Ein süßer Trost ist ihm geblieben …* - Durchblick
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Philosophie<br />
<strong>Ein</strong> <strong>süßer</strong> <strong>Trost</strong> <strong>ist</strong> <strong>ihm</strong> <strong>geblieben</strong> <strong>…*</strong><br />
Gedanken über die menschliche Gabe des <strong>Trost</strong>es<br />
Fast jeden Tag lesen, hören und sehen wir, dank (?) modernster<br />
Medientechnik, so viel menschliches Elend und<br />
Leid, dass ich mich oft frage: Wie halten wir Menschen das<br />
bloß aus? Nur ein Beispiel, der Tag, an dem ich mich entschloss,<br />
diesen Artikel zu schreiben. Da waren das fürchterliche<br />
Geiseldrama in Beslan, das unerträgliche Flüchtlingselend<br />
im Sudan, die unmenschlichen Autobombenund<br />
Selbstmordattentäter im Irak und in Israel, die verheerende<br />
Überschwemmungskatastrophe in China und die<br />
schrecklichen Verwüstungen durch den Hurrikan Ivan auf<br />
den Bahamas. Die Aufzählungen könnte ich problemlos<br />
weiterführen. Ohne auf das Für und Wider solcher Berichterstattungen<br />
hier näher eingehen zu können, frage ich<br />
mich aber immer wieder, wie viele dieser Schreckensnachrichten<br />
verträgt ein Mensch eigentlich, ohne auf die<br />
Dauer selbst psychischen Schaden zu nehmen? Sind wir<br />
nicht überfordert mit all dem, was uns Tag für Tag an bedrückenden<br />
Ereignissen ins traute Heim serviert wird, hervorgerufen<br />
durch Terror und Krieg, durch Unfälle, Naturgewalten<br />
oder menschliche Verirrungen. Welche Strategien<br />
entwickelt unsere, uns unbewusste Psyche, um mit solch<br />
geballten negativen Informationen fertig zu werden? Welche<br />
Schutzmechanismen greifen da und was sind ihre Folgen?<br />
Angst, Depression, Verdrängung, Abstumpfung? Ich<br />
weiß es nicht. Und überhaupt. Haben wir nicht schon genug<br />
mit uns selbst und unserer ganz persönlichen Lebenssituation<br />
zu schaffen? Ist es nicht oft schon schwer genug,<br />
sein eigenes Schicksal zu me<strong>ist</strong>ern? Müssen wir uns da<br />
auch noch mit dem Leid fremder Menschen beschäftigen?<br />
Plastik Erfurt<br />
(<strong>Trost</strong>),<br />
Künstler Hasso<br />
Claußen.<br />
Bildquelle:<br />
www.claussen-kunstkeramik.de<br />
Täglich sind sie in den Medien präsent. In unserer Tageszeitung<br />
durch große Lettern nicht zu übersehen. Die Tagesschau<br />
bringt sie oft als erste Information. Sie werden<br />
ausführlich beschrieben. Sie werden uns dargereicht als<br />
Frühstücks-, Pausen- oder Bettlektüre. In Wort und Bild.<br />
Oft genug in sensationeller Aufmachung neben Werbung,<br />
Spots und Kleinanzeigen. Und das Tag für Tag. „Was?“,<br />
fragen Sie. Die Tragödien und Schicksale von Mitmenschen<br />
auf unserer Erde.<br />
Ja! Wir tun es, aber auf unterschiedliche Art und Weise,<br />
sowohl in einem positiven als auch leider in einem negativen<br />
Verhalten. Negativ immer dann, wenn wir nicht mehr<br />
als unsere Sensationslust befriedigen wollen, zu Schaulustigen<br />
und passiven Gaffern werden, aus reiner Neugier,<br />
ohne jede Anteilnahme. Nein, dieses Verhalten möchte ich<br />
