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Leben mit Sinnen und Sinn in der heutigen Lebenswelt - Baeuml ...

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Maria-Anna Bäuml-Roßnagl<br />

<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt<br />

Wege <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zeitgerechte pädagogische Soziologie<br />

onl<strong>in</strong>e-Ausgabe 2000


Maria-Anna Bäuml-Roßnagl<br />

<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> (<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt)<br />

Wege <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zeitgerechte pädagogische Soziologie<br />

Onl<strong>in</strong>eausgabe 2000<br />

alle Rechte liegen bei <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong><br />

1


Vorwort zur "onl<strong>in</strong>e" Publikation 2000<br />

LEBEN MIT SINNEN UND SINN<br />

ist nunmehr seit 10 Jahren e<strong>in</strong> vieldiskutiertes Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

HEUTIGEN LEBENSWELT<br />

Die gr<strong>und</strong>legenden anthropologischen Reflexionen, die ich vor 10 Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Buch <strong>mit</strong> diesem Titel veröffentlichte, haben seither an Bedeutung gewonnen.<br />

Da dieses Buch längst vergriffen ist, möchte ich den vielen Interessenten über die<br />

neuen Möglichkeiten des "Internet-Lesens" die Chance geben, sich <strong>mit</strong> me<strong>in</strong>en<br />

Gedanken zu e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen <strong>Leben</strong>sgestaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alltagskultur <strong>und</strong> spezifisch im<br />

Bildungsbereich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Auch ich selbst habe <strong>in</strong> den vergangenen 10 Jahren weitere Überlegungen dazu<br />

publiziert - die F<strong>und</strong>stellen f<strong>in</strong>den sie im Anhang an die Literaturliste 1990.<br />

Nach wie vor ist es für uns Menschen heute <strong>in</strong> allen Berufs- <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sbereichen<br />

dr<strong>in</strong>glich, den INTELLEKT nicht ohne die LEIBBASIS auszubilden -<br />

Wissensanhäufung ohne emotionale Verankerung führt selten zu vernunftgerechten<br />

Handlungsstrategien - KOGNITION <strong>und</strong> EMOTION bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

München, im November 2000<br />

Prof. Dr. Maria-Anna Bäuml-Roßnagl<br />

PS:<br />

1. Die Urheberrechte für dieser Onl<strong>in</strong>eausgabe liegen bei <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong>; die<br />

Zitationsweise ist entsprechend anzugeben.<br />

2. Die ausgedruckten Seiten entsprechen etwa <strong>der</strong> gedruckten Ausgabe von 1990<br />

3. Die Abbildung aus <strong>der</strong> Erstaufgabe s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe nicht<br />

übernommen.<br />

2


INHALTSÜBERSICHT<br />

1. Kapitel<br />

DER LEIB ALS PÄDAGOGISCHES BILDUNGSGUT FÜR ERWACHSENE<br />

UND KINDER<br />

1.1. Leib-haftig leben lernen<br />

1.2. "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>mit</strong> dem Körper" als spezifische Aufgabe <strong>der</strong><br />

Industriegesellschaften<br />

1.3. Mit dem Leib <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n erfahren<br />

1.4. Bewußt den Leib erfahren<br />

1.5. Auch die pädagogische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung geschieht <strong>mit</strong> dem Leib<br />

2. Kapitel<br />

SINN-FRAGEN ANGESICHTS DER HEUTIGEN LEBENSWELT<br />

2.1. Ist die uns täglich "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt" unsere Welt?<br />

2.2. Gibt es e<strong>in</strong>en Weg von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nlich erfahrenen Welt zum<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> ganzen Welt?<br />

2.3. "Zivilisierte <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>n-en-nahe Zivilisation<br />

2.4. Durch <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esübungen zu e<strong>in</strong>em Selbst- <strong>und</strong> Sozialverständnis<br />

3. Kapitel<br />

SINNVOLL DIE WELT MIT ALLEN SINNEN ERFAHREN<br />

3.1. Bloße Wissensver<strong>mit</strong>tlung über die Welt verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen<br />

<strong>in</strong> die Welt<br />

3.2. "Hand <strong>in</strong> Hand" die Welt erk<strong>und</strong>en<br />

3.3. Auf eigenen Füßen die Welt erfahren<br />

3.4. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles Wissen aus Erfahrung <strong>und</strong> Handlung gew<strong>in</strong>nen<br />

3.5. Die Wahrnehmungsfähigkeit "ganzheitlich" sensibilisieren<br />

3.6. Sich selbst <strong>und</strong> die Welt geme<strong>in</strong>sam erfahren <strong>und</strong> deuten lernen<br />

3.7. In die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen erfor<strong>der</strong>t auch das Entwachsen aus<br />

<strong>der</strong> eigenen Welt<br />

3


4. Kapitel<br />

SINNVOLLE BILDUNG HEUTE DURCH SINNLICHES LERNEN<br />

4.1. <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nahes Lernen auch heute als bildungstheoretische Maxime<br />

4.2. Die Kraft <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als Bildungsaufgabe für den Menschen<br />

4.3. Der Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> als Bildungsweg<br />

4.4. Gr<strong>und</strong>legende Bildung im Spannungsverhältnis von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung<br />

5. Kapitel<br />

SINNLICHKEIT UND SINN DES MENSCHLICHEN LEBENS<br />

5.1. Der Mensch ist fortschreitende Bewegung<br />

5.2. Von <strong>der</strong> befremdlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung zur fragenden <strong>S<strong>in</strong>n</strong>suche<br />

5.3. Ohne Sachphänomene ke<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>phänomene -<br />

ohne Leiblichkeit ke<strong>in</strong>e menschlich s<strong>in</strong>nvolle Geistigkeit<br />

5.4. Das menschliche <strong>Leben</strong> ist <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit<br />

6. Kapitel<br />

MIT DEN SINNEN AUF DER SUCHE NACH WIRKLICHKEIT<br />

6.1. Der Mensch will die Welt <strong>in</strong> den "Griff" <strong>und</strong> "Begriff" bekommen<br />

6.2. Der bloß "registrierende Blick" übersieht die Wirklichkeit<br />

6.3. Mit allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> heute den wirklichen Bildungss<strong>in</strong>n wie<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den<br />

6.4. Erwachsene erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretieren die Wirklichkeit auch für die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

6.5. Nur <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> erkennt <strong>der</strong> Mensch die ganze Wirklichkeit<br />

7. Kapitel<br />

BEGEGNUNG ALS MENSCHENGEMÄSSE ERFAHRUNG DER WELT<br />

7.1. "Un-<strong>mit</strong>telbare" Begegnung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen als Unterrichtspr<strong>in</strong>zip<br />

7.2. "Ver-<strong>mit</strong>telte" Begegnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swelt<br />

7.3. Ganzheitliche Begegnung <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

7.4. Begegnung als Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Wirklichkeitsforschung<br />

PROLOG ZUR PÄDAGOGISCHEN PERESTROJKA IM JAHR 2000<br />

LITERATUR<br />

1. Kapitel<br />

4


Der Leib als pädagogisches Bildungsgut für Erwachsene <strong>und</strong> -<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

1.1. Leib-haftig leben lernen<br />

Des Menschen Herz braucht Bil<strong>der</strong> - des Menschen Geist braucht den Leib. Diese alte<br />

Wahrheit ist im Zuge <strong>der</strong> funktionalisierten Technisierung unseres mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>s<br />

<strong>in</strong> unserem Jahrh<strong>und</strong>ert oftmals zurückgedrängt worden - nicht nur im gesellschaftlichen<br />

<strong>Leben</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sogennannten Öffentlichkeit, son<strong>der</strong>n auch bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die<br />

<strong>in</strong>timen Prozesse <strong>der</strong> menschlichen <strong>Leben</strong>sführung. Auch pädagogische Strömungen -<br />

Denkmodelle <strong>und</strong> Praxiskonzepte - haben zeitweise versucht, Intellekt ohne Leibbasis,<br />

Leistung ohne Gemütsverwurzelung, Emotionen ohne Herzenstiefe <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Lehradressaten zu för<strong>der</strong>n. Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Lehrer <strong>und</strong> Schüler werden dem<br />

fanatischen Sog e<strong>in</strong>er leistungsorientierten Zivilisation ausgesetzt, welche die<br />

Leibgeb<strong>und</strong>enheit menschlichen Leistenkönnens nicht mehr anerkennen wollte -<br />

leistungsschwache junge Menschen s<strong>in</strong>d das Ergebnis dieser gesellschaftlichen<br />

Erziehungsepoche.<br />

So warnen heute vor allem Ärzte <strong>und</strong> Psychologen (als letzte Anlaufstelle des<br />

Leistungsversagens) vor e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>seitigen o<strong>der</strong> falschen "Gebrauch" von Körper <strong>und</strong><br />

Leib. Und Pädagogen aller "Provenienz" denken wie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> auch neu darüber nach,<br />

wie lernen <strong>und</strong> leben, denken <strong>und</strong> "leiben", Kopf, Herz <strong>und</strong> Hand aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

angewiesen s<strong>in</strong>d. Der Leib ist neu zu e<strong>in</strong>er pädagogischen Aufgabe geworden <strong>und</strong> zu<br />

e<strong>in</strong>em Bildungsanliegen, das Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> gleichermaßen betrifft <strong>und</strong><br />

betroffen macht.<br />

Der menschliche Leib ist ja auch "e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g beson<strong>der</strong>er Art" (B.Waldenfels 1986, S.<br />

149ff). Seit es e<strong>in</strong> Nachdenken über den Menschen gibt, werden dem menschlichen<br />

Leib beson<strong>der</strong>e Merkmale zugeschrieben. Die Unterscheidung Körper - Leib ist <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

gesamten Kulturgeschichte <strong>der</strong> Menschheit da. Zum Begriff Leib - zusätzlich gegenüber<br />

dem Körperbegriff - gehören immer die Begriffe "Bewußtse<strong>in</strong>" o<strong>der</strong> "Seele".<br />

5


Das was <strong>der</strong> Mensch an D<strong>in</strong>glichkeit, an d<strong>in</strong>glichem Körper hat, ist <strong>mit</strong> Bewußtse<strong>in</strong>,<br />

<strong>mit</strong> Seele, <strong>mit</strong> Empf<strong>in</strong>dung ausgestattet.<br />

Nun wissen wir gerade <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten durch wissenschaftliche Analysen,<br />

daß auch Tiere, daß auch Pflanzen so etwas wie e<strong>in</strong>e "Seele" haben können. Also muß<br />

man zum Menschen weiter fragen. Die Begabtheit <strong>mit</strong> seelischem Empf<strong>in</strong>dungen kann<br />

noch nicht die Unterscheidung von Mensch <strong>und</strong> Tier br<strong>in</strong>gen. Es muß <strong>der</strong> Bewußtse<strong>in</strong>sbegriff<br />

im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des "Wissens <strong>und</strong> Gewissens" zum Leibbegriff dazugenommen<br />

werden: "Prüft man die Son<strong>der</strong>merkmale des menschlichen Leibes, so legt sich <strong>der</strong><br />

Gedanke nahe, daß dieser beson<strong>der</strong>e Körper, den ich als me<strong>in</strong>en Leib bezeichne, sich<br />

nicht e<strong>in</strong>fach durch e<strong>in</strong> Mehr an objektiven Bestimmungen auszeichnet, son<strong>der</strong>n<br />

ursprünglich für mich etwas ganz an<strong>der</strong>es ist als e<strong>in</strong> bloßes Körperd<strong>in</strong>g"<br />

(B.Waldenfels 1986, S. 149).<br />

Alle objektive Erfahrung <strong>und</strong> Forschung, auch die des eigenen Leibes, geschieht beim<br />

Menschen schon <strong>mit</strong>tels des Leibes. Das heißt: <strong>der</strong> Mensch kann <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong>,<br />

<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Wissen, <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er Seele nicht aus dem Leib "heraus". Wenn er über<br />

sich, über se<strong>in</strong>e Leiblichkeit, über se<strong>in</strong>en Körper nachdenkt, dann geschieht das immer<br />

schon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leib. Das haben Philosophie <strong>und</strong> Soziologie <strong>in</strong> den letzten 100 Jahren<br />

beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>tensiv bewußt gemacht. Der Mensch hat e<strong>in</strong>en Leib, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g ganz<br />

beson<strong>der</strong>er Art ist. Er kann die Erkenntnisse über se<strong>in</strong>en Leib als D<strong>in</strong>g nur dadurch<br />

gew<strong>in</strong>nen, daß er schon "<strong>mit</strong>tendr<strong>in</strong>" ist <strong>in</strong> dieser Leiblichkeit.<br />

Dieser typisch menschliche "Sachverhalt" hat e<strong>in</strong>e große Bedeutung für die Pädagogik<br />

<strong>und</strong> schulische Bildungsbemühungen. Es gibt demnach ke<strong>in</strong>e Bildungs<strong>in</strong>halte, die<br />

Lehrer, Eltern <strong>und</strong> Erzieher dem jungen Mensch gleichsam "von außen" her "beibr<strong>in</strong>gen"<br />

könnten (wie sehr verrät die pädagogische Alltagssprache hier falsches<br />

Denken!). Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> - beide stehen als "ganze" auch <strong>mit</strong> ihrem Leib<br />

immer "<strong>mit</strong>ten dr<strong>in</strong>" im Bildungsgeschehen. Die Wissensgew<strong>in</strong>nung wie auch<br />

konkrete Erfahrungen, die wir von D<strong>in</strong>gen machen, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> engem Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> Leiberfahrung zu sehen.<br />

6


Man kann sich das veranschaulichen am Beispiel Apfel. Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er naturwissenschaftlichen<br />

Veranstaltung, z.B. Biologiedidaktik, e<strong>in</strong>e Analyse über die Merkmale<br />

e<strong>in</strong>es Apfels gemacht wird - wenn so etwas auch an unseren Schulen geschieht (Wie<br />

sieht e<strong>in</strong> Apfel aus?) - e<strong>in</strong> Thema des 1. Schuljahres, dann muß man sich als Lehrer<br />

bewußt se<strong>in</strong>, daß da<strong>mit</strong> gleichsam "Körperhaftes" vom Apfel erfaßt wird. Was e<strong>in</strong>en<br />

Apfel als Ganzes ausmacht, was er für den Menschen bedeutet, das ist mehr! Denkt<br />

man etwa daran, was e<strong>in</strong> Apfel bedeuten kann, wenn man sehr Hunger hat o<strong>der</strong> was<br />

e<strong>in</strong> Apfel bedeuten kann, wenn er sehr schön ist, wird e<strong>in</strong>em bewußt, daß auch<br />

leiblich-körperliche Empf<strong>in</strong>dungen des Menschen <strong>in</strong> diese Apfelerfahrungen <strong>mit</strong><br />

e<strong>in</strong>gehen. Das naturwissenschaftlich untersuchbare "Objekt" Apfel ist nur e<strong>in</strong>e<br />

Dimension!<br />

Die For<strong>der</strong>ung, sich <strong>mit</strong> dem "eigenen Leibe" <strong>in</strong> das Bildungsgeschehen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zubegeben,<br />

gilt nicht nur für den Pädagogen als Praktiker, son<strong>der</strong>n auch für den<br />

Pädagogen als Forscher. Auch als Forscher muß sich <strong>der</strong> Pädagoge <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Forschungsarbeit<br />

selber leiblich e<strong>in</strong>lassen. Darum bemüht sich vor allem die<br />

pädagogische Phänomenologie. Wenn man über K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Schulen, K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

häuslichen <strong>und</strong> öffentlichen Erziehungsräumen etwas sagen will, kann das nicht vom<br />

theoretischen Schreibtisch aus geschehen. Am "grünen Tisch" können zwar "schöne"<br />

Modelle entwickelt werden - diese haben aber meistens sehr wenig <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit zu tun. Die "phänomenologische" Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pädagogik geht<br />

demnach von den Phänomenen aus, von dem, was man sieht, von den Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

<strong>und</strong> nicht von theoretischen Konstrukten, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> se<strong>in</strong> sollen. Reformpädagogische<br />

Postulate ohne ausreichenden Realitätsbezug haben nur Wirkkraft, wenn sie<br />

Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrer leibgeb<strong>und</strong>enen Existenz als pädagogischen Erfahrungsraum<br />

ernstnehmen.<br />

1.2. "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>mit</strong> dem Körper" als spezifische Aufgabe <strong>der</strong><br />

Industriegesellschaften<br />

Die Menschen haben auf verschiedene Weise immer versucht, die Welt "<strong>in</strong> den Griff"<br />

zu bekommen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> tun das vom 1. <strong>Leben</strong>sjahr an immer wie<strong>der</strong> neu. Doch je<br />

fanatischer <strong>der</strong> Griff <strong>der</strong> menschlichen Hand zum Zugriff <strong>und</strong> abstrahierten Begriff<br />

7


wurde <strong>und</strong> wird, desto größer ist die Gefahr des Danebengreifens <strong>und</strong> Entgleitens <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt. So machen die Bil<strong>der</strong> von <strong>der</strong> "wirklichen Welt" - wie sie unsere<br />

AV-Medien ausstrahlen - die Hände nicht frei zum Handeln <strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dieser Welt.<br />

Die "realistischen" Wahrnehmungsreize über die AV-Medien schafft gerade zu<br />

mediale Entfremdung von den realen "Handlungs-möglichkeiten". Menschliches<br />

Handlungsvermögen ist zur "Knopfdruck"- Aktivität geschrumpft. "Wenn ich e<strong>in</strong>en<br />

Knopf drücke, geht etwas <strong>in</strong> die Luft, e<strong>in</strong> Krieg beg<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong>e Kugelschreiberm<strong>in</strong>e<br />

kommt heraus. E<strong>in</strong> Computer startet. E<strong>in</strong> Motorrad startet. E<strong>in</strong> Aufzug kommt. E<strong>in</strong><br />

Licht geht an. E<strong>in</strong> Panzer startet. Der Kühlschrank geht auf. E<strong>in</strong> Flugzeug startet. Die<br />

Bohrmasch<strong>in</strong>e geht an. Der Fernseher geht an, Musik kommt, e<strong>in</strong> Schuß wird ausgelöst,<br />

stirbt die Menschheit aus, startet Challenger, öffnet sich <strong>der</strong> Mülleimer."<br />

(S.Jörg, 1987 S.70)<br />

Bei dieser täglich erfahrenen Handlungs-Unfähigkeit o<strong>der</strong> als "egal" empf<strong>und</strong>enen<br />

Handlungs-Beliebigkeit wird vom Menschen her selbst <strong>und</strong> auch die Welt als "blanke<br />

Unmöglichkeit" erfahren, wie H.Kükelhaus erläutert: "Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> unserer Tage, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e technisch-<strong>in</strong>dustrielle Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren werden, s<strong>in</strong>d von dieser durch <strong>und</strong><br />

durch alle<strong>in</strong> gelassen. Der Gr<strong>und</strong>: diese Art von Technik (es gibt auch ganz an<strong>der</strong>e) ist<br />

ihrem eigenen Anspruch gemäß darauf angelegt, den Menschen aus dem Bereich <strong>der</strong><br />

Produktion <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verteilung des Produzierten abzudrängen bis zu se<strong>in</strong>er völligen<br />

Ersetzung als Person <strong>und</strong> als Organismus. Dem K<strong>in</strong>d, das <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en jungen Augen <strong>in</strong><br />

diese Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>sieht, <strong>in</strong> sie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>hört <strong>und</strong> erlebt, wie auch se<strong>in</strong>e Eltern dar<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>gezwängt s<strong>in</strong>d, muß diese Welt als die blanke Unmöglichkeit vorkommen, dar<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> da<strong>mit</strong> zuleben" (H.Kükelhaus, 1978, S. 100).<br />

Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben heute "als Person <strong>und</strong> als Organismus" oftmals nur noch<br />

"auf Sparflamme". Doch sehr wach ist das Bewußtse<strong>in</strong> bei vielen Menschen gerade im<br />

letzten Jahrzehnt für die so sehr, "sehr" bedrohte Leiblichkeit geworden. Der "gefühlte<br />

Mangel" (Hegel) an s<strong>in</strong>nlich-leiblichen Erfahrungen hat zu e<strong>in</strong>er <strong>Leben</strong>skrise des<br />

menschlichen Leibes geführt. Das "Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e " (W.Kamper) <strong>in</strong> unser<br />

mo<strong>der</strong>nen Zivilisation hat die Frage nach dem "<strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" neu <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv<br />

8


stellen lassen. Gefor<strong>der</strong>t wird e<strong>in</strong>e "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>der</strong> Industriegesellschaften <strong>mit</strong><br />

dem Körper". "In <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>entdeckung <strong>der</strong> lebendigen E<strong>in</strong>heit des ganzen Menschen<br />

<strong>mit</strong> allen se<strong>in</strong>en Funktionen bieten sich Lösungsmöglichkeiten für immer<br />

entschiedener auftretende Probleme an - tatsächlich ist die Organisation unseres<br />

<strong>Leben</strong>s <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Planung jener E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> jenen Funktionen <strong>der</strong>art fremd, daß<br />

zwischen den herrschenden Problemen <strong>und</strong> Ansätzen zu ihrer Lösung wahrhaft mehr<br />

Schritte als e<strong>in</strong> paar Maßnahmen liegen. In immer mehr Bereichen unserer<br />

Organisation des <strong>Leben</strong>s ist die Rede von "<strong>Leben</strong>squalitäten", die uns <strong>in</strong> Arbeit,<br />

Alltag, Freizeit gesichert werden müßten. Wir wissen aber viel zu wenig, welche<br />

Maßstäbe e<strong>in</strong>em <strong>Leben</strong>srythmus des Menschen gerecht werden, welche<br />

<strong>Leben</strong>sbereiche beson<strong>der</strong>s wichtig s<strong>in</strong>d, welche äußeren <strong>und</strong> <strong>in</strong>neren Bed<strong>in</strong>gungen<br />

erfüllt werden müssen. E<strong>in</strong>e Forschung ist nötig, die den nur quantitativen Begriff<br />

<strong>Leben</strong>sstandard <strong>mit</strong> qualitativen Fragen überw<strong>in</strong>det. "<strong>Leben</strong>squalität" muß tiefer <strong>in</strong> die<br />

Zusammenhänge von körperlichen, seelischen <strong>und</strong> sozialen Vorgängen unserer<br />

<strong>Leben</strong>sweise e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen" ( R.z. Lippe 1984, S. 25).<br />

Leiblichkeit als <strong>Leben</strong>squalität neu leben zu lernen - das ist e<strong>in</strong>e wichtige Erziehungsmaxime<br />

heute. Allerd<strong>in</strong>gs liegt wohl "auf <strong>der</strong> Hand", daß e<strong>in</strong> solches Erziehungsziel<br />

nur <strong>in</strong> leibnaher Verwirklichung - auf dem Boden leibgeb<strong>und</strong>ener Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Erlebnisse - erreicht werden kann. Die an leibhaftigen Möglichkeiten "verarmte" Lern<strong>und</strong><br />

Arbeitswelt for<strong>der</strong>t ihre komplementäre Ergänzung durch e<strong>in</strong>e leibnahe<br />

Erholungs- <strong>und</strong> Freizeitwelt. In diesem <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e hat H.Kükelhaus bereits <strong>in</strong> den 70iger<br />

Jahren e<strong>in</strong> "Erfahrungsfeld zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" ("zur Bewegung <strong>und</strong><br />

Bes<strong>in</strong>nung") entwickelt, das als "Versuchsfeld zur Organerfahrung" den Menschen <strong>in</strong><br />

den Industrielän<strong>der</strong>n neu die Tätigkeit <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e als Teil unseres menschlichen<br />

Dase<strong>in</strong>s, ihre Wirkungen <strong>in</strong> den Beziehungen zu uns selbst, zur menschlichen <strong>und</strong><br />

d<strong>in</strong>glichen Mitwelt bewußt machen soll" (A.Keil <strong>in</strong>: Kükelhaus/R.z.Lippe, 1984, S. 5).<br />

1.3. Mit dem Leib <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n erfahren<br />

9


Der menschliche Leib ist nicht nur e<strong>in</strong> "Körper-D<strong>in</strong>g". Wenn unser Leib nur e<strong>in</strong><br />

Körperd<strong>in</strong>g wäre, das nur aus Physis besteht, dann würden wir im Reiz-Reaktionsschema<br />

- also mechanisch - leben <strong>und</strong> reagieren - dann wäre das, was "Ich" ist, gar<br />

nicht wichtig. Aber (<strong>und</strong> das haben uns viele Richtungen <strong>der</strong> Psychologie gesagt) wir<br />

haben immer auch e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> von dem, was wir tun. Es gibt ke<strong>in</strong>e un<strong>mit</strong>telbare<br />

Reiz-Reaktion im Menschlichen, außer <strong>der</strong> menschliche Geist <strong>und</strong> Wille s<strong>in</strong>d<br />

ausgeschaltet. Wo sich <strong>der</strong> Mensch die sogenannte Wahrnehmungskrise <strong>der</strong><br />

Gegenwart bewußt macht, wird er das Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>fallen von Körper, Seele <strong>und</strong> Geist<br />

<strong>in</strong> den alltäglichen <strong>Leben</strong>svollzügen schmerzlich empf<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e therapeutisch<br />

orientierte Pädagogik müht sich deshalb vor allem um e<strong>in</strong>e ganzheitliche "Wie<strong>der</strong>aneignung<br />

"des Leibes" (R.C.Weyde).<br />

E<strong>in</strong> typisches <strong>und</strong> schönes Beispiel ist die "Samenkornübung" aus <strong>der</strong> Gestaltpädagogik:<br />

"Die Samenkornübung beg<strong>in</strong>nt da<strong>mit</strong>, daß <strong>der</strong> Übende sich selbst als das<br />

Samenkorn e<strong>in</strong>er Pflanze vorstellt <strong>und</strong> die entsprechende, ihm gemäße leibliche<br />

Haltung f<strong>in</strong>det. Während <strong>der</strong> Leiter (Therapeut) den Jahreszyklus <strong>mit</strong> den E<strong>in</strong>wirkungen<br />

<strong>und</strong> Qualitäten <strong>der</strong> Elemente <strong>in</strong> Worten <strong>in</strong>szeniert, läßt <strong>der</strong> Übende durch<br />

se<strong>in</strong>en Leib die Entwicklung <strong>der</strong> Pflanze im Jahreszyklus (Aus-<strong>der</strong>-Erde-kommen,<br />

Wachsen, Reifen, Zur-Erde-Zurückkehren) zum Ausdruck kommen. Dann wird die<br />

Art <strong>der</strong> Pflanze vorgestellt, z.B. Baum, Busch o<strong>der</strong> Blume, <strong>und</strong> im Anschluß bildlich<br />

dargestellt. Schließlich wird e<strong>in</strong> Text geschrieben, <strong>in</strong> dem vor allem die Zeiterfahrung<br />

<strong>in</strong> Worte gefaßt wird.<br />

Die Samenkornübung ist nicht nur diagnostisches Instrument, son<strong>der</strong>n selbst heilende<br />

Struktur. Sie ist nicht konfliktzentriert, wenngleich sie auch schwere Konflikte<br />

aktualisieren kann, son<strong>der</strong>n ganzheitlich. Sie bietet verschiedene Medien an, so daß<br />

die Erfahrungen des Leibes je nach Persönlichkeitsstruktur <strong>und</strong> Situation wie<strong>der</strong>angeeignet<br />

werden können, wenn auch das Bild hier zumeist Gegenstand <strong>und</strong> Gegenüber<br />

<strong>der</strong> Bewußtse<strong>in</strong>sarbeit ist. Sie br<strong>in</strong>gt <strong>mit</strong> Entstehen <strong>und</strong> Vergehen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Zeit, die<br />

me<strong>in</strong> Leib ist, <strong>in</strong> Kontakt <strong>und</strong> sie macht wie<strong>der</strong> bewußt, daß me<strong>in</strong> Leib selbst Natur<br />

ist" (R.C.Weyde <strong>in</strong>: Petzold, 1986, S. 432-433). Solche gestalthaften Erfahrungen des<br />

Leibes selbst s<strong>in</strong>d heilmachend <strong>und</strong> "ganz"-machend.<br />

10


Leibgestalten <strong>und</strong> Leibgestaltung wird für den Menschen so manchmal auch zur Symbolgestalt,<br />

welche ihm <strong>Leben</strong>serkenntnis ver<strong>mit</strong>telt. Welterfahrung <strong>und</strong> Selbsterfahrung<br />

s<strong>in</strong>d dem Menschen nur <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>er Leiblichkeit möglich. Nur <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leibe ist <strong>der</strong> Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt - aber auch: nur <strong>mit</strong> <strong>und</strong> durch<br />

se<strong>in</strong>en Leib "h<strong>in</strong>durch" kann er sich über den physischmateriellen Körper erheben.<br />

An e<strong>in</strong>em bekannten K<strong>in</strong><strong>der</strong>gedicht von J.Guggenmooos "Die Tulpe" kann <strong>der</strong><br />

anthropologische Bedeutungsgehalt <strong>der</strong> Samenkornübung - für Erwachsene <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> glei-chermaßen - anschaulich nachempf<strong>und</strong>en werden (vgl. Bäuml-Roßnagl,<br />

1989).<br />

DIE TULPE<br />

Dunkel war alles <strong>und</strong> Nacht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erde tief<br />

die Zwiebel schlief<br />

die braune<br />

Was ist das für e<strong>in</strong>e Gemunkel,<br />

was ist das für e<strong>in</strong>e Geraune,<br />

fragte die Zwiebel<br />

vom Schlafe erwacht -<br />

da hat ihr <strong>der</strong> Frühl<strong>in</strong>g<br />

entgegengelacht.<br />

JOSEF GUGGENMOOS<br />

In die Erde gelegt werden, umso schöner <strong>und</strong> lebendiger aufzuerstehen - dieses Bild<br />

begegnet uns alljährlich bee<strong>in</strong>druckend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur: Mit dem Aufgebrauchtwerden<br />

<strong>der</strong> braunen Zwiebel wächst dann die grüne Pflanze <strong>und</strong> die bunte Blüte - noch<br />

immer! Trotz aller technisch-wissenschaftlichen E<strong>in</strong>griffe des mo<strong>der</strong>nen Menschen <strong>in</strong><br />

den Kreislauf <strong>der</strong> Natur - e<strong>in</strong> Bild <strong>der</strong> Hoffnung!<br />

Blüte <strong>und</strong> Frucht tragen bedeutet:<br />

sich den Gesetzen <strong>der</strong> Natur überlassen<br />

11


den Rhythmus des Wachsens, das Blühen <strong>und</strong> Vergehen, das Geben <strong>und</strong><br />

Nehmen anzuerkennen.<br />

H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelegt worden <strong>in</strong> den Mutterboden des <strong>Leben</strong>s - das s<strong>in</strong>d wir alle. Die Erde<br />

unseres <strong>Leben</strong>s ersche<strong>in</strong>t uns manchmal wie e<strong>in</strong> dunkles Grab, <strong>in</strong> dem wir nichts tun<br />

können als zu warten - zu warten, bis Sonne <strong>und</strong> Regen unsere <strong>Leben</strong>sgeister wecken,<br />

unsere <strong>Leben</strong>skraft stark machen. Mit bangem Herzen liegen wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ackerfurche<br />

<strong>und</strong> es ist gut, wenn wir<br />

<strong>in</strong> Geduld warten, bis das <strong>Leben</strong>dige wächst. Vertrauen wir uns ehrfürchtig <strong>der</strong> Erde<br />

<strong>und</strong> unserem Leibe an: dann geschieht Verwandlung durch Sturm, Regen, Licht <strong>und</strong><br />

Wärme, die Gott schickt - an uns ist es, nach <strong>der</strong> Verwandlung Ausschau zu halten<br />

vertrauend <strong>und</strong> hoffend die Verwandlung geschehen zu lassen.<br />

Gedanken, Bil<strong>der</strong>, <strong>S<strong>in</strong>n</strong> - sie wurzeln im leiblichen Tun des Menschen. Wo dieses Tun<br />

im E<strong>in</strong>klang ist <strong>mit</strong> den <strong>Leben</strong>sgesetzen <strong>der</strong> Natur, erfährt <strong>der</strong> Mensch Harmonie<br />

zwischen Körper, Seele <strong>und</strong> Geist - er erlebt dann se<strong>in</strong>en <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n.<br />

1.4. Bewußt den Leib erfahren<br />

Wir hören bei unserem Reden die akustischen Laute <strong>mit</strong>, können diese aber nicht von<br />

uns isoliert wahrnehmen. Das erlebt je<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>tensiv, wenn er se<strong>in</strong>e Stimme<br />

auf Tonband gehört hat. "Auf Band" ist unsere Stimme von uns getrennt. Man<br />

empf<strong>in</strong>det sich selber dann meist nicht "identisch", son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong> "Ich" ausgeschlossen<br />

- es kl<strong>in</strong>gt fremd, was man da hört.<br />

Um "mich" weiß ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em leiblichen Tätigkeiten ganz un-<strong>mit</strong>telbar: das zeigt<br />

diese Erfahrung. Aber me<strong>in</strong>e Ich-Erfahrung <strong>in</strong> <strong>und</strong> durch leiblich s<strong>in</strong>n- liche Welt.<br />

Selbstbef<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> Zuwendung zur Welt s<strong>in</strong>d für den Menschen untrennbar<br />

<strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en.<br />

12


Eröffnet <strong>der</strong> alltägliche Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt - den D<strong>in</strong>gen, Sachverhalten <strong>und</strong><br />

Menschen - wenig leiblich-s<strong>in</strong>nliche Bewußtse<strong>in</strong> gleichsam "e<strong>in</strong>gekerkert" (auch das<br />

hat schon das Hospitalismus-Phänomen nach R. Spitz gezeigt!). Und das geschieht<br />

heute <strong>in</strong> unseren Bildungsstätten allzuoft: "Die Schule ist tot. Sie ist nicht tot, weil ihr<br />

Programm, ihre Ziele, ihre Form <strong>und</strong> ihr Gefüge <strong>und</strong> die darauf bezogenen Reformen<br />

falsch s<strong>in</strong>d; son<strong>der</strong>n ihr Programm, ihre Ziele, ihre Form <strong>und</strong> ihre Gefüge <strong>und</strong> die<br />

darauf bezogenen Reformen s<strong>in</strong>d falsch, weil die Schule sich nicht begreift als<br />

För<strong>der</strong>er <strong>und</strong> Ort des zum Selbstbewußtse<strong>in</strong> angelegten Organ-geschehens" (H.Kükelhaus<br />

1987 3 , S. 41).<br />

Leib <strong>und</strong> Leibbewußtse<strong>in</strong> müssen neu als pädagogische Bildungsaufgabe gesehen<br />

werden. Nur die aktive "Wie<strong>der</strong>aneignung des Leibbewußtse<strong>in</strong>s" (R.C.Weyde)<br />

ermöglicht dem Menschen heute e<strong>in</strong> realitätsgetreues Selbst- <strong>und</strong> Weltbewußtse<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e methodisch schöne <strong>und</strong> bedeutsame Arbeit dieser Art ist das plastische Gestalten,<br />

wenn es <strong>in</strong> Ausübung von leiblich-s<strong>in</strong>nlichen Tätigkeiten vollzogen wird. Daß K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

ihre Leiblichkeit erfahren <strong>und</strong> den bildnerischen Ausdruck dafür suchen können,<br />

geschieht <strong>in</strong> unseren Schulen <strong>und</strong> Freizeitstätten zu wenig. Erzieher <strong>und</strong> Lehrer sollten<br />

