BUCHBESPRECHUNGEN
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<strong>BUCHBESPRECHUNGEN</strong><br />
VOLKER MATTHIES, Unternehmen Magdala.<br />
Strafexpedition in Äthiopien. Ch. Links Verlag,<br />
Berlin 2010, 195 Seiten, zahlreiche Abbildungen,<br />
ISBN 978-3-86153-572-0. € 24,90. Cover: Illustration<br />
der Hafenstadt Zula, 1868. Bd. 11 der<br />
Reihe „Schlaglichter der Kolonialgeschichte“.<br />
www.die-deutsche-kolonialgeschichte.de.<br />
Die Möglichkeit,<br />
Geiseln<br />
zu befreien, ist<br />
sehr unterschiedlich.<br />
1868 befreiten<br />
die Engländer<br />
Geiseln von<br />
einer Bergfestung<br />
im<br />
Hochland von<br />
Äthiopien. Die<br />
Aktion kostete<br />
9 Millionen<br />
Pfund. Mit<br />
dieser Summe<br />
wurde keine<br />
Lösegeldforderung erfüllt, sondern die Kosten<br />
für eine militärische Befreiungsaktion beglichen.<br />
Volker Matthies, Politikwissenschaftler, ist Spezialist<br />
für Friedens- und Konfliktforschung (Universität<br />
Hamburg). Er beschäftigt sich besonders<br />
mit dem Horn von Afrika, sein Buch Kriege am<br />
Horn von Afrika, Berlin 2005 gilt als Standartwerk.<br />
Die Geschichte des niemals kolonialisierten<br />
Äthiopiens fasziniert ihn, mit Historische<br />
Reisen nach Aksum. Europäische Entdecker und<br />
Forscher beschreiben das antike Zentrum der<br />
äthiopischen Kultur, Berlin 2003 erreichte er<br />
eine breite Öffentlichkeit. Mit der vorliegenden<br />
Chronologie über das militärische Zusammentreffen<br />
zwischen Engländern und Äthiopiern<br />
widmet er sich erneut der afrikanischen Geschichte<br />
im 19. Jahrhundert.<br />
Die äthiopischen Herrschenden, interessiert an<br />
internationalen Abkommen und diplomatischen<br />
Austausch, nahmen vor allem Kontakt zu anderen<br />
christlichen Ländern auf. Die Weltmacht<br />
England kämpfte um die Vorherrschaft am Roten<br />
Meer, verschiedene Expeditionen wurden in<br />
Nordostafrika durchgeführt. Bereits 1841 leitete<br />
Captain Cornwallis Harris die erste offizielle britische<br />
Mission nach Äthiopien. Königin Viktoria<br />
(1837-1901) und der äthiopische Kaiser Tewodros<br />
II. (Theodor, 1855-1868) suchten gleichermaßen<br />
Verbündete gegen die Türken. Tewodros,<br />
geboren um 1820 in Q w ara als Kaía Òaylu, wird<br />
nach siegreichen Eroberungen 1855 zum Kaiser<br />
gekrönt. Den Thronnamen Tewodros wählte er in<br />
Bezug auf eine Prophezeiung (Fékkare Iyäsus),<br />
nach der ein König mit diesem Namen 40 Jahre<br />
friedlich regieren wird. Tewodros versuchte in<br />
seiner 13jährigen Regierungszeit das Land zu einem<br />
Reich zu vereinen, es gelang ihm jedoch nur<br />
kurzzeitig.<br />
Im März 1855 wird der Diplomat William C.<br />
Plowden zu Kaiser Tewodros geschickt, begleitet<br />
von John Bell, der mit einer Äthiopierin verheiratet<br />
war. Nach dem Tod von Plowden wird Captain<br />
Charles Duncan Cameron neuer Abgesandter,<br />
er überreichte am 7.10.1862 Tewodros zwei<br />
silberne Pistolen von Königin Viktoria. Tewodros<br />
bedankte sich schriftlich und bittet die „Christen-<br />
Königin“ um Hilfe gegen die Türken. England<br />
hat jedoch Schwierigkeiten, die Verbindung aufgrund<br />
des gemeinsamen Glaubens zu bestätigen.<br />
Die internationalen Handelsbeziehungen führten<br />
zur Propagierung der Religionsfreiheit. Zwei Ereignisse<br />
werden im Nachhinein oft als Grund für<br />
die folgende Geiselnahme angesehen. Erstens<br />
übergab Cameron den Brief entgegen der Anordnung<br />
von Tewodros nicht persönlich, er unternahm<br />
stattdessen Erkundigungen im Nordwesten<br />
des Landes. Und zweitens antwortete Königin<br />
