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Luc und Anne

Als ich wieder zu Luc zum Kaffee kam, meinte ich eine Veränderung zu spüren. Als ob wir uns anders betrachteten. „Luc, dir geht etwas durch den Kopf. Sag es mir.“ forderte ich ihn auf. Luc zögerte, dann meinte er: „Anne, im Gegensatz zu dir, scheine ich es zu lieben, wenn es gefährlich wird. Und ich bin mir nicht sicher, ob du das Prickelnde nicht auch magst, es dir nur selbst untersagst.“ „Nein, Luc, ich will das nicht. Ich mag dich sehr gern, aber ich mag die Konse­quenzen nicht, die es hätte.“ lautete meine Antwort. Noch nie war eine Andeu­tung in der Richtung gefallen, gemeinsam ins Bett gehen zu können, aber jetzt war es für uns beide sofort selbstverständlich, dass wir darüber redeten. „Aber du möchtest es schon gerne?“ meinte Luc fragend. „Bitte, bedräng mich nicht, Luc. Lass es.“ ich darauf. „Wir können uns ja küssen und ein wenig zärtlich sein. Das ist doch auch schon was.“ meinte ich. „Da hast du Recht. Das ist ganz viel, und ich freu' mich drauf“ reagierte Luc. Wir lächelten uns zu, und für den gefundenen Kompromiss gab's den ersten Kuss.

Als ich wieder zu Luc zum Kaffee kam, meinte ich
eine Veränderung zu spüren. Als ob wir uns anders
betrachteten. „Luc, dir geht etwas durch den Kopf.
Sag es mir.“ forderte ich ihn auf. Luc zögerte, dann meinte er:
„Anne, im Gegensatz zu dir, scheine ich es zu lieben,
wenn es gefährlich wird. Und ich bin mir nicht sicher,
ob du das Prickelnde nicht auch magst, es dir nur selbst
untersagst.“ „Nein, Luc, ich will das nicht. Ich mag dich
sehr gern, aber ich mag die Konse­quenzen nicht,
die es hätte.“ lautete meine Antwort. Noch nie war eine
Andeu­tung in der Richtung gefallen, gemeinsam ins Bett
gehen zu können, aber jetzt war es für uns beide sofort
selbstverständlich, dass wir darüber redeten. „Aber du
möchtest es schon gerne?“ meinte Luc fragend. „Bitte,
bedräng mich nicht, Luc. Lass es.“ ich darauf. „Wir können
uns ja küssen und ein wenig zärtlich sein. Das ist doch auch
schon was.“ meinte ich. „Da hast du Recht. Das ist ganz viel,
und ich freu' mich drauf“ reagierte Luc. Wir lächelten uns zu,
und für den gefundenen Kompromiss gab's den ersten Kuss.

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<strong>Luc</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Anne</strong><br />

Schülerliebe mit 45<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 1 von 28


Evimad<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong><br />

verspätete Liebe<br />

Ehemalige Schülerin <strong>und</strong> Schüler entdecken ihre Zuneigung<br />

Erzählung<br />

Krone des Lebens, Glück ohne Ruh', Liebe, bist du!<br />

Johann Wolfgang von Goethe<br />

Als ich wieder zu <strong>Luc</strong> zum Kaffee kam, meinte ich<br />

eine Veränderung zu spüren. Als ob wir uns anders<br />

betrachteten. „<strong>Luc</strong>, dir geht etwas durch den Kopf.<br />

Sag es mir.“ forderte ich ihn auf. <strong>Luc</strong> zögerte, dann meinte er:<br />

„<strong>Anne</strong>, im Gegensatz zu dir, scheine ich es zu lieben,<br />

wenn es gefährlich wird. Und ich bin mir nicht sicher,<br />

ob du das Prickelnde nicht auch magst, es dir nur selbst<br />

untersagst.“ „Nein, <strong>Luc</strong>, ich will das nicht. Ich mag dich<br />

sehr gern, aber ich mag die Konsequenzen nicht,<br />

die es hätte.“ lautete meine Antwort. Noch nie war eine<br />

Andeutung in der Richtung gefallen, gemeinsam ins Bett<br />

gehen zu können, aber jetzt war es für uns beide sofort<br />

selbstverständlich, dass wir darüber redeten. „Aber du<br />

möchtest es schon gerne?“ meinte <strong>Luc</strong> fragend. „Bitte,<br />

bedräng mich nicht, <strong>Luc</strong>. Lass es.“ ich darauf. „Wir können<br />

uns ja küssen <strong>und</strong> ein wenig zärtlich sein. Das ist doch auch<br />

schon was.“ meinte ich. „Da hast du Recht. Das ist ganz viel,<br />

<strong>und</strong> ich freu' mich drauf“ reagierte <strong>Luc</strong>. Wir lächelten uns zu,<br />

<strong>und</strong> für den gef<strong>und</strong>enen Kompromiss gab's den ersten Kuss.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 2 von 28


<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> Verspätete Liebe - Inhalt<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> Verspätete Liebe......................................................4<br />

Schultrieb....................................................................................... 4<br />

<strong>Luc</strong>, was treibt dich her?................................................................5<br />

<strong>Anne</strong>s Beziehung............................................................................ 6<br />

Peergroup.......................................................................................6<br />

<strong>Luc</strong>s Beziehungen........................................................................... 7<br />

Erinnern <strong>und</strong> Vergessen.................................................................8<br />

Los compañeros de la escuela........................................................9<br />

Ach, du Armer.................................................................................9<br />

Berührungen.................................................................................10<br />

Compañeros..................................................................................10<br />

Zerbrochene Beziehung................................................................ 11<br />

Lust auf <strong>Luc</strong>.................................................................................. 12<br />

Lieben wir uns eigentlich?............................................................ 13<br />

<strong>Luc</strong>, ich bin sehr empfindlich........................................................ 14<br />

Glück einer weisen Frau...............................................................15<br />

Mamis neue Fre<strong>und</strong>in...................................................................15<br />

<strong>Anne</strong>, mir fehlt etwas................................................................... 16<br />

Marcel...........................................................................................17<br />

Marcels Fragen............................................................................. 18<br />

Trennung von Marius?.................................................................. 19<br />

Aletta............................................................................................19<br />

Kein absurdes Theater..................................................................20<br />

Ne Fre<strong>und</strong>in hät' ich auch schon gern...........................................21<br />

<strong>Luc</strong>, I'm free................................................................................. 22<br />

<strong>Luc</strong> mit Aletta <strong>und</strong> Marcel............................................................. 22<br />

Du hast einen guten Charakter, <strong>Luc</strong>..............................................23<br />

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...........................................24<br />

Alettas intime Besprechung mit <strong>Luc</strong>.............................................25<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 3 von 28


<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> Verspätete Liebe<br />

Schultrieb<br />

In allen Straßen <strong>und</strong> an allen Ecken sieht man Kneipen, Restaurants, Bistros<br />

<strong>und</strong> Imbissbuden. Selbstverständlich, dass es so viele davon gibt. Sie resultieren<br />

aus der Notwendigkeit, dass der Mensch öfter etwas essen <strong>und</strong> trinken<br />

muss, um nicht zu verhungern oder zu verdursten, dem Selbsterhaltungstrieb<br />

letztendlich. Hinzu kommt dass Kommunikationsbedürfnis, dem hier leichter<br />

entsprochen werden kann, als bei der Nahrungsaufnahme zu Hause. Von einem<br />

direkten Kommunikationstrieb spricht man nicht, obwohl es für Freud gewiss<br />

eine Auswirkung des Sexualtriebes wäre. Aber welches Triebbedürfnis bedienen<br />

die vielen, oft unscheinbaren kleinen oder größeren Gebäude, die einem meist<br />

gar nicht auffallen, obwohl sie in der Regel über einen größeren freien Platz<br />

verfügen, auch mitten in der Innenstadt. In jedem Ort gibt es sie, meist mehrere<br />

davon, hier sogar einige H<strong>und</strong>ert. Ob man sie deshalb nicht wahrnimmt,<br />

weil sie nicht mit Reklametafeln die Blicke auf sich lenken, oder ob unsere Erfahrungen<br />

mit ihnen die Wahrnehmung beeinflusst haben? Wenn man dreizehn<br />

Jahre in einem Betrieb gearbeitet hatte, gehörte man zum Stammpersonal,<br />

fühlte sich mit ihm verwachsen, identifizierte sich mit ihm. Die Augen glänzten,<br />

wenn man das Gebäude sah, in dem man so lange Zeit seines Lebens verbracht<br />

<strong>und</strong> so viele Erfahrungen gesammelt hatte. Bei Schulen ist das in der<br />

Regel nicht der Fall. Nahm man im Betrieb wehmütig Abschied, wenn man ihn<br />

verließ, hier feierte man Freudenfeste bei der Entlassung. Für's Leben sollte<br />

man hier gelernt haben, aber da waren viele mit Seneca der gleichen Meinung,<br />

dass dies nicht geschehe, sondern man für die Schule lerne. Ob es einen Trieb<br />

geben könne, der die jungen Menschen zur Schule gehen lasse, ist ein so abwegiger<br />

Gedanke, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, es zu erforschen.<br />

Man kann sicher davon ausgehen, dass ein Schultrieb nicht existiert. Es<br />

basierte auf einem Beschluss von Eltern <strong>und</strong> den anderen Erwachsenen, dass<br />

der Mensch etwas zu lernen habe, <strong>und</strong> zwar in der Schule. Das hatte Wilhelm<br />

Busch schon richtig benannt. Sich um das spätere Wohlergehen ihrer Kinder zu<br />

kümmern, war die Motivation. Eine Fortsetzung des Brutpflegeverhaltens, von<br />

dem mache überzeugt sind, das es bei ihren Eltern nie abgeschlossen sei. Bei<br />

nicht wenigen wird der Besuch der Schule eher als Antagonist des Lustprinzips<br />

empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> könnte so zu Fehlentwicklungen oder Störungen der Libido<br />

führen. Schule, das sind Hausaufgaben, die einem die Nachmittage stehlen,<br />

das sind Klassenarbeiten, deren Benotungen Frustrationen erzeugen, das sind<br />

Dinge, die man lernen muss, obwohl sie einen anwidern. Dass du trotzdem Lächeln<br />

kannst, wenn du morgens deine Klassenkameradinnen <strong>und</strong> -kameraden<br />

siehst, grenzt an ein W<strong>und</strong>er. Das Zusammenleben mit ihnen ist es, was für die<br />

meisten von großer Bedeutung ist. Du triffst sie ja nicht nur kurz, wie einmal<br />

abends auf einer Fète, sondern jeden Tag verbringst du mehrere St<strong>und</strong>en mit<br />

ihnen <strong>und</strong> das über Jahre. Du bist mit ihnen erwachsen geworden, kennst sie<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 4 von 28


aus tausenden von Situationen, lebst mit ihnen <strong>und</strong> legst Wert darauf, von ihnen<br />

anerkannt zu werden. Was du hier lernst, ist nicht für die Schule. Es ist für<br />

dich, deine Persönlichkeitsentwicklung, es ist für dein Leben. Du hast es nicht<br />

unter Lerndruck gelernt, du hast es freiwillig internalisiert. Es gehört zu dir,<br />

vergessen wie die Inhalte der Fächer wirst du es nicht können. Es ist ein<br />

Wissen, das du lebst <strong>und</strong> das in keinem Lehrplan steht.<br />

<strong>Luc</strong>, was treibt dich her?<br />

Lukas, den wir <strong>Luc</strong> nannten, hatte ich seit der Schule nicht mehr gesehen, <strong>und</strong><br />

trotzdem erkannte ich ihn nach über fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahren auf Anhieb wieder.<br />

Wir kannten uns ja nur von der Schule, als Achtzehnjährige hatten wir uns zuletzt<br />

gesehen. Jetzt betrachteten wir einander, schauten uns an <strong>und</strong> lachten<br />

uns über uns selber tot. „<strong>Luc</strong>, was treibt dich her? Besuchst du deine Eltern?“<br />

fragte ich ihn. „Nein, ich habe mich versetzen lassen, <strong>und</strong> jetzt hat es endlich<br />

geklappt. Alle wollen sie hierher versetzt werden. Familienzusammenführung<br />

wird als vorrangiger Gr<strong>und</strong> angesehen, <strong>und</strong> kranke Eltern, die ihre Hilfe brauchen,<br />

haben sie angeblich alle. Da musst du schon etwas belegen können.<br />

Jetzt hat es bei mir ausgereicht, <strong>und</strong> ich unterrichte hier am Schillergymnasium.“<br />

erklärte <strong>Luc</strong>. „Meine beiden sind am 'Frau vom Stein'“ sagte ich. „Hast du<br />

Kinder?“ fragte <strong>Luc</strong>. „Ja, <strong>und</strong> 'nen Mann, richtig Family. Wie sich das gehört.“<br />

antwortete ich. „Die Kinder wollen schon erwachsen werden. Aletta, ist zwölf<br />

<strong>und</strong> Marcel ist vierzehn. Ganz schön verrückt oft, aber ich find's herrlich. Wie<br />

steht's bei dir mit Frau <strong>und</strong> Kindern?“ fragte ich <strong>Luc</strong>. „<strong>Anne</strong>, du wirst mich nicht<br />

verstehen. Ich habe zwei Jahre mit einer Fre<strong>und</strong>in zusammengelebt. Danach<br />

war für mich klar, dass ich so etwas nicht mehr will. Nicht, weil Leonie, so hieß<br />

die Fre<strong>und</strong>in, unerträglich gewesen wäre. Mit ihr hatte das nichts zu tun. Ich<br />

bin überzeugt, dass ich für das Leben in Horden nicht geschaffen bin. Natürlich<br />

ist es schön, eine Fre<strong>und</strong>in zu haben <strong>und</strong> mit ihr glücklich zu sein, aber dazu<br />

muss man sich doch nicht permanent in der gleichen Wohnung aufhalten. Ich<br />

habe Lust, mit ihr das gemeinsame Glück zu teilen, aber doch nicht die Müllentsorgung,<br />

das Wischen oder das Einkaufen. Das zerstört eher das Glück.“ erklärte<br />

<strong>Luc</strong>. „Und hast du eine Fre<strong>und</strong>in, mit der du dein Glück teilst?“ fragte ich<br />

ihn grinsend. „Na, so halb <strong>und</strong> halb.“ meinte <strong>Luc</strong>. Auf meinen fragenden Blick<br />

hin erläuterte er es näher: „Ach, es ist so, dass wir uns schon mögen, aber in<br />

einer Beziehung zwischen Mann <strong>und</strong> Frau möchtest du ja mehr, als dich gegenseitig<br />

ganz nett finden.“ Ich sah ihn an <strong>und</strong> hatte nicht wenig Lust, ihn zu provozieren.<br />