hier nicht näher durchleuchten. Mir geht es bei meinen<br />
Überlegungen um das positive Verhalten, wenn bei all dem,<br />
was wir selbst auf unserem persönlichen Lebensweg zu<br />
schultern haben, es uns innerlich berührt, wenn wir von den<br />
Schicksalsschlägen Anderer erfahren. Wir sind dann zwar<br />
nicht selbst Betroffene, aber dennoch „betroffen“ von dem,<br />
was anderen Menschen (oder auch Tieren) widerfährt. Es<br />
<strong>ist</strong> uns nicht gleichgültig, sofern wir noch nicht völlig abgestumpft<br />
sind. Wir nehmen Anteil am Schmerz und der<br />
Not unserer Mitmenschen. Und wenn das geschieht, wenn<br />
wir mitfühlen und mitleiden, das sind die Augenblicke, wo<br />
sie zum Vorschein kommt, als ein Wunsch, unseren Mitmenschen<br />
in ihrer Trauer und Verzweiflung beizustehen.<br />
Dann wird sie sichtbar durch die Bereitschaft und Fähigkeit,<br />
sich in die Erlebnisweise anderer Menschen einzufühlen,<br />
ich meine, die wunderbare Gabe des Menschen,<br />
Empathie zu entfalten, <strong>Trost</strong> zu spenden.<br />
Aber woher kommt er, der <strong>Trost</strong>? Woher dieses Bedürfnis,<br />
dem Mitmenschen in seiner Not beizustehen und<br />
ihn aufzurichten? Wie mir scheint, <strong>ist</strong> der <strong>Trost</strong> nur uns<br />
Menschen eigen. In der Natur selbst <strong>ist</strong> er nicht zu ➤<br />
14 durchblick 4/2004
Philosophie<br />
finden. In ihr laufen die Prozesse nach dem Kausalitätsprinzip<br />
von Ursache und Wirkung ab, ohne Rücksicht auf<br />
jedes Leben. Hier gelten die nackten, kalten physikalischen<br />
Naturgesetze und die kennen keinen <strong>Trost</strong>. Aber auch in<br />
dem Bereich der Natur, da, wo sich Leben entwickelt hat,<br />
sagt uns die Evolutionstheorie, galt und gilt bis heute das<br />
Verhalten von Lebewesen ausschließlich der Strategie des<br />
eigenen Überlebens. Wie ideenreich die Natur dabei <strong>ist</strong>, erkennen<br />
wir an der ungezählten Vielfalt und Fülle unterschiedlicher<br />
Lebensformen, die es auf dieser Erde gibt. Jede<br />
Gattung, jede Art hat ihre eigene Lebensstrategie<br />
entwickelt. Angefangen vom Gesetz des Stärkeren, bis hin<br />
zu der Fähigkeit der besseren Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen.<br />
Nur der Siegreiche, der Clevere, hat in<br />
der freien Natur auf die Dauer eine Chance. Und in diesem<br />
„Lebenskampf“, dem Fressen und Gefressenwerden, dem<br />
Friss-oder-stirb-Prinzip, <strong>ist</strong> kein Platz für so etwas wie<br />
„<strong>Trost</strong>“. Zum Überleben <strong>ist</strong> er nicht notwendig und von daher<br />
auch keine natürlich-nützliche Fähigkeit. Aber, wenn<br />
dem so <strong>ist</strong>, wenn er keinen natürlichen Ursprung hat, woher<br />
kommt er dann? Wo hat er seinen Ursprung? Wann in<br />
der Menschheitsgeschichte hat der Mensch begonnen, den<br />
Anderen zu trösten? Und warum? Ist die <strong>Trost</strong>bedürftigkeit<br />
des Menschen eine zwingende Folge seiner höher entwickelten<br />
ge<strong>ist</strong>igen Fähigkeit, genauer, seines eigenen<br />
Sich-Selbst-Bewusstseins? Ist für den Menschen im Laufe<br />