Situationen schaffen, <strong>in</strong> denen das Motiv <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dliche Körper ist <strong>und</strong> zwar als Leib -<br />

<strong>in</strong> Bewegung <strong>und</strong> <strong>in</strong> Beziehung <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en "Leibern". Szenische Darstellung,<br />

leibliche Selbsterfahrung, bewußte Erfahrung von Mimik <strong>und</strong> Gestik, von sich <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>en s<strong>in</strong>d Voraussetzung für nachgestaltende bildnerische Tätigkeiten z.B. <strong>mit</strong> Ton<br />

o<strong>der</strong> Pappmacheé. Die eigene Leiblichkeit des K<strong>in</strong>des soll <strong>in</strong> die Figurengestaltungen<br />

"e<strong>in</strong>fließen". Dabei wird <strong>der</strong> eigene <strong>und</strong> fremde Leib bewußt, die Leib-Raum-Konstellation<br />

<strong>in</strong>tuitiv erfaßt <strong>und</strong> Beziehungen zwischen "me<strong>in</strong> Leib" <strong>und</strong> "de<strong>in</strong> Leib"<br />

erlebt. Zuneigung o<strong>der</strong> Abwehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung können an Gestik <strong>und</strong> Gebärde<br />

"abgelesen" werden. In Beschreibung <strong>und</strong> Reflexion <strong>der</strong> nachgestalteten "Leiber"<br />

können spezifisch leibliche Ausdruckselemente <strong>mit</strong> dem ihnen <strong>in</strong>newohnenden kommunikativen<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> bewußt werden.<br />

13


E<strong>in</strong> weiteres Beispiel soll aus dem Bereich <strong>der</strong> Bewegungserziehung o<strong>der</strong> "Moto-pädagogik"<br />

gewählt werden: "Balancieren als Angleichen <strong>und</strong> Ausgleich: wobei<br />

Ausgleich <strong>und</strong> Gleichgewicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht zu verstehen ist: <strong>mit</strong> sich selbst, <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> Welt <strong>mit</strong> dem "An<strong>der</strong>en" - Balancieren als e<strong>in</strong> für die Gesamtbef<strong>in</strong>dlichkeit höchst<br />

för<strong>der</strong>liches <strong>Leben</strong>sspiel. Auf den Halbkugelscheiben ist <strong>der</strong> Besucher zum Mittun<br />

e<strong>in</strong>geladen, zur spielerischen Entdeckung se<strong>in</strong>es Gleichgewichtsorgans, zu e<strong>in</strong>em für<br />

das Gehör <strong>und</strong> die Gesamtbef<strong>in</strong>dlichkeit höchst för<strong>der</strong>lichen <strong>Leben</strong>sspiel, wobei<br />

Ausgleich <strong>und</strong> Gleichgewicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht zu verstehen ist: <strong>mit</strong> sich selbst (im<br />

E<strong>in</strong>zelspiel), <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem An<strong>der</strong>en (im Gruppenspiel)" (H.Kükelhaus o.J.<br />

S. 16).<br />

Geräte zum Balancieren gibt es auch schon immer im schulischen Sportunterricht.<br />

Viele Turnübungen im Bereich des Geräteturnens können nur ausgeführt werden,<br />

wenn Gleichgewicht - halten <strong>und</strong> Gleichgewicht - wie<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>nen beherrscht werden.<br />

Kükelhaus geht es bei dieser Balance-Gew<strong>in</strong>nungs-Station aber nicht so sehr um das<br />

Erlebnis des "<strong>mit</strong> dem Körper-herrschen-könnens". Er möchte <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en Halbkugelarrangements<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Rotationsscheibe den Menschen e<strong>in</strong>e Möglichkeit geben, das<br />

Gefühl des "<strong>mit</strong>-sich-Selbst" im Gleichgewichtse<strong>in</strong>s bewußt erleben zu lassen.<br />

Balancespiele können auf spielerische Art als e<strong>in</strong> "höchst för<strong>der</strong>liches <strong>Leben</strong>sspiel"<br />

nicht nur die Körper-Leib-Ebene, son<strong>der</strong>n auch die Tiefendimensionen von Seele <strong>und</strong><br />

Geist erleben lassen.<br />

1.5. Auch die pädagogische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung geschieht <strong>mit</strong> dem Leib<br />

Die "Warum-Frage" ist die dem Menschen existenzielle <strong>und</strong> die vom K<strong>in</strong>de schon früh<br />

gestellte Frage. Ob sie nun auf kausale o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>ale Zusammenhänge abzielt: immer ist<br />

die Warumfrage auch e<strong>in</strong>e Frage nach dem, was "h<strong>in</strong>ter" Erklärungsweisen <strong>und</strong><br />

Erklärungsmodellen "noch" steckt - vor allem <strong>und</strong> gerade bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n! Die<br />

Warumfrage ist die Frage nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Sachverhalte.<br />

14


Es gab Strömungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturgeschichte <strong>der</strong> Menschheit, die versucht haben, den<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge ohne die D<strong>in</strong>ge selbst suchen <strong>und</strong> f<strong>in</strong>den zu wollen. Alle <strong>der</strong>artigen<br />

idealen o<strong>der</strong> idealistischen Philosophien hatten ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Wirkung für die<br />

Menschen; als Idole o<strong>der</strong> Utopien dienten sie dem Wahn <strong>und</strong> nicht <strong>der</strong> Wahrheitsf<strong>in</strong>dung.<br />

Wo <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des Menschen unter Vernachlässigung o<strong>der</strong> Verachtung <strong>der</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Menschen formuliert wird, entsteht Un-<strong>S<strong>in</strong>n</strong> o<strong>der</strong> Wahn-<strong>S<strong>in</strong>n</strong>.<br />

So haben pädagogische Vertreter o<strong>der</strong> pädagogische Strömungen auch geme<strong>in</strong>t,im<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>er behütenwollenden "Schonraum-Schule" o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er abson<strong>der</strong>nden "Ghetto-<br />

Pädagogik" die jungen Menschen vor dem Kontakt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Welt bewahren<br />

zu müssen - das Ergebnis solcher Erziehung war <strong>und</strong> ist e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nlose <strong>Leben</strong>sferne <strong>und</strong><br />

ents<strong>in</strong>nlichte <strong>Leben</strong>se<strong>in</strong>stellung.<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> kann nur "<strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>" - s<strong>in</strong>nenhaft - vom Menschen erfahren werden. <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

ist - so sagt Coenen - situationsimmanent, zeitlich <strong>und</strong> immer mehrdeutig. <strong>S<strong>in</strong>n</strong> "ist<br />

immer <strong>in</strong> Bewegung, immer auf <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung, auf den Wegen <strong>und</strong> Kreuzwegen, auf<br />

denen aller Verkehr läuft d.h. verflochten <strong>in</strong> viele Momente <strong>der</strong> wahrnehmbaren,<br />

alltäglichen Geschäfte zwischen Menschen von Fleisch <strong>und</strong> Blut" (Coenen 1984,<br />

S.39). Jede Erfahrung <strong>und</strong> Bewußtwerdung von <strong>S<strong>in</strong>n</strong> erwächst aus <strong>der</strong> leiblichen<br />

Erfahrung des Menschen. Deshalb muß <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, wegen se<strong>in</strong>er leiblichen Verhaftetheit ,<br />

als e<strong>in</strong> konkretes Ereignis anerkannt werden, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em historisch datierten,<br />

ökologisch <strong>und</strong> sozial lokalisierten, personal gelebten Milieu stattf<strong>in</strong>det, durchwoben<br />

von Sorge <strong>und</strong> Freude" (Coenen ebda.).<br />

Deshalb kann <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> pädagogischen Tuns nicht an Schreibtischen "entworfen" o<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> Erziehungszielkatalogen "festgemacht" werden. Im geme<strong>in</strong>samen Tun <strong>mit</strong> den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zeigt sich den Erwachsenen <strong>und</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Das sich - leiblich -<br />

H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begeben <strong>in</strong> die lebendige Erziehungssituation ist die Bed<strong>in</strong>gung für die<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung. Denn "durch die leibliche Aktivität werden Situationen als s<strong>in</strong>nhafte<br />

Kontexte strukturiert. Diese Strukturierung hat e<strong>in</strong>en sehr direkten <strong>und</strong> augenblicklichen<br />

Charakter; sie ist <strong>in</strong> das Fungieren des Leibes e<strong>in</strong>geschlossen, <strong>in</strong> das Anführen<br />

von Bewegungen <strong>und</strong> das Erfahren von Wahrnehmungen; sie trägt die Merkmale des<br />

konkreten Augenblicks, <strong>in</strong> dem sie stattf<strong>in</strong>det" (Coenen ebda.).<br />

15


Man kann K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zehn Thesen über e<strong>in</strong> Weltbild diktieren, das sie auswendiglernen<br />

sollen <strong>und</strong> man kann dieses Weltbild "abfragen" - aber wissen sie dann, was die Welt<br />

für e<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong> hat? Das ist zwar sehr naiv formuliert, aber solche Strukturen gibt es im<br />

pädagogischen Tun vielfach. <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist immer zeitgeb<strong>und</strong>en, situationsgeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ist<br />

immer mehrdeutig. Wenn Eltern <strong>und</strong> Lehrer die Gesichter ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewußt<br />

anschauen, dann spüren sie e<strong>in</strong> bißchen, was <strong>in</strong> ihnen vorgeht. Und diese Gesichter<br />

können sehr verschieden se<strong>in</strong> - <strong>der</strong> <strong>mit</strong>geteilte <strong>S<strong>in</strong>n</strong> "kommt" eben meist "verschieden<br />

an"! Deshalb ist es e<strong>in</strong> sehr mühevolles Geschäft, irgendetwas <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles theoretisch<br />

über <strong>S<strong>in</strong>n</strong> aussagen zu wollen. Die Agnostiker unter den Pädagogen wollen sich zu<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>aussagen nicht äußern. Man kann das schon vestehen, denn es ist schwierig:<br />

"e<strong>in</strong>fache" Aussagen s<strong>in</strong>d oft ohne offenk<strong>und</strong>igen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> komplexen Erklärungen<br />

mangelt es oft an theoretisch-analytischer Klarheit.<br />

Aber: die Leibgeb<strong>und</strong>enheit menschlicher <strong>und</strong> pädagogischer <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung ist auch die<br />

unerschöpfliche Quelle e<strong>in</strong>er immer "neuen" <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>nerfahrung. So gibt es gerade<br />

heute wohl nicht wenige "erwachsene" Pädagogen, die theoretisch für sich <strong>und</strong> "die<br />

Pädagogik" ke<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong> formulieren können, die aber dennoch tagtäglich im Umgang<br />

<strong>mit</strong> "ihren" K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>und</strong> "den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> Pädagogik" erfahren.<br />

2. Kapitel<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>-Fragen angesichts <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> <strong>Leben</strong>swelt<br />

2.1. Ist die uns täglich "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt" unsere Welt?<br />

Schon <strong>in</strong> den 60iger Jahren hat Günter An<strong>der</strong>s mahnend aufgezeigt, daß die den<br />

Menschen durch die mo<strong>der</strong>nen AV-Medien "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt verbie<strong>der</strong>t<br />

wird". Und das von ihm angeführte Beispiel <strong>der</strong> Wasserstoffbombenexplosion vom 7.<br />

Mai 1955 muß im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>der</strong> "Verbie<strong>der</strong>ung" durch die mo<strong>der</strong>ne Medienwelt nicht<br />

weiter expliziert werden. Seither hat die öffentliche Me<strong>in</strong>ung zunehmend das<br />

16


Abrücken <strong>der</strong> menschlichen Alltagserfahrung vom realen <strong>Leben</strong>sprozeß beklagt -<br />

allüberall spricht man von e<strong>in</strong>er beängstigenden "Wahrnehmungskrise" bis h<strong>in</strong> zum<br />

beson<strong>der</strong>s kritischen Phänomen, daß selbst lebensbedrohliche Gegebenheiten wie z.B.<br />

<strong>der</strong> radioaktive Fallout nicht mehr <strong>mit</strong> unseren menschlichen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> wahrgenommen<br />

werden können. Die Krise <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung läßt den Menschen<br />

weith<strong>in</strong> e<strong>in</strong> "Ersatz"-<strong>Leben</strong> führen: "Das so zugerichtete Ersatzleben, aus dem die<br />

Gefahren <strong>der</strong> Un<strong>mit</strong>telbarkeit, die Abenteuer des Erlebens, die Risiken des nicht<br />

Normierten verdrängt s<strong>in</strong>d, verzichtet auf lebendige Reich <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>gänger <strong>und</strong><br />

Phantome" (H.Eggebrecht 1988).<br />

Schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> lernen die Welt nur noch zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gen Teil durch körperlichs<strong>in</strong>nliche<br />

Wahrnehmung kennen. Erfahrung wird "durch Kenntnis ersetzt", wie H.<br />

Kükelhaus sagt - <strong>und</strong> so leben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ersatzwelt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sche<strong>in</strong>welt.<br />

Nur mühsam wehren sich die Menschen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft gegen Täuschungen<br />

<strong>und</strong> Enttäuschungen <strong>in</strong> ihrem <strong>Leben</strong>, welche Leib <strong>und</strong> Seele ignorieren <strong>und</strong> gefährden.<br />

Normierungen <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>sführung gemäß <strong>der</strong> sog. "öffentlichen Me<strong>in</strong>ung" bestimmen<br />

das <strong>Leben</strong> im Alltag stärker als die e<strong>in</strong>zelmenschliche s<strong>in</strong>nliche Bedürftigkeit. Der<br />

"Strudel" bes<strong>in</strong>nungsloser Geschw<strong>in</strong>digkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung ersetzt die<br />

Bes<strong>in</strong>nnung auf den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung - e<strong>in</strong>zelpersönlich <strong>und</strong><br />

gesamtgesellschaftlich. Verme<strong>in</strong>tlich gewonnene <strong>Leben</strong>szeit wird so zur verlorenen<br />

<strong>Leben</strong>szeit. Schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> erleben diese bes<strong>in</strong>nungslose Geschw<strong>in</strong>digkeit, welche die<br />

Ursache ist für all die schlimmen Krankheiten, die wir heute haben: Infarkte,<br />

Krebserkrankungen, <strong>der</strong> Streßfaktor, das Nicht-zu-sich-kommen, das Sich-nuräußeren-Normen-fügen<br />

<strong>in</strong> Schule, Arbeitswelt, Wirtschaft <strong>und</strong> auch im Privatleben,<br />

selbst im Freizeitverhalten - all das s<strong>in</strong>d Phantome des Todes <strong>in</strong> unserer <strong>Leben</strong>swelt.<br />

Die täglich "<strong>in</strong>s Haus gelieferte Welt" <strong>der</strong> AV-Medien trägt viele Kennzeichen dieser<br />

tödlichen Phantomwelt - die Phänomene des <strong>Leben</strong>s können <strong>in</strong> ihr nur mühsam<br />

überleben.<br />

Doch "unsere" Welt - me<strong>in</strong>e, de<strong>in</strong>e, die für den Menschen lebenswerte Welt - kann<br />

nicht "angeliefert" werden, sie muß vom Menschen <strong>mit</strong> allen ihm eigenen<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> freien Entscheidung <strong>und</strong> Schaffenskraft "gestaltet" werden. Und<br />

17


dazu ist es notwendig, daß wir Menschen uns wie<strong>der</strong> auf "unsere", auf die uns eigenen<br />

Möglichkeiten (<strong>und</strong> auch Grenzen) bes<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong>e nur medial "auf Nähe" gebrachte<br />

Welt ist eben nicht die reale Welt, die uns als "Gegenüber" zur Gestaltung aufruft.<br />

Es kann aber auch nicht darum gehen, die medial "ver<strong>mit</strong>telte" Welt als unreal,<br />

unwirklich zu def<strong>in</strong>ieren. Denn wir alle: ob K<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> Erwachsene, ob Lehrer o<strong>der</strong><br />

Eltern - alle erfahren wir die Wirklichkeit heute multiperspektivisch von ganz<br />

verschiedenen Seiten her - auch die mediale Welt ist Wirklichkeit <strong>und</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e<br />

"sek<strong>und</strong>äre", wie Medienpädagogen fälschlicherweise me<strong>in</strong>ten. Im Kopf <strong>und</strong> Herz von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> auch Erwachsenen "mischen" sich die Wirklichkeitsebenen. Das zeigt S.<br />

Jörg (1987, S.102) recht anschaulich: "Die erste Wirklichkeit steht für uns <strong>und</strong> für die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht immer an erster Stelle. Fiktive Ereignisse werfen ihre<br />

Schatten auf die wirkliche Welt. Über den E<strong>in</strong>sturz e<strong>in</strong>es Hotels berichtet die<br />

"Süddeutsche Zeitung" unter folgen<strong>der</strong> Überschrift: Es war wie e<strong>in</strong> Horrorfilm -<br />

merken Sie was hier als primäre Wirklichkeit gesehen wird? Es war wie e<strong>in</strong><br />

Horrorfilm, wenn e<strong>in</strong> Hotel e<strong>in</strong>stürzt. Zur Beschreibung <strong>der</strong> Wirklichkeit wird die<br />

Fiktion herangezogen <strong>und</strong> die Käte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwarzwaldkl<strong>in</strong>ik möchte auch so sterben,<br />

wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sendung sterben durfte, das zum<strong>in</strong>dest behauptet die "Neue Welt". Bei<br />

e<strong>in</strong>er Befragung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Altersheim hat man festgestellt, daß diese Identifikation <strong>mit</strong><br />

dieser Rolle, <strong>mit</strong> dieser Filmfigur, die sich nun gar nicht <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Schauspieler<strong>in</strong> decken<br />

muß, e<strong>in</strong> Leitbild ist. Für viele Menschen ist die "Käte aus <strong>der</strong> Schwarzwaldkl<strong>in</strong>ik"<br />

viel wichtiger als <strong>der</strong> Nachbar nebenan."<br />

Was heißt das für uns Pädagogen? Erwachsene <strong>und</strong> vor allem Erwachsene als Erzieher<br />

<strong>und</strong> Lehrer sollten den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen, daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihren Blick auf<br />

unterschiedliche Wirklichkeitserfahrungen schärfen. Im Zusammenhang <strong>mit</strong> dem<br />

Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule z.B. ist es wichtig, daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> vom magischen<br />

Denken her, vom Fühlen her, von dem, was sie erleben an Träumen <strong>und</strong><br />

Wunschträumen her langsam zu e<strong>in</strong>er sachlichen, multiperspektivischen E<strong>in</strong>stellung<br />

h<strong>in</strong>geführt werden. Die Wirklichkeit <strong>in</strong> den Medien <strong>und</strong> die "rauhe" Wirklichkeit <strong>in</strong><br />

ihren unterschiedlichen Gestalten ist Erziehungs"feld". Die uns täglich "<strong>in</strong>s Haus<br />

gelieferte Welt" ist auch e<strong>in</strong> Teil unserer Welt - aber eben nur e<strong>in</strong> Teil, <strong>der</strong> durch<br />

18


an<strong>der</strong>e Teil-Erfahrungen von Welt ergänzt werden muß zu e<strong>in</strong>em "ganzheitlichen"<br />

Weltbild. Das ist umso schwieriger, je vielfältiger sich unsere Welt darstellt.<br />

2.2. Gibt es e<strong>in</strong>en Weg von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nlich erfahrenen Welt zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong><br />

ganzen Welt?<br />

Fast gleichnishaft beschreibt H. Kükelhaus das Echo-Hören <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Tunnel (Höhle)<br />

als e<strong>in</strong>e Welterfahrung, die das "Aufgehobense<strong>in</strong>" <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt o<strong>der</strong> das<br />

"Alle<strong>in</strong>gelassense<strong>in</strong>" <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt ver<strong>mit</strong>telt (H.Kükelhaus 1978, S.100):"Als K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

g<strong>in</strong>gen wir kaum an e<strong>in</strong>em Tunnel vorüber, ohne h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerufen zu haben. Das hohl<br />

kl<strong>in</strong>gende mehrfältige Wi<strong>der</strong>hallen unserer Rufe empfanden wir als die Anwesenheit<br />

<strong>und</strong> Nähe von Wesen, die Antwort geben. Man spürte, du bist nicht alle<strong>in</strong>". Ich hoffe,<br />

wir alle haben das auch so positiv erfahren, wenn wir <strong>in</strong> so e<strong>in</strong> Tunnel h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerufen<br />

haben. Es gibt ja auch die an<strong>der</strong>e Erfahrung, daß man Angst bekommt, aber vielleicht<br />

ist man schon "verbildet", wenn man Angst bekommt. H.Kükelhaus berichtet weiter:<br />

"So riefen wir <strong>in</strong> den Wald <strong>und</strong> liebten es, uns vorzustellen, daß es Baumgeister s<strong>in</strong>d,<br />

die uns unseren Ruf zurückgeben wie e<strong>in</strong>en zugeworfenen Ball. Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Enge <strong>der</strong><br />

Täler wohnenden Gebirgsbauern <strong>und</strong> Hirten haben Alphornklänge <strong>und</strong> holen dadurch<br />

über die Schwelle ihres begrenzten Horizonts h<strong>in</strong>weg die Weiten, die dah<strong>in</strong>ter liegen,<br />

<strong>in</strong> ihre Nähe. Jahrtausende lang war das Echo des Höhlensystems von Syrakus <strong>in</strong><br />

Sizilien für die Griechen das Ohr des Dionysos, das Ziel von Pilgerzügen <strong>der</strong><br />

Mittelmeerkultur. Se<strong>in</strong>e Interpretation: Der Gott antwortet hier auf de<strong>in</strong> Rufen <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Vervielfältigung <strong>und</strong> Verfremdung de<strong>in</strong>es Rufes. Er gibt mehr als du gabst, er läßt<br />

dich fühlen, daß er um dich ist." Die vielfachen Höhlenmythen <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Kulturen sprechen davon ja auch e<strong>in</strong>e anschauliche <strong>und</strong> beredete Sprache.<br />

Welche Erfahrungen machen wir Menschen dazu <strong>in</strong> unserem technisierten Zeitalter?<br />

"Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> unserer Tage, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e technisch <strong>in</strong>dustrielle Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren<br />

werden, s<strong>in</strong>d von dieser durch <strong>und</strong> durch alle<strong>in</strong>e gelassen. Der Gr<strong>und</strong>, diese Art von<br />

Technik ist ihrem eigenen Anspruch gemäß darauf angelegt, den Menschen aus dem<br />

19


Bereich <strong>der</strong> Produktion <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verteilung des Produzierten abzudrängen bis zu se<strong>in</strong>er<br />

völligen Verdrängung <strong>und</strong> Ersetzung se<strong>in</strong>er Person als Organismus" (H.Kükelhaus<br />

ebda).<br />

Die Technik, wie wir sie <strong>in</strong> unserer westlichen Zivilisation gebildet <strong>und</strong> entfaltet<br />

haben, hat den Menschen h<strong>in</strong>ausgedrängt, den Menschen <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en Organen, die er<br />

verwirklichen möchte <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>. Die Industrie- <strong>und</strong> Arbeitswelt legt nur noch<br />

"wert" auf das Produkt, aber nicht auf den arbeitenden Menschen. Das war ja auch<br />

e<strong>in</strong>e Hauptthese von Karl Marx, daß er gesagt hat: <strong>der</strong> Mensch ist eben ke<strong>in</strong>e "Ware",<br />

die Arbeit des Menschen muß mehr <strong>S<strong>in</strong>n</strong> haben als "Produkte" zu erzeugen. (vgl. bes.<br />

die "Frühschriften" von K.Marx).<br />

Ke<strong>in</strong>e Kultur <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Staat <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Wirtschaftssystem kann es sich auf Dauer<br />

leisten, den Menschen zu übergehen. Und <strong>der</strong> Mensch ist nicht ohne Leiblichkeit,<br />

ohne se<strong>in</strong>e LeibGeist- Seele-E<strong>in</strong>heit lebensfähig. Wenn e<strong>in</strong>e Seite unterdrückt wird,<br />

dann kann das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft sehr lange dauern, ja sogar Jahrh<strong>und</strong>erte - aber<br />

irgendwann kommt e<strong>in</strong>e Zeit, wo es nicht mehr "funktioniert", wo es entwe<strong>der</strong> nur<br />

noch leeres Territorium <strong>und</strong> Verwüstung gibt o<strong>der</strong> wo man sich auf den Menschen <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e menschliche Welt rückbes<strong>in</strong>nen muß. So me<strong>in</strong>t H.Kükelhaus auch, daß wir e<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e Technik brauchen, <strong>und</strong> er hat e<strong>in</strong>e "Anthropo-Technik" gefor<strong>der</strong>t. Das<br />

bedeutet: Die Technik <strong>in</strong> Zusammenhang br<strong>in</strong>gen <strong>mit</strong> dem lebendigen Menschen, die<br />

menschlichen Organe auch durch die technischen Möglichkeiten entfalten, nicht die<br />

Ersetzung von Person <strong>und</strong> Organismus durch die Technik.<br />

E<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen s<strong>in</strong>d dabei ernstzunehmen: Denn: die e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nliche<br />

Erfahrung jedes e<strong>in</strong>zelnen Menschen kann den Maßstab abbilden für den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> aller<br />

E<strong>in</strong>zelerfahrungen. E<strong>in</strong>zels<strong>in</strong>nliche, gleichsam ausschnitthafte Erfahrung kann<br />

exemplarisch se<strong>in</strong> <strong>und</strong> den "Blick" schärfen für den ganzen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichen <strong>und</strong><br />

den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> ganzen Welt. Das ist ja auch <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> aller meditativen Übungen, die <strong>in</strong><br />

unserer Zeit wie<strong>der</strong> "hoch im Kurs" stehen.<br />

20


Dabei kann es aber nicht um e<strong>in</strong>e nur s<strong>in</strong>nesphysiologische Datenerfassung gehen, um<br />

e<strong>in</strong>e nur empirische Naturwissenschaft: diese würden dem Menschen vom<br />

Physiologischen her, vom Materiellen her, von <strong>der</strong> Körperlichkeit her gerecht, aber<br />

den Menschen als Ganzes erfaßten sie nicht. Um "real"wissenschaftlich die Welt<br />

erfassen zu können, so wie sie für den Menschen bedeutsam ist, muß <strong>der</strong> Mensch "als<br />

Ganzer": <strong>mit</strong> Körper, Seele <strong>und</strong> Geist forschen <strong>und</strong> leben. Der Mensch muß Forscher<br />

se<strong>in</strong> <strong>und</strong> nicht irgende<strong>in</strong> Phantom! So reicht es <strong>in</strong> den anthropologischen<br />

Wissenschaften nicht aus, e<strong>in</strong>e Sammlung von Daten anzulegen. Das kann höchstens<br />

die erste Stufe wissenschaftlicher Arbeit se<strong>in</strong>, aber nicht die Endstufe.<br />

Das läßt sich gut verdeutlichen, wenn man zusieht, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> Augen zeichnen:<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> zeichnen die Augen immer e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en <strong>in</strong> den Kopf als "Ganzen". Die Art,<br />

wie <strong>der</strong> Kopf gezeichnet wird <strong>und</strong> die Art, wie die Augen selbst gestaltet s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong><br />

Farbe <strong>und</strong> Form, drücken nicht nur s<strong>in</strong>nesphysiologisches Wissen, son<strong>der</strong>n immer<br />

auch die Bedeutung des <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esphysiologischen für die s<strong>in</strong>nliche Tätigkeit des ganzen<br />

Menschen aus.<br />

Forschung, die dem ganzen Menschen gerecht werden will, muß den nur "materialen"<br />

Weg überschreiten <strong>und</strong> auch Fragen nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des "Materialen" ernstnehmen. So<br />

hat die "phänomenologische Methode" (nach Husserl u.a.) betont (auf obiges Beispiel<br />

bezogen formuliert): Wenn wir das Phänomen Gesicht o<strong>der</strong> das Phänomen Auge<br />

erforschen wollen, dann steht schon fest, daß wir alle (ob nun Forscher o<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>),<br />

e<strong>in</strong>en bestimmten Vorbegriff von Auge o<strong>der</strong> Gesicht haben. Dieser "Vorbegriff" ist<br />

allem Unterricht <strong>und</strong> al- ler Forschung "a Priori".<br />

Wenn man <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Unterricht anhand von Sachbildfolien "durchnimmt", was<br />

das Auge "ist", <strong>und</strong> wenn die K<strong>in</strong><strong>der</strong> hernach die biologischen Fachbegriffe genau<br />

unterscheiden, Physiologisches genau zeigen können, dann darf sich e<strong>in</strong>e Lehrer nicht<br />

e<strong>in</strong>bilden, daß erst nach e<strong>in</strong>em solchen Unterricht die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wissen, was e<strong>in</strong>e Auge<br />

"ist".<br />

Wie wir Menschen erfahren, was wichtig ist für uns Menschen auf <strong>der</strong> Welt, wie wir<br />

von D<strong>in</strong>gen Begriffe <strong>und</strong> Erkenntnisse bilden, das haben wir <strong>in</strong> gewisser Weise schon<br />

21


angeboren. Das s<strong>in</strong>d auch menschliche Vorgegebenheiten. Der Säugl<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> <strong>in</strong> das<br />

Gesicht <strong>der</strong> Mutter h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>blickt <strong>und</strong> dieses Gesicht, auch wenn er es nur vage sieht, als<br />

zuwendendes Gesicht, als entgegenkommendes Gesicht erfährt, <strong>der</strong> hat vom Auge <strong>und</strong><br />

von dem, was das Auge für den Menschen bedeutet, wichtiges schon "begriffen". Das,<br />

was e<strong>in</strong> Mensch "ist", hat er schon <strong>in</strong> sich; das, was die Welt für den Menschen<br />

bedeutet, ist e<strong>in</strong> lebensweltliches "a priori" d.h. von Anfang an als Konkretes gegeben<br />

(vgl.u.a. Waldenfels 1988).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist Voraussetzung für die Erfahrung dessen, was D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Welt für den<br />

Menschen bedeuten, daß <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong>e Erfahrungen ganz konkret macht, daß er<br />

<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nlich die unterschiedlichen Dimensionen von Mensch <strong>und</strong><br />

Welt "er-probt". So wie das "a priori"-Gesicht" dem Säugl<strong>in</strong>g ke<strong>in</strong>e Geborgenheit <strong>und</strong><br />

Zuwendung ver<strong>mit</strong>teln kann, wenn das konkrete Gesicht <strong>der</strong> Mutter nicht "ver<strong>mit</strong>telt",<br />

ebenso kann <strong>der</strong> Mensch das Gesicht <strong>der</strong> ganzen Welt nicht erblicken, wenn<br />

er nur auf selbstgeschaffene "Produkte" schaut, wozu unsere technische Zivilisation<br />

verleitet.<br />

2.3. "Zivilisierte <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>n-en-nahe Zivilisation?<br />

Unsere zivilisatorische <strong>Leben</strong>swelt for<strong>der</strong>t von uns Kenntnisse des funktionellen<br />

Ablaufs von Alltagsvorgängen - "Erfahrungen machen" <strong>und</strong> "Erfahrungen<br />

verarbeiten", um daraus <strong>Leben</strong>svorgängen zu entwickeln, ist nicht mehr allgeme<strong>in</strong><br />

gefragt <strong>und</strong> gefor<strong>der</strong>t. Weil wir gewohnt s<strong>in</strong>d, Erfahrungen durch Kenntnisse zu<br />

"ersetzen", leben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "Ersatz"-Welt, - <strong>der</strong> "wirklichen" Welt begegnet <strong>der</strong><br />

Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zivilisation nur noch selten "<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em ganzen Leibe".<br />

So haben auch Pädagogen <strong>und</strong> Kulturkritiker warnend die "übergangene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit"<br />

(vgl. H.Rumpf 1981) aufgezeigt. Menschen <strong>und</strong> vor allem K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die noch <strong>mit</strong> all<br />

ihren <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> leben möchten, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer Zivilisation oft alle<strong>in</strong>e gelassen <strong>mit</strong> ihrer<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit. E<strong>in</strong>e menschengerechte <strong>Leben</strong>sführung wird schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit<br />

geschmälert, verbaut o<strong>der</strong> sogar zerstört. Unser <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esgebrauch ist weith<strong>in</strong> degeneriert<br />

22


zu e<strong>in</strong>em flachen Vorgang. Hören <strong>und</strong> Sehen z.B. nützen wir zum Registrieren o<strong>der</strong><br />

Rezipieren von Informationen.<br />

Viele Menschen haben durch Beruf <strong>und</strong> Alltagswelt die Beziehungen zu ihrem Leib<br />

<strong>und</strong> ihren Organen verloren. Beruf <strong>und</strong> Alltagswelt - dazu gehört auch die Schule -<br />

verbauen <strong>in</strong> unserer technischen Zivilisation die Beziehungen zu unseren Organen <strong>und</strong><br />

zum KörperlichLeiblichen überhaupt. Deshalb erfahren wir heute oft folgenschwere<br />

humanökologische Fehlsteuerungen, kämpfen weith<strong>in</strong> vergeblich <strong>mit</strong><br />

lebensbedrohenden Zivilisationskrankheiten <strong>und</strong> tun uns schwer, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> auch<br />

öffentlich gefor<strong>der</strong>ten "Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>der</strong> Industriegesellschaft <strong>mit</strong> dem Körper"<br />

(R.z.Lippe 1982).<br />

Verlorene <strong>Leben</strong>squalitäten werden heute nicht nur kognitiv, son<strong>der</strong>n als "gefühlter<br />

Mangel" festgestellt: e<strong>in</strong> Mangel, e<strong>in</strong> Verlust, den man fühlt <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em "ganzen"<br />

Leib!<br />

Auch im Zusammenhang <strong>mit</strong> neueren Überlegungen zu e<strong>in</strong>er lebensnotwendigen<br />

ökologischen Ethik wird e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nlicher reagierende Gesellschaft angestrebt: "Neben<br />

<strong>der</strong> Kritischen Vernunft müssen unsere <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e, unsere <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit wie<strong>der</strong> stärker <strong>in</strong>s<br />

Spiel gebracht werden. Die Pflege <strong>und</strong> Entwicklung unserer <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>und</strong> unserer<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit gehört vielleicht <strong>mit</strong> zu den wichtigsten Beiträgen e<strong>in</strong>er sozialen<br />

Umweltgestaltung <strong>und</strong> Naturpolitik" (W.Bierter 1990, S.126).<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> fühlen noch ganzheitlicher als wir Erwachsene, was ethisch gut ist im<br />

Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Menschen <strong>und</strong> Natur. Die un<strong>mit</strong>telbare, un-ver<strong>mit</strong>telte Fähigkeit zur<br />

Erfahrung von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>haftem <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>losen ist jedem K<strong>in</strong>d auch heute noch <strong>in</strong> die<br />