Wir standen immer noch vor einem Geschäft in der Fußgängerzone.<br />

„<strong>Luc</strong>, ich würde gern mehr mit dir reden, als über den Kick in der Beziehung<br />

zwischen Mann <strong>und</strong> Frau. Ich möchte etwas davon hören, was dazu beigetragen<br />

hat, unsere Gesichter, unsere Körper, unsere Persönlichkeiten in diesen<br />

sieben<strong>und</strong>zwanzig Jahren zu verändern. Das geht aber nicht hier <strong>und</strong> auch<br />

nicht jetzt. Hast du auch Lust, dass wir uns mal treffen?“ fragte ich <strong>Luc</strong>. Wir<br />

vereinbarten den Termin <strong>und</strong> das Café, in dem wir uns treffen wollten. Unsere<br />

Handynummern tauschten wir für den Notfall aus, wenn jemand doch mal<br />

plötzlich verhindert sein sollte.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 5 von 28


<strong>Anne</strong>s Beziehung<br />

Auf dem Weg nach Hause belegte ein Schmunzeln mein Gesicht. Ich überlegte,<br />

was es wohl sein könnte, dass Marius, mein Mann, <strong>und</strong> ich in unserer Beziehung<br />

mehr haben wollten, als sich gegenseitig ganz nett zu finden? 'Sich gegenseitig<br />

ganz nett finden' das war doch was, das sollte man doch nicht herunterspielen.<br />

Welches Paar konnte das denn ohne zu lügen nach zwanzig Jahren<br />

Ehe noch von sich behaupten? Bei den meisten sah es doch so aus, dass sie<br />

gelernt hatten, sich ohne großen Ärger gegenseitig zu ertragen. Wenn das die<br />

Folgen das gemeinsamen Müllentsorgens, Wischens <strong>und</strong> Einkaufens waren,<br />

konnte man nicht nur <strong>Luc</strong>s Position verstehen, sondern musste ihm auch eine<br />

absolute Schärfe des Durchblicks attestieren. Was erwartete <strong>Luc</strong> denn von einer<br />

Beziehung mehr? Unstillbare Sehnsucht, überbordend heißes Begehren <strong>und</strong><br />

öffnen der komplexen Liebe in ihren Facetten reichen Formen <strong>und</strong> unendlichen<br />

Details. Ich versuchte, es mir bezüglich meiner Beziehung mit Marius vorzustellen,<br />

jetzt musste ich lachen. Schmunzeln reichte da nicht mehr. Dabei handelt<br />

es sich ja nicht um eine überspitzte Karikatur. Viele heiß verliebte Pärchen<br />

empfinden es ja exakt so. Sie verändern dazu sogar die Strukturen ihres Gehirns<br />

<strong>und</strong> versperren manchen Kanälen, die zu rationalen Zentren führen, den<br />

Zugang. So Ekstase ähnlich ist es bei Marius <strong>und</strong> mir nie gewesen. Von Bedürfnis<br />

nach dem anderen, gegenseitigem Begehren <strong>und</strong> Lust aufeinander konnte<br />

man aber schon sprechen, <strong>und</strong> das Liebe im Spiel sei, war auch unsere feste<br />

Überzeugung. Nur spielte es sich in moderaten, vernünftigen <strong>und</strong> überschaubaren<br />

Grenzen ab. Dieses exaltierte Gehabe hielten wir für lächerlich <strong>und</strong> unwürdig.<br />

Für eine gute Basis hielten wir unser Verhältnis, das beständig sei, <strong>und</strong> immer<br />

so fort existieren könne. Wir respektieren <strong>und</strong> achten uns, mögen einander<br />

auch <strong>und</strong> finden uns gegenseitig ganz nett. Das ist geblieben. Meine emotionale<br />

Bedürfnisbefriedigung finde ich mit den Kindern.<br />

Peergroup<br />

Von <strong>Luc</strong> meinte ich, ein sehr detailliertes Bild zu haben, zu wissen wie er sich<br />

in irgendwelchen Situationen verhalten würde, aber ich wusste so gut wie<br />

nichts von ihm. In der Schule hatte ich mit ihm kaum etwas zu tun gehabt. Ich<br />

wusste nur, dass er zu den wenigen netten Jungs gehörte <strong>und</strong> nicht zu denen,<br />

die die mentalen Ergebnisse ihrer Pubertät ostentativ demonstrieren mussten.<br />

Er lachte gern, war fre<strong>und</strong>lich, <strong>und</strong> ich vermutete, dass sein trockener <strong>und</strong><br />

manchmal auch bissiger Humor, nur bei ausgeprägter Intelligenz möglich sei.<br />

Mehr wusste ich nicht. Ich meine auch, dass er eine Fre<strong>und</strong>in gehabt hätte,<br />

kann es aber nicht mehr genau sagen. Was interessierte es auch schon. Als<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche waren wir uns sehr vertraut. Wir sahen uns ja jeden<br />

Tag <strong>und</strong> waren länger miteinander zusammen, als mit jedem anderen Familienmitglied.<br />

Damals war es mir gar nicht bewusst geworden, aber jetzt erstaunte<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 6 von 28


es mich, dass nach sieben<strong>und</strong>zwanzig Jahren, das Verhältnis untereinander so<br />

selbstverständlich war. Etwas Fremdes war nicht zu spüren, eher ein Verhalten,<br />

das familiär vertraute Züge trug. Wir waren immer noch Mitglieder der gleichen<br />

Peergroup.<br />

<strong>Luc</strong>s Beziehungen<br />

„Wieso hast du mich eigentlich sofort erkannt?“ wollte ich von <strong>Luc</strong> wissen, als<br />

wir uns im Café trafen. Im Gr<strong>und</strong>e eine dumme Frage. „Jedem der ein Bild von<br />

damals <strong>und</strong> jetzt gesehen hätte, wäre es wie von zwei verschiedenen Personen<br />

vorgekommen.“ fügte ich noch an. <strong>Luc</strong> wusste trotzdem eine Antwort. „Ich<br />

denke, dass es so etwas wie für ein Gesicht charakteristische Strukturen gibt,<br />

die sich auch im Alterungsprozess nicht verändern. Wir haben unsere Gesichter<br />

ja nicht eimal gesehen, sondern tausendfach in den unterschiedlichsten Situationen.<br />

Diese charakteristischen Strukturen werden sich uns eingeprägt haben.<br />

Wahrscheinlich gehören sie zum festen Repertoire unseres Erkennens <strong>und</strong> haben<br />

sich uns eingeprägt wie Gerüche, die man nie vergisst. Du hast mich ja<br />

auch sofort erkannt.“ erklärte <strong>Luc</strong> es. „Aber das mit dem Besonderen in der<br />

Beziehung zwischen Mann <strong>und</strong> Frau, das wolltest du mir noch erklären.“ fuhr<br />

ich fort. „Na ja, es muss sich doch so etwas wie ein Bedürfnis nach Zuneigung<br />

entwickeln.“ meinte <strong>Luc</strong>. „Das hast du auch bei kleinen Kindern. Du meinst, sie<br />

muss attraktiv sein <strong>und</strong> in dir ein Bedürfnis nach erotischer Zuwendung entwickeln?“<br />

korrigierte ich ihn. <strong>Luc</strong> lachte. „Das vielleicht auch, aber alleine gibt es<br />

das für mich nicht. Es muss schon im Zusammenhang stehen. Im Zusammenhang<br />

damit, dass mich die Persönlichkeit der Frau fasziniert, dass ich Lust verspüre,<br />

ihr nahe sein zu wollen <strong>und</strong> ihr Anerkennung zu schenken.“ <strong>Luc</strong> darauf.<br />

„Du meinst, das du Liebe in dir fühlen müsstest?“ fragte ich nach. „Liebe ist ein<br />

komplexer, häufig missbrauchter Begriff, aber diesem Bereich ist es sicher zuzuordnen.“<br />

<strong>Luc</strong> dazu. „Hattest du denn in St. Augustin keine Fre<strong>und</strong>in?“ fragte<br />

ich nach. „Schon, aber es war vorbei, bevor ich versetzt wurde.“ antwortete<br />

<strong>Luc</strong>. „Hast eine wechselvolle Beziehungsgeschichte hinter dir, oder?“ meinte<br />

ich. <strong>Luc</strong> schaute sinnierend in den Caféraum, grinste dann ein wenig verlegen<br />

<strong>und</strong> erklärte: „Nein, so kann man das sicher nicht nennen. Es ist nur vertrackt,<br />

evolutionär muss es bedingt sein. In einer Frau scheint irgendwann, trotz vorheriger<br />

gegenteiliger Beteuerung, doch noch der Wunsch nach Kindern aufzukommen.<br />

Das kannst du keiner wieder ausreden. Es hat eher den gegenteiligen<br />

Effekt, dass es den Kinderwunsch verstärkt <strong>und</strong> dringlicher macht. Wenn<br />

du dich dem strikt <strong>und</strong> hartnäckig verweigerst, entsteht zunächst eine Kluft,<br />

die langsam zum Zerwürfnis <strong>und</strong> zur Trennung führt. Bei jeder Beziehung war<br />

es genauso.“ erzählte <strong>Luc</strong>. „Und dass du keine Kinder willst, ist das auch evolutionär<br />

bedingt? <strong>Luc</strong> du spinnst. <strong>Luc</strong>, hast du dir mal Gedanken darüber gemacht,<br />

wie w<strong>und</strong>ervoll es sein kann, mit aufwachsenden Kindern zu leben? Im<br />

Gegensatz zu dir, werden deine Frauen das getan haben. Die Gedanken kommen<br />

dir in der Regel, wenn du dich wohlfühlst, wenn du glücklich bist. Dann<br />

von dem, mit dem dieses Glück verb<strong>und</strong>en ist, nur ein harsches 'Nein' zu hören,<br />

tut weh, zerstört etwas.“ meinte ich dazu. „Aber was soll ich denn tun?<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 7 von 28


'Ja, vielleicht doch' sagen? Das wäre gelogen <strong>und</strong> würde falsche Hoffnungen<br />

wecken. Ich muss doch schon klar sagen, dass es für mich nicht in Frage<br />

kommt. Die schönen St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Erlebnisse sehe ich ja auch, nur ist dass die<br />

eine Seite. Ich könnte mein Leben nicht mehr so leben, wie ich es wollte. Ich<br />

wäre ein anderer Mensch. Jemand der für das Leben anderer von ihm abhängiger<br />

junger Menschen verantwortlich ist. Das kann ich nicht, <strong>und</strong> das will ich<br />

auch nicht.“ meinte <strong>Luc</strong>. „Traust es dir nicht zu. Hast Angst vor der Verantwortung.<br />

Meinst es könnte dich belasten oder überfordern.“ antwortete ich fragend.<br />

„Ja, bestimmt. Ich würde es als zusätzliche Belastung empfinden, die<br />

nicht sein muss. Warum soll ich es dann tun?“ antwortete <strong>Luc</strong>. Ich hätte ihm<br />

noch etwas dazu sagen können, dass sein Verhalten widersprüchlich <strong>und</strong> seine<br />

Sichtweise egozentrisch sei, aber ich wollte ihn ja nicht überreden. Es zeigte<br />

mir vor allem, wie empfindsam <strong>Luc</strong> war. Dass mein Leben ein anderes geworden,<br />

<strong>und</strong> ich jetzt für Marcel verantwortlich sei, wurde mir erst richtig bewusst,<br />

als er schon fast ein Jahr alt war. Dass er sensibel <strong>und</strong> feinfühlig war, passte<br />

sehr gut zu dem Bild, dass ich noch aus Schulzeiten von <strong>Luc</strong> hatte.<br />

Erinnern <strong>und</strong> Vergessen<br />

Dass ich Kulturgeschichte <strong>und</strong> er Englisch <strong>und</strong> Französisch studiert hatte,<br />

wussten wir nicht. Bestimmt war in der Schule darüber gesprochen worden, so<br />

etwas vergaß man, aber die Situation, wie er Frau Lensing im Philosophieunterricht<br />

durch eine Frage bloßgestellt <strong>und</strong> die ganze Klasse zum Lachen gebrachte<br />

hatte, das hatte ich nicht vergessen. Wie hoch die emotionale Beteiligung<br />

war, schien Kriterium für's Behalten <strong>und</strong> Vergessen. Wie hoch war die<br />

emotionale Beteiligung bei <strong>Luc</strong> selber denn, das Interesse an seiner Person? Da<br />

gab es nichts. Er war einer von den Mitschülern, wie die anderen auch. Ich hatte<br />

mich auch in all den Jahren nicht an <strong>Luc</strong> erinnert. Als ich ihn jetzt sah, freute<br />

es mich aber. Beim weitaus überwiegenden Teil der Jungen wäre das nicht<br />

der Fall gewesen. Die Bilder von ihnen existierten noch genauso gut, aber sie<br />

hatten hässlich Stellen, die mir nicht gefielen. Die Erinnerung an <strong>Luc</strong> war mit<br />

Sympathie verb<strong>und</strong>en, die mir während der Schulzeit gar nicht bewusst geworden<br />

war. <strong>Luc</strong>s Erinnerungen an mich, mussten auch wohl positiv besetzt sein.<br />

Er hätte auch die Jahre über nicht mehr an mich gedacht, aber dass er mich<br />

getroffen habe, hätte ihn richtig gefreut. Den ganzen Abend habe er sich noch<br />

an die gemeinsamen Zeiten in der Schule zu erinnern versucht. Leider hätten<br />

wir beiden ja viel zu wenig miteinander zu tun gehabt, aber die Mädchen hätten<br />

sich ja auch nicht für sie interessiert, sondern immer nach den Jungs aus<br />

den höheren Klassen geschielt. Ob ich denn damals einen Fre<strong>und</strong> gehabt<br />

hätte? „Ja, schon, aber das war auch mehr für's Ansehen, da es eben zum guten<br />

