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ine Anzahl niederösterreichischer Industrieller ... - Welcker-online.de

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E<br />

<strong>ine</strong> <strong>Anzahl</strong> <strong>nie<strong>de</strong>rösterreichischer</strong> <strong>Industrieller</strong> und fünfundzwanzig Aktiengesellschaften<br />

haben sich zusammengetan und ein politisches Programm<br />

aufgestellt, auf das zwei Herren in <strong>de</strong>n Städtebezirken Ba<strong>de</strong>n—Mödling<br />

und Wiener—Neustadt—Neunkirchen kandidieren. Damit ist in unser<br />

politisches Leben e<strong>ine</strong> wichtige Neuerung eingeführt wor<strong>de</strong>n: die politische<br />

Aktiengesellschaft. Schon bisher haben sich die Aktiengesellschaften nicht<br />

nur in ihrer Erwerbstätigkeit, son<strong>de</strong>rn auch national voneinan<strong>de</strong>r unterschie<strong>de</strong>n:<br />

tschechische Aktiengesellschaften haben <strong>de</strong>n »<strong>de</strong>utschen Besitzstand«<br />

fast ebenso oft wie <strong>de</strong>utsche Aktiengesellschaften <strong>de</strong>n tschechischen »bedroht«.<br />

Aber die <strong>de</strong>utschen Aktiengesellschaften waren, wenn auch tatsächlich,<br />

doch nicht offiziell »<strong>de</strong>utschfortschrittlich«, und die tschechischen waren<br />

we<strong>de</strong>r alt—, noch jungtschechisch gesinnt; sie dachten ganz »realistisch«,<br />

ohne aber darum auch nur im entferntesten mit Herrn Professor Masaryk zu<br />

sympathisieren. Das soll nun an<strong>de</strong>rs wer<strong>de</strong>n. Wer in Hinkunft e<strong>ine</strong> Aktie <strong>de</strong>r<br />

k. k. priv. Papierfabrik Schlöglmühl erwirbt, hat nicht nur 300 Kronen zu bezahlen<br />

und Aussicht auf vierprozentige Verzinsung, son<strong>de</strong>rn er erklärt sich<br />

damit zugleich als Gegner <strong>de</strong>s tschechischen Staatsrechtes und Zentralist.<br />

Wer am Börsenschranken, dort, wo die Aktien <strong>de</strong>r Teppichfabrik Philipp Haas<br />

& Söhne gehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, »ich nehm'« schreit, bekennt sich als Anhänger<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Staatssprache, und wer: »ich geb'« ruft, wird schwerlich <strong>de</strong>m<br />

Verdacht entgehen, er wolle als Freund <strong>de</strong>r tschechischen Obstruktion von e<strong>ine</strong>m<br />

Unternehmen, das jene so heftig bekämpft und auf das Pfingstprogramm<br />

schwört, nichts wissen. Wer in Pottendorfer Baumwollspinnerei—Aktien<br />

»fest« ist, <strong>de</strong>klariert damit stramm<strong>de</strong>utsche Gesinnung. Das Beispiel, das hier<br />

gegeben wur<strong>de</strong>, wird bald auch die an<strong>de</strong>ren österreichischen Aktiengesellschaften<br />

zur Nachahmung reizen; die Nuancen nationaler Gesinnung, durch<br />

die sich zwei Elektrizitätsgesellschaften unterschei<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n auf die Kursbewegung<br />

von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Einfluß sein, und wenn Siege <strong>de</strong>r Radikalnationalen<br />

aus Nordböhmen gemel<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n die Aktien <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mauthner—Gruppe<br />

angehören<strong>de</strong>n Montanunternehmungen fallen. Wie stellt sich<br />

die Alp<strong>ine</strong> Montangesellschaft zum Urteil im Prozeß Steinwen<strong>de</strong>r—Pacher?<br />

wird die erste Frage sein, auf die <strong>de</strong>r Abonnent <strong>de</strong>r 'Neuen Freie Presse' frühmorgens<br />

von se<strong>ine</strong>m Blatte Antwort verlangt.<br />

Da aber nun das Vorurteil, als hätte e<strong>ine</strong> juristische Person nur in Hinsicht<br />

auf <strong>de</strong>n Gesellschaftszweck e<strong>ine</strong>n Willen beseitigt ist, so ist nicht einzusehen,<br />

weshalb man in <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>s Tätigkeitsgebietes unserer Aktiengesellschaften<br />

bei <strong>de</strong>r Politik stehenbleiben sollte, in <strong>de</strong>r sie sich doch,<br />

solange nicht e<strong>ine</strong> Wahlreform uns e<strong>ine</strong> Kurie <strong>de</strong>r Aktiengesellschaften be-<br />

1


schert, nicht praktisch betätigen können. Wenn man erfahren hat, daß die Accumulatorenfabriks—Actiengesellschaft<br />

<strong>de</strong>utschliberal fühlt, so wird man<br />

auch wissen wollen, wie sie über Wagner'sche Musik, über Böcklins Bil<strong>de</strong>r<br />

und über Altenbergs Skizzen urteilt. Wer Pittener Papierfabriksaktien kauft,<br />

wird sich vorher vergewissern, wie das Unternehmen über <strong>de</strong>n Gegensatz<br />

zwischen Nietzsches und Tolstois Moral <strong>de</strong>nkt. Und kein guter Christ wird in<br />

Zukunft <strong>de</strong>m bürgerlichen Gesetzbuch glauben, das auch e<strong>ine</strong> Aktiengesellschaft,<br />

die sich zu Renans Ansichten über Religion bekennt, zu <strong>de</strong>n »moralischen<br />

Personen« rechnet.<br />

* * *<br />

Neulich wur<strong>de</strong>, da <strong>de</strong>r Eifer <strong>de</strong>r Herren Münz und Goldmann nicht mehr<br />

ausreicht, zum Preise Bülows <strong>de</strong>r Dichter Adolf Wilbrandt von <strong>de</strong>r 'Neuen<br />

Freien Presse' mobilisiert. Herr Wilbrandt lieferte e<strong>ine</strong>n fünf Spalten langen<br />

Leitartikel, in <strong>de</strong>m er die Weltpolitik, die Gattin, die Bibliothek und sonstige<br />

Vorzüge <strong>de</strong>s Reichskanzlers feierte. Und wie in Deutschland jetzt Gelehrte<br />

aus ihrer stillen Klause kriechen, um auf offenem Marktplatze sich für die<br />

Panzerflotte und e<strong>ine</strong>n Or<strong>de</strong>n einzusetzen, so entpuppte sich auch <strong>de</strong>r stille<br />

Poet von Rostock als Flottenschwärmer. »Wie viele Menschen mag er (Graf<br />

Bülow) wohl in Deutschland kennen,« — ruft Wilbrandt aus— »die so feurig,<br />

so ganz vom Herzen am <strong>de</strong>utschen Weltberuf hängen wie ich? O<strong>de</strong>r wie die<br />

junge Dame, von <strong>de</strong>r ich dieser Tage die Worte hörte: 'Ich möcht' ein großes<br />

Panzerschiff sein, damit ich me<strong>ine</strong>m Vaterlan<strong>de</strong> nützen könnte'?« Bei uns und<br />

im südlichen Deutschland hält man solch »uferlosen Plänen« gegenüber noch<br />

immer an <strong>de</strong>m beschei<strong>de</strong>nen Wunsche fest: »Wenn me<strong>ine</strong> Großmutter Rä<strong>de</strong>r<br />

hätte, so wäre sie ein Omnibus.«<br />

* * *<br />

Zur Affäre <strong>de</strong>s Herrn Barlovac (siehe Nr. 61) läßt sich die 'Neue Freie<br />

Presse' am 10. Dezember aus Rom mel<strong>de</strong>n, die Ernennung und Abberufung<br />

<strong>de</strong>s Herrn sei in Belgrad verfügt wor<strong>de</strong>n, »ohne irgen<strong>de</strong>in Zutun von Seite Italiens«.<br />

Natürlich, »abberufen« mußte Herrn Barlovac die serbische Regierung,<br />

da ihn die italienische nicht mochte. Aber Italien versichert eben, daß<br />

es auch an <strong>de</strong>r Ernennung <strong>de</strong>s Herrn Barlovac nicht die geringste Schuld<br />

trägt ...<br />

* * *<br />

»Die Vorstellungen e<strong>ine</strong>s Kaufmannes, Börsespekulanten, Bankiers sind<br />

notwendig ganz verkehrt.« In<strong>de</strong>m Herr Dr. Lecher <strong>de</strong>r Enquete über <strong>de</strong>n Getrei<strong>de</strong>—Terminhan<strong>de</strong>l<br />

diesen Ausspruch <strong>de</strong>s Karl Marx in Erinnerung brachte,<br />

hat er sie rechtzeitig an <strong>de</strong>n Zusammenhang zwischen Beruf und Meinung gemahnt.<br />

Aber dieser Zusammenhang erstreckt sich nicht nur auf wirtschaftliche<br />

Auffassungen. Se<strong>ine</strong>n stärksten Ausdruck fin<strong>de</strong>t er auf <strong>de</strong>m Gebiete <strong>de</strong>r<br />

Moral. Das ist e<strong>ine</strong>s <strong>de</strong>r größten Verdienste, die sich die nun been<strong>de</strong>te Enquete<br />

erworben hat, daß sie weiteren Kreisen das Verständnis für Börsenmoral<br />

eröffnete. Nicht als ob man etwa die Mitteilungen <strong>de</strong>r Börsengegner, auch <strong>de</strong>r<br />

besteingeweihten, wie <strong>de</strong>s Müllers Fuhrich, als Quellen solchen Verständnisses<br />

ansehen dürfte: nur aus <strong>de</strong>mjenigen, was die Börsenvertreter selbst über<br />

das Tun <strong>de</strong>r Börse berichten, und daraus, daß sie darin nichts Be<strong>de</strong>nkliches<br />

2


erblicken, wird <strong>de</strong>r Unbefangene sich zu schließen gestatten. Und sein Schluß<br />

wird lauten: Die Börsenautonomie muß beseitigt wer<strong>de</strong>n!<br />

Mit <strong>de</strong>r äußersten Zähigkeit verteidigen unsere Börsen seit Jahren ihre<br />

Schiedsgerichte. Als es sich bei Einführung <strong>de</strong>r neuen Zivilprozeßgesetze um<br />

die Einschränkung <strong>de</strong>r schiedsgerichtlichen Kompetenz und um vermehrte<br />

Garantien <strong>de</strong>r materiellen Rechtssicherheit han<strong>de</strong>lte, erklärten die Börsenvertreter<br />

diese For<strong>de</strong>rungen für schädlich; heute berufen sie sich auf die wohltätigen<br />

Wirkungen <strong>de</strong>r Reform, um weitere Reformen zu verhin<strong>de</strong>rn, und suchen<br />

naiven Gemütern aus <strong>de</strong>n Akten <strong>de</strong>r Schiedsgerichte die Vortrefflichkeit<br />

ihrer Rechtsprechung zu beweisen. Freilich können die Akten nichts davon erzählen,<br />

wie in Schiedsgerichtsprozessen durch unrichtige Rechtsbelehrungen<br />

Vergleiche erpreßt wer<strong>de</strong>n. Aber, e<strong>ine</strong>s beweisen sie immerhin: daß sich die<br />

Schiedsrichter an das gelten<strong>de</strong> Recht, an die Börsenusancen, vielfach nicht<br />

halten. Unglaublich, aber wahr: <strong>de</strong>m Vorwurfe, daß einzelne Börsenusancen<br />

die Interessen <strong>de</strong>r wirtschaftlich Schwächeren verletzen, ist <strong>de</strong>r Nachweis<br />

entgegengestellt wor<strong>de</strong>n, daß das Schiedsgericht <strong>de</strong>r Wiener Börse für landwirtschaftliche<br />

Produkte se<strong>ine</strong> Urteile zum großen Teil nicht nach Rechtsnormen,<br />

son<strong>de</strong>rn nach »Treu und Glauben« fällt, so gut die Herren diesen Begriff<br />

eben verstehen. Die Richter — rechtsunkundige Richter! — maßen sich das<br />

Amt von Gesetzgebern an, schaffen nach Gutdünken neue Verkehrssitten und<br />

verlangen, daß man diese Herrschaft <strong>de</strong>r Willkür als e<strong>ine</strong>n beson<strong>de</strong>ren Vorzug<br />

anerkenne. Ernsthafte Leute sollen zur Überzeugung gebracht wer<strong>de</strong>n, es<br />

könne ke<strong>ine</strong>n i<strong>de</strong>aleren Zustand geben, als daß heute ein Börsenrat A im Prozesse<br />

e<strong>ine</strong>s Börsenrates B, morgen Börsenrat B im Prozesse <strong>de</strong>s Börsenrates<br />

A Richter ist, daß <strong>de</strong>r einzige Jurist <strong>de</strong>r an diesen Verhandlungen mit beraten<strong>de</strong>r<br />