Viktoria nicht.<br />
Nach längerem Warten wird am 4.1.1864 Cameron<br />
zusammen mit anderen Ausländer, so den<br />
anglikanischen Missionaren Stern und Rosenthal,<br />
verhaftet und nach Mäqdäla (Magdala) gebracht.<br />
Amba Mäqdäla, ein Bergplateau östlich des Tanasee<br />
in Wällo (Oromogebiet) gelegen, wurde<br />
von Tewodros 1855 erobert. Auf der natürlichen<br />
Bergfestung entstand eine Ansiedlung mit einem<br />
Gefängnis für politische Gefangene, zwei Kirchen<br />
und einer umfangreichen Schatzkammer<br />
mit einer großen Bibliothek. England reagierte<br />
diesmal schneller. Der Abgesandte Hormuzd<br />
Rassam kommt am 28.1.1866 in Mäqdäla an,<br />
versehen mit einer schriftlichen Weisung von<br />
Viktoria zur einvernehmlichen Lösung der Situation.<br />
Tewodros bleibt skeptisch und behält auch<br />
Rassam als Geisel da. Seine Bedingung für eine<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011
Buchbesprechungen<br />
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Freilassung der Geiseln ist die Entsendung von<br />
technischen Geräten und Handwerkern. England<br />
schickte daraufhin Handwerker samt Ausrüstung,<br />
im November 1866 erreichten sie die Hafenstadt<br />
Massawa. Sie sollen jedoch erst nach der Freilassung<br />
der Geiseln an Land gehen. Da nichts geschieht,<br />
kehren die Handwerker im Mai 1867 zurück.<br />
Unter den 59 bis 67 Geiseln auf Mäqdäla befanden<br />
sich nun zwei englische Diplomaten und ihre<br />
Begleiter. In England wird die Politik Tewodros<br />
als Affront empfunden. Die Presse berichtet ausgiebig<br />
über die Geiselnahme. Die Angst Englands<br />
vor Rebellionen wie nach dem Sepoy Aufstand<br />
1857 (Indien) war groß. Das Parlament genehmigte<br />
schließlich nach über drei Jahren diplomatischen<br />
Bemühungen eine militärische Befreiungsaktion.<br />
Beauftragt dafür wurde Sir Robert<br />
Napier (1810-1890). Eine große Militäreinheit<br />
sollte nach Mäqdäla vorrücken, die Geiseln befreien<br />
und wieder zurückzukehren. Die Ausführung<br />
wurde von Napier gründlich geplant, der Titel<br />
„Unternehmen Magdala“ von Matthies ist hier<br />
angebracht.<br />
Am 30.10.1867 landen die Truppen in Zula.<br />
41.700 bis 60.000 Personen (die Zahlenangaben<br />
varII.eren) sollen insgesamt dabei gewesen sein,<br />
davon 14.700 Soldaten (9050 Inder, 4038 Engländer)<br />
der Britisch-Indischen Armee. Eine große<br />
Anzahl Tiere wurde aus Indien mitgebracht, u.a.<br />
19.000 Pferde, 5735 Kamele und 44 Kriegselefanten.<br />
Die logistischen Leistungen in der neu<br />
angelegten Hafenstadt Zula sind beeindruckend.<br />
Salzwasser wurde durch eine Filtriermaschine zu<br />
Trinkwasser aufbereitet. In der Truppe waren<br />
Christen, Muslime und Hindus vertreten, die Versorgung<br />
der multireligiösen Truppen mit den spezifischen<br />
Speisevorschriften wird eingehalten, so<br />
vegetarisches Essen für Hindus. Das moderne<br />
Waffenlager war immens, es gab allein 4000<br />
Stück Hinterlader-Schnellfeuergewehre (Snider).<br />
Die Industrialisierung des Krieges (Waffen) und<br />
die Privatisierung (Tragtiere, Lebensmittel) verhalfen<br />
den Engländern zur Überlegenheit. Sogar<br />
eine 17 km lange Eisenbahnstrecke wird für die<br />
ersten Transporte gebaut. Am 25.1.1868 erfolgte<br />
der Aufbruch auf der insgesamt 650 km langen<br />
Strecke. Zeitgleich zieht Tewodros nach internen<br />
Machtkämpfen zurück nach Mäqdäla und kommt<br />
dort im März 1868 an.<br />
Die ersten Kampfhandlungen zwischen Engländern<br />
und Äthiopiern finden erst am 9./10. April<br />
1868 in der Schlacht von Fala (Aroge) statt. 700<br />