Wiege gelegt. Eltern <strong>und</strong> Lehrer lernen im ehrlichen, offenen Gespräch <strong>mit</strong> den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n oft mehr als aus "ge-lehr-("ee"?)ten Büchern, was dem menschlichen <strong>Leben</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> gibt. Das gilt auch für die mo<strong>der</strong>ne Umwelterziehung (vgl. Bäuml-Roßnagl<br />

1990).<br />

2.4. Durch <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esübungen zu e<strong>in</strong>em Selbst- <strong>und</strong> Sozialverständnis<br />

Die Fragen an unser Selbstverständnis als Menschen, die heute immer bedrängen<strong>der</strong><br />

werden, lassen sich nicht - <strong>und</strong> das war <strong>in</strong> allen Umbruchzeiten <strong>der</strong><br />

Menschheitsgeschichte so - nur "theoretisch" lösen. Antworten auf <strong>Leben</strong>sprobleme<br />

23


erhält <strong>der</strong> Mensch im konkret gelebten <strong>Leben</strong>, nicht im "Vorweg" von gedanklicher<br />

Kalkulation o<strong>der</strong> im "Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>" von analytischer Retrospektion. We<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schule noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> praktischen Umweltpolitik, noch auch für uns selbst, für unsere<br />

eigenen E<strong>in</strong>stellungen, lassen sich die <strong>Leben</strong>sprobleme "außerhalb" des konkreten<br />

<strong>Leben</strong>s lösen. Wir s<strong>in</strong>d als Menschen immer wie<strong>der</strong> darauf angewiesen, "<strong>mit</strong> unserem<br />

ganzen Leibe" den <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n zu suchen - als e<strong>in</strong>zelner Mensch <strong>und</strong> im Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

von Mensch <strong>und</strong> Mensch, Mensch <strong>und</strong> Natur, Mensch <strong>und</strong> Umwelt.<br />

Alles was wir <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Menschen <strong>der</strong> äußeren <strong>Leben</strong>swelt erleben, ist e<strong>in</strong><br />

Bild, ist Zeichen <strong>und</strong> Symbol - nicht nur Metapher unseres <strong>in</strong>neren <strong>Leben</strong>s.<br />

Goetheanisches Denken <strong>und</strong> Handeln macht das immer wie<strong>der</strong> deutlich. In dieser<br />

Tradition hat H.Kükelhaus für den zivilisatorischen "Mangelmenschen" e<strong>in</strong><br />

"Experimentierfeld" zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e geschaffen, das seit fast 20 Jahre die<br />

Menschen <strong>in</strong> den europäischen Großstädten begeistert (vgl. H.Kükelhaus 1987 3 ).<br />

Unterschiedliche Erfahrungsgeräte: optiche Geräte, Strudelgeräte, Balancier-scheiben,<br />

Summloch, Duftbaum, Aromaspirale, Tastgalerie, Schaukel usw. werden als<br />

Erfahrungs"medien" genutzt. Das gesamte "Erfahrungsfeld" umfaßt ca. 40<br />

"Erfahrungsstationen". So z.B. das "Strudelgerät": e<strong>in</strong> säulenförmiger Wasserbehälter,<br />

<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>e Kurbel e<strong>in</strong>gebaut ist. Das Wasser steht still, wenn man nichts tut; wenn<br />

man <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kurbel dreht, bewegt sich das Wasser. In <strong>der</strong> Mitte des Wassers bildet<br />

sich dann e<strong>in</strong> Kegel. Es ist fasz<strong>in</strong>ierend, zuzusehen, was <strong>mit</strong> dieser Wassersäule<br />

geschieht, wenn sie <strong>in</strong> Bewegung gerät. Wenn die Geschw<strong>in</strong>digkeit, die Kraft <strong>der</strong><br />

Drehung sehr hoch ist, bewegt sich <strong>der</strong> ganze Bewegungskegel nach oben; läßt man<br />

dann nach <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Rotationskurbel, dann s<strong>in</strong>kt das Wasser ganz langsam <strong>in</strong><br />

w<strong>und</strong>erbaren Schlieren wie e<strong>in</strong> Spiralnebel wie<strong>der</strong> nach unten. Man muß diese D<strong>in</strong>ge<br />

"machen", "tun", um Erfahrungen zu machen. Die Idee von H.Kükelhaus war nicht<br />

zuletzt - kulturkritisch - daran zu verdeutlichen, daß man den Menschen viel<br />

"erklären" kann, ihnen viele Informationen über ihre Welt geben kann (so wie Lehrer<br />

e<strong>in</strong>e Menge von Informationswissen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n "beibr<strong>in</strong>gen" können) - aber was<br />

fehlt <strong>in</strong> unserer Gesellschaft (auch <strong>in</strong> unserer Pädagogik) ist das Tun zusammen <strong>mit</strong><br />

den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, das leibnahe, das direkte Tun. Und darauf kommt es an bei e<strong>in</strong>er<br />

menschen-s<strong>in</strong>nnahen <strong>Leben</strong>sführung.<br />

24


<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esverlust, nur noch "<strong>mit</strong> dem Kopf" <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> umgehen, das br<strong>in</strong>gt<br />

auch große Bedeutungsverluste im sozialen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>mit</strong> sich. An<br />

Balancierscheiben <strong>und</strong> Partnerschaukeln kann das anschaulich werden. Da sieht man<br />

auch junge Leute, die man selten <strong>in</strong> so etwas wie "pädagogische Arrangements"<br />

br<strong>in</strong>gt, begeistert solche Erfahrungen machen. Und beim Blick auf mehrere solcher<br />

Balancierscheiben spürt man, wie plötzlich mehrere Leute, die sich gar nicht<br />

"kennen", irgendwann <strong>in</strong> so etwas wie e<strong>in</strong>e Zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>bewegung geraten. Es ist etwas<br />

sehr Schönes, wenn man konkret erfahren kann, wie e<strong>in</strong>s dem an<strong>der</strong>en nicht nur die<br />

Hand gibt, son<strong>der</strong>n wie das Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gehen kann. Das geschieht auch auf <strong>der</strong><br />

Partnerschaukel. Der Name ist von H.Kükelhaus bewußt gewählt; die beiden Begriffe<br />

"aktiv <strong>und</strong> passiv" s<strong>in</strong>d konzeptionell wichtig: Aktiv <strong>und</strong> Passiv als zwei Pole, als zwei<br />

Elemente, die <strong>in</strong> Spannung se<strong>in</strong> sollen, wenn <strong>Leben</strong> da ist, was man <strong>in</strong> vielen<br />

Bereichen des <strong>Leben</strong>s beobachten kann.<br />

So gew<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> Mensch Selbstverständnis durch das Tun <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>, <strong>mit</strong><br />

se<strong>in</strong>em Leib. Auch die heute notwendige Kompensation von sozialen<br />

Erfahrungsdefiziten ist durch solche s<strong>in</strong>nlichen Erfahrungsarrangements möglich. Das<br />

zeigten auch vielfältige Erfahrungen auf e<strong>in</strong>em Symposium zum "Lernen <strong>mit</strong> allen<br />

<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>" (vgl. Bäuml-Roßnagl 1990). Nicht nur e<strong>in</strong>zel-s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen wurden<br />

<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nlichen Erlebnisräumen <strong>mit</strong> Freude gemacht. In vielen Gesprächen wurde<br />

deutlich, wie e<strong>in</strong> neues Selbst- <strong>und</strong> Sozialverständnis durch solch s<strong>in</strong>n-en-nahe<br />

Tätigkeiten erwachsen kann (vgl.auch Kapitel 4)<br />

25


3. Kapitel<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>voll die Welt <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> erfahren<br />

3.1. Bloße Wissensver<strong>mit</strong>tlung über die Welt verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t das H<strong>in</strong>we<strong>in</strong>wachsen<br />

<strong>in</strong> die Welt<br />

Informationen über die Welt garantieren das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> die Welt nicht. Nicht<br />

nur Pädagogen denken heute darüber nach, wie die Informationsver<strong>mit</strong>tlung, welche<br />

die Schule betreibt, sich auf das <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verständnis <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

auswirkt. "Unsere Schule ist weith<strong>in</strong> bemüht, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt bekannt zu<br />

machen. Man zeigt den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n D<strong>in</strong>ge, spricht darüber, stellt Modelle <strong>und</strong><br />

Abbildungen <strong>und</strong> Objekte vor, später Geräte, Werkzeuge <strong>und</strong> Bücher. Schließlich<br />

br<strong>in</strong>gt man ihnen Regeln <strong>und</strong> Verfahren für eigenes Weiterf<strong>in</strong>den von D<strong>in</strong>gen nahe,<br />

Spielzeuge, Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Namen s<strong>in</strong>d die von Eltern <strong>und</strong> Lehrern zur Verfügung<br />

gestellten Hilfen für die Wahrnehmung. So überliefern wir die Entdeckungen <strong>der</strong><br />

Menschheit zur nächsten Generation. Die Mühen <strong>der</strong>er, die zuerst wahrgenommen<br />

haben, die früheren Kulturen, Generationen, werden für die Nachkommenden<br />

überflüssig" (Gibson 1982, S.222).<br />

So bemüht sich das sog. Bildungssystem, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n Kenntnisse von <strong>der</strong> Welt zu<br />

über<strong>mit</strong>teln, zu "übereignen" - doch die "gebotene Welt" ist oftmals nicht die von den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n "erfahrene Welt" <strong>und</strong> ebenso oft nicht die gegenwärtige <strong>Leben</strong>swelt. Die<br />

26


durch Schullernen ver<strong>mit</strong>telte Welt ist e<strong>in</strong>e im Begriff <strong>und</strong> Modell "ab-strahierte"<br />

Welt. Am Beispiel von <strong>der</strong> Katze auf <strong>der</strong> Matte verdeutlicht Gibson (1982, S.222) den<br />

Unterschied zwischen komplex-ganz-heitlicher Weltschau <strong>und</strong> begrifflichabstrahierter<br />

Weltsicht:<br />

"Man stelle sich e<strong>in</strong>en Erwachsenen vor, z.B. e<strong>in</strong>en philosophierenden, <strong>der</strong> die Katze<br />

auf <strong>der</strong> Matte sieht. Er weiß, daß sich die Katze auf <strong>der</strong> Matte bef<strong>in</strong>det. Er glaubt an<br />

diesen Sachverhalt <strong>und</strong> kann ihn aussprechen. Doch offenbar sieht er die ganze Zeit<br />

über auch alle möglichen Arten wortloser Fakten - wie sich die Matte h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Katze<br />

ohne Unterbrechung fortsetzt, welche Seite <strong>der</strong> Katze die entferntere ist, welchen Teil<br />

<strong>der</strong> Matte die Katze verdeckt, die Unterstützung <strong>der</strong> Katze durch die Matte, das Ruhen<br />

auf ihr, den festen horizontalen Boden unter <strong>der</strong> Matte <strong>und</strong> so weiter. Die sogenannten<br />

Begriffe von Erstreckung, von Ferne <strong>und</strong> Nähe, von Gravitation, Starrheit,<br />

Horizontaler <strong>und</strong> an<strong>der</strong>em mehr s<strong>in</strong>d nichts an<strong>der</strong>es als Teilabstraktionen von e<strong>in</strong>er<br />

reichhaltigen <strong>und</strong> doch zugleich e<strong>in</strong>heitlichen Wahrnehmung von Katze-auf-<strong>der</strong>-<br />

Matte. Diejenigen Teile davon, die man benennen kann, bezeichnet man als Begriffe;<br />

sie können nicht alles wie<strong>der</strong>geben, was man sieht."<br />

Die "wortlosen Fakten" unserer Welt bekommt Schule als "Bildungssystem" nicht <strong>in</strong><br />

den Griff <strong>und</strong> "Be-griff". Um diese lebendigen Dimensionen <strong>der</strong> Welt <strong>in</strong> den<br />

Bildungsprozeß e<strong>in</strong>beziehen zu können, bedarf es lebendiger Personen, die nicht nur<br />

den kognitiven Anteil ihrer Lehrer- <strong>und</strong> Erzieherpersönlichkeiten <strong>in</strong> das<br />

Bildungsgeschehen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Die reichhaltige <strong>und</strong> zugleich e<strong>in</strong>heitliche<br />

"Wahrnehmung" von Mensch <strong>und</strong> Welt im Lehrer <strong>und</strong> Erzieher selbst ist auch die<br />

Basis für die durch Bildungsprozesse ganzheitlich ver<strong>mit</strong>telte Weltauffassung.<br />

Deutung von Welt - personal ver<strong>mit</strong>telt - ist dabei ebenso erfor<strong>der</strong>lich, wie die<br />

Ver<strong>mit</strong>tlung von gesichertem Wissen über die Welt, Deutung von <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Erklärung<br />

von Sachzusammenhängen stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Komplementärverhältnis.<br />

Gerade das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen von jungen Menschen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> die Welt setzt beide<br />

Bildungsmaßnahmen im gegenseitigen Ausgleich wie die beiden Schalen e<strong>in</strong>er Waage<br />

voraus.<br />

27


Lehrer <strong>und</strong> Schüler s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem deutenden Prozeß <strong>der</strong> "Weltaneignung"<br />

gleichermaßen gefor<strong>der</strong>t. Informationen "über" die Welt müssen auf dem Boden <strong>der</strong><br />

"gelebten" Welt wachsen, wenn sie zur Wirklichkeitsbewältigung beitragen sollen.<br />

Wirklichkeit konstitutiert sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Schule o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulklasse nur dann,<br />

wenn die Anteile <strong>der</strong> bisherigen <strong>Leben</strong>swelt <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> die schulischen Denkweisen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlichen Betrachtungen e<strong>in</strong>gebracht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gereiht werden. Dazu ist es<br />

notwendig, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich auf unterrichtliche Ziele <strong>und</strong> schulische Inhalte e<strong>in</strong>lassen<br />

<strong>und</strong> sie nicht als außerhalb von sich sehen. Das ist sehr wichtig <strong>und</strong> gilt natürlich nicht<br />

nur für K<strong>in</strong><strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> größerem Ausmaß für die Lehrer.<br />

Sich e<strong>in</strong>lassen auf unterrichtliche Inhalte bedeutet z.B. das Thema "Umweltschutz"<br />

nicht außerhalb <strong>der</strong> eigenen Person, des eigenen Handelns "abzuhandeln" - we<strong>der</strong><br />

außerhalb <strong>der</strong> Schüler - noch außerhalb <strong>der</strong> Lehrerpersönlichkeit. So formuliert auch<br />

Czerwenka (1982, S. 564): "Nur das sich E<strong>in</strong>lassen, das tiefe E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die<br />

Probleme, Situationen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>ge, die Anteilnahme <strong>mit</strong> <strong>der</strong> eigenen Subjektivität, nur<br />

diese Anteilnahme kann Verfremdungsprozesse <strong>der</strong> Schüler gegenüber <strong>der</strong> Schule<br />

aufhalten."<br />

Schule kann <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n stiften, wenn Lehrer <strong>und</strong> Schüler geme<strong>in</strong>sam den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> von<br />

Sachverhalten erk<strong>und</strong>en. Das "Vorweg" <strong>der</strong> Lehrerpersönlichkeit gegenüber dem<br />

Schüler ist nicht im Bereich des Wissens zu sehen, son<strong>der</strong>n vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> vertieften<br />

Fähigkeit zur s<strong>in</strong>nvollen Weltdeutung.<br />

3.2. "Hand <strong>in</strong> Hand" die Welt erk<strong>und</strong>en<br />

Viel wird heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen <strong>und</strong> psychologischen Fachliteratur vom sog.<br />

"Handlungswissen" gesprochen - nicht immer ist <strong>in</strong> den entsprechenden<br />

Theoriegebäuden dann noch etwas spürbar vom Worts<strong>in</strong>n, <strong>der</strong> ja e<strong>in</strong> Wissen me<strong>in</strong>t,<br />

das durch "Handlung", durch die "Hand" erworben wird. Wissen <strong>mit</strong> den eigenen<br />

Händen erwerben bedeutet zuerst e<strong>in</strong>mal ganz konkret, daß die Hände als Organe des<br />

Tastens <strong>und</strong> Greifens helfen, die Welt zu be-greifen. Die "Zu-Handenheit" <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />

<strong>der</strong> Welt ist ja die Gr<strong>und</strong>lage für jegliches "Die-Welt-<strong>in</strong>-den-Griff-bekommen". Das<br />

28


gilt nicht nur für die handwerklich-technischen Lern- <strong>und</strong> Arbeitsweisen, son<strong>der</strong>n für<br />

jegliche Art <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nung von Handlungs- <strong>und</strong> Erfahrungswissen über die Welt.<br />

Die Hand als "Werkzeughand" <strong>und</strong> als "Gesprächshand" ist oftmals gedeutet worden.<br />

Die Hand schafft "Distanz zum An<strong>der</strong>en, hilft, die Symbiose zu durchbrechen,<br />

an<strong>der</strong>erseits aber auch, bei aller Trennung <strong>der</strong> Leiber <strong>in</strong> "me<strong>in</strong> Leib" <strong>und</strong> "de<strong>in</strong> Leib",<br />

den Leibkontext im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>es Gesprächs, d.h. e<strong>in</strong>es geistigen Kontaktes<br />

aufrechtzuerhalten." (Mollenhauer <strong>in</strong>: Lippitz/Rittelmeyer (Hsg.), 1989, S. 42).<br />

Unsere Hände führen "Gespräche" <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> den Menschen. "Hand <strong>in</strong><br />

Hand" gehen Erwachsene <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> - im konkreten <strong>und</strong> im<br />

symbolischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. "Die fühlende, greifende, bildende Hand, die Hand, wenn sie<br />

fühlt, greift, bildet ist die Transzendenz. E<strong>in</strong>e Transzendenz, die sich nun nicht mehr<br />

auf die Hände beschränkt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e des ganzen Menschen ist. Nicht die Hände<br />

s<strong>in</strong>d es, die da handeln. Der ganze Mensch ist es. Er ist es, <strong>der</strong> sich erhebt <strong>in</strong> den<br />

Zustand, <strong>in</strong> dem er <strong>mit</strong> den Händen denkt, <strong>mit</strong> dem Denken fühlt" (H.Kükelhaus<br />

1987 3 ,S. 21). Alle Ich-Erfahrung hat <strong>mit</strong> Leiberfahrung zu tun - aber alle<br />

Leiberfahrung auch <strong>mit</strong> dem Du. Es gibt <strong>in</strong> <strong>der</strong> philosophischen Anthropologie seit<br />

etwa 100 Jahren verstärkt die Maxime, daß <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong> Ich immer erfährt im<br />

Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Leib des an<strong>der</strong>en. So kann ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sich <strong>und</strong> die<br />

Bewußtwerdung von dem, was es ist, erfahren ohne die Hand <strong>der</strong> Eltern, ohne die<br />

Hand <strong>der</strong> Pädagogen, ohne die Hand <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e.<br />

Die Gegenbil<strong>der</strong> muß man gerade heute ebenso <strong>mit</strong>denken: wo <strong>der</strong> Kontakt verweigert<br />

wird, wo dieses "Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>"-"Hand <strong>in</strong> Hand" verschw<strong>und</strong>en ist. Auch das<br />

Lehrerse<strong>in</strong> ist oft auf e<strong>in</strong>e bestimmte e<strong>in</strong>l<strong>in</strong>ige Richtung fixiert. Sicher gibt es<br />

Reformbestrebungen verschiedenster Art, die e<strong>in</strong>en wechselseitig offenen Umgang<br />

zwischen Lehrer <strong>und</strong> Schüler for<strong>der</strong>n. Und es gibt viele Eltern, Lehrer <strong>und</strong> Erzieher,<br />

die täglich den menschlichen Austausch als Maxime ihres Erzieherhandelns<br />

verwirklichen. Wichtig ist aber auch, daß das öffentliche Bewußtse<strong>in</strong> gestärkt wird für<br />

e<strong>in</strong>e Schulbildung, welche die sozialen Interaktionen als Leitmotiv pflegt. Das würde<br />

auch bedeuten, daß Schulen an<strong>der</strong>s gebaut werden als "Bewahr- <strong>und</strong> Lernanstalten"<br />

(vgl. Bäuml-Roßnagl 1990).<br />

29


Weltlichkeit als Wurzel <strong>der</strong> <strong>in</strong>tersubjektiven Verb<strong>in</strong>dung - das ist e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen Anthropologie. Der leibliche Interaktionsprozess erzeugt <strong>S<strong>in</strong>n</strong>.<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung kann man nicht im "stillen Kämmerle<strong>in</strong>" vollziehen, <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung<br />

geschieht bei <strong>der</strong> Interaktion <strong>der</strong> Menschen im s<strong>in</strong>nlichem Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

Mead entwickelte dabei den kommunikativen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>begriff <strong>in</strong> enger Begründung zum<br />

leibgeb<strong>und</strong>enen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>vollzug: "Intentionalität als das auf den Zusammenhang<br />

Abgestimmtse<strong>in</strong> <strong>der</strong> verschiedenen Bewegungen des Menschen. Die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Bewegungen s<strong>in</strong>d also nur aus dem gesamten leiblichen Kontext heraus zu verstehen.<br />

Dieses spontane Bezogense<strong>in</strong> auf den Zusammenhang unseres leiblichen Verhaltens<br />

kann <strong>in</strong> vielen alltäglichen Situationen wahrgenommen werden. Man vergleiche z.B.<br />

die wechselnden Haltungen <strong>der</strong> Partner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch. Zuerst steht man aufrecht<br />

<strong>und</strong> steif zusammen, die Begegnung hat e<strong>in</strong>en formellen Charakter.<br />

Dann stellt e<strong>in</strong>er sich etwas bequemer h<strong>in</strong>, er stellt e<strong>in</strong>en Fuß vor den an<strong>der</strong>en <strong>und</strong> oft<br />

ohne bewußte Aufmerksamkeit än<strong>der</strong>n auch die an<strong>der</strong>en die Haltung. Jemand steckt<br />

nun die Hände <strong>in</strong> die Taschen usw. Dieser Haltungswechsel ist nicht nur so, <strong>und</strong> er ist<br />

nichts nur Äußerliches. Es verän<strong>der</strong>t sich <strong>mit</strong> diesem äußerlichen Handlungswechsel<br />

<strong>und</strong> Haltungswechsel zugleich auch etwas Inneres <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesprächssituation <strong>und</strong><br />

zwischen den Gesprächspartnern. Haltung, Mimik, Gestik <strong>und</strong> Worte s<strong>in</strong>d äußere<br />

Kennzeichen <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Än<strong>der</strong>ungen, die zwischen den Menschen sich vollziehen.<br />

An ihnen kann man sehen, ob e<strong>in</strong> Gespräch wirklich als Interaktion stattf<strong>in</strong>det o<strong>der</strong> ob<br />

es nur e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> Äußerliches, re<strong>in</strong> körperliches Geschehen ist" (Mead 1934, S. 13f).<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit hat <strong>S<strong>in</strong>n</strong> im Austausch - "Hand <strong>in</strong> Hand" erfahren die Menschen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Die<br />

Hand als "Werkzeug" <strong>und</strong> das Hän<strong>der</strong>eichen als Geste des Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d "Medien"<br />

<strong>der</strong> leibgeb<strong>und</strong>enen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung <strong>der</strong> Menschen.<br />

3.3. Auf eigenen Füßen die Welt erfahren<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> blicken aus dem Haus h<strong>in</strong>aus, sie wollen die Welt erfahren <strong>und</strong> erkennen. Ihr<br />

Blick birgt die Sehnsucht, die ihre Füße laufen lehrt. In sehr anschaulicher Weise hat<br />

Maria Montessori dieses Phänomen folgen<strong>der</strong>maßen beschrieben: "Wenn also dieses<br />

30


unser K<strong>in</strong>d, das wir vor uns haben, den Wunsch äußert, das Haus e<strong>in</strong>mal zu verlassen,<br />

dann machen wir es doch etwas feierlich auf se<strong>in</strong>e Füße aufmerksam. Ehe es fortgeht,<br />

wird es sich um so mehr dessen bewußt, was es zu tun im Begriffe ist. Wir lenken die<br />

Aufmerksamkeit des K<strong>in</strong>des auf diesen Teil se<strong>in</strong>es Leibes, <strong>der</strong> das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Fehltritt<br />

begehen lassen kann" (M.Montessori 1979 3 , S. 37f).<br />

Wie schwer fällt es beson<strong>der</strong>s vielen Müttern, ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong> fürsorglichen (o<strong>der</strong><br />

an-sich-b<strong>in</strong>denden) Obhut <strong>in</strong> <strong>der</strong>en eigene Welt "h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen" zu lassen, sie auf ihre<br />

eigenen Füße zu stellen. Nach M.Montessori sollten die Mütter wie auch alle an<strong>der</strong>en<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Erzieher das K<strong>in</strong>d anleiten, daß es auf se<strong>in</strong>e Füße Acht haben muß,<br />

sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>: "Edel ist <strong>der</strong> Fuß <strong>und</strong> edel ist das<br />

Gehen <strong>und</strong> dank se<strong>in</strong>er Füße kann das K<strong>in</strong>d, das schon laufen kann, die Außenwelt um<br />

bestimmte Antworten se<strong>in</strong>er geheimen Fragen bitten. Die Lehrer<strong>in</strong> darf niemals<br />

vergessen, daß das angestrebte Ziel nicht das augenblickliche Ziel ist. Das eigentliche<br />

Ziel besteht dar<strong>in</strong>, das geistige Wesen, das sie erzieht, das K<strong>in</strong>d, fähig zu machen,<br />

se<strong>in</strong>en Weg ganz alle<strong>in</strong> zu f<strong>in</strong>den. Nur so auf eigenen Füßen, dr<strong>in</strong>gt das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die<br />

Wirklichkeit <strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong>. Und das nennen wir seit alters Erfahrung"(M.Montessori,<br />

1979 3 , S. 37f).<br />

Auf eigenen Füßen <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, die <strong>der</strong> Pädagoge, die<br />

Mutter, die Lehrer<strong>in</strong> von kle<strong>in</strong> auf im H<strong>in</strong>blick auf das K<strong>in</strong>d beachten muß. Die Welt<br />

er"fahren", die Welt "erwan<strong>der</strong>n" bedeutet aber auch, "die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille":<br />

Wenn man h<strong>in</strong>ausführt <strong>in</strong> die Welt, wenn man das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Welt gehen läßt, erfährt<br />

es auch, wie es <strong>der</strong> Welt "er-geht". In diesem Sprachspiel, das wir <strong>in</strong> unserer<br />

deutschen Sprache haben, wird e<strong>in</strong> tieferer <strong>S<strong>in</strong>n</strong> deutlich: Erfahren bedeutet zugleich:<br />

bemerken, wie es <strong>der</strong> Welt ergeht. Auch da haben wir wie<strong>der</strong> den Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

dem Fuß, <strong>mit</strong> dem Gehen, <strong>mit</strong> dem Konkret-die-Welt-erk<strong>und</strong>en.<br />

Indem Menschen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> "umgehen", <strong>in</strong>terpretieren Sie für sich <strong>und</strong> auch für<br />

an<strong>der</strong>e die Welt - die deutsche Sprache zeigt hier auch anschaulich den <strong>in</strong>neren<br />

31


Zusammenhang zwischen dem leiblichen "Um-Gehen" <strong>und</strong> dem geistigen Prozeß, <strong>der</strong><br />

sich beim Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>Umgehen vollzieht. Der Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt hat se<strong>in</strong>e<br />

konkrete "Basis" im "Ergehen" <strong>und</strong> "Erfahren" <strong>der</strong> Welt durch die Menschen. Das gilt<br />

im beson<strong>der</strong>en Maße für das K<strong>in</strong>d. Das K<strong>in</strong>d lernt nicht durch se<strong>in</strong>en Kopf, son<strong>der</strong>n<br />

durch se<strong>in</strong>e Bewegungen. Durch das Bewegungssystem erfaßt das K<strong>in</strong>d die Welt. Das<br />

hat H.Kükelhaus immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich aufgezeigt: "Wir müssen uns darüber im<br />

klaren se<strong>in</strong>, daß das K<strong>in</strong>d die Welt nur durch se<strong>in</strong>e Bewegungen erfährt. Denn dar<strong>in</strong><br />

besteht ja eigentlich die Fortsetzung se<strong>in</strong>es embryonischen <strong>Leben</strong>s, das überhaupt nur<br />

<strong>in</strong> Bewegungsformen vor sich geht. Die nachgeburtliche Form dieses pränatalen<br />

<strong>Leben</strong>s, das Bewegungsspiel des K<strong>in</strong>des, verlangt nach e<strong>in</strong>er baulichen Umwelt, die<br />

diesen Bewegungsbedürfnissen Rechnung trägt - e<strong>in</strong>e Welt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es Stufen <strong>und</strong><br />

Treppen gibt, labyr<strong>in</strong>thisch angelegte Räume <strong>mit</strong> reliefartigen Böden. E<strong>in</strong>e völlige<br />

Verkennung <strong>der</strong> Funktionen des Fußes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedeutung se<strong>in</strong>er Erfahrungsqualitäten<br />

für die Entwicklung des Gesamtorganismus hat dazu geführt, daß <strong>der</strong> Schulbau die<br />

diesbezüglichen Erfor<strong>der</strong>nisse auf dem Hochaltar des Re<strong>in</strong>igungsetats geopfert <strong>und</strong><br />

den Blick dafür versperrt hat, <strong>in</strong> welchem Ausmaß das K<strong>in</strong>d primär ja nicht durch den<br />

"Kopf" lernt, son<strong>der</strong>n auch durch die Rhythmik se<strong>in</strong>er Bewegungssysteme <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" (H.Kükelhaus, 1979, S.61f).<br />

Für das Gr<strong>und</strong>schulalter haben entwicklungspsychologische Forschungen e<strong>in</strong>e<br />

zunehmende Differenzierung <strong>und</strong> gleichzeitige Zentralisierung <strong>der</strong> Bewegungsmotorik<br />

des K<strong>in</strong>des nachgewiesen. Die Bereiche Neuromotorik, Sensomotorik <strong>und</strong><br />

Psychomotorik werden als Teilaspekte e<strong>in</strong>es umfassenden, dynamischen<br />

Adaptionsprozesses des Organismus an die Umwelt <strong>in</strong>terpretiert (vgl. u.a. Bäuml-<br />

Roßnagl, 1979).<br />

Organerfahrungen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Fuß-Tast-Erfahrungen s<strong>in</strong>d Gr<strong>und</strong>elemente <strong>der</strong><br />

Welterfahrung <strong>und</strong> ebenso auch <strong>der</strong> Icherfahrung. Auch nach alter Kulturtradition<br />

(z.B. Tibet, Vor<strong>der</strong>er Orient, Amerika) repräsentiert <strong>der</strong> Fuß den "ganzen" Körper <strong>und</strong><br />

ver<strong>mit</strong>telt auch die "ganze" Welt.<br />

3.4. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles Wissen aus Erfahrung <strong>und</strong> Handlung gew<strong>in</strong>nen<br />

32


Erfahrungwissen, Handlungwissen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>snähe s<strong>in</strong>d schon immer<br />

Unterrichtspr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>n- <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nesorientierten Schulpädagogik gewesen.<br />

Jede s<strong>in</strong>nvolle Pädagogik orientiert sich daran, wenn sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Wert des<br />

menschlichen <strong>Leben</strong>s h<strong>in</strong>führen will. So galt jahrh<strong>und</strong>ertelang das<br />

Anschauungspr<strong>in</strong>zip als pädagogisches Leitpr<strong>in</strong>zip. Heute spricht man vom Pr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>der</strong> Handlungsorientierung als schulischem Erziehungspr<strong>in</strong>zip. Man for<strong>der</strong>t<br />

Erfahrungswissen statt "re<strong>in</strong>em" Informationswissen, <strong>Leben</strong>snähe statt Lehrbuchwissen.<br />

Erfahrungswissen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>snähe erreichen wir <strong>mit</strong> unseren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht, wenn<br />

wir Schule als "störungsfreie Atmosphäre" gestalten. Darüber haben vor allem Lern<strong>und</strong><br />

Verhaltenspsychologen nachgedacht. Nach e<strong>in</strong>em Problemlösungsmodell von<br />

He<strong>in</strong>rich Roth (1969) wurde e<strong>in</strong> entsprechendes Artikulationsmodell für den Aufbau<br />

von Unterrichtsst<strong>und</strong>en entwickelt. Die E<strong>in</strong>stiegsphase be<strong>in</strong>haltet immer e<strong>in</strong>e<br />

Fragestellung, e<strong>in</strong> Problem - e<strong>in</strong> Problem als "Störung" dessen, was schon gewußt<br />

wird. Dann folgt das Weiterfragen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wodurch die Störung behoben werden<br />

soll. Man will herausf<strong>in</strong>den, warum man etwas nicht versteht. Und nach <strong>der</strong><br />

unterrichtlichen Lösung des Problems erfolgt das Zuordnen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>ordnen des<br />

Erkannten <strong>in</strong> die Alltagssituation, wovon die Frage- <strong>und</strong> Problemstellung ja ausg<strong>in</strong>g.<br />

Unterricht als Problemlösungsprozeß dieser Art gestaltet, zielt also nicht ab, e<strong>in</strong>en<br />

störungs- <strong>und</strong> konfliktfreien theoretischen Lernprozeß zu arrangieren. Theoretische<br />

Erkenntnisse <strong>und</strong> abstrakte Lernwege werden stets <strong>in</strong>haltlich <strong>in</strong> konkrete<br />

<strong>Leben</strong>welt<strong>in</strong>halte e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> diese s<strong>in</strong>d komplex <strong>und</strong> konfliktträchtig.<br />

Erfahrungswissen wird so un<strong>mit</strong>telbar zu e<strong>in</strong>em Bedeutungwissen, zu s<strong>in</strong>nvollem<br />

Wissen für das <strong>Leben</strong>. K<strong>in</strong><strong>der</strong>n fällt es weniger schwer als Erwachsenen, den<br />

Zusammenhang zwischen Erfahrungswissen, "Sach"-wissen <strong>und</strong> Bedeutungswissen<br />

als "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>"-wissen zu sehen. "Warum"-Fragen aus K<strong>in</strong><strong>der</strong>m<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d oft nicht <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er<br />

kausallogischen Erklärungsweise zu beantworten. K<strong>in</strong><strong>der</strong> fragen <strong>mit</strong> ihrem "Warum"<br />

auch nach <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Bedeutung von D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Sachverhalten (vgl. Bäuml-Roßnagl<br />

1989).<br />

33


Daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> noch zu zweckfreien Fragen d.h. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>fragen, zu Bedeutungsfragen den<br />

D<strong>in</strong>gen gegenüber fähig s<strong>in</strong>d, wo wir Erwachsenen meistens nur e<strong>in</strong> gelerntes<br />

Antwortschema im H<strong>in</strong>terkopf haben, kann je<strong>der</strong> erleben, wenn er <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>er Klasse Erfahrungen konkret "vor Ort" <strong>und</strong> <strong>mit</strong> D<strong>in</strong>gen macht. Für e<strong>in</strong>e<br />

s<strong>in</strong>norientierte Schulpädagogik bedeutet das, daß sie sich darum bemüht, das<br />

Hauptaugenmerk nicht auf Infowissen <strong>und</strong> abfragbare Kenntnisse zu lenken.<br />

Dieser Theorieansatz hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Didaktik des Sachunterrichts <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule zur<br />