Ton gehörte, einen Fre<strong>und</strong> zu haben. Was du für die Beziehung zwischen<br />

Mann <strong>und</strong> Frau gefordert hast, fehlte da ganz bestimmt. Auch wenn wir uns<br />

damals selbst für super erwachsen hielten, kommt es mir heute vor, dass wir<br />

im Hinblick auf Beziehungen noch richtige Kinder waren. Wie man sich während<br />

der Schulzeit verlieben konnte, <strong>und</strong> das fürs ganze Leben hält, ist mir ein<br />

absolutes Rätsel.“ antwortete ich. Wir hatten nichts Wichtiges besprochen,<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 8 von 28


trotzdem schien es uns beiden zu gefallen. Als <strong>Luc</strong> fragte, ob wir den Kontakt<br />

nicht aufrecht erhalten sollten, antwortete es aus mir: „Ja, selbstverständlich.“.<br />

<strong>Luc</strong> meinte, wir könnten uns ja auch gegenseitig besuchen. Ich weiß nicht,<br />

warum mir nichts daran lag, ihm bei mir alles zu zeigen, vorzuführen <strong>und</strong> ihn<br />

mit allen bekannt zu machen. Das Bild gefiel mir nicht. Ich wollte <strong>Luc</strong> nicht in<br />

die Familie integrieren. Damit hatte er nichts zu tun. Er war eine persönliche<br />

Erinnerung aus meiner Jugend. Das gefiel mir, <strong>und</strong> so sollte es auch bleiben.<br />

Wir wollten uns bei ihm treffen. Dann würde ich es ihm verständlich erklären.<br />

Los compañeros de la escuela<br />

<strong>Luc</strong> hatte eine viel zu große Wohnung. „Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das<br />

auch stimmte, was du mir erzählt hast. Deine Wohnung sieht eher so aus, als<br />

ob du hier Frau <strong>und</strong> Kinder unterbringen wolltest.“ scherzte ich. „Man weiß ja<br />

nie, vielleicht gelingt es einer ja doch noch, mich zu überreden.“ meinte <strong>Luc</strong> lächelnd.<br />

„Aber bei Frauen in meinem Alter erledigt sich der Kinderwunsch bald<br />

biologisch.“ fügte er hinzu. „Aber in deinem Alter fängt der Mann doch an, Ausschau<br />

nach etwas Jüngerem zu halten, ohne Falten <strong>und</strong> mit knackigem Po.“<br />

meinte ich. „Jetzt spinnst du total, aber man weiß ja nie, ob diese Phase nicht<br />

doch irgendwann kommt, so zwischen sechzig <strong>und</strong> siebzig.“ reagierte <strong>Luc</strong>.<br />

„Weißt du, <strong>Luc</strong>, das ist evolutionär bedingt. Ursache für den Sex ist doch der<br />

Fortpflanzungstrieb, <strong>und</strong> da suchst du automatisch nach Weibchen, die versprechen,<br />

dir kräftige Junge zu gebären <strong>und</strong> keine alten, bei denen es schon zu<br />

spät ist.“ erklärte ich es ihm. <strong>Luc</strong> lachte. „Aber der Fortpflanzungstrieb scheint<br />

bei mir gar nicht richtig zu funktionieren. Meinst du nicht, dass ich da in Zukunft<br />

auch mit Älteren zufrieden sein könnte?“ fragte <strong>Luc</strong> scherzend. „So gut<br />

kenne ich dich auch wieder nicht. In der Schule ist mir jedenfalls nicht aufgefallen,<br />

dass du nach älteren Damen geschielt hättest.“ meinte ich dazu. Es<br />

herrschte eine launige, scherzhafte Atmosphäre. Beim Kaffee erklärte ich:<br />

„<strong>Luc</strong>, ich habe mir das mal überlegt, mit dem gegenseitigen Besuchen. Wenn<br />

du zu mir kämst, würdest du allen vorgestellt, bekämst einen Bezug zur Familie,<br />

das möchte ich gar nicht. Ich möchte nicht, dass du in irgendeiner Form<br />

zur Familie gehörst. Du gehörst nur mir.“ Wir lachten. „Ja, <strong>Luc</strong>, du kommst aus<br />

einer anderen Welt, aus meiner Jugend, die nur mir gehört. Ich möchte gern,<br />

dass es so bleibt, <strong>und</strong> nicht alles mit der Familie vermengt wird. Kannst du<br />

mich verstehen, wahrscheinlich nicht?“ <strong>Luc</strong>s Mimik prägte ein skeptisches Lächeln.<br />

„Ich muss deine Familie nicht unbedingt kennenlernen.“ meinte er. „Ich<br />

hätte nur vermutet, dass du sie mir gern zeigen würdest. Aber wenn das nicht<br />

so ist, habe ich da kein Problem mit. Dann bleiben wir eben 'los compañeros de<br />

la escuela' nur unter uns. Du kannst ja weiterhin zu mir kommen. Wenn du<br />

Lust auf 'nen Kaffee hasst, rufst du einfach kurz an. Dann brauchen wir gar<br />

nicht umständlich Termine abzusprechen, oder?“ Das fand ich nicht schlecht,<br />

mal auf einen Kaffee zu <strong>Luc</strong>.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 9 von 28


Ach, du Armer<br />

Es gefiel uns gut. Ich berichtete über die neuesten Einfälle der Kinder oder was<br />

wir im Museum planten, <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> erzählte nicht selten, was er heute wieder in<br />

der Schule erlebt hatte. Aber auch alles konnte Thema sein, was uns gerade<br />

einfiel <strong>und</strong> was uns bewegte. „Jetzt ist es ja alles selbstverständlich mit der<br />

Schule, aber zu Anfang hätte ich fast daran verzweifelt.“ erzählte <strong>Luc</strong>, „Ich war<br />

ein totaler Idiot, studiere Englisch <strong>und</strong> Französisch, weil mich die Sprache <strong>und</strong><br />

die Literatur interessiert. An der Uni gefiel's mir ja auch gut, nur dann hätte ich<br />

nicht in die Schule gehen dürfen. Da hast du mit den Sprachen nichts mehr zu<br />

tun, allenfalls mit den Voraussetzungen. Die Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler sind das<br />

Thema, Pädagogik <strong>und</strong> Psychologie. Dein Interesse an den Sprachen ist irrelevant.<br />

Das hätte ich ja vorher wissen müssen, mich hat es aber total fertig gemacht.<br />

Ich hätte ganz schnell wieder rausgehen sollen, promovieren oder so<br />

etwas, aber ich war total schockiert <strong>und</strong> verwirrt, hab' nur geweint.“ Wörtlich<br />

glaubte ich ihm das zwar nicht, trotzdem wollte ich <strong>Luc</strong> scherzhaft trösten.<br />

„Ach, du Armer.“ sagte ich <strong>und</strong> strich ihm dabei mit meinem Handrücken über<br />

die Wange. Sonderbar, das war doch nichts, aber <strong>Luc</strong> schaute mich an. Ich<br />

musste grinsen. „Was ist los? Hat dir das gut gefallen?“ fragte ich. <strong>Luc</strong> antwortete<br />

nicht, er lächelte nur. „Das ist nur für die Fälle, in denen du ganz traurig<br />

bist oder etwas ganz Trauriges erzählst.“ erklärte ich. „Das werde ich bestimmt<br />

demnächst öfter tun.“ meinte <strong>Luc</strong>. „Na gut,“ sagte ich, „noch einmal zur Vorbeugung.“<br />

Jedem Fremden hätte ich über die Wange streicheln können, aber<br />

bei <strong>Luc</strong> war schon ein Hauch von Gefallen dabei. Die compañera streichelte ihrem<br />

compañero gern übers Bäckchen. <strong>Luc</strong> nahm meine Hand <strong>und</strong> gab mir<br />

einen Kuss auf die Fingerrücken. „<strong>Luc</strong>, was machst du? Nicht, lass das.“ sagte<br />

ich. Obwohl, schlecht war das ja auch nicht. Ich hatte heute bestimmt einen<br />

Schmusetag, aber das würde ich doch lieber zu Hause mit Aletta abarbeiten.<br />

Berührungen<br />

Es ist doch nichts Besonderes, dass man einen anderen Menschen berührt.<br />

Permanent tut man das, <strong>und</strong> warum verw<strong>und</strong>ert es <strong>Luc</strong> <strong>und</strong> mich ja auch,<br />

wenn ich ihm über die Wange streichele? Das Streicheln allein ist bestimmt<br />

nicht der Gr<strong>und</strong>. Es wird nicht immer die gleiche Bedeutung für dich haben,<br />

sonder die Person <strong>und</strong> Situation in der es geschieht, müssen für den emotionalen<br />

Gehalt wichtig sein. Aber wo sollte denn der emotionale Gehalt zwischen<br />

<strong>Luc</strong> <strong>und</strong> mir liegen? Ja, natürlich er war mir sympathisch <strong>und</strong> ich mochte ihn,<br />

sonst hätte ich ja keine Lust, zu ihm zum Kaffee zu fahren. Vielleicht war da ja<br />

doch noch mehr. <strong>Luc</strong> war ja nicht einfach ein fremder sympathischer Mann, wir<br />

waren uns ja schon sehr vertraut. Aber trotzdem, wenn das Streicheln emotional<br />

bewegen sollte, reichte vertraut <strong>und</strong> sympathisch doch nicht aus. War da<br />

eventuell mehr, was <strong>Luc</strong> für mich empfand? Bei mir vielleicht auch, nur durfte<br />

es mein Bewusstsein nicht erreichen? Wir hatten uns erst vor kurzem wiedergetroffen,<br />

trotzdem gab es unter meinen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten niemanden,<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 10 von 28


zu dem ich ein so selbstverständliches, vertrauensvolles Verhältnis hatte. Es<br />

gab keinen Gr<strong>und</strong> dafür. Der lag in der Schule. Wir hatten unser damaliges soziales<br />

Verhältnis einfach auf sieben<strong>und</strong>zwanzig Jahre später transponiert. So<br />

musste es sein. Ihm damals die Wange zu streicheln, wäre fast einer Liebeserklärung<br />

gleichgekommen. Ob <strong>Luc</strong> es wohl jetzt auch so empf<strong>und</strong>en hatte? Ich<br />

lachte stumm in mich hinein.<br />

Compañeros<br />

Worüber wir gesprochen hatten, war nichts Weltbewegendes. Ich wusste zwar<br />

einiges mehr von <strong>Luc</strong>, aber mein Bild hatte sich dadurch nicht verändert. Es<br />

hatte nicht bewirkt, dass ich ihn jetzt mehr oder weniger gemocht hätte. Es<br />

war wohl eher die Art, wie wir miteinander redeten, die uns Lust an den gemeinsamen<br />

Kaffeegesprächen bereitete. Das Empfinden, sich gegenseitig sehr<br />

gut zu verstehen, die Offenheit <strong>und</strong> fehlende Distanz, der Humor <strong>und</strong> die Lust<br />

an leichten gegenseitigen Provokationen schafften eine Atmosphäre, die wir<br />

beide liebten. Anderswo gab es so etwas nicht für mich. Da spielte ich immer<br />

irgendeine Rolle, auch meinem Mann gegenüber. Da war ich eben die Frau. Bei<br />

<strong>Luc</strong> schien es keine Rolle für mich zu geben, wir waren anscheinend tatsächlich<br />

die Schulkameraden geblieben. <strong>Luc</strong> musste es wohl so ähnlich sehen <strong>und</strong> empfinden.<br />

Als ich ihn fragte, ob er sich mit seiner Fre<strong>und</strong>in ähnlich unterhalte wie<br />

wir beide, meinte er: „Nein, wie soll das denn gehen? Sie gehört doch nicht zu<br />

den Compañeros.“<br />

Ich wähnte mich zu Hause glücklich, liebte die Kinder, mein Beruf machte mir<br />

Freude, na <strong>und</strong> Marius, das war eben auch o. k.. Besondere Wünsche an ihn<br />

hatte ich nicht. Auf die Kaffeegespräche mit <strong>Luc</strong> freute ich mich aber besonders.<br />

Es war eine andere Welt, in der es keine Ansprüche, Anforderungen <strong>und</strong><br />

Verantwortungen für mich gab, in der ich mich völlig frei fühlen konnte. Es war<br />

meine Welt, eine andere Welt, in der ich glücklich war <strong>und</strong> die ich trotz der<br />

kurzen Zeit wie mein kleines zweites Zuhause empfand. <strong>Luc</strong> <strong>und</strong> ich hatten<br />

uns diese Welt geschaffen.<br />

Zerbrochene Beziehung<br />

Heute hatte <strong>Luc</strong> ein Problem. Er hatte sich mit seiner Fre<strong>und</strong>in gestritten. „Ich<br />

streite mich doch nicht <strong>und</strong> schon gar nicht mit einer Frau, die ich als meine<br />

Fre<strong>und</strong>in bezeichne.“ meinte <strong>Luc</strong>. „Sie hat hier rumgekeift <strong>und</strong> mich beschuldigt.<br />

Ich habe öfter gesagt, dass ich mich mit ihr nicht streiten, sondern alles<br />

in Ruhe besprechen wolle. Es hatte keinen Zweck, sie war in Rage. Dass ich ihr<br />

gesagt habe, sie solle es doch mal alles aufschreiben, dann würde ich es in<br />

Ruhe durchlesen, musste ihr wohl überhaupt nicht gefallen. Sie nahm ihre Sachen,<br />

zog die Jacke an <strong>und</strong> flüchtete. Seitdem habe ich nichts wieder von ihr<br />

gehört.“ „Und was war der Gr<strong>und</strong>?“ fragte ich. „Das weiß ich gar nicht. Es war<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 11 von 28


so ein Konglomerat aus Vorwürfen unterschiedlichster Art. Ich schätze mal,<br />

dass sie allgemein unzufrieden war. Ich hatte in letzter Zeit oft nicht besonders<br />

viel Lust auf sie, <strong>und</strong> das kannst du letztlich gar nicht verbergen.“ versuchte<br />