Äthiopier sollen getötet worden sein, die Engländer<br />
hatten keine Verluste. Tewodros schickt nun<br />
Botschafter mit einem Friedensangebot und lässt<br />
einige Geiseln frei, auch Hormuzd Rassam. Napier<br />
lehnt das Angebot ab, er fordert die Freilassung<br />
aller Geiseln und die Unterwerfung Tewodros.<br />
Ein Briefwechsel folgt, Tewodros zitiert in<br />
seinen Briefen Bibelverse. Am Ostersonntag<br />
(12.4.) lässt er alle Geiseln frei. Sein Friedensangebot<br />
einschließlich Friedensgeschenk (1000<br />
Rinder und 500 Schafe) nimmt Napier nicht an.<br />
Tewodros begeht einen Selbstmordversuch. Napier<br />
ordnet nichtsdestotrotz die Erstürmung<br />
Mäqdälas an. Die Engländer erklimmen am 13.<br />
April die Bergfestung, viele Äthiopier werden<br />
getötet. Tewodros nimmt sich mit der silbernen<br />
Pistole von Viktoria das Leben. Mäqdäla wird<br />
niedergebrannt, am 21. April wird der Rückzug<br />
angetreten und am 2. Juni 1868 Zula erreicht. Interessanterweise<br />
waren nicht alle befreiten Ausländer<br />
glücklich über eine Abreise aus Äthiopien,<br />
für sie war die Geiselhaft nicht gleichzusetzen<br />
mit einer gesamten negativen Einschätzung<br />
Äthiopiens. Sie blieben vor Ort oder kehrten bald<br />
wieder zurück.<br />
Die politischen und kulturellen Folgen dieser militärischen<br />
Geiselbefreiung werden bis heute<br />
kontrovers diskutiert. Dies beginnt bereits bei<br />
den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Aktion,<br />
wie Strafexpedition, Militärexpedition, Napier<br />
Expedition, Britische Expedition, Abyssinian<br />
Expedition, Abyssinian Campaign, Britische<br />
Intervention, British Mission to Theodor, Englischen<br />
Expeditionscorps, Feldzug oder Befreiungsaktion.<br />
„Krieg“ oder „Angriff“ wird jedoch<br />
kaum verwendet. Angesichts der Anzahl der Soldaten<br />
und das Vorgehen der Engländer bei den<br />
Schlachten, die Ablehnung der Friedensangebote<br />
durch Napier, der erneute Angriff nach der Freilassung<br />
der Geisel und der Mitnahme von<br />
Kriegsbeute ist zu fragen, ob die Bezeichnung<br />
„Krieg“ – auch wenn dies nur im Zusammenhang<br />
mit einer offiziellen Kriegserklärung benutzt<br />
werden soll – nicht angemessener wäre.<br />
Die Bezeichnung Expedition verschönert und<br />
verschleiert den Tatbestand. Auf englischer Seite<br />
gab es zwar kaum Tote, bei den Äthiopiern viele<br />
Gefallene. Es ist auch zu fragen, ob Napier vom<br />
ersten Selbstmordversuch von Tewodros wusste.<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011
50 Buchbesprechungen<br />
Matthies als Experte für Kriegsforschung thematisiert<br />
diese Fragen nicht ausreichend. Er zieht<br />
zwar durchaus eine kritische Bilanz und zweifelt<br />
den „grandiosen militärischen Sieg über die<br />
Äthiopier“ als einmalige historische Aktion oder<br />
„erste große humanitäre Intervention der Weltgeschichte“<br />
an, doch er vertieft dieses Thema nicht.<br />
Der Begriff Geisel ist ebenfalls vieldeutig. Auf<br />
Mäqdäla gab es Gefangene und Geiseln. Zahlreiche<br />
äthiopische Machthaber - europäische Begriffe<br />
wie Fürst oder Adel greifen nicht - wurden<br />
dort gefangen gehalten, drohten sie Tewodros gefährlich<br />
zu werden. Unter den Gefangenen waren<br />
auch Ausländer, so der koptische Metropolit<br />
Abunä Sälama, der 1867 in Mäqdäla stirbt. Die<br />
Geiselnahme der englischen Diplomaten war für<br />
England eine Verletzung der Immunität, für Tewodros<br />
übliche Machtpolitik. Möglicherweise<br />
versuchte Tewodros durch das Festhalten von<br />
Menschen unterschiedlichster Nationalitäten einen<br />
