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<strong>Kirchen</strong><strong>musikalische</strong> <strong>Mitteilungen</strong> Juli 2013<br />
Schwerpunktthema Gotteslob<br />
57<br />
O R G E L - L I E D B E G L E I T U N G<br />
„Es gibt zwei Dinge von lebenswichtiger<br />
Bedeutung, die ein Pianist lernen<br />
muß, ob er nun Solo-Pianist oder<br />
Begleiter sein möchte: erstens muß er<br />
lernen, sich selbst zuzuhören, und<br />
zweitens nochmals dasselbe.“ (S. 26)<br />
II. Beispiele<br />
Anhand einiger Lieder aus dem<br />
gemeinsamen Eigenteil der Diözesen<br />
Freiburg/Rottenburg-Stuttgart des neu -<br />
en Gotteslobs werden nun konkrete<br />
Vorgehensweisen zur Einstudierung<br />
von Liedsätzen aufgezeigt. Die Liedsatzbeispiele<br />
finden sich, mit Fingersätzen<br />
und weiteren Einzeichnungen<br />
versehen, im Anhang.<br />
1. Betonte Textsilben/Unbetonte Textsilben,<br />
Auswirkungen auf die Artikulation<br />
Das Lied „Erhabner Fürst der Ewigkeit“<br />
(Gl. Nr. 811) wird zum Fest Christi Himmelfahrt<br />
gesungen. In der ersten Strophe<br />
kommt im Text die Freude über die<br />
Auferstehung Christi zum Ausdruck.<br />
Das Metrum ist im ¾- Takt notiert, das<br />
Tempo des Liedes wird man tänzerisch<br />
und freudig nehmen, im punktierten<br />
Halbe-Puls. Dies bedingt von der Artikulation<br />
her eher eine „offene“, sehr<br />
„sprechende“ Spielweise. Die Registrierung<br />
wird man daher eher hell, mit<br />
prinzipalischen Stimmen, wählen. Im<br />
¾ Takt ist normalerweise die Eins<br />
betont, die Zwei und die Drei sind<br />
unbetont. So würde man damit die<br />
Noten auf der Zwei und Drei kürzen,<br />
die Noten auf der Eins möglichst lange<br />
aushalten. Eine weichenstellende<br />
Funktion im ¾- Takt hat jedoch die<br />
Zählzeit Drei. Sie kann auftaktig sein,<br />
und sollte dann von der Note davor<br />
und von der Note danach abgesetzt<br />
werden, sie kann aber auch abtaktig<br />
sein, dann sollte sie nur von der Note<br />
danach abgesetzt werden, an die Note<br />
davor aber dicht gespielt werden.<br />
Aufschluss über diese Betonungsverhältnisse<br />
gibt uns der Liedtext. So<br />
steht zum Beispiel in T. 1 auf der Drei<br />
die Endsilbe „-ner“des Wortes Erhabner,<br />
sie ist unbetont und gehört zum<br />
Wort davor, deswegen ist das f im<br />
Sopran auf der Drei sehr dicht an das g<br />
davor zu spielen (das gilt natürlich<br />
auch <strong>für</strong> die Unterstimmen), nach dem<br />
f muss aber deutlich abgesetzt werden,<br />
es kommt das neue Wort „Fürst“<br />
auf Zählzeit Eins. Gleichzeitig sollte<br />
der Akkord auf der Drei aber weich aus<br />
den Tasten genommen werden, damit<br />
er unbetont bleibt. Im folgenden, zweiten<br />
Takt ist die Schlagzeit Drei auftaktig<br />
(Text: der Ewigkeit), dieser Akkord<br />
sollte davor und danach abgesetzt<br />
werden. Diese Verhältnisse wechseln<br />
sich in diesem Lied schön ab und können<br />
hier gut geübt werden.<br />
In dem mit Fingersätzen versehenen<br />
Liedsatz sind die Zusammenhänge mit<br />
gestrichelten Linien dargestellt, sie<br />
zeigen die Zusammengehörigkeit der<br />
Noten an, sind aber keine Legatobögen.<br />
Wichtig ist hier natürlich wie immer die<br />
Kontrolle des Ohres (klingt mein Spiel<br />
so, wie ich es mir vorstelle). Eine<br />
zusätzliche Hilfe kann es sein, die Stelle<br />