Stimme teilnimmt, ein von <strong>de</strong>n Börsenräten A und B angestellter und bezahlter<br />

Beamter ist, und daß die Urteile nicht nach präzisen Rechtsbestimmungen,<br />

son<strong>de</strong>rn nach Treu und Glauben gefällt wer<strong>de</strong>n. Die Herren<br />

Schiedsrichter mögen wohl treu ihrem Glaube an die Vortrefflichkeit dieser<br />

Zustän<strong>de</strong> bleiben; wenn sie dabei nicht selig wer<strong>de</strong>n, so wer<strong>de</strong>n sie doch wenigstens<br />

auf Er<strong>de</strong>n nicht zu Scha<strong>de</strong>n kommen.<br />

Jedoch die Rechtsprechung <strong>de</strong>r Börsenschiedsgerichte ist noch nicht<br />

<strong>de</strong>r Übel schlimmstes. Weit ärger sind die Ungehörigkeiten, die je<strong>de</strong>n Tag bei<br />

<strong>de</strong>r Kursfeststellung geschehen. Daß auch an <strong>de</strong>r Börse für landwirtschaftliche<br />

Produkte die Spannung zwischen Geld— und Warenkurs besteht, daß hier<br />

die Spannungen viel größer sind als bei <strong>de</strong>n Kursnotierungen <strong>de</strong>r Effektenbörse<br />

und daß darum <strong>de</strong>r »Schnitt« die reichsten Ernten erzielt, war schon vor<br />

<strong>de</strong>r Enquete männiglich bekannt. Haben doch die Wehrufe <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n fröhlichen<br />

Schnittern nie<strong>de</strong>rgemähten Opfer zur Einberufung <strong>de</strong>r Enquete geführt.<br />

Daß aber nicht bloß Kurse, bei <strong>de</strong>nen, wenn auch kein wirkliches Geschäft,<br />

doch Angebot o<strong>de</strong>r Nachfrage erfolgte, notiert wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn daß auch<br />

Kursnotierungen auf Grund bloßer Schätzung e<strong>ine</strong>s Herrn, <strong>de</strong>r vielleicht in<br />

<strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Ware gera<strong>de</strong> stark engagiert ist, vorkommen: davon erklärten<br />

sich selbst <strong>de</strong>r durchaus nicht börsenfeindliche Vertreter <strong>de</strong>s Justizministeriums<br />

und ein äußerst börsenfreundlicher Advokat peinlich überrascht. Nur<br />

Herr Börsenrat Schwitzer und se<strong>ine</strong> Kollegen glauben mit ihren Kursschätzungen<br />

e<strong>ine</strong>m Gebote <strong>de</strong>r Logik zu gehorchen und das Bild <strong>de</strong>r Marktlage zu<br />

»vervollständigen und klären«.<br />

Die Experten Fuhrich und Sand haben in <strong>de</strong>r Debatte über die Kursnotierungen<br />

(Protokoll VIII, 451 ff.) nicht verabsäumt, auch auf <strong>de</strong>n Zusammenhang<br />

zwischen Börsenschwin<strong>de</strong>l und Presse hinzuweisen. Die Tagesblätter begnügen<br />

sich ja durchaus nicht, die amtlichen Kursnotierungen zu bringen. Sie<br />

3


haben ihre Börsenberichterstatter, die noch private Mitteilungen über die<br />

Umsätze <strong>de</strong>s Tages verwerten, ohne daß irgendwelche Gewähr für die Richtigkeit<br />

dieser Informationen bestän<strong>de</strong>, die vielmehr häufig in <strong>de</strong>r Absicht, e<strong>ine</strong><br />

Hausse— o<strong>de</strong>r Baissebewegung hervorzurufen, gegeben wer<strong>de</strong>n. Sei's nun,<br />

daß <strong>de</strong>r Berichterstatter aus Dummheit — <strong>de</strong>r seltenste Fall — o<strong>de</strong>r, weil er<br />

von e<strong>ine</strong>m großen Spekulanten dafür bezahlt wird, o<strong>de</strong>r endlich — <strong>de</strong>r häufigste<br />

Fall — weil er selbst o<strong>de</strong>r sein Chef spekuliert, falsche Kurse bringt, in<br />

je<strong>de</strong>m Falle lei<strong>de</strong>n darunter die <strong>de</strong>r Börse nicht angehören<strong>de</strong>n Interessenten.<br />

Nicht min<strong>de</strong>r gefährlich aber als falsche Kurse sind die »Stimmungsberichte«.<br />

Theißweizen kostet 8 Gul<strong>de</strong>n. Der Zeitungsberichterstatter bemerkt dazu, je<br />

nach<strong>de</strong>m er Hausse— o<strong>de</strong>r Baissestimmung feststellen — in Wahrheit: machen<br />

— will: »starke Nachfrage« o<strong>de</strong>r »schwer anzubringen«. Daß unter <strong>de</strong>n<br />

österreichischen Zeitungen die 'Neue Freie Presse' die schändlichsten Berichte<br />

über die Börse für landwirtschaftliche Produkte bringt, ist wohl selbstverständlich;<br />

es wur<strong>de</strong> aber auch zu wie<strong>de</strong>rholten malen in <strong>de</strong>r Enquete nachdrücklich<br />

anerkannt.<br />

Und die Staatsaufsicht über die Börse? Der Börsenkommissar nimmt<br />

meistens, so haben wir erfahren, an <strong>de</strong>r Kursfeststellung teil. Meistens: also<br />

selten.<br />

*<br />

Von e<strong>ine</strong>m Getrei<strong>de</strong>händler, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wiener Börse angehört, erhalte ich<br />

e<strong>ine</strong> Zuschrift, in <strong>de</strong>r vorgeschlagen wird, die Regierung solle doch e<strong>ine</strong> Umfrage<br />

bei allen Börsenmitglie<strong>de</strong>rn — etwa durch Auflegung e<strong>ine</strong>s Fragebogens<br />

— veranstalten, wie sie sich zum Verbot <strong>de</strong>s Termingeschäftes stellen. Mit<br />

Ausnahme einiger weniger großen Spielerfirmen wer<strong>de</strong> je<strong>de</strong>rmann ein solches<br />

Verbot freudig begrüßen. Daß das Terminspiel <strong>de</strong>n schädlichsten Einfluß<br />

auf das Effektivgeschäft übe, wer<strong>de</strong> von sämtlichen Effektivhändlern anerkannt.<br />

Der Ausdruck Termingeschäft führe nur irre; es gebe in Wien nur ein<br />

Terminspiel, das es einigen Großspekulanten ermögliche, wenn nicht außeror<strong>de</strong>ntliche<br />

Ereignisse ihnen in die Quere kommen, die Getrei<strong>de</strong>preise, je nach<strong>de</strong>m<br />

ihre Engagements es ihnen wünschenswert ersche<strong>ine</strong>n lassen, »in die<br />

Höh' zu schreien« o<strong>de</strong>r »herunterzureißen« und so durch forciertes »Geben«<br />

o<strong>de</strong>r »Nehmen« auf Wochen, ja Monate hinaus <strong>de</strong>n Preis zu verfälschen. Daß<br />

die Mittelfirmen an diesem Spielertreiben teilnähmen, sei Notwehr; sie könnten<br />

nicht ruhig zusehen, wie einige Spekulanten einseitig Preise machen.<br />

Aber sie hofften, daß die Regierung durch das Verbot <strong>de</strong>s Terminhan<strong>de</strong>ls sie<br />

von diesem verhaßten und schädlichen Zwang zum Spielen befreien wer<strong>de</strong>.<br />

»Man muß«, schließt das Schreiben, »<strong>de</strong>m 'Monaco in <strong>de</strong>r Taborstraße' energisch<br />

zu Leibe gehen. Wenn dabei auch die Börsenlöwen laut brüllen: nur ke<strong>ine</strong><br />

Angst! Diese Löwen und Löwis haben ke<strong>ine</strong> Zähne und laufen bei Fackelschein<br />

feige davon.«<br />

* * *<br />

»Der Unterrichtsminister hat es unternommen, einige Übelstän<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>m Modus <strong>de</strong>r Ernennung und Transferierung von Hochschulprofessoren<br />

und Dozenten zu beheben und zunächst <strong>de</strong>m in dieser<br />

Beziehung seit jeher herrschen<strong>de</strong>n Protektionismus und Nepotismus<br />

entgegenzutreten. — In Rom!<br />

Der voranstehen<strong>de</strong> Satz ist nämlich e<strong>ine</strong>m italienischen Briefe in Nr. 45<br />

<strong>de</strong>r 'Wiener klinischen Rundschau' entnommen.<br />

4


* * *<br />

Herr Hofrat Khittel und Weihnachten.<br />

Geehrter Herr!<br />

In <strong>de</strong>r letzten Nummer <strong>de</strong>r 'Fackel' wun<strong>de</strong>rn Sie sich darüber, daß die<br />

Beamten und Manipulantinnen <strong>de</strong>r Salzgeschäftsabteilung <strong>de</strong>r k. k. Staatsbahndirektion<br />

Wien ke<strong>ine</strong> Weihnachtsremunerationen erhalten haben: Nun,<br />

wir Verkehrsbeamte <strong>de</strong>r Wiener Stationen und Lokalstrecken haben es schon<br />

lange aufgegeben, uns über so etwas zu entsetzen, da auch wir mit unseren<br />

berechtigten Ansprüchen auf e<strong>ine</strong> Weihnachtsgratifikation gründlich durchgefallen<br />

sind.<br />

Ich sehe Sie, geehrter Herr, schon wie<strong>de</strong>r ein erstauntes Gesicht machen:<br />

Verkehrsbeamte haben auch nichts bekommen? Ja, wer wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>nn<br />

dann eigentlich beteilt? Nun, Hofräte, Ober— und gewöhnliche Inspektoren,<br />

die Bürobeamten <strong>de</strong>r Zentralen usw. erhielten »Remunerationen für außeror<strong>de</strong>ntliche<br />

Dienstleistungen«, aber beileibe kein Verkehrsbeamter.<br />

Nun muß ich Ihnen aber verraten, daß die früher »Weihnachtsgratifikationen«<br />

genannten Geschenke von <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> an »Remunerationen<br />

für außeror<strong>de</strong>ntliche Dienstleistungen« heißen. Da ich Sie aber neuerdings<br />

erstaunt sehe, so bin ich schon gezwungen, Ihnen an <strong>de</strong>r Hand e<strong>ine</strong>s<br />

Beispieles die Berechtigung <strong>de</strong>r angeführten Bezeichnung nachzuweisen.<br />

Also <strong>de</strong>nken Sie sich gefälligst e<strong>ine</strong> vollbusige Manipulantin, die mit e<strong>ine</strong>m<br />

höheren Funktionär <strong>de</strong>r k. k. Staatsbahnen gut bekannt ist und die an e<strong>ine</strong>m<br />

hartnäckigen Magenübel lei<strong>de</strong>t. Das Lei<strong>de</strong>n nimmt <strong>de</strong>rartige Dimensionen<br />

an, daß sich die fürsorgliche k. k. Staatsbahndirektion über Verwendung<br />

<strong>de</strong>s zitierten Funktionärs veranlaßt sieht, <strong>de</strong>r Manipulantin e<strong>ine</strong> Unterstützung<br />

aus Betriebsmitteln zu gewähren, um die Arme in Stand zu setzen, ihrer<br />

schwer erschütterten Gesundheit durch e<strong>ine</strong>n Landaufenthalt wie<strong>de</strong>r aufzuhelfen;<br />

aber o Jammer, dieses Mittel wirkte so heftig, daß besagte Manipulantin<br />

ihren hohen Gönner am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Landaufenthaltes mit e<strong>ine</strong>m gesun<strong>de</strong>n<br />

Knäblein erfreuen konnte. E<strong>ine</strong> <strong>de</strong>rartige Leistung muß doch außeror<strong>de</strong>ntlich<br />

genannt wer<strong>de</strong>n, und es darf natürlicherweise niemand in Erstaunen setzen,<br />

daß jene Manipulantin auch mit e<strong>ine</strong>r Remuneration für außeror<strong>de</strong>ntliche<br />

Dienstleistung beteilt wur<strong>de</strong>.<br />

Die Verkehrsbeamten <strong>de</strong>r Wiener Lokalstrecken blicken bei solch erstaunlichen<br />

Leistungen beschämt auf ihre eigenen geringen Verdienste während<br />

<strong>de</strong>s Sommerverkehres und beugen in Demut ihr Haupt vor <strong>de</strong>r weisen<br />

Einsicht <strong>de</strong>s Hofrates Khittel, <strong>de</strong>r nur würdige Personen mit Remunerationen<br />

beteilen ließ.<br />

Ein Adjunkt.<br />

*<br />

Geehrter Herr!<br />

Wenn auch ke<strong>ine</strong> Remuneration, so erhielten die Verkehrsbeamten <strong>de</strong>r<br />

