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Alex und das Frühlingsbuch

„Am verwegensten sind junge Stiere, wenn sie in Panik ge­raten.“ wusste Simone, „Du bist kein junger Stier, Alex, nicht war?“ Ihre Reaktion habe ja auch leicht panische Züge gehabt, aber ihre Verhal­tensressourcen seien darin äußerst dürftig, und einen Dolch besitze sie auch nicht, meinte Simone noch zur Problemlösung. Welche Probleme Simone und Alex noch, auch außerhalb des Frühlings zu lösen hatten, erzählt die Geschichte.

„Am verwegensten sind junge Stiere,
wenn sie in Panik ge­raten.“ wusste Simone, „Du bist kein junger Stier, Alex, nicht war?“
Ihre Reaktion habe ja auch leicht panische Züge gehabt,
aber ihre Verhal­tensressourcen
seien darin äußerst dürftig, und einen Dolch
besitze sie auch nicht,
meinte Simone noch zur Problemlösung.
Welche Probleme Simone und Alex noch,
auch außerhalb des Frühlings zu lösen hatten, erzählt die Geschichte.

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mung <strong>und</strong> Selbsterkenntnis <strong>und</strong> was damit zusammenhing. Dabei kamen sie<br />

auf Simone <strong>und</strong> ihre Studienabsichten zu sprechen. Natürlich würde sie Germanistik<br />

studieren, aber am liebsten nur Literatur <strong>und</strong> <strong>das</strong> Umfeld davon. Nein,<br />

nicht mit Hanni <strong>und</strong> Nanni sei sie zum Lesen gekommen, sie müsse <strong>das</strong> doch<br />

wohl irgendwann mal nachholen, alle Frauen würden es kennen, nur sie nicht.<br />

„Ich bin erst relativ spät zum Lesen gekommen. Als Kind schon war ich in<br />

Brechts „Mutter Courage“. Das hat mich absolut fasziniert. Fasziniert ist zu<br />

wenig, ich habe darin gelebt, fast wie in Trance. Ich war besessen <strong>und</strong> musste<br />

es unbedingt sofort lesen. Dann las ich, was Brecht zum Theater geschrieben<br />

hat. Ich konnte es kaum verstehen, nur der Regisseur schien es auch nicht<br />

verstanden zu haben, denn episches Theater war <strong>das</strong> auf keinen Fall, was ich<br />

erlebt hatte. Jedenfalls hat es mich süchtig gemacht nach anderen Dramen,<br />

nicht nur von Brecht. Und wenn du Eugene O'Neills „Trauer muss Elektra<br />

tragen“ gelesen hast, willst du auch die anderen kennenlernen bis zum Elektra<br />

Original von Sophokles. Zuerst war <strong>das</strong> Drama, dann Lyrik ohne Drama <strong>und</strong><br />

danach erst Romane, Erzählungen, Novellen. Ein grobes Schema ist <strong>das</strong>, in der<br />

Realität hat es sich häufig überschnitten.“ legte Simone ihren Leseweg dar.<br />

„Hast also gar keine lesende Kindheit gehabt? Dass du jetzt in der Schule lesen<br />

konntest, hat dich nicht interessiert? Die drei Fragezeichen <strong>und</strong> so etwas fehlt<br />

dir völlig?“ reagierte <strong>Alex</strong> verw<strong>und</strong>ert. „Meinst du, <strong>das</strong>s es vielleicht irreparable<br />

Schäden zur Folge haben könnte? So wie frühkindliche Fehlentwicklungen für<br />

die Psyche?“ fragte Simone streng ernst <strong>und</strong> lachte dann los. „Bestimmt.“ war<br />

<strong>Alex</strong> Ansicht, „Ein ordentlicher Leseweg fängt mit 'Wir lesen alles kurz <strong>und</strong><br />

klein' an.“ „Das habe ich ja auch gemacht, ich wollte schon überall alles<br />

entziffern, aber die Texte waren mir bestimmt als Kind schon zu banal. Später<br />

kam es mir oft so vor, <strong>das</strong>s ich mich in ganz anderen Sphären bewegte als<br />

meine Mitschülerinnen <strong>und</strong> die Mitschüler allemal. Aber außer im<br />

Deutschunterricht kam <strong>das</strong> ja nicht zum Tragen. Nur mein Selbstverständnis,<br />

mein Selbstbild wusste auch davon. Anders kam ich mir schon vor, meinte<br />

schon mehr Durchblick <strong>und</strong> einen weiteren Horizont zu haben, aber ausgespielt<br />

habe ich <strong>das</strong> nie, habe mir nur selber gefallen. Überheblich hat mich, glaube<br />

ich, nie jemand erlebt. Ein bisschen von dem Mutter Courage Fieber ist wohl<br />

permanent erhalten geblieben. Beim Lesen versenke ich mich immer total, bei<br />

Filmen kommt <strong>das</strong> nicht vor. Vielleicht weil dort kein Raum für mein eigenes<br />

Leben ist.“ erklärte Simone. „Sag mal, <strong>Alex</strong>, was wirst du heute eigentlich in<br />

dein Frühlingsbuch eintragen.“ erk<strong>und</strong>igte sich Simone mit schelmischer Mimik.<br />

<strong>Alex</strong> dachte kurz nach. „Et ver caro factum est et habitavit in café am see.“<br />

lautete <strong>Alex</strong> Antwort mit einem ebenso schelmischen Blick. „Du großer<br />

Lateiner, <strong>das</strong> musst du aber übersetzen.“ Simone darauf. „Aus der Kirche<br />

solltest du es kennen, nicht aus dem Lateinunterricht. 'Der Frühling ist Fleisch<br />

geworden <strong>und</strong> hat gelebt im Café am See'“ übersetzte <strong>Alex</strong>, <strong>und</strong> Simone<br />

wusste gar nicht so recht, wie sie blicken sollte, vor allem aber wusste sie<br />

nichts dazu zu sagen. Ein wenig Verlegenheit lag in ihrem leicht erfreuten<br />

Lächeln, dann blickte sie <strong>Alex</strong> lange <strong>und</strong> ernst an. Sie ließ ihren Blick in die<br />

Ferne schweifen. <strong>Alex</strong> sagte nichts. Er sah, <strong>das</strong>s Simone nachdachte <strong>und</strong> wollte<br />

sie nicht stören. Dann sprach Simone ernst <strong>und</strong> ein wenig getragen: „<strong>Alex</strong>, es<br />

ist so, ich glaube, ich mag dich, <strong>und</strong> ich unterhalte mich gern mit dir. Es würde<br />

mich sehr freuen, sagen zu können, <strong>Alex</strong> gehört zu meinen Fre<strong>und</strong>en. Ich<br />

<strong>Alex</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> Frühlingsbuch – Seite 7 von 24

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