seiner Entwicklung der <strong>Trost</strong> lebensnotwendig geworden,<br />
gewissermaßen zu einer Bedingung seiner Ex<strong>ist</strong>enz? Wie<br />
sähe menschliches Leben auf unserer Erde aus, wenn es die<br />
Gabe des <strong>Trost</strong>es nicht geben würde? Für mich viele offene<br />
und interessante Fragen (nicht nur) an die philosophische<br />
Anthropologie und Sozialanthropologie, denen ich<br />
aber hier nicht nachgehen möchte.<br />
Worum es mir bei diesem kleinen Gedankenweg geht,<br />
<strong>ist</strong> der <strong>Trost</strong> selbst, in seinen unterschiedlichsten Ausdrucksweisen<br />
und Anlässen. Sie beginnen ja schon im Kleinen<br />
und bei den Kleinen. Bereits ein kleines Kind bedarf<br />
des <strong>Trost</strong>es und wir zögern keinen Augenblick, ihn zu gewähren,<br />
wenn <strong>ihm</strong> sein Luftballon platzt, sein leckeres Eis<br />
auf die Straße fällt, oder wenn im Urlaub die einsetzende<br />
Flut seine schöne Sandburg zerstört. Zum Glück hilft hier<br />
der <strong>Trost</strong> in Form geeigneter Maßnahmen me<strong>ist</strong> recht<br />
schnell. Mit dem Erwachsenwerden wird das Leben vielseitiger,<br />
aber gleichzeitig auch komplizierter, und die Situationen,<br />
in denen es gilt <strong>Trost</strong> zu spenden, werden<br />
schwieriger. Ich kann sie hier nicht alle aufzählen und erinnere<br />
deshalb beispielhaft nur an den ersten „untröstlichen“<br />
Liebeskummer eines Teenagers, der nicht mehr so<br />
einfach zu behandeln <strong>ist</strong>, wie ein heruntergefallenes Eis. So<br />
gesehen, gibt es im Leben von uns Menschen, um es etwas<br />
unschön und technisch auszudrücken, unterschiedliche<br />
„Schwierigkeitsgrade“ für den <strong>Trost</strong>. Angefangen vom<br />
kleinen Wehwehchen, über die vielen alltäglichen Enttäuschungen,<br />
bis hin zum Verlust von uns nahe stehenden<br />
Menschen und schweren, schicksalhaften Lebenssituationen,<br />
<strong>Trost</strong> <strong>ist</strong>… Lichtblick und Wärme in den dunklen Tagen<br />
unseres Lebens, wenn wir erstarren und unsere Gefühle zu<br />
erfrieren drohen.<br />
wo auch der <strong>Trost</strong> an seine Grenzen stößt und ohne ihn das<br />
Leben in der „<strong>Trost</strong>losigkeit“ zu ersticken droht.<br />
Aber, Gott sei’s gedankt. Wir Menschen haben, zum<br />
Glück, in unserer langen kulturellen Entwicklung vielfältige<br />
Formen und hilfreiche Wege des <strong>Trost</strong>es gefunden.<br />
<strong>Trost</strong> <strong>ist</strong> wie eine Arznei. Sie gibt es in verschiedenen<br />
Stärken und Ausführungen, angefangen vom kleinen <strong>Trost</strong>pflaster<br />
bis hin zu einem intensiven Heilmittel mit Tiefenwirkung.<br />
Ihr Wirkungsbereich und ihre Dosierung richten<br />
sich nach der Schwere der Erkrankung und der persönlichen<br />
Verfassung des Patienten. In den Regalen der „<strong>Trost</strong>-<br />
Apotheke“ <strong>ist</strong> alles zu finden, was den Menschen innerlich<br />
wärmt, ihn aufrichtet, seine Lebenskraft und Lebensfreude<br />
wieder stärkt. Da steht der <strong>Trost</strong> der Religion neben dem<br />