<strong>Luc</strong> es zu deuten. „Und was machst du jetzt? Meinst du, dass sie wiederkommt?“<br />

fragte ich nach <strong>Luc</strong>s Prognose. „Ich hätte sie ja anrufen können, aber<br />

ich weiß nicht, ob ich das überhaupt noch will. Soll ich mich etwa entschuldigen?<br />

Wofür? Für meine frechen Worte? Und ihr Verhalten habe ich schon längst<br />

vergessen? Um die sogenannte gute Beziehung zwischen uns wieder zu reparieren?<br />

Ich tendiere eher dazu, auch wenn sie sich entschuldigt, zu sagen, dass<br />

ich es nicht mehr will.“ lautete <strong>Luc</strong>s Antwort. „Du Armer, müsste ich jetzt sagen<br />

<strong>und</strong> dich trösten. Erwartest du das?“ fragte ich. „Na selbstverständlich.“<br />

reagierte <strong>Luc</strong>, „Aber Fre<strong>und</strong>in verlieren, das ist so ein schwerer Fall, dass kurzes<br />

Streicheln mit dem Handrücken nicht ausreicht.“ „Sondern, was müsste geschehen?“<br />

fragte ich <strong>und</strong> befürchtete Schlimmes, aber <strong>Luc</strong> wollte nur mit der<br />

Wange gestreichelt werden. Wir umarmten uns <strong>und</strong> hielten unsere linken Wangen<br />

aneinander. „Jetzt die andere Seite.“ meinte <strong>Luc</strong>. „Nein, <strong>Luc</strong>, ich will das<br />

nicht.“ reagierte ich. <strong>Luc</strong> blickte erstaunt. „Ja, <strong>Luc</strong>, das ist mir zu gefährlich.<br />

Ich mag dich einfach zu gern. Und auch wenn wir Compañeros sind, bist du<br />

trotzdem ein Mann <strong>und</strong> ich eine Frau.“ <strong>Luc</strong> schaute mich lächelnd an. Ob es ein<br />

mildes Lächeln war, oder es mir sagen sollte, dass er mich auch sehr gern<br />

möge. Vielleicht bedarf diese Bek<strong>und</strong>ung ja auch immer eines Signals der Milde<br />

<strong>und</strong> Güte gegenüber dem, für den diese Botschaft gedacht ist. „<strong>Luc</strong> du bist mir<br />

einfach zu nahe. Ich traue mir selber nicht. Ich befürchte, wenn wir uns<br />

streicheln <strong>und</strong> miteinander schmusen würden, könnte mir das bestimmt leicht<br />

zu gut gefallen.“ erläuterte ich meine Befürchtungen. <strong>Luc</strong> grinste <strong>und</strong> fragte<br />

schelmisch: „Mit wem streichelst <strong>und</strong> schmust du denn sonst, <strong>und</strong> was<br />

verstehst du unter zu gut gefallen?“ „Mit meinem Mann.“ reagierte ich trocken<br />

<strong>und</strong> patzig. <strong>Luc</strong> wusste auch, dass das nicht stimmte <strong>und</strong> wir platzten beide los<br />

vor Lachen. „Du scheinst gar nicht zu wissen, was einer Frau gut gefällt. Kam<br />

das in deinen bisherigen Partnerschaften gar nicht vor?“ wollte ich von <strong>Luc</strong><br />

wissen. „Ja, schon.“ meinte er, „aber ich weiß nicht, ab wann es zu gut gefällt.“<br />

„<strong>Luc</strong>, du willst mich necken. Das weißt du auch ganz genau.“ ich darauf. „Nein,<br />

<strong>Anne</strong>, das weiß ich wirklich nicht. Ich kenne es nur so, dass es der Frau immer<br />

besser gefiel, aber zu gut, das wüsste ich nicht. Ist das bei dir denn so?“ fragte<br />

<strong>Luc</strong>. Ich lachte, umarmte <strong>und</strong> drückte <strong>Luc</strong>. „<strong>Luc</strong> ich muss ganz schnell nach<br />

Hause. Bei mir ist das jetzt schon so.“ antwortete ich.<br />

Lust auf <strong>Luc</strong><br />

In der Tat. Ich hatte Lust auf <strong>Luc</strong>. Das kannte ich gar nicht mehr. Wann hatte<br />

ich denn so etwas zum letzten mal gespürt. Ich konnte mich nicht erinnern.<br />

Aber das letzte mal vergisst du sowieso. So ein wenig neckisches Gerede, sollte<br />

es das bewirkt haben? Es musste daran liegen, dass es <strong>Luc</strong> war, mit dem ich<br />

so geredet hatte. Bestimmt waren Assoziationen <strong>und</strong> Vorstellungen aufgetaucht,<br />

die sich meinem Bewusstsein gar nicht explizit gezeigt hatten. Aber mit<br />

<strong>Luc</strong> zu schmusen <strong>und</strong> vom ihm gestreichelt zu werden, das hatte schon etwas<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 12 von 28


Verlockendes für mich. Und <strong>Luc</strong> hatte schon Recht, dann kann es eigentlich nur<br />

immer besser werden. „Oh, Herr bewahre mich!“ schickte ich ein Stoßgebet an<br />

einen mir unbekannten Gott. Nein, ich wollte das nicht. Bei einem mal würde<br />

es ja nicht bleiben. Es würde uns gut gefallen, <strong>und</strong> wir täten es immer <strong>und</strong> immer<br />

wieder. Das würde mein Leben durcheinander bringen, außerdem befürchtete<br />

ich, gegenüber Marius damit überhaupt nicht klar zu kommen. Alles ging<br />

mir im Kopf herum. Wäre ich dann <strong>Luc</strong>s neue Fre<strong>und</strong>in? Vor Kinderwünschen<br />

konnte er bei mir ja sicher sein. Auf die unsinnigsten Gedanken kam ich, besonders<br />

welche, die mich lachen ließen. Auch wenn es mich verwirrt hatte, ich<br />

fühlte mich extrem gut drauf.<br />

Ob ich von <strong>Luc</strong> geträumt habe, weiß ich nicht, aber beim Lesen vorm Einschlafen<br />

störte er immer. Das Bett muss über irgendwelche Adapter verfügen, die<br />

süchtig sind nach Gedanken an Zärtlichkeit <strong>und</strong> liebevoller Zuneigung in dir.<br />

Sie locken sie immer wieder hervor, lassen dich nicht lesen oder an irgendetwas<br />

anderes denken. Was sollte dieser Schmus denn? Was wollte ich denn von<br />

<strong>Luc</strong>? Nichts. Ich war doch nicht in ihn verliebt. Trotzdem ließ mich der Gedanke<br />

an den Austausch von Zärtlichkeiten mit ihm nicht los. Zärtlichkeiten kannte<br />

ich nur noch mit Aletta. Sie war immer eine Schmusekatze gewesen <strong>und</strong><br />

schmuste auch jetzt noch gern mit Mama, obwohl sie schon zwölf war. Das<br />

Bedürfnis zum Austausch von Zärtlichkeiten mit einem Mann hielt ich bei mir<br />

auch für abgestorben. Dass es so etwas mit Marius nicht mehr gab, hatte ich<br />

akzeptiert <strong>und</strong> betrachtete es als selbstverständlich. Liebe, Zuneigung,<br />

Zärtlichkeit sind doch etwas, das jeder Mensch sucht, wie konnte ich das denn<br />

verdrängen. Eigentlich musste so etwas doch zu psychischen Beschädigungen<br />

führen. War ich denn neurotisch <strong>und</strong> hatte es nur selber nicht gemerkt? <strong>Luc</strong><br />

würde es mir schon sagen. Heute war er mein imaginärer Teddybär, mit dem<br />

ich sanft einschlummern konnte.<br />

Lieben wir uns eigentlich?<br />

Als ich wieder zu <strong>Luc</strong> zum Kaffee kam, meinte ich eine Veränderung zu spüren.<br />

Als ob wir uns anders betrachteten. „<strong>Luc</strong>, dir geht etwas durch den Kopf. Sag<br />

es mir.“ forderte ich ihn auf. <strong>Luc</strong> zögerte, dann meinte er: „<strong>Anne</strong>, im Gegensatz<br />

zu dir, scheine ich es zu lieben, wenn es gefährlich wird. Und ich bin mir nicht<br />

sicher, ob du das Prickelnde nicht auch magst, es dir nur selbst untersagst.“<br />

„Nein, <strong>Luc</strong>, ich will das nicht. Ich mag dich sehr gern, aber ich mag die Konsequenzen<br />

nicht, die es hätte.“ lautete meine Antwort. Noch nie war eine Andeutung<br />

in der Richtung gefallen, gemeinsam ins Bett gehen zu können, aber jetzt<br />

war es für uns beide sofort selbstverständlich, dass wir darüber redeten. „Aber<br />

du möchtest es schon gerne?“ meinte <strong>Luc</strong> fragend. „Bitte, bedräng mich nicht,<br />

<strong>Luc</strong>. Lass es.“ ich darauf. „Meinst du denn, dass wir es auf Dauer verhindern<br />

können, wenn wir es beide gerne wollen?“ fragte <strong>Luc</strong>. „Ich weiß es nicht, <strong>Luc</strong>,<br />

aber jetzt quälst du mich. Wir können uns ja küssen <strong>und</strong> ein wenig zärtlich<br />

sein. Das ist doch auch schon was.“ meinte ich. „Da hast du Recht. Das ist<br />

ganz viel, <strong>und</strong> ich freu' mich drauf“ reagierte <strong>Luc</strong>. Wir lächelten uns zu, <strong>und</strong> für<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 13 von 28


den gef<strong>und</strong>enen Kompromiss gab's den ersten Kuss. „Sag mal, <strong>Luc</strong>, lieben wir<br />

uns eigentlich?“ wollte ich wissen. „Das weiß ich auch nicht.“ meinte <strong>Luc</strong> <strong>und</strong><br />

lachte. „Wann liebt man sich denn eigentlich? Und woran merkt man das?“ „Du<br />

musst es doch am besten wissen. Du sagst doch, dass solche Gefühle da sein<br />

müssen, wenn eine Frau deine Fre<strong>und</strong>in werden will.“ antwortete ich ihm. „Und<br />

sind solche Gefühle bei dir für mich da?“ wollte ich von ihm wissen. <strong>Luc</strong> lachte<br />

sich schief. Er wurde wieder ernst <strong>und</strong> meinte: „<strong>Anne</strong>, das ist, glaube ich, alles<br />

ganz anders. So ineinander verliebt, <strong>und</strong> voneinander schwärmen, das wäre<br />

nicht nur albern. Dabei ist man sich viel entfernter als wir es sind. Wir waren<br />

uns schon ganz nah <strong>und</strong> vertraut, als wir uns getroffen haben, <strong>und</strong> das hat sich<br />

vertieft <strong>und</strong> verfestigt. Wenn du Liebe daran fest machst, wie viel du dir gegenseitig<br />

bedeutest, empfinden wir bestimmt außergewöhnlich viel Liebe für<br />

einander. Die kleine Welt der Compañeros wäre dann nicht nur unser spezielles<br />

Zuhause sondern auch unser Liebesnest.“ „Und das ohne Küssen, ohne Berühren<br />

<strong>und</strong> alle anderen Liebesattribute.“ fügte ich hinzu <strong>und</strong> wir lachten. „Aber<br />

ich denke du hast schon Recht, <strong>Luc</strong>. Bei Mann <strong>und</strong> Frau spricht man erst von<br />

Liebe, wenn sie auch miteinander ins Bett wollen. Nur das ist absoluter<br />

Quatsch. Obwohl wir diese Bedingung ja jetzt auch erfüllen.“ meinte ich. „Muss<br />

ich denn jetzt sagen: „<strong>Anne</strong>, ich liebe dich.“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Luc</strong>, aber bevor er<br />

eine Antwort darauf bekam, mussten wir erst wieder lachen. „Tscha, für<br />

normale Geliebte ist es meistens sehr wichtig, das von ihrem Liebhaber zu<br />

hören, aber ich glaube, mir würde es mehr geben, wenn du sagtest: „Komm zu<br />

mir, compañera <strong>und</strong> küss mich.“ Das sei ein wichtiger <strong>und</strong> sehr hilfreicher Tip.<br />

Jetzt wisse er, wie er seine Liebesempfindungen mir gegenüber artikulieren<br />

solle. Ich musste nach Hause, <strong>und</strong> die Verabschiedung gestaltete sich, als ob<br />

ich zu einer dreijährigen Weltreise aufbrechen wollte. Wie lange das wohl noch<br />

gut ging?<br />

<strong>Luc</strong>, ich bin sehr empfindlich<br />

Jetzt war ich nicht nur auf der Fahrt nach Hause gut aufgelegt, sondern tagelang.<br />

Ich fühlte mich sonst nicht mies oder war schlecht gelaunt, aber jetzt<br />

kam es mir so vor, dass ich sonst doch eine recht biedere, gesittete Madame<br />

war, wie es sich für eine Frau <strong>und</strong> Mutter in meinem Alter ziemte. Jetzt hatte<br />

ich einen Geliebten. Ganz schön widerspenstig war das. So kam es mir wenigstens<br />

vor, <strong>und</strong> ich war nicht nur glücklich, ich fühlte mich auch stark. Und was<br />

sollte daraus mal werden? Nichts. Es war doch gut so. So war ich glücklich so<br />

sollte es bleiben. Ob <strong>Luc</strong> das auch so sah, war mir nicht ganz klar. Mit mir permanent<br />

zusammen sein zu wollen, das konnte er sich doch nicht wünschen.<br />

Wir hatten immer beim Kaffee an <strong>Luc</strong>s Küchentisch gesessen <strong>und</strong> uns unterhalten,<br />

jetzt gingen wir meistens ins Wohnzimmer, wo sich die Audioanlage befand.<br />

<strong>Luc</strong> liebte klassische Musik in allen Schattierungen <strong>und</strong> verfügte über<br />

eine immense CD Sammlung. Ich konnte mir etwas wünschen, <strong>Luc</strong> hatte es da.<br />

Wir unterhielten uns zwar auch noch, aber wir durften uns ja jetzt küssen <strong>und</strong><br />