Wiener Lokalstrecke doch bis heuer e<strong>ine</strong> sogenannte Lokaldienstzulage o<strong>de</strong>r<br />

—Prämie.<br />

Im schlimmsten Falle fiel auf e<strong>ine</strong>n Beamten (ich me<strong>ine</strong> e<strong>ine</strong>n <strong>de</strong>r Parias;<br />

die an<strong>de</strong>ren fressen, so viel ihnen schmeckt) 20 Gul<strong>de</strong>n, ein gewiß beschei<strong>de</strong>ner<br />

Betrag, wenn er als Entschädigung für e<strong>ine</strong>n »Sommersaison«—<br />

Verkehrsdienst gelten soll.<br />

5


Heuer wur<strong>de</strong>n nur einige Stationen, diese aber wie<strong>de</strong>r nur in <strong>de</strong>r Weise<br />

bedacht, daß bloß die Dienstvorstän<strong>de</strong> und einzelne Wächter e<strong>ine</strong> Lokaldienstzulage,<br />

erstere von 50 Gul<strong>de</strong>n aufwärts bis zu e<strong>ine</strong>m kle<strong>ine</strong>n Haupttreffer,<br />

letztere im Durchschnitte von 8 Gul<strong>de</strong>n erhielten.<br />

Diese Dienstvorstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Lokalstrecken Wiens sind fast ausnahmslos<br />

Protektionskin<strong>de</strong>r, Söhne, Neffen höherer Eisenbahner, sind zumeist als vollkommene<br />

Ignoranten im Verkehrsdienste bekannt, üben, mit wenigen Ausnahmen,<br />

auch tatsächlich ke<strong>ine</strong>n exekutiven Dienst aus, son<strong>de</strong>rn dienen lediglich<br />

als Aufputz <strong>de</strong>r Stationen.<br />

Ist nun <strong>de</strong>m Herrn Hofrate Khittel die Art <strong>de</strong>r Verteilung jener Lokaldienstzulagen<br />

bekannt? Hat er an<strong>de</strong>rseits schon an <strong>de</strong>n traurigen Beginn se<strong>ine</strong>r<br />

eigenen Laufbahn bei <strong>de</strong>r »K. k.« gedacht? O<strong>de</strong>r glaubt er wirklich, daß<br />

nur jene zu existieren berechtigt sind, die ein Empfehlungsschreiben, von e<strong>ine</strong>r<br />

hohen Persönlichkeit gezeichnet, vorzeigen können?<br />

O<strong>de</strong>r bestreitet Herr Hofrat Khittel, daß er an Bewerber um e<strong>ine</strong> Stellung<br />

die stereotype Frage stellt: »Von wem wer<strong>de</strong>n Sie empfohlen?«<br />

Ein Verkehrsbeamter.<br />

*<br />

Geehrter Herr!<br />

Ke<strong>ine</strong> Remuneration, aber Disziplinaruntersuchung. E<strong>ine</strong> solche soll <strong>de</strong>n<br />

acht Nichtbeteilten in <strong>de</strong>r Salzgeschäftsabteilung angedroht sein, und die Armen,<br />

die jetzt vor <strong>de</strong>r nächsten Zukunft zittern, sind doch wahrhaftig an <strong>de</strong>r<br />

Publikation in <strong>de</strong>r 'Fackel' unschuldig.<br />

Das wissen Sie ebenso gut wie ich.<br />

Ihr Gewährsmann.<br />

*<br />

Geehrter Herr!<br />

Dank für die Vertretung <strong>de</strong>r Diurnisten und Manipulantinnen. Aber, was<br />

auf <strong>de</strong>r k. k. Staatsbahn (Hofrat Khittel) geschehen ist, geschieht auch alljährlich<br />

in <strong>de</strong>n Telegraphen— und hauptsächlich Telefonämtern. Heuer haben wir<br />

armen Telefonistinnen noch ke<strong>ine</strong> Gratifikation. Es heißt auch uns gegenüber,<br />

»<strong>de</strong>r Staat hätte nicht viel bewilligt«, und wir verdienen uns <strong>de</strong>n Gehalt von<br />

dreißig Gul<strong>de</strong>n sicher am schwersten.<br />

Mehrere Telefonistinnen.<br />

*<br />

Zu diesen Zuschriften habe ich nur zu bemerken, daß die stereotype<br />

Wendung, mit <strong>de</strong>r man arme Beamte abspeist: »Der Staat hat nicht so viel bewilligt———«<br />

e<strong>ine</strong>n unvollständigen Satz darstellt. Der österreichische Staat<br />

hat nämlich se<strong>ine</strong>n Beamten nicht so viel bewilligt wie se<strong>ine</strong>n Revolverjournalisten,<br />

die an <strong>de</strong>r Regierungskrippe sitzen und vor und nach Weihnachten Remunerationen<br />

für außeror<strong>de</strong>ntliche Dienstleistungen beziehen.<br />

6


Ich erhalte die folgen<strong>de</strong> Belästigung:<br />

Auf Grund § 19 P. G. for<strong>de</strong>re ich Sie auf, die nachstehen<strong>de</strong> tatsächliche<br />

Berichtigung in <strong>de</strong>r 'Fackel' abzudrucken, und zwar an<br />

<strong>de</strong>rselben Stelle und in <strong>de</strong>rselben Schriftgattung, in welcher <strong>de</strong>r<br />

zu berichtigen<strong>de</strong> Artikel erschienen ist: »Der in <strong>de</strong>r periodischen<br />

Druckschrift 'Die Fackel' (Nr. 60, Seite 14 u. 15) enthaltene Artikel<br />

behauptet, daß die 'Sonn— und Montags—Zeitung, nur aus<br />

<strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> gegen das Unternehmen Barnum & Bailey schreibt,<br />

weil se<strong>ine</strong> Inserate ihr nicht zugewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Diese Behauptung<br />

ist vollständig unwahr. Wahr vielmehr ist, daß die 'Fackel'<br />

selbst diese Unwahrheit konstatiert, in<strong>de</strong>m sie im »Nachtrag« zu<br />

<strong>de</strong>m in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Artikel Folgen<strong>de</strong>s schreibt: »Nachtrag. Ich<br />

habe <strong>de</strong>m alten Kämpfer Unrecht getan. Soeben mel<strong>de</strong>t man mir,<br />

daß nicht das Ausbleiben e<strong>ine</strong>s Inserates Scharf zum Angriff auf<br />

Herrn Baileys Unternehmen getrieben hat, son<strong>de</strong>rn ein re<strong>ine</strong>res<br />

Motiv. Die »Elektrische Glühlampenfabrik Watt, Scharf & Co.«<br />

hatte sich zur Beleuchtung <strong>de</strong>s Rotun<strong>de</strong>nraumes in zuvorkommendster<br />

Weise bereit erklärt, ihr Offert wur<strong>de</strong> aber von e<strong>ine</strong>r<br />

verblen<strong>de</strong>ten Zirkusdirektion, die die verwandtschaftlichen Beziehungen<br />

zwischen »Watt« und <strong>de</strong>r 'Sonn— und Montagszeitung'<br />

ignorieren zu können glaubte, abgelehnt.« Auch diese zweite Behauptung<br />

ist vollinhaltlich unwahr. Wahr ist vielmehr, daß die<br />

»Elektrische Glühlampenfabrik Watt, Scharf & Co.« niemals e<strong>ine</strong><br />

Offerte zur Beleuchtung <strong>de</strong>s Rotun<strong>de</strong>nraumes Herrn Bailey gestellt<br />

hat, daher e<strong>ine</strong> solche auch nicht abgelehnt wer<strong>de</strong>n konnte;<br />

wahr vielmehr ist ferner, daß die genannte Fabrik schon <strong>de</strong>shalb<br />

gar nicht in <strong>de</strong>r Lage war, e<strong>ine</strong> solche Offerte zu stellen, weil <strong>de</strong>r<br />

Rotun<strong>de</strong>nraum mit Bogenlampen beleuchtet wird, die »Elektrische<br />

Glühlampenfabrik Watt, Scharf & Co.« aber ausschließlich<br />

Glühlampen erzeugt, wie dies schon im Wortlaute dieser Firma<br />

klar und <strong>de</strong>utlich ausgedrückt ist.<br />

Alexan<strong>de</strong>r Scharf.<br />

Der § 19 ist geduldig, aber wenn ich se<strong>ine</strong>m Mißbrauch e<strong>ine</strong>n amüsanten<br />

Beitrag für die 'Fackel' verdanke, so habe ich nichts dagegen. Nach <strong>de</strong>r<br />

üblichen Versicherung — man kann sie <strong>de</strong>m ungläubigen Leser nicht oft genug<br />

wie<strong>de</strong>rholen —, daß im Berichtigungsverfahren <strong>de</strong>r Wahrheitsbeweis ausgeschlossen<br />

ist, möchte ich die Zuschrift <strong>de</strong>s Herrn Scharf auch noch formal<br />

beanstan<strong>de</strong>n und nachweisen, daß hier ke<strong>ine</strong> gesetzliche Verpflichtung zur<br />

Aufnahme vorlag, da Herr Scharf sich nicht darauf beschränkt, me<strong>ine</strong> Behauptungen<br />

zu berichtigen, son<strong>de</strong>rn in launiger Weise mich gegen mich selbst<br />

ausspielen möchte. Je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn Leser war es klar, daß ich mit <strong>de</strong>m »Nachtrag«<br />

nicht die Wirkung <strong>de</strong>s Voranstehen<strong>de</strong>n aufheben, son<strong>de</strong>rn vermehren<br />

wollte und nur ironisch Herrn Scharf von <strong>de</strong>r Rache wegen e<strong>ine</strong>s Inserates<br />

freisprach, um ihn <strong>de</strong>r Rache wegen <strong>de</strong>r Glühlampen zu beschuldigen. Hätte<br />

ich wirklich eingesehen, daß ich e<strong>ine</strong> »Unwahrheit« behauptet, so hätte ich<br />

sie doch nicht stehen lassen, son<strong>de</strong>rn mich mit <strong>de</strong>m Inhalt <strong>de</strong>s »Nachtrags«<br />

begnügt. Aber ich wollte eben an<strong>de</strong>uten, daß man bei Herrn Scharf nicht um<br />

»Motive« für se<strong>ine</strong> publizistische Betätigung verlegen zu sein braucht: Vorenthaltene<br />

Inserate o<strong>de</strong>r vorenthaltene Glühlampen ... Denn daß <strong>de</strong>r Rotun<strong>de</strong>nraum<br />

mit Bogenlampen beleuchtet ist, tut gar nichts zur Sache. Der<br />

Rotun<strong>de</strong>nraum hätte eben auch von Glühlampen beleuchtet sein können, und<br />

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hat zahlreiche Nebenräume, in <strong>de</strong>nen sicherlich Glühlampen verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Wenn Herr Scharf konstatiert. daß <strong>de</strong>r Zirkus von Bogenlampen beleuchtet<br />

wird, so scheint gera<strong>de</strong> aus dieser Mitteilung etwas wie die wehmütige Resignation<br />

e<strong>ine</strong>s Mannes zu sprechen, <strong>de</strong>r sich mit e<strong>ine</strong>r Situation vertraut<br />

gemacht und gesehen hat, daß an ihr nichts zu verdienen war; daß Herr<br />

Scharf an »Watt« interessiert ist, gibt er ja selbst zu.<br />

Ich sagte schon, daß man bei Herrn Scharf um Motive nicht verlegen<br />

ist. Das »verweigerte Inserat« gefällt ihm nicht; die »nicht abgesetzten<br />

Glühlampen« gefielen ihm auch nicht. Also — ohne daß ich die Wirksamkeit<br />

dieser bei<strong>de</strong>n Motive bestreite — ein drittes:<br />

Der »Herausgeber <strong>de</strong>r 'Sonn— und Montagszeitung« hat Feuerlärm geschlagen,<br />

und er hat es glücklich zu <strong>de</strong>m kürzlich in Wien verbreiteten Gerücht<br />

gebracht, daß die Rotun<strong>de</strong> — es war lei<strong>de</strong>r nur ein Haus in <strong>de</strong>r Leopoldstadt<br />

— in Flammen stehe. Aber fast mehr noch als über <strong>de</strong>n<br />

Pauschalienverlust grollt Herr Scharf über die Vereitlung se<strong>ine</strong>s Racheplans.<br />

Den Barnum & Bailey ist er nicht gewachsen. Die Artikel <strong>de</strong>r 'Sonn— und<br />

Montagszeitung' sind wirkungslos geblieben, weil die gut pauschalierten Tagesblätter,<br />

durch Extra—Gratifikationen zu <strong>de</strong>n höchsten Leistungen angespornt,<br />

die Rotun<strong>de</strong> für min<strong>de</strong>stens ebenso feuersicher wie die Panzerkassen<br />

von Barnum & Bailey erklärten. Und auch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Angriff <strong>de</strong>s Herrn<br />

