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>bewußtse<strong>in</strong>. Gr<strong>und</strong>legung e<strong>in</strong>er anthropologischen Ästethik. Re<strong>in</strong>bek.<br />
Rowohlt 1987<br />
MARC FRANZ: Die D<strong>in</strong>ge reden. Aphorismen <strong>und</strong> Grüße. Wien/München. Brandstätter<br />
1987<br />
MEYER J.: Entdecken, was die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e leisten. <strong>in</strong>: Schreier H. (Hrsg) Sachuntericht Band 1.<br />
Identität aufbauen. Seelze. Friedrich 1985<br />
MOLLENHAUER K.: F<strong>in</strong>gererzählungen - e<strong>in</strong>e pädagogische Spekulation <strong>in</strong>: Lippitz W./<br />
Rittelmeyer Chr. (Hrsg.) Phänomene des K<strong>in</strong><strong>der</strong>lebens. Beispiele <strong>und</strong> methodische<br />
Probleme e<strong>in</strong>er pädagogischen Phänomenologie.<br />
Bad Heilbrunn. Kl<strong>in</strong>khardt. 1989<br />
MONTESSORI M: Von <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit zur Jugend. Hrsg. u. e<strong>in</strong>geleitet von Prof.Dr. Paul<br />
Oswald. Freiburg/Basel/Wien. Her<strong>der</strong> 19793<br />
OAKLANDER V.: Gestalttherapie <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen. Stuttgart Klett 1987<br />
PARACELSUS zit. <strong>in</strong>: Schipperges H.: Welt des Auges. Zur Theorie des Sehens <strong>und</strong> Kunst<br />
des Schauens. Freiburg/Basel/ Wien. Her<strong>der</strong> 1978<br />
PESTALOZZI J.H.: Die Abendst<strong>und</strong>e e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>siedlers <strong>in</strong>: Kle<strong>in</strong>e Schriften zur<br />
Volkserziehung <strong>und</strong> Menschenbildung. Bad Heilbrunn. Kl<strong>in</strong>khardt 19643 (Orig<strong>in</strong>al 1780)<br />
85
RAHNER K.: Alltägliche D<strong>in</strong>ge. E<strong>in</strong>siedeln Benziger 1966<br />
RINGELNATZ J.: Ausgewählte Gedichte. Re<strong>in</strong>bek. Rowohlt 1952 S. 94<br />
ROTH H. (Hrsg.): Begabung <strong>und</strong> Lernen. Stuttgart Klett 1969<br />
RUMPF H.: "Mit fremden Blick" Stücke gegen die Verbie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt. We<strong>in</strong>heim/Basel.<br />
Beltz 1986<br />
RUMPF H.: Die übergangene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit. Drei Kapitel über die Schule. München Juventa<br />
1981<br />
TILMANN K.: Staunen <strong>und</strong> Erfahren als Wege zu Gott. E<strong>in</strong>siedeln Benziger 1969<br />
TOURNIER P.: Rückkehr zum Weiblichen. Werden Frauen unsere Welt wie<strong>der</strong> menschlicher<br />
machen. Freiburg/Basel/ Wien. Her<strong>der</strong> 1981<br />
WAGENSCHEIN M.: Pädagogische Dimensionen <strong>der</strong> Physik. Braunschweig. Westermann.<br />
1976<br />
WAGENSCHEIN M.: Er<strong>in</strong>nerungen für Morgen. E<strong>in</strong>e pädagogische Autobiographie.<br />
We<strong>in</strong>heim/Basel. Beltz 1983<br />
WALDENFELS B.: Das Problem <strong>der</strong> Leiblichkeit bei Merleau-Ponty. <strong>in</strong>: Petzold H.<br />
(Hrsg.) Leiblichkeit. Philosophische, gesellschaftliche <strong>und</strong> therapeutische Perspektiven.<br />
Pa<strong>der</strong>born. Junfermann. 1986<br />
WALDENFELS B.: In den Netzen <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>welt. Frankfurt. Suhrkamp 1985<br />
WEIZSÄCKER C.Fr.v.: Das Experiment. Studium Generale I. Berl<strong>in</strong> 1947<br />
WEIZSÄCKER V.v.: Der Gestaltkreis. Theorie <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit von Wahrnehmen <strong>und</strong> Bewegen.<br />
Frankfurt. Suhrkamp 1973 (Orig<strong>in</strong>al 1940)<br />
ZIMMER K.: Das wichtigste Jahr. Die körperliche <strong>und</strong> seelische Entwicklung im ersten<br />
<strong>Leben</strong>sjahr München Kösel 1988²<br />
Bildnachweis<br />
Bei allen <strong>in</strong> diesem Buch wie<strong>der</strong>gegebenen Bil<strong>der</strong>n handelt es sich um Orig<strong>in</strong>aldokumente<br />
aus me<strong>in</strong>em Privatarchiv (<strong>und</strong> nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> gedruckten Ausgabe von 1990 aufgenommen)<br />
Zeitschriftenaufsätze<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Bildungs-Balance zwischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong><br />
E<strong>in</strong>e kritische Reflexion <strong>der</strong> Zeitläufe<br />
86
<strong>in</strong>: Jugend-Nachrichten. Zeitschrift des Bayerischen Jugendr<strong>in</strong>gs Nr. 9. 1999 S. 5f<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Abenteuer <strong>mit</strong> dem eigenen Leibe erfahren.<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen berichten über ihre Erfahrungen im OIKOS-Park <strong>in</strong> München auf dem<br />
"Erfahrungsfeld zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e".<br />
