Albvereinsblatt_2003-5.pdf
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Stadtkapelle im Einsatz beim Siederfest in<br />
Schwäbisch Hall, nach einer Zeichnung von<br />
Louis Braun, 1862 (Stadtarchiv Schwäbisch Hall)<br />
Vom Musikanten zum Musiker<br />
Doch nicht alle weltliche Musik wurde pauschal verurteilt.<br />
Ab dem Spätmittelalter nahmen Fürstenhöfe, Städte und<br />
Dörfer Musikanten in ihre Dienste auf. Aus den Fahrenden<br />
wurden sesshafte, fest verpflichtete und besoldete Musiker,<br />
die bestimmte musikalische Pflichten wahrzunehmen<br />
hatten. In den Städten siedelten sich die ehemaligen<br />
fahrenden Spielleute meist in einem Straßenzug an, wovon<br />
bis heute die Namen sogenannter Gewerbegassen zeugen<br />
(z. B. Geigergasse). Aufgabe der sogenannten „Stadtpfeifer“<br />
oder der „Stadtkapelle“ war es, neben der konzertanten<br />
Unterhaltung, Rechtshandlungen durch akustische Signale<br />
anzukündigen. In Frankfurt z. B. wurden die Ratsmandate<br />
nicht nur ausgerufen, sondern mit Trompetensignalen<br />
ausgeblasen. Nach dem Bauernkrieg in Villingen „zoch man<br />
mit trumen und pfiffen“ zur Hinrichtung aufrührerischer<br />
Bauern. Trompeten übertönten die Schreie der am Pranger<br />
ausgepeitschten Missetäter. Marktöffnung und Marktschluss<br />
wurden von Stadtpfeifern signalisiert.<br />
Mit der Sesshaftwerdung einher ging die Spezialisierung<br />
der Musikanten auf meist ein einziges Instrument sowie<br />
die Bildung fester Ensembleformen wie das „große“ und<br />
das „kleine Spiel“. Bei erstgenanntem handelte es sich um<br />
eine Besetzung, die aus mindestens drei Bläsern bestand.<br />
Zum Einsatz kamen Zinken und „basunen“ (Posaunen),<br />
Schnabelflöten und Schalmeien (Bomharte/ Pommer). Das<br />
„kleine Spiel“ bestand aus verschiedenen Zusammenstellungen<br />
von Streich- und Holzblasinstrumenten, beispielsweise<br />
Violine und Laute oder Portativ (kleine Orgel)<br />
– Fidel – Harfe – Laute.<br />
Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert ist eine zunehmende<br />
Hierarchisierung im Musikergewerbe feststellbar. Der<br />
höfische Musikant wollte vom „Stadtpfeifer“ unterschieden<br />
sein, wie auch der Stadtpfeifer von den weiterhin existierenden<br />
fahrenden Spielleuten und Bänkelsängern.<br />
Letztere, durch ihre festangestellten Kollegen um vielerlei<br />
Verdienst gebracht, fanden ihr Auskommen mehr schlecht<br />
als recht in den Wirtsstuben und auf der Straße. Da ist es<br />
kaum verwunderlich, dass sich manche von ihnen um zu<br />
überleben auf den Pfad der Untugend begaben. Hier sei<br />
wiederum an die obige Liedstrophe erinnert.<br />
Neue Instrumente<br />
– neue Musikwelten<br />
Ab dem 19. Jahrhundert fand ein tief greifender Wandel<br />
statt. Zum einen waren es neue oder verbesserte Instrumente<br />
(Ventiltrompete, Akkordeon), die ein erweitertes<br />
Klangspektrum ermöglichten, das Musizieren erleichterten<br />
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und damit ältere Musikinstrumente (Sackpfeife,<br />
Schalmei) in den Hintergrund drängten. Zum<br />
anderen verursachten liberale Strömungen im<br />
Gefolge der Französischen Revolution politische<br />
und gesellschaftliche Umbrüche. Das Vereinswesen<br />
erblühte, Gesangs- und Musikvereine<br />
wurden in großer Zahl gegründet. Das Entfalten<br />
bürgerlicher Musikkultur entzog dem Stadtpfeifer<br />
seine Verdienstmöglichkeiten. Musikvereine und<br />
Militärkapellen übernahmen repräsentative<br />
Aufgaben für die Stadt oder die Gemeinde und<br />
traten ebenso als Tanzmusikanten in Erscheinung.<br />
Zumeist waren es kleine gemischte Bläser-Streicher-<br />
Besetzungen oder reine Bläser-Besetzungen, die bis ins 20.<br />
Jahrhundert vielerorts zum Tanz aufspielten.<br />
Die Gesangvereine verstanden sich als „Veredler“ deutschen<br />
Liedguts, was bedeutete, dass das Liedgut von Zotenstrophen<br />
und Gassenhauern „gereinigt“ werden sollte. Aus<br />
Sicht der heutigen Volksmusikpflege ein großer Fehler, da<br />
somit manches regionale Dialektlied auf der Strecke bleiben<br />
musste. Die Erkenntnis, dass man traditionelle Lieder und<br />
Tänze bewahren sollte, reifte erst zu Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts, zu einer Zeit, da die Musik immer mannigfaltigeren<br />
Wechselwirkungen ausgesetzt war. Diese zahlreichen<br />
musikalischen Strömungen bewirkten eine Öffnung<br />
des Repertoires der Spielweisen und Instrumentierungen.<br />
Musik wurde dank der Möglichkeit der audio-technischen<br />
Vervielfältigung zur Massenware. Während man zwischen<br />
den beiden Weltkriegen auf dem Dorf noch mancherorts<br />
traditionelle Weisen und Besetzungen antreffen konnte,<br />
waren die Städte zum Schmelztiegel für Musik aus aller<br />
Herren Länder geworden.<br />
Nach dem 2. Weltkrieg eröffneten elektrisch verstärkte<br />
Instrumente wiederum neue Möglichkeiten. Bands nach<br />
dem Vorbild von Rock’n Roll-Combos beherrschten die<br />
Tanzszene. Durch Sound- und Rhythmusgeräte konnte ein<br />
Musikant nun den Klang eines ganzen Orchesters erzeugen.<br />
Der heutige Alleinunterhalter erinnert wieder an den<br />
Dudelsack- oder Drehleierspieler früherer Jahrhunderte,<br />
der mit seinem Instrument ebenso ein „Miniaturorchester“<br />
darstellte.<br />
Die Bauernkapelle Trillfingen aus Haigerloch-<br />
Trillfingen gibt es heute noch (Foto um 1910);<br />
in der Ortsgeschichte gibt es viele Hinweise auf<br />
Musikanten seit 1679.<br />
aus Gertrud Kendel: Ton und Tanz in Schwaben, Volkstanz und<br />
Tanzlied der Schwaben, Band 2, hrsgg. vom Schwäbischen<br />
Kulturarchiv des Schwäbischen Albvereins, 2000