Scharf ward siegreich zurückgeschlagen.<br />

Die Leser <strong>de</strong>r 'Sonn— und Montagszeitung' wissen nichts von e<strong>ine</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

Angriff. Ich aber lege Wert darauf, daß man Herrn Scharf, da er sich<br />

nun einmal bei <strong>de</strong>r 'Fackel' zu Gast gela<strong>de</strong>n, hier genau betrachte.<br />

Barnum & Bailey versichern ihre Objekte, wohin immer sie kommen bei<br />

<strong>de</strong>r North British and Mercantile Insurance Company in London. In Wien hat<br />

diese Versicherungsgesellschaft e<strong>ine</strong> Filiale im I. Bezirke, Gonzagagasse 15.<br />

Die Rotun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> durch die österreichische Repräsentanz besichtigt, die<br />

Einrichtungen, die Barnurn & Bailey machen ließen, überwacht; das Urteil<br />

lautete: die Rotun<strong>de</strong> sei als »erstklassiges Objekt« zur Versicherung zu empfehlen.<br />

Aber bald nachher erschienen die Feuerlärmartikel <strong>de</strong>r 'Sonn— und<br />

Montagszeitung' und flößten, während die gesamte übrige Öffentlichkeit ihrer<br />

nicht achtete, <strong>de</strong>r pflichtgemäß ängstlichen Generalrepräsentanz <strong>de</strong>r North<br />

British Insurance Company lebhafte Beunruhigung ein. Sie unternahm <strong>de</strong>nn<br />

auch e<strong>ine</strong>n ganz ungewöhnlichen Schritt. Zunächst wen<strong>de</strong>te sie sich an das<br />

Han<strong>de</strong>lsministerium, <strong>de</strong>m die Rotun<strong>de</strong>nverwaltung untersteht, um es auf die<br />

Gefährlichkeit <strong>de</strong>r Zustän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Rotun<strong>de</strong> aufmerksam zu machen. Dann<br />

aber legte sie <strong>de</strong>r Unternehmung Barnum & Bailey e<strong>ine</strong> Reihe von Nachtragsbestimmungen<br />

vor, die angenommen wer<strong>de</strong>n müßten, wenn <strong>de</strong>r Versicherungsvertrag<br />

aufrecht bleiben solle. Ein solches Vorgehen schien <strong>de</strong>n Barnum<br />

& Bailey vexatorisch. Wer war <strong>de</strong>nn dieser erst so sichere und plötzlich so<br />

ängstliche österreichische Repräsentant? Im 'Lehmann' heißt es: »Repräsentant<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft in Wien ist Alexan<strong>de</strong>r Scharf, welcher die Firma <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

in <strong>de</strong>r Weise zeichnet, daß er unter <strong>de</strong>ren Wortlaut se<strong>ine</strong>n Namen<br />

'Scharf' beisetzt«. Die Seele <strong>de</strong>s Alexan<strong>de</strong>r Scharf <strong>de</strong>r I., Gonzagagasse 15,<br />

die North British Insurance Company repräsentiert, wohnt aber in <strong>de</strong>rselben<br />

Brust, wie jene <strong>de</strong>s Alexan<strong>de</strong>r Scharf, <strong>de</strong>r IX., Kolingasse 20, die 'Sonn— und<br />

Montagszeitung' herausgibt. Und diese bei<strong>de</strong>n Seelen hatten sich offenbar<br />

aufs beste vertragen: Der gekränkte Zeitungsherausgeber Scharf hatte die<br />

genaue Kenntnis <strong>de</strong>s Versicherungsagenten von <strong>de</strong>n baulichen Einrichtungen<br />

in <strong>de</strong>r Rotun<strong>de</strong> benutzt, um e<strong>ine</strong>n Artikel für die 'Sonn— und Montagszeitung'<br />

zu verfassen, und <strong>de</strong>r vorsichtige Versicherungsagent Scharf hatte jenen Arti-<br />

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kel benützt, um <strong>de</strong>n Barnum & Bailey einige Nachtragsbestimmungen zum<br />

Versicherungsvertrag abzuzwacken. Aber <strong>de</strong>r Streich mißlang. Das Zirkusunternehmen<br />

ging die Zentrale <strong>de</strong>r Versicherungsgesellschaft in London an, und<br />

Herrn Scharfs For<strong>de</strong>rungen wur<strong>de</strong>n zurückgezogen. Und er hatte doch die<br />

Sache so fein eingefä<strong>de</strong>lt: Im ersten Vertragsformular, das er vorlegte, fin<strong>de</strong>t<br />

sich <strong>de</strong>r Name »Scharf«; aber obwohl dieser Name, da doch <strong>de</strong>r Titel »Herausgeber<br />

<strong>de</strong>r 'Sonn— und Montagszeitung'« nicht dabeisteht, schwerlich auf<br />

e<strong>ine</strong> Spur führen konnte, zog Herr Scharf es vor, das Formular <strong>de</strong>s zweiten<br />

Vertrages von zwei Herren, die neben ihm das Firmierungsrecht haben, zeichnen<br />

zu lassen. Wehmütig muß Herr Scharf jetzt eingestehen, daß er <strong>de</strong>r Amerikanerschlauheit<br />

nicht gewachsen ist.<br />

Nachtrag. Alexan<strong>de</strong>r Scharf ist doch nicht so ganz <strong>de</strong>r blamierte Europäer.<br />

Er hat freilich die Inserate nicht bekommen, se<strong>ine</strong> Lampen nicht abgesetzt<br />

und mit <strong>de</strong>m Versicherungsvertrag Pech gehabt. Aber ein Verlangen soll<br />

<strong>de</strong>m Repräsentanten <strong>de</strong>r North British Insurance bewilligt wor<strong>de</strong>n sein: Er<br />

soll von Barnum & Bailey drei Passepartouts für die Rotun<strong>de</strong> gefor<strong>de</strong>rt haben,<br />

um <strong>de</strong>ren Feuersicherheit kontrollieren zu können, und mit diesen Passepartouts<br />

können jetzt die Redakteure <strong>de</strong>r 'Sonn— und Montagszeitung' zu <strong>de</strong>n<br />

Vorstellungen in <strong>de</strong>r Rotun<strong>de</strong> gehen.<br />

DAS REKLAME—DRAMA.<br />

Unsere Tagespresse hat bekanntlich seit einiger Zeit e<strong>ine</strong>n be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n<br />

Fortschritt in intellektueller Hinsicht zu verzeichnen. Lange konnte man ihr<br />

mit Recht vorwerfen, daß sie, ihren nächsten Beruf, die ruhige Berichterstattung<br />

über die Geschehnisse <strong>de</strong>s Tages, verachtend, vielmehr die Allüren e<strong>ine</strong>r<br />

Seherin annahm, die in hochtönen<strong>de</strong>n Worten Entwicklungen von I<strong>de</strong>en, Gestaltungen<br />

<strong>de</strong>r Zukunft vorherzusagen und ihre Leser nach diesen Ansichten<br />

zu gängeln sich vermaß. Das ist nun an<strong>de</strong>rs gewor<strong>de</strong>n. Zwar, in hochtönen<strong>de</strong>n<br />

Worten wird noch gesprochen. Und es wer<strong>de</strong>n nach wie vor auch Themen berührt,<br />

<strong>de</strong>ren tiefere Erfassung <strong>de</strong>m Tagschreiber gemeinhin verschlossen<br />

bleibt; man liest noch Entrefilets über die letzten Fragen <strong>de</strong>r Philosophie, kle<strong>ine</strong><br />

Feuilletons über die Bestimmung <strong>de</strong>s Menschen und Lokalnotizen über die<br />

wahre Natur <strong>de</strong>r Ehe. Aber, um wieviel konziser, um wieviel konkreter ist<br />

man gewor<strong>de</strong>n! Wie strebt doch alles, selbst das ansche<strong>ine</strong>nd weitläufigste,<br />

nach e<strong>ine</strong>m realen Zweck! Gewiß, die Frage, ob die monistische o<strong>de</strong>r die dualistische<br />

Weltanschauung vorzuziehen sei, wird noch sehr breit und abstrakt<br />

erörtert. Aber zum Schlusse <strong>de</strong>r Abhandlung heißt es darin doch in erfrischen<strong>de</strong>m<br />

Realismus: »Ob Sie nun mehr zur monistischen o<strong>de</strong>r zur dualistischen<br />

Weltanschauung neigen, Sie wer<strong>de</strong>n auf je<strong>de</strong>n Fall gut tun, Ihre Le<strong>ine</strong>nunterwäsche<br />

von <strong>de</strong>r Firma 'Huber und Weltner' zu beziehen.« O<strong>de</strong>r als<br />

Ausklang e<strong>ine</strong>r Plau<strong>de</strong>rei über die mo<strong>de</strong>rne Ehe: »Ob man nun die kirchliche<br />

9


Einsegnung o<strong>de</strong>r freies Zusammenleben vorziehe, hierüber läßt sich billig<br />

streiten. E<strong>ine</strong> Stimme aber herrscht darüber, daß <strong>de</strong>r Herzensbund jener Paare,<br />

die ihr gesamtes Ameublement bei 'Kampfmeyer & Co.' effektuieren lassen,<br />

sich als <strong>de</strong>r dauerhafteste erweist.« O<strong>de</strong>r über die Bestimmung <strong>de</strong>s Menschen:<br />

»Wohin wir gehen, wissen wir also nicht. Wenn wir aber gehen,<br />

brauchen wir tüchtiges Schuhwerk, und das bekommen wir halb geschenkt<br />

bei etc. etc. ... « Auch die Lyrik ist realistischer gewor<strong>de</strong>n. Früher nahm sie<br />

zum Vorwurfe oft <strong>de</strong>n Mond, <strong>de</strong>n Frühling, die Liebe; jetzt besingt sie in unseren<br />

Tagesblättern häufiger Königs—Paprika, Glanz—Schuhwichse, wenn's<br />

hoch kommt, ein antiseptisches Mundwasser. Die Dichter sind's zufrie<strong>de</strong>n.<br />

Man liest sie jetzt häufiger, und die Paprikahändler zahlen, was man von <strong>de</strong>n<br />

Verlagsbuchhändlern nur in vereinzelten Fällen behaupten konnte. Die Lyriker<br />

wer<strong>de</strong>n jetzt auch eher in <strong>de</strong>n Tagesblättern gedruckt. Bei <strong>de</strong>nen ist<br />

schlechte Lyrik sehr gesucht, wenn sie <strong>de</strong>r Administration gut bezahlt wird.<br />

Nur ein Gebiet hat bis jetzt <strong>de</strong>m mächtig drängen<strong>de</strong>n Zuge <strong>de</strong>r Zeit wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n:<br />

das Drama. Die Firmen, die bisher Stücke zur Aufführung bringen<br />

ließen, gehörten noch regelmäßig <strong>de</strong>r Branche <strong>de</strong>r dramatischen Autoren<br />

an und arbeiteten auf eigenes Risiko. Das soll nun an<strong>de</strong>rs wer<strong>de</strong>n. Die weltberühmte<br />

'Chocola<strong>de</strong>n— und Schuhwarenfabriks—Frma J. Corti & Comp. in<br />

Simmering hat e<strong>ine</strong>n <strong>de</strong>r renommiertesten vaterländischen Autoren ausschließlich<br />

für ihre Zwecke unter glänzen<strong>de</strong>n Bedingungen engagiert, mit <strong>de</strong>r<br />

Verpflichtung, ihr alljährlich ein die Verdienste <strong>de</strong>r Firma würdigen<strong>de</strong>s Reklamedrama<br />

zu liefern. Für die Aufführungen wur<strong>de</strong> vom Chef <strong>de</strong>s Hauses Corti<br />

das »Deutsche Volkstheater« — als die vornehmste Bühne <strong>de</strong>r Resi<strong>de</strong>nz, die<br />

in <strong>de</strong>n Werken von H. Bahr u. a. schon ein <strong>de</strong>m Reklamedrama nahestehen<strong>de</strong>s<br />

Genre gepflegt hat — in Aussicht genommen.<br />

Das erste Drama <strong>de</strong>r Firma liegt <strong>de</strong>m Schreiber dieser Zeilen bereits<br />

vor. Es erscheint erwähnenswert, daß Corti & Comp. die dichterische Freiheit<br />

<strong>de</strong>s Autors in ke<strong>ine</strong>r Weise beschränken wollten. Nur drei aristotelische For<strong>de</strong>rungen<br />

stellten sie: Im Vor<strong>de</strong>rgrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Handlung sollte womöglich ein<br />

Hinterhaus, im Hintergrun<strong>de</strong> ein Vor<strong>de</strong>rhaus stehen; die Hauptpersonen sollten<br />

ihre tiefsten Gemütserregungen nicht durch Worte, son<strong>de</strong>rn durch unartikulierte<br />

