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50 Buchbesprechungen<br />

Matthies als Experte für Kriegsforschung thematisiert<br />

diese Fragen nicht ausreichend. Er zieht<br />

zwar durchaus eine kritische Bilanz und zweifelt<br />

den „grandiosen militärischen Sieg über die<br />

Äthiopier“ als einmalige historische Aktion oder<br />

„erste große humanitäre Intervention der Weltgeschichte“<br />

an, doch er vertieft dieses Thema nicht.<br />

Der Begriff Geisel ist ebenfalls vieldeutig. Auf<br />

Mäqdäla gab es Gefangene und Geiseln. Zahlreiche<br />

äthiopische Machthaber - europäische Begriffe<br />

wie Fürst oder Adel greifen nicht - wurden<br />

dort gefangen gehalten, drohten sie Tewodros gefährlich<br />

zu werden. Unter den Gefangenen waren<br />

auch Ausländer, so der koptische Metropolit<br />

Abunä Sälama, der 1867 in Mäqdäla stirbt. Die<br />

Geiselnahme der englischen Diplomaten war für<br />

England eine Verletzung der Immunität, für Tewodros<br />

übliche Machtpolitik. Möglicherweise<br />

versuchte Tewodros durch das Festhalten von<br />

Menschen unterschiedlichster Nationalitäten einen<br />

internen Machtverlust auszugleichen. Er sah<br />

seine Macht schwinden und brauchte eine spektakuläre<br />

Unterstützung. Auch der Sohn der Oromo<br />

Herrscherin Mästawät wurde festgehalten<br />

und aufgrund ihrer Unterstützung der Engländer<br />

von Tewodros getötet.<br />

Matthies vermeidet die Thematisierung der großen<br />

Gegensätze zwischen Nationalgefühl auf der<br />

englischen Seite mit einer Königin und dem regionalen,<br />

teilweise ethnisch und religiös bedingten,<br />

vorherrschenden Machtgefüge auf äthiopischer<br />

Seite mit vielen Herrschern. Die Idee eines<br />

Kaisers als einzigen Machthabers war in Äthiopien<br />

vorhanden, doch ständige Machtkämpfe mit<br />

kriegerischen Auseinandersetzungen waren an<br />

der Tagesordnung. Die Vergrößerung des eigenen<br />

Herrschaftsgebietes hatte Priorität vor einem Nationalgefühl.<br />

Gerade diese Konflikte führten den<br />

Engländern neue Verbündete zu. Die Kämpfe<br />

zwischen den christlichen Amhara und den muslimischen<br />

Oromo (Galla) waren stark. Die beiden<br />

Oromo Herrscherinnen (der Titel Königin ist<br />

nicht gesichert) Wärqitu (Wekait) und Mästawät<br />

(Mastiat) in Wällo und Wärrä Himäno hatten somit<br />

einen großen Einfluss auf den Verlauf der<br />

Militäraktion. Mästawät (ca. 1830-ca. 1885)<br />

nahm aktiv an Kämpfen teil und leitete die Aufstände<br />

gegen Tewodros. (Wichtige Persönlichkeiten<br />

wie Sir Robert Napier und Gerhard Rohlfs<br />

werden im Buch gesondert dargestellt, Tewodros<br />

und Mästawät fehlen leider). Nach Verhandlungen<br />

mit Napier sorgte sie für einen freien Durchzug<br />

der Engländer in ihrem Gebiet und unterstütze<br />

sie mit Lebensmitteln. Die Bedeutung von<br />

Mästawät und Wärqitu wurde bislang nicht genügend<br />

herausgearbeitet.<br />

Auch andere Herrscher strebten nach einer Niederlage<br />

Tewodros und verbündeten sich mit Napier.<br />

Die taktische Zusammenarbeit mit den regionalen<br />

Machthabern und die genauen geographischen<br />

Kenntnisse Äthiopiens halfen England.<br />

Theodor von Heughlin lieferte bereits 1862 erste<br />

detaillierte Ansichten von Mäqdäla nach Europa.<br />

Doch schon auf dem Rückweg kam es vermehrt<br />

zu Angriffen auf die englischen Truppen. Scheinbar<br />

haben einige Herrscher die Engländer bewusst<br />

benutzt, um Tewodros zu stürzen. Nun<br />

konnten die Äthiopier ihre neuen Waffenkenntnisse<br />

anwenden, wie auch wenig später gegen die<br />

Italiener (Adwa). Die von Napier auf dem Rückweg<br />

an Kaía Mérca gemachten Waffengeschenke<br />

als Dank für seine Mithilfe verhalfen ihm zum<br />

Kaiserthron (Johannes IV. 1872-89). Die Mitnahme<br />

des Thronfolgers Alämayyähu Tewodros<br />

(1860 - 4.11.1879), Sohn von Tewodros II. und<br />

Téru Wärq Wébe (Térunäš) nach England veränderte<br />

die Herrschaftsabfolge, wodurch Menelik<br />

II. (1889-1910) zur Macht gelangt. Alämayyähu<br />

Tewodros ist begraben in der Kapelle von Windsor<br />

in England.<br />

Matthies folgt bei seiner Beschreibung der englischen<br />

Sicht und benutzt hauptsächlich europäische<br />

Quellen. Er verarbeitet die offiziellen Militärberichte,<br />

die Bücher der Teilnehmer, die Schilderungen<br />

der Geiseln, wissenschaftliche Auswertungen<br />

und die Artikel der Kriegsjournalisten<br />

(embedded journalists). Die äthiopischen Quellen,<br />

die Chronik Tewodros wurde mehrfach übersetzt<br />

(Littmann, Moreno, Mondon-Vidailhet<br />

etc.), weitere Berichte und Dokumente berücksichtigt<br />

er kaum. Eine neue Beurteilung dieses<br />

historischen Ereignisses auf Grund äthiopischer<br />

Quellen fehlt somit. Eine Analyse äthiopischer<br />

Dokumente könnte die Sichtweise verändern, genannt<br />

sei der Brief (1870) der Großmutter<br />

Laqiyaye an Königin Viktoria, der der großmütterlichen<br />

Sorge um den kleinen Enkel Alämayyähu<br />

Ausdruck verleiht (Rubenson). England wurde<br />

nicht generell als Feind Äthiopiens angesehen,<br />

eine umfangreiche Korrespondenz zwischen<br />

den Ländern zeugt davon. Die Legendenbildung<br />

von Kaiser Tewodros zum äthiopischen Helden,<br />

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011

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