Seniorenresidenzen by Carnival & Co.? - Hochschule Bremerhaven
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M. Vogel: <strong>Seniorenresidenzen</strong> <strong>by</strong> <strong>Carnival</strong> & <strong>Co</strong>.?<br />
<strong>Seniorenresidenzen</strong> <strong>by</strong> <strong>Carnival</strong> & <strong>Co</strong>.?<br />
Werden Kreuzfahrtschiffe nun doch zu schwimmenden Altersheimen? Eine amerikanische<br />
Studie empfiehlt, mit diesem Klischee Ernst zu machen. Prof. Dr. Michael Vogel, Leiter<br />
des Studiengangs Cruise Industry Management an der <strong>Hochschule</strong> <strong>Bremerhaven</strong>, wirft<br />
für ‚an Bord’ einen neugierigen Blick auf die Studie.<br />
In weiten Teilen der Öffentlichkeit<br />
hält sich zäh die Vorstellung, Kreuzfahrtschiffe<br />
seien schwimmende Altersheime.<br />
Der Spruch, Kreuzfahrten<br />
eigneten sich nur für die „newlywed,<br />
overfed and nearly dead“ (Frischverheirateten,<br />
Übergewichtigen und beinahe<br />
Toten) ist sogar in den USA, wo<br />
immerhin fast 10 Millionen Kreuzfahrten<br />
pro Jahr unternommen werden,<br />
noch immer zu hören. Lange<br />
Zeit hat sich die Branche gegen dieses<br />
Klischee gewehrt, da es nicht gerade<br />
zum Träumen einlädt und damit<br />
der Erschließung neuer Kundengruppen<br />
abträglich ist.<br />
Mit neuen Produkten, vielen Innovationen<br />
und großem Kommunikationsaufwand<br />
setzten sich Kreuzfahrtanbieter<br />
weltweit in den letzten<br />
Jahren gegen dieses Vorurteil zur<br />
Wehr. Ziel war und ist es, sich vom<br />
Stigma der Seniorenresidenz zur See<br />
zu befreien und auch jüngere Menschen<br />
für Kreuzfahrten zu interessieren.<br />
Das sinkende Durchschnittsalter<br />
der Passagiere, das für Hochseekreuzfahrten<br />
im deutschen Markt laut<br />
DRV-Kreuzfahrtstudie 2004 nur noch<br />
bei rund 48 Jahren liegt, ist ein Indiz<br />
für den Erfolg dieser Anstrengung.<br />
Die Studie<br />
Mit dem sinkenden Durchschnittsalter<br />
könnte es aber bald wieder vorbei<br />
sein. Eine Studie, die im November<br />
2004 in der Zeitschrift der Amerikanischen<br />
Gesellschaft für Geriatrie<br />
veröffentlicht wurde und seither für<br />
einigen Wirbel sorgt, kommt zu dem<br />
Schluss, dass Kreuzfahrtschiffe in<br />
Leistung und Preis ernste Alternativen<br />
zum betreuten Seniorenwohnen<br />
an Land seien.<br />
Lee Lindquist und Robert Golub,<br />
Ärzte an einer Universitätsklinik in<br />
Chicago und Autoren der Studie, analysierten<br />
den Leistungsbedarf von Altersheiminsassen<br />
und verglichen ihn<br />
dann mit den Leistungsangeboten von<br />
Altersheimen und Kreuzfahrtschiffen<br />
hinsichtlich Mahlzeiten, Kabinenreinigung<br />
und -instandhaltung, Handtuch-<br />
und Bettwäscheservice, ärztliche<br />
Betreuung, medizinische Versorgung,<br />
Friseur, Unterhaltungsprogramm<br />
etc.<br />
In ihrer Studie halten sie fest, dass<br />
das Leistungsangebot auf Kreuzfahrtschiffen<br />
in allen wichtigen Belangen<br />
dem Angebot von Altersheimen mindestens<br />
entspreche und es dank höherer<br />
Betreuungsintensität, 24-Stunden-<br />
Service, großer und gut ausgestatteter<br />
Gemeinschaftsräume sowie umfangreicher<br />
Freizeitangebote sogar übertreffe.<br />