For<strong>der</strong>ung nach "Mehrperspektivität <strong>und</strong> "Mehrdeutigkeit" <strong>der</strong> Unterrichts<strong>in</strong>halte, zum<br />

Pr<strong>in</strong>zip des "fächer<strong>in</strong>terpretierenden "Sachunterrichts" geführt:<br />

Reduktion des Fachwissens <strong>und</strong> Betonung e<strong>in</strong>es lebensorientierten,<br />

fächerübergreifenden Interpretationswissens, das den Schülern den alltagsgerechten<br />

"mehrdeutigen" Zugang zu den "Sachen" ermöglicht (vgl. Bäuml-Roßnagl 1985). In<br />

e<strong>in</strong>em solchen Sachunterricht kann es nicht um abfragbare Kenntnisse alle<strong>in</strong> gehen.<br />

Lei<strong>der</strong> haben wir ja auch im Sachunterricht Noten zu vergeben <strong>in</strong> unseren Schulen.<br />

Das ist aus <strong>der</strong> Sicht e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>norientierten Sachunterrichts e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> unglücklichsten<br />

E<strong>in</strong>richtungen, vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule.<br />

Die "gebotene Welt" (M.Langeveld) <strong>in</strong> unseren Schulen darf nicht zu e<strong>in</strong>er gebotenen<br />

("befohlenen") Welt werden. Informationswissen - ohne Handlungs- <strong>und</strong><br />

Erfahrungszugang von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n selbst gewonnen - ist pädagogisch wertlos. Immer ist<br />

zu fragen: wie wird Sacherfahrung so gemacht, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> ihrem ganzen Leib, <strong>mit</strong><br />

all ihren <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> e<strong>in</strong>bezogen s<strong>in</strong>d? Die "am eigenen Leibe" erfahrenen Lernsituationen<br />

s<strong>in</strong>d es, die später noch bedeutsam s<strong>in</strong>d für das K<strong>in</strong>d, für se<strong>in</strong>e Erkenntnisgew<strong>in</strong>nung,<br />

dafür, wie es sich die Welt erobert, wie es auf die D<strong>in</strong>ge des <strong>Leben</strong>s zugeht.<br />

3.5. Die Wahrnehmungsfähigkeit "ganzheitlich" sensibilisieren<br />

Wahrnehmungsfähigkeit gehört zum Wesen menschlicher <strong>Leben</strong>sgestaltung, ihre<br />

Verkümmerung ist Kulturverlust. E<strong>in</strong>seitige Wahrnehmungsorientierug, wie wir sie <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> Öffentlichkeit <strong>und</strong> Medienwelt oft vorf<strong>in</strong>den, muß <strong>der</strong> ihr gebührende,<br />

34


egrenzte Stellenwert <strong>in</strong> <strong>der</strong> menschlichen <strong>Leben</strong>sführung zugewiesen weden - vor<br />

allem durch die Pädagogik. Das bedeutet nicht: "weg" von allen Medien <strong>und</strong><br />

Wahrnehmungshilfen, son<strong>der</strong>n vielmehr e<strong>in</strong>e bewußte Schulung <strong>der</strong><br />

Wahrnehmungsfähigkeit <strong>in</strong> allen Dimensionen. Die ursprüngliche, dem Menschen<br />

eigene Wahrnehmung <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en 5 <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> ist neben <strong>und</strong> zusammen <strong>mit</strong> den "medial"<br />

erweiterten Möglichkeiten zu entwickeln.<br />

Die Spezifizierung <strong>der</strong> Wahrnehmungsfähigkeiten durch technische Hilfen bedeutet<br />

oft e<strong>in</strong>e "Fragmentierung" bzw. e<strong>in</strong> "Destillieren" vom komplexen <strong>Leben</strong>svorgang <strong>und</strong><br />

<strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung. "Wie die isolierten Wörter zum<br />

s<strong>in</strong>ngere<strong>in</strong>igten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsfeld für Rechtschreibung, wie die Äcker <strong>und</strong> Häuser <strong>und</strong><br />

Flüsse zu e<strong>in</strong>em aller Ängste o<strong>der</strong> Hoffungen baren homogenen<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esschärfungsmaterial wurden, so mutieren die Bewegungen des eigenen Körpers<br />

zum Material, das es zu perfektionieren gilt - stufenweise, vor aller Augen, an<br />

festliegendenden Standards, <strong>mit</strong> Hilfe feststehen<strong>der</strong> Kommandos" (H.Rumpf 1982, S.<br />

93).<br />

Die Assoziation des komplexen <strong>Leben</strong>svorganges gibt dem Wahrnehmungsvollzug<br />

erst den menschlichen Handlungss<strong>in</strong>n. Die Menschen müssen sich heute wie<strong>der</strong> neu<br />

auf diese organologische Leiberfahrung über die eigentätige <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung<br />

e<strong>in</strong>lassen. Denn je<strong>der</strong> Mensch - <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße das K<strong>in</strong>d - ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

<strong>Leben</strong>serfahrung <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit an die Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>er leiblichen <strong>und</strong><br />

geistigen Möglichkeiten geb<strong>und</strong>en. Gut funktionierende Organe <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e bilden <strong>in</strong><br />

ihrer Gesamtheit die Basis für das Lernen,<br />

Leistenkönnen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>lernen <strong>in</strong> allen Dimensionen. Im Umgang <strong>mit</strong> den s<strong>in</strong>nlichen<br />

Phänomenen wird <strong>der</strong> Mensch von sich selbst wahrgenommen; im ganz konkreten<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e ist Wahrnehmung konstitutiv für unsere Existenz. So kann H. Kükelhaus auch<br />

sagen: "Organerfahrung ist Welterfahrung" - <strong>der</strong> Mensch hat nur körperlich-leiblich<br />

geb<strong>und</strong>ene <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Erkenntnismöglichkeiten. Durch die Betätigungen <strong>und</strong><br />

Wahrnehmungen <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Organismus erfährt <strong>der</strong> Mensch Bewußtse<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

von sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt.<br />

35


Reformpädagogische Strömungen <strong>in</strong> allen Jahrh<strong>und</strong>erten haben deshalb <strong>der</strong><br />

Körperbeherrschung <strong>und</strong> Schulung leibgeb<strong>und</strong>ener Fähigkeiten große Bedeutung<br />

beigemessen, so z.B. <strong>der</strong> gesamte Strom <strong>der</strong> Aufklärungspädagogik, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>stellungsän<strong>der</strong>ung zur Körperlichkeit <strong>in</strong> Richtung "Offenheit" als<br />

gesamtgesellschaftliche Aufgabe postulierte. Er<strong>in</strong>nert sei <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

auch an R. Ste<strong>in</strong>ers Bewegungskunst: "Eurythmie", <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit von Kunst,<br />

weltanschaulicher, pädagogischer <strong>und</strong> heilpädagogischer Anwendung <strong>der</strong><br />

menschlichen Leibgestik angestrebt wird. "Zivilisationskritik" (N.Elias) <strong>und</strong><br />

"Schwarze Pädagogik" (Rutschky) s<strong>in</strong>d neuere Mahnmodelle angesichts e<strong>in</strong>er<br />

"übergangenen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" (H.Rumpf) <strong>in</strong> unserer mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swelt. Dem<br />

"Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" (W.Kamper) <strong>in</strong> <strong>der</strong> leiblichen <strong>Leben</strong>sgestaltung entspricht die<br />

"<strong>Leben</strong>sweltvergessenheit" (Husserl) <strong>in</strong> <strong>der</strong> geistigen <strong>Leben</strong>sführung. E<strong>in</strong>e<br />

"Domestizierung <strong>der</strong> Seele" (D.Baacke) ist die Folge. Diese "Domestizierung <strong>der</strong><br />

Seele" ist e<strong>in</strong>e wesentliche Ursache für den <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Leistungsfreude <strong>in</strong> unserer<br />

mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft. Die erzwungene Rücknahme <strong>und</strong> Vernachlässigung des<br />

Leibes <strong>in</strong> unserer technisch-<strong>in</strong>dustriellen Zivilisation kerkert auch Seele <strong>und</strong> Geist e<strong>in</strong>.<br />

Kükelhaus als ganzheitlich-goetheanisch denken<strong>der</strong> <strong>und</strong> leben<strong>der</strong> Kulturkritiker hatte<br />

die Hoffnung, daß es "jenseits aller nostalgisch rückwärts <strong>und</strong> futurologisch vorwärts<br />

gerichteten Zielsetzungen <strong>und</strong> sonstigen Verdrängungen <strong>und</strong> Kompensationen über<br />

kurz o<strong>der</strong> lang öffentliche Anlagen <strong>und</strong> Stätten <strong>der</strong> Leibgew<strong>in</strong>nung geben wird"<br />

(H.Kükelhaus 1979, S.415).<br />

3.6. Sich selbst <strong>und</strong> die Welt geme<strong>in</strong>sam erfahren <strong>und</strong> deuten lernen<br />

"Leib-se<strong>in</strong> heißt Ich-se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Leib-se<strong>in</strong> heißt Du-se<strong>in</strong>. Aber Leibse<strong>in</strong> bedeutet also<br />

auch: Welt haben <strong>und</strong> für an<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong>-Welt-se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Leib-se<strong>in</strong>. Leib-se<strong>in</strong> bedeutet <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Welt, aber auch e<strong>in</strong>s <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt se<strong>in</strong>, <strong>mit</strong> <strong>und</strong> zu den D<strong>in</strong>gen Riechen, Sehen <strong>und</strong><br />

Dienen" (J.M. Langeveld 1968 3 ,S.130).<br />

Dem Menschen alle<strong>in</strong> ist es eigen, e<strong>in</strong>en "Leib" zu haben. Se<strong>in</strong>e Leiblichkeit ist die<br />

"Schnittstelle" zwischen Ich <strong>und</strong> Welt, zwischen Subjektivität, Intersubjektivität <strong>und</strong><br />

Objektivität. Ich <strong>und</strong> Du <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s erfahren zu können - "Welt haben" <strong>und</strong> "für an<strong>der</strong>e <strong>in</strong><br />

36


<strong>der</strong> Welt se<strong>in</strong>" - das ist e<strong>in</strong> typisch menschliches <strong>Leben</strong>sexistential. Darüber haben<br />

Philosophen, Biologen <strong>und</strong> Psychologen gerade <strong>in</strong> den letzten Jahrh<strong>und</strong>erten viel<br />

nachgedacht.<br />

Auch <strong>in</strong> gr<strong>und</strong>schulpädagogischen Gr<strong>und</strong>satzüberlegungen wurden <strong>der</strong>artige<br />

anthropologische Erklärungsmodelle e<strong>in</strong>gebracht, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Kontext <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>haltlichen Bestimmung des Leitziels "Gr<strong>und</strong>legung <strong>der</strong> Bildung" <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong><br />

sachunterrichtsdidaktischen Leitfrage: Wie ist das Verhältnis von "K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Sache" zu<br />

verstehen <strong>und</strong> zu bestimmen? M. Wagensche<strong>in</strong> formulierte diese gr<strong>und</strong>legende Frage<br />

so: "Mit dem K<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Sache aus, die für das K<strong>in</strong>d die Sache ist". K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Sache,<br />

Lernsubjekt <strong>und</strong> Lernstoff, Schüler <strong>und</strong> Lern-"Gegenstand" dürfen im konkreten Lern<strong>und</strong><br />

<strong>Leben</strong>svollzug nicht nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gestellt werden - wie das e<strong>in</strong> analytischsondierendes<br />

Verfahren <strong>in</strong> theoretischen Erklärungsmodellen tun kann <strong>und</strong> tun darf.<br />

Menschliches <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> Lernen geschieht <strong>in</strong> leiblicher Geb<strong>und</strong>enheit:"Leib-se<strong>in</strong>"<br />

heißt "Ich-se<strong>in</strong>" <strong>und</strong> "Du-se<strong>in</strong>" <strong>und</strong> "<strong>mit</strong>-<strong>der</strong>-Welt-se<strong>in</strong>"!<br />

"Für das K<strong>in</strong>d ist se<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Liebl<strong>in</strong>gsplüschbär nicht nur e<strong>in</strong> Gegenstand, son<strong>der</strong>n<br />

e<strong>in</strong>e Person. Es kann ihm e<strong>in</strong>en Kosenamen geben, <strong>mit</strong> ihm lange, vertrauliche<br />

Gespräche führen, ihm se<strong>in</strong>e Geheimnisse <strong>mit</strong>teilen, ihn küssen <strong>und</strong> von ihm<br />

Liebkosungen erhalten, wenn es <strong>mit</strong> ihm zart über se<strong>in</strong>e Wangen streicht... Und nicht<br />

nur bei e<strong>in</strong>em Stoffbären, dem Abbild e<strong>in</strong>es lebenden Tieres, son<strong>der</strong>n bei allem, was<br />

es berührt, offenbart das K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Fähigkeit zu personifizieren. Der unbedeutendste<br />

Gegenstand kann diesen persönlichen Charakter annehmen... So ist die Fähigkeit zur<br />

persönlichen Beziehung charakteristisch für die menschliche Natur <strong>und</strong> verleiht ihr<br />

gerade ihre Menschlichkeit. Je nach unserem Seelenzustand können alle D<strong>in</strong>ge für uns<br />

zu Personen werden, die ganze Welt kann sich <strong>mit</strong> Personen bevölkern. Es ist immer<br />

die gleiche Welt, sie än<strong>der</strong>t sich nicht; ich selbst habe mich geän<strong>der</strong>t, me<strong>in</strong>e<br />

persönliche o<strong>der</strong> unpersönliche Haltung dem Mitmenschen gegenüber, ich sehe die<br />

Welt an<strong>der</strong>s an. Nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ersche<strong>in</strong>t sie mir entwe<strong>der</strong> als e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge o<strong>der</strong><br />

als e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> Personen...<br />

Denn so, wie man die D<strong>in</strong>ge personifizieren kann, kann man auch die Personen versachlichen.<br />

Charles Péguy hat schon zu Anfang dieses Jahrh<strong>und</strong>erts jene Tendenz als<br />

37


e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> gefährlichsten unserer westlichen Zivilisation angeprangert. Was würde er<br />

heute sagen? Der Siegeszug <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Technik, das Taylorsystem bei<br />

<strong>der</strong> Produktion, die bürokratische Zentralisation des Staates, die Vermassung selbst<br />

<strong>der</strong> Freizeitgeschäftigung, all das reißt uns immer schneller <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, wobei die Person ausgeschlossen wird" (P.Tournier 1985, S. 20f).<br />

Das typisch menschliche Phänomen des "Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>" birgt gleichermaßen Chance<br />

<strong>und</strong> Gefahr für die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung von Mensch <strong>und</strong> Welt. "Sachen"- die Welt <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge - be<strong>in</strong>halten ke<strong>in</strong>en Wert "an sich": "Es gibt ke<strong>in</strong>e Werte an sich, es gibt ke<strong>in</strong>e<br />

Welt an sich. Sie ist geprägt von den jeweils menschlichen Erfahrungen <strong>und</strong> Wahrnehmungsmöglichkeiten,<br />

aber auch wie<strong>der</strong> regional, kulturell von den jeweiligen<br />

Traditionen, Sichtweisen, Erfahrungsmöglichkeiten <strong>und</strong> geistigen<br />

E<strong>in</strong>ordnungsversuchen e<strong>in</strong>er jeweiligen Kultur o<strong>der</strong> Landschaft. Wie bestimmte<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen o<strong>der</strong> Objekte <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> Umwelt gesehen werden, ist wesentlich<br />

abhängig von den Wahrnehmungsmöglichkeiten <strong>der</strong> Menschen, aber auch von den<br />

Bewertungen <strong>und</strong> gelernten E<strong>in</strong>schätzungen <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong> ihrem jeweiligen<br />

Kulturkreis" (Cerwenka 1982, S. 564).<br />

Die D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Alltagsphänomene erfahren ihre <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung im Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>mit</strong><br />

den Menschen. Die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung <strong>und</strong> Bedeutungsgebung für D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Sachen<br />

("Objekte") <strong>der</strong> Welt ist deshalb auch e<strong>in</strong>em subjektiven, sozialen <strong>und</strong> zeitlichen<br />

Wandel unterworfen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsene leben <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> sie leben <strong>mit</strong> den<br />

D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt. Sie leben, reden, essen, tr<strong>in</strong>ken, sprechen, handeln: was das<br />

menschliche <strong>Leben</strong> ausmacht, ist von diesen konkreten Tätigkeiten nicht zu trennen.<br />

Im konkreten Vollzug baut sich e<strong>in</strong> Weltverständnis auf - zugleich bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Erwachsenen. Dieses wird auch immer wie<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>vorstellungen über das<br />

<strong>Leben</strong> <strong>und</strong> über die Welt s<strong>in</strong>d nicht etwas, das man als theoretische Maximen "hat"<br />

<strong>und</strong> dann <strong>in</strong> den Alltag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>holt; aus dem Alltag heraus entsteht vielmehr so etwas<br />

wie <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung <strong>und</strong> Wertzuordnung <strong>und</strong> Weltbildaufbau (vgl. K. Rahner 1980) .<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung ist deshalb auch e<strong>in</strong> soziologisches Phänomen: Menschen gehen<br />

<strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> um, Menschen sprechen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, Menschen handeln <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

38


Nur so erfahren K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsene <strong>S<strong>in</strong>n</strong> - <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Wohl<br />

kann man theoretisch <strong>S<strong>in</strong>n</strong>aussagen machen, Wertvorstellungen <strong>und</strong> Wertziele<br />

entwickeln; die konkrete <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung aber ist immer neu strukturell zu bestimmen<br />

für den e<strong>in</strong>zelnen Menschen, je nachdem, <strong>in</strong> welchen D<strong>in</strong>g-, Menschen- <strong>und</strong><br />

Weltbeziehungen er gerade lebt. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisung <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><strong>in</strong>terpretation von<br />

Alltagsd<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Alltagserfahrungen können s<strong>in</strong>nvoll nur von den Menschen<br />

gemacht werden, die <strong>mit</strong> diesen D<strong>in</strong>gen umgehen. Das bedeutet für viele<br />

"wissenschaftlich" argumentierenden Pädagogen heute immer noch e<strong>in</strong> Umdenken,<br />

denn e<strong>in</strong>e unpersönliche Weltanschaung wird ja oft noch als pädagogisches Ziel<br />

angestrebt:<br />

"Es fällt uns sehr schwer, uns darüber klar zu werden, daß wir selbst unter e<strong>in</strong>er<br />

Bee<strong>in</strong>flussung stehen. Daher geben wir uns nicht Rechenschaft, <strong>in</strong> welchem Maß wir<br />

von dieser unpersönlichen Weltanschaung geprägt s<strong>in</strong>d. Sie wird uns schon <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schule suggeriert: Vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>fragen an bis zur Universität lehrt man uns, e<strong>in</strong>e<br />

wissenschaftliche Haltung e<strong>in</strong>zunehmen. Nun kennt die Wissenschaft zwangsläufig<br />

nur die Welt <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge. Die Natur, die Geschichte, selbst die Gesellschaft ersche<strong>in</strong>en<br />

folglich nur als e<strong>in</strong>e endlose Kette von Phänomenen, welche streng nach Ursache <strong>und</strong><br />

Wirkung ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gereiht s<strong>in</strong>d. Es ist nur noch e<strong>in</strong>e riesengroße Masch<strong>in</strong>erie, die uns<br />

unerbittlich <strong>mit</strong>reißt, e<strong>in</strong>e Art Karussell, das sich unaufhörlich <strong>und</strong> ziellos dreht...<br />

Heute, <strong>in</strong> dieser Zeit, da man nur noch an die Wissenschaft glaubt, s<strong>in</strong>d selbst die<br />

Theologen darum besorgt, als objektive Gelehrte zu ersche<strong>in</strong>en, <strong>und</strong> sie versuchen die<br />

Bibel zu entmythologisieren. Und das sogar <strong>in</strong> dem Augenblick, da an<strong>der</strong>e Gelehrte,<br />

die Psychoanalytiker, uns offenbaren, daß <strong>der</strong> Mensch nicht durch die Vernunft<br />

gelenkt wird, son<strong>der</strong>n durch die Mythen, <strong>und</strong> wenn man ihm die offenbarten Mythen<br />

wegnimmt, erf<strong>in</strong>det er an<strong>der</strong>e, sehr gefährliche, wie die des technischen Fortschritts<br />

o<strong>der</strong> des Rassismus" (Tournier 1985 3 ,S.21).<br />

Die Bewußtse<strong>in</strong>sbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung wie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

wissenschaftlichen Forschung sche<strong>in</strong>t gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er<br />

vernünftigeren Auffassung von "Wissenschaft" zu se<strong>in</strong>. Das ist für die "pädagogischen<br />

Wissenschaften" e<strong>in</strong>e Chance.<br />

39


3.7. In die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen erfor<strong>der</strong>t auch das Entwachsen aus <strong>der</strong> eigenen<br />

Welt<br />

Der 5-jährige Junge Stefan wollte von se<strong>in</strong>er Mutter zu Ostern ke<strong>in</strong>en Osterhasen <strong>und</strong><br />

erklärte: "Mama, kauf mir lieber e<strong>in</strong>en Globus, da<strong>mit</strong> ich weiß <strong>und</strong> schauen kann, wo<br />

ich auf <strong>der</strong> Welt b<strong>in</strong>."<br />

Warum s<strong>in</strong>d schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> darauf aus, für sich selber e<strong>in</strong>en Standort <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt zu<br />

suchen? "Menschen werden nicht e<strong>in</strong>fach geboren <strong>und</strong> wachsen dann weiter. Die Welt<br />

ist schon jeweils da, sie wird vom Geborenen jeweils neu erfahren. Wärme, das<br />

vertraute Gesicht, die Ereignisse des Alltäglichen, aber so Zuverlässigen. Bald werden<br />

dann Werte <strong>und</strong> Aufgaben erkannt <strong>und</strong> gefor<strong>der</strong>t, später entstehen die festen<br />

Gebräuche (z.B. die geregelten Mahlzeiten o<strong>der</strong> die Tischsitten). Man fängt an, sich<br />

selbst zu verwirklichen; erst esse ich selbst, dann belege ich me<strong>in</strong> Brot selbst <strong>und</strong><br />

schneide es; später kommt immer mehr dazu, bilden sich verschiedene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>- <strong>und</strong><br />

Bedeutungsgeschichten auf verschiedenen Niveaus heraus. Geboren werden genügt<br />

nicht <strong>und</strong> ebensowenig genügt es, "K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu haben", um sie zu Menschen er-<br />

"wachsen" zu lassen" (J.M.Langeveld 1968, S. 78f).<br />

Das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> die "gebotene", geschenkte <strong>Leben</strong>swelt ist die e<strong>in</strong>e Aufgabe -<br />

das Entwachsen aus dem Vertrauten, h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> den neuen <strong>Leben</strong>skreis <strong>und</strong><br />

Welthorizont ist die an<strong>der</strong>e Aufgabe: beide Vollzüge ergänzen sich. Mit dem<br />

H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> die sachliche <strong>und</strong> soziale Umwelt entwächst es<br />

schrittweise <strong>der</strong> eigenen, subjektiv begrenzten <strong>Leben</strong>swelt. Gleichzeitig ist <strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>nvolle Aufbau des eigenen Weltbildes gekoppelt an den s<strong>in</strong>nenhaften Ausbau<br />

se<strong>in</strong>er <strong>Leben</strong>sweltbeziehungen.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Vor- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulzeit s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>dividuellen Erfahrungen von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vor allem an 4 sozial-ökologische Zonen geb<strong>und</strong>en, die sich <strong>in</strong><br />

konzentrischen Kreisen (nach Bronfenbrenner <strong>in</strong>: Baacke 1984, S. 80ff) o<strong>der</strong> besser<br />

<strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es curricular angeordneten Spiralenmodells entwickeln: Familie - Nachbarschaft/Wohngegend<br />

- Schule/Freizeitstätten - Urlaubs- <strong>und</strong> erweiterte<br />

40


Erlebniswelten. Wir kennen das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> konzentrischen Kreise auch aus <strong>der</strong><br />

geographisch orientierten Heimatk<strong>und</strong>etradition <strong>in</strong> <strong>der</strong> Volksschule (F<strong>in</strong>ger 1844).<br />

Je mehr Bewegungsfreiheit je mehr Kommunikation <strong>und</strong> je mehr Handlungschancen<br />

die e<strong>in</strong>zelnen Zonen für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> bereithalten, desto mehr wird <strong>der</strong>en Entwicklung<br />

geför<strong>der</strong>t. Das ist e<strong>in</strong>e These, die für uns Pädagogen Auffor<strong>der</strong>ungscharakter hat.<br />

Eltern <strong>und</strong> Erzieher sollten versuchen, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> allen vier Zonen sich entfalten zu<br />

lassen. Sozialökologisch restriktives Erwachsenenverhalten engt so auch die geistigen<br />

Entwicklungsräume <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>.<br />

Es gibt aber heute auch immer mehr das Phänomen, daß <strong>der</strong> soziale <strong>Leben</strong>sraum des<br />

K<strong>in</strong>des schneller wächst als die das K<strong>in</strong>d aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividual-psychologischen<br />

Entwicklungsentfaltung <strong>mit</strong>vollziehen kann. Das betrifft vor allem die<br />

sozialpsychologische Perspektive des Umweltbezuges. Wenn wir heute teilweise<br />

schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dphase K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Partnerersatz vorf<strong>in</strong>den, Partnersatz für<br />

Mutter, für Väter o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fach für <strong>Leben</strong>spartner des jeweilig fehlenden Elternteils -<br />

dann werden diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> viel zu schnell aus <strong>der</strong> ersten ökologischen Zone Familie<br />

herausgelöst <strong>und</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genommen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zweckbestimmte Aufgabe. Dazu lassen sich<br />

auch schulkritische Beispiele br<strong>in</strong>gen. Lehrer haben oft das Gefühl, sie müssen Schule<br />

ganz an<strong>der</strong>s def<strong>in</strong>ieren als sie eigentlich ist. Solche Lehrer me<strong>in</strong>en, sie müßten die<br />

ganze <strong>Leben</strong>swelterfahrung, die später Erwachsene machen, schon <strong>in</strong> die Schule<br />

<strong>mit</strong>h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nehmen, <strong>und</strong> das oft nur im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Informierens. Dabei wird <strong>der</strong><br />

anthropologische Gr<strong>und</strong>begriff des "Wachsens" nicht genug ernst genommen - denn<br />

alles Wachsen "hat se<strong>in</strong>e Zeit".<br />

Es genügt auch nicht, daß <strong>der</strong> Erwachsene, <strong>der</strong> Lehrer, sich se<strong>in</strong> Weltbild<br />

"zurechtzimmert"; er muß sich <strong>mit</strong> dem Weltverständnis des K<strong>in</strong>des, so wie es aus<br />

Elternhaus <strong>und</strong> Öffentlichkeit <strong>mit</strong> <strong>in</strong> die Schule gebracht wird, ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />

Auch die Welt des Lehrers <strong>und</strong> Erziehers wächst <strong>und</strong> <strong>der</strong> "er-wachsene" Pädagoge<br />

wird "se<strong>in</strong>er" Welt <strong>in</strong> immer neuen <strong>Leben</strong>sr<strong>in</strong>gen immer neu ent-wachsen müssen.<br />

(vgl. R.M.Rilke: "Ich lebe me<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> <strong>in</strong> wachsenden R<strong>in</strong>gen...")<br />

41


H.Kükelhaus hat die spiralige Drehbewegung als Urform <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>sentfaltung<br />

anschaulich gedeutet. "In <strong>der</strong> Spiralbewegung offenbart sich e<strong>in</strong> die ganze Natur <strong>in</strong><br />

allen Bereichen, von <strong>der</strong> Schnecke bis zu den Milchstraßen, vom organischen bis zum<br />

anorganischen <strong>Leben</strong> beherrschendes Ordnungspr<strong>in</strong>zip. Als K<strong>in</strong><strong>der</strong> waren wir<br />

fasz<strong>in</strong>iert vom Anblick des Strudels, <strong>mit</strong> dem das Badewasser <strong>in</strong> den Abfluß gurgelte.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> sehen an<strong>der</strong>s als Erwachsene. Bei ihnen ist <strong>der</strong> sowohl nervöse wie bluthafte<br />

Zusammenhang <strong>der</strong> Sehvorgänge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sehgegenstände <strong>mit</strong> allen an<strong>der</strong>en<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esverrichtungsorganen noch ebenso <strong>in</strong>nig verb<strong>und</strong>en, wie während <strong>der</strong>en<br />

Entwicklungsgeschichte vor <strong>der</strong> Geburt. Die Spiralbewegung ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Urformen,<br />

die die Entwicklungsbewegung des werdenden <strong>Leben</strong>s ausführen" (H.Kükelhaus, o.J.<br />

S.16).<br />

Die spiralige Strudelbewegung fasz<strong>in</strong>iert K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Erwachsene gleichermaßen, weil<br />

<strong>in</strong> ihr die organologische Urbewegung des <strong>Leben</strong>s überhaupt anschaulich wird. Das<br />

gilt im Materielen wie auch im geistigen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>sachsen <strong>in</strong> die Welt entfaltet<br />

sich zunehmend aus dem je neuen Herauswachsen ("Ent-wachsen") aus e<strong>in</strong>er Ebene <strong>in</strong><br />

die "nächst höhere" des "lebendigen Bewegungswirbels" unserer Welt.<br />

4. Kapitel<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>volle Bildung heute durch s<strong>in</strong>nliches Lernen<br />

4.1. <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nahes Lernen auch heute als bildungstheoretische Maxime<br />

"Man solle die Weisheit soviel als möglich nicht aus Büchern schöpfen, son<strong>der</strong>n aus<br />

<strong>der</strong> Betrachtung von Himmel <strong>und</strong> Erde, Eichen <strong>und</strong> Buchen ...<br />

Die D<strong>in</strong>ge müssen den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> nachgebracht werden: Sichtbares den Augen, Hörbares<br />

den Ohren, Riechbares <strong>der</strong> Nase, Schmeckbaren dem Geschmack, Fühlbares dem<br />

Gefühl."<br />

42


Wir alle kennen diese berühmt gewordene bildungstheoretische Maxime des ersten,<br />

großen Didaktikers <strong>der</strong> abendländischen Schulgeschichte: Johann Amos Comenius.<br />

Und als Comenius se<strong>in</strong>en "Orbis Sensualium Pictus" (Die Welt <strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>n) als 1.<br />

Sachbil<strong>der</strong>buch für die Schule geschaffen hatte, war ihm sehr wohl bewußt, daß dieser<br />

"Erdkreis <strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>n" nur e<strong>in</strong> "Schulnotsurrogat" se<strong>in</strong> konnte.<br />

Das war im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert - doch <strong>mit</strong> dem "Schulnotsurrogat" von Bil<strong>der</strong>n, Zeichen,<br />

Büchern <strong>und</strong> Medien anstelle <strong>der</strong> realen, s<strong>in</strong>nlichen Wirklichkeit leben Schul-Pädagogen<br />

heute noch! Die wirkliche s<strong>in</strong>nliche Erfahrung nimmt <strong>in</strong> unseren Schulen viel<br />

weniger Zeit <strong>und</strong> Raum e<strong>in</strong> als es die Bildungsanliegen eigentlich for<strong>der</strong>n. Der Weg<br />

von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> wird vielfach verkürzt gegangen, <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>heit von<br />

Anschauung <strong>und</strong> Weltanschauung, von Sachlichem <strong>und</strong> Sprachlichem - auch schon<br />

didaktische For<strong>der</strong>ungen von J.A.Comenius <strong>und</strong> bis heute vielfach neu erhoben - ist<br />

schwierig zu verwirklichen.<br />

Vielfach hört man huete, daß unsere Zeit e<strong>in</strong>e Zeit verlorener <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit (vgl.<br />

BäumlRoßnagl 1985) <strong>und</strong> unsere Schule e<strong>in</strong>e Schule "übergangener <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" (vgl.<br />

H.Rumpf 1981) sei. Der Verlust leiblich-s<strong>in</strong>nlicher <strong>Leben</strong>svollzüge sei e<strong>in</strong>e<br />

Hauptursache für den <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust <strong>in</strong> unserer Selbst- <strong>und</strong> Welterfahrung. Unsere<br />

rationelle, ent-s<strong>in</strong>nlichte Alltagswelt erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e <strong>Leben</strong>sführung, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit "<strong>mit</strong> Haut <strong>und</strong> Haar", <strong>mit</strong> "Kopf, Herz <strong>und</strong> Hand" oft nicht mehr<br />

möglich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> nicht mehr nötig zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en. Da<strong>mit</strong> ist viel an spürbarer,<br />

fühlbarer, greifbarer <strong>Leben</strong>squalität (im wahrsten <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Wortes) ab-"handen"<br />

gekommen.<br />

Den "Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>" gehen wir Erwachsene nur noch selten - an<strong>der</strong>s<br />

tun <strong>und</strong> wollen das immer noch die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, aber nur, wenn wir Erwachsene ihnen<br />

diesen s<strong>in</strong>nlichen Weg nicht verbauen. Das mahnt auch Erich Kästner <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

"Ansprache zum Schulbeg<strong>in</strong>n" an, wenn er den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> ihren Lehrern folgenden<br />

Rat gibt: "Laßt euch die K<strong>in</strong>dheit nicht austreiben! ...Man nötigt euch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />

eifrig von <strong>der</strong> Unter- über die Mittel- zur Oberstufe. Wenn ihr schließlich drobensteht<br />

<strong>und</strong> balanciert, sägt man die "überflüssig" gewordenen Stufen h<strong>in</strong>ter euch ab, <strong>und</strong> nun<br />

könnt ihr nicht mehr zurück. Aber müßte man nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em <strong>Leben</strong> wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

43


Hause treppauf <strong>und</strong> treppab gehen können? Was soll die schönste 1. Etage ohne Keller<br />

<strong>mit</strong> den duftenden Obstborden <strong>und</strong> ohne das Erdgeschoß <strong>mit</strong> <strong>der</strong> knarrenden Haustür<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> scheppernden Kl<strong>in</strong>gel? Nun - die meisten leben so! Sie stehen auf <strong>der</strong> obersten<br />

Stufe, ohne Treppe <strong>und</strong> ohne Haus, <strong>und</strong> machen sich wichtig. Früher waren sie<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, nun s<strong>in</strong>d sie Erwachsene, aber was s<strong>in</strong>d sie nun? Nur wer erwachsen wird <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong>d bleibt, ist e<strong>in</strong> Mensch!"<br />

Gerade im letzten Jahrzehnt aber hat die Pädagogik, da die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>krise unserer<br />

<strong>Leben</strong>swelt vor allem auch als Wahrnehmungkrise erkannt wurde, viel<br />

<strong>Leben</strong>sbedeutsames <strong>und</strong> - um im Bild E.Kästners zu bleiben - auch die "unteren<br />