internen Machtverlust auszugleichen. Er sah<br />
seine Macht schwinden und brauchte eine spektakuläre<br />
Unterstützung. Auch der Sohn der Oromo<br />
Herrscherin Mästawät wurde festgehalten<br />
und aufgrund ihrer Unterstützung der Engländer<br />
von Tewodros getötet.<br />
Matthies vermeidet die Thematisierung der großen<br />
Gegensätze zwischen Nationalgefühl auf der<br />
englischen Seite mit einer Königin und dem regionalen,<br />
teilweise ethnisch und religiös bedingten,<br />
vorherrschenden Machtgefüge auf äthiopischer<br />
Seite mit vielen Herrschern. Die Idee eines<br />
Kaisers als einzigen Machthabers war in Äthiopien<br />
vorhanden, doch ständige Machtkämpfe mit<br />
kriegerischen Auseinandersetzungen waren an<br />
der Tagesordnung. Die Vergrößerung des eigenen<br />
Herrschaftsgebietes hatte Priorität vor einem Nationalgefühl.<br />
Gerade diese Konflikte führten den<br />
Engländern neue Verbündete zu. Die Kämpfe<br />
zwischen den christlichen Amhara und den muslimischen<br />
Oromo (Galla) waren stark. Die beiden<br />
Oromo Herrscherinnen (der Titel Königin ist<br />
nicht gesichert) Wärqitu (Wekait) und Mästawät<br />
(Mastiat) in Wällo und Wärrä Himäno hatten somit<br />
einen großen Einfluss auf den Verlauf der<br />
Militäraktion. Mästawät (ca. 1830-ca. 1885)<br />
nahm aktiv an Kämpfen teil und leitete die Aufstände<br />
gegen Tewodros. (Wichtige Persönlichkeiten<br />
wie Sir Robert Napier und Gerhard Rohlfs<br />
werden im Buch gesondert dargestellt, Tewodros<br />
und Mästawät fehlen leider). Nach Verhandlungen<br />
mit Napier sorgte sie für einen freien Durchzug<br />
der Engländer in ihrem Gebiet und unterstütze<br />
sie mit Lebensmitteln. Die Bedeutung von<br />
Mästawät und Wärqitu wurde bislang nicht genügend<br />
herausgearbeitet.<br />
Auch andere Herrscher strebten nach einer Niederlage<br />
Tewodros und verbündeten sich mit Napier.<br />
Die taktische Zusammenarbeit mit den regionalen<br />
Machthabern und die genauen geographischen<br />
Kenntnisse Äthiopiens halfen England.<br />
Theodor von Heughlin lieferte bereits 1862 erste<br />
detaillierte Ansichten von Mäqdäla nach Europa.<br />
Doch schon auf dem Rückweg kam es vermehrt<br />
zu Angriffen auf die englischen Truppen. Scheinbar<br />
haben einige Herrscher die Engländer bewusst<br />
benutzt, um Tewodros zu stürzen. Nun<br />
konnten die Äthiopier ihre neuen Waffenkenntnisse<br />
anwenden, wie auch wenig später gegen die<br />
Italiener (Adwa). Die von Napier auf dem Rückweg<br />
an Kaía Mérca gemachten Waffengeschenke<br />
als Dank für seine Mithilfe verhalfen ihm zum<br />
Kaiserthron (Johannes IV. 1872-89). Die Mitnahme<br />
des Thronfolgers Alämayyähu Tewodros<br />
(1860 - 4.11.1879), Sohn von Tewodros II. und<br />
Téru Wärq Wébe (Térunäš) nach England veränderte<br />
die Herrschaftsabfolge, wodurch Menelik<br />
II. (1889-1910) zur Macht gelangt. Alämayyähu<br />
Tewodros ist begraben in der Kapelle von Windsor<br />
in England.<br />
Matthies folgt bei seiner Beschreibung der englischen<br />
Sicht und benutzt hauptsächlich europäische<br />
Quellen. Er verarbeitet die offiziellen Militärberichte,<br />
die Bücher der Teilnehmer, die Schilderungen<br />
der Geiseln, wissenschaftliche Auswertungen<br />
und die Artikel der Kriegsjournalisten<br />
(embedded journalists). Die äthiopischen Quellen,<br />
die Chronik Tewodros wurde mehrfach übersetzt<br />
(Littmann, Moreno, Mondon-Vidailhet<br />
etc.), weitere Berichte und Dokumente berücksichtigt<br />
er kaum. Eine neue Beurteilung dieses<br />
historischen Ereignisses auf Grund äthiopischer<br />