Preislich stellten Lindquist und<br />
Golub den Vergleich zwischen einem<br />
durchschnittlichen amerikanischen<br />
Altersheim und der Majesty of the<br />
Seas von Royal Caribbean an. Für ein<br />
Jahr an Bord des Schiffes seien pro<br />
Person in einer Doppelkabine ca.<br />
33.000 Dollar zu entrichten. Dies entspricht<br />
einer Tagesrate von ca. 90<br />
Dollar.<br />
Demgegenüber beliefen sich die<br />
Preise amerikanischer Altersheime je<br />
nach Lage, Ausstattung und Service<br />
zwischen 28.500 Doller und 40.000<br />
Dollar pro Jahr. Verglichen mit teuren<br />
Altersheimen in den Metropolen<br />
biete ein Lebensabend auf einem<br />
Kreuzfahrtschiff also durchaus ansehnliche<br />
Einsparungsmöglichkeiten.<br />
Preis-Leistungsverhältnis<br />
Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />
von Kreuzfahrtschiffen mit<br />
Altersheimen überrascht. Kann das<br />
sein? Wo liegt der Rechenfehler, und<br />
wird hier wirklich ein fairer Vergleich<br />
von Leistungen vorgenommen?<br />
Zunächst einmal gibt es in<br />
der Tat gute Gründe dafür, warum<br />
auch ein Vier-Sterne-Kreuzfahrtschiff<br />
nicht unbedingt teurer sein muss als<br />
ein Altersheim:<br />
• Wettbewerbsdruck: Kreuzfahrtschiffe<br />
befinden sich überwiegend<br />
in einem internationalen<br />
Wettbewerb. Der entsprechende<br />
Kosten- und Leistungsdruck ist<br />
damit ungleich höher als bei Altersheimen<br />
mit ihren regionalen<br />
oder nur lokalen Einzugsbereichen,<br />
in denen sie zuweilen sogar
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Monopolstellungen einnehmen.<br />
Wettbewerbsdruck führt zu Effizienz<br />
und damit zu niedrigen<br />
Kosten, fehlender Wettbewerb<br />
zum Gegenteil.<br />
• Marktnähe: Kreuzfahrtgesellschaften<br />
müssen ihre Kabinen<br />
wöchentlich oder vierzehntägig<br />
neu füllen. Die Produkte haben<br />
darum jederzeit attraktiv und<br />
marktfähig zu sein. Altersheime<br />
dagegen profitieren von der<br />
‚Lock-in’-Situation ihrer Kunden:<br />
die Bewohner wechseln den<br />
Anbieter höchst selten, vor allem<br />
im höheren Alter. Damit bleiben<br />
Altersheimen ihre Kunden auch<br />
bei einem marktfernen Preis-<br />
Leistungsverhältnis erhalten.<br />
• Personalkosten: Die Kosten für<br />
Servicepersonal auf Kreuzfahrtschiffen<br />
sind deutlich niedriger<br />
als in Altersheimen. Dies liegt<br />
zum einen am Fehlen von Sozialabgaben,<br />
zum andern an den<br />
niedrigen Lebenshaltungskosten<br />
der Crew an Bord, den Niedriglohn-Herkunftsländern<br />
vieler<br />
Crewmitglieder und nicht zuletzt<br />
an der starken Nachfrage junger<br />
Leute nach Jobs auf Kreuzfahrtschiffen.<br />
• Größenvorteil: Besonders bei<br />
großen Schiffen verteilen sich die<br />
Gemeinkosten auf eine viel größere<br />
Menge zahlender Kunden,<br />
als dies in Altersheimen der Fall<br />
ist. Dadurch sinken die Durchschnittskosten<br />
pro Passagier, was<br />
preisliche Spielräume nach unten<br />
eröffnet. Dieser Effekt begünstigt<br />
den Bau immer größerer Schiffe.<br />
Realitätsnähe und<br />
Vergleichbarkeit<br />
Einige große Fragezeichen hinsichtlich<br />
der Realitätsnähe der Annahmen<br />
und der Vergleichbarkeit von<br />
Altersheim und Kreuzfahrtschiff ergeben<br />
sich dennoch aus der Studie:<br />