Stufen des Bildungsgeschehens wie<strong>der</strong> neu sehen gelernt. Die toten Lernzielkataloge<br />

e<strong>in</strong>er systematisch-abstrakten Curriculumtheorie wurden weith<strong>in</strong> "ad acta" gelegt. In<br />

unsere Schulen hat das lebendige K<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong> "E<strong>in</strong>zug halten dürfen", das K<strong>in</strong>d <strong>mit</strong><br />

se<strong>in</strong>em Leib <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Geist, "<strong>mit</strong> Kopf, Herz <strong>und</strong> Hand" (wie Pestalozzi so gerne<br />

sagte). So werden heute Lernstoffe <strong>und</strong> Lernstrategien als "kognitives Gepäck" <strong>der</strong><br />

Unterrichts- <strong>und</strong> Erziehungskunst häufig wie<strong>der</strong> auf den Rücken lebendiger K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

geschnürt Hand <strong>und</strong> Fuß, Kopf <strong>und</strong> Herz, Leib <strong>und</strong> Geist werden neu <strong>in</strong> ihrer e<strong>in</strong>heitlichen<br />

pädagogischen Bedeutung anerkannt. Viele Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen, Lehrer <strong>und</strong><br />

Erzieher mühen sich täglich auf vielfältige Weise um <strong>S<strong>in</strong>n</strong>kultivierung <strong>und</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung - zusammen <strong>mit</strong> ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n (vgl. auch Bäuml-Roßnagl 1990).<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>liches Lernen ist seit Jahren auch e<strong>in</strong> Anliegen von Lehreraus- <strong>und</strong> Lehrerfortbildungsprogrammen,<br />

<strong>und</strong> es gibt kaum e<strong>in</strong> Thema, das Erzieher <strong>und</strong> Lehrer mehr<br />

<strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> engagiert se<strong>in</strong> läßt. E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> viele Gr<strong>und</strong>schulklassen genügt, um<br />

die <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nähe <strong>der</strong> Bildungsbemühungen an s<strong>in</strong>nenfreudigen Klassenzimmern <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Schulhausgestaltung auch öffentlich wahrzunehmen.<br />

4.2. Die Kraft <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als Bildungsaufgabe für den Menschen<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit "an sich" zeitigt noch ke<strong>in</strong>e bildsamen Käfte. Aber humane Bildung ohne<br />

<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nähe kann nicht gel<strong>in</strong>gen. So haben immer wie<strong>der</strong> - <strong>in</strong> allen Kulturkreisen,<br />

nicht nur heute - Mahner zum Menschlichen darauf aufmerksam gemacht, daß des<br />

Menschen <strong>Leben</strong>sweg nicht nur auf dem Weg des Denkens s<strong>in</strong>nvoll gestaltet werden<br />

44


kann. Ob es Dichter <strong>und</strong> Maler <strong>mit</strong> ihren Gestaltungsmöglichkeiten ausgedrückt haben<br />

- ob es Forscher <strong>und</strong> Wissenschaftler auf unterschiedlichen Forschungswegen<br />

erk<strong>und</strong>eten: auf ihre je eigene Weise haben sie daran er<strong>in</strong>nert, daß <strong>der</strong> Mensch den<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> se<strong>in</strong>es <strong>Leben</strong>s <strong>und</strong> die Fülle <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>squalität nicht ohne se<strong>in</strong>e leiblichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e<br />

erlangen kann. Die leibgeb<strong>und</strong>ene Existenz des Menschen erfor<strong>der</strong>t den s<strong>in</strong>nlichleiblichen<br />

<strong>Leben</strong>svollzug.<br />

Viele Varianten e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>nvoll gestalteten <strong>Leben</strong>s aus <strong>der</strong> Kraft <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, aber<br />

auch die Kehrseite e<strong>in</strong>er uns<strong>in</strong>nig ausgelebten, vere<strong>in</strong>seitigten <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit erleben wir<br />

heute. Die humanen Mangelzustände <strong>in</strong> unserer zivilisatorisch-technisch geprägten<br />

<strong>Leben</strong>swelt werden uns gegenwärtig beängstigend bewußt. Der rationale <strong>und</strong><br />

rationelle <strong>Leben</strong>svollzug hat die Eigenschaften des Herzens, <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dsamkeit, des<br />

Gefühls <strong>und</strong> des Gewissens verkümmern lassen <strong>und</strong> doch: "sie schlummern auch auf<br />

dem Gr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er von <strong>der</strong> Zivilisation verachteten Seele" (wie Paul Tournier sagt).<br />

Mediz<strong>in</strong>er, Psychologen <strong>und</strong> Pädagogen vor allem haben immer wie<strong>der</strong> darauf<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, daß <strong>der</strong> "kosmos anthropos" (He<strong>in</strong>rich Schipperges) nur dann <strong>in</strong><br />

Ordnung, nur dann <strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvoller Harmonie ist, wenn <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong>e Denk- <strong>und</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>eswelt, se<strong>in</strong>e Leib- <strong>und</strong> Geistdimensionen <strong>in</strong> regem Austausch <strong>und</strong> gegenseitiger<br />

Befruchtung lebt <strong>und</strong> erlebt. So betonte z.B. Paracelsus, daß <strong>der</strong> Mensch, will er<br />

ges<strong>und</strong> se<strong>in</strong>, so leben müsse, "daß auch die Augen den Verstand begreifen <strong>und</strong> daß es<br />

<strong>in</strong> den Ohren töne wie <strong>der</strong> Fall des Rhe<strong>in</strong>s <strong>und</strong> daß das Getöse <strong>der</strong> Philosophei also<br />

hell <strong>in</strong> den Ohren liege wie die sausenden W<strong>in</strong>de aus dem Meer, <strong>und</strong> die Zunge<br />

<strong>der</strong>maßen e<strong>in</strong> Wissen trage wie des Honigs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gall, <strong>und</strong> die Nase schmecke<br />

e<strong>in</strong>en jeglichen Geruch des ganzen Subjekts -" (Paracelsus <strong>in</strong>: Schipperges 1978,S.<br />

125).<br />

E<strong>in</strong>e Fehldeutung <strong>der</strong> menschlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit läßt die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane als<br />

Informationslieferanten <strong>und</strong> Orientierungsvehikel verstehen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er physikalistisch<br />

<strong>und</strong> biologistisch <strong>in</strong>terpretierten Reizumwelt. E<strong>in</strong>e solche Bedeutungszuweisung<br />

dokumentiert e<strong>in</strong> reduktives Verständnis des <strong>S<strong>in</strong>n</strong>s unserer <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e. Denn hier ersche<strong>in</strong>t<br />

<strong>der</strong> menschliche Organismus als e<strong>in</strong>er unter vielen, nicht aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er spezifisch<br />

menschlichen Bedeutung.<br />

45


Die Kulturszene <strong>der</strong> Gegenwart br<strong>in</strong>gt auf vielen Ebenen immer wie<strong>der</strong> das Phänomen<br />

<strong>der</strong> sog. "Wahrnehmungskrise" <strong>in</strong>s Gespräch. So stellen Kamper/Wulf <strong>in</strong> ihrem<br />

bekannten Buch "Das Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e" (1984) die Frage, ob die "traditionelle<br />

Sicht, daß die menschlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens,<br />

Tastens immer zugleich auch soziale <strong>und</strong> historische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>stiftungen abgegeben<br />

haben", noch aufrecht erhalten werden kann. Und sie fragen weiter, ob "die<br />

Verabschiedung des traditionellen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>s von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit den Durchgang zu an<strong>der</strong>en<br />

Wahrnehmungsstrukturen unter Suspendierung gängiger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>strukturen" anzeigt. Die<br />

abendländische Metaphorik-Tradition hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Metaphorik des menschlichen<br />

Körpers e<strong>in</strong> Bedeutungsystem Sui generis verstanden: "In die zusammenhängenden<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Körpers spielte immer auch <strong>der</strong> jeweilige <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Solche<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisungen des Zusammenhangs waren historisch gerade zw<strong>in</strong>gend, so daß die<br />

Frage zugespitzt werden muß: Ist das umschriebene anthropologische Modell für<br />

zeitdiagnostische Vorstellungen <strong>und</strong> Darstellungen am Ausgang <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne noch<br />

brauchbar? Die Kunst deutet an, was auf dem Spiel steht: bis <strong>in</strong> die<br />

Wahrnehmungsprozesse h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> bleibt umstritten, ob <strong>der</strong> Körper modellhaft Zeugnis<br />

für e<strong>in</strong>e natürliche Sprache o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e geschichtliche Schrift ablegt" (ebda, S. 10).<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als bildende Kraft, die <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Existenz des Menschen un<strong>mit</strong>telbar<br />

verb<strong>und</strong>en ist, wird da<strong>mit</strong> für unsere heutige "deprivierte" (verarmte) <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung<br />

<strong>in</strong> Frage gestellt. Und doch sche<strong>in</strong>t es ke<strong>in</strong>en vernünftigen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvollen<br />

<strong>Leben</strong>svollzug des Menschen ohne se<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit zu geben. Denn <strong>der</strong> Mensch ist<br />

nur Mensch <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em "ganzen Leibe" Mensch - <strong>und</strong> <strong>der</strong> Leib des Menschen "ist"<br />

nicht ohne <strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit.<br />

Aber vielleicht täte es dem Gegenwartsmenschen gut, se<strong>in</strong> Selbstverständnis <strong>in</strong> aller<br />

Bescheidenheit wie<strong>der</strong> ganz nah aus <strong>der</strong> "organo-logischen" <strong>Leben</strong>sgestaltung heraus<br />

zu entwickeln. Rout<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>sführung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

technischen Zivilisation bekämen dann e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Gewichtung <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nennahes Tun<br />

des Menschen e<strong>in</strong>e Nähe zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, was J.R<strong>in</strong>gelnatz (1952, S. 94) im K<strong>in</strong><strong>der</strong>gedicht<br />

vom "K<strong>in</strong><strong>der</strong>sand" schlicht, aber e<strong>in</strong>drücklich aussagt:<br />

Das Schönste für K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist Sand<br />

46


Ihn gibts immer reichlich<br />

Er r<strong>in</strong>nt unvergleichlich<br />

zärtlich durch die Hand.<br />

Weil man se<strong>in</strong>e Nase behält<br />

wenn man auf ihn fällt,<br />

ist er so weich.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>f<strong>in</strong>ger fühlen,<br />

wenn sie <strong>in</strong> ihm wühlen,<br />

Nichts <strong>und</strong> das Himmelreich<br />

Denn ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d lacht<br />

über gemahlene Macht.<br />

Der Ausgang <strong>der</strong> "Mo<strong>der</strong>ne " ist für den Menschen ke<strong>in</strong> "Ausgang" aus <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>, wenn er selbst ihn nicht dazu bestimmt. Doch die Wahrnehmungskrise am<br />

"Ausgang <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne" ist sicher e<strong>in</strong>e Bildungsaufgabe, die das "Selbstverständlich-<br />

Menschliche" wie<strong>der</strong> <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> entdecken lernen muß.<br />

Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer rationalisierten Zivilisation oft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gefahr, das<br />

"Selbstverständlich-Menschliche" nicht mehr zu erfahren. Dieses Selbstverständlichste<br />

muß gleichsam "<strong>mit</strong> fremden Blick" neu gesehen werden. Die Wahrnehmung des<br />

Zerfalls von "Rout<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit" kann dann zur Quelle neuer<br />

<strong>Leben</strong>skunst werden: "Die Rout<strong>in</strong>e des Bescheid-Wissenden bekommt e<strong>in</strong>en Knacks.<br />

So unähnlich ist sie gar nicht dem leisen Entzücken des Sechsjährigen, dem es noch<br />

nicht das Selbstverständlichste von <strong>der</strong> Welt ist, daß über Nacht aus e<strong>in</strong>er<br />

Wasserpfütze dieses krachig glatte <strong>und</strong> spiegeliges Etwas geworden ist. Ne<strong>in</strong> - <strong>der</strong> tut<br />

nicht, worauf wir Erwachsenen Belehrungsfreudigen gerne warten: er stellt sich ke<strong>in</strong>e<br />

Schülerfrage. Er fragt nicht "wieso"? Er gerät <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit, die noch nicht<br />

auf Antworten aus ist. Er sagt: Guck mal! Hier ist was an<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt geworden -<br />

unvertraut, fremdartig, neu" (H.Rumpf 1986, S. 28).<br />

Ergänzend zum Verstandesdenken, das <strong>der</strong> neuzeitliche Mensch ja perfekt e<strong>in</strong>geübt<br />

hat, muß wie<strong>der</strong> das Fühl-Denken treten. Im Bildungsgeschehen ist die organologische<br />

47


Verwirklichung des Menschen <strong>und</strong> die organo-logische Deutung von Mensch <strong>und</strong><br />

Welt heute gleichermaßen gefor<strong>der</strong>t.<br />

4.3. Der Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> als Bildungsweg<br />

E<strong>in</strong> wahrlich großer Pädagoge unseres Jahrh<strong>und</strong>erts, M. Wagensche<strong>in</strong>, hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

lebenslangen Lehrtätigkeit als Ergebnis e<strong>in</strong>er lebendigen pädagogischen Bemühung<br />

immer wie<strong>der</strong> darauf aufmerksam gemacht, daß das "Stehen auf den Phänomenen" die<br />

Haltung e<strong>in</strong>es jeden Unterrichtenden se<strong>in</strong> muß, <strong>der</strong> bei se<strong>in</strong>en Schülern e<strong>in</strong> echtes<br />

"Verstehen" anstrebt. Und er kritisierte hart jene Gepflogenheiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em falsch<br />

verstandenen akademischen Unterricht, <strong>der</strong> "die Naturphänomene nur noch im<br />

Vorbeigehen streift, um dann eilig <strong>in</strong>s Apparative, Abstrakte, Laborhafte, Technische<br />

<strong>und</strong> Mathematisierte sich zu versteigen, so daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht mehr blickend,<br />

lauschend, handelnd teilnehmen können. In e<strong>in</strong>er bloßen Zuschauerhaltung<br />

lahmgelegt, können sie nicht e<strong>in</strong>mal s<strong>in</strong>nlich-körperlich anwesend se<strong>in</strong> <strong>und</strong> deshalb<br />

auch die Abstraktion nicht wirklich leisten" (M.Wagensche<strong>in</strong> 1983, S. 108).<br />

Zum<strong>in</strong>dest seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80iger-Jahre ist aber <strong>in</strong> unserem Bildungswesen - <strong>und</strong> ich<br />

me<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>s auch durch das persönliche Engagement vieler Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Lehrer - e<strong>in</strong>e gewisse Tendenzwende spürbar, e<strong>in</strong> "Tauwetter für die Eisigkeit <strong>der</strong><br />

wahnhaft verabsolutierten Rationalität" (Wagensche<strong>in</strong>). Die Problematik des<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlustes e<strong>in</strong>er von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> entfremdeten Schule wurde bei<br />

Bildungspolitikern, Bildungstheoretikern <strong>und</strong> Lehrplanmachern - zuvor aber schon bei<br />

Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrern - immer deutlicher gesehen. So wurde <strong>in</strong> den neueren<br />

Lehrplänen die For<strong>der</strong>ung nach mehr Anschauung <strong>und</strong> Anschaulichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Unterrichtsmethodik nachdrücklich neu erhoben; aber auch die E<strong>in</strong>sicht, daß die<br />

D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong>nerhalb ihres <strong>Leben</strong>sraumes erfahren, gefühlt, getastet, erlebt, gerochen,<br />

geschmeckt, gesehen <strong>und</strong> gehört werden müssen, wenn ihre s<strong>in</strong>nlichen Qualitäten<br />

ver<strong>in</strong>nerlicht <strong>und</strong> versprachlicht werden sollen, wurde neu lebendig. So haben <strong>der</strong><br />

Unterrichtsgang <strong>und</strong> außerschulische <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Lernsitutationen e<strong>in</strong> neues Gewicht<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e vertiefte Wertschätzung erhalten. Bei Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen, Lehrern <strong>und</strong><br />

Erziehern wächst die E<strong>in</strong>sicht, daß die Schule die <strong>Leben</strong>swelt des Alltags ernst<br />

48


nehmen muß <strong>und</strong> daß gr<strong>und</strong>legende Bildung heute nur geschieht, wenn Erwachsene<br />

<strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zusammen sich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen, Sachverhalten <strong>und</strong><br />

Menschen ihrer <strong>Leben</strong>swelt. Die Phänomene <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt wollen primär s<strong>in</strong>nlichleiblich<br />

<strong>und</strong> erst sek<strong>und</strong>är "medial" wahrgenommen se<strong>in</strong>. Die musisch s<strong>in</strong>nliche<br />

Betätigung ist dabei von elementarer Bedeutung. In ihr werden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> ihren<br />

<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> schöpferisch tätig; ihre <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e werden geschärft <strong>und</strong> sensibel gemacht für die<br />

Wahrnehmungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> menschlichen Innenwelt - Mitwelt - Umwelt. E<strong>in</strong> Augleich zur<br />

oft e<strong>in</strong>seitigen Leistung abfor<strong>der</strong>nden Lernwelt wird möglich. So fand die Mediation -<br />

fast e<strong>in</strong> Zauberwort unserer Zeit - auch E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> Schulen <strong>und</strong> Lehrpläne.<br />

Der Lehrer, die Lehrer<strong>in</strong> ist <strong>in</strong> ganzheitlicher Weise gefor<strong>der</strong>t. Denn "<strong>in</strong> die Nähe<br />

meditativer Erfahrungen können wir nur führen, wenn wir nicht den denkenden,<br />

logischen, abstrahierenden Verstand ansprechen, son<strong>der</strong>n jene tieferen, <strong>in</strong>nerlichen<br />

Schichten, <strong>in</strong> denen sich Erlebnis, Begegnung, Betroffenheit, Angerührtse<strong>in</strong> ereignet.<br />

Das bedeutet, daß wir nicht etwas <strong>in</strong>haltlich <strong>mit</strong>teilen, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> <strong>in</strong> uns Vollzogenes<br />

dem an<strong>der</strong>en so ver<strong>mit</strong>teln, daß es für ihn vollziehbar wird" (K.Tilmann, 1969 S. 98).<br />

Wer selbst die sogenannten Sachen erk<strong>und</strong>et <strong>und</strong> das dann geme<strong>in</strong>sam <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

tut, wird Sacherfahrungen zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrungen führen können.<br />

Aber auch e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weg zur <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule beschreiten vor allem<br />

Gr<strong>und</strong>schul- <strong>und</strong> Sachunterichtslehrpläne (Son<strong>der</strong>schule<strong>in</strong>richtungen quasi PER SE<br />

schon immer!): "Entdecken, was die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e leisten" ist hier die Maxime, welche<br />

anregen möchte zu sachunterrichtlichen Sequenzen über Leistung <strong>und</strong> Funktion <strong>der</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane. Durch Lernziele etwa folgen<strong>der</strong> Art sucht man dieses Ziel zu erreichen<br />

(J.Meyer 1985, S. 40).<br />

"Der Schüler soll:<br />

die Leistungen e<strong>in</strong>iger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane spielerisch entdecken - selbständig<br />

Grenzen <strong>und</strong> Leistungen e<strong>in</strong>iger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane erkennen <strong>und</strong> beschreiben<br />

die Wahrnehmungen Riechen, Hören, Tasten, Sehen den entsprechenden<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorganen zuordnen können<br />

erkennen, daß nur alle <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>en richtigen E<strong>in</strong>druck<br />

von Gegenständen ver<strong>mit</strong>teln können<br />

49


die Bedeutung e<strong>in</strong>iger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane <strong>in</strong> alltäglichen Situationen beschreiben<br />

können<br />

die Leistungen <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane erproben <strong>und</strong> die Wahrnehmung schulen<br />

lernen, daß die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorgane e<strong>in</strong>e Orientierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umwelt ermöglichen."<br />

Für e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Bildung ist es dabei wichtig, daß <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> unseren Schulen<br />

<strong>der</strong> Versuchung wi<strong>der</strong>standen, wird vorschnelle abstrakte <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zuweisungen ohne den<br />

zugehörigen s<strong>in</strong>nlichen Erfahrungsgr<strong>und</strong> vorzunehmen.<br />

4.4. Gr<strong>und</strong>legende Bildung im Spannungsverhältnis von <strong>S<strong>in</strong>n</strong>estätigkeit <strong>und</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung<br />

Der Begriff "gr<strong>und</strong>legende Bildung" ist e<strong>in</strong> zentraler Begriff <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schullehrerausbildung. Es gibt dazu programmatische Ausführungen, die fast<br />

<strong>mit</strong> Sprachspielen zu vergleichen s<strong>in</strong>d, so z.B. "gr<strong>und</strong>legende Bildung" heißt, "den<br />

Gr<strong>und</strong> legen für die aufbauende Bildung des jungen Menschen" - doch zu welchem<br />

"Bild" vom Menschen soll <strong>der</strong> "Gr<strong>und</strong>" gelegt werden? Schon diese noch sehr<br />

abstrakte Frage br<strong>in</strong>gt so manche gut kl<strong>in</strong>genden Lehrplanpräambeln <strong>in</strong> konkrete<br />

Verlegenheit.<br />

E<strong>in</strong>e nähere "Operationalisierung" dieser Bildungsaufgabe führt zu zahlreichen<br />

E<strong>in</strong>zeltätigkeiten von Schülern <strong>und</strong> Lehrern im Lernprozeß, von denen hier, vor allem<br />

bezogen auf den Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule, nur e<strong>in</strong>ige angeführt werden.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe des Sachunterrichts liegt dar<strong>in</strong>, Sachverhalte zu "ergründen".<br />

Zu diesem Ergründen gehört das Erk<strong>und</strong>en, Erfragen, Entdecken, Erproben:<br />

Arbeitsweisen, die den Sachunterricht methodisch prägen, Arbeitsweisen, die aber<br />

e<strong>in</strong>geengt nur aus fachdidaktischer o<strong>der</strong> fachwissenschaftlicher Perspektive<br />

"formalisiert" verstehen kann (vgl. Bäuml-Roßnagl 1989). Es gibt für das Erk<strong>und</strong>en,<br />

Erfragen, Entdecken aber auch den Zugang vom "K<strong>in</strong>d als Ganzem" her, vom<br />

"Menschen als Ganzem" her. Da geschieht das Fragen <strong>und</strong> Entdecken nicht <strong>mit</strong> dem<br />

"Kopf" alle<strong>in</strong>, nur <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Intelligenz des K<strong>in</strong>des, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kognition, son<strong>der</strong>n<br />

entdeckendes Lernen wird vollzogen <strong>mit</strong> dem ganzen Körper, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> ganzen<br />

Leiblichkeit, <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>: also <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>!<br />

50


Gr<strong>und</strong>legende Bildung nur <strong>mit</strong> den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> o<strong>der</strong> nur <strong>mit</strong> dem Denken vollzogen ist<br />

ke<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende Bildung, weil sie den Menschen als "Ganzen" nicht zu sich<br />

kommen läßt.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Aufgabe <strong>der</strong> "Gr<strong>und</strong>legung von Bildung" besteht dar<strong>in</strong>, Sachverhalte<br />

begründen zu können <strong>mit</strong> "<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>". Auch dieses Begründenkönnen, das<br />

irgendwo auf diese Frage nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> h<strong>in</strong>tendiert, den <strong>S<strong>in</strong>n</strong>zusammenhang <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge "sehen" will, kann nur dann <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gut geschehen, wenn s<strong>in</strong>nliche<br />

Tätigkeiten vorausgegangen s<strong>in</strong>d, wenn ke<strong>in</strong> "verkopftes" Begründen gefor<strong>der</strong>t ist -<br />

ke<strong>in</strong> Denken primär <strong>in</strong> Formeln, <strong>in</strong> mathematischen Gleichungen. Das Begründen muß<br />

erwachsen aus <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen, aus <strong>der</strong> leiblichen<br />

Erfahrung, es muß aus den leiblichen Erlebnissen heraus ver<strong>mit</strong>telt se<strong>in</strong>.<br />

Sich-Wissen-aneignen ist e<strong>in</strong>e weitere gr<strong>und</strong>legende Bildungsaufgabe. E<strong>in</strong> Wissen,<br />

das nur <strong>mit</strong> dem Kopf "erreicht" wird, ist etwas ganz an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong> Wissen, das auch<br />

auf Erlebnissen <strong>und</strong> Erfahrungen gründet. Das gilt beson<strong>der</strong>s für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>, aber auch noch für Erwachsene! Die Vorstellung (o<strong>der</strong><br />

Wirklichkeit), daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> isoliert vor e<strong>in</strong>em PC sitzen <strong>und</strong> sich die Welt wie e<strong>in</strong> "Bit"<br />

aneignen, ist e<strong>in</strong>e Vorstellung, die nichts zu tun hat <strong>mit</strong> dem Anliegen e<strong>in</strong>er<br />

gr<strong>und</strong>legenden Bildung. Dieses sucht nach Zusammenhängen von Wissen <strong>und</strong><br />

Können, nach Zusammenhängen, die verdeutlichen, daß <strong>der</strong> Mensch als "Ganzer" lebt,<br />

<strong>mit</strong> sich, <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Umwelt. Leiblichkeit <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit<br />

gehören zu diesem ganzen Menschen. Und das heißt lernen, gründlich zu se<strong>in</strong> im<br />

Sachumgang, achtsam <strong>und</strong> allseitig <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen umgehen - e<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> lang! Dazu<br />

gehört nicht nur das s<strong>in</strong>nliche Tun: Hören, Sehen, Fühlen, Tasten, Empf<strong>in</strong>den - dazu<br />

gehört auch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Komplex wie die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille: achtsam se<strong>in</strong> im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die Bedeutung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, auf das, was sich von den D<strong>in</strong>gen her "zeigt".<br />

Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>e abtasten, dann empf<strong>in</strong>den sie viel mehr als nur "Form"-merkmale<br />

- sie fühlen, was e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> "ausmacht". Sacherfahrungen <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erlebnisse werden<br />

oft gleichzeitig erlebt.<br />

51


Solche s<strong>in</strong>n-lichen Erfahrungen sollen Schüler auch <strong>in</strong> unseren Schulen machen - an<br />

exemplarischen Beispielen, wo die Sachen <strong>mit</strong> möglichst vielen Aspekten "zur<br />

Sprache kommen" <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong> Mensch als Ganzer "zum Zuge"<br />

kommt. Dann geschieht auch die Sprachentfaltung sachgerecht <strong>und</strong> "von <strong>in</strong>nen<br />

heraus". Voraussetzung für solche Bildungskonzepte ist, daß Lehrer <strong>und</strong> Erzieher<br />

selbst solche s<strong>in</strong>n-lichen Bildungswege beschreiten. Pestalozzi hat das bereits 1780<br />

gefor<strong>der</strong>t: "Erzieher sollen den ganzen Kreis <strong>der</strong> Gegenstände, die die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des<br />

K<strong>in</strong>des nahe berühren, <strong>in</strong>s Auge fassen <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem K<strong>in</strong>d zusammen behandeln". E<strong>in</strong>e<br />

gute pädagogische <strong>S<strong>in</strong>n</strong>(e)übung ist es, e<strong>in</strong>e Liste über diesen "ganzen Kreis <strong>der</strong><br />

Gegenstände, welche die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des K<strong>in</strong>des heute nahe berühren", zusammenzustellen<br />

- alle D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Situationen unserer alltäglichen <strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Lernwelt, so man fühlt:<br />

da s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlich <strong>mit</strong> Gegenständen <strong>in</strong> Kontakt.<br />

Diesen "Kreis <strong>der</strong> Gegenstände" hat die Schule weith<strong>in</strong> <strong>mit</strong> den sachunterrichtlichen<br />

Inhaltsstoffen gleichgesetzt - <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Gültigkeit ist fraglich. Wenn wir heute e<strong>in</strong>e<br />

alltags- <strong>und</strong> lebensweltorientierte Pädagogik wollen, dürfen wir die Anstrengung nicht<br />

scheuen, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sweltd<strong>in</strong>gen "<strong>in</strong>s Gesicht" zu sehen; recht oft haben<br />

diese Alltagsphänomene e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Gesicht als <strong>in</strong> fachdidaktischen<br />

Merkmalsbeschreibungen. Wir sollten gerade <strong>in</strong> unserem gr<strong>und</strong>legenden<br />

Bildungswesen ke<strong>in</strong>e falschen Bil<strong>der</strong> von Menschen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Welt ver<strong>mit</strong>teln,<br />

weil uns die "Anstrengung des Gemüts" (R.z.Lippe) zu mühsam ist, <strong>und</strong> wir die<br />

Anstrengung des Begriffs me<strong>in</strong>en "geleistet" zu haben. Denn: "E<strong>in</strong>bildung,<br />

menschliches Wissen wird versäumt, wenn es nur e<strong>in</strong>e Liste <strong>der</strong> Fakten ist o<strong>der</strong> nur<br />

esoterische E<strong>in</strong>bildung - entscheidend ist die menschliche Begegnung. Beide<br />

versperren sich dem Wesentlichen an Erfahrung; sie erlauben dem Erleben nicht, im<br />

Erlebenden e<strong>in</strong>e Vorstellung vom Begegneten bis zu ihrer Übertragbarkeit auf Neues<br />

auszureifen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> neues Unterscheidungsvermögen als die Kraft wachsen zu lassen.<br />

Gefühlsduselei <strong>und</strong> Datenhuberei stehen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> als traurige Alternativen gegenüber<br />

<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sich gleich im Entscheidenden: die Anstrengungen des Gemüts bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> Erwachsenen über die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung <strong>in</strong><strong>mit</strong>ten <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung" (R.z.Lippe<br />

1988).<br />

52


5. Kapitel<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des menschlichen <strong>Leben</strong>s<br />

5.1. Der Mensch ist fortschreitende Bewegung<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Schaukel erfahren <strong>in</strong> fortschreiten<strong>der</strong> Bewegung schaukelnd lustvoll<br />

sich im E<strong>in</strong>klang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt. Die "übergängliche Elastizität" (H.Kükelhaus) br<strong>in</strong>gt<br />

e<strong>in</strong>e Harmonie des Sich-Fühlens. Wenn <strong>der</strong> Mensch sich "schw<strong>in</strong>gend" - <strong>in</strong><br />

rhythmischer Bewegung - auf die Welt e<strong>in</strong>läßt, kann er sich "im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>klang" <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Welt erfahren: "So wird das Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gegensätze Steigen <strong>und</strong> Fallen, Heben <strong>und</strong><br />

Senken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pendelschw<strong>in</strong>gung als e<strong>in</strong> keimartiges Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vonstatten gehen, so -<br />

im Gleichklang <strong>mit</strong> <strong>der</strong>en Wahrnehmung wird das Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von mir, dem Subjekt,<br />

<strong>und</strong> dem Pendel als Objekt e<strong>in</strong> ebenso keimhaftes Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wie die Steige- <strong>und</strong><br />

Fallkraft im schw<strong>in</strong>genden Pendel" (H.Kükelhaus 1974, S. 230).<br />

Auch das Nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong> Stufen e<strong>in</strong>er Treppe ersteigt <strong>der</strong> Mensch "pendelnd" <strong>mit</strong><br />

se<strong>in</strong>em ganzen Leibe. Und auf allen Wegen kommt <strong>der</strong> Mensch "pendelnd" <strong>und</strong><br />

"fe<strong>der</strong>nd" am schnellsten voran. In <strong>der</strong> Pendelschw<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Schritte, organisch<br />

durch die Gelenke "vorprogrammiert", wird das zeitliche Nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schritte zu<br />

e<strong>in</strong>em harmonischen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> "se<strong>in</strong>es" Gangs. Fortschreitend geht <strong>der</strong> Mensch den<br />

"Gang" se<strong>in</strong>es <strong>Leben</strong>s - im wörtlichen <strong>und</strong> im geistigen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> (vgl. Bäuml-Roßnagl<br />

1990, S. 242).<br />

Für K<strong>in</strong><strong>der</strong> bedeutet <strong>Leben</strong> immer Bewegung. Aus pädagogischer Sicht, aus<br />

psychologischer Sicht, aus anthropologischer Sicht - immer ist Bewegung e<strong>in</strong><br />

Hauptmerkmal des k<strong>in</strong>dlichen <strong>Leben</strong>s. K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben nur dann ihre K<strong>in</strong>dheit wirklich<br />

aus, wenn sie sich <strong>in</strong> ihrer Existenz <strong>in</strong> allen Dimensionen <strong>und</strong> <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong><br />

53


ewegen. Dazu haben Psychologen <strong>und</strong> Pädagogen seit etwa 100 Jahren viele<br />

Forschungsergebnisse beigetragen <strong>und</strong> festgestellt, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> nur dann ihren Geist<br />

<strong>und</strong> ihre Psyche s<strong>in</strong>nvoll entwickeln können, wenn sie die körperliche, die leibliche<br />

Bewegung von kle<strong>in</strong> auf ganz <strong>in</strong>tensiv leben können. Der Mensch <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />

junge Mensch strebt ständig e<strong>in</strong>er neuen Gestalt entgegen. Es ist e<strong>in</strong>e<br />

Gr<strong>und</strong>eigenschaft des <strong>Leben</strong>s, daß es nur "<strong>in</strong>" Bewegung ist. Bewegungslosigkeit<br />

bedeutet Tod.<br />

Umso problematischer ist es, wenn sich <strong>der</strong> Bewegungsalltag unserer Gr<strong>und</strong>schüler<br />

kaum vom bewegungsarmen Alltagsleben <strong>der</strong> Erwachsenen unterscheidet. Daß <strong>Leben</strong><br />

durch Bewegung erst ist <strong>und</strong> daß die k<strong>in</strong>dliche Entwicklung durch Fülle o<strong>der</strong> Fehlen<br />

von Bewegungsmöglichkeiten geför<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird, das ist e<strong>in</strong>e <strong>mit</strong>tlerweile<br />

auch <strong>in</strong>s öffentliche Bewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegangene Wahrheit. Doch wie wenig s<strong>in</strong>d die<br />

<strong>Leben</strong>s- <strong>und</strong> Erziehungsräume unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong> von dieser existentiell notwendigen<br />

Bed<strong>in</strong>gung her geprägt!<br />

Sicher gibt es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> curricularen Zielsetzung im Schul- <strong>und</strong> Sportuntericht<br />

vielfältige Bemühungen, Bewegungsschulung zu för<strong>der</strong>n. Jedoch ist e<strong>in</strong>e am "ganzen"<br />

Menschen, am "ganzen" K<strong>in</strong>d orientierte Bewegungserziehung noch nicht genug<br />

entwickelt <strong>und</strong> das K<strong>in</strong>d als "homo sedens" ist e<strong>in</strong>e wichtige Ursache für die<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung an <strong>Leben</strong>squalität <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sfreude <strong>in</strong> unserer Gesellschaft. Denn je<strong>der</strong><br />

Mensch - <strong>und</strong> <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße das K<strong>in</strong>d - muß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Leben</strong>serfahrung <strong>und</strong><br />

Leistungsfähigkeit se<strong>in</strong>e leiblichen <strong>und</strong> geistigen Möglichkeiten zusammen<br />

realisieren. Nur dann entwickeln sich auch gut funktionierende Organe <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e, die<br />

<strong>in</strong> ihrer Gesamtheit die Basis für das Lernen, Leistenkönnen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>lernen <strong>in</strong> allen<br />

Dimensionen ausmachen.<br />

5.2. Von <strong>der</strong> befremdlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung zur fragenden <strong>S<strong>in</strong>n</strong>suche<br />