Quellen fehlt somit. Eine Analyse äthiopischer<br />
Dokumente könnte die Sichtweise verändern, genannt<br />
sei der Brief (1870) der Großmutter<br />
Laqiyaye an Königin Viktoria, der der großmütterlichen<br />
Sorge um den kleinen Enkel Alämayyähu<br />
Ausdruck verleiht (Rubenson). England wurde<br />
nicht generell als Feind Äthiopiens angesehen,<br />
eine umfangreiche Korrespondenz zwischen<br />
den Ländern zeugt davon. Die Legendenbildung<br />
von Kaiser Tewodros zum äthiopischen Helden,<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011
Buchbesprechungen<br />
51<br />
der durch Geiselnahme und Selbstmord einer europäischen<br />
Großmacht getrotzt hat, ist in den<br />
äthiopischen Quellen zu finden. Für die Sicht der<br />
Oromo (Mästawät) gibt es ebenfalls Zeugnisse.<br />
Weiter ist eine geschichtliche Verbindung zur ersten<br />
Militäraktion einer europäischen Macht ins<br />
Innere von Äthiopien möglich. 1541 schickten<br />
die Portugiesen unter der Leitung von Dom Christovão<br />
da Gama 400 Soldaten zur Unterstützung<br />
im Kampf gegen den muslimischen Eroberer,<br />
Ahmad b. Ibrahim al-Ëazi (Ahmad Grañ). 1543<br />
töteten sie ihn und verließen Äthiopien wieder.<br />
Interessanterweise lief die Logistik auch über Indien.<br />
Matthies gelingt durch seine Herausarbeitung der<br />
wichtigsten Fakten eine spannende Schilderung.<br />
Überzeugend hat er erstmals auf Deutsch den<br />
„Marsch auf Mäqdäla“ zusammengefasst. Im<br />
Buch sind wenige Ungenauigkeiten zu verzeichnen,<br />
so ist Teff (S. 15) keine kleinförmige Hirsenart,<br />
sondern eine Kornart, mohammedanisch<br />
ist durch muslimisch (S. 42) zu ersetzen. Die<br />
deutsche Wissenschaft hatte durch die Geiseln<br />
wie Georg Wilhelm Schimper oder Eduard Zander<br />
und die wissenschaftlichen Begleiter der Militäraktion<br />
wie Gerhard Rohlfs detaillierte Aufzeichnungen<br />
bekommen. Hier liegt auch der Bezug<br />
zu der Reihe Deutsche Kolonialgeschichte<br />
des Ch. Links Verlags. Die Ausstattung des Buches<br />
mit zwei Karten (Marschroute) und zahlreichen<br />
schwarz-weiß Abbildungen von Originalphotographien<br />
und Zeichnungen ist exzellent.<br />
Matthies Buch präsentiert ein Stück Weltgeschichte,<br />
ihm sind viele Leser zu wünschen.<br />
Verena Böll<br />
CHRISTINE CHAILLOT (2011), vie et spiritualité<br />
des Églises orthodoxes orientales des traditon<br />
syriaque, arménienne, copte et éthiopienne.<br />
Préface du Protopresbytre Boris Bobrinskoy.<br />
Patrimoines Orthodoxie. Paris. ISBN 978-2-<br />
204-08979-1.<br />
“Miaphysis, nicht Monophysis” ruft sie laut in<br />
den Konferenzraum in Paris. Das Institut Catholique<br />
de Paris hatte im Oktober 2010 zu einer Tagung<br />
über die äthiopische Kirche eingeladen. In<br />
den Diskussionen kam es vor, dass das Wort Monophysitismus<br />
fiel.<br />
Das neueste Buch von ihr ist wieder genau aus<br />
diesem Grund entstanden. Sie will die Entstehung,<br />
Geschichte und Gegenwart der ersten fünf<br />
orthodoxen Nationalkirchen vermitteln und bekannt<br />
machen. Sie hat schon einige Publikationen<br />
zu diesem Thema veröffentlicht. Doch immer<br />
wieder merkt sie, wie wenig die Menschen<br />
in Europa von diesen Kirchen wissen. Wie kann<br />
das verändert werden?<br />
Was eint diese fünf (sechs) Kirchen? Das Konzil<br />
von Chalkedon im Jahre 451. Auch auf diesem<br />
Konzil wurde über Glaubenssätze debattiert. Die<br />
Diskussion bezog sich dort vorrangig auf die Natur<br />
von Christus. Zum Ende des Konzils wurde<br />
ein für alle Kirchen verbindlicher Lehrsatz festgelegt.<br />
Im Ergebnis wurde von Christus als Gott<br />