• Tagesrate: Für 90 Dollar pro Tag<br />
gibt es auf der Majesty of the<br />
Seas 2005 lediglich eine einfache<br />
Innenkabine in der Nebensaison.<br />
In der Hauptsaison kostet die<br />
gleiche Kabine bereits 154 Dollar.<br />
Eine ganzjährige Durchschnittsrate<br />
von 90 Dollar wäre<br />
also höchstens auf dem Verhandlungsweg<br />
erzielbar. Angesichts<br />
der ohnehin hohen Durchschnittsauslastung<br />
der Royal Caribbean<br />
Schiffe von über 100%<br />
ist zu bezweifeln, dass sich die<br />
Reederei auf den Langzeit-<br />
Sonderpreis einlassen würde.<br />
• Kabinenbelegung: Die Autoren<br />
Lindquist und Golub gehen bei<br />
dem Preis von 33.000 Dollar für<br />
die einjährige Kreuzfahrt von<br />
doppelt belegten Kabinen aus.<br />
Tatsächlich aber ziehen die meisten<br />
Menschen allein ins Altersheim,<br />
nachdem die Partnerin o-<br />
der, häufiger noch, der Partner<br />
verstorben ist. Damit ist die Annahme<br />
der Doppelbelegung sehr<br />
problematisch.<br />
• Kabinengröße: Ein typisches<br />
Zimmer im Altersheim ist größer<br />
als die Innenkabine, die in der<br />
Studie für den Vergleich herangezogen<br />
wurde. Ob ein Lebensabend<br />
auf 12 Quadratmetern Privatsphäre<br />
erstrebenswert ist, erscheint<br />
zudem fraglich.<br />
• Zusatzausgaben: Sämtliche Ausgaben<br />
an Bord für Getränke, Friseur,<br />
Kleiderwäsche und andere<br />
zusätzlich zu bezahlende Leistungen<br />
wurden in der Studie vernachlässigt.<br />
Zwar dürften solche<br />
Leistungen auch im Preis eines<br />
Altersheims nicht eingeschlossen<br />
sein, doch wird das Preisniveau<br />
an Bord deutlich höher liegen als<br />
an Land, wodurch die Vergleichbarkeit<br />
der beiden Alternativen<br />
weiter eingeschränkt wird.<br />
Aus diesen Kritikpunkten folgt vor<br />
allem eines: unter Berücksichtigung<br />
realistischer Preise und vergleichbarer<br />
Leistungen würden Kreuzfahrtschiffe<br />
gegenüber Altersheimen nicht<br />
mehr so gut abschneiden wie in der<br />
Studie. Der grundsätzliche Vorschlag,<br />
Kreuzfahrtschiffe als eine Variante<br />
des betreuten Seniorenwohnens zu<br />
betrachten, wird davon aber nicht entwertet.<br />
Empfehlungen der Studie<br />
Die Autoren der Studie sehen<br />
Kreuzfahrtschiffe nicht nur als edle<br />
Substitute für Altersheime. Nach<br />
Meinung der beiden Ärzte liegt der<br />
besondere Mehrwert von Kreuzfahrtschiffen<br />
als Altersruhesitz nicht im<br />
Preis-Leistungsverhältnis, sondern<br />
vor allem in der positiven psychischen<br />
und emotionalen Wirkung auf<br />
die Betroffenen.<br />
Während der Übergang aus einem<br />
selbständig geführten Haushalt in ein<br />
Altersheim von den meisten Menschen<br />
als Problem empfunden werde,<br />
würde die Perspektive, auf ein Kreuzfahrtschiff<br />
zu ziehen, eine motivierende<br />
Wirkung entfalten. Der letzte<br />
Lebensabschnitt erhielte auf diese<br />
Weise eine neue Attraktivität, etwas,<br />
worauf man sich freuen könne.<br />
Zugleich könne der gesellschaftliche<br />
Statusverlust, der mit dem Älterwerden<br />
verbunden sei, durch den<br />
Wohnsitz auf einem Kreuzfahrtschiff<br />
kompensiert werden. Und schließlich<br />
seien auch Familienbesuche auf dem<br />
Kreuzfahrtschiff erfreulicher - und<br />