<strong>Trost</strong> der Philosophie und der <strong>Trost</strong> der Dichtung neben<br />
dem <strong>Trost</strong> der Musik und der Natur, um nur einige aufzuzählen.<br />
All diese Arzneimittel des <strong>Trost</strong>es sind nicht<br />
rezeptpflichtig und ohne jede Zuzahlung überall in der Welt<br />
kostenlos erhältlich. Nehmen Sie mit mir nur einige kleine<br />
Kostproben und lassen Sie mich versuchen, ihre Wirkung<br />
ein wenig zu beschreiben.<br />
➤<br />
durchblick 4/2004 15
Philosophie<br />
<strong>Trost</strong> <strong>ist</strong>… der Beginn der Befreiung aus dem Spinnennetz von Trauer, Schmerz und Verzweiflung,<br />
in dem wir durch schicksalhafte Ereignisse gefangen sind.<br />
Beginnen wir mit der religiösen Tröstung. In unserem<br />
Kulturkreis <strong>ist</strong> es vorwiegend das Chr<strong>ist</strong>entum. In <strong>ihm</strong> findet<br />
der <strong>Trost</strong> seinen Ausdruck in der tätigen Nächstenliebe.<br />
Ihre Wurzeln liegen in den drei theologischen Tugenden<br />
des Thomas von Aquin, dem Glauben an einen<br />
gerechten Gott, der Hoffnung auf ein ewiges Leben ohne<br />
Leid und die nie versiegende Kraft der Liebe Gottes. Es <strong>ist</strong><br />
ein transzendenter <strong>Trost</strong>, der über den Tod hinaus reicht.<br />
Beispielhaft dazu eine Textstelle aus der Bibel: „... er wird<br />
alle Tränen von ihren Augen abwischen, der Tod wird nicht<br />
mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal....“ (Offenbarung<br />
21,4). Der bekannte evangelische Theologe Dietrich<br />
Bonhoeffer hat gesagt: „Wer Ostern kennt, kann nie<br />
verzweifeln.“ Diesen chr<strong>ist</strong>lichen <strong>Trost</strong> zu praktizieren<br />
heißt, den „Nächsten“ in seinem Leid und seinem Schmerz<br />
an die Hand nehmen und mit <strong>ihm</strong> gemeinsam Vertrauen und<br />
Zuversicht in diesem Glauben zu finden. Sehr schön sagt<br />
dazu Eugen Drewermann: „Wir müssen an die Liebe glauben,<br />
um sie in die Welt zu bringen und wir müssen auf<br />
Menschlichkeit hoffen, um<br />
sie zu leben.“<br />
<strong>Ein</strong>e andere religiöse Tröstung<br />
und wirksame Arznei<br />
bietet der Buddhismus. In seiner<br />
Lehre <strong>ist</strong> das Leid und mit<br />
<strong>ihm</strong> das Mitgefühl ein ganz<br />
zentrales Thema. Allerdings,<br />
im Vergleich zum Chr<strong>ist</strong>entum,<br />
in einem anderen Kontext,<br />
dem ewigen Kreislauf<br />
von Werden und Vergehen,<br />
von Leben, Sterben, Tod und<br />
Wiedergeburt. <strong>Ein</strong>e ursächliche<br />
Quelle von allem Leid<br />
und Schmerz auf dieser Erde<br />
liegt für den Buddh<strong>ist</strong>en im<br />
ego<strong>ist</strong>ischen Verhalten des<br />
Menschen und seiner unersättlichen<br />
Habgier nach immer<br />
mehr Besitz und Reichtum.<br />
Dieses Übel hat für ihn<br />
seine Wurzeln im falschen<br />
Bild, das die me<strong>ist</strong>en Menschen<br />
von ihrem ICH, von der<br />
wirklichen Essenz ihres Wesens<br />
und dem wahren Sinn ihrer<br />
eigenen Ex<strong>ist</strong>enz haben.<br />