<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schule Nr. 11/1993, S. 30-33<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Wie man heute konkrete Erfahrungen gew<strong>in</strong>nen kann.<br />
E<strong>in</strong>ige Exempla zum Zusammenhang von <strong>Leben</strong>swelt <strong>und</strong> Schule heute.<br />
<strong>in</strong>: Pädagogische Welt Nr. 1/1992 S. 16 - 19<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
"Wieviel Erde braucht <strong>der</strong> Mensch?"<br />
<strong>Leben</strong>sphänomene auch <strong>in</strong><strong>mit</strong>ten unserer s<strong>in</strong>nes- <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nverarmten Gegenwartskultur wie<strong>der</strong><br />
wahrnehmen lernen.<br />
<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schule Nr. 5/1991, S. 12 - 14<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Mit den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> auf <strong>der</strong> Suche nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />
<strong>in</strong>: Lehrerjournal 1990, H. 12, S. 51-58<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A. zusammen <strong>mit</strong> Studierenden<br />
Tasten <strong>mit</strong> Auge - Hand - Fuß als "Fühl-Erkennen"<br />
(Prävention <strong>und</strong> Intervention)<br />
<strong>in</strong>: Lehrerjournal 1990, H. 12. S. 55-58<br />
Herausgegebene Werke <strong>und</strong> Beiträge<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nahe Bildungswege als aktuelle Bildungsaufgabe<br />
<strong>in</strong>: Pädagogik des Ästhetischen<br />
87
Herausgegeben von Biewer, Gottfried <strong>und</strong> Re<strong>in</strong>hartz, Petra<br />
Kl<strong>in</strong>khardt Verlag, Bad Heilbrunn 1997<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Zur Anthropologie <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e nach Hugo Kükelhaus<br />
<strong>in</strong>: "<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>reich". Vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong> e<strong>in</strong>er Bildung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e als kulturell-ästhetisches Projekt<br />
Herausgegeben von Wolfgang Zacharias<br />
Hagen - Kulturpolitische Gesellschaft e.V. / Essen - Klartext Verlag 1994<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Stichworte: "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>liches Lernen", "Schulkultur"<br />
<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schule von A bis Z. Herausgegeben von D. Heckt / U. Sandfuchs<br />
Braunschweig Westermann 1993<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
"Wieviel Erde braucht <strong>der</strong> Mensch?" Lernchance s<strong>in</strong>n-lich leben<br />
<strong>in</strong>: Expedition '92. Aufbruch <strong>in</strong> neue Lernwelten 10. <strong>und</strong> 11. September 1992 im Gasteig,<br />
München (Dokumentation) Veranstaltet vom FWU Institut für Film <strong>und</strong> Bild <strong>in</strong> Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Unterricht geme<strong>in</strong>nützige GmbH. Unter <strong>der</strong> Schirmherrschaft <strong>der</strong> UNESCO <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Kommission <strong>der</strong> EG<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A. (Hsg.)<br />
<strong>Leben</strong>swerte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er (neuen) Schulkultur.<br />
96 S. Braunschweig, Westermann 1992<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
Tasten <strong>mit</strong> Auge - Hand - Fuß als "Fühl-Erkennen"<br />
Dokumente <strong>und</strong> bildungstheoretische Analyse<br />
<strong>in</strong>: Wie erkennen K<strong>in</strong><strong>der</strong>? Probleme <strong>und</strong> Perspektiven des Sachunterricht, 1<br />
Beiträge zur Arbeitstagung <strong>in</strong> <strong>der</strong> GDCP 1990<br />
Herausgegeben von W.Köhnle<strong>in</strong> / R.Lauterbach / K.Spreckelsen. IPN Kiel 1991<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.(Hsg.)<br />
Wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben lernen<br />
Band 1:<br />
E<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>n-liche Gegenwartspädagogik für Eltern <strong>und</strong> Schule.<br />
91 Seiten; 82 farbige u. 6 sw. Abbildungen 1990<br />
88
Band 2:<br />
E<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nennahe Umweltpädagogik für Eltern <strong>und</strong> Schule.<br />
111 Seiten, 27 farbige u. 87 sw. Abbildungen 1991 Donauwörth, Auer<br />
Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />
<strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
Zur Erziehung von (Gr<strong>und</strong>schul-)K<strong>in</strong><strong>der</strong>n heute zwischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung.<br />
<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schulpädagogik. Wissenschafts<strong>in</strong>tegrierende Beiträge.<br />
Herausgegeben von A. Ortner / U. J. Ortner Donauwörth, Auer 1990<br />
89