Laute, durch Rülpsen, Brummen o<strong>de</strong>r Fauchen kundgeben; endlich<br />

sollte <strong>de</strong>r Autor alles, was er zu sagen habe, schon im ersten Akte entwickeln,<br />

<strong>de</strong>r auch die höchste Spannung erwecken müsse, während in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Akten nichts vorzugehen brauche. Es ist klar, daß diese drei For<strong>de</strong>rungen von<br />

<strong>de</strong>r Firma nicht aus Geschäftsinteresse, son<strong>de</strong>rn nur in <strong>de</strong>r Absicht gestellt<br />

wur<strong>de</strong>n, es möchten die aus ihrer Fabrik hervorgegangenen Dramen <strong>de</strong>n gemeiniglich<br />

als »mo<strong>de</strong>rn« bezeichneten und gepriesenen dramatischen Werken<br />

in je<strong>de</strong>m Betracht gleichen. Dagegen wur<strong>de</strong> allerdings im Interesse <strong>de</strong>r Firma<br />

<strong>de</strong>r Wunsch ausgesprochen, es möge die entschie<strong>de</strong>n fortschrittliche Gesinnung<br />

<strong>de</strong>s Hauses und die Ernennung <strong>de</strong>s Chefs zum kaiserl. Rat an passen<strong>de</strong>r<br />

Stelle gewürdigt wer<strong>de</strong>n. Im übrigen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Dichter auf die Preiskurante<br />

<strong>de</strong>s Hauses verwiesen.<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n gebe ich e<strong>ine</strong> Skizze <strong>de</strong>s Dramas.<br />

10


»Der Sieg <strong>de</strong>s Fortschritts.«<br />

Ein Wiener Stück in drei Akten von * * *<br />

Personen.<br />

J. Corti, Besitzer <strong>de</strong>s Takowa—Or<strong>de</strong>ns , Chef <strong>de</strong>r weltberühmten Chocola<strong>de</strong>—<br />

und Schuhwarenfabrik in Simmering bei Wien, später kaiserlicher Rat.<br />

Der Schusterfranz, zugrun<strong>de</strong>gehen<strong>de</strong>r Kleingewerbetreiben<strong>de</strong>r.<br />

Marie, sein Weib, brustkrank.<br />

Wilhelm E<strong>de</strong>r, sein Ziehsohn, Sekretär bei Herrn v. Corti.<br />

Anna, 18 Jahre | se<strong>ine</strong> Töchter.<br />

Mizzi, 5 Jahre |<br />

Der Schullehrer.<br />

Ein Amerikaner.<br />

Der Genius <strong>de</strong>s Fortschritts in <strong>de</strong>r Maske e<strong>ine</strong>s bekannten <strong>de</strong>utsch—fortschrittlichen<br />

Abgeordneten.<br />

Beamte, Arbeiter <strong>de</strong>s Hauses Corti in großer Zahl;<br />

Schulkin<strong>de</strong>r,<br />

Volk.<br />

I. Akt.<br />

(Die Werkstätte <strong>de</strong>s Schusterfranz. Milieu <strong>de</strong>r Deka<strong>de</strong>nz. Das Fehlen von Rohstoffen<br />

sowie von Halb— und Ganzfabrikaten beweist vollständigen Geschäftsstillstand.<br />

Durch die großen Fenster sieht man das prachtvolle Etablissement<br />

<strong>de</strong>r Firma Corti & Comp. Durch Zurückschieben e<strong>ine</strong>r im Hintergrun<strong>de</strong> befindlichen<br />

Rolltüre kann die Aussicht auf die Fabrik Corti & Comp. je<strong>de</strong>rzeit<br />

nach Belieben erweitert wer<strong>de</strong>n.)<br />

1. Szene.<br />

Der Schusterfranz, Marie, später Anna.<br />

Der Schusterfranz (mit allen Anzeichen <strong>de</strong>r Verkommenheit, hockt auf<br />

e<strong>ine</strong>m Dreibein und versucht, e<strong>ine</strong> Stieflette anzufertigen. Nach<strong>de</strong>m er e<strong>ine</strong><br />

zeitlang vergeblich mit e<strong>ine</strong>m primitiven Hammer auf das Le<strong>de</strong>r losgeschlagen<br />

hat, wirft er zornig das ganz Zeug in die Ecke): Uff, uff, ju, juuh — (tut<br />

e<strong>ine</strong>n mächtigen Zug aus <strong>de</strong>r Schnapsflasche).<br />

Marie (Weib <strong>de</strong>s Schusterfranz, brustkrank, aus <strong>de</strong>m Hintergrun<strong>de</strong>):<br />

Na, was hast <strong>de</strong>nn schon wie<strong>de</strong>r?<br />

Schusterfranz: Ah, was. Es hat ja ohnehin ke<strong>ine</strong>n Zweck nicht. (Säuft.)<br />

Marie: Was hat ke<strong>ine</strong>n Zweck nicht, meinst du?<br />

Schusterfranz: Das Arbeiten. In<strong>de</strong>s ich e<strong>ine</strong>n Stiefel mach', fabriziert<br />

<strong>de</strong>r Corti 1400 Paar und e<strong>ine</strong>n Centner Schoklad.<br />

Marie: Warum machst du's nicht g'rad so wie <strong>de</strong>r Herr v. Corti?<br />

Schusterfranz (blickt sie fragend an und säuft wie<strong>de</strong>r).<br />

Marie: Nun, <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>s Hauses Corti hat sich durch eigene Kraft und<br />

Solidität zu dieser Stellung emporgeschwungen. Se<strong>ine</strong> Fabrikate erregen<br />

überall Aufsehen durch Dauerhaftigkeit o<strong>de</strong>r Wohlgeschmack. Sie erzielten<br />

die gol<strong>de</strong>ne Medaille ...<br />

Anna (Tochter <strong>de</strong>s Schusterfranz, eintretend): ... in Antwerpen.<br />

11


Marie (fortfahrend): Die silberne<br />

Anna: ... in London.<br />

Marie: Endlich e<strong>ine</strong> überaus ehren<strong>de</strong> Anerkennung ...<br />

Anna: ... auf <strong>de</strong>r letzten großen Ausstellung in Paris.<br />

Marie: Der vielen inländischen Medaillen und Anerkennungsschreiben<br />

gar nicht zu ge<strong>de</strong>nken. (Sie bekommt e<strong>ine</strong>n Hustenanfall.)<br />

Anna (besorgt): Mutter!<br />

Marie: Ah, lass'! Es ist ja ohnehin alles umsonst. Eins könnte mich vielleicht<br />

noch retten!<br />

Anna (stürmisch): Und das wäre<br />

Marie: Das wäre die Malzschokola<strong>de</strong> von Corti & Comp.<br />

Anna (zustimmend): Ja, ich habe gehört, daß sie von außeror<strong>de</strong>ntlicher<br />

Wirkung bei allen Affektionen <strong>de</strong>r Atmungsorgane sein soll. Freilich ist ihr<br />

Preis — <strong>de</strong>m hohen Werte entsprechend — nicht unbeträchtlich. Aber vielleicht<br />

legt unser Wilhelm ein gutes Wort bei Herrn v. Corti ein ... ah, da ist ja<br />

Wilhelm.<br />

2. Szene.<br />

Die Vorigen. Wilhelm E<strong>de</strong>r.<br />

Wilhelm E<strong>de</strong>r (Ziehsohn <strong>de</strong>s Schusterfranz und Sekretär bei Corti, tritt<br />

in freudiger Erregung ein. Er ist, wie alle Angestellten <strong>de</strong>s Hauses Corti,<br />

wohlgenährt und auch sonst sympathisch): Nein, Kin<strong>de</strong>r, diese Wohltätigkeit<br />

...<br />

Marie: | Was ist <strong>de</strong>nn g'scheh'n?<br />

Anna: |<br />

Wilhelm: Ja, wisst ihr's <strong>de</strong>nn nicht? Heute ist doch <strong>de</strong>r Geburtstag <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>svaters, und da hat <strong>de</strong>r Herr v. Corti e<strong>ine</strong> Reihe von wohltätigen Stiftungen<br />

gemacht, die ich auszuführen habe. Der Kirchenbauverein erhält 10.000<br />

fl., das »Ferienheim« 20.000, die »Concordia« 25.000 ...<br />

Marie: | Welch wohltätiger Mann!<br />

Anna: |<br />

Wilhelm: Und abends sollen die Schulkin<strong>de</strong>r bewirtet wer<strong>de</strong>n. Welche<br />

Freu<strong>de</strong>, in e<strong>ine</strong>m solchen (er schiebt die Rolltüre zurück), Welthause angestellt<br />

zu sein!<br />

Marie: | (wie aus e<strong>ine</strong>m Mun<strong>de</strong>): Ah!<br />

Anna: |<br />

(Man sieht im Hintergrun<strong>de</strong> die prächtigen Fabriksgebäu<strong>de</strong> von Corti &<br />

Comp. Zahlreiche Dampfmasch<strong>ine</strong>n verursachen unausgesetzt großes Getöse.<br />

Fröhliche Arbeiter eilen unter munteren Gesängen geschäftig hin und her. In<br />

<strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n komfortablen Wohnhäusern sieht man gesun<strong>de</strong> Arbeiterfrauen<br />

zu <strong>de</strong>n besten Hoffnungen berechtigen<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>r betreuen.)<br />

Marie: |<br />

Anna: | Glücklich, wer bei Corti & Comp. arbeiten kann!<br />

Wilhelm: Wohl, wohl! Nun laßt uns aber gehen, <strong>de</strong>r Schullehrer kommt;<br />

er hat, wie er mir früher sagte, etwas mit <strong>de</strong>m Vater zu sprechen. (Marie,<br />

Anna, Wilhelm ab.)<br />

3. Szene.<br />

Der Schusterfranz. Der Schullehrer.<br />

12


Der Schullehrer (eintretend): Gott zum Gruße, lieber Meister.<br />

Der Schusterfranz (<strong>de</strong>r während Wilhelms Anwesenheit stumm vor sich<br />

hingebrütet hat, erwachend): Grüß Gott. Was steht zu Diensten?<br />

Der Lehrer: Ihr wißt, lieber Meister, daß heute bei Corti e<strong>ine</strong> große Feier<br />

ist. Me<strong>ine</strong> Schulkin<strong>de</strong>r sollen bewirtet wer<strong>de</strong>n. Es bekommt je<strong>de</strong>s ein Paar<br />

alte Schuhe und etwas Schokola<strong>de</strong> sowie einige Beklamebil<strong>de</strong>r. Ich habe e<strong>ine</strong><br />

Corti—Hymne verfaßt und vertont, Eure kle<strong>ine</strong> Mizzi soll die führen<strong>de</strong> Stimme<br />

singen. Ihr überlaßt mir Sie doch für <strong>de</strong>n Abend?<br />

Der Schusterfranz (mit wil<strong>de</strong>m Lachen): Mein Kind, zum Corti, e<strong>ine</strong><br />

Hymne singen, hahahaha!<br />

Der Lehrer: Versündigt Euch nicht, Meister. Was das Haus Corti &<br />

Comp. erreicht hat, das dankt es se<strong>ine</strong>r überlegenen kommerziellen Tüchtigkeit.<br />

Und wenn J. Corti nicht wäre, gingen me<strong>ine</strong> Schulkin<strong>de</strong>r bloßfüßig.<br />

Der Schusterfranz (resigniert): Macht's, was' wollt'st<br />

Der Lehrer: Ich nehme Eure Zustimmung zur Kenntnis. (Ab).<br />

4. Szene.<br />

Der Schusterfranz. Ein reicher Amerikaner.<br />

Ein Amerikaner (stürmt zur Türe herein): Wollen Sie sofort liefern 400<br />

Paar Schuhe!<br />

Der Schusterfranz: 400 Paar! (Für sich.) Jetzt bin ich aus'm Wasser!<br />

(Laut.) Wollen Euer Gna<strong>de</strong>n nicht Platz nehmen?<br />

Der Amerikaner: Danke, ich bin lange genug gesessen. Ich komme direkt<br />

von San Francisco, um diese weltberühmten Schuhe zu kaufen. Sind Sie<br />

Mister Corti selbst?<br />

Der Schusterfranz (betäubt): Pardon ... ich bin <strong>de</strong>r Schusterfranz — das<br />

Haus Corti ist gegenüber.<br />

Der Amerikaner: Ah, dann ist das ein Irrtum. Ich komme, um anzukaufen<br />

die Schuhe von Mr. Corti. (Stürzt ab.)<br />

5. Szene.<br />

Der Schusterfranz. Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts. Später die kle<strong>ine</strong> Mizzi.<br />