Der <strong>Trost</strong> für den Buddh<strong>ist</strong>en<br />
liegt in der Erkenntnis und der<br />
Erfahrung seines wahren Wesens<br />
(Güte, Friedfertigkeit<br />
und Liebe). Aus ihnen wächst<br />
die <strong>Ein</strong>sicht, dass alles im Leben<br />
der Vergänglichkeit unterworfen<br />
<strong>ist</strong>, auch Leid und<br />
Schmerz. Das Ziel eines gläubigen Buddh<strong>ist</strong>en <strong>ist</strong> es daher,<br />
das Anhaften an all den vielen vergänglichen Dingen des<br />
Lebens, die das Leid hervorrufen, ja selbst sein eigenes<br />
ICH, aufzugeben. Sich selbst und seinem Leben einen anderen,<br />
einen fortdauernden, „ewigen Wert“ zu geben, der<br />
nur in der <strong>Ein</strong>heit aller Wesen zu finden <strong>ist</strong> und die wahre<br />
Natur des Ge<strong>ist</strong>es in sich selbst zu entdecken, darin liegt<br />
der <strong>Trost</strong> und die Zuversicht des Buddhismus. Zwei Aussagen<br />
mögen dies verdeutlichen. Der XIV. Dalai Lama sagt:<br />
„Die menschliche Wärme ermöglicht die Öffnung hin zum<br />
Anderen. Sie entdecken, bedeutet zu erkennen, dass alle<br />
menschliche Wesen sind wie wir selbst, ganz einfach.“ Und<br />
der buddh<strong>ist</strong>ische Mönch Jack Kornfeld schreibt: „Wir<br />
müssen einer Welt, die dessen so notwendig bedarf, ein<br />
verständnisvolles und mitfühlendes Herz entgegenbringen.“<br />
Menschliche Herzenswärme und tiefes Vertrauen in eine<br />
größere, liebende Macht, darin liegt der <strong>Trost</strong> aller Religionen.<br />
➤<br />
16 durchblick 4/2004
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durchblick 4/2004 17
„Für den <strong>Ein</strong>samen <strong>ist</strong> der Lärm schon <strong>Trost</strong>“ (Friedrich<br />
Nietzsche).<br />
Als nächste Kostprobe die Philosophie. Ihr <strong>Trost</strong> <strong>ist</strong> vermutlich<br />
so alt wie sie selbst und hat seine tiefen Wurzeln sicherlich<br />
schon in ihren Grundfragen. Bei Platon waren es die<br />
Fragen nach dem Wahren, dem Guten und dem Schönen. In<br />
der Neuzeit formuliert Imanuel Kant etwas konkreter wenn<br />
er fragt: „Was kann ich wissen?“ (Metaphysik), „Was soll ich<br />
tun?“ (Moral), „Was darf ich hoffen?“ (Religion) und „Was<br />
<strong>ist</strong> der Mensch?“ (Anthropologie), wobei die letztere Frage<br />
alle anderen im Grund mit einschließt. Aus diesen elementaren<br />
Fragen an die menschliche Ex<strong>ist</strong>enz heraus formt und<br />
bildet sich der <strong>Trost</strong> der Philosophie. Sie gibt es aber nicht<br />
nur, um bei meinem Beispiel der Arznei zu bleiben, als ein<br />
einziges Mittel. Je nach Philosoph, seiner Weltanschauung<br />
und seinem Bild vom Menschen sind ihre Substanzen und<br />
Anwendungsbereiche unterschiedlich. Es würde den Rahmen<br />
dieses Artikels sehr<br />
Philosophie<br />
Der <strong>Trost</strong> der Philosophie <strong>ist</strong><br />
eine oft bitter schmeckende Arznei,<br />
die aber für viele Menschen<br />
heilende Wirkung hat.<br />
schnell sprengen, sie hier im<br />
<strong>Ein</strong>zelnen anzusprechen. Verweisen<br />
möchte ich deshalb auf<br />