deshalb vermutlich auch häufiger -<br />
als im Altersheim an Land.<br />
Lindquist und Golub raten davon<br />
ab, Schiffe zu großen Teilen oder gar<br />
komplett in Altersheime umzuwandeln.<br />
Nicht mehr als fünfzehn Prozent<br />
der Passagierkapazität solle für seniore<br />
Dauerbewohner vorgesehen werden.<br />
Ein Vorteil von Kreuzfahrtschiffen<br />
gegenüber Altersheimen sei nämlich<br />
die Ankunft neuer Passagiere im<br />
Rhythmus von acht bis vierzehn Tagen.<br />
Durch den Kontakt mit immer<br />
anderen Menschen könnten geistige<br />
Fähigkeiten der Senioren länger bewahrt<br />
und ein Versinken in Isolation<br />
und Depression vermieden werden.<br />
Anders als von der Presse verschiedentlich<br />
kolportiert, empfiehlt<br />
die Studie übrigens nicht, die Altenpflege<br />
vom Land auf das Wasser
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zu verlegen. Vielmehr schränken die<br />
Autoren die Zielgruppe auf die noch<br />
relativ rüstigen und geistig regen Senioren<br />
ein. Auf höhere Pflegestufen<br />
seien die Schiffe in der Tat nicht ausgelegt.<br />
Reaktion der Branche<br />
Medienberichten zufolge hält sich<br />
der Enthusiasmus der großen amerikanischen<br />
Kreuzfahrtreedereien über<br />
die Studie bislang in engen Grenzen.<br />
Weder die <strong>Carnival</strong> <strong>Co</strong>rporation noch<br />
Royal Caribbean Cruise Line haben<br />
einen Kommentar abgegeben. Der<br />
Branchenverband ICCL (International<br />
<strong>Co</strong>uncil of Cruise Lines) ließ lediglich<br />
verlauten, Kreuzfahrten seien für<br />
Urlaubsreisen und nicht als Form des<br />
betreuten Langzeitwohnens gedacht.<br />
Doch angesichts der 35 Millionen<br />
Amerikaner und einer mindestens e-<br />
benso großen Anzahl Europäer, die<br />
heute älter als 65 Jahre sind, ist hier<br />
ein gewaltiges Marktpotenzial vorhanden,<br />
das die Strategen und Marketingexperten<br />
der Kreuzfahrtkonzerne<br />
sicher gerne erschließen würden.<br />
Die Herausforderung dürfte nicht<br />
so sehr in der Gestaltung eines für ältere<br />
Dauerbewohner geeigneten Produkts<br />
bestehen, als vielmehr in der<br />
Vermeidung eines Imageschadens für<br />
die sich gerne als frisch, innovativ<br />
und dynamisch darstellende Branche.<br />
Zu guter Letzt<br />
In einem Internet-Diskussionsforum<br />
weist ein anonymer Teilnehmer<br />
auf einen Aspekt hin, den die Studie<br />
unberücksichtigt lässt: steuerliche<br />
Gestaltungsmöglichkeiten. Durch die<br />
Verlegung des offiziellen Wohnsitzes<br />
in ein Steuerparadies, so der Diskussionsteilnehmer,<br />
könnten seniore<br />
Dauerpassagiere an Bord je nach Einkommenssituation<br />
und bisherigem<br />
Steuersatz eine Menge Steuern sparen<br />
und sich dafür eine größere Außenkabine<br />
mit Einzelbelegung leisten. Na<br />
also, es geht doch.<br />
Quelle der Studie:<br />
Lee A. Lindquist, Robert M. Golub<br />
(2004): Cruise Ship Care: A Proposed<br />
Alternative to Assisted Living Facilities,<br />
Journal of the American Geriatrics<br />
Society, Jg. 52, Ausgabe 11, S.<br />
1951 ff.<br />
Dieser Artikel ist erschienen in „an<br />
Bord - Das Magazin für Schiffsreisen<br />
und Seewesen“, Ausgabe Juli 2005.<br />
Mit freundlicher Genehmigung des<br />
Herausgebers.