und Menschen, vereinigt in einer Person, gesprochen.<br />
Dies als Lehre von den zwei Naturen (göttliche<br />
und menschliche physis) zu interpretieren,<br />
die eine Trennung zwischen Göttlichkeit und<br />
Menschlichkeit vornimmt lag nahe. Die fünf<br />
(sechs) Kirchen verweigerten die Zustimmung.<br />
Sie sprechen von ‚mia physis’, eine Natur, die<br />
das Göttliche und Menschliche beinhaltet. Und<br />
dies ist eben nicht mit ‚mono physis’ zu verwechseln,<br />
da dies die Vermischung von Göttlichkeit<br />
und Menschlichkeit zu einer Natur ausdrückt.<br />
Die Bezeichnung ‚Monophysitische Kirchen’<br />
und Monophysitismus ist daher eindeutig<br />
unkorrekt. Dennoch hat sich eine neue allgemeine<br />
Bezeichnung bislang nicht durchgesetzt. Es<br />
wird meist nicht von den miaphysitischen Kirchen<br />
sondern weiterhin von den altorientalische<br />
Kirchen, den orthodox orientalischen oder den<br />
non-chalkedonensischen Kirchen gesprochen.<br />
In ihrem neuen Buch beschreibt Chaillot zusammenfassend<br />
die Geschichte und die Gegenwart<br />
aller fünf (sechs) Kirchen, die das Konzil von<br />
Chalkedon nicht anerkannt haben, der syrisch-orthodoxen,<br />
der malankarischen, der armenischen,<br />
der koptischen und der äthiopisch-orthodoxen<br />
Kirche. Chaillot musste eine Entscheidung treffen,<br />
um eine breite Leserschaft zu erreichen. Das<br />
Ergebnis ist ein ordentliches Handbuch, eine Art<br />
Nachschlagewerk, wo der Interessierte und der<br />
Laie sich erste Informationen über die jeweilige<br />
Kirche besorgen kann. Sie umschreibt es selber<br />
als neue Zusammenstellung (compilation) ihrer<br />
bisher auf Englisch erschienen Bücher (S. 15):<br />
The Malankara Orthodox Church (1996), The<br />
Syrian Orthodox Church of Antioch (1998), The<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011
52 Buchbesprechungen<br />
Ethiopian Orthodox Tewahedo Church Tradition<br />
(2002) und The Coptic Orthodox Church (2005).<br />
Nur das Kapitel über die armenische Kirche ist<br />
vollständig neu verfasst. Ebenfalls hinzugekommen<br />
sind viele persönliche Informationen, die sie<br />
auf ihren Reisen und in Gesprächen und Interviews<br />
mit Gläubigen gewonnen hat.<br />
Der Titel des Buches verspricht Aufschluss über<br />
das Leben und die Spiritualität der orientalischen<br />
orthodoxen Kirchen nach syrischer, armenischer,<br />
koptischer und äthiopischer Tradition. Chaillot<br />
nimmt den Lesenden an die Hand auf einer Entdeckungstour<br />
durch den asiatischen und afrikanischen<br />
Kontinent. Zum „Leben“ gehört die Geschichte,<br />
teilweise mit Verfolgung und Exil der<br />
jeweiligen Kirchen, aber natürlich auch der gegenwärtige<br />
Alltag. Unter der Überschrift „Spiritualität“<br />
werden das Erbe der Kirchenväter, Klostertraditionen,<br />
das Mönchs- und Asketentum,<br />
die Liturgie, die Gebete und Rituale, die Pilgerfahrten,<br />
die Marienverehrung, die Heiligen etc<br />
behandelt.<br />
Nach einem Vorwort von Boris Bobrinsky folgt<br />
eine allgemeine Einleitung von der Autorin. Sie<br />
erläutert die hauptsächlich praktische Ausrichtung<br />
des Buches. So sei sie beispielsweise bemüht,<br />
die Liturgie jeder Kirche für den Laien<br />
verständlich zu schildern, auch damit Besuche<br />
der fremden Kirche vor Ort erleichtert werden.<br />
Im Buch wird jede Kirche nach einem eigenen<br />
Prinzip systematisch vorgestellt, die einzelnen<br />
Darstellungen können daher auch separat gelesen<br />
werden. Das erste Kapitel behandelt die syrischorthodoxe<br />
Kirche (L’Église Syrienne Orthodoxe<br />
S. 21-98). Nach Einleitung, Geschichte, Lebensräume<br />