das Buch „<strong>Trost</strong> der Philosophie“<br />
des in London lebenden<br />
jungen schweizerischen Philosophen<br />
Alain de Botton, in dem<br />
er einige Philosophen und ihren <strong>Trost</strong> zu unterschiedlichen<br />
Lebenssituationen zu Worte kommen lässt. <strong>Ein</strong>es aber haben<br />
alle philosophischen Tröstungen gemeinsam: Sie richten<br />
sich vorwiegend an unsere Vernunft, unseren Verstand und<br />
im Besonderen an unsere Fähigkeit der Erkenntnis. Die Welt<br />
in ihrer natürlichen und kausalen Gesetzmäßigkeit zu erkennen,<br />
uns Menschen als ein unvollkommenes, in sich zerrissenes,<br />
endliches Wesen zu akzeptieren, dass wir uns keinen<br />
irrigen Illusionen hingeben, keine falschen Erwartungen<br />
an das Leben stellen, dass wir begreifen, dass uns die launenhafte<br />
Glücksgöttin Fortuna jederzeit ihre Hand entziehen<br />
kann, kurz gesagt, dass wir unseren Schmerz in Erkenntnis<br />
und unsere Tränen in Wissen verwandeln. Trotz all<br />
der Widrigkeiten, die das Leben für uns bereithält und trotz<br />
unserer Bedürftigkeit und Schwachheit, jedem einzelnen<br />
Menschen eine große, einzigartige, individuelle und freiheitliche<br />
Würde zuzusprechen, darin liegt für mich der <strong>Trost</strong><br />
der Philosophie. Verdeutlichen möchte ich dies mit einem<br />
kleinen Textausschnitt aus dem Artikel „Was der freie<br />
Mensch verehrt“ des englischen Philosophen Bertrand Russel<br />
(1872–1970). Er schreibt „… Das Leben der Menschen<br />
<strong>ist</strong> ein langer Marsch durch die Nacht, umgeben von unsichtbaren<br />
Feinden, gequält von Müdigkeit und Schmerz<br />
(...) Während wir unterwegs sind, entschwindet ein Gefährte<br />
nach dem anderen unseren Blicken, den stummen Befehlen<br />
des allmächtigen Todes gehorchend. Sehr kurz <strong>ist</strong> die<br />
Zeitspanne, in der wir ihnen helfen können, in der die Entscheidung<br />
über ihr Glück oder Unglück fällt. Möge es unser<br />
Los sein, ihren Pfad zu erhellen, ihren Schmerz durch<br />
den Balsam unseres Mitleids (= <strong>Trost</strong>es, d. V.) zu lindern,<br />
ihnen die reine Freude unermüdlicher Liebe zu schenken,<br />
ihren sinkenden Mut wieder aufzurichten und ihnen in Stunden<br />
der Verzweiflung neuen Glauben zu geben (...).“<br />
Der <strong>Trost</strong> der Philosophie <strong>ist</strong> eine oft bitter schmeckende<br />
Arznei, die aber, trotz ihrer stellenweise pessim<strong>ist</strong>ischen<br />
Nebenwirkungen, für viele Menschen eine den Lebensmut<br />
stärkende und damit heilende Wirkung hat.<br />
Neben der Religion und der Philosophie, in denen der<br />
Mensch <strong>Trost</strong> finden kann, gibt es auch die wunderbare<br />
Tröstung in der Literatur. Wie sagt Goethe in seinem Gedicht<br />
Vermächtnis: „…denn edlen Seelen vorzufühlen <strong>ist</strong><br />
wünschenswertester Beruf.“<br />
Oft sind es die Dichter, die am unmittelbarsten unsere<br />
menschlichen Stimmungen und Gefühle ausdrücken können.<br />
Stellvertretend für viele wunderbare große und kleine<br />
Werke der deutschen Literatur,<br />
in denen ein Mensch <strong>Trost</strong><br />