zunächst zu singen, und danach zu<br />
spielen!<br />
In der vierten Strophe wird das Erbarmen<br />
Gottes angerufen. Hier ändert<br />
sich der Charakter des Liedes. Diese<br />
Strophe könnte man insgesamt dichter<br />
artikulieren und die Registrierung<br />
etwas leiser (dunkler) nehmen.<br />
„Der intelligente Sänger läßt sich vom<br />
KMD Rudolf<br />
Schäfer<br />
Text leiten und gestaltet jeden Vers –<br />
nach dessen Sinn – verschieden vom<br />
andern: durch leichte rhythmische Veränderungen,<br />
durch Abwechslung in der<br />
Phrasierung, Atmung und Dynamik.“<br />
Wie anregend <strong>für</strong> ihn ist es, wenn er<br />
spürt, daß auch sein Begleiter eifrig<br />
auf die wechselnden Bilder und Stimmungen<br />
des Gedichts eingeht (S. 23)<br />
2. Metrum des Taktes –<br />
Metrum des Textes<br />
Ebenfalls zum Fest Christi Himmelfahrt<br />
ist im Eigenteil des neuen Gotteslobs<br />
das Lied „Gen Himmel aufgefahren<br />
ist“ (Gl. Nr. 809) abgedruckt. In diesem<br />
Lied sind alle fünf Strophen vom Affekt<br />
der Freude erfüllt. Die Melodie steht im<br />
6/4-Takt, somit wären die Eins und die<br />
Vier im Takt betont.<br />
Auch hier ist ein tänzerisches Tempo<br />
angebracht (Puls: punktierte Halbe),<br />
wiederum mit einer „lebendig sprechenden“<br />
Artikulation und mit einer<br />
eher hellen, prinzipalischen Registrierung.<br />
Jedoch zeigt sich in diesem Lied schön<br />
deutlich, dass der angezeigte Takt<br />
nicht immer die metrischen Verhältnisse<br />
durch das komplette Lied hindurch<br />
beherrschen muss, sondern<br />
dass die Taktbetonung sich der Textbetonung<br />
unterwerfen muss.<br />
Schon im Auftakt ist es möglich, die<br />
Fünf im Takt zu betonen (hier steht die<br />
betonte erste Silbe des Wortes „Himmel“).<br />
Deswegen kann man hier gleich<br />
nach der ersten gespielten Note deutlich<br />
absetzen (zwischen c und d, alle<br />
vier Noten des ersten Akkords gleichzeitig<br />
wegnehmen). In Takt eins herrschen<br />
dann die Betonungsverhältnisse<br />
des Taktes, wobei in T. 2 sich die<br />
Verhältnisse wieder ändern, hier steht<br />
eine Hemiole, der Dreiertakt geht in<br />
einen Zweiertakt über. Die Silben<br />
„Hal“ und „lu“ des Wortes „Halleluja“<br />
sind betont, wobei die Silbe „Hal“ stärker<br />
betont werden sollte (also davor<br />
stärker abgesetzt werden sollte) als<br />
die Silbe „lu“, da sich auf ihr der melodische<br />
Höhepunkt des Liedes befindet.<br />
Die Betonungsverhältnisse der ersten<br />
drei Takte mit Auftakt entsprechen den<br />
letzten drei Takten mit Auftakt, das<br />
Lied ist symmetrisch aufgebaut. Wunderschön<br />
ist in diesem Lied mit der<br />
aufsteigenden Tonleiter über eine<br />
Oktave die Himmelfahrt Christi symbolisiert.<br />
„Der Tondichter beehrt uns, wie wir in<br />
den strophischen Liedern sehen, mit<br />
dem Vertrauen, daß wir ein wenig<br />
Phantasie besitzen. Diese können wir<br />
anwenden, wenn wir den Text sowie die<br />
Bezeichnungen des Komponisten kennen<br />
und dazu unsere eigenen intelligenten<br />
Ohren haben. Unser Maß <strong>für</strong><br />
die Tonwerte muß daher elastisch bleiben<br />
und sich, je nach Art der Musik, die<br />
wir spielen, verändern können. Und<br />
diese Tonwertskala ändert sich naturgemäß<br />
ebenfalls bei jedem Sänger, mit<br />
dem wir musizieren.“ (S. 36)