Zärtlichkeiten austauschen, dazu passte die Musik sehr gut. „<strong>Luc</strong>, weißt du, ich<br />

bin sehr empfindlich <strong>und</strong> halte mich nicht für sehr widerstandsfähig. Lass uns<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 14 von 28


doch ein wenig vorsichtig sein.“ meinte ich als <strong>Luc</strong> mir die Bluse geöffnet hatte<br />

<strong>und</strong> meine Brust streichelte. Vierzehn Tage dauerte es, bis die Situation sich so<br />

entwickelte, das meine Widerstandsfähigkeit überw<strong>und</strong>en war. Zunächst hatte<br />

ich noch ein paar mal halbherzig gesagt: „Nein, <strong>Luc</strong>, nicht.“ aber als wir im<br />

Bett lagen, waren die letzten Reste von Widerstand überw<strong>und</strong>en. <strong>Luc</strong> meinte,<br />

wir sollten uns doch Zeit nehmen, ich sei schon so erregt. Und dann wurde es<br />

w<strong>und</strong>ervoll. Wenn ich <strong>Luc</strong> auch draußen sehr mochte <strong>und</strong> seine Zärtlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Feinfühligkeit liebte, im Bett kam er mir vor, als ob er das alles noch unermesslich<br />

steigern könne. Er war so einfühlsam, zart <strong>und</strong> rücksichtsvoll, so dass<br />

es mir vorkam, wie unsere körperlich gelebte Liebe. Wann hatte es zum letzten<br />

mal für mich so etwas gegeben. Eigentlich noch nie, das hatte ich nie erlebt.<br />

So hatte ich Liebe noch nie erfahren. Obwohl ich am liebsten wonnig, breit im<br />

Bett gelegen hätte, musste ich <strong>Luc</strong>s Gesicht immer wieder an allen Stellen küssen.<br />

Am liebsten hätte ich ihm gesagt: „<strong>Luc</strong>, du warst berauschend.“ aber das<br />

tut man ja nicht. Im Bett hatte sich mein Bild von <strong>Luc</strong> verändert. Ob es einen<br />

Glorienschein bekommen hatte, weiß ich nicht, auf jeden Fall strahlte es. „Oh,<br />

<strong>Luc</strong>, ich muss ganz schnell nach Hause, sonst bestellt man schon den Suchdienst.“<br />

erklärte ich. St<strong>und</strong>enlange Verabschiedungsszenen brauchten wir jetzt<br />

nicht mehr. Eine Umarmung, ein Kuss, wir blinzelten uns zu, das reichte.<br />

Glück einer weisen Frau<br />

Glücklich sah ich mich auch, als ich nach Hause fuhr, nur in einer anderen Weise.<br />

Ich war nicht happy wie sonst, das einem das Empfinden nahe legte, jünger<br />

zu sein, als man wirklich war. Älter kam ich mir jetzt auch nicht vor, nur es<br />

schien mir das Glück einer weisen Frau zu sein, einer Wissenden, deren Glück<br />

nicht bunt, sondern tiefer ist. Die Liebe mit <strong>Luc</strong> war immer präsent, ob ich<br />

träumend lächelnd am Abendbrottisch saß oder gedankenverloren die Spülmaschine<br />

einräumte, für heute hatte sie mich okkupiert. Im Bett etwas zu lesen,<br />

versuchte ich erst gar nicht. Warum auch? Gab es eine schönere Geschichte als<br />

unsere Liebe vom Nachmittag? Und die kannte ich auswendig, im Detail. Ob<br />

wir es wiederholen würden, oder ob es bei dem einen mal bliebe? Welch dumme<br />

Frage. Ob wir wieder ins Bett gehen sollten, fragte <strong>Luc</strong> beim nächsten Besuch.<br />

„Nein, heute nicht, das reicht noch für diese Woche. <strong>Luc</strong>, ich empfand es<br />

so w<strong>und</strong>ervoll, dass es mich noch ganz lange erfüllen könnte.“ antwortete ich.<br />

In Wirklichkeit hatte ich Angst, dass in unserer Beziehung Sex alles dominieren<br />

könnte. „Ich möchte mich auch gern mit dir unterhalten, <strong>Luc</strong>. Das haben wir<br />

fast ein ganzes Jahr lang getan. Ich empfand es so, dass wir dabei glücklich<br />

waren, <strong>und</strong> uns nichts fehlte.“ ergänzte ich meine Ansicht. Nach gewisser Zeit<br />

war man aber der Ansicht, dass man sich auch im Bett unterhalten könne, sogar<br />

viel angenehmer <strong>und</strong> man habe die Möglichkeit, sich dabei gegenseitig zu<br />

liebkosen. Wir gingen also immer direkt ins Bett, wenn ich kam. <strong>Luc</strong> hatte<br />

schon Kaffee zubereitet, den wir mit ins Bett nahmen. Wir haben tatsächlich<br />

nicht immer miteinander geschlafen, meistens aber, weil unsere Unterhaltungen<br />

so lange gedauert hatten, dass dafür die Zeit nicht mehr reichte. „Du,<br />

<strong>Luc</strong>,“ sagte ich „ganz früher hatte ich auch Lust <strong>und</strong> Spaß am Sex, aber dann<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 15 von 28


ist das mit Familie, Kindern <strong>und</strong> Marius langsam alles abgestorben. Es war<br />

nichts mehr da, alles tot. Aber vergehen kann das, glaube ich, gar nicht. Es<br />

kann nur verschüttet sein, <strong>und</strong> du kannst es nicht mehr finden. Aber du hast<br />

es in mir entdeckt <strong>und</strong> wiederbelebt.“ „Aha,“ staunte <strong>Luc</strong>, „<strong>und</strong> wie habe ich<br />

das gemacht?“ „Das muss der Täter doch am besten selber wissen, wie er etwas<br />

gemacht hat.“ meinte ich dazu. „Ich habe aber nichts dafür getan. Ich<br />

wusste ja auch gar nicht dass es für dich so ist. Im Gegenteil. Ich hätte das bei<br />

dir überhaupt nicht erwartet, das hätte gar nicht zu dir gepasst.“ erklärte <strong>Luc</strong>.<br />

„Und wie sieht eine Frau aus, zu der das passt?“ wollte ich wissen. „In der Regel<br />

hat das ja eine Geschichte, <strong>und</strong> die ist nicht selten voller Qualen, Verzweiflung<br />

<strong>und</strong> Nöten. Wenn sich das über Jahre hinzieht, wirst du das in deinem Gesicht<br />

nicht verbergen können.“ meinte <strong>Luc</strong>. „Siehst du, ich war schon immer<br />

eine kluge Frau.“ meinte ich lachend. „Ja,ja, das habe ich auf der Schule schon<br />

immer gedacht. Meinst du denn, ich würde mich mit irgendeiner Tussi einlassen.“<br />

<strong>Luc</strong> darauf, womit wir wieder im Bereich Scherz, Satire, Ironie angekommen<br />

waren.<br />

Mamis neue Fre<strong>und</strong>in<br />

Unsere Treffen dauerten jetzt natürlich länger. Ich kam immer so früh es ging<br />

<strong>und</strong> fuhr erst nach Hause, wenn es höchste Zeit wurde. Wir sprachen auch wieder<br />

Termine ab für Tage, an denen wir beide möglichst viel Zeit hatten. Früher<br />

reichte es, dass wir uns gesehen, einen Kaffee getrunken <strong>und</strong> ein wenig miteinander<br />

geredet hatten. Jetzt war die Zeit prinzipiell zu knapp. Die Kinder<br />

kümmerten sich nicht darum, wenn ich nachmittags rausfuhr. Irgendetwas<br />

würde es schon sein. Vielleicht war ich einkaufen, noch mal zum Museum, mit<br />

irgendjemandem etwas besprechen oder was auch immer. Es interessierte sie<br />

nicht. Jetzt war ich aber oft ungewöhnlich lange fort, fast den ganzen Nachmittag<br />

manchmal. „Wo steckst du eigentlich immer, Mami, du bist so oft nicht<br />

da.?“ wollte Aletta wissen. Ich war überrascht, wusste gar nicht was ich direkt<br />

sagen sollte, <strong>und</strong> fragte erst mal nach, was sie meine. Obwohl es mir ja sonnenklar<br />

war, bekam ich dadurch Zeit, mir eine Antwort zu überlegen. Bevor ich<br />

Aletta es erklären konnte, meine Marcel schon: „Vielleicht hat Mami ja eine<br />

neue Fre<strong>und</strong>in.“ <strong>und</strong> grinste mich dabei schelmisch, frech an. Ob er etwas Konkretes<br />

wusste, mich doch mal telefonieren gehört hatte, oder ob er nur mein<br />

Verhalten als untrügliches Zeichen sah, aus dem man es schließen musste. Jedenfalls<br />

schien er sehr überzeugt von seiner Ansicht, hatte kein Interesse an<br />

meinen Erklärungen, sondern ging in sein Zimmer. Dass Marcel es akzeptieren<br />

würde, dessen war ich mir sicher, nur er würde darüber reden, mit Aletta <strong>und</strong><br />

mit anderen. Mit Marius bestimmt nicht. Ich berichtete <strong>Luc</strong> davon. „Was sollen<br />

wir denn tun? Ich habe jetzt schon das Gefühl unter Zeitdruck zu stehen.“<br />

fragte er sich <strong>und</strong> mich. „Vielleicht könnten wir ja einen festen Termin machen.<br />

Einmal wöchentlich <strong>und</strong> ich habe dann meinen Volleyballclub. Obwohl...“ fügte<br />

ich zögernd an, „donnerstags zum Vögeln zu <strong>Luc</strong>. Da weiß ich auch nicht, ob<br />

ich das so gut fände. Das passt nicht zusammen. Das ist doch kein Termingeschäft.<br />

Bis jetzt wusste man nie ob <strong>und</strong> wann der andere anrief, das fand ich<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 16 von 28


spannend <strong>und</strong> schön, aber regelmäßige Ficktermine nicht.“ „Bist du dir denn sicher,<br />

dass Marcel etwas weiß?“ fragte <strong>Luc</strong>. „Zumindest ist er fest überzeugt davon.“<br />

antwortete ich. „Na, wenn er es sowieso weiß, wäre es dann nicht besser,<br />

du würdest mal mit ihm darüber sprechen?“ meinte <strong>Luc</strong>. Ich überlegte. „Eigentlich<br />

ja, eine gute Idee. Das werde ich auch tun. Aber nicht mit Aletta. Da<br />

kann ich überhaupt nicht einschätzen, wie sie es verstehen <strong>und</strong> verarbeiten<br />

würde.“<br />

<strong>Anne</strong>, mir fehlt etwas<br />

„<strong>Anne</strong>, mir fehlt etwas. Du magst das nicht mit einem festen Termin. Ich genauso<br />

wenig, aber auch sonst. Meistens haben wir Sex miteinander. Wir wollen<br />

es auch <strong>und</strong> lieben es, aber manchmal erscheint es mir, als ob meine Wohnung<br />

ein St<strong>und</strong>enhotel für uns wäre. <strong>Anne</strong>, ich liebe dich doch, <strong>und</strong> da würde ich<br />

dich auch gerne anders erleben, als die Frau, die im Bett mit mir glücklich ist.<br />

Alle anderen Träume bleiben unerfüllbare Wunschvorstellungen. Keine großen<br />

Träume, ganz simple Dinge. Wenn ich spazieren gehe, bin ich immer allein, obwohl<br />

ich eine geliebte Fre<strong>und</strong>in habe, mit der ich jetzt gern zusammen wäre.<br />

Wenn ich ins Konzert gehe, sitze ich da alleine, immer. Nie wirst du da sein, um<br />

dich mit mir gemeinsam an der Musik zu erfreuen. <strong>Anne</strong>, wir teilen hauptsächlich<br />

unsere sexuelle Lust, aber das Glück unserer Liebe teilen wir nicht.“ erklärte<br />

sich <strong>Luc</strong>. „Nach Scherzen ist mir jetzt gar nicht zu Mute, aber trotzdem<br />

kannst du zu mir kommen, damit ich dich trösten kann.“ erklärte ich, „Aber ich<br />

weiß nicht wie <strong>und</strong> wodurch ich dich trösten sollte. Fast ein Jahr lang gefiel es<br />

uns gut, wir freuten uns <strong>und</strong> waren glücklich über die St<strong>und</strong>e, die wir beim<br />

Kaffee miteinander redeten. Keiner kam auf den Gedanken, das uns etwas fehlen<br />

könne, aber jetzt kommt es mir fast so vor, als ob du nicht mehr ohne mich<br />

allein sein möchtest. Zum Müllentsorgen <strong>und</strong> Badwischen würde ich natürlich<br />

raus gehen, aber alles was gemeinsam schön sein könnte, würdest du gern mit<br />

mir erleben. Ich auch mit dir <strong>Luc</strong>, das ist keine Frage, nur ich träume es nicht<br />

<strong>und</strong> sehne mich nicht danach, weil es absolut unrealistisch ist. Unsere gemeinsame<br />

Welt ist nicht unser gemeinsames Leben, sondern immer noch die kleine<br />

Welt der Compañeros. Aber dass wir auch mal etwas andere machen sollten,<br />

als immer nur miteinander ins Bett zu gehen, finde ich gut. Zunächst war ich ja<br />

so fasziniert, von unserem gemeinsamen Bett <strong>und</strong> dir, dass ich darauf gar nicht<br />

hätte verzichten wollen, aber jetzt fänd ich es gut, auch mal gemeinsam spazieren<br />

zu gehen. Und abends, das ist doch kein Problem. Ich muss ja nicht verkünden,<br />

dass ich mit meinem Liebsten ins Konzert gehe.<br />

Marcel<br />

„Marcel, ich muss mal mit dir reden, lass uns in dein Zimmer gehen.“ bat ich<br />

ihn. „Es geht um meine neue Fre<strong>und</strong>in, Marcel, kennst du sie?“ fragte ich. Das<br />

Eis war schon gebrochen, wir mussten beide heftig lachen. „Sag mal, Marcel,<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 17 von 28


wie hast du denn davon erfahren?“ fragte ich ihn. Er lachte wieder. „Von dir<br />