(Der Schusterfranz sitzt lange wie betäubt da. Es beginnt zu dunkeln. Vom<br />

Hause Corti leuchtet heller Schein unzähliger Kerzen herüber. Das Jauchzen<br />

von Kin<strong>de</strong>rstimmen wird hörbar. Dann ertönt aus <strong>de</strong>n Kehlen von Hun<strong>de</strong>rten<br />

von Kin<strong>de</strong>rn wie aus e<strong>ine</strong>m Mun<strong>de</strong> die Corti—Hymne. Der Schusterfranz ist<br />

ganz in sich zusammengesunken. Da — als es ganz finster wird — erscheint<br />

<strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Fortschritts in <strong>de</strong>r Maske e<strong>ine</strong>s bekannten <strong>de</strong>utschfortschrittlichen<br />

Abgeordneten.)<br />

Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts (mit Donnerstimme): Schusterfranz!!<br />

Schusterfranz (erwacht und wirft sich erschreckt vor <strong>de</strong>r Erscheinung<br />

in die Knie).<br />

Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts: Du hast schwer gesündigt, Schusterfranz!!<br />

Schusterfranz (nickt mit <strong>de</strong>m Kopfe).<br />

Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts: Du hast dich <strong>de</strong>m Fortschritt entgegenstellen<br />

wollen.<br />

Schusterfranz (nickt abermals).<br />

13


Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts: Du hast in <strong>de</strong><strong>ine</strong>r Dummheit Drohungen gegen<br />

das renommierte Haus Corti & Comp. ausgestoßen!<br />

Schusterfranz (nickt wie<strong>de</strong>r).<br />

Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts: Siehst du nun wohl ein, daß du mit <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen<br />

Erzeugungsweise nicht konkurrieren kannst?<br />

Schusterfranz (gefaßt): Ja. Aber was soll ich <strong>de</strong>nn anfangen?<br />

Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts: Vor allem mußt du einmal ganz zugrun<strong>de</strong> gehen.<br />

Dann bitte <strong>de</strong>n Herrn v. Corti um e<strong>ine</strong> Hausbesorgerstelle. (Geist ab.)<br />

Die kle<strong>ine</strong> Mizzi (erscheint in <strong>de</strong>r Eingangstür. Sie ist freudig erregt von<br />

<strong>de</strong>m Gesehenen): Vater, Vater, <strong>de</strong>r Herr v. Corti ist so ein lieber, guter Mann.<br />

Und die Tschoklad ist so süß. Magst kosten, Vater?<br />

Der Schusterfranz (erhebt drohend <strong>de</strong>n Arm gegen das Kind. Da erscheint<br />

— unberufen — <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Fortschritts, es wird wie<strong>de</strong>r finster und<br />

unter <strong>de</strong>m Schutze <strong>de</strong>r Dunkelheit führt <strong>de</strong>r Geist das Kind in <strong>de</strong>ssen Schlafgemach.<br />

Von fernher tönen noch die Klänge <strong>de</strong>r Corti—Hymne, die von zahlreichen<br />

Kin<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>m Heimwege gesungen wird. Vorhang fällt.)<br />

II. Akt.<br />

Hier hat sich <strong>de</strong>r Autor an die Weisungen, <strong>de</strong>r Firma, welche meinte, er solle<br />

alles schon im I. Akte sagen, so genau gehalten, daß dieser Akt ganz überflüssig<br />

wird. Dadurch erscheint dieses Werk aber erst vollkommen ebenbürtig<br />

<strong>de</strong>n gerühmtesten mo<strong>de</strong>rnen Dramen, bei <strong>de</strong>nen auch gewöhnlich ein Akt<br />

ganz überflüssig ist. — Die Haupthandlung geht nicht vorwärts, es geht überhaupt<br />

nichts vor, eher noch zurück, <strong>de</strong>r Schusterfranz säuft, sein Weib hustet,<br />

das Haus Corti prosperiert, alles wie im ersten Akt. Allerdings wird e<strong>ine</strong> aufkeimen<strong>de</strong><br />

Liebe zwischen Anna und Wilhelm ange<strong>de</strong>utet. Aber da diese bei<strong>de</strong>n<br />

Personen als die einzigen von allen Hauptfiguren unverheiratet sind, da<br />

ferner irgend e<strong>ine</strong> Liebe doch in <strong>de</strong>m Stück vorkommen muß — sonst ist an<br />

ein Geschäft nicht zu <strong>de</strong>nken —, so braucht dieses Verhältnis nicht eigens vorgeführt<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Auch die Ernennung Cortis zum kaiserl. Rat, <strong>de</strong>ren im<br />

II. Akte Erwähnung getan wird, ist nach allem im I. Akte Ausgeführten so<br />

selbstverständlich, daß sie ke<strong>ine</strong>r weiteren Motivierung bedarf. Da endlich die<br />

Firma Corti das Stück ohne <strong>de</strong>n II. Akt um 30 % billiger abgibt als mit <strong>de</strong>mselben,<br />

so wird je<strong>de</strong>r kluge Theaterdirektor diesen Akt mit <strong>de</strong>rselben Beruhigung<br />

streichen, mit <strong>de</strong>r er ja auch die Dramen an<strong>de</strong>rer Autoren um Szenen o<strong>de</strong>r<br />

ganze Akte verkürzt.<br />

III. Akt.<br />

Das Arbeitszimmer <strong>de</strong>s kaiserl. Rates Corti. Von wohltuen<strong>de</strong>r Eleganz. Man<br />

merkt sofort: Hier wohnt ein ganzer Mann. Corti sitzt an se<strong>ine</strong>m Arbeitstische.<br />

Sein Sekretär, Wilhelm E<strong>de</strong>r, verliest <strong>de</strong>n Einlauf.<br />

1. Szene.<br />

Kaiserl. Rat Corti. Wilhelm E<strong>de</strong>r.<br />

Corti (am Schreibtische, jovial): Na, <strong>de</strong>nn man los, lieber E<strong>de</strong>r.<br />

14


Wilhelm (eifrig): Wir haben also hier einmal ein Anerkennungsschreiben,<br />

betreffend unsere Haus—Schokola<strong>de</strong>, von e<strong>ine</strong>m Beamten ...<br />

Corti (beschei<strong>de</strong>n): Nichts weiter davon. Ich weiß, unsere Schokola<strong>de</strong><br />

wird von <strong>de</strong>r Beamtenschaft gerne gekauft. .<br />

Wilhelm (fortfahrend): Hier ein Billett <strong>de</strong>s Grafen Lichtenberg, <strong>de</strong>r mit<br />

<strong>de</strong>n neuen Reitstiefeln sehr zufrie<strong>de</strong>n ist.<br />

Corti (in berechtigtem Stolze): Wir zählen ja schon seit langem auch die<br />

Hocharistokratie zu unserer Kundschaft ...<br />

Wilhelm: Hier ein Brief <strong>de</strong>s Pfarrers von Kojetein: »Ihre Prima—Schokola<strong>de</strong><br />

kam mir wie ein Geschenk <strong>de</strong>s Himmels« ...<br />

Corti: Diese Kundgebung e<strong>ine</strong>s Priesters ist be<strong>de</strong>utungsvoll und<br />

ehrend ...<br />

Wilhelm (fortfahrend): E<strong>ine</strong> schlichte Arbeiterin äußert sich in warmen<br />

Worten über unsere Schuhe.<br />

Corti: Die Stimme <strong>de</strong>s Volkes ist wichtig und seit einiger Zeit beliebt.<br />

Lassen Sie diesen Brief unseren Preiskuranten beidrucken — Sonst nichts?<br />

Wilhelm: Ja, es wären hier einige Offerten für neue Masch<strong>ine</strong>n. Die von<br />

»Kappel und Morgenroth« wäre die billigste.<br />

Corti (streng): Nicht um die Billigkeit han<strong>de</strong>lt es sich, son<strong>de</strong>rn um die<br />

Güte. Die Masch<strong>ine</strong>n unserer Fabrik waren stets allen voran und sie sollen es<br />

bleiben. Wählen Sie das Beste und Billigste. — Sind Sie fertig?<br />

Wilhelm: Zu dienen, Herr kaiserlicher Rat.<br />

Corti: Und wo bleiben die Gesuche <strong>de</strong>r Armen? Habe ich Ihnen nicht gesagt,<br />

daß ich je<strong>de</strong>n Tag wenigstens e<strong>ine</strong> Träne zu trocknen wünsche?<br />

Wilhelm (will wegeilen, um einige Arme aufzutreiben, da stößt er in <strong>de</strong>r<br />

Türe auf se<strong>ine</strong> Ziehmutter).<br />

2. Szene.<br />

Vorige. Die Gattin <strong>de</strong>s Schusterfranz.<br />

Marie (die Gattin <strong>de</strong>s Schusterfranz, tritt ein. Früher brustkrank, ist sie<br />

durch die ihr von Corti gesandte Malzschokola<strong>de</strong> vollkommen hergestellt, ein<br />

Bild <strong>de</strong>r Gesundheit. Sie fällt Corti zu Füßen und be<strong>de</strong>ckt se<strong>ine</strong> Hän<strong>de</strong> mit<br />

Küssen): Dank, tausend Dank ...<br />

Corti (liebreich): Kommt zu Euch, Frau. Euer Anblick überrascht mich<br />

nicht. Ich kenne die Wirkung unserer Malzschokola<strong>de</strong>. (Weich:) O, daß doch<br />

alle Kranken me<strong>ine</strong>r Malzschokola<strong>de</strong> teilhaftig wür<strong>de</strong>n!<br />

Marie (innig): Das wäre wirklich zu wünschen. (Seufzend:) Ach, wenn<br />

Euer Mittel doch auch <strong>de</strong>m Kleingewerbe helfen könnte!<br />

Corti (erschreckt): Wie, Eurem Manne geht's doch nicht etwa schlecht?<br />

Marie (traurig): Da seht ihn Euch an.<br />

3. Szene.<br />

Vorige. Der Schusterfranz.<br />

(in <strong>de</strong>r Türe erscheint <strong>de</strong>r Schusterfranz; er sieht ganz zugrun<strong>de</strong>gegangen<br />

aus. Sein Blick ist blö<strong>de</strong>; die Knie wanken ihm.)<br />

Corti: Tretet doch näher, Schusterfranz!<br />

Schusterfranz (noch immer in <strong>de</strong>r Tür): Ich habe schwer gefehlt!<br />

Corti: Hm.<br />

15


Schusterfranz (zaghaft näher kommend): Ich habe <strong>de</strong>n Kampf mit e<strong>ine</strong>r<br />

überlegenen Produktionsweise aufnehmen wollen ...<br />

Corti: Verwegener!<br />

Schusterfranz: Ich habe mich <strong>de</strong>m Fortschritt entgegenstellen wollen!<br />

Corti: Welch törichtes Beginnen!<br />

Schusterfranz: Und <strong>de</strong>r Fortschritt ist über mich hinweggegangen. Ich<br />

bin total zugrun<strong>de</strong> gerichtet.<br />

Corti: Wirklich ganz fertig?<br />

Schusterfranz: Ganz fertig.<br />

Corti: Dann seid Ihr ja auf <strong>de</strong>m Punkte, wo man 'was für Euch tun<br />

kann?! Was meint Ihr zu e<strong>ine</strong>r Hausbesorgerstelle bei <strong>de</strong>r Firma Corti?<br />

Schusterfranz (schnalzt mit <strong>de</strong>r Zunge): Hausbesorger bei Corti, das<br />

wäre freilich fein!<br />

Corti (in edler Aufwallung): Ihr wer<strong>de</strong>t die Stelle bekommen. (Stürmisch:)<br />

Ich werfe me<strong>ine</strong>n jetzigen Hausbesorger hinaus.<br />

Wilhelm: | Wie sollen wir Ihnen danken!<br />

Marie: |<br />

4. Szene.<br />

Vorige. Anna. Der Schulmeister mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn. Der Geist <strong>de</strong>s Fortschritts.<br />

(Anna erscheint in <strong>de</strong>r Türe. Sie wechselt mit Wilhelm beziehungsreiche Blicke.)<br />

Corti (in Stimmung): Weiß schon, Kin<strong>de</strong>r. Der Chef e<strong>ine</strong>s so großen<br />

Hauses sieht mancherlei, was an<strong>de</strong>ren verborgen bleibt. Reicht euch die Hän<strong>de</strong>!<br />

(Während sich e<strong>ine</strong> anmutige Gruppe bil<strong>de</strong>t, erscheint <strong>de</strong>r Schulmeister mit<br />

<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn, die ihrem Wohltäter danken wollen. Als die Kin<strong>de</strong>r unter allgeme<strong>ine</strong>r<br />

Rührung die letzte Strophe <strong>de</strong>r Corti—Hymne gesungen haben, erscheint<br />

<strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Fortschritts und segnet die Anwesen<strong>de</strong>n ohne Unterschied<br />

<strong>de</strong>r Konfession. Der Vorhang fällt.)<br />

Das ist, in Kürze skizziert, <strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>s Reklame—Dramas. Ich bin darauf<br />

gefaßt, daß die Meinungen über se<strong>ine</strong>n literarischen Wert auseinan<strong>de</strong>rgehen<br />

wer<strong>de</strong>n. Aber als Erstling e<strong>ine</strong>r Dichtungsform, <strong>de</strong>r me<strong>ine</strong>s Erachtens die<br />

