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Das »Knut-Gefühl«<br />

Anmerkungen <strong>de</strong>r Autorin Silke Zertz<br />

»Und wir spielten und spielten und spielten, so dass es das<br />

reine Wun<strong>de</strong>r ist, dass wir uns nicht totgespielt haben«,<br />

schreibt Astrid Lindgren, eine, die bekanntlich sehr viel von<br />

Kin<strong>de</strong>rn verstan<strong>de</strong>n hat, über ihre eigene Kindheit auf <strong>de</strong>m<br />

smoländischen Bauernhof Näs. »Geborgenheit und Freiheit«,<br />

schreibt Lindgren, haben ihre Kin<strong>de</strong>rzeit so glücklich gemacht,<br />

glücklich genug um ein Leben lang <strong>de</strong>n Kopf »proppvoll<br />

mit I<strong>de</strong>en« zu haben und Kin<strong>de</strong>rphantasien weltweit mit<br />

ihren Geschichten zu beflügeln. Geborgen war sie in einer<br />

großen Gemeinschaft von Menschen und bei Eltern, die<br />

einan<strong>de</strong>r zärtlich zugetan waren. Freiheit erlebten sie und<br />

ihre Geschwister vor allem in <strong>de</strong>r Natur, einer Natur, die »die<br />

Tage umschloss und so intensiv erfüllte, dass man es als<br />

Erwachsener gar nicht mehr fassen kann.«<br />

Nun gut, sagen wir heute, das ist lange her, wozu jammern?<br />

Dieses Konzept von Kindheit ist <strong>für</strong> immer entschwun<strong>de</strong>n<br />

ebenso wie die Natur, in <strong>de</strong>r sie gelebt wur<strong>de</strong>, müßig es zu<br />

betrauern o<strong>de</strong>r zu romantisieren. Die Vielfalt <strong>de</strong>r Tiere, Bäume,<br />

Steine, Blumen, die tausend Gerüche, die Welt als Spielplatz,<br />

sicher, ihr Verschwin<strong>de</strong>n ist bedrückend – aber auch die<br />

kratzigen Wollstrümpfe sind weg, die bitterkalten Winter und<br />

gottlob! auch die Prügelstrafe, die verwanzten Betten, <strong>de</strong>r<br />

Hunger, das Elend.<br />

Gelegentlich seufzen wir noch, doch wir wehren uns nicht<br />

mehr dagegen, dass »Freiheit« <strong>für</strong> ein Kind im 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

allenfalls noch in virtuellen Welten existiert; im Autozeitalter<br />

fin<strong>de</strong>t Kindheit in simulierter Natur – auf Spielplätzen – statt,<br />

unter <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Eltern. In einer Welt <strong>de</strong>r Zeckensprays,<br />

<strong>de</strong>r Kontaktallergien und <strong>de</strong>r Sicherheitsverschlüsse ist kein<br />

kindliches Ent<strong>de</strong>ckertum möglich, und echte Geborgenheit,<br />

das Glück, sich selbst als Teil eines Systems zu empfin<strong>de</strong>n,<br />

hat die Gesellschaft an<strong>de</strong>rer Menschen zur Bedingung – auch<br />

und vor allem die Gesellschaft von an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rn. Eine<br />

historisch neue Einsamkeit macht sich im Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rarmut<br />

breit, eine Verarmung, die sich nicht mit Geld o<strong>de</strong>r<br />

Statistiken messen lässt, sie trifft uns in unserem Wesenskern.<br />

Das »Verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kindheit« ist oft konstatiert<br />

wor<strong>de</strong>n, oft diskutiert in Gesprächsrun<strong>de</strong>n, gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n<br />

letzten Jahren. Doch ja, allmählich fällt es uns auf, jetzt wo sie

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