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nicht fürchten, son<strong>de</strong>rn vielmehr durch Obstruktion anläßlich <strong>de</strong>r Beratung<br />

<strong>de</strong>s Überweisungsverfahrens seine neuerliche Anwendung zu erzwingen fest<br />

entschlossen sind. Sie wollen und wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Beweis liefern, daß auch die<br />

Nachfolger <strong>de</strong>r Thun und Kaizl zu ihren Mitteln greifen müssen. Der Beweis<br />

wird leicht zu führen sein; aber er wird uns nichts Wichtiges lehren. Scha<strong>de</strong>,<br />

daß <strong>de</strong>n Jungtschechen <strong>de</strong>r Versuch, durch Unterstützung <strong>de</strong>s sozial<strong>de</strong>mokratischen<br />

Antrages <strong>de</strong>n § 14 aus <strong>de</strong>r Verfassung zu eliminieren, mißlungen ist.<br />

Denn dann hätte ihre Obstruktion das Verständnis <strong>de</strong>r politischen Lage auch<br />

<strong>de</strong>m Einsichtslosesten erschlossen. Das einfache — nicht durch <strong>de</strong>n § 14 verhüllte<br />

— Oktroi <strong>de</strong>s Ausgleichsrestes hätte wenigstens Klarheit darüber gebracht,<br />

daß wir gegenwärtig absolutistisch regiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Form und Inhalt <strong>de</strong>cken sich bei einer schlechten Politik so selten wie<br />

bei an<strong>de</strong>ren mißlungenen Werken. Dem Grafen Thun stand eine aktionsfähige<br />

Majorität zur Seite; und so lange noch ein Hauch konstitutionellen Lebens in<br />

diesem Staatskörper zu spüren war, konnte diese Majorität nicht gehin<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n, sich zur Geltung zu bringen. Eine obstruieren<strong>de</strong> Minorität hat im<br />

Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>s leersten Scheinkonstitutionalismus, in Ungarn, Erfolge erzielen<br />

können. In England ward sie mit Härte nie<strong>de</strong>rgeschlagen. Wir stan<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r<br />

Stufenleiter politischer Entwickelung nicht so hoch wie England, doch nicht<br />

so tief wie Ungarn. Die Obstruktion konnte bei uns im Parlament nicht besiegt<br />

wer<strong>de</strong>n, sie konnte aber auch nicht siegen. Da ward die Form <strong>de</strong>r Verfassung<br />

geopfert, damit ihr Inhalt lebe. Und durch die Anwendung, <strong>de</strong>s § 14 hat nunmehr<br />

die Majorität geherrscht.<br />

Freilich, man wird mir entgegenhalten: Worin hat <strong>de</strong>nn diese Majoritätsherrschaft<br />

ihren Ausdruck gefun<strong>de</strong>n? War die Durchführung eines Ausgleichs,<br />

<strong>de</strong>r die österreichische Volkswirtschaft so schwer schädigt, ein Interesse<br />

von Tschechen, Polen und klerikalen Deutschen? Aber wer so fragt,<br />

verkennt vollkommen, was in Österreich seit jeher Zweck und Erfolg parlamentarischer<br />

Majoritäten gewesen ist. Die Übermacht <strong>de</strong>r Krone hat hier<br />

dazu geführt, daß ein bestimmter Kreis von Fragen seit zwanzig Jahren <strong>de</strong>r<br />

Einwirkung <strong>de</strong>s Parlaments entzogen ward. Diese Fragen heißen in <strong>de</strong>r Terminologie<br />

unserer offiziösen Blätter, <strong>de</strong>ren auch die Organe <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Majorität und die <strong>de</strong>r gemäßigten Linken, <strong>de</strong>r sogenannten Staatsparteien,<br />

sich bedienen, »Staatsnotwendigkeiten«. Die Majorität hatte diese Staatsnotwendigkeiten<br />

einfach anzuerkennen, <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Monarchen <strong>de</strong>n parlamentarischen<br />

Ausdruck zu geben. Daneben aber ward ihr eine Anzahl von Gebieten<br />

zu ihrer Betätigung freigegeben. Und es ist charakteristisch für diesen<br />

langjährigen Zustand <strong>de</strong>s Halbkonstitutionalismus, daß <strong>de</strong>r wichtigste Teil<br />

<strong>de</strong>r Gerechtsame <strong>de</strong>r parlamentarischen Mehrheit ihr Einfluß auf die Zusammensetzung<br />

<strong>de</strong>r Beamtenschaft war. Während die Exekutive, die <strong>de</strong>n Willen<br />

<strong>de</strong>s Monarchen zu vollstrecken hatte, weite Gebiete <strong>de</strong>r Legislative arrogierte,<br />

wur<strong>de</strong> an<strong>de</strong>rerseits an die Legislative ein Teil <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>r Verwaltung<br />

übertragen. Die Gewalten vermischten sich, und dieses politische half-and-half<br />

galt als das Lebenselixier <strong>de</strong>s Konstitutionalismus.<br />

Das war <strong>de</strong>nn auch <strong>de</strong>r Geist, in <strong>de</strong>m das latente Majoritätsregime <strong>de</strong>s<br />

Grafen Thun geführt wur<strong>de</strong>. Warum ist also Thun gefallen? — Die vermeintlich<br />

siegreiche Minorität weiß dafür eine Erklärung, die sie höchlich befriedigt.<br />

Die Delegationswahlen, behauptet man, seien in Frage gestan<strong>de</strong>n, und<br />

<strong>de</strong>r § 14 habe kein Mittel geboten, über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen.<br />

Darum habe das Ministerium <strong>de</strong>s § 14 weichen müssen. Aber heute wird<br />

bereits von Abgeordneten <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Parteien zugestan<strong>de</strong>n — und man<br />

hat diese Behauptung <strong>de</strong>n vermuteten Absichten <strong>de</strong>r Jungtschechen gegen-<br />

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