Albvereinsblatt_2004-4.pdf
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Wie machen Heuschrecken Musik?<br />
Kurt Heinz Lessig<br />
Th. Pfündel<br />
Die farbenprächtige Heuschrecke (oben) ist das<br />
Weibchen der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke<br />
(Podisma pedestris). Die Art ist eine besondere<br />
Rarität in Baden-Württemberg und bisher nur vom<br />
Oberen Donautal bekannt. Die Gesamtpopulationsstärke<br />
aller Fundorte wird auf nicht mehr als 200<br />
Tiere geschätzt. Den Warzenbeißer (links) kannte<br />
früher jedes Kind. Er verrät sich durch seine lauten<br />
Zick-Laute in der Wiese.<br />
Ein Spaziergang über eine artenreiche Wiese im Hochsommer<br />
bietet ein besonderes Hörerlebnis: Aus allen<br />
Ecken ertönt der Gesang der Grashüpfer oder Heuschrecken.<br />
Unüberhörbar ist das Streichen, Geigen, Zischen<br />
und Knarren. Das ist der Werbegesang der Männchen, die<br />
auf die Antwort der Weibchen hoffen, um sich auf den Weg<br />
zu machen. Die Weibchen „musizieren“ leiser. Zum Auffinden<br />
eines Weibchens gehört neben dem Erkennen des<br />
richtigen Gesangs auch das Richtungshören – erstaunlich<br />
bei derart kleinen Tieren!<br />
Heuschrecken erzeugen die Töne mechanisch, je nach der<br />
anatomischen Ausbildung der klangerzeugenden Körperteile.<br />
Fast alle Langfühlerschrecken heben die härteren Vorderflügel<br />
leicht an und reiben sie aneinander. Dabei streicht<br />
eine „Schrillleiste“ mit Querrippen an der Unterseite des<br />
oberen Flügels über eine „Schrillkante“ auf dem unteren<br />
Flügel. Kurzfühlerschrecken besitzen andere „Musikinstrumente“:<br />
Die Knarrschrecken reiben die Kauflächen<br />
ihrer Mundwerkzeuge aneinander und sind nur aus der<br />
Nähe hörbar. Die Feldheuschrecken streichen einen oder<br />
beide der mächtigen Hinterschenkel über die Flügel. Die<br />
zur Lauterzeugung notwendige Zahnung befindet sich auf<br />
dem Flügel oder Hinterschenkel. Die Grashüpfer besitzen<br />
eine gezähnte Leiste auf den Innenseiten der Hinterschenkel,<br />
die über den vorstehenden Radius der<br />
Vorderflügel streicht; die dachförmig aufgestellten Flügel<br />
verstärken den erzeugten Laut als Resonanzboden. Die<br />
Töne der Grashüpfer sind uns am meisten vertraut; sie sind<br />
in warmen Sommernächten bis nach Mitternacht zu hören.<br />
Lebewesen, die Töne von sich geben, müssen solche auch<br />
empfangen können. Und jetzt kommt das Überraschende:<br />
Heuschrecken haben ihre Hörorgane nicht am Kopf. Bei den<br />
Langfühlerschrecken befinden sie sich an den Beinen, und<br />
bei den Kurzfühlerschrecken am ersten Hinterleibsring.<br />
Funde von Heuschrecken reichen bis ins Karbon vor über<br />
300 Millionen Jahren zurück. Im Oberjura (Weißjura) haben<br />
Paläontologen versteinerte Tiere gefunden, die Lauterzeugungsorgane<br />
aufweisen. Die Vorstellung, dass der Weltgesang<br />
der Heuschrecken schon seit mindestens 150 Millionen<br />
Jahren ertönt, lässt uns voll Bewunderung diesen<br />
Tieren lauschen und gibt den Heuschreckenwiesen ihre<br />
besondere Stimmung.<br />
Heuschrecken lassen sich anhand ihrer Gesänge gut unterscheiden.<br />
Dafür gibt es – ähnlich wie für Vogelstimmen –<br />
Audio CDs (z. B. Heiko Bellmann, Heuschrecken, Ample<br />
Edition, € 14,90).<br />
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