Der bekannte Pädagoge <strong>der</strong> Naturwissenschaften, M.Wagensche<strong>in</strong>, hat e<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> lang<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> beobachtet <strong>und</strong> bes<strong>in</strong>nliche Analysen dazu vorgestellt, wie sich K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

denkend, sprechend oft auch handelnd spontan verhalten, wenn unerwartete<br />

Naturphänomene e<strong>in</strong>e Verw<strong>und</strong>erung <strong>in</strong> ihnen auslösen. Es setzt dann e<strong>in</strong> erstes<br />

54


Fragen <strong>und</strong> Suchen e<strong>in</strong>: die ersten Regungen für e<strong>in</strong> auch physikalisches<br />

Naturverständniss bahnen sich an. "Der Weg, auf dem diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> angetroffen<br />

werden, ist nicht e<strong>in</strong>e schon gebahnte Straße, auf welche man sie gesetzt hätte, da<strong>mit</strong><br />

sie ihr nun weiter folgen. Niemand braucht sich zu überlegen, wer diese K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

motivieren, <strong>in</strong>teressieren o<strong>der</strong> gar begeistern könnte. Nichts braucht ihnen<br />

nahegebracht werden, es geht ihnen von selber nahe. Ke<strong>in</strong>er hat sie ausgefragt. Sie<br />

haben etwas Befremdendes erlebt, <strong>und</strong> haben sich dann selber fragen müssen, was hier<br />

los sei" (M.Wagensche<strong>in</strong>, 1976, S.10ff).<br />

In e<strong>in</strong>gängiger Sprache macht Wagensche<strong>in</strong> deutlich, wie diese befremdliche<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrung zum Fragen nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des Erfahrenen h<strong>in</strong>führt: Und M.<br />

Wagensche<strong>in</strong> fragt weiter: "Was setzt sie <strong>in</strong> Bewegung, fragt <strong>der</strong> Pädagoge, was lockt<br />

sie <strong>in</strong> jene Richtung, als wären sie wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vogelschwarm angeführt. Es sche<strong>in</strong>t,<br />

als wäre dieser Impuls, <strong>der</strong> diesen Forschungszug <strong>in</strong> Strömung br<strong>in</strong>gt, nicht jenes<br />

bew<strong>und</strong>ernde <strong>und</strong> ehrfürchtige Staunen, das man vor dem Sternenhimmel empf<strong>in</strong>den<br />

kann o<strong>der</strong> vor dem Niagarafall, wie auch vor dem menschlichen Bemühungen des<br />

Sports, <strong>der</strong> Kunst, <strong>der</strong> Technik, <strong>der</strong> Wissenschaft. Nicht das große Auge <strong>der</strong> Andacht,<br />

auch nicht <strong>der</strong> suchende Blick des Sammlers von Neuigkeiten - es ist die umwölkte<br />

Stirn <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>erung, ja <strong>der</strong> Beunruhigung, die das Gesicht dessen zeichnet, <strong>der</strong><br />

hier die ersten Schritte tut" (ebda).<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er bekannter, phänomenologisch orientierter Pädagoge, M.J. Langeveld,<br />

spricht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von "Appell <strong>der</strong> Sachen an das Menschenk<strong>in</strong>d"<br />

(1968, S. 146) In se<strong>in</strong>em berühmt gewordenen Beispiel von <strong>der</strong> leeren Schachtel<br />

verdeutlicht er den Appell <strong>der</strong> Sachen an den Menschen zur <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung: "Schenken<br />

wir <strong>in</strong> Gedanken e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Schachtel - Wir schenken ihm tatsächlich<br />

e<strong>in</strong>e Anfor<strong>der</strong>ung, denn was gehört denn da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>? Die Leere starrt e<strong>in</strong>en schweigend<br />

an. So kann es nicht bleiben. Das K<strong>in</strong>d vernimmt diese Schweigestimme sehr wohl,<br />

diese Schweigestimme <strong>der</strong> Schachtel. Es schaut sich bald um, <strong>und</strong> nach e<strong>in</strong>igen<br />

M<strong>in</strong>uten hat sich etwas da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gef<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> es steht e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Bettler vor uns.<br />

Aber was soll ich jetzt da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tun?" Der "Appell", <strong>der</strong> "Auffor<strong>der</strong>ungscharakter" <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge for<strong>der</strong>t den Menschen zu Bedeutungs-(<strong>S<strong>in</strong>n</strong>-)Gebung <strong>und</strong> Handlung heraus.<br />

55


Nehmen wir die Fragen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht ernst - <strong>und</strong> zwar so, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute diese<br />

Fragen stellen - leisten wir e<strong>in</strong>en Sachunterricht, <strong>der</strong> Informationen br<strong>in</strong>gt, aber nicht<br />

<strong>Leben</strong>swelterklärungen. Und wenn auch uns Erwachsenen die Fragen <strong>in</strong>nerlich näher<br />

s<strong>in</strong>d als vorschnell tradierte, aber lebensweltferne Antworten, ist es im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>er<br />

verantwortlichen Gegenwartspädagogik, sich <strong>mit</strong> den jungen Menschen zusammen auf<br />

"fragende <strong>S<strong>in</strong>n</strong>suche" zu begeben. Es kann e<strong>in</strong>e wichtige Vorstufe für diese<br />

Gr<strong>und</strong>haltung se<strong>in</strong>, selbst als "Er-wachsener" neu zu lernen, befremdliche<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>eserfahrungen zu machen.<br />

5.3. Ohne Sachphänomene ke<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>phänomene -<br />

ohne Leiblichkeit ke<strong>in</strong>e menschlich s<strong>in</strong>nvolle Geistigkeit<br />

Pestalozzi schreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Stanzer Brief (1782): "Die Schule br<strong>in</strong>gt dem Menschen<br />

das Urteil <strong>in</strong> den Kopf ehe er die Sache sieht <strong>und</strong> kennt." Diese Kritik an e<strong>in</strong>er Schule,<br />

die e<strong>in</strong>seitig kognitiv orientiert ist, haben alle reformpädagogischen Strömungen seit<br />

dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert aufgegriffen. Die Anfor<strong>der</strong>ung, mehr Anschauung, mehr<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit direkt <strong>in</strong> die Schule h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen, hat beson<strong>der</strong>s die sogenannte<br />

"Pädagogik vom K<strong>in</strong>de aus" um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende betont (Montessori,<br />

Scharrelmann, Ellen Key, Gansberg, Kerschenste<strong>in</strong>er u.a.).<br />

Die Strömung <strong>der</strong> Neuorientierung am sogenannten "K<strong>in</strong>d" im vergangenen Jahrzehnt<br />

hat sich ebenso engagiert gegen e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>seitigende sogenannte<br />

"Verwissenschaftlichung" <strong>und</strong> falsche Akademisierung des Unterrichts gewandt, <strong>in</strong><br />

denen bereits <strong>in</strong> den Gr<strong>und</strong>schulen Theorien <strong>und</strong> Formeln, abstrakte Begrifflichkeit<br />

<strong>und</strong> abstrahierte Leitsätze höher geschätzt wurden als e<strong>in</strong>e aus <strong>der</strong> konkreten<br />

Erfahrung gewonnene Erkenntnis. Beson<strong>der</strong>s für die naturwissenschaftlichen<br />

Fach<strong>in</strong>halte ist die Art <strong>der</strong> Erkenntnis- <strong>und</strong> Wissensaneignung zu diskutieren, wenn<br />

nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>der</strong> gewonnenen naturwissenschaftlichen Kenntnisse gefragt wird -<br />

<strong>und</strong> dazu liegen <strong>in</strong> Schule <strong>und</strong> Alltagsleben oftmals Mißverständnisse zugr<strong>und</strong>e.(vgl.<br />

M.Wagensche<strong>in</strong> 1976)<br />

56


Musik gleich Lufterschütterung o<strong>der</strong> Wellenlänge, Wärme gleich<br />

Molekularbewegung, Farbe als elektromagnetische Wellenlänge: das kennzeichnet die<br />

Phänomene <strong>der</strong> Alltagswelt eben nur unter e<strong>in</strong>em ganz kle<strong>in</strong>en Sektor, dem<br />

Physikalischen <strong>und</strong> nicht unter dem gesamten alltagsweltlichen Phänomen. Was<br />

Musik <strong>und</strong> Farbe für den Menschen an vielfältiger <strong>S<strong>in</strong>n</strong>es- <strong>und</strong> s<strong>in</strong>ngeben<strong>der</strong><br />

<strong>Leben</strong>squalität bedeuten können, überschreitet physikalische Erklärungsmodelle<br />

vielfach - das zeigt nicht zuletzt die bunte meditative Kulturszene <strong>der</strong> Gegenwart <strong>in</strong><br />

diesen Bereichen.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> können noch unterscheiden, daß blau nicht gleich blau ist, rot nicht gleich rot,<br />

grün nicht gleich grün - daß e<strong>in</strong>e blaue Kornblume an<strong>der</strong>s "blau" ist als ihr blauer<br />

Pullover, daß an<strong>der</strong>e Erfahrungs- <strong>und</strong> Empf<strong>in</strong>dungsqualitäten da s<strong>in</strong>d. An<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>zeichnungen kann man das oft anschaulich ablesen, wenn<br />

Empf<strong>in</strong>dungsqualitäten für das K<strong>in</strong>d die Wahl dieses o<strong>der</strong> jenes Farbstiftes bestimmen<br />

<strong>und</strong> nicht die "natürliche" Farbgebung blau, rot, grün.<br />

Die k<strong>in</strong>dliche Sacherfahrung wird begleitet von Emotionen <strong>und</strong> Denkprozessen. Die<br />

k<strong>in</strong>dliche Sacherfahrung ist nicht zu trennen von dem, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> fühlen, von dem<br />

was K<strong>in</strong><strong>der</strong> denken. E<strong>in</strong>e analytische Scheidung <strong>in</strong> das, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> fühlen, spüren,<br />

<strong>mit</strong> ihren 5 <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> wahrnehmen o<strong>der</strong> was sie denken, das können wir als Erwachsene<br />

tun. K<strong>in</strong><strong>der</strong> selbst empf<strong>in</strong>den, erleben diese Situationen komplex, denn: "Wahrnehmen<br />

ist leibgeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> das heißt, sie wird über alle <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e ganzheitlich erfahren <strong>und</strong><br />

gew<strong>in</strong>nt dadurch eben ihre Intensität. K<strong>in</strong><strong>der</strong> behalten e<strong>in</strong> ursprünglich vitales<br />

Verhältnis zu ihrer Umgebung <strong>und</strong> zu den Menschen. Ihre Wahrnehmung ist s<strong>in</strong>nlich<br />

bestimmt <strong>und</strong> diese <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit führt zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung h<strong>in</strong>" (D.Baacke 1984, S.133).<br />

9-jährige K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Optimum erreicht <strong>in</strong> ihrer Entwicklung,<br />

sie denken nicht zu kompliziert, sie verlieren sich nicht <strong>in</strong> weitergehenden<br />

Abstraktionen, bleiben aber sachbezogen, d.h. die Waage "Denken-Fühlen" ist dort,<br />

wo wir die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Alter "sie selbst" se<strong>in</strong> lassen, relativ im Gleichgewicht.<br />

Als Pädagogen <strong>und</strong> Lehrer sollen wir deshalb vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule dafür<br />

Sorge tragen, daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihre Erkenntnisse <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>fragen konkret an den D<strong>in</strong>gen<br />

o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest an den "Phänomenen" <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt erarbeiten können. Der ganze<br />

57


Leib, <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>, ist dabei <strong>der</strong> "Organismus des Denkens". Erst im Anschluß an<br />

die phänomenalganzheitlichen Erfahrungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> kann die Schule erklärende<br />

Modellvorstellungen <strong>und</strong> Fachbegriffe ver<strong>mit</strong>teln - diese aber zum Zwecke des<br />

besseren "Verstehens" <strong>der</strong> lebensweltlichen Phänomene. Das Erkenntnisniveau <strong>der</strong><br />

Schule liegt zwischen den alltäglichen Phänomenen <strong>und</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Fachwelt. Im "guided discovery learn<strong>in</strong>g" wird dieses Erkennen im <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e "des Stehens<br />

auf den Phänomenen" (M.Wagensche<strong>in</strong>) gesucht. Aus körperlichen Vorgängen <strong>in</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>esorganen <strong>und</strong> Gehirn "wird" im Umgang <strong>mit</strong> den konkreten D<strong>in</strong>gen die Welt -<br />

immer wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> neu für den Menschen. Und die K<strong>in</strong><strong>der</strong> stellen<br />

uns Erwachsenen immer wie<strong>der</strong> neue Fragen dazu.<br />

Gerade die Sachphänomene <strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> unsicher gewordenen <strong>Leben</strong>swelt können <strong>in</strong><br />

"geme<strong>in</strong>samer Befragung" durch Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu <strong>S<strong>in</strong>n</strong>phänomenen<br />

werden. K<strong>in</strong><strong>der</strong> helfen, die notwendige Leiblichkeit dort e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, wo vorschnelle<br />

Theoretisierung zu Unwahrheit führt.<br />

5.4. Das menschliche <strong>Leben</strong> ist <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit<br />

Der <strong>S<strong>in</strong>n</strong> des menschlichen <strong>Leben</strong>s ist ke<strong>in</strong> "vorweg"-gegebener <strong>S<strong>in</strong>n</strong>; er schließt sich<br />

erst auf dem Weg <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen <strong>Leben</strong>sführung des Menschen M.J. Langeveld (1968<br />

S. 143) hat diese These <strong>in</strong> 3 Schritten entfaltet:<br />

1. Der Mensch hat e<strong>in</strong>e Welt <strong>und</strong> ist <strong>mit</strong>samt dieser Welt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Aufgabe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en.<br />

Die Welterfahrung die D<strong>in</strong>gerfahrung ist - das merkt man vor<br />

allem schon beim K<strong>in</strong>d nicht vorgesetzt, son<strong>der</strong>n Welt <strong>und</strong> D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d für den<br />

Menschen e<strong>in</strong>e Aufgabe. Er wird durch die Alltagsd<strong>in</strong>ge aufgefor<strong>der</strong>t, zu<br />

handeln.<br />

2. Die Aufgabe, die dem Menschen zukommt, ist e<strong>in</strong>e Deutungs- <strong>und</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit.<br />

3. Die Deutung o<strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung kann außerordentlich verschiedene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>bezüge<br />

aktualisieren. Die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung ist nicht festgelegt."<br />

58


Auf welche Weise die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung <strong>und</strong> Deutungsarbeit geschieht, ist vor allen D<strong>in</strong>gen<br />

durch die Art des s<strong>in</strong>nlichen Umgangs <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Gegebenheiten <strong>der</strong> Um-<br />

Welt <strong>und</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlich s<strong>in</strong>nenhaften Kommunikation <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen bestimmt.<br />

Solche "Kreativität" im Umgang <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen haben K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch heute noch - auch<br />

wenn wir Erwachsene oft me<strong>in</strong>en, unsere "normierte" <strong>Leben</strong>sführung schon möglichst<br />

früh auf sie "übertragen" zu müssen - <strong>und</strong> das oft genug noch durch uns<strong>in</strong>nige<br />

Erziehungsziele wie "Das tut man nicht!" Dabei hat die Kreativitätsforschung schon<br />

seit geraumer Zeit empirisch nachgewiesen, daß die Flexibilität, Vielseitigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Ideenreichtum Kennzeichen hoher (zum<strong>in</strong>dest) pragmatischer Alltags<strong>in</strong>telligenz s<strong>in</strong>d!<br />

Die s<strong>in</strong>nliche Beschränkung <strong>in</strong> <strong>der</strong> alltäglichen <strong>Leben</strong>swelt zw<strong>in</strong>gt uns heute geradezu,<br />

"erf<strong>in</strong><strong>der</strong>isch" zu werden <strong>und</strong> "erweiternde" <strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungen vorzunehmen, wenn<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>stiftung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rout<strong>in</strong>e des Alltagslebens nicht verloren gehen soll. Daß D<strong>in</strong>ge,<br />

Situationen <strong>und</strong> Menschen für uns "<strong>S<strong>in</strong>n</strong> haben" <strong>und</strong> bedeutsam s<strong>in</strong>d, ist eben nicht<br />

e<strong>in</strong>e schicksalhafte Vorgegebenheit unseres <strong>Leben</strong>s, son<strong>der</strong>n: <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist weith<strong>in</strong> von<br />

unserem <strong>in</strong>dividuellen Bemühen um "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebung", von unserer "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>gebungsarbeit"<br />

abhängig.<br />

Trotz alles "Determ<strong>in</strong>ismus" <strong>und</strong> trotzend aller E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Handlungsfreiheit des Menschen haben die Menschen auch heute wie<strong>der</strong> erkannt, daß<br />

<strong>der</strong> Mensch ke<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e ist <strong>und</strong> nie wie e<strong>in</strong> Roboter funktionieren kann - mögen<br />

se<strong>in</strong>e alltäglichen <strong>Leben</strong>sbed<strong>in</strong>gungen noch so "computergesteuert" se<strong>in</strong>. Und wenn<br />

heutige Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> sich danach sehnen, daß ihnen e<strong>in</strong> "Computer-bit" das<br />

Erlernen von Kenntnissen <strong>in</strong> allen "Lernfächern" abnimmt, dann wohl nur aus <strong>der</strong><br />

Sehnsucht heraus, frei zu werden - frei zu se<strong>in</strong> von den Leistungszwängen e<strong>in</strong>er<br />

rotierenden "Bildungsmasch<strong>in</strong>erie"- endlich "tun zu können, was ich will".<br />

6. Kapitel<br />

Mit den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> auf <strong>der</strong> Suche nach Wirklichkeit<br />

6.1. Der Mensch will die Welt <strong>in</strong> den "Griff" <strong>und</strong> "Begriff" bekommen<br />

59


Mit dem Stolz des "Großse<strong>in</strong>s" <strong>und</strong> "Wie-die-Großen-Se<strong>in</strong>s" versuchen K<strong>in</strong><strong>der</strong> die<br />

D<strong>in</strong>ge ihrer <strong>Leben</strong>swelt zu ergreifen, um sie zu "haben" o<strong>der</strong> sich ihrer zu<br />

"vergewissern" <strong>und</strong> wir Erwachsene bestätigen lobend dieses Greifen, Ergreifen <strong>und</strong><br />

Ausgreifen des K<strong>in</strong>des nach <strong>der</strong> sogenannten "Welt". Es sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Ursehnsucht des<br />

Menschen zu se<strong>in</strong>, an<strong>der</strong>e <strong>und</strong> an<strong>der</strong>s ergreifen <strong>und</strong> besitzen zu wollen <strong>und</strong> zu können.<br />

So hat vor allem <strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong> Neuzeit dort, wo er <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en "nur menschlichen",<br />

leibs<strong>in</strong>nlichen Möglichkeiten nicht genug ergreifen <strong>und</strong> erreichen konnte, versucht,<br />

se<strong>in</strong>en Zugriff zu präzisieren: er entwickelte den technologisch ver<strong>mit</strong>telten Zugriff<br />

auf die Welt, ja sogar auf die Menschen, so lange <strong>und</strong> so vielfältig, so technisch glatt,<br />

bis dem Menschen heute die D<strong>in</strong>ge, die Menschen <strong>und</strong> die Welt "aus den Händen" zu<br />

gleiten drohen.<br />

In unserer Schul-"Bildung" geschieht Ähnliches - das kann man an vielen<br />

sachunterichtlichen Unterrichtse<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Schulbüchern, Lehrerhandbüchern <strong>und</strong><br />

Schulpraxis sehen, z.B. wenn das Thema "Der Kirschblütenzweig" sachunterrichtlich<br />

"erarbeitet" wird. Die Perspektive wird eng, die Sachperspektive <strong>und</strong> auch <strong>der</strong> Blick<br />

<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, die Gestik, alles bekommen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>grenzung, e<strong>in</strong>e "be-griffliche"<br />

Präzisierung auf das "D<strong>in</strong>g Kirschblütenzweig" h<strong>in</strong>. Das wird an <strong>der</strong> Handgestik<br />

deutlich, wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> z.B. Blüten erk<strong>und</strong>en. Der Kirschblütenzweig wird nicht<br />

mehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ganzheitlichkeit, wie er am Baum ist, erfahren. Kirschbaum <strong>und</strong><br />

Insekten, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur draußen s<strong>in</strong>d, werden zu didaktischen Zwecken<br />

elem<strong>in</strong>iert. Das "D<strong>in</strong>g" bekommt e<strong>in</strong>en begrenzten Ausschnitt, <strong>in</strong> dem es genau<br />

"untersucht" wird. Das ist typisch am naturwissenschaftlichen Erk<strong>und</strong>en, das wir <strong>in</strong><br />

unseren Schulen versuchen. Wir wollen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> h<strong>in</strong>führen zu e<strong>in</strong>em begrifflich<br />

genauen Erkennen.<br />

Aber wir wissen - <strong>und</strong> manchmal br<strong>in</strong>gen uns gerade heute die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie<strong>der</strong> dazu,<br />

daß es noch e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weg des "Be-greifens" <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Welt gibt. R.z.Lippe<br />

(1987, S. 359ff) führt für diese Art naturwissenschaflichen Erk<strong>und</strong>ens den Begriff <strong>der</strong><br />

(goetheanischen) Begegnung an: "Begegnung ist ke<strong>in</strong>e Sache des Augenblicks. Natur<br />

erforschen sollte man nicht im Labor <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em Experiment machen wollen. Sonst<br />

bleiben wir <strong>in</strong> dem Erlebnis stecken o<strong>der</strong> wir erfassen nur Daten <strong>der</strong> Naturd<strong>in</strong>ge, aber<br />

nicht das ganze Wesen".<br />

60


Begegnung führt auch zum "Begriff", aber nicht durch den e<strong>in</strong>seitigen "Zugriff". Das,<br />

was deutlich wird, wenn das K<strong>in</strong>d sich freut: so "ist" die Pflanze, <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>, die Nuß,<br />

die Blüte - das geschieht nicht nur durch objektives Erk<strong>und</strong>en, denn dabei verleibt das<br />

Subjekt draußen - <strong>und</strong> das verlangt e<strong>in</strong>e nur empirische Naturwissenschaft. Humane<br />

"Begriffs"-Bildung <strong>in</strong> unserem Unterricht heißt immer auch: die Begegnung<br />

geschehen lassen <strong>und</strong> den voreiligen "Begriff" zu vermeiden.<br />

6.2. Der bloß "registrierende Blick" übersieht die Wirklichkeit<br />

E<strong>in</strong>e Fehlform unseres abendländischen Denkens <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>s ist <strong>der</strong> bloß<br />

"registrierende Blick". "Der bloß registrierende Blick zerstört die Natur", sagt C.Fr.<br />

von Weizsäcker (1947). Wenn <strong>der</strong> Wissenschaftler e<strong>in</strong> "Stücken Natur" se<strong>in</strong>em<br />

Experiment unterzieht, zerstört er es; wir müssen h<strong>in</strong>zufügen, daß er auch sich selbst<br />

dabei zerstört. In dem er das Begegnende zum Gegenstand macht, als Objekt se<strong>in</strong>em<br />

Urteil unterwirft, löscht er <strong>in</strong> sich selbst das eigentlich Subjekthafte aus. Er erhebt sich<br />

zwar zum Herrn <strong>der</strong> Versuchsanordnung, doch dieses Subjekt ist genauso still gestellt<br />

wie <strong>der</strong> Gegenstand". So wird im schulischen Beispiel die Blüte im Blütenstand<br />

zerstört, wenn Schüler registrierend sogenannte "biologische" Daten erfassen sollen,<br />

wenn sie <strong>mit</strong> naturwissenschaftlichen Methoden wie messende Untersuchung <strong>und</strong><br />

datenerfassendem Experiment die biologischen Merkmale <strong>der</strong> "Wirklichkeit Blüte"<br />

erforschen. Oft wird so an "Erkenntnis" von den wirklichen D<strong>in</strong>gen gewonnen, was<br />

nur e<strong>in</strong>e Teil(e)-Erkenntnis ist, so wie Blüten, Blumen o<strong>der</strong> Tiere reagieren, wenn sie<br />

schon (fast) tot s<strong>in</strong>d. Das <strong>Leben</strong>dige selbst aber bleibt oft außerhalb dieser Erkenntnis.<br />

Diese Kritik muß man auch an e<strong>in</strong>e eng empirisch orientiere pädagogische Forschung<br />

herantragen: K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Labor gesetzt, <strong>und</strong> so untersucht: erforscht man da die<br />

"wirklichen" K<strong>in</strong><strong>der</strong>? Wenn man zum Beispiel dem Invarianzversuch von Piaget <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er 1.Schulklasse durchführt, wo dreißig unterschiedliche K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>mit</strong> sehr<br />

unterschiedlichem Vorwissen sitzen, kann man erleben, daß von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

61


Reaktionsweisen kommen, die bei Piaget überhaupt nicht erfaßt s<strong>in</strong>d, weil er eben e<strong>in</strong>e<br />

spezifische Laborsituation an"setzte".<br />

Unsere Zeit ist durch die Betonung e<strong>in</strong>er reduzierten "Perspektive" zu den D<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> den Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Erkenntnis-Engpaß h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gekommen. Technik,<br />

Politik, auch die heutige Art von Lehrerbildung s<strong>in</strong>d das Ergebnis e<strong>in</strong>er <strong>mit</strong><br />

"verkürztem Blick" durchgeführten wissenschaftlichen Erforschung <strong>der</strong> Welt. Konrad<br />

Lorenz hat se<strong>in</strong>e Gänse nicht <strong>in</strong>s Labor geholt, son<strong>der</strong>n ist zu ihnen an den Weiher<br />

h<strong>in</strong>ausgegangen <strong>und</strong> hat ihr Verhalten im Blick auf ihre natürliche <strong>Leben</strong>sweise<br />

erforscht - zum<strong>in</strong>dest genausoviel "<strong>Leben</strong>snähe" müßte die pädagogische Forschung<br />

aufbr<strong>in</strong>gen, wenn sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> verstehen lernen will.<br />

Forschung, die dem Menschen als Ganzen gerecht werden will, muß Wege gehen, die<br />

den nur materialen, physiologischen Weg überschreiten. Und dazu gibt es auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

abendländischen Geistesgeschichte recht verschiedene Wege. Von <strong>der</strong><br />

philosophischen Schule, die sich vor allem an Husserl orientiert <strong>der</strong> sogenannten<br />

"Phänomenologie", möchte ich e<strong>in</strong> Beispiel anführen, das pädagogisch bedeutsam ist:<br />

Wenn wir das Phänomen Gesicht o<strong>der</strong> das Phänomen Auge erforschen wollen, dann<br />

steht schon fest, daß wir e<strong>in</strong>em bestimmten Vorbegriff von Auge o<strong>der</strong> Gesicht haben.<br />

Aber diesen Vorbegriff, was e<strong>in</strong> Gesicht, was e<strong>in</strong> Auge ist, hat e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Erwachsener nicht durch empirische Forschung gewonnen. O<strong>der</strong> wenn wir z.B. im<br />

Unterricht <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n "durchnehmen", was das Auge "ist", <strong>und</strong> die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

können die biologischen Fachbegriffe genau unterscheiden, das Physiologische genau<br />

zeigen, dann darf sich e<strong>in</strong> Lehrer nicht e<strong>in</strong>bilden, daß K<strong>in</strong><strong>der</strong> erst dann, wenn er das<br />

<strong>mit</strong> ihnen gemacht hat, wissen, was e<strong>in</strong> Auge ist.<br />

Der Säugl<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> <strong>in</strong> das Gesicht <strong>der</strong> Mutter blickt <strong>und</strong> <strong>der</strong> das Gesicht, auch wenn er<br />

es vielleicht nur wage sieht, als zuwendendes, entgegenkommendes erfährt, <strong>der</strong> hat<br />

vom Auge <strong>und</strong> von dem, was das Auge für den Menschen bedeutet, m<strong>in</strong>destens<br />

genausoviel Wichtiges erfahren.<br />

62


Um die D<strong>in</strong>ge möglichst genau zu "sehen", hat <strong>der</strong> neuzeitliche Mensch die sche<strong>in</strong>bar<br />

zu ger<strong>in</strong>ge Sehkraft des Menschen "über-stiegen" <strong>und</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> "camera obscura" <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Dunkelkammer des wissenschaftlichen Untersuchungslabors die D<strong>in</strong>ge detailreich zu<br />

"besichtigen" versucht - aber <strong>der</strong> "obscure" Blick wurde zum "abgeson<strong>der</strong>ten" Blick<br />

<strong>und</strong> zu abson<strong>der</strong>nden Blicken von den D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> vom Menschen selbst. Mit <strong>der</strong><br />

Anstrengung, die D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begrenztheit des menschlichen Blickes isoliert sehen<br />

zu wollen, hat <strong>der</strong> Mensch die so gesehenen D<strong>in</strong>ge auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e eigenen Grenzen<br />

e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en (vgl. Bäuml-Roßnagl 1990, S. 252ff).<br />

"Haben wir nicht die tausendjährige Erfahrung, daß die D<strong>in</strong>ge umso stummer werden,<br />

je deutlicher wir ihnen den "optischen Spiegel ihrer Ersche<strong>in</strong>ung vorhalten". (Franz<br />

Marc 1987, S.24)<br />

6.3. Mit allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> heute den wirklichen Bildungss<strong>in</strong>n wie<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den<br />

Sich selbst, die Gesellschaft <strong>und</strong> die Welt zu verstehen ist e<strong>in</strong> altes Anliegen von<br />

Bildungsbemühungen, ganz gleichgültig von welcher Provenienz <strong>und</strong> aus welcher<br />

Zeit. Der lange, mühsame Weg des Sich-o<strong>der</strong>-an<strong>der</strong>e-Bildens hat heute - im letzten<br />

Jahrzehnt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Jahr 2000 - e<strong>in</strong> neues Gewicht im öffentlichen Bewußtse<strong>in</strong><br />

erhalten. Dabei nehmen viele Pädagogen <strong>in</strong> diesen Jahren <strong>in</strong>nerlich Abstand von e<strong>in</strong>er<br />

nur erfolgsorientierten, lerneffektiven Sicht <strong>der</strong> Bildungsprozesse, welche e<strong>in</strong> Streben<br />

nach perfekt funktionierenden Lern- <strong>und</strong> Leistungsstrategien <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

als Maß bildungspolitischer Bemühungen setzte. So wie <strong>der</strong> "Mensch als Maß <strong>der</strong><br />

Schule" (Affemann 1976) wird auch wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n als "Maß" des<br />

Bildungsgeschehnes gefor<strong>der</strong>t. Denn <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust im <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>salltag wird<br />

von vielen heute auf vielfältige Weise erlebt - von Erwachsenen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf je<br />

eigene Weise. Und daß <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> eng zusammengehören, daß Lernen nicht nur<br />

e<strong>in</strong>e Frage des Intellekts ist, son<strong>der</strong>n auch <strong>mit</strong> den Füßen, <strong>mit</strong> den Händen <strong>und</strong> <strong>mit</strong><br />

dem Herzen geschieht, wird <strong>in</strong> letzter Zeit nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> meditativen Kulturszene,<br />

63


son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> Schulpraxis, Lehrerausbildung <strong>und</strong> Lehrerfortbildung anschaulich<br />

verdeutlicht.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige pädagogische Aufgabe ist es heute, <strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geme<strong>in</strong>sam den<br />

Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> zu gehen. In <strong>der</strong> allseitig erfahrenen<br />

Wahrnehmungskrise <strong>der</strong> Gegenwart ist für den Menschen die Bedeutung <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> des <strong>Leben</strong>s unklar geworden. <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lich erfahrene Wirklichkeit wird von<br />

vielen Menschen als "Kulissenwirklichkeit" (Wiese) o<strong>der</strong> "zerrissene Wirklichkeit"<br />

(Hegel) erfahren. Welchen gültigen Zugang zur Welt können unsere <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e uns heute<br />

noch schaffen? Der Siegeszug <strong>der</strong> technologischen, von den realen D<strong>in</strong>gen<br />

abstrahierenden Verlust hat den Menschen als Ganzes vernachlässigt <strong>und</strong> aus <strong>der</strong><br />

umfassenden Wirklichkeitserfahrung herausgenommen. Das impliziert e<strong>in</strong>en Verlust<br />

<strong>der</strong> Orientierungskraft <strong>der</strong> Vernunft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Verlust <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>essicherheit im Zuge<br />

<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nesverarmten <strong>Leben</strong>sführung.<br />

Die Frage, welche heute von Wissenschaftlern, Anthropologen, Philosophen <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

anschaulicher Weise von Künstlern <strong>und</strong> Dichtern neu gestellt wird, lautet: Gibt es für<br />

uns Menschen <strong>der</strong> Gegenwart e<strong>in</strong> Denken <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>, das nicht losgelöst von den<br />

D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Erde ist? Was bedeutet die Erde, die Materie für uns? Haben Materie <strong>und</strong><br />

Erde für die menschlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e noch so viel <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, daß sie <strong>S<strong>in</strong>n</strong>stiftung<br />

bewirken können?<br />

E<strong>in</strong>e mögliche <strong>und</strong> wichtige Antwort hat auf diese Frage Victor von Weizsäcker<br />

(1940, S. 3f) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Theorie vom "Gestaltkreis" als E<strong>in</strong>heit von Wahrnehmen <strong>und</strong><br />

Bewegen gegeben: "Um <strong>Leben</strong>des als <strong>Leben</strong>des wahrzunehmen, muß man sich an <strong>der</strong><br />

Bewegung des <strong>Leben</strong>s beteiligen. <strong>Leben</strong> f<strong>in</strong>den wir als <strong>Leben</strong>de vor; es entsteht nicht,<br />

son<strong>der</strong>n es ist schon da, es fängt nicht an, denn es hat schon angefangen. Am Anfang<br />

je<strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swissenschaft steht nicht <strong>der</strong> Anfang des <strong>Leben</strong>s selbst, son<strong>der</strong>n die<br />

Wissenschaft hat <strong>mit</strong> dem Erwachen des Fragens <strong>mit</strong>ten im <strong>Leben</strong> angefangen."<br />

64


Und diese Transformation, dieses Transzendieren von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, beg<strong>in</strong>nt<br />

bei uns selbst, <strong>in</strong> unserem eigenen Leibe: "Heute können wir uns nicht mehr <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>sicht verschließen, daß <strong>der</strong> Leib <strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en Prozessen überhaupt nur durch das<br />

existieren kann, was bisher Theologie <strong>und</strong> Philosophie für sich alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Anspruch<br />

genommen haben: durch Transzendieren, das heißt durch Ablösen von sich selbst,<br />

durch Preisgabe an das Se<strong>in</strong>, durch Entsicherung. Dies ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> entscheidenden<br />

Schritte, die wir <strong>in</strong> den nächsten Generationen zu tun haben - die Entdeckung des<br />

Leibes als e<strong>in</strong>es dynamischen Universums o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er universalen Dynamik. Wir s<strong>in</strong>d<br />

jetzt dabei, uns <strong>in</strong> das äußere Universum vorzuwagen o<strong>der</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zufühlen. Aber wir<br />

kommen nicht darum, die Symmetrie zu diesem Ausbruch <strong>in</strong> die Fernen des<br />