Mami. Hast du dich mal erlebt, wenn du zurückkommst. Da passt alles nicht<br />

zueinander. Ich weiß ja nicht wie Frauen Sex erleben, aber glücklich muss es<br />

sie wohl machen, dich zumindest. Und das bei einem Gesicht <strong>und</strong> einer Frisur,<br />

die nicht aussieht, als ob du gerade aus der Oper kämst, sondern eher anstrengende<br />

Arbeit hinter dir hättest.“ erläuterte er. „Du bist gemein Marcel,<br />

machst dich über mich lustig. Ja, ich habe mich richtig verliebt. Ich wollte dich<br />

mal fragen, was du davon hältst?“ sagte ich. „Mami, was soll ich denn davon<br />

halten. Soweit ich weiß, kann man sich gegen die Liebe nicht wehren, da ist<br />

man machtlos. Wenn der oiseau rebelle zu dir gekommen ist, wirst du keine<br />

Chance haben, ihn zu vertreiben.“ antwortete mir Marcel. „Das will ich doch<br />

auch gar nicht, Marcel.“ reagierte ich. „Ist es sehr schön?“ fragte er. Ich nickte<br />

nur mit breiten glücklichen Lippen. „Das freut mich richtig für dich, Mami. Hast<br />

die ganzen Jahre über immer nur die Arbeit mit uns gehabt. Du hast es wirklich<br />

verdient, jetzt glücklich sein zu können.“ meinte er. „Marcel, was redest<br />

du.“ erwiderte ich entrüstet, „Ich war die ganze Zeit glücklich mit euch. Dass<br />

es auch mit Arbeit verb<strong>und</strong>en war, habe ich gar nicht gespürt. Ich liebe euch,<br />

ihr wart mein Glück.“ „Ja, aber das ist doch etwas ganz anderes, ob du deine<br />

Kinder liebst, oder einen Mann.“ wandte Marcel ein. „Mhm,“ schüttelte ich ablehnend<br />

den Kopf, „Liebe kannst du nur eine empfinden, <strong>und</strong> die basiert darauf,<br />

wie du von deiner Mutter Liebe erfahren <strong>und</strong> gelernt hast. Was bei Mann <strong>und</strong><br />

Frau hinzukommt, ist nur der Sex. Mein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> <strong>und</strong> ich haben auch festgestellt,<br />

dass es Liebe sein müsste zwischen uns, bevor wir gemeinsam im Bett<br />

waren. „Du meinst also, wie ich dich liebe <strong>und</strong> dein Fre<strong>und</strong> dich liebt, das wäre<br />

ziemlich ähnlich?“ „Ja, natürlich. Liebe besteht darin, das du den anderen<br />

glücklich zu sehen wünscht, das du ihm deine Zuneigung <strong>und</strong> Anerkennung<br />

schenkst. Bei allem was du tust, kalkulierst du automatisch, welche Vor- oder<br />

Nachteile es dir bringt, nur bei der Liebe nicht. Da hast du selbstlose Lust am<br />

Geben. Du wünscht dir nur den anderen glücklich zu sehen, wenn du daran<br />

denkst, was es dir selber bringt, hat es mit Liebe nichts zu tun. Das ist bei<br />

einer Mutter mit ihrem Baby schon so, alles andere wäre da ja auch Irrsinn.<br />

„Und warum liebst du mich? Weil ich in deinem Bauch gewachsen bin?“ fragte<br />

Marcel. „Könnte man denken, nicht wahr, aber dann würden adoptierte Kinder<br />

ja von ihren Eltern nicht geliebt. <strong>Luc</strong>, warum ich dich liebe, das weiß ich nicht.<br />

Bei meinem Fre<strong>und</strong> weiß ich das auch nicht. Wenn einer sagt: „Ich liebe meine<br />

Frau, weil ...“, dann weißt du schon, das er lügt, bevor er es gesagt hat. Das<br />

weiß niemand, warum er einen Menschen liebt. Was ihm an ihm gefällt, was er<br />

gern mag, das schon, aber das lässt dich niemals Liebesgefühle entwickeln. Die<br />

liegen entweder bei allen Menschen im tiefen Unbewussten oder Liebe ist<br />

etwas, das sich mit unserem kausalen Denken nicht erfassen lässt. „Ich freue<br />

mich trotzdem für dich <strong>und</strong> hab' dich sehr, sehr lieb, besonders, wenn du<br />

glücklich schmunzelnd mit deiner zerzauselten Frisur abends wiederkommst.“<br />

sagte Marcel <strong>und</strong> wir beide lachten. „Ach, übrigens Marcel, beinahe hätte ich es<br />

vergessen. Ich möchte nicht, dass darüber getratscht wird. Es wäre mir<br />

deshalb sehr wichtig, dass du mit niemandem darüber redest, auch mit Aletta<br />

nicht. Ich weiß nicht, wie sie es auffassen <strong>und</strong> verstehen würde. Deshalb wäre<br />

es mir sehr lieb, wenn es ausschließlich unser Geheimnis bleiben könnte.“<br />

erklärte ich. Mit Ehrenwort <strong>und</strong> Schwüren versicherte Marcel, niemandem<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 18 von 28


etwas davon zu erzählen.<br />

Marcels Fragen<br />

„Aber was wird denn aus euch beiden? Wenn man sich liebt, dann will man<br />

doch mehr als sich ein oder zwei mal in der Woche am Nachmittag treffen,<br />

oder?“ fragte Marcel. Ich sah ihn an, <strong>und</strong> mir lief alles durch den Kopf, sagte<br />

aber nur: „Das wäre schön, aber wenn's eben nicht anders geht, dann muss<br />

man sich damit begnügen.“ Marcel dachte nach <strong>und</strong> meinte: „Das tun andere<br />

aber nicht. Männer, die 'ne neue Fre<strong>und</strong>in haben, sagen ihrer Frau, dass sie<br />

wegen der neuen Fre<strong>und</strong>in nicht mehr mit ihr zusammenleben wollen. Du willst<br />

aber noch mit Papa zusammenleben <strong>und</strong> sagst ihm nicht, dass du 'nen neuen<br />

Fre<strong>und</strong> hast?“ „Marcel, was kannst du für schwere Fragen stellen. Es geht ja<br />

nicht nur um meinen Mann, es geht ja um die ganze Familie. Er ist ja euer Vater,<br />

<strong>und</strong> das würde alles zerstört.“ antwortete ich. Marcel hob die Augenbrauen.<br />

„Du meinst, wir würden eure Trennung psychisch nicht verkraften, <strong>und</strong> schwere<br />

seelische Schäden für's spätere Leben davon tragen?“ sagte Marcel, <strong>und</strong> wir<br />

mussten beide lachen. „Mami, du musst dich mal damit abfinden, dass wir<br />

langsam erwachsen werden, <strong>und</strong> das, was ihr beide tut ganz allein für euer<br />

Bier halten. Und da bin ich sicher, dass Aletta es keinen Deut anders sehen<br />

würde.“ fügte Marcel noch hinzu. Ich musste über alles nachdenken, es wühlte<br />

mich auf. „Komm, drück mich mal, mein Liebster.“ sage ich zu Marcel <strong>und</strong> der<br />

schmunzelte. „Ich fand es sehr bedeutsam, was wir miteinander besprochen<br />

haben. Ich sollte doch öfter mal mit meinen erwachsenen Kindern reden.“<br />

meinte ich. Ob es dafür war, weiß ich nicht, jedenfalls bekam ich noch einen<br />

Kuss.<br />

Trennung von Marius?<br />

Diese Perspektive hatte ich überhaupt noch nicht in Erwägung gezogen. Die<br />

Beziehung zu <strong>Luc</strong> war ja meine Privatangelegenheit. W<strong>und</strong>erschön aber nebenbei.<br />

Mein Primärleben spielte sich in der Familie ab, <strong>und</strong> da gehörte Marius<br />

eben dazu. Meine Beziehung zu ihm zu beenden, kam mir überhaupt nicht in<br />

den Sinn, obwohl sich da ja schon sehr lange so gut wie nichts mehr abspielte.<br />

Was würde ich mit diesem Mann zu tun haben, wenn es die Familie nicht gäbe?<br />

Was Marcel gesagt hatte, konnte ich nicht richtig interpretieren. Hatte er nur<br />

informiert, dass es bei anderen nicht so liefe, wie zwischen uns, <strong>und</strong> sie eine<br />

Trennung problemlos akzeptieren würden, oder wollte er mir nahe legen, es<br />

doch zu tun. Sein Verhältnis zu Marius war cool, immer schon gewesen, einen<br />

konkreten Anlass gab es nicht. Er war schon immer Mamas Junge <strong>und</strong> Papa<br />

war der fremde Mann. Meinen Bruder, seinen Onkel, mochte er gut leiden, was<br />

auf Gegenseitigkeit beruhte. Das Leitbild eines Mannes in Marcels Kindheit war<br />

bestimmt mein Bruder <strong>und</strong> nicht sein Vater gewesen. Sah Marcel vielleicht<br />

durch mich eine Chance, ihn los zu werden? So richtig glauben, wollte ich das<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 19 von 28


allerdings nicht. Ich denke eher, dass er zum Ausdruck bringen wollte, wie ungewöhnlich<br />

er unser Verhalten empfand. Allerdings ist es üblicherweise ja auch<br />

so, dass Mann oder Frau sich trennen, um anschließend mit den neuen Geliebten<br />

zusammenzuleben. Dass es darum bei <strong>Luc</strong> nicht ging, konnte Marcel ja<br />

nicht wissen. Aber wenn er meinte, dass es ihn <strong>und</strong> Aletta nicht störe, warum<br />

war ich dann überhaupt noch mit diesem Mann zusammen. Er störte doch nur.<br />

Völlig unabhängig von meiner Beziehung zu <strong>Luc</strong>. Ich hatte mir nur abgewöhnt,<br />

etwas anderes wünschen zu können. Unsere Beziehung war nicht das Wichtige,<br />

den Kindern gehörte mein Herz, <strong>und</strong> für sie war die Familie. Langsam verfestigte<br />

sich in mir der Gedanke, mich von Marius zu trennen. Tagelang ging es<br />

mir durch den Kopf. Wie ich es Marius wohl sagen könnte, <strong>und</strong> wie er reagieren<br />

würde. Zusammenbrechen würde er nicht. Man sähe ihm nichts an. Es würde<br />

in seinem Inneren arbeiten. Nachdem wie ich ihn kannte, hielt ich ihn gar nicht<br />

für allein lebensfähig, aber es forderte ihn ja auch nichts heraus, man half ihm<br />

ja überall <strong>und</strong> nahm ihm alles ab. In seinem Beruf musste er ja auch alles selbständig<br />

gemanagt kriegen. Sonst würde man ihn wohl rauswerfen. Bald war die<br />

Trennung für mich beschlossen. Die Beziehung unter diesen Bedingungen weiter<br />

fortzuführen, schien mir absurd <strong>und</strong> grotesk. Ich musste nur noch mit Aletta<br />

sprechen.<br />

Aletta<br />

Aletta liebte es aufs Innigste, wenn ich abends beim Zubettgehen zu ihr kam.<br />

Es war die schöne Zeit, in der Mami ganz nur für sie da war. Nichts, was es<br />

sonst noch tagsüber gab, konnte sich einmischen, <strong>und</strong> die Atmosphäre war immer<br />

fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> glücklich, damit Aletta gut einschlafen <strong>und</strong> etwas Schönes<br />

träumen konnte. Wenn ich jetzt kam, blühte sie noch mal richtig auf, besprach<br />

die wichtigsten Angelegenheiten <strong>und</strong> verriet mir ihre intimsten Geheimnisse.<br />

Sie war mein Kätzchen oder meine Katze, meine Schmusekatze. Ich hatte ihr<br />

schon auf der Gr<strong>und</strong>schule beim Streicheln Baudelairs Chat süßlich zugeflüstert<br />

<strong>und</strong> übersetzt. Sie liebte es außerordentlich. „Noch einmal die Katze, Mami“<br />

war zum Standardrepertoire ihrer „Gute Nacht“ Wünsche geworden. Ich hatte<br />

mich neben sie gelegt. Wir schauten uns lächelnd an. Ich ließ meine Finger<br />

über ihren Arm gleiten <strong>und</strong> zitierte Baudelaire.<br />

Viens, mon beau chat, sur mon coeur amoureux;<br />

Retiens les griffes de ta patte,<br />

Et laisse-moi plonger dans tes beaux yeux,<br />

Mêlés de métal et d'agate.<br />

Lorsque mes doigts caressent à loisir<br />

Ta tête et ton dos élastique,<br />

Et que ma main s'enivre du plaisir<br />

De palper ton corps électrique<br />

„Mami,“ sagte Aletta, „du bist so schmuselig. Du willst etwas von mir.“ „Ja, deine<br />

Meinung will ich hören.“ antwortete ich. Dann erzählte ich, dass Marius <strong>und</strong><br />

ich uns auseinandergelebt hätten, <strong>und</strong> dass wir uns trennen wollten. „Ich bleib<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 20 von 28


aber bei dir.“ war Alettas erste sorgenvoll ängstliche Reaktion. Ansonsten<br />

müssten wir das ja selber wissen, was wir wollten. Dass es zudem bei mir<br />

einen neuen Liebhaber gebe, interessierte Aletta viel mehr als unsere Trennung.<br />

Da hätte sie am liebsten eigentlich jedes Detail erfahren. Immer wieder<br />

neu Fragen fielen ihr ein, zu <strong>Luc</strong>, zu mir, zu unserer Liebe <strong>und</strong> zur Liebe allgemein.<br />

„Bring ihn doch mal mit. Wenn du abends wiederkommst, nimmst du ihn<br />

einfach mit.“ schlug Aletta vor. Später mach ich das auch, Kätzchen, nur ich<br />

habe es Papa überhaupt noch nicht gesagt. Ich wollte erst deine Meinung <strong>und</strong><br />

deinen Rat einholen.“ antwortete ich. Das schien sie für eine besondere Anerkennung<br />

<strong>und</strong> Ehre zu halten. Sie fiel mir um den Hals <strong>und</strong> drückte mich.<br />