und Exil werden Sprache, Literatur (Manuskripte)<br />
und die wissenschaftliche Beschäftigung<br />
mit Syrien, die Syrologie, beschrieben. Die<br />
Liturgie, Spiritualität und die Schilderung über<br />
das mönchische Klosterleben folgen. Am Ende<br />
des Kapitels steht eine persönliche Stellungnahme,<br />
bei der Chaillot auf die aktuellen Verfolgungen<br />
und Leiden der Gläubigen hinweist.<br />
Im nächsten Kapitel wird die L’Église malankare<br />
syrienne orthodoxe de l’Inde (S. 101-116) thematisiert,<br />
die kürzeste Abhandlung im Buch. Die<br />
korrekte Namensbezeichnung für die entsprechende<br />
non-chalkedonensische syrisch orthodoxe<br />
Kirche in Indien zu finden hat schon viele Menschen<br />
beschäftigt, angefangen von den Namen<br />
„Thomaschristen“ zu „syrisch – malankarisch“,<br />
was aber andere Nominationen sind. Chaillot<br />
geht nicht tiefer auf die Geschichte dieser Kirche<br />
ein, vielmehr verweist sie auf die weiterführende<br />
Literatur.<br />
Die armenische Kirche wird intensiv behandelt.<br />
Einleitung, Geschichte, Diaspora, Sprache, Literatur,<br />
Armenologie, Liturgie, Spiritualität, und<br />
detaillierten Ausführungen zum Mönchstum werden<br />
durch die persönliche Einordnung der aktuellen<br />
Situation abgeschlossen (S. 116 - 202).<br />
Bei den Kapiteln über die koptische (S. 203-304)<br />
und die äthiopische Kirche (S. 305- 418) werden<br />
noch Diaspora und Mission mit einbezogen. Das<br />
Kapitel über die äthiopische Kirche ist eine<br />
knappe Zusammenfassung ihres Buches, “The<br />
Ethiopian Orthodox Tewahedo Church Tradition.<br />
A brief introduction to its life and spirituality.<br />
Paris 2002 (siehe die Rezension des Buches in<br />
KuS 56, 2003). Die sechste Kirche, die eritreische<br />
Kirche, wird im Buch nicht behandelt. Die<br />
Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo Kirche ist eine<br />
junge Kirche, die nach der Unabhängigkeit Eritreas<br />
von Äthiopien (1993) entstand. Der erste<br />
Patriarch, Abunä Philippos wurde 1998 geweiht.<br />
Einer abschließenden einseitigen Zusammenfassung<br />
folgt die umfangreiche Bibliographie (S.<br />
419-467). Die Bibliographie ist getrennt für jede<br />
Kirche und den einzelnen Themen zusammengestellt.<br />
Im Text selber werden dagegen kaum bibliographische<br />
Angaben gemacht.<br />
Die Frage, die bleibt, ist, für wen das Buch wirklich<br />
geschrieben ist. Für Laien, die sich einen ersten<br />
Überblick verschaffen wollen, ist es teilweise<br />
zu spezifisch, so wenn beispielsweise die<br />
Name der Könige, die in den Heiligenvita vorkommen,<br />
aufgelistet werden (S. 372). Das Buch<br />
setzt zudem zu viele theologische Fachbegriffe<br />
voraus, so wenn die Einzelheiten der Liturgie beschrieben<br />
werden. Dem Anliegen der Ökumene<br />
ist hier wohl am ehesten Rechnung getragen<br />
wurden, Christen anderer Nominationen werden<br />
die orientalischen Kirchen vielleicht auf diese<br />
Weise näher gebracht.<br />
Chaillots ständige Beschäftigung mit diesem<br />
Thema ist sehr wichtig, zumal es immer mehr<br />
auch ein europäisches Thema ist. Viele Gläubigen,<br />
die außerhalb des jeweiligen Landes leben,<br />
haben Kirchengemeinden in ihren Wohnorten<br />
gegründet. Es werden eigenen Kirchen geweiht,<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011
Buchbesprechungen<br />
53<br />
erinnert sei hier an die Einweihung der Kidanä<br />
Mehrät Kirche der Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo<br />
Kirche im Sommer 2010 in Hamburg.<br />
Wer sich einen schnellen Überblick über die einzelnen<br />