Weltraums im Allernächsten, <strong>in</strong> unserer Leib-Körperlichkeit, zu entdecken <strong>und</strong><br />

herzustellen. Erst dann haben wir die beiden gegensätzlichen Pole ausbalanciert"<br />

(H.Kükelhaus 1979, S.46f).<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen diesen Weg ganz natürlich - auch heute noch! K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen den Weg<br />

vom Leib h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Herz <strong>und</strong> Geist, den Weg von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong>.<br />

6.4. Erwachsene erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretieren die Wirklichkeit auch für die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

Nun wäre es aber e<strong>in</strong> Mißverständnis, wenn wir Erwachsene unser Selbstverständnis<br />

nur "von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n" her def<strong>in</strong>ieren wollten. Vielmehr wird doch gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> "post-antiautoritären" Pädagogik deutlich, wie sehr es K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht gut tut, wenn<br />

sie <strong>mit</strong> Erwachsenen aufwachsen, die ihnen gegenüber ke<strong>in</strong>en eigenen Standpunkt,<br />

ke<strong>in</strong>e "Erwachsenen - Perspektive" vertreten.<br />

Die Sehnsucht nach "Orientierungsverhalten" durch Erwachsene, das Verlangen nach<br />

"Ordnung schaffen" von Erwachsenen wird heute von Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n deutlich k<strong>und</strong>getan. Und wenn unsere Gesellschaft die Neigung<br />

zum "Rechts-Reaktionismus" von Jugendlichen beklagt, muß ganz klar auch das<br />

Fehlen von "Aktion" <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvoller <strong>Leben</strong>sführung auf <strong>der</strong> Erwachsenenseite als<br />

65


Ursachenmotiv angegeben werden. Das "Vorweg" an <strong>Leben</strong>serfahrung <strong>und</strong><br />

<strong>Leben</strong>swissen des Erwachsenen (Pädagogen) braucht je<strong>der</strong> junge Mensch, um <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

eigene <strong>Leben</strong>sgestaltung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen zu können. "Vor"- bil<strong>der</strong> im Pädagogischen<br />

s<strong>in</strong>d für die Nachahmung o<strong>der</strong> auch Entgegensetzung <strong>der</strong> "Eigen"-Bil<strong>der</strong> unabd<strong>in</strong>gbar.<br />

Das eigene s<strong>in</strong>nliche Erfassen <strong>der</strong> Wirklichkeit ist nur die e<strong>in</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille des<br />

Weltbezuges - die an<strong>der</strong>e liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung (durchaus im wörtlichen<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>!) <strong>mit</strong> de Wirklichkeit, <strong>und</strong> dazu gehört auch die Wirklichkeitsdeutung durch den<br />

an<strong>der</strong>en Menschen.<br />

In diesem <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e ist auch <strong>der</strong> "K<strong>und</strong>e"-Begriff jahrh<strong>und</strong>ertelang <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schultradition verstanden worden. Heimatk<strong>und</strong>e "geben" bedeutet demnach<br />

"K<strong>und</strong>e geben" von <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>und</strong> nicht nur "über" Sachen unterrichten. Die<br />

eigene Deutung, das D<strong>in</strong>g- <strong>und</strong> Weltverständnis des Gebers geht <strong>in</strong><br />

Heimatk<strong>und</strong>eunterricht an die Schüler über. Es soll e<strong>in</strong> Unterricht se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem<br />

Austausch, Begegnung zwischen Lehrer, K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Lerngegenständen stattf<strong>in</strong>den darf,<br />

wo sich <strong>der</strong> Lehrer <strong>in</strong> diesen Austausch <strong>mit</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begibt.<br />

Das Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, das "Integrative", d.h. das Zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, das Sprechen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ist<br />

Gr<strong>und</strong>lage für Unterricht <strong>und</strong> Erziehung. In diesem sozialen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> erfahren wir<br />

Menschen auch <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> "den" <strong>S<strong>in</strong>n</strong> von D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Menschen. Allerd<strong>in</strong>gs ist dieses<br />

"Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>" ke<strong>in</strong> automatischer Vorgang, son<strong>der</strong>n immer <strong>in</strong> menschlicher<br />

Verantwortung als Gestalt menschlicher Freiheit zu vollziehen: "Vielleicht muß man<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen die entstehende Beziehung zwischen D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Menschen auch<br />

verweigern, weil e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> erste E<strong>in</strong>druck dazu rät... Jedenfalls darf nicht die Ahnung<br />

verd<strong>in</strong>glicht werden, wie <strong>der</strong> geübt verklärte Blick <strong>der</strong>er, die schon im voraus wissen,<br />

wie begeistert sie se<strong>in</strong> werden o<strong>der</strong> wie ablehnend" (R.z.Lippe, 1987, S. 359).<br />

Hier wird deutlich, woh<strong>in</strong> wir unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> "unterrichtend" führen sollten. Viele<br />

wissen heute "altklug" schon im voraus alles. Das Urteil aufschieben, bis genau<br />

geprüft ist, das Urteil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Menschen- <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gerfahrung aufschieben vor allem<br />

66


dann, wenn es allzu angenehm "un<strong>mit</strong>telbar" kommt - e<strong>in</strong> Erziehungsziel für den<br />

<strong>heutigen</strong> Sachuntericht (<strong>und</strong> das Verhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ungsbildung!)! Wir<br />

Erwachsene s<strong>in</strong>d heute beson<strong>der</strong>s aufgefor<strong>der</strong>t, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Wirklichkeit so zu<br />

<strong>in</strong>terpretieren, daß nicht vorschnelle, (oft angenehme) Urteile die<br />

Wirklichkeitserfahrung verfälschen - auch Enttäuschungen <strong>und</strong> Unvermögen bei <strong>der</strong><br />

Erk<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> Deutung <strong>der</strong> Welt zu ertragen müssen gelernt werden.<br />

6.5. Nur <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> erkennt <strong>der</strong> Mensch die ganze Wirklichkeit<br />

Es gibt seit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Jahrzehnt <strong>in</strong> unserer westlichen Zivilisation ganz<br />

verstärkt den Ruf nach e<strong>in</strong>er neuen "Kultur <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit" - die öffentlichen Medien<br />

<strong>und</strong> Publikationsjournale verdeutlichen diesen Wunsch auf manchmal recht<br />

ansprechende, aber so manches Mal auch recht überraschende Weise. Nicht immer<br />

überzeugt diese Auffor<strong>der</strong>ung zu e<strong>in</strong>er neuen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit, <strong>und</strong> gerade Pädagogen<br />

fragen <strong>mit</strong> Nachdruck, wo denn <strong>der</strong> "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>" <strong>der</strong> neuen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit liege?<br />

Am viel gedeuteten Beispiel <strong>der</strong> "Samenkornübung" wird anschaulich, wie aus<br />

pädagogisch-anthropologischer Sicht, welche den "ganzen" Menschen im Blick hat,<br />

diese <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit zu verstehen ist.(vgl. Oaklan<strong>der</strong> 1987)<br />

Pflanzen, Bäume, <strong>und</strong> auch wir Menschen wachsen <strong>und</strong> vergehen.<br />

Schulbücher,Klassenzimmerwände <strong>und</strong> Unterrichsst<strong>und</strong>en "unterrichten" darüber.<br />

Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> beobachten das Planzenwachsen auch <strong>mit</strong> dem Metermaß. Aber messen<br />

alle<strong>in</strong>e wäre Seziererei o<strong>der</strong> Datenhuberei. An<strong>der</strong>erseits: Pflanzen nur <strong>mit</strong> Riechen,<br />

Fühlen, Empf<strong>in</strong>den wahrzunehmen wäre Gefühlsduselei. Und als Lehrer muß man<br />

acht geben, daß Unterricht nicht den E<strong>in</strong>druck des "rotierenden Rades", des "immerwie<strong>der</strong>-Gleichen"<br />

h<strong>in</strong>terläßt. Jedes <strong>Leben</strong> ist "eigen" <strong>und</strong> neu. Das abgefallene Blatt<br />

wie<strong>der</strong> an den Baum nageln wollen, das ist nicht wahrhaftig <strong>und</strong> überzeugt auch<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht. Der Tod gehört zum <strong>Leben</strong> - zum "ganzen" <strong>Leben</strong>. Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> das<br />

gemüthaft erfahren, dann s<strong>in</strong>d Erlebnis <strong>und</strong> Wissen, <strong>S<strong>in</strong>n</strong>liches <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>volles<br />

zusammen da. Das Naturgeschehen wird zum Weg <strong>der</strong> Selbst- erfahrung; das Sichselber-<strong>in</strong>-das-<strong>Leben</strong>-<strong>der</strong>-Natur-h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>fühlen<br />

zum Natur-geschehen.<br />

67


Auch bei unserem Umgang <strong>mit</strong> Bäumen können wir - oft schön zusammen <strong>mit</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n - diese ganzheitliche Naturerfahrung als Wirklichkeits<strong>mit</strong>teilung erkennen.<br />

Wenn wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt e<strong>in</strong>en Baum anschauen, haben wir meist e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Blick<br />

darauf, als wenn wir am Wochenende irgendwo "<strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur" unter Bäumen sitzen,<br />

<strong>und</strong> wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en ganz an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>druck, wenn wir im Urlaub Bäume erleben. Der<br />

Kontext des Erlebens bestimmt das Baumerlebnis <strong>mit</strong>. Und was geschieht, wenn man<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe von drei, vier o<strong>der</strong> fünf Bäumen, im Kreis gepflanzt, sitzt <strong>und</strong> sich<br />

dem un<strong>mit</strong>telbaren Empf<strong>in</strong>den überläßt? Dazu hat R.z.Lippe e<strong>in</strong> Beispiel für s<strong>in</strong>nvolle<br />

Begegnung <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nlich-s<strong>in</strong>nvoller Wahrnehmung beschrieben: "Wir begeben uns an<br />

e<strong>in</strong>en uns guten Ort z.B. auf e<strong>in</strong>e Wiese zwischen Bäume. Dort stehend o<strong>der</strong> sitzend<br />

öffnen wir für e<strong>in</strong>e Weile die Augen, lassen die Momente des Sehfeldes sich uns<br />

<strong>mit</strong>teilen, ohne auf irgendetwas e<strong>in</strong>en Blick zu richten. Nach kurzer o<strong>der</strong> längerer<br />

Weile wird unser Verhältnis zu den Gegenständen <strong>der</strong> Wahrnehmung zu den Bäumen,<br />

sich gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>n, wie sehr wir auch sonst das H<strong>in</strong>sehen <strong>und</strong> H<strong>in</strong>starren<br />

gewohnt se<strong>in</strong> mögen. Während wir etwa mehrere Bäume, die eben noch vor uns rechts<br />

<strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks neben uns gestanden haben, gleichzeitig <strong>und</strong> gleichermaßen aufnehmen, <strong>mit</strong><br />

unserem ganzen Leib, beg<strong>in</strong>nen sie um uns herum zu stehen. Die Wiese wird unser <strong>mit</strong><br />

ihnen geme<strong>in</strong>samer Ort.<br />

Wir spüren da, wo wir neben <strong>und</strong> h<strong>in</strong>ter uns nicht mehr sehen, Bäume <strong>und</strong> Öffnungen.<br />

So ungeführ wie man nach e<strong>in</strong>er Weile <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dunklen Zimmer tastend Möbelstücke<br />

schon wahrzunnehmen beg<strong>in</strong>nt, noch bevor man sie berührt. Im Spüren aus dem<br />

Abstand h<strong>in</strong>ter uns wird auch das Sehen vor uns verän<strong>der</strong>t. Wir empf<strong>in</strong>den die<br />

Sehwahrnehmungen zunehmend als e<strong>in</strong>e Bestätigung <strong>und</strong> Ergänzung e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />

Wahrnehmung. Wir erleben uns selber als Körper <strong>in</strong> diesem Raum, wie die an<strong>der</strong>en<br />

Körper, denen wir da leiblich begegnen. Raum als abstrakte vorgegebene Kategorie<br />

wie Kant zum Beispiel gedacht hat, läßt sich <strong>in</strong> Bewegungen des Wahrnehmens <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

wahrgenommene Beziehungen auflösen. Im gelebten <strong>S<strong>in</strong>n</strong> entsteht so <strong>der</strong> Raum<br />

allererst. Wir werden vielleicht sogar Bäume unter Bäumen; als Baum unter Bäumen<br />

werden wir <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>heit unserer Gegenwärtigkeit geführt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> ganze Mensch,<br />

nicht nur se<strong>in</strong> Auge, sieht" (R.z.Lippe 1987, S. 356).<br />

68


Die e<strong>in</strong>zelnen Wahrnehmungen <strong>der</strong> unterschiedlichen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des Menschen haben<br />

isoliert noch ke<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong>; die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>eswahrnehmungen bieten bestenfalls die e<strong>in</strong>zelnen<br />

"Buchstabenkörper" für den Aussage-Gesamts<strong>in</strong>n von Worten <strong>und</strong> Sätzen. Der Weg<br />

von den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> zum <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist für den Menschen e<strong>in</strong> Weg, den er selbst gehen muß. Es<br />

wäre e<strong>in</strong> "Holzweg", das hohe Maße ausgelebter <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit als Maß für menschliche<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>erfahrung machen zu wollen. E<strong>in</strong>e von Geist, Seele <strong>und</strong> Gemüt isolierte<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit macht sogar den Menschenkörper <strong>und</strong> noch vielmehr den Menschen als<br />

"Ganzen" müde <strong>und</strong> elend. Im Fortgang <strong>der</strong> "Div<strong>in</strong>a Comedia" (Dante) wird <strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>nlich-begreifenwollende Zugriff des Menschen auf die Welt immer<br />

bedeutungsloser - aber die "Blickkraft" nimmt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kraft <strong>und</strong> Tiefe des geschauten<br />

Lichts zu, das die D<strong>in</strong>ge wi<strong>der</strong>spiegeln - nur so erkennt <strong>der</strong> Mensch die ganze<br />

Wirklichkeit. (vgl. Bäuml-Roßnagl 1990).<br />

7. Kapitel<br />

Begegnung als menschengemäße Erfahrung <strong>der</strong> Welt<br />

7.1. "Un-<strong>mit</strong>telbare" Begegnung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen als Unterrichtspr<strong>in</strong>zip<br />

Spätestens seit J.A. Comenius (1592 - 1670) ist dem abendländischen Denken ganz<br />

bewußt gemacht worden, daß jede schulische Bildung lebensfern <strong>und</strong> wirkungslos ist,<br />

wenn sie ihre unterrichtlichen <strong>und</strong> erziehlichen Bildungsbemühungen nicht auf <strong>der</strong><br />

Basis realer Anschauungen aufbaut. Mit programmatisch gewordenen For<strong>der</strong>ungen hat<br />

Comenius <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er "Didactica Magna" <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em "Orbis sensualium pictus"<br />

immer wie<strong>der</strong> die E<strong>in</strong>heit von Sachlichem <strong>und</strong> Sprachlichem, von <strong>Leben</strong>snähe <strong>und</strong><br />

Sach- bzw. Facherklärung betont. Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zip aller Bildungsarbeit ist es demnach,<br />

"so viel als möglich die Weisheit nicht aus Büchern (zu) schöpfen, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong><br />

Betrachtung von Himmel <strong>und</strong> Erde, Eichen <strong>und</strong> Buchen... Die D<strong>in</strong>ge müssen den<br />

D<strong>in</strong>gen nahegebracht werden: Sichtbares den Augen, Hörbares den Ohren, Riechbares<br />

<strong>der</strong> Nase, Fühlbares dem Gefühl. Der Anfang des Wissens soll vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichen se<strong>in</strong><br />

...<strong>mit</strong> realer Anschauung gemacht werden" (J.A. Comenius 1627). Die Anschauung<br />

<strong>der</strong> Welt - <strong>mit</strong> allen <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> vollzogen - führt nach Comenius zur Erfah- rung vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

<strong>der</strong> Welt.<br />

69


Sach"ansichten" <strong>und</strong> Welt"sichten" s<strong>in</strong>d auch von J.H. Pestalozzi (1746 - 1827) <strong>in</strong><br />

enger gegenseitiger Beziehung <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gung erläutert worden. Als Pädagoge, <strong>der</strong><br />

aus dem pädagogischen Tun <strong>und</strong> fürsorglichen <strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n heraus se<strong>in</strong>e<br />

pädagogischen Theorien entwickelte, hat er immer wie<strong>der</strong> aufgezeigt, wie bildungsgr<strong>und</strong>legend<br />

es ist, "den ganzen Kreis <strong>der</strong> Gegenstäde, die die <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e des K<strong>in</strong>des nahe<br />

berühren, <strong>in</strong>s Auge zu fassen" (vgl. bes. das "Buch <strong>der</strong> Mütter" <strong>und</strong> "ABC <strong>der</strong><br />

Anschauung").<br />

Die konkrete Anschauung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>swelt war im abendländischen<br />

Bildungsdenken e<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ung, die deshalb von Schulreformern <strong>und</strong> pädagogischen<br />

Erneuerern so <strong>in</strong>tensiv vertreten wurde, weil die reale Schulwirklichkeit oft weit<br />

entfernt war von e<strong>in</strong>er un-<strong>mit</strong>telbaren Anschauung <strong>und</strong> Begegnung <strong>der</strong> Schüler <strong>mit</strong><br />

den D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Welt. E<strong>in</strong>e "Lern- <strong>und</strong> Buchschule" hat sich nicht nur im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert breit gemacht. Es sche<strong>in</strong>t im "Wesen" <strong>der</strong> "Institution Schule" zu liegen,<br />

"Wortstudium anstelle von Sachstudium" besser betreiben zu können, lieber betreiben<br />

zu wollen <strong>und</strong> erfolgreicher beschreiben zu können. Davon zeugen viele<br />

Schuler<strong>in</strong>nerungen von Schülern aus Gegenwart <strong>und</strong> Vergangenheit. Doch bis heute<br />

treten "Reformpädagogen" <strong>und</strong> "alternative Schulkonzeptoren" nachdrücklich <strong>und</strong><br />

phantasievoll dafür e<strong>in</strong>, daß "Schule <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>" sich als zusammengehörig erfahren<br />

möchten, daß Begriffe <strong>und</strong> D<strong>in</strong>ge, Anschauung <strong>und</strong> Weltanschauung, Sach<strong>in</strong>halte <strong>und</strong><br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>aussagen <strong>in</strong> ihrer gegenseitigen Verwiesenheit <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gtheit im<br />

Bildungsgeschehen gesehen werden.<br />

Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulbildung ist das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>snähe, <strong>der</strong><br />

Heimatorientierung, <strong>der</strong> un-<strong>mit</strong>telbaren Begegnung <strong>mit</strong> den Bildungs"gegenständen"<br />

das Leitpr<strong>in</strong>zip unterrichtlichen Arbeitens (vgl. Bäuml-Roßnagl 1979, S.78 ff). Für das<br />

Fach "Sachunterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule" wird immer wie<strong>der</strong> betont, daß die "un<strong>mit</strong>telbare<br />

Begegnung" <strong>mit</strong> den "Sachen" als Unterrichtsgegenstand über<br />

Wahrnehmungen <strong>und</strong> Handlungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> erfolgen sollte. So zeigt zum Beispiel<br />

<strong>der</strong> Lehrer den Gebrauch von Säge, von Bohrer - von Werkzeugen. Er führt <strong>in</strong> den<br />

Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Waage e<strong>in</strong>, <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Meßgeräten - o<strong>der</strong> er veranlaßt K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />

70


selber zu bohren, zu sägen, zu wiegen o<strong>der</strong> zu messen. Wenn Lehrer <strong>und</strong> Schüler so<br />

konkret <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> dem Unterrichtsgegenstand "begegnen", ihn sehen, hören,<br />

riechen, fühlen, "an ihm" weiterdenken, auch nach se<strong>in</strong>er Bedeutung, nach se<strong>in</strong>em<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong> fragen, wird e<strong>in</strong> un-<strong>mit</strong>telbarer Zusammenhang von Sache <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, von D<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> Worten erfahrbar.<br />

Solcher Unterricht setzt fort, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> von frühester K<strong>in</strong>dheit an durch Aufheben,<br />

Fallenlassen, durch Balancieren, Laufen, Brechen, Biegen usw. erfahren, nämlich die<br />

s<strong>in</strong>nliche Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Begriffe. K<strong>in</strong><strong>der</strong> lernen die D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Welt dann so erfahren,<br />

wie sie nur dem Menschen möglich ist: <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>! Ohne die konkreten<br />

s<strong>in</strong>nlichen Erlebnisse <strong>und</strong> Erfahrungen ist alles, was wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule an kognitiver<br />

Begriffsver<strong>mit</strong>tlung, an Lernkenntnissen o<strong>der</strong> auch an dem oft plakativ gebrauchten<br />

Wort "wertorientiertes Handeln" ver<strong>mit</strong>teln wollen, ohne "Boden", ohne Bedeutung.<br />

In <strong>der</strong> Begegnung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen erschließt sich dem Menschen <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge - von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n können Erwachsene auch hier viel lernen.<br />

7.2. "Ver-<strong>mit</strong>telte" Begegnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swelt<br />

Un-<strong>mit</strong>telbar, d.h. ohne "Mittler", ohne Ver-<strong>mit</strong>tlung den Menschen <strong>und</strong> den D<strong>in</strong>gen<br />

unseres <strong>Leben</strong>s begegnen zu können - davon träumen <strong>in</strong> unserer mo<strong>der</strong>nen Welt viele<br />

Menschen. Die Un-Mittelbarkeit <strong>der</strong> Begegnung <strong>mit</strong> Menschen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gen gel<strong>in</strong>gt<br />

uns "Heutigen" nicht mehr alltäglich. Zu viele "Mittler" schieben sich zwischen uns<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e(s). Bildschirm <strong>und</strong> Kopfhörer "ver<strong>mit</strong>teln" unseren Augen <strong>und</strong> Ohren die<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Töne <strong>der</strong> Welt - diese Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Töne <strong>in</strong> ihrer realen Gestalt zu erleben<br />

gel<strong>in</strong>gt dem mo<strong>der</strong>nen Menschen viel seltener als ihre audiovisuelle "Übertragung" zu<br />

erfahren. Es ist wohl übertrieben, wenn e<strong>in</strong> bedeuten<strong>der</strong> Pädagoge <strong>der</strong> Gegenwart das<br />

"Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> Wirklichkeit" (H.v.Hentig) <strong>in</strong> unserer <strong>Leben</strong>swelt beklagt - aber<br />

71


e<strong>in</strong> auf wenig Raum <strong>und</strong> Zeit unseres Alltags zurückgedrängter direkter Kontakt <strong>mit</strong><br />

den "wirklichen" D<strong>in</strong>gen unserer <strong>Leben</strong>swelt ist überall festzustellen.<br />

Meist "begegnen" uns D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Menschen "ver<strong>mit</strong>telt" - durch den "Blick" an<strong>der</strong>er<br />

gesehen <strong>in</strong> Fernsehen, öffentlicher Presse <strong>und</strong> gesellschaftlicher Me<strong>in</strong>ungsbildung.<br />

Das Schlagwort von <strong>der</strong> Wirklichkeit aus "2. Hand" wurde geprägt, um auszusagen,<br />

daß Erwachsene <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute nur noch selten "<strong>mit</strong> eigenen Händen" das <strong>Leben</strong><br />

"<strong>in</strong> den Griff" bekommen können, daß ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "mediatisierten" Welt kaum noch<br />

die Möglichkeit geboten ist - we<strong>der</strong> im Lern- noch im "Arbeitsprozeß - selbst "Hand<br />

anlegen" zu können, um die <strong>Leben</strong>swelt zu gestalten.<br />

So wichtig <strong>in</strong> unserer medial ver<strong>mit</strong>telten <strong>Leben</strong>swelt das Nachdenken über die<br />

s<strong>in</strong>nesverarmte Gegenwartskultur ist, so wenig ist es m.E. s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>er<br />

"Wirklichkeit aus 1. Hand" unter allen Umständen den Vorzug zu geben gegenüber<br />

e<strong>in</strong>er "Wirklichkeit aus 2. Hand". Was z.B. die Schule betrifft: Es kann wohl nicht nur<br />

darum gehen, daß wir als Lehrer Wirklichkeiten aus erster Hand <strong>in</strong> die Schule<br />

"h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>"nehmen. Darüber hat Comenius auch schon nachgedacht. Wenn man bei ihm<br />

nachliest, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schriftenstellen, wo er sagt: alles was <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Schule stattf<strong>in</strong>det <strong>und</strong> selbst, wenn du e<strong>in</strong>e Blume <strong>in</strong>s Schulzimmer <strong>mit</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nimmst,<br />

ist das nicht die orig<strong>in</strong>ale Wirklichkeit. Es ist schon e<strong>in</strong>e Wirklichkeit, die aus ihrem<br />

normalen, aus dem realen Wirklichkeitszusammenhang herausgenommen ist. Darüber<br />

nachzudenken haben die Pädagogen weith<strong>in</strong> versäumt.<br />

Was ist Wirklichkeit?<br />

Wenn wir diese alte Frage heute als Pädagogen neu stellen, dann kommen wir nicht<br />

darum herum, daß wir die Medien, wie sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute erfahren, die sogenannten<br />

öffentlichen Medien: Fernsehen, Kassettenrekor<strong>der</strong>, Audiomedien, Videoclips, daß<br />

wir alle diese Medien als Ver<strong>mit</strong>tler <strong>der</strong> Wirklichkeit kritisch ernst nehmen <strong>in</strong> ihrer<br />

Wirklichkeit! Sie haben nicht nur e<strong>in</strong>e mediale Funktion - sie s<strong>in</strong>d selber auch e<strong>in</strong> Teil<br />

<strong>der</strong> <strong>heutigen</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Leben</strong>swirklichkeit - <strong>mit</strong> vielfältiger Wirksamkeit! AV-Medien<br />

s<strong>in</strong>d nicht nur "Brillen" <strong>der</strong> Wirklichkeit - Ver<strong>mit</strong>tler von "Wirklichkeit aus 2. Hand" -<br />

sie s<strong>in</strong>d auch selbst "Wirklichkeit aus 1. Hand"! Medienwirklichkeit ist sek<strong>und</strong>äre<br />

Wirklichkeit, Wirklichkeit außerhalb des Klassenzimmers ist primäre Wirklichkeit -<br />

so e<strong>in</strong>fach geht es nicht. "Gehört <strong>der</strong> Pumuckel, den wir anfassen, sehen, hören <strong>und</strong><br />

72


iechen können <strong>in</strong> unsere erste, un<strong>mit</strong>telbare Wirklichkeit, o<strong>der</strong> ist er e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g<br />

aus e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en gedachten Wirklichkeit? Den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ist gleich. Sie lieben den<br />

Pumuckel, egal auf welcher Wirklichkeitsebene er daherkommt. K<strong>in</strong><strong>der</strong> trennen nicht<br />

genau zwischen Wirklichkeit <strong>und</strong> Fiktion" (S.Jörg, 1987 S.100).<br />

Das Kästchendenken <strong>der</strong> Erwachsenen nimmt das <strong>in</strong>tuitive K<strong>in</strong><strong>der</strong>wissen nicht ernst<br />

genug, das solche logisch-analytischen Kriterien nicht ansetzt. Wie wirklich ist denn<br />

unsere Wirklichkeit? Heute unterscheiden wir zwischen e<strong>in</strong>er ersten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er zweiten<br />

Wirklichkeit. Die dritte, vierte <strong>und</strong> fünfte nennen wir meistens nicht mehr. Wir tun so,<br />

als ob die AV-Wirklichkeit <strong>der</strong> Medien, als ob das alle<strong>in</strong> die zweite<br />

Wirklichkeitsebene wäre. Dabei gibt es noch viel mehr Wirklichkeitsebenen - nicht<br />

nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung des mo<strong>der</strong>nen Menschen!<br />

Wir müssen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen, daß sie ihren Blick auf unterschiedliche<br />

Wirklichkeitserfahrungen h<strong>in</strong> schärfen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen langsam vom magischen<br />

Denken her, vom Fühlen her, von dem, was sie "an Wirklichkeit" erleben <strong>in</strong> Träumen,<br />

im Alltag <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Medien. Von daher sollen sie langsam zu e<strong>in</strong>er "sachlichen", d.h.<br />

sachgerechten E<strong>in</strong>stellung geführt werden. Die Mischung <strong>der</strong> Wirklichkeitsebenen <strong>in</strong><br />

ihrer Bedeutung für den Menschen, für die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, muß auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mischung <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> je verschiedenen Bedeutung für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> pädagogisch entfaltet werden.<br />

Auch die "ver-<strong>mit</strong>telte" Begegnung - durch Film, durch Buch, durch Phantasie <strong>und</strong><br />

Traum, durch Hörkassette <strong>und</strong> Videoclip - ist e<strong>in</strong>e Realitätsebene <strong>der</strong> Weltbegegnung<br />

des mo<strong>der</strong>nen Menschen. Sie hat wohl e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Bedeutung für den menschlichen<br />

<strong>Leben</strong>svollzug als die "un-<strong>mit</strong>telbare" Begegnung, aber sie hat auch "positive Lern<strong>und</strong><br />

Erfahrungspotentiale" (H.Zacharias), die Erwachsene heute wohl nur zusammen<br />

<strong>mit</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n erschließen können ohne sich auf ihr "Vorweg" an "erfahrener<br />

Wirklichkeit" den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gegenüber berufen zu dürfen.<br />

7.3. Ganzheitliche Begegnung <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

"Weltlichkeit" ist die "Wurzel <strong>der</strong> <strong>in</strong>ter-subjektiven Verb<strong>in</strong>dung" - das ist nicht nur e<strong>in</strong><br />

berühmt gewordenes Wort von Merleau-Ponty, son<strong>der</strong>n das gesamte "Programm"<br />

73


e<strong>in</strong>er Philosophie <strong>und</strong> Anthropologie <strong>der</strong> menschlichen Intersubjektivität - ganz gleich<br />

welcher Provenienz. "Me<strong>in</strong> Leib" wird von mir erst als "me<strong>in</strong>" Leib erfahren, wenn<br />

ihn e<strong>in</strong> Du als "de<strong>in</strong>en" Leib erfährt. Im Austausch von Ich <strong>und</strong> Du vollzieht sich das<br />

"Wir" - dieses Wir braucht aber die "Brücke" <strong>der</strong> Leiblichkeit.<br />

<strong>Leben</strong> im Leib bedeutet für den Menschen: empf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> empf<strong>und</strong>en werden - lieben<br />

<strong>und</strong> geliebt werden - erfahren <strong>und</strong> erfahren werden. Und das gilt für alle Weisen <strong>und</strong><br />

Formen des menschlichen <strong>Leben</strong>s - auch für das Lernen <strong>und</strong> die Wissenschaft. Der<br />

Leib ist "Gegenstand" <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit von Körper <strong>und</strong> Geist. Der Mensch hat e<strong>in</strong>e nur ihm<br />

eigene <strong>Leben</strong>sform - <strong>in</strong> <strong>der</strong> Leiblichkeit als Ver<strong>mit</strong>tlung von Körper <strong>und</strong> Geist.<br />

Vom Mutterleib an lebt sich <strong>der</strong> Mensch als "ganzer" <strong>mit</strong> allen se<strong>in</strong>en <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>em <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Die Begegnung <strong>mit</strong> Mensch <strong>und</strong> Welt geschieht <strong>mit</strong><br />

Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, <strong>mit</strong> Geist <strong>und</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>. "Alle <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d bei <strong>der</strong> Geburt<br />

hellwach: es hat bereits im Mutterleib se<strong>in</strong>en Gleichgewichts- <strong>und</strong> Tasts<strong>in</strong>n üben<br />

können. Es br<strong>in</strong>gt aus dieser Zeit sogar Hörer<strong>in</strong>nerungen <strong>mit</strong> auf die Welt. Und es<br />

kann sehen. Gleich <strong>in</strong> den ersten St<strong>und</strong>en des E<strong>in</strong>tritts <strong>in</strong> die Welt <strong>der</strong> Luft, des Lichts,<br />

<strong>der</strong> lauten Geräusche <strong>und</strong> rauhen Berührungen beg<strong>in</strong>nt es eifrig, all die verwirrenden<br />

Informationen, die ihm se<strong>in</strong>e <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e über<strong>mit</strong>teln, <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu verknüpfen...In<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>und</strong> im Zusammenspiel <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er Bewegungs-Wahrnehmungs- <strong>und</strong><br />

Sozialentwicklung entfaltet es se<strong>in</strong>e geistigen Fähigkeiten" (K.Zimmer 1988 2 , S. 23).<br />

Begegnung <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> ist das <strong>Leben</strong>spr<strong>in</strong>zip des Menschen. Nur durch die<br />

s<strong>in</strong>nliche, "leibhaftige" Begegnung <strong>mit</strong> Menschen <strong>und</strong> D<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Welt entfaltet <strong>der</strong><br />

Mensch <strong>Leben</strong>sbezüge auf an<strong>der</strong>e <strong>und</strong> an<strong>der</strong>es h<strong>in</strong> <strong>und</strong> entfaltet so gleichsam<br />

"spiegelbildlich" se<strong>in</strong>e eigene Identität. Und diese Eigenart des menschlichen <strong>Leben</strong>s<br />

for<strong>der</strong>t immer auch e<strong>in</strong> "Spuren"-über-den-Leib h<strong>in</strong>aus. In Mimik, Gestik, Zeichen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache - oft komb<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> ganzheitlichen Ausdrucksformen wie z.B.<br />

musisch - dramaturgischen Spielformen - entfaltet <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong> Ich zum an<strong>der</strong>en<br />

h<strong>in</strong>: <strong>mit</strong> Leib <strong>und</strong> Geist, <strong>mit</strong> <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>. Begegnungsgesten s<strong>in</strong>d <strong>Leben</strong>sgesten.<br />

7.4. Begegnung als Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Wirklichkeitsforschung<br />

74


Die wechselseitige E<strong>in</strong>heit von Welt- <strong>und</strong> Selbsterkenntnis ist e<strong>in</strong>e Voraussetzung für<br />

e<strong>in</strong>e menschengemäße Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung. Goethe hat e<strong>in</strong>en Weg des Wissens über<br />

Natur aufgezeigt, <strong>der</strong> die Vielfalt <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen zu allgeme<strong>in</strong>en<br />

Erkenntnissen führt, auf dem auch Begegnungen, die <strong>der</strong> Mensch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Natur macht,<br />

wichtig s<strong>in</strong>d. Das Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zip des Goetheanischen Denkens im H<strong>in</strong>blick auf<br />

Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> Weltbildaufbau ist die E<strong>in</strong>heit von Beobachtung als<br />

kognitive Auffassung von D<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Begegnung <strong>mit</strong> den D<strong>in</strong>gen; <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begegnung<br />

s<strong>in</strong>d Erlebnis <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nliche Erfahrung e<strong>in</strong>gebracht.<br />

Das Anschauen, das Feststellen von Daten, von Fakten, das Dokumentieren, das<br />