Zukunft gehört, hat er wohl die Aufzeichnung verdient.<br />

Tertius gau<strong>de</strong>ns.<br />

DIE GOETHE—BELEIDIGUNG.<br />

Die Liberalen <strong>de</strong>r Inneren Stadt haben e<strong>ine</strong>n Erfolg zu verzeichnen, <strong>de</strong>r<br />

ihnen in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Wahlkampfes sehr zustatten kommt. Der bronzene<br />

Goethe, <strong>de</strong>r jetzt die treue Wacht neben e<strong>ine</strong>m Bankierpalaste auf <strong>de</strong>r Ringstraße<br />

hält hat sich ohne Murren in die Reihen ihrer Parteigenossen aufnehmen<br />

lassen. Und es war, da sie ihn enthüllten, ein »Fest <strong>de</strong>s Fortschrittes und<br />

<strong>de</strong>r Aufklärung für Wien«. So wenigstens haben die großen Organe, die <strong>de</strong>n<br />

Freisinn dieser Stadt hochhalten, verkün<strong>de</strong>t, und wer gläubig die festlichen<br />

16


Leitartikel las, konnte ke<strong>ine</strong>n Moment im Zweifel sein, daß Goethe, wenn er<br />

heute lebte, sich freudig zu <strong>de</strong>n Anschauungen <strong>de</strong>r Benedikt, Wilhelm Singer<br />

und Frischauer bekennen und, da er sich mit <strong>de</strong>r Bekämpfung <strong>de</strong>s Herrn Dr.<br />

Lueger nicht begnügen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m Reichsrat als Hospitant <strong>de</strong>r »Deutschen<br />

Fortschrittspartei« beitreten müßte. Es herrschte e<strong>ine</strong> Stimmung, als ob etwa<br />

ein Prix 1 —Denkmal enthüllt wor<strong>de</strong>n wäre; beständig ward in Molltönen wehmutvoller<br />

Entsagung an die Zeiten erinnert, da Wien noch e<strong>ine</strong> »Kultur« besaß,<br />

und das 'Neue Wiener Tagblatt' versicherte, die Fertigstellung <strong>de</strong>r Denkmäler<br />

Goethes und Gutenbergs mute an wie ein Gruß aus <strong>de</strong>m »alten<br />

fortschrittlichen und i<strong>de</strong>alen Wien«. Aber die Zeitungsleute empfan<strong>de</strong>n Goethe<br />

bloß als Kontrast zu dieser Stadt, »in <strong>de</strong>r rückschrittliche Mächte so überstark<br />

gewor<strong>de</strong>n sind«, nicht als Kontrast zu sich selbst. Die Presse hatte ja,<br />

wie Herr Singer meinte, in diesen Tagen allen Anlaß, »sich ihres viel angefein<strong>de</strong>ten,<br />

von Kurzsichtigen, Toren und Böswilligen sogar gehaßten Berufes<br />

zu erfreuen«; <strong>de</strong>nn »Licht zu verbreiten durch Gutenberg im Sinne Goethes<br />

ist ihre Mission«. Mit Verlaub! Das 'Neue Wiener Tagblatt' hat bis dato weniger<br />

Licht im Sinne Goethes als »Aufklärung« darüber verbreitet, wo die bequemsten<br />

und billigsten Absteigquartiere zu beziehen sind, und ob gera<strong>de</strong> die<br />

Erfindung Gutenbergs bei e<strong>ine</strong>r Journalistik zu beson<strong>de</strong>ren Ehren kommt, die<br />

so vieles gegen Bezahlung nicht <strong>de</strong>m Drucke überliefert, bleibe dahingestellt.<br />

Aber sei <strong>de</strong>m, wie ihm sei: »Nur die Freisinnigen dieser Stadt«, ruft das 'Neue<br />

Wiener Tagblatt', »dürfen vom Dichter und vom Erfin<strong>de</strong>r sagen: Sie sind unser.«<br />

Gegen die rühren<strong>de</strong> Zuversicht, daß Goethe, wenn er heute auferstün<strong>de</strong>,<br />

zum Noske und nicht zum Bielohlawek stoßen wür<strong>de</strong>, läßt sich ernstlich<br />

nichts ins Treffen führen. Aber man verliert selbst alle Zuversicht, wenn man<br />

das Treiben unserer patentierten Kulturschützer am Goethe—Tage betrachtet<br />

und erlebt hat, wie sie ohne die geringste Scheu sich Goethes gegen Herrn<br />

Hans Arnold Schwer bedienen, und man fühlt sich fast versucht, zu glauben,<br />

daß <strong>de</strong>r Olympier solchem Gesin<strong>de</strong>l, das se<strong>ine</strong>n Namen für die schäbigsten<br />

Geschäfts— und Parteizwecke mißbraucht, selbst noch die »Reaktion« vorziehen<br />

wür<strong>de</strong>. Die Wiener Bevölkerung — man lerne doch endlich auf <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rglauben<br />

an Kultur und Aufklärung verzichten — unterhält ebensowenig<br />

Beziehungen zu Goethe wie irgend e<strong>ine</strong> an<strong>de</strong>re Bevölkerung, und mag sie<br />

wirtschaftlich auf e<strong>ine</strong>m ungleich höheren Niveau stehen. Aber sie wäre <strong>de</strong>m<br />

Dichter, <strong>de</strong>r in solchem Wahn selbst nie befangen war, noch immer lieber als<br />

e<strong>ine</strong> Schicht, die sich Beziehungen zu ihm anmaßt und <strong>de</strong>r in Wahrheit Plusmacherei<br />

und die Sorge um materielle Wohlfahrt hun<strong>de</strong>rtmal über alles kulturelle<br />

Streben gehen. Und wenn die Menge — sie ist heute wahrhaftig nicht<br />

schlechter und stumpfsinniger, als sie es im gol<strong>de</strong>nen Zeitalter <strong>de</strong>r liberalen<br />

Kommunalwirtschaft war — sich mit <strong>de</strong>m Refrain beschei<strong>de</strong>t: »Das hat ka<br />

Goethe g'schrieben ... «, so scheint es mir im Grun<strong>de</strong> immer noch besser, zu<br />

wissen, was Goethe nicht geschrieben hat, als mit e<strong>ine</strong>r Scheinbildung zu paradieren<br />

und die Leitartikelphrasen <strong>de</strong>rer nachzusprechen, die nicht wissen,<br />

was Goethe geschrieben hat. Ist es ohnehin schon grotesk, wenn Leute wie<br />

Bacher und Benedikt fortwährend das »Deutschtum« im Mun<strong>de</strong> führen und<br />

<strong>de</strong>m Wiener Bürgermeister vorwerfen, daß er kein guter Deutscher sei, so<br />

muß man es wohl als <strong>de</strong>n Gipfelpunkt <strong>de</strong>r Tollheit betrachten, wenn sich diese<br />

Gesellschaft am Goethe—Tage zu <strong>de</strong>r Versicherung versteigt, sie fühle sich<br />

»von <strong>de</strong>m Geläute <strong>de</strong>utscher Feiertagsglocken umbraust«. Rätselhaft bleibt<br />

dabei, was sich die Herren unter <strong>de</strong>m »Goetheschen Geist« vorstellen mögen,<br />

1 Prix – Wiener Kommunalpolitiker, † 1894<br />

17


von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r »unhol<strong>de</strong>, brutale, <strong>de</strong>magogische Geist« dieser Stadt so sehr verschie<strong>de</strong>n<br />

sei. Glauben sie wirklich, daß er Geist von ihrem Geiste sei? Und<br />

wenn die 'Neue Freie Presse' angesichts <strong>de</strong>s Dichterstandbil<strong>de</strong>s von <strong>de</strong>r<br />

»Macht <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ale« spricht, <strong>de</strong>nen sie nun mit bestärkter Zuversicht nachstreben«<br />

wer<strong>de</strong>, so mag man e<strong>ine</strong>n Moment vermuten, es sei ein Denkmal für<br />

Bontoux o<strong>de</strong>r Ofenheim enthüllt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Anblick e<strong>ine</strong>n Redakteur <strong>de</strong>r<br />

'Neuen Freien Presse' wohl mit Zuversicht erfüllen und zu allerlei feierlichen<br />

Gelüb<strong>de</strong>n bewegen könnte.<br />

»Aber es wird uns durchzucken: Er ist unter uns gegenwärtig. Er sieht<br />

uns! Und, schamhaft und forschend, wer<strong>de</strong>n Manche sich fragen, ob es se<strong>ine</strong>s<br />

Anblickes würdig sei, was wir zur Betrachtung ihm darbieten, ihm, vor <strong>de</strong>ssen<br />

sehen<strong>de</strong>n Dichteraugen unsere innersten Triebfe<strong>de</strong>rn und geheimsten Beweggrün<strong>de</strong><br />

wie ein durchsichtiges Uhrwerk offen daliegen.« Ich konnte nicht umhin,<br />

zu zitieren, was <strong>de</strong>r Kunstkritiker <strong>de</strong>r 'Neuen Freien Presse' bei Besprechung<br />

<strong>de</strong>s Hellmerschen Werkes über die Beziehungen Goethes zu <strong>de</strong>nen, die<br />

ihm heute huldigen, gesagt hat. Herr Servaes ist offenbar nicht nur Mitarbeiter,<br />

son<strong>de</strong>rn auch Leser <strong>de</strong>r 'Neuen Freien Presse'... Und <strong>de</strong>r Bericht, <strong>de</strong>n das<br />

Blatt über die Enthüllung <strong>de</strong>s Goethe—Denkmals gebracht hat, mag ihn am<br />

kräftigsten zu so nach<strong>de</strong>nklicher Betrachtung angeregt haben. Was konnten<br />

wir diesem Goethe, da er an sonnigem Wintertage <strong>de</strong>n ersten Blick auf die<br />

Ringstraße tat, bieten? Womit feierten wir das Wie<strong>de</strong>rsehen mit <strong>de</strong>m Olympier,<br />

<strong>de</strong>ssen Geist seit <strong>de</strong>r Bürgermeisterschaft Strobachs aus unserer Mitte<br />

gewichen war? Ich überblicke <strong>de</strong>n Bericht und sehe zwei Namen gesperrt gedruckt:<br />

Goethe — <strong>de</strong>r mußte natürlich bei dieser Gelegenheit u. A. genannt<br />

wer<strong>de</strong>n — und Julian Sternberg. Und wer hat sonst im Namen <strong>de</strong>s geistigen<br />

Wien vor <strong>de</strong>m Gewaltigen gehuldigt? Edgar v. Spiegl und Sigmund Ehrlich,<br />

<strong>de</strong>r gewesene Börsenredakteur <strong>de</strong>r 'Neuen Freien Presse', <strong>de</strong>r einst Herrn Benedikt<br />

mit <strong>de</strong>n historisch gewor<strong>de</strong>nen Worten <strong>de</strong>n Rücken kehrte: »Ich hab'<br />

genug!« Und die Festre<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m Denkmal, <strong>de</strong>ssen Errichtung bekanntlich<br />

auch e<strong>ine</strong>n Erfolg <strong>de</strong>s »Deutschtums« in Österreich be<strong>de</strong>utet, hielt ein Herr<br />

namens Bezecny, <strong>de</strong>ssen Beziehungen zur Kunst darin zu suchen sind, daß er<br />

es als Klavierspieler in Salons bis zum Leiter <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>ncreditanstalt und hierauf<br />

bis zum Kassenverwalter <strong>de</strong>r Hoftheater gebracht hat. Mit dieser Vergangenheit<br />

schien Herr Bezecny wie kein zweiter Mann in Österreich geeignet,<br />

als Obmann e<strong>ine</strong>s Goethe—Denkmal—Komitees zu fungieren, und in solcher<br />

Eigenschaft trat er jetzt beherzt vor, rühmte Goethe e<strong>ine</strong> »glühen<strong>de</strong> Begeisterung<br />

für die Kunst« nach und versicherte, <strong>de</strong>r gefeierte Dichter gehöre zu jenen<br />

Auserwählten, die »mit ihrem Glanze oft ganze Gebiete erhellen«. Der<br />

Kreis, <strong>de</strong>r ihn genießend und verstehend umgab, sei anfänglich, so meinte <strong>de</strong>r<br />

Redner mit offenkundigem Bedauern, ein enger gewesen; aber schließlich<br />

weitete er sich so aus, daß Goethe nicht nur <strong>de</strong>n »Gebil<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />

Nationen«, son<strong>de</strong>rn auch Herrn Bezecny bekannt wur<strong>de</strong>. Was Österreich<br />

an Goethe beson<strong>de</strong>rs schätzen muß, ist nach <strong>de</strong>m Gedankengange <strong>de</strong>s Festredners<br />

nicht so sehr »Faust«, als se<strong>ine</strong> Bekanntschaft mit <strong>de</strong>r Kaiserin Maria<br />