finden kann, nur ein kleiner<br />
Zuspruch, den ich in dem Büchlein<br />
„Wenn mir die Worte fehlen“<br />
von Sabine Gäbe gefunden<br />
habe: „Jetzt will ich betten<br />
meinen müden Kopf in einen<br />
sanften Schoß und meine heiße Stirn in eine kühle Hand,<br />
jetzt wird alles leicht.“<br />
Meine Gefühle und Gedanken, meine Trauer und meinen<br />
Schmerz, meine Hoffnung und Zuversicht in Worten<br />
wiederzufinden, die mir fehlen, darin liegt der <strong>Trost</strong> der<br />
Dichtung.<br />
Nicht zu vergessen die Musik. Leider kann ich von ihr<br />
hier keine Kostprobe geben. Sie <strong>ist</strong> aber, wie ich finde, eine<br />
sehr stimmungsvolle Medizin. Sie einzunehmen bedeutet, ➤<br />
18 durchblick 4/2004
Philosophie<br />
sich in ihr zu versenken, sich von ihrem Klang forttragen<br />
zu lassen, Raum und Zeit nicht mehr zu spüren und sich aus<br />
der Klammer von Leid und Schmerz für einen kurzen Augenblick<br />
zu lösen. In dieser meditativen Stimmung liegt die<br />
Kraft der Musik. Sie <strong>ist</strong> ein wunderbares und hilfreiches<br />
Mittel für eine kranke, trostbedürftige Seele.<br />
So könnte ich die Regale der <strong>Trost</strong>apotheke noch weiter<br />
durchgehen, aber belassen wir es bei diesen kleinen Kostproben.<br />
Welcher Weg zur Genesung beschritten wird und<br />
welches die geeignete Medizin <strong>ist</strong>, liegt immer in der ganz<br />
persönlichen Lebenserfahrung jedes einzelnen Menschen<br />
und seinem Bild, das er von sich und der Welt hat. <strong>Ein</strong>en<br />
idealen Königsweg oder ein Allheilmittel gibt es nicht.<br />
<strong>Trost</strong> <strong>ist</strong> ein Heilmittel, das von Mensch zu Mensch verabreicht<br />
wird, ob indirekt oder direkt. Seine wirksamsten<br />
Eigenschaften entfaltet er aber immer in der unmittelbaren<br />
Zuwendung. Da, wo der Betroffene die Empathie, die authentische<br />
Nähe und mit ihr das Mitfühlen und Mitleiden<br />
des Anderen unmittelbar spürt und erfährt, erzielt der <strong>Trost</strong><br />
seine größte Wirkung.<br />
Trösten <strong>ist</strong> eine Fähigkeit und Gabe, über die jeder<br />
Mensch verfügt. Wir meinen oft, sie nicht zu besitzen, aber<br />
das <strong>ist</strong> falsch. Jeder von uns kann <strong>Trost</strong> spenden. Me<strong>ist</strong> <strong>ist</strong><br />
es schon hilfreich, wenn wir nur im gemeinsamen Schweigen<br />
das unabänderlich Geschehene mit den Betroffenen<br />
auszuhalten versuchen. Denken wir daran, unsere Mitmenschen<br />
brauchen „unseren“ <strong>Trost</strong>, mehr als wir vermuten.<br />
Treffend formuliert hat dies Theresia von Lisieux:<br />
„Wenn man leidet, tut es so gut, ein befreundetes Herz zu<br />
haben, worin unser Schmerz sein Echo findet.“<br />
Eberhard Freundt<br />
* Zur Überschrift: <strong>Ein</strong>e Zeile aus Schillers Gedicht<br />
<strong>Trost</strong> <strong>ist</strong>… ein fester Bestandteil des Bodens, der unser<br />
Leben trägt. Damit uns die Stürme des Lebens nicht<br />
entwurzeln und wir den Halt verlieren.<br />
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