Kein absurdes Theater<br />

„<strong>Luc</strong>, ich weiß gar nicht, was ich tue. Ich werde mich von Marius trennen.“ erklärte<br />

ich <strong>Luc</strong>. Entgeistert blickte er nicht, aber fragend schon. Dann erklärte<br />

ich ihm, dass ich mich unabhängig von uns dazu entschieden habe, nachdem<br />

ich erfahren hätte, dass es den Kindern egal sei. „Auswirkungen auf uns wird<br />

es natürlich haben. Ich kann so oft kommen <strong>und</strong> so lange bleiben, wie ich<br />

möchte. Wir können solange spazieren gehen, wie wir wollen <strong>und</strong> anschließend<br />

noch ins Bett. An den Wochenenden habe ich frei, <strong>und</strong> wir könnten sogar gemeinsam<br />

in Urlaub fahren. Aletta brennt übrigens darauf, dich kennenzulernen.<br />

Mamis Fre<strong>und</strong>, das ist ja schon was.“ erläuterte ich. <strong>Luc</strong> smilte, überlegte <strong>und</strong><br />

musste mich erst mal küssen. „Dann wird das Leben ganz anders für uns werden,<br />

<strong>Anne</strong>. Vor kurzem hast du noch erklärt, wie w<strong>und</strong>ervoll du unsere Beziehung<br />

fändest, aber sie sei nicht dein Leben. Und jetzt, wird sich das ändern?“<br />

fragte <strong>Luc</strong>. „Mein Leben wird ein anderes sein. Es wäre Platz für dich. Aber ob<br />

ich dich da rein lasse, muss ich mir noch gut überlegen.“ scherzte ich. „<strong>Luc</strong>,<br />

jetzt blicke ich ganz aufgeregt auf die nächsten Tage. Morgen werde ich es Marius<br />

sagen. Ich, Marius gegenüber nervös.“ da musste ich erst mal lachen.<br />

„Aber es wird weniger an Marius liegen, als an dem, was ich ihm zu sagen<br />

habe. Mit zwei Sätzen eine gemeinsame zwanzigjährige Partnerschaft beenden.<br />

Zwanzig Jahre Familie, mir bedeutet das schon etwas, es war mein Leben. Mir<br />

erscheint alles, was sich in diesem Zusammenhang ereignet hat. Was mir mit<br />

Marius nicht gefallen haben könnte, habe ich immer locker weckgesteckt, hab's<br />

nicht bedauert, sondern gedacht, so ist das eben. Es hat mich emotional nicht<br />

getroffen, meine Gefühle gehörten den Kindern. In der Situation hat es mir sicher<br />

geholfen. Ich habe mich nicht gegrämt <strong>und</strong> bin nicht verbittert, aber ich<br />

habe auch verlernt, zu wissen, was ich mir denn überhaupt von Marius hätte<br />

wünschen sollen. Jetzt weiß ich es wieder, was ich mir von einem Mann zu<br />

wünschen habe. Nein, nicht nur das Bett <strong>und</strong> die körperlichen Zärtlichkeiten,<br />

das zentrale ist Liebe <strong>und</strong> alles was daraus resultiert. Da hast du schon recht.<br />

Das macht es mir auch leicht, es Marius zu sagen, denn zwischen uns existiert<br />

davon nichts mehr. Die Partnerschaft trotzdem fortzuführen, wäre absurdes<br />

Theater.“ erläuterte ich meine Lage. „<strong>Luc</strong>, du musst mich nicht so unordentlich<br />

gehen lassen, ich meine mich zwar immer zurecht zu machen, aber Marcel, der<br />

ja konkret nichts davon kennt, war bei meinem Aussehen sonnenklar, dass ich<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 21 von 28


aus dem Bett meines Fre<strong>und</strong>es kommen musste.“ erzählte ich. „Du siehst aber<br />

dann viel schöner aus, als wenn du ankommst.“ meinte <strong>Luc</strong>. Warum er dafür<br />

von mir eine Boxhieb bekam, weiß ich auch nicht. Jedenfalls führte die weitere<br />

Eruierung der Frage, was daran denn schöner sei zu liebe- <strong>und</strong> lustvollen Worten<br />

<strong>und</strong> letztendlich ins Bett. Was ich mir eigentlich für heute gar nicht hätte<br />

vorstellen können.<br />

Ne Fre<strong>und</strong>in hät' ich auch schon gern<br />

„Na, wie sehe ich aus?“ fragte ich Marcel als ich zurückkam. Wir mussten beide<br />

lachen. „O. k., heute siehst du ganz ordentlich aus. Aber das war ja auch nicht<br />

jedes mal so, wenn du zurückkamst.“ urteilte Marcel. „Mein Junge, es gibt auch<br />

noch etwas anderes in der Liebe, als gemeinsam ins Bett zu gehen. Kannst du<br />

dir das vorstellen?“ erklärte ich. „Mami, du erzählst ja nichts. Wie soll ich da<br />

wissen, was es in der Liebe gibt.“ reagierte er <strong>und</strong> lachte. „Übrigens, Marcel,<br />

Morgen wollte ich es Papa sagen, damit du Bescheid weißt.“ sagte ich. Marcel<br />

nickte <strong>und</strong> fragte: „Bist'e nervös?“ „Nervös nicht gerade, aber ein wenig sonderbar<br />

ist mir schon zu Mute. Das war ja immerhin 'ne ganz schön lange Zeit in<br />

der sich viel ereignet hat, ganz Wichtiges <strong>und</strong> Bedeutendes ereignet hat, <strong>und</strong><br />

Schönes gab's ja auch.“ antwortete ich. „Sagst'e ihm, dass du einen Fre<strong>und</strong><br />

hast?“ fragte er. „Ich weiß es noch nicht. Aber das ist auch nicht das Entscheidende.<br />

Mit meinem Fre<strong>und</strong> habe ich nur erfahren, dass es das alles in der Beziehung<br />

zwischen Papa <strong>und</strong> mir nicht mehr gibt, dass da eigentlich nichts mehr<br />

ist, unsere Beziehung hohl <strong>und</strong> leer ist. Wozu sollen wir so etwas fortführen?“<br />

antwortete ich ihm. „'Ne Fre<strong>und</strong>in hät' ich auch schon gern.“ erklärte Marcel,<br />

„Aber ich glaube, ich bin zu wählerisch. Die Mädchen meinen ja immer, die<br />

Jungs seien ihnen zu kindisch. Sie seien ja schon so erwachsen. Aber ich sehe<br />

das gar nicht so. Ganz schön dämlich können die Frolleins sein. In dich könnte<br />

ich mich verlieben, aber das ist krank, nicht wahr.“ „Nicht krank, das ist bei allen<br />

Jungs so, das sie sich in ihre Mama verlieben möchten, aber das vergeht<br />

wieder. Wenn das mit zwanzig immer noch so ist, das wäre nicht so gut. Außerdem,<br />

du brauchst dich doch nicht in mich zu verlieben, wir lieben uns doch<br />

schon.“ meinte ich dazu. Wir lachten <strong>und</strong> ich wurde gedrückt <strong>und</strong> geküsst.<br />

Aletta schien es nicht sonderlich zu interessieren. Sie war süß, immer fand ich<br />

sie süß. Sie nickte nur mit geschlossenen Augen, als wenn sie sagen wollte:<br />

„O. k., ich weiß Bescheid.“. Einen Kommentar gab es nicht.<br />

<strong>Luc</strong>, I'm free<br />

Als ich vierzehn Tage später zu <strong>Luc</strong> kam, war alles vorbei. Marius war ausgezogen.<br />

Er existierte nicht mehr bei uns. Da ich befürchtete, dass er alles hinauszögern<br />

würde, sich verhalten, als ob er es gar nicht registriert hätte, durfte er<br />

am gleichen Abend schon nicht mehr in unserem gemeinsamen Bett schlafen.<br />

Die Kinder besorgten ihm eine Wohnung <strong>und</strong> Aletta hatte ihn wegen seiner ei-<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 22 von 28


genen Untätigkeit ausgeschimpft. Völlig respektlos mir gegenüber sei er, hatte<br />

sie ihm vorgeworfen. Als die Kinder eine Wohnung gef<strong>und</strong>en hatten, blieb ihm<br />

nichts anderes übrig, als sie zu nehmen. „<strong>Luc</strong>, I'm free.“ frohlockte ich. „Müssten<br />

wir das nicht feiern?“ fragte <strong>Luc</strong>. „Vielleicht ein bisschen schon, aber die<br />

Freude ist ja auch mit Nachdenklichem verb<strong>und</strong>en.“ meinte ich. Ein Glas<br />

Champagner gab es auf jeden Fall. „Wir können ja den Rest mit zu uns nehmen.“<br />

meinte ich. <strong>Luc</strong> sah mich fragend an. „Natürlich kommst du mit zu uns,<br />

was spricht dagegen?“ erklärte ich. „Ich muss noch etwas für die Schule tun.“<br />

meinte <strong>Luc</strong>. Meine Mimik zeigte Falten der Qual. „Oh, <strong>Luc</strong>, was für eine<br />

schlechte Ausrede. Hast du Angst?“ wollte ich wissen. <strong>Luc</strong> lachte <strong>und</strong> meinte:<br />

„Dann gehen wir aber heute nicht ins Bett.“ Jetzt musste ich lachen. „Hast<br />

Angst, dass man es dir ansehen könnte?“ fragte ich. „Ein bisschen nervös bist<br />

du aber schon. Keine Angst, <strong>Luc</strong>. Wer sagt denn, dass wir ins Bett müssen?“<br />

<strong>Luc</strong> mit Aletta <strong>und</strong> Marcel<br />

„<strong>Luc</strong>? Ist das nicht ein französicher Name? Bist du Franzose“ fragte Marcel bei<br />

der Begrüßung. „Und Marcel? Du bist auch Franzose, nicht war? Wir beiden<br />

Franzosen müssen gut zusammen halten. Nur heiße ich tatsächlich gar nicht<br />

<strong>Luc</strong> sondern Lukas. <strong>Luc</strong> haben die“ wobei er auf mich zeigte, „mich genannt.<br />

Und seitdem heiße ich für alle so.“ „Ich finde <strong>Luc</strong> auch besser.“ erklärte Aletta<br />

mit einer sonoren Altstimme. Es schoss mir ins Lachen. So hatte ich meine<br />

Kleine noch nie sprechen hören. „Katze, was hast du mit deiner Stimme gemacht?<br />

Hast du Whiskey getrunken?“ fragte ich. „Sie war wieder heimlich an<br />

den Spirituosen.“ erklärte es Marcel, <strong>und</strong> Aletta erläuterte zu <strong>Luc</strong> gewandt:<br />

„Katze sagt sie immer zu mir, aber das darf nur sie. Für alle anderen heiße ich<br />

immer Aletta.“ Die Atmosphäre war schon launig, als wir uns an den Tisch<br />

setzten. An der linken Seite neben <strong>Luc</strong> saß ich <strong>und</strong> an die andere hatte sich<br />

Aletta gesetzt. Sie starrte <strong>Luc</strong> ständig an. „Aletta, das tut man doch nicht, andere<br />

Leute so anstarren.“ meinte ich. „Ich muss doch seinen Charaker ergründen.“<br />

entschuldigte sie es, <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> bestätigte sie: „Das ist schon richtig. Wenn<br />

man den Charakter erkennen will, muss man sich die Leute genauestens anschauen.<br />

Und hast du bei mir schon Charaktereigenschaften entdeckt?“ Dafür<br />

bekam er von Aletta einen Knuff auf den Arm <strong>und</strong> die lächelnde Belehrung:<br />

„Das tut man erst recht nicht, andere Leute verarschen.“ Trotzdem schien sie<br />

brennend an <strong>Luc</strong> interessiert. Deshalb hatte sie sich auch wohl direkt neben<br />

ihn gesetzt. Es gab nichts, was sie von <strong>Luc</strong> nicht wissen wollte. <strong>Luc</strong> war nur für<br />

sie da. Wir waren überfüssige Randfiguren. „Das sind aber sonderbare Ansichten.“<br />

meinte sie, als ihre Bewertungen noch moderat ausfielen. „Das liegt doch<br />

nicht an der Tätigkeit, sondern an dir, was du daraus machst. Man kann sich<br />

doch auch beim Müllentsorgen seine Liebe zeigen. Wenn du sie jedes mal küssend<br />

verabschiedest, wenn sie mir der Mülltüte rausgeht, sie freudig empfängst,<br />

wenn sie wiederkommt <strong>und</strong> dich erk<strong>und</strong>igst, was sie am Container erlebt<br />

hat, ist das Teil eurer Liebe. Sie wird es gern <strong>und</strong> immer wieder tun.“ Wir<br />

hielten uns die Bäuche <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> kniff die Lippen zusammen aber Aletta konnte<br />

sich noch mehr vorstellen: „Oder zum Beispiel beim Küche wischen. Du gibst<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 23 von 28


ihr einen Klaps auf den Po. Sie ist entsetzt <strong>und</strong> rennt hinter dir her. Es kommt<br />

zur Balgerei, <strong>und</strong> anschließend liebt ihr euch.“ „Und seitdem will sie nur noch<br />

Küche wischen.“ vervollständigte Marcel es.“ Jetzt mussten natürlich alle, inclusive<br />

Aletta, lachen. Ich unterstützte sie <strong>und</strong> erklärte: „Nein, im Gr<strong>und</strong>e hat<br />

Aletta schon Recht, es kommt auf dich an, <strong>und</strong> was du aus einer Situation<br />

machst, das ist das Entscheidende.“. Aletta störten diese kleinen Intermezzi<br />

aber nicht bei ihren Erk<strong>und</strong>ungen in der Angelegenheit <strong>Luc</strong>. <strong>Luc</strong> versuchte öfter<br />

seine Position zu rechtfertigen, aber das führte nur zu gegenteiligen schärferen<br />

Reaktionen von Aletta. „Das ist absolut pervers <strong>Luc</strong>, das ist wieder die menschliche<br />

Natur. Den Menschen alleine gibt es gar nicht, kann es gar nicht geben.<br />

Jeder Mensch ist nichts anderes, als seine Beziehung zu anderen Menschen<br />

<strong>und</strong> seiner Umwelt. Der Mensch kann nix, wenn er geboren wird, außer Mamas<br />

