BUCHBESPRECHUNGEN
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Buchbesprechungen<br />
49<br />
Freilassung der Geiseln ist die Entsendung von<br />
technischen Geräten und Handwerkern. England<br />
schickte daraufhin Handwerker samt Ausrüstung,<br />
im November 1866 erreichten sie die Hafenstadt<br />
Massawa. Sie sollen jedoch erst nach der Freilassung<br />
der Geiseln an Land gehen. Da nichts geschieht,<br />
kehren die Handwerker im Mai 1867 zurück.<br />
Unter den 59 bis 67 Geiseln auf Mäqdäla befanden<br />
sich nun zwei englische Diplomaten und ihre<br />
Begleiter. In England wird die Politik Tewodros<br />
als Affront empfunden. Die Presse berichtet ausgiebig<br />
über die Geiselnahme. Die Angst Englands<br />
vor Rebellionen wie nach dem Sepoy Aufstand<br />
1857 (Indien) war groß. Das Parlament genehmigte<br />
schließlich nach über drei Jahren diplomatischen<br />
Bemühungen eine militärische Befreiungsaktion.<br />
Beauftragt dafür wurde Sir Robert<br />
Napier (1810-1890). Eine große Militäreinheit<br />
sollte nach Mäqdäla vorrücken, die Geiseln befreien<br />
und wieder zurückzukehren. Die Ausführung<br />
wurde von Napier gründlich geplant, der Titel<br />
„Unternehmen Magdala“ von Matthies ist hier<br />
angebracht.<br />
Am 30.10.1867 landen die Truppen in Zula.<br />
41.700 bis 60.000 Personen (die Zahlenangaben<br />
varII.eren) sollen insgesamt dabei gewesen sein,<br />
davon 14.700 Soldaten (9050 Inder, 4038 Engländer)<br />
der Britisch-Indischen Armee. Eine große<br />
Anzahl Tiere wurde aus Indien mitgebracht, u.a.<br />
19.000 Pferde, 5735 Kamele und 44 Kriegselefanten.<br />
Die logistischen Leistungen in der neu<br />
angelegten Hafenstadt Zula sind beeindruckend.<br />
Salzwasser wurde durch eine Filtriermaschine zu<br />
Trinkwasser aufbereitet. In der Truppe waren<br />
Christen, Muslime und Hindus vertreten, die Versorgung<br />
der multireligiösen Truppen mit den spezifischen<br />
Speisevorschriften wird eingehalten, so<br />
vegetarisches Essen für Hindus. Das moderne<br />
Waffenlager war immens, es gab allein 4000<br />
Stück Hinterlader-Schnellfeuergewehre (Snider).<br />
Die Industrialisierung des Krieges (Waffen) und<br />
die Privatisierung (Tragtiere, Lebensmittel) verhalfen<br />
den Engländern zur Überlegenheit. Sogar<br />
eine 17 km lange Eisenbahnstrecke wird für die<br />
ersten Transporte gebaut. Am 25.1.1868 erfolgte<br />
der Aufbruch auf der insgesamt 650 km langen<br />
Strecke. Zeitgleich zieht Tewodros nach internen<br />
Machtkämpfen zurück nach Mäqdäla und kommt<br />
dort im März 1868 an.<br />
Die ersten Kampfhandlungen zwischen Engländern<br />
und Äthiopiern finden erst am 9./10. April<br />
1868 in der Schlacht von Fala (Aroge) statt. 700<br />
Äthiopier sollen getötet worden sein, die Engländer<br />
hatten keine Verluste. Tewodros schickt nun<br />
Botschafter mit einem Friedensangebot und lässt<br />
einige Geiseln frei, auch Hormuzd Rassam. Napier<br />
lehnt das Angebot ab, er fordert die Freilassung<br />
aller Geiseln und die Unterwerfung Tewodros.<br />
Ein Briefwechsel folgt, Tewodros zitiert in<br />
seinen Briefen Bibelverse. Am Ostersonntag<br />
(12.4.) lässt er alle Geiseln frei. Sein Friedensangebot<br />
einschließlich Friedensgeschenk (1000<br />
Rinder und 500 Schafe) nimmt Napier nicht an.<br />
Tewodros begeht einen Selbstmordversuch. Napier<br />
ordnet nichtsdestotrotz die Erstürmung<br />
Mäqdälas an. Die Engländer erklimmen am 13.<br />
April die Bergfestung, viele Äthiopier werden<br />
getötet. Tewodros nimmt sich mit der silbernen<br />
Pistole von Viktoria das Leben. Mäqdäla wird<br />
niedergebrannt, am 21. April wird der Rückzug<br />
angetreten und am 2. Juni 1868 Zula erreicht. Interessanterweise<br />
waren nicht alle befreiten Ausländer<br />
glücklich über eine Abreise aus Äthiopien,<br />
für sie war die Geiselhaft nicht gleichzusetzen<br />
mit einer gesamten negativen Einschätzung<br />
Äthiopiens. Sie blieben vor Ort oder kehrten bald<br />
wieder zurück.<br />
Die politischen und kulturellen Folgen dieser militärischen<br />
Geiselbefreiung werden bis heute<br />
kontrovers diskutiert. Dies beginnt bereits bei<br />
den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Aktion,<br />
wie Strafexpedition, Militärexpedition, Napier<br />
Expedition, Britische Expedition, Abyssinian<br />
Expedition, Abyssinian Campaign, Britische<br />
Intervention, British Mission to Theodor, Englischen<br />
Expeditionscorps, Feldzug oder Befreiungsaktion.<br />
„Krieg“ oder „Angriff“ wird jedoch<br />
kaum verwendet. Angesichts der Anzahl der Soldaten<br />
und das Vorgehen der Engländer bei den<br />
Schlachten, die Ablehnung der Friedensangebote<br />
durch Napier, der erneute Angriff nach der Freilassung<br />
der Geisel und der Mitnahme von<br />
Kriegsbeute ist zu fragen, ob die Bezeichnung<br />
„Krieg“ – auch wenn dies nur im Zusammenhang<br />
mit einer offiziellen Kriegserklärung benutzt<br />
werden soll – nicht angemessener wäre.<br />
Die Bezeichnung Expedition verschönert und<br />
verschleiert den Tatbestand. Auf englischer Seite<br />
gab es zwar kaum Tote, bei den Äthiopiern viele<br />
Gefallene. Es ist auch zu fragen, ob Napier vom<br />
ersten Selbstmordversuch von Tewodros wusste.<br />
Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011