Kirchen verschaffen möchte, der kann zu<br />
diesem lebendigen Handbuch greifen.<br />
Verena Böll<br />
MARIELUISE KREUTER UND ROLF P. SCHWIEDRZIK-<br />
KREUTER Äthiopien – von innen und außen,<br />
gestern und heute; BOD Norderstedt, 2010.<br />
ISBN 978-3-8391-9534-5. 33,- €, 426 Seiten,<br />
1089 Fußnoten (Endnoten), 105 meist farbige<br />
Abb., Abkürzungsverzeichnis der dort tätigen<br />
Organisationen, Zeittafel und Auswahlbibliographie.<br />
Das Buch enthält Informationen aus vielen Fachbereichen<br />
und stellt eine negativ-kritische Betrachtung<br />
der äthiopischen Verhältnisse da. Der<br />
Text ist reduziert auf eine Aneinanderreihung<br />
von Fakten, die den Anspruch erheben mit Autorität<br />
zu sprechen. Er vermittelt den Eindruck,<br />
dass hier ein Körper seziert und in seine Einzelteile<br />
zerlegt, darüber jedoch auf den lebendigen<br />
Organismus mit all seinem möglichen Charme<br />
vergessen wird... Man kennt derlei einseitige<br />
Aburteilungen von frustrierten, aufgeklärten Europäern<br />
und Europäerinnen. Es ist dies eine<br />
Reaktion, die vor allem bei mehr oder minder<br />
frustrierten Entwicklungshelfern zu beobachten<br />
ist, die mit einem vorgefassten Lösungspaket ins<br />
Land kamen und die sich nicht auf die gegebenen<br />
Verhältnisse in Äthiopien einstellen konnten.<br />
Die einen lieben Äthiopien – vor allem wegen<br />
der liebenswerten Menschen, denen sie dort begegnet<br />
sind – und bleiben dem Land ein Leben<br />
lang verbunden, die anderen können nur verächtlich<br />
den Kopf schütteln, weil die äthiopische Realität<br />
so anders und so schwierig ist, dass sie all<br />
ihre Träume zerstörte. Mag es der Korrektur der<br />
Entwicklungsarbeit dienen, der Leser, der<br />
Äthiopien offen und mit echter Freude begegnet,<br />
sollte dieses Buch höchstens kritisch als<br />
Nachschlagewerk nutzen.<br />
Annegret Marx<br />
RUDOLF FISCHER. Äthiopien - Landschaften,<br />
Gesichter, Kirchen, Kleiner Bildband im Format<br />
15 auf 21 cm (DIN A 5 hoch), 76 Seiten,<br />
122 Abbildungen (alle farbig), ISBN 978-3-<br />
906090-33-7, Fr. 22.- / Euro 18,-<br />
Der Verfasser ergänzt den im letzten Heft KuS<br />
63/2010 vorgestellten Bildband "Die äthiopische<br />
Kirche und ihre Bilder" um Aufnahmen aus mehreren<br />
äthiopischen Kirchen und Klöstern, die nur<br />
von Männern betreten werden dürfen.<br />
Neben einigen Landschaftsaufnahmen bringt der<br />
schmale Band einige weniger bekannte Sehenswürdigkeiten<br />
in Aksum: Abba Pantaleon, die<br />
Kirche Arbatu Insessa, Buchillustrationen, den<br />
Tafelberg von Debre Damo, den Kratersee von<br />
Zengena, die Landschaft Geralta mit ihren<br />
schroffen Felsmassiven, Bauern des Hochlandes<br />
bei der Arbeit, den grössten See Äthiopiens und<br />
Kirchen auf seinen Inseln, die Malereien von<br />
Tschelekot Selassie, die Klöster Istefanos und<br />
Debre Libanos. Der Text beschränkt sich leider<br />
nur auf das unbedingt Notwendige, was im Rahmen<br />
eines so kleinen Bändchens verständlich ist.<br />
Bestellung des Buches über: www.piscator.ch<br />
oder http://edition-piscator.surfino.info<br />
Oder schriftlich an:<br />
Edition Piscator, Sandmattstr. 31,<br />
CH-4532 Feldbrunnen / Schweiz<br />
Telefon: +41 3262324 73<br />
Wir möchten ausdrücklich auf das interessante<br />
Verlagsprogramm des Piscator-Verlages hinweisen,<br />
dessen Publikationen für an den orientalischen<br />
Kirchen interessierte Mitglieder der Tabor<br />
Society eine Fundgrube an verständlicher Literatur<br />
darstellt!<br />
Annegret Marx<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011