Ludovica, die ihn e<strong>ine</strong>s persönlichen Verkehres »würdigte«, nicht so sehr<br />

»Iphigenie«, als sein wie<strong>de</strong>rholter Aufenthalt in Karlsbad, und nicht so sehr<br />

»Tasso«, als <strong>de</strong>r Leopoldsor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n er vom Kaiser Franz erhalten hat.<br />

Und wie fühlt sich Goethe, wenn in <strong>de</strong>m Sockel se<strong>ine</strong>s Standbil<strong>de</strong>s e<strong>ine</strong><br />

Schenkungsurkun<strong>de</strong> liegt, die Edgar von Spiegl persönlich verfaßt hat? Das<br />

ist beileibe kein Scherz. Da es sich um e<strong>ine</strong> Schenkungsurkun<strong>de</strong> han<strong>de</strong>lte,<br />

glaubte man füglich mit <strong>de</strong>ren Abfassung <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r »Concordia«<br />

betrauen zu müssen, und bei Herrn v. Spiegl, <strong>de</strong>r früher Frem<strong>de</strong>nführer in<br />

18


Budapest war, konnte man natürlich auch e<strong>ine</strong> Vertrautheit mit Monumenten<br />

voraussetzen. Aber man hätte es doch nicht zulassen sollen. Freilich wenn e<strong>ine</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Gedanke die Zornesröte in die Wangen treibt, daß <strong>de</strong>r Olympier hierzulan<strong>de</strong><br />

auf e<strong>ine</strong>m von Herrn Spiegl verfaßten Schriftstück ruhen muß, so<br />

fühlt man sich wie<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>m Gedanken an die sitzen<strong>de</strong> Stellung Goethes einigermaßen<br />

versöhnt ... Und aus <strong>de</strong>m Vorwurfe, daß er nicht Deutsch könne,<br />

wird sich Herr Spiegl, <strong>de</strong>r von e<strong>ine</strong>r »in <strong>de</strong>n Herzen aller Bewohner entzün<strong>de</strong>ten<br />

Wärme« und von e<strong>ine</strong>m »Erz, das <strong>de</strong>m Sturm trotzt« spricht, nicht viel<br />

machen. Er fühlt sich darin Goethen wahlverwandt, <strong>de</strong>m ja auch, wenn ich<br />

nicht irre: von Klopstock, nachgesagt wur<strong>de</strong>, daß er die <strong>de</strong>utsche Sprache<br />

nicht kenne. Und überdies: Der Weimaraner ward von Börne ein »gereimter<br />

Knecht« und Fürstendiener gescholten; so mag er sich heute die Kameradschaft<br />

e<strong>ine</strong>s Fürstinnendieners, <strong>de</strong>r Blumenkorsos arrangiert, gefallen lassen.<br />

Der bronzene Gast scheint sich trotz allen Unbil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Witterung und<br />

<strong>de</strong>s Liberalismus auf <strong>de</strong>r Ringstraße wohl zu fühlen. Mit se<strong>ine</strong>n sehen<strong>de</strong>n<br />

Dichteraugen hat er die »innersten Triebfe<strong>de</strong>rn und geheimsten Beweggrün<strong>de</strong>«<br />

<strong>de</strong>rer geschaut, die ihn am Tage se<strong>ine</strong>r Ankunft lärmend umgaben. Sie<br />

wollten in <strong>de</strong>r Zeitung genannt wer<strong>de</strong>n, und jetzt, da sie sich befriedigt verzogen<br />

haben, hat er se<strong>ine</strong> Ruhe wie<strong>de</strong>r. Man befreie ihn nur noch von <strong>de</strong>n Kränzen,<br />

die zu se<strong>ine</strong>n Füßen nie<strong>de</strong>rgelegt wur<strong>de</strong>n. Die »Concordia« hat ihn se<strong>ine</strong>r<br />

Unsterblichkeit versichert, und neben ihrem Blumengewin<strong>de</strong> liegt ein Kranz,<br />

<strong>de</strong>ssen Schleifen die sinnige Widmung tragen: »Die in Wien leben<strong>de</strong>n Freimaurer<br />

ihrem großen Bru<strong>de</strong>r Goethe.« Diese Anre<strong>de</strong> hat mich stutzig gemacht.<br />

Seit ich weiß, daß die Wortführer unserer öffentlichen Meinung, daß<br />

Herr Lan<strong>de</strong>sberg und <strong>de</strong>r 'Extrablatt'—Löwy Goethen doch in gewisser Beziehung<br />

nahestehen, än<strong>de</strong>rt sich wohl die Richtung me<strong>ine</strong>s Kampfes. Auch mit<br />

Herrn Bahr wer<strong>de</strong> ich künftig vorsichtiger sein müssen. Greife ich ihn, <strong>de</strong>r<br />

Goethekenner und Freimaurer ist, an, so geht er hin und sagt es se<strong>ine</strong>m<br />

großen Bru<strong>de</strong>r ...<br />

* * *<br />

'Neue Freie Presse': »Heute mittags um 1 Uhr wur<strong>de</strong> in Anwesenheit<br />

<strong>de</strong>s Kaisers das Gutenberg—Denkmal auf <strong>de</strong>m Lugeck vor <strong>de</strong>r<br />

Teppichnie<strong>de</strong>rlage Orendi im Regensburgerhofe feierlich enthüllt.<br />

Schon in <strong>de</strong>n Vormittagsstun<strong>de</strong>n ... «<br />

Die Feier <strong>de</strong>s Erfin<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Buchdruckerkunst ist mehr min<strong>de</strong>r ein intimes<br />

Fest <strong>de</strong>r Presse. Und da es <strong>de</strong>r Presse vor allem auf die Annoncen <strong>de</strong>r<br />

Teppichnie<strong>de</strong>rlage Orendi ankommt, so ist die Verquickung e<strong>ine</strong>r bezahlten<br />

Reklame mit e<strong>ine</strong>r Huldigung für <strong>de</strong>n Genius <strong>de</strong>s großen Erfin<strong>de</strong>rs durchaus<br />

nicht wi<strong>de</strong>rnatürlich. Freilich hätten sich die Wiener Blätter bei einigermaßen<br />

guter Bezahlung se<strong>ine</strong>rzeit nicht geniert, auch die Enthüllung <strong>de</strong>s Mozart—<br />

Denkmals in <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Weise anzuzeigen: »Heute mittags um 1 Uhr wur<strong>de</strong><br />

das Mozart—Denkmal auf <strong>de</strong>m Albrechtsplatz vor <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>waren—Nie<strong>de</strong>rlage<br />

Wilhelm Jungmann & Neffe feierlich enthüllt.« Es han<strong>de</strong>lt sich nämlich<br />

bei Denkmalsenthüllungen immerdar um Feste <strong>de</strong>s Lichtes, <strong>de</strong>s<br />

Fortschritts, <strong>de</strong>r Aufklärung, mit e<strong>ine</strong>m Worte: <strong>de</strong>r Kultur.<br />

* * *<br />

Ich erhalte die folgen<strong>de</strong> Zuschrift:<br />

19


»Es wird Sie gewiß interessieren, daß mich Herr Benedikt aufgefor<strong>de</strong>rt<br />

hat, für die Sonntagsausgabe se<strong>ine</strong>s Blattes e<strong>ine</strong> humoristische<br />

Plau<strong>de</strong>rei zu schreiben, daß ich aber mit Rücksicht auf die<br />

Umgebung, in <strong>de</strong>r ich dort plaziert wür<strong>de</strong>, abgelehnt habe.<br />

Hochachtungsvoll<br />

Zip.<br />

Idiot unbekannter Herkunft, Rotun<strong>de</strong>, bei Barnum & Bailey.«<br />

ANTWORTEN DES HERAUSGEBERS.<br />

Fiscalist. Herr BURCKHARD bezieht tatsächlich dreifachen Ruhegehalt, das<br />

heißt zwei Pensionen und e<strong>ine</strong> Gage als »Rechtskonsulent« <strong>de</strong>r Hoftheater,<br />

die natürlich auch nur e<strong>ine</strong> Art Ruhegehaltes vorstellt. Immerhin müßte Herr<br />

Burckhard so tun, als ob er für diesen Bezug etwas täte. Aber er tut auch das<br />

nicht. Kürzlich hat die General—Intendanz <strong>de</strong>r Hoftheater zum erstenmale<br />

se<strong>ine</strong>n juristischen Rat einzuholen versucht. Sie sandte ihm das Formular e<strong>ine</strong>s<br />

Hofschauspielerkontraktes ins Haus und bat ihn, mit Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r wichtigsten Punkte e<strong>ine</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Entwurf für die Kontrakte <strong>de</strong>r<br />

Hofoperntheatermitglie<strong>de</strong>r auszuarbeiten. Und Herr Burckhard setzte sich<br />

hin, strich überall das Wort »Hofschauspieler« aus, ersetzte es durch das<br />

Wort »Hofoperntheatermitglied« und sandte das Formular e<strong>ine</strong>r löblichen Intendanz<br />

wie<strong>de</strong>r zurück. Das zeugt von <strong>de</strong>r guten Laune <strong>de</strong>s Herrn Burckhard,<br />

aber es scheint mir ein schlechtes Äquivalent für die Honorarleistung <strong>de</strong>r General—Intendanz.<br />

Herr Hofrat Wetschl gilt ja als lei<strong>de</strong>nschaftlicher Sparmeister.<br />

Er wird wissen, was er in diesem Falle zu tun hat. Der Betrag, <strong>de</strong>n er hereinbringen<br />

kann, reicht vielleicht zur Anschaffung von »Mäusetyphus«, so daß<br />

künftig nicht mehr, wie's kürzlich geschah, die Besucher e<strong>ine</strong>s Hofkonzertes<br />

im Redoutensaale durch <strong>de</strong>n Anblick e<strong>ine</strong>r lebendigen Maus schockiert wer<strong>de</strong>n<br />

müssen ... Herrn Burckhard wur<strong>de</strong> übrigens, da er sich vom Verwaltungsgerichtshofe<br />

verabschie<strong>de</strong>te, die Allerhöchste Anerkennung zuteil, an Stelle<br />

<strong>de</strong>s ersehnten Or<strong>de</strong>ns nämlich, <strong>de</strong>n Graf Schönborn vergeblich durchzusetzen<br />

bemüht war. Schon die Hofräte <strong>de</strong>s Verwaltungsgerichtshofes hatten, als <strong>de</strong>r<br />

Präsi<strong>de</strong>nt ihnen <strong>de</strong>n Herzenswunsch <strong>de</strong>s Herrn Burckhard nahelegte, einstimmig<br />

ausgerufen: »Überflüssig!« ...<br />

Habitué. Sie versichern mir mit Beziehung auf e<strong>ine</strong> Stelle in Nr. 56, daß<br />

das Referat über die Premiere von Weinbergers »Diva« in <strong>de</strong>r 'Neuen Freien<br />

Presse' nicht von Herrn St—g, son<strong>de</strong>rn von e<strong>ine</strong>m an<strong>de</strong>ren Lokalredakteur geschrieben<br />

wur<strong>de</strong>. Das ist ganz gleichgültig; wesentlich war mir nur die Konstatierung,<br />

daß »ein Min<strong>de</strong>stmaß von Selbstachtung« <strong>de</strong>m Musikkritiker verbieten<br />

müßte, über Leute wie Weinberger und Buchbin<strong>de</strong>r zu schreiben, und<br />

daß er sein Amt für <strong>de</strong>n e<strong>ine</strong>n Abend eben <strong>de</strong>m Lokalreporter übertragen hat.<br />

Wenn Sie mir ferner mitteilen, daß in e<strong>ine</strong>m an<strong>de</strong>ren Wiener Blatte damals<br />

die Bemerkung enthalten war: »Die Musik von Weinberger muß unter allen<br />

Umstän<strong>de</strong>n gelobt wer<strong>de</strong>n«, so soll das wohl nur ein Scherz sein. So unverblümt<br />

gesteht wohl kein Wiener Kritiker zu, daß er vom Chefredakteur o<strong>de</strong>r<br />

von <strong>de</strong>r Clique AUFTRAG hat, Herrn Weinberger »unter allen Umstän<strong>de</strong>n« zu loben.<br />

Und daß Herr Kau<strong>de</strong>rs im 'Frem<strong>de</strong>nblatt' <strong>de</strong>r Ironiker gewesen sein soll,<br />

glaube ich vollends nicht. Herr Kau<strong>de</strong>rs vollzieht Aufträge ohne Murren, und<br />

ein Mitglied <strong>de</strong>r Gil<strong>de</strong> zu loben, geht ihm gewiß nicht wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Strich; vor al-<br />

20


lem fehlt es ihm aber an <strong>de</strong>m Mute, e<strong>ine</strong>m Theater unangenehm zu wer<strong>de</strong>n,<br />

das se<strong>ine</strong> eigenen Operetten aufführt o<strong>de</strong>r aufführen könnte.<br />

21

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