Gemeindebrief 2013 Juni/Juli - Evangelische Kirchengemeinde ...
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Psalm 15, Hesekiel 18 u.ö. Die älteste Fassung in 2 Mose 22 hat den verarmten<br />
Bruder im Blick. Armut, der Zwang zu Leihen und das Problem des Zinses hängen<br />
zusammen: Schulden sind der Kern sozialer Abhängigkeit, die mit dem Zins<br />
verschärft wird. Vor anwachsender Schuld schützen soll das Gebot. In der zweiten<br />
Fassung, 5 Mose, wird das Gebot erweitert auf alle Arten von Darlehen,<br />
nicht mehr nur Notkredite. Erweitert wird der Kreis der Darlehensnehmer auf<br />
alle Bewohner des Landes, nicht mehr nur Verarmte. Der jüngste Text, 3 Mose<br />
25, begründet das Gebot damit, dass Ehrfurcht vor dem Gott, der aus Abhängigkeit<br />
befreit, dazu führt, auch Mitmenschen ihre Unabhängigkeit erhalten zu<br />
helfen.<br />
Der Grundgedanke des Gebotes ist offenbar: Demjenigen, der so viel übrig hat,<br />
dass er verleihen kann, wird zugemutet, dass er keinen Gewinn macht aus der<br />
Bedürftigkeit dessen, der leihen muss oder aus dem Engagement dessen, der<br />
leihen will, um damit (real!) zu wirtschaften.<br />
Was bedeutet das für unseren Umgang mit Reichtum und Geld heute?<br />
Anders als die klassische Ökonomie hält die Bibel uns nicht nur für Menschen<br />
mit unbegrenzten Bedürfnissen. Sie traut uns zu, ein Gespür dafür zu entwickeln,<br />
wann wir genug haben – und einen Blick dafür, was andere brauchen,<br />
damit sie genug haben. Reichtum wie Geld sind kein Selbstzweck, sondern haben<br />
dienende Funktion: Den Lebensmöglichkeiten der Menschen dienend – und<br />
zwar allen - insbesondere den Schwächeren. Ihr Ergehen ist Kriterium dafür, ob<br />
eine Regelung im Sinne der Gerechtigkeit Gottes ist. Wir kennen Prozesse der<br />
Ansammlung von Vermögen auch heute. In Deutschland<br />
besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung<br />
über 60 % des Gesamtvermögens, die ärmsten<br />
zehn Prozent sind überschuldet. Weltweit besitzen<br />
die drei reichsten Männer etwa soviel wie das<br />
Bruttoinlandsprodukt der 48 ärmsten Staaten mit 600 Millionen Menschen.<br />
Reichtum und Geld sollen den<br />
Lebensmöglichkeiten der Menschen<br />
dienen — und zwar allen.<br />
Müssen wir Zinsen abschaffen? Es gibt Ökonomen, die den Zins problematisieren,<br />
darunter John Maynard Keynes. Es gibt Projekte, die mit „negativem Zins“<br />
arbeiten, wie Regionalwährungen; es gibt islamische Finanzprodukte ohne<br />
Zinsen.<br />
Ob es gesamtgesellschaftlich oder in der globalen Ökonomie sinnvoll und umsetzbar<br />
wäre, darüber lässt sich streiten. Offensichtlich aber ist, dass die Abkoppelung<br />
des Finanzsektors von der Realwirtschaft eine der Ursachen der Finanzkrise<br />
war und hoch problematisch bleibt. Wenn man etwa Geld damit verdienen<br />
kann, dass man auf steigende Getreidepreise spekuliert, und sie zum<br />
Steigen bringen kann, ohne ein reales Interesse am Kauf des Getreides zu haben<br />
– mit den bekannten lebensbedrohlichen Folgen für Menschen in der südlichen<br />
Welt – dann ist das mit der Intention des Zinsverbotes nicht vereinbar.<br />
Dorothee Ernst<br />
Pfarrerin/Religionslehrerin an der Gewerblichen Berufsschule Esslingen<br />
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