Sachmerkmale feststellen, das ist für Goethe die erste, unterste Stufe. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

muß man kommen, wenn man menschengerechte Erfahrungen machen will. Man muß<br />

zu e<strong>in</strong>em wechselseitigen Verstehen von Welt- <strong>und</strong> Selbsterkenntnis kommen. Erst<br />

wenn dieses wechselseitige Versehen da ist, spricht Goethe von "Bildung". Aber wie<br />

gew<strong>in</strong>nt man diese Erfahrung über die Natur, diesen Weg, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> Ich,<br />

Objekt <strong>und</strong> Subjekt, D<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Mensch <strong>in</strong> engem Zusammenhang erlebt <strong>und</strong><br />

verstanden werden? Nach <strong>der</strong> Goetheanischen Methode <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung<br />

s<strong>in</strong>d 3 Schritte notwendig:(vgl.J.W.v.Goethe, München, dtv. 1988, Band I)<br />

1. Das empirische Phänomen.<br />

Wenn sie gestern spazieren gegangen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Blumenstrauß <strong>mit</strong> nach Hause<br />

genommen haben, dann hatten sie z.B. e<strong>in</strong> empirisches Phänomen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand.<br />

Pflanzen, Blumen, wie sie empirisch vorkommen, von ganz verschiedener Gestalt, als<br />

Individuum, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Vielfalt vorhanden - e<strong>in</strong>e Margerite, e<strong>in</strong>e<br />

Glockenblume, e<strong>in</strong> Hahnenfuß s<strong>in</strong>d solche "empirischen" Phänomene.<br />

2. Man macht sich davon e<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en Begriff.<br />

Der allgeme<strong>in</strong>e Begriff unseres Blumenstraußbeispiels: Blume. Diesen allgeme<strong>in</strong>en<br />

Begriff macht man sich, <strong>in</strong>dem man das empirische Phänomen unter an<strong>der</strong>en<br />

Umständen, unter an<strong>der</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen untersucht <strong>und</strong> vergleicht. Den allgeme<strong>in</strong>en<br />

Begriff hat man oft schon im "H<strong>in</strong>terkopf", aus dem Alltagswissen, wie bei <strong>der</strong> Blume<br />

o<strong>der</strong> man gew<strong>in</strong>nt ihn, wie z.B. beim Begriff Regenbogen aus optisch-physikalischen<br />

Gesetzenmäßigkeiten, durch experimentelle Anordnung. Beide Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

75


Begriffsbildung wertet Goethe gleichwertig - aber <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Betonung, daß dort, wo es<br />

um lebendige Natur geht, die experimentelle "Experimentiererei" nicht gestattet ist.<br />

Erst aus <strong>der</strong> mehrfachen, <strong>und</strong> konkreten Analyse des empirischen Phänomens kommen<br />

wir zur 3. Stufe <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung:<br />

3. Das re<strong>in</strong>e Phänomen.<br />

Das re<strong>in</strong>e Phänomen steht zuletzt als Resultat aller Erfahrungen <strong>und</strong> Versuche da. In<br />

dieser Phase hat <strong>der</strong> Betrachter e<strong>in</strong> Wissen davon gewonnen, wie gr<strong>und</strong>legende<br />

Bewegungsformen <strong>und</strong> Wirkungsweisen <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Natur <strong>in</strong> dem<br />

gewählten E<strong>in</strong>zelbereich auf typische Weise zusammentreffen.<br />

Nun ist das Entscheidende bei dieser Goetheanischen Sicht <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung,<br />

daß alles, was <strong>der</strong> Mensch über diese drei phänomenalen Stufen "<strong>in</strong><br />

Erfahrung" br<strong>in</strong>gen kann, auch <strong>mit</strong> dem Menschen selber zu tun hat - e<strong>in</strong> Gleichnis<br />

se<strong>in</strong>es eigenen Wesens ist. Diese drei Stufen <strong>der</strong> Erfahrungsgew<strong>in</strong>nung s<strong>in</strong>d immer<br />

zugleich e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>begegnung <strong>mit</strong> den <strong>in</strong>neren <strong>Leben</strong>sformen des Menschen. Die<br />

Naturerfahrung, das Wissen über die Natur ist für den Menschen zugleich<br />

Selbsterfahrung.<br />

Das macht das Beispiel "Samenkornübung" aus <strong>der</strong> Gestalttherapie anschaulich: In <strong>der</strong><br />

tiefen Erde liege ich, Dunkelheit herrscht, ich weiß, daß es mich gibt, ich treibe aus<br />

mir heraus <strong>und</strong> weiß nicht, wie es geschieht. In e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Welt b<strong>in</strong> ich gewachsen.<br />

Himmel <strong>und</strong> Sonne, Luft <strong>und</strong> Wärme geben mir neue Gestalt. Blatt, Stamm <strong>und</strong> Blüte.<br />

Früchte entstehen <strong>und</strong> ziehen schwer zur Erde, ich lasse sie los. W<strong>in</strong>d, Regen <strong>und</strong><br />

Wolken sagen, daß die Zeit reif ist, ich gehe zurück zur Erde (vgl. 1.3.).<br />

Was im Pflanzenwachstum als Rhytmus des <strong>Leben</strong>s da ist, kann im eigenen <strong>Leben</strong><br />

nachvollzogen werden. Wie <strong>der</strong> Wuchs <strong>der</strong> Pflanze ist auch <strong>der</strong> menschliche vom<br />

Aufstreben <strong>und</strong> an spiraligen Momenten bestimmt. Wie die Brechungen des<br />

Regenbogens s<strong>in</strong>d auch unsere Augen Antwort auf das Licht <strong>der</strong> Sonne. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ruhen diese Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>in</strong> den Tiefen des nicht bewußten, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>fach<br />

gelebten <strong>Leben</strong>s. Es geht nicht um Informationen "über" das <strong>Leben</strong>, son<strong>der</strong>n um<br />

gelebtes <strong>Leben</strong>, um e<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begegnung. Die Beobachtung von<br />

Naturphänomenen, (hier Pflanzenwachstum) br<strong>in</strong>gt uns E<strong>in</strong>sichten nicht nur über die<br />

D<strong>in</strong>ge, über die Natur, son<strong>der</strong>n auch über uns selber, über die <strong>in</strong>neren Vorgänge, die<br />

76


sich <strong>in</strong> uns vollziehen. Die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit solchen Wissens ist<br />

existenzielle, ästhetische, <strong>in</strong>dividuelle <strong>und</strong> wirkliche <strong>Leben</strong>sart - e<strong>in</strong>e Forschung <strong>mit</strong><br />

dem Anspruch <strong>der</strong> "Wirklichkeitserforschung" muß den Mut aufbr<strong>in</strong>gen, dem <strong>Leben</strong><br />

so zu begegnen.<br />

Aufgabe von Pädagogen ist es, <strong>mit</strong> den jungen Menschen zusammen die "aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

antwortenden <strong>Leben</strong>sgesten von Mensch <strong>und</strong> Natur" (B.Wölfen) wie<strong>der</strong> wahrnehmen<br />

zu lernen. Dann werden unter ihnen auch e<strong>in</strong>ige fähig se<strong>in</strong>, neue, humane <strong>und</strong><br />

naturgerechte Wissenschaftsstrategien zu entwickeln, bei denen neben <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nung<br />

von Erkenntnissen über Naturzusammenhänge die Selbsterkenntnis des<br />

Wissenschaftlers <strong>und</strong> Forschers gleichermaßen zu ihrem Recht kommt. Auch von A.<br />

Portmann läßt sich dabei lernen: "Se<strong>in</strong>e Forschungsarbeiten suchen die Nähe zur<br />

lebensweltlichen Erfahrung <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> leiten von den biologischen E<strong>in</strong>sichten über<br />

zu pädagogischen, künstlerischen, metaphysischen <strong>und</strong> religiösen Fragen. Da<strong>mit</strong> wird<br />

die Kluft zwischen "objektivem" Wissen <strong>und</strong> lebensweltlicher Bedeutsamkeit<br />

vermieden.<br />

Portmann öffnet <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en Forschungsarbeiten <strong>und</strong> <strong>der</strong> gleichzeitigen<br />

Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>bettung s<strong>in</strong>nlicher wie rationaler Elemente <strong>in</strong> das wissenschaftliche<br />

"Verstehen" die Möglichkeit, die je eigene Selbstdarstellung <strong>der</strong> Lebewesen als<br />

Äußerung ihrer spezifischen Weltbeziehung <strong>der</strong> Natur zu deuten - <strong>der</strong> Mensch wäre<br />

das sprachliche <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nliche Sprechen dieser Sprache. Da<strong>mit</strong> sollte es vielleicht auch<br />

möglich se<strong>in</strong>, Selbstdarstellung <strong>und</strong> Weltbeziehung, Selbständigkeit <strong>und</strong><br />

Weltzuwendung, Autonomie <strong>und</strong> Solidarität zusammenzudenken?" (W.Bierter, 1990<br />

S.126-128).<br />

Prolog zur pädagogischen Perestrojka im Jahr 2000<br />

"De<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>d nicht de<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

Sie s<strong>in</strong>d die Söhne <strong>und</strong> Töchter<br />

<strong>der</strong> Sehnsucht des <strong>Leben</strong>s nach sich selbst.<br />

77


Sie kommen durch dich,<br />

aber nicht von dir<br />

<strong>und</strong> obwohl sie bei dir s<strong>in</strong>d,<br />

gehören sie dir nicht.<br />

Du kannst ihnen de<strong>in</strong>e Liebe geben,<br />

aber nicht de<strong>in</strong>e Gedanken.<br />

Du kannst ihrem Körper e<strong>in</strong> Heim geben,<br />

aber nicht ihrer Seele.<br />

Denn ihre Seele wohnt im Haus von Morgen<br />

das du nicht besuchen kannst,<br />

nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> ihren Träumen.<br />

Du kannst versuchen, ihnen gleich zu se<strong>in</strong>,<br />

aber suche nicht, sie dir gleich zu machen.<br />

Denn das <strong>Leben</strong> geht nicht rückwärts<br />

<strong>und</strong> verweilt nicht beim Gestern.<br />

Du bist <strong>der</strong> Bogen,<br />

von dem de<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

als Pfeile ausgeschickt werden -<br />

Laß de<strong>in</strong>e Bogenr<strong>und</strong>ung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Schützen Freude bereiten."<br />

KAHLIL GIBRAN (1923)<br />

De<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> -<br />

Söhne <strong>und</strong> Töchter <strong>der</strong> Sehnsucht des <strong>Leben</strong>s nach sich selbst<br />

Pädagogen - Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen, Lehrer, Erzieher<strong>in</strong>nen, Erzieher - s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

anvertraut <strong>und</strong> nicht selten ist im Verhältnis von Pädagogen zu ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mehr<br />

Macht als Vertrauen offenk<strong>und</strong>ig. E<strong>in</strong> recht großes Kapitel Erziehungsgeschichte ist<br />

mehr <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Geißel <strong>der</strong> Macht als <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiheit geschrieben worden. Das<br />

78


gilt für Eltern- K<strong>in</strong>d-Beziehungen ebenso wie für <strong>in</strong>stitutionelle Erzieher-K<strong>in</strong>d-<br />

Beziehungen.<br />

An<strong>der</strong>s sieht da e<strong>in</strong> humanes Denken aus: "De<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d nicht de<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>!"<br />

Das will auch heißen: Pädagogen tun gut, die Achtung vor dem K<strong>in</strong>d immer aufrecht<br />

zu erhalten, auch dann, wenn dieses K<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>e Wege geht, se<strong>in</strong>e "eigenen" Wege<br />

geht, - auch dann, wenn Leibnähe <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit des K<strong>in</strong>des die <strong>in</strong>tellektuellen<br />

Erziehungspr<strong>in</strong>zipien über Bord werfen. Machtverhalten hat im pädagogischen Bezug<br />

nichts zu suchen - auch nicht unter dem Deckmantel noch so "vernünftiger"<br />

Erziehungsziele! Denn we<strong>der</strong> die Verfügung über das <strong>Leben</strong> noch über die<br />

<strong>Leben</strong>swege <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> obliegt dem Pädagogen. Er hat vielmehr zu respektieren, daß<br />

<strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n das <strong>Leben</strong> selbst sich neu entfalten will. Gerade <strong>in</strong> unserer Zeit <strong>der</strong><br />

unsicher gewordenen Urteile darüber, was lebensbedeutsam ist, tun Erwachsene gut<br />

daran, <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n diese "Sehnsucht des <strong>Leben</strong>s nach sich selbst" neu zu entdecken<br />

<strong>und</strong> zu suchen.<br />

Durch dich -<br />

aber nicht von dir<br />

Die Sehnsucht nach dem K<strong>in</strong>d, nach dem "eigenen" K<strong>in</strong>d ist <strong>in</strong> vielen Erwachsenen<br />

heute groß <strong>und</strong> wach geworden. "Geplante" Mutterschaft, "bewußte" Elternschaft,<br />

"effektive" Bildung <strong>und</strong> Erziehung s<strong>in</strong>d Schlagworte <strong>der</strong> pädagogischen Alltagsszene.<br />

"Per se" sche<strong>in</strong>en Eltern, Lehrer <strong>und</strong> Erzieher autorisiert zu se<strong>in</strong> für das "Geschäft" <strong>der</strong><br />

Erziehung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Doch je höher die Erwartungen s<strong>in</strong>d, desto größer ist oft die<br />

Enttäuschung - <strong>und</strong> das nicht selten! - wenn sich K<strong>in</strong><strong>der</strong> "an<strong>der</strong>s" entwickeln, an<strong>der</strong>s<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> an<strong>der</strong>s leben wollen.<br />

Auch hier kann KAHLIL GIBRAN's Sentenz "durch dich, aber nicht von dir" e<strong>in</strong>e<br />

befreien-de E<strong>in</strong>sicht deutlich machen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d eben nicht "Produkte", die man<br />

"produziert" <strong>und</strong> dann zum Gebrauch <strong>und</strong> Verbrauch besitzt - sie s<strong>in</strong>d "nur zu Lehn<br />

genommen", vom <strong>Leben</strong> selbst. Die Enttäuschung über "mißratene" K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollte für<br />

Eltern <strong>und</strong> Erzieher immer auch Anlaß se<strong>in</strong>, darüber nachzudenken, was diese<br />

Enttäuschung immer an Ent-Täuschung be<strong>in</strong>-haltet. Allzuoft s<strong>in</strong>d es die eigenen<br />

79


Wünsche <strong>und</strong> Projektionen <strong>der</strong> Erwachsenen, die im Verhalten von K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht<br />

verwirklicht werden. Selbstverständlich s<strong>in</strong>d die Erwachsenen dann enttäuscht - <strong>und</strong><br />

man sollte nicht das K<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n sich selbst "an <strong>der</strong> Nase" nehmen. Jedenfalls ist<br />

auch dann, wenn Pädagogen me<strong>in</strong>en, doch "alles" für "ihr" K<strong>in</strong>d getan zu haben - <strong>und</strong><br />

dieses K<strong>in</strong>d sich an<strong>der</strong>s ("mißraten") verhält - eben nicht alles für "dieses" K<strong>in</strong>d getan<br />

worden, bestenfalls für e<strong>in</strong>e Ideal- o<strong>der</strong> Klischeevorstellung vom sogenannten<br />

"K<strong>in</strong>d".<br />

De<strong>in</strong>e Liebe geben,<br />

aber nicht de<strong>in</strong>e Gedanken<br />

Erziehen <strong>und</strong> Unterrichten hat im abendländischen Verständnis viel <strong>mit</strong> Intellekt <strong>und</strong><br />

Wissen zu tun. Die Entwicklung von Erziehungs- <strong>und</strong> Bildungsprogrammen g<strong>in</strong>g bis<br />

dah<strong>in</strong>, daß sich oft auch schon Gr<strong>und</strong>schulpädagogen fühlen wie e<strong>in</strong> perfekt vernetzter<br />

Roboter des Unterrichtens o<strong>der</strong> wie e<strong>in</strong> logistisch-kybernetisch perfekter Stratege des<br />

pädagogischen Handelns.<br />

Aber Lernen <strong>und</strong> Erziehen von lebendigen Menschen ist nie zu "erledigen" als<br />

Programmieren, als "Füttern" im Simme des "In-Put - Out-Put - Modells" <strong>mit</strong> fremdem<br />

Wissen.<br />

Wenn <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Bedeutung beim Lernen für den jungen Menschen anwesend se<strong>in</strong><br />

sollen, ist e<strong>in</strong>e ganzheitliche <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit im pädagogischen <strong>und</strong> unterrichtlichen<br />

Handeln zu verwirklichen. Nur e<strong>in</strong> "Depot" an Wissen <strong>und</strong> Können "e<strong>in</strong>lagern" zu<br />

wollen o<strong>der</strong> "auf Abruf" sicherstellen zu wollen, ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>humaner Denk- <strong>und</strong><br />

Handlungsansatz. Denn je<strong>der</strong> Lernprozeß wird - wenn er menschengerecht vollzogen<br />

wird - e<strong>in</strong> Akt des Lernenden selbst se<strong>in</strong> müssen - e<strong>in</strong> Akt, e<strong>in</strong>e Reflexion <strong>und</strong> Aktion<br />

von Menschen auf sich selbst <strong>und</strong> auf die<br />

Welt h<strong>in</strong>.<br />

Reformpädagogen aller Provenienz haben das immer wie<strong>der</strong> betont, so auch<br />

M.Montessori, wenn sie den jungen Menschen zum Erzieher sprechen läßt: "Hilf mir,<br />

es selbst zu tun!" Und für diese Hilfestellung ist von Erziehern mehr Liebe als<br />

Bevorm<strong>und</strong>ung, mehr Zuwendung als Zuschnitt, mehr Intuition als Kalkulation, mehr<br />

80


Liebe als Verstand gefor<strong>der</strong>t. Nur so kann <strong>der</strong> junge Mensch auch vom Eigen-<strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

zum Eigen-<strong>S<strong>in</strong>n</strong> geführt werden.<br />

Du kannst ihrem Körper e<strong>in</strong> Heim geben,<br />

aber nicht ihrer Seele<br />

Mit viel Liebe versuchen Eltern, Erzieher <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulpädagogen die Umgebung<br />

des K<strong>in</strong>des heimelig <strong>und</strong> heimisch zu gestalten. Kuschelecken <strong>in</strong> den Klassenzimmern<br />

von Gr<strong>und</strong>schulen erleben heute e<strong>in</strong>e Hochkonjuktur <strong>und</strong> die For<strong>der</strong>ung nach <strong>der</strong> sog.<br />

"Heimat-Orientierung" bestimmt wie<strong>der</strong> alle neueren Gr<strong>und</strong>schullehrpläne. Das<br />

Bedürfnis nach e<strong>in</strong>em Heim <strong>und</strong> Daheim hat <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch, <strong>der</strong> sich als e<strong>in</strong> <strong>in</strong>s<br />

Dase<strong>in</strong>"Geworfener" empf<strong>in</strong>det, beson<strong>der</strong>s stark.<br />

Doch die Seele <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> wohnt oft nicht im selben Haus wie die Seelen ihrer<br />

Betreuer. Sich selbst "orten" können, e<strong>in</strong>en Standpunkt f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> haben auf <strong>der</strong> Welt<br />

- das ist für K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute oft e<strong>in</strong> recht eigener <strong>und</strong> eigenwilliger Prozeß. K<strong>in</strong><strong>der</strong> bauen<br />

ihr <strong>Leben</strong>shaus als e<strong>in</strong> "Haus von Morgen, das du nicht besuchen kannst - nicht e<strong>in</strong>mal<br />

<strong>in</strong> ihren Träumen" - es sei denn, Erwachsene lassen sich von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n selbst dieses<br />

"Haus von Morgen" zeigen. Und ich me<strong>in</strong>e, daß das ganz beson<strong>der</strong>s für viele Fragen<br />

zur sogenannten Umwelterziehung gilt. Für e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nvollen Umweltschutz täten<br />

Erwachsene gut daran, von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu lernen - Wünsche, Ideen <strong>und</strong> Modelle von<br />

ihnen abzuholen, um das Haus <strong>der</strong> Zukunft zu bauen.<br />

Du kannst versuchen, ihnen gleich zu se<strong>in</strong>,<br />

aber nicht, sie dir gleich zu machen<br />

Dieses "Gleich-Se<strong>in</strong>" <strong>mit</strong> dem K<strong>in</strong>d kann wohl nicht bedeuten, daß sich Erwachsene<br />

regressiv <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dheit zurück "gebärden", wie das heute so manche<br />

psychologistischen Theorien <strong>und</strong> Therapieansätze postulieren. Auch geht es nicht an,<br />

daß Erwachsene e<strong>in</strong> naives, k<strong>in</strong>disches Verhalten an den Tag legen Geme<strong>in</strong>t ist wohl<br />

jene Art des "Werdet wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong>", die im biblischen Verständnis des Neues<br />

Testamentes das "Himmelreich" jenen zugesagt, die sich die Offenheit des "alles-von-<br />

Gott-Erwartens" als Gr<strong>und</strong>haltung ihres <strong>Leben</strong>s bewahren.<br />

81


Selbst <strong>in</strong> Sachbezügen <strong>und</strong> sachunterrichtlichen Strategien gilt, daß nicht nur<br />

Erwachsene die "objektive" Wahrheit f<strong>in</strong>den können. Es gilt, so zu unterrichten wie<br />

M. Wagensche<strong>in</strong> formulierte: "Mit dem K<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Sache aus, die für das K<strong>in</strong>d die<br />

Sache ist!". Das Denken <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> darf dem Denken <strong>der</strong> Erwachsenen nicht e<strong>in</strong>fach<br />

"gleich"gemacht werden. Die Individualität, die Freiheit des e<strong>in</strong>zelnen <strong>und</strong> die Freude<br />

am "Du bist e<strong>in</strong>malig" muß Erziehungsmotto se<strong>in</strong>.<br />

Das bedeutet auch, die ursprüngliche, spontane <strong>Leben</strong>sweise <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>smöglichkeit<br />

von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als Erwachsener zu sehen <strong>und</strong> so viel als möglich im Erwachsenenleben<br />

davon zu bewahren. Das Erziehen als "Heranziehen" o<strong>der</strong> gar "Heraufziehen" zu den<br />

Erwachsenen, wie es <strong>in</strong> manchen pädagogischen Begriffsanalysen steht, um e<strong>in</strong><br />

"Gleichmachen" <strong>mit</strong> dem Erwachsenen anzustreben, be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong> falsches<br />

Verständnis. Eher gilt das umgekehrte: "Werdet wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong>!" - auch da<strong>mit</strong> ihr<br />

erfahrt, daß "<strong>der</strong> Himmel nirgendwo endet", schon gar nicht auf <strong>der</strong> <strong>mit</strong> unseren<br />

<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> s<strong>in</strong>nvoll erfahrbaren Erde.<br />

Du bist <strong>der</strong> Bogen -<br />

laß de<strong>in</strong>e Bogenr<strong>und</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Schützen Freude bereiten<br />

Das Bild vom Erwachsenen Erzieher als "Bogen, von dem die K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Pfeile<br />

ausgeschickt werden", verweist e<strong>in</strong>erseits auf das Loslassenmüssen <strong>und</strong><br />

Loslassendürfen des K<strong>in</strong>des - an<strong>der</strong>erseits wird <strong>in</strong> diesem Bild auch anschaulich, daß<br />

es doch wichtig ist, wie die Eltern ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wie <strong>der</strong> Lehrer <strong>und</strong> Erzieher "se<strong>in</strong>e"<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> "<strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>ausschickt".<br />

Kahlil Gibran stellt <strong>in</strong> diesem Gleichnis den Bezug zur Bogenr<strong>und</strong>ung deutlich her:<br />

"Laß de<strong>in</strong>e Bogenr<strong>und</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Schützen Freude bereiten!" Der Schütze ist<br />

<strong>der</strong> Erwachsene selbst - er ist <strong>der</strong> Bogen. Der Schütze ist <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> allen <strong>Leben</strong>s -<br />

Gott. Eltern <strong>und</strong> Erziehern obliegt es, e<strong>in</strong>e "biegsame Bogenr<strong>und</strong>ung" zu se<strong>in</strong>:<br />

kraftvoll, spannungsgeladen sich führen-lassend vom "Schützen". Die oftmals<br />

gefor<strong>der</strong>te "Selbsterziehung des Erziehers", die Eigenbildung <strong>der</strong><br />

Lehrerpersönlichkeit" ist da<strong>mit</strong> auch angesprochen. Wichtig sche<strong>in</strong>t mir ebenso die<br />

da<strong>mit</strong> verb<strong>und</strong>ene Mahnung zur Bescheidenheit <strong>und</strong> die Mahnung zur Ehrfurcht vor<br />

82


dem Urgr<strong>und</strong> allen <strong>Leben</strong>s. Und man muß e<strong>in</strong>- sehen, daß diese Haltung <strong>der</strong> Ehrfurcht<br />

vor dem <strong>Leben</strong>digen nicht nur für das praktische, pädagogische Tun gilt, son<strong>der</strong>n auch<br />

e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>haltung bei wissenschaftlichen Zugangsweisen <strong>und</strong> Forschungsmethoden<br />

im pädagogischen Bereich se<strong>in</strong> müßte.<br />

Der Mensch, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>em <strong>Leben</strong> <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ihm <strong>in</strong>dividuell aufgetragenen<br />

Freiheitsgestalt <strong>S<strong>in</strong>n</strong> verleihen kann <strong>und</strong> soll, hat diesen Weg als E<strong>in</strong>zelner zu gehen,<br />

nur dann wird ihn die Menschheit als Ganzes auch wie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nvoll gehen können.<br />

<strong>S<strong>in</strong>n</strong>lich-s<strong>in</strong>nvoller <strong>Leben</strong>svollzug von e<strong>in</strong>zelnen Menschen br<strong>in</strong>gt auch die kulturelle<br />

Evolution wie<strong>der</strong> auf s<strong>in</strong>nvolle Pfade. Man muß "um den Preis des <strong>Leben</strong>s die<br />

Wirklichkeit des Se<strong>in</strong>s <strong>in</strong> die Waagschale legen", denn es gibt e<strong>in</strong>e "geme<strong>in</strong>same<br />

Verknotung von Wissenschaft, moral <strong>und</strong> Metaphysik. Jede Kritik des <strong>Leben</strong>s, die<br />

sich auf e<strong>in</strong>e unvollständige Erfahrung stützt, ist von gr<strong>und</strong>sätzlicher Unkompetenz.<br />

E<strong>in</strong> dünner Lichtstrahl reicht nicht aus, die ungeheuere Weite des praktischen <strong>Leben</strong>s<br />

zu erleuchten; das, was man sieht, zerstört nicht das, was man nicht sieht; <strong>und</strong> solange<br />

man die Aktion <strong>mit</strong> dem Gedanken noch nicht vollkommen verknüpfen konnte, noch<br />

auch das Gewissen <strong>mit</strong> dem Wissen, haben alle, sowohl Unwissende wie Philosophen<br />

wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong> Empirik die Pflicht gegenüber gelehrig, ja naiv gelehrig zu<br />

bleiben" (Blondel, (1898) 1965 S. 21).<br />

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RAHNER K.: Alltägliche D<strong>in</strong>ge. E<strong>in</strong>siedeln Benziger 1966<br />

RINGELNATZ J.: Ausgewählte Gedichte. Re<strong>in</strong>bek. Rowohlt 1952 S. 94<br />

ROTH H. (Hrsg.): Begabung <strong>und</strong> Lernen. Stuttgart Klett 1969<br />

RUMPF H.: "Mit fremden Blick" Stücke gegen die Verbie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt. We<strong>in</strong>heim/Basel.<br />

Beltz 1986<br />

RUMPF H.: Die übergangene <strong>S<strong>in</strong>n</strong>lichkeit. Drei Kapitel über die Schule. München Juventa<br />

1981<br />

TILMANN K.: Staunen <strong>und</strong> Erfahren als Wege zu Gott. E<strong>in</strong>siedeln Benziger 1969<br />

TOURNIER P.: Rückkehr zum Weiblichen. Werden Frauen unsere Welt wie<strong>der</strong> menschlicher<br />

machen. Freiburg/Basel/ Wien. Her<strong>der</strong> 1981<br />

WAGENSCHEIN M.: Pädagogische Dimensionen <strong>der</strong> Physik. Braunschweig. Westermann.<br />

1976<br />

WAGENSCHEIN M.: Er<strong>in</strong>nerungen für Morgen. E<strong>in</strong>e pädagogische Autobiographie.<br />

We<strong>in</strong>heim/Basel. Beltz 1983<br />

WALDENFELS B.: Das Problem <strong>der</strong> Leiblichkeit bei Merleau-Ponty. <strong>in</strong>: Petzold H.<br />

(Hrsg.) Leiblichkeit. Philosophische, gesellschaftliche <strong>und</strong> therapeutische Perspektiven.<br />

Pa<strong>der</strong>born. Junfermann. 1986<br />

WALDENFELS B.: In den Netzen <strong>der</strong> <strong>Leben</strong>welt. Frankfurt. Suhrkamp 1985<br />

WEIZSÄCKER C.Fr.v.: Das Experiment. Studium Generale I. Berl<strong>in</strong> 1947<br />

WEIZSÄCKER V.v.: Der Gestaltkreis. Theorie <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit von Wahrnehmen <strong>und</strong> Bewegen.<br />

Frankfurt. Suhrkamp 1973 (Orig<strong>in</strong>al 1940)<br />

ZIMMER K.: Das wichtigste Jahr. Die körperliche <strong>und</strong> seelische Entwicklung im ersten<br />

<strong>Leben</strong>sjahr München Kösel 1988²<br />

Bildnachweis<br />

Bei allen <strong>in</strong> diesem Buch wie<strong>der</strong>gegebenen Bil<strong>der</strong>n handelt es sich um Orig<strong>in</strong>aldokumente<br />

aus me<strong>in</strong>em Privatarchiv (<strong>und</strong> nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> gedruckten Ausgabe von 1990 aufgenommen)<br />

Zeitschriftenaufsätze<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Bildungs-Balance zwischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong><br />

E<strong>in</strong>e kritische Reflexion <strong>der</strong> Zeitläufe<br />

86


<strong>in</strong>: Jugend-Nachrichten. Zeitschrift des Bayerischen Jugendr<strong>in</strong>gs Nr. 9. 1999 S. 5f<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Abenteuer <strong>mit</strong> dem eigenen Leibe erfahren.<br />

Lehrer<strong>in</strong>nen berichten über ihre Erfahrungen im OIKOS-Park <strong>in</strong> München auf dem<br />

"Erfahrungsfeld zur Entfaltung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e".<br />

<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schule Nr. 11/1993, S. 30-33<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Wie man heute konkrete Erfahrungen gew<strong>in</strong>nen kann.<br />

E<strong>in</strong>ige Exempla zum Zusammenhang von <strong>Leben</strong>swelt <strong>und</strong> Schule heute.<br />

<strong>in</strong>: Pädagogische Welt Nr. 1/1992 S. 16 - 19<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

"Wieviel Erde braucht <strong>der</strong> Mensch?"<br />

<strong>Leben</strong>sphänomene auch <strong>in</strong><strong>mit</strong>ten unserer s<strong>in</strong>nes- <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nverarmten Gegenwartskultur wie<strong>der</strong><br />

wahrnehmen lernen.<br />

<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schule Nr. 5/1991, S. 12 - 14<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Mit den <strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong> auf <strong>der</strong> Suche nach dem <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />

<strong>in</strong>: Lehrerjournal 1990, H. 12, S. 51-58<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A. zusammen <strong>mit</strong> Studierenden<br />

Tasten <strong>mit</strong> Auge - Hand - Fuß als "Fühl-Erkennen"<br />

(Prävention <strong>und</strong> Intervention)<br />

<strong>in</strong>: Lehrerjournal 1990, H. 12. S. 55-58<br />

Herausgegebene Werke <strong>und</strong> Beiträge<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>nahe Bildungswege als aktuelle Bildungsaufgabe<br />

<strong>in</strong>: Pädagogik des Ästhetischen<br />

87


Herausgegeben von Biewer, Gottfried <strong>und</strong> Re<strong>in</strong>hartz, Petra<br />

Kl<strong>in</strong>khardt Verlag, Bad Heilbrunn 1997<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Zur Anthropologie <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e nach Hugo Kükelhaus<br />

<strong>in</strong>: "<strong><strong>S<strong>in</strong>n</strong>en</strong>reich". Vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong> e<strong>in</strong>er Bildung <strong>der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>e als kulturell-ästhetisches Projekt<br />

Herausgegeben von Wolfgang Zacharias<br />

Hagen - Kulturpolitische Gesellschaft e.V. / Essen - Klartext Verlag 1994<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Stichworte: "<strong>S<strong>in</strong>n</strong>liches Lernen", "Schulkultur"<br />

<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schule von A bis Z. Herausgegeben von D. Heckt / U. Sandfuchs<br />

Braunschweig Westermann 1993<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

"Wieviel Erde braucht <strong>der</strong> Mensch?" Lernchance s<strong>in</strong>n-lich leben<br />

<strong>in</strong>: Expedition '92. Aufbruch <strong>in</strong> neue Lernwelten 10. <strong>und</strong> 11. September 1992 im Gasteig,<br />

München (Dokumentation) Veranstaltet vom FWU Institut für Film <strong>und</strong> Bild <strong>in</strong> Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Unterricht geme<strong>in</strong>nützige GmbH. Unter <strong>der</strong> Schirmherrschaft <strong>der</strong> UNESCO <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Kommission <strong>der</strong> EG<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A. (Hsg.)<br />

<strong>Leben</strong>swerte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er (neuen) Schulkultur.<br />

96 S. Braunschweig, Westermann 1992<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

Tasten <strong>mit</strong> Auge - Hand - Fuß als "Fühl-Erkennen"<br />

Dokumente <strong>und</strong> bildungstheoretische Analyse<br />

<strong>in</strong>: Wie erkennen K<strong>in</strong><strong>der</strong>? Probleme <strong>und</strong> Perspektiven des Sachunterricht, 1<br />

Beiträge zur Arbeitstagung <strong>in</strong> <strong>der</strong> GDCP 1990<br />

Herausgegeben von W.Köhnle<strong>in</strong> / R.Lauterbach / K.Spreckelsen. IPN Kiel 1991<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.(Hsg.)<br />

Wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben lernen<br />

Band 1:<br />

E<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>n-liche Gegenwartspädagogik für Eltern <strong>und</strong> Schule.<br />

91 Seiten; 82 farbige u. 6 sw. Abbildungen 1990<br />

88


Band 2:<br />

E<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nennahe Umweltpädagogik für Eltern <strong>und</strong> Schule.<br />

111 Seiten, 27 farbige u. 87 sw. Abbildungen 1991 Donauwörth, Auer<br />

Bäuml-Roßnagl M.-A.<br />

<strong>Leben</strong>ss<strong>in</strong>n <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

Zur Erziehung von (Gr<strong>und</strong>schul-)K<strong>in</strong><strong>der</strong>n heute zwischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong>verlust <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong>f<strong>in</strong>dung.<br />

<strong>in</strong>: Gr<strong>und</strong>schulpädagogik. Wissenschafts<strong>in</strong>tegrierende Beiträge.<br />

Herausgegeben von A. Ortner / U. J. Ortner Donauwörth, Auer 1990<br />

89

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