Zitze finden, wenn sie ihm ans Bäckchen stößt. Alles lernt er im Umgang mit<br />

seinen Mitmenschen, das geht im ganzen Leben so weiter. Das ist die menschliche<br />

Natur. Anders würdest du verkümmern. Alles teilst du mit anderen oder<br />

setzt es zu ihnen in Beziehung. Wenn du sagst du seist kein Hordentier, dann<br />

ist das ein Konstrukt aus deinem Kopf, aber absoluter Stuss.“ belehrte sie <strong>Luc</strong>,<br />

dem es trotzdem zu gefallen schien.<br />

Du hast einen guten Charakter, <strong>Luc</strong><br />

„Du Armer, soll ich dich trösten?“ fragte ich den beschimpften <strong>Luc</strong>. Wir beide<br />

lachten <strong>und</strong> mussten erklären, warum. Dass so unsere Liebe begonnen hatte,<br />

war natürlich höchst spannend. So wollten die beiden sie erzählt haben, die<br />

Geschichte unserer Liebe. Meistens hörte man von Aletta oder Marcel nur: „Ja,<br />

<strong>und</strong> dann.“. Hauptsächlich erzählte <strong>Luc</strong>, ich ergänzte nur manchmal etwas.<br />

„Nein, <strong>Luc</strong>, das nicht. Das gehört nur dir <strong>und</strong> mir. Das kann man doch nicht erzählen,<br />

das ist doch viel zu intim.“ musste ich <strong>Luc</strong> schon mal stoppen. „Ja, <strong>und</strong><br />

da waren die letzten Bedenken eben überw<strong>und</strong>en. Und seitdem schlafen wir<br />

miteinander.“ erzählte <strong>Luc</strong>. Erläuternd musste ich unbedingt hinzufügen: „Es<br />

geht aber nicht nur ums Ficken. Dann wäre ich beim ersten mal schon nicht<br />

mit ins Bett gegangen. Ich empfinde es, als ob wir unsere gesamte Liebe mit<br />

unseren Körpern erlebten. Das ist w<strong>und</strong>erbar, <strong>Luc</strong> ist w<strong>und</strong>erbar, er verwöhnt<br />

mich <strong>und</strong> macht mich glücklich, wie ich es früher noch nie erlebt habe.“ Jetzt<br />

starrte Marcel <strong>Luc</strong> an, <strong>und</strong> Aletta stand auf, umarmte <strong>Luc</strong> <strong>und</strong> gab ihm einen<br />

Kuss auf jede Wange. „Du hast doch einen guten Charakter. Wer Mami glücklich<br />

macht, muss einen guten Charakter haben. Sie selbst hat einen guten<br />

Charakter <strong>und</strong> lässt mich auch oft glücklich sein.“ Marcel streichelte <strong>Luc</strong> zwei<br />

mal über den Oberarm. Männer untereinander verstehen das. Dazu brauchen<br />

sie keine Worte. <strong>Luc</strong> war ganz begeistert von Aletta. „Ich glaube, so eine Frau<br />

könnte ich doch immer um mich haben. Sie ist ja noch ein Kind, was aus der<br />

wohl mal wird?“ fragte er sich. „So wie gerade habe ich sie auch noch nicht erlebt.<br />

Sie ist nicht auf den M<strong>und</strong> gefallen, das weiß ich wohl, aber sie konnte ja<br />

richtig mit dir fighten <strong>und</strong> keineswegs simpel. Ja, sie ist sehr gut drauf für ihr<br />

Alter, kann aber auch sehr lieb sein <strong>und</strong> vor allem äußerst komisch. Ich mag<br />

sie schon sehr.“ meinte ich dazu.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 24 von 28


Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder<br />

Wir wollten den restlichen Champagner trinken. „Dafür kann ich eingesperrt<br />

werden, dass ich meine Kinder mit Alkohol füttere.“ erklärte ich. „Aber wenn<br />

Aletta heute sowieso schon an den Spirituosen war.“ versuchte <strong>Luc</strong> es abzuschwächen.<br />

„Was feiern wir denn eigentlich?“ wollte ich wissen. Aletta wusste<br />

es: „Dass es schön ist.“ Das war eine sehr gute Erklärung. Was in der Kleinen<br />

wohl vorging. Ob sie durchschaute, dass jede andere Erklärung ungünstig gewesen<br />

wäre. Ich hatte es nicht durchschaut, sonst hätte ich nicht gefragt. Das<br />

weise Kind. Ich hatte schon früh mit Kirche <strong>und</strong> Glauben nichts mehr zu tun<br />

gehabt, aber irgendetwas aus der Bibel fiel mir öfter ein. Bei Aletta musste ich<br />

an die Geschichte mit dem zwölfjährigen Jesus im Tempel denken, den die<br />

Schriftgelehrten ja auch für klug <strong>und</strong> weise hielten. Aletta durchschaute ich<br />

auch oft nicht, außer wenn sie schmusen wollte, dann war sie einfach <strong>und</strong> direkt.<br />

Dass <strong>Luc</strong> akzeptiert wurde, war keine Frage. Mir kam es schon vor, als ob<br />

er richtig dazu gehörte, vielleicht mehr als Marius jemals. Ihn hatten die Kinder<br />

respektiert, für <strong>Luc</strong> interessierten sie sich. Sie mochten ihn, <strong>und</strong> dass er sie<br />

mochte, war evident. „Wenn mir im ersten Jahr in der Schule ein Hellseher erzählt<br />

hätte, dass <strong>Luc</strong> <strong>und</strong> ich uns in vierzig Jahren verlieben würden, ich hätte<br />

mich gekugelt <strong>und</strong> den Hellseher für verrückt gehalten. Aber auch in der dreizehn<br />

genauso.“ erklärte ich zu unserer Schulzeit. „Und warum habt ihr euch<br />

dann verliebt?“ fragte Marcel. „Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst.<br />

Wie du jetzt mit deinen Mitschülern lebst, das wird es zwanzig Jahre später für<br />

dich nicht mehr geben. Da ist ganz viel dazugekommen, das dich <strong>und</strong> deinen<br />

Umgang mit anderen Menschen verändert hat. Und im Verhalten zwischen uns<br />

beiden spielte das keine Rolle. Wir kannten ja nur unser Verhalten in der Schule,<br />

das haben wir weitergelebt <strong>und</strong> das gefiel uns ausgezeichnet.“ erklärte ich<br />

es. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.“ versuchte Marcel es zu verstehen.<br />

„Genau, wie die Kinder,“ bestätigte ihn <strong>Luc</strong>, „<strong>und</strong> damit stand uns das Himmelreich<br />

offen.“ „<strong>Luc</strong>, du bleibst aber heute Nacht.“ musste ich klarstellen, weil wir<br />

darüber überhaupt noch nicht gesprochen hatten. „Die ganze Nacht?“ fragte<br />

<strong>Luc</strong> erstaunt. „Das schaffst du schon.“ beruhigte ich ihn, <strong>und</strong> die beiden grinsten.<br />

„Mami, du bist für mich jemand anders geworden.“ erklärte Marcel mir<br />

beim Gute Nacht Wunsch. „Sonst warst du immer die Mutter, aber die gibt es<br />

gar nicht mehr.“ „Und wer bin ich jetzt.“ fragte ich. Marcel druckste: „Ich weiß<br />

nicht wie ich es sagen soll. Irgendwie so etwas wie einfach eine ganz normale<br />

Frau. Natürlich die tollste <strong>und</strong> liebste.“ fügte er an <strong>und</strong> lächelte. „Marcel, das<br />

höre ich sehr gerne von dir. Das gefällt mir ausgesprochen gut, <strong>und</strong> es bedeutet<br />

mir sehr viel, dass du es gesagt hast. Es wird mich beschäftigen <strong>und</strong> unser<br />

Verhältnis zueinander beeinflussen. Danke Marcel.“ lautete meine Reaktion.<br />

Dass die Umarmung heute Abend besonders intensiv ausfiel, verstand sich von<br />

selbst.<br />

Die erste gemeinsame Nacht. Geschlafen haben wir nicht viel. Wenn wir nicht<br />

schmusten, oder uns liebten, redeten wir. Durchwirkt von exaltierenden<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 25 von 28


Glücksgefühlen waren wir, <strong>und</strong> unser Vigilanzpegel, verbat sich jede Einmischung<br />

von Müdigkeitsempfinden. Am Morgen gemeinsames Frühstück. Das<br />

gab es bei uns nur Sonntagmorgens mal. Jetzt versuchten die beiden <strong>und</strong> ich<br />

alles mögliche auf den Tisch zu bringen, wie eine Mischung aus Osterfrühstück<br />

<strong>und</strong> American Breakfeast. Marcel wollte noch Pfannkuchen backen, aber ich<br />

meinte, wir könnten das alles gar nicht essen. „Aber Bratkartoffeln, das ginge<br />

doch.“ bemerkte Aletta trocken <strong>und</strong> ernst. Ich musste schrecklich lachen, denn<br />

Bratkartoffeln gingen für Aletta gr<strong>und</strong>sätzlich immer, zu jedem Essen <strong>und</strong> zu<br />

jeder Tageszeit. „Soll'n wir uns nicht 'n paar Bratkartoffeln dazu machen?“ war<br />

schon zum geflügelten Wort geworden.<br />

Alettas intime Besprechung mit <strong>Luc</strong><br />

Ich fuhr jetzt kaum noch zu <strong>Luc</strong>, sondern er war immer öfter <strong>und</strong> länger bei<br />

uns, bis er irgendwann fast immer da war. „Warum denkt <strong>Luc</strong> sich denn so etwas<br />

aus? Er tut doch genau das Gegenteil davon <strong>und</strong> beteiligt sich an allem. Er<br />

bringt den Müll raus, auch ohne von dir mit Küssen verabschiedet zu werden.“<br />

fragte Aletta. „Ich denke, du kannst dir vieles überlegen, aber du hast auch<br />

immer Bilder, unformulierte, emotionale Vorstellungen von allem. <strong>Luc</strong>s Bilder<br />

sind wahrscheinlich entstanden, als er nicht sehr glücklich war <strong>und</strong> in anderen<br />

eher eine Belästigung <strong>und</strong> Einengung als eine Freude sah. Daraus hat er seine<br />

Theorie gestrickt <strong>und</strong> sich selber das Leben verbaut. Wie sehr viele andere<br />

Menschen auch.“ versuchte ich es Aletta zu erklären. „Werde ich mir denn auch<br />

mein Leben verbauen?“ fragte sie leicht grinsend erstaunt. Lachend meinte ich:<br />

„Bestimmt, mein Schatz. Aletta, meine Liebe, du könntest das gar nicht, selbst<br />

wenn du es unbedingt wolltest. Da bin ich absolut sicher.“ „Und <strong>Luc</strong>, hat der<br />

jetzt die Bauklötze weggeräumt?“ fragte Aletta. „Genau weiß ich das natürlich<br />

nicht, aber ich denke, dass er sich sehr wohlfühlt <strong>und</strong> außergewöhnlich glücklich<br />

ist. Dazu tragen wir alle bei, besonders du. Angefangen, ein anderes Bild<br />

zu malen, hat er aber bestimmt schon als wir uns kennenlernten. Da sah die<br />

Welt schon sehr bald anders für ihn aus.“ antwortete ich ihr. Aletta musste mal<br />

eine intime Besprechung mit <strong>Luc</strong> durchführen. Kurze Zeit später meinte <strong>Luc</strong><br />

abends im Bett zu mir: „Ich habe mir das mal alles überlegt, <strong>Anne</strong>. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

ist es ja unsinnig, dass ich eine eigene Wohnung habe. Ich nutze sie ja nie, bin<br />

ja immer hier, lebe permanent mit euch zusammen, was ich doch eigentlich<br />

überhaupt nicht wollte. Und das Verblüffende daran ist, dass es nichts gibt,<br />

was mich stören könnte. Ich glaube, Ansichten hat man, um sie den Gegebenheiten<br />

anzupassen <strong>und</strong> sie zu korrigieren, wenn sie nicht mehr stimmig sind.<br />

Von meinen Ansichten über das Zusammenleben passt nichts mehr. Mein Leben<br />

ist mit dir ein anderes geworden <strong>und</strong> hat sich jetzt noch mal verändert.<br />

Das Leben hier <strong>und</strong> euer Lebensstil gefällt mir auch, aber das Entscheidende<br />

ist, dass ich nirgendwo so geliebt werde wie hier von euch. Ich würde gern zu<br />

euch ziehen <strong>und</strong> eben auch offiziell mit euch zusammen leben.“ Meine Lippen<br />

hatte ich zu leichtem Lächeln breit gezogen, <strong>und</strong> meine Augen beobachten <strong>Luc</strong><br />

genau, aber besser erkennen, in wieweit ich Aletta durchhörte, konnte ich<br />

trotzdem nicht. „<strong>Luc</strong>, wir haben uns beide gemeinsam unsere Leben verändert,<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 26 von 28


ganz w<strong>und</strong>ervoll, so wie wir es uns gar nicht erträumen konnten. Die 'compañeros<br />

de la escuela' gibt es zwar nicht mehr, aber die Schulkameraden hatten<br />

die richtigen Vorstellungen von Unbeschwertheit <strong>und</strong> Unbefangenheit, sie<br />

waren natürlich <strong>und</strong> vertrauensvoll <strong>und</strong> haben uns den Weg gewiesen. Ohne<br />

sie gäbe es unser Glück heute nicht, oder es sähe zumindest ganz anders aus.<br />

FIN<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 27 von 28


Krone des Lebens,<br />

Glück ohne Ruh',<br />

Liebe, bist du!<br />

Johann Wolfgang von Goethe<br />

Wir, schauten einander an<br />

<strong>und</strong> lachten uns über uns<br />

selber tot.<br />

Vor 27 Jahren, mit 18,<br />

hatten wir uns zum letzten<br />

mal gesehen.<br />

Wir blieben die Compañeros<br />

de la escuela,<br />

so lebten wir <strong>und</strong> so liebten<br />

wir uns. Anders kannten wir<br />

uns ja nicht.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Luc</strong> verspätete Liebe – Seite 28 von 28

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