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Reise auf dem gefrorenen Fluss - 4-Seasons.de

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<strong>Reise</strong><br />

75<br />

Willkommen in Zanskar: Wer <strong>de</strong>n weiten Weg macht, wird in <strong>de</strong>n Dörfern und Klöstern herzlich <strong>auf</strong>genommen.<br />

Geräusch. Eine Steinlawine? Nichts wie weg! Aber wohin? Wir rennen –<br />

soweit man <strong>auf</strong> Eis rennen kann – aus <strong>de</strong>r vermuteten Gefahrenzone Richtung<br />

<strong>Fluss</strong>mitte. Nach wenigen Schritten beginnt sich das Eis unte r uns<br />

zu biegen. Weiße Linien schießen pfeilartig in alle Richtungen. Zurüc k!<br />

Hektisch rutschen wir über die glatte Fläche. Die Lawine geht woan<strong>de</strong>rs<br />

runter. Wir sind klatschnass geschwitzt und haben unsere erste Lektion<br />

gelernt: Panische Aktionen sind <strong>auf</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> Eis nicht hilfreich.<br />

Mit 40 Mann am Lagerfeuer<br />

Erstaunlich: Man gewöhnt sich an alles, sogar an einen Wan<strong>de</strong>rweg aus<br />

Eis. Intuitiv erkennt man die stabilen Zonen. Wir staunen über die Vielfalt<br />

<strong>de</strong>s <strong>gefrorenen</strong> Wassers. Unzählige Varianten an Farbe, Aufbau, Stärke<br />

und Struktur. Manchmal ist das Eis an<strong>de</strong>rthalb Meter dick und <strong>de</strong>nnoch<br />

so transparent, dass man die Steine <strong>auf</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>Fluss</strong>grund erkennen kann.<br />

An an<strong>de</strong>ren Stellen ist es hauchdünn und milchig weiß. Es gibt auch Passagen<br />

mit unebener Oberfläche – als hätte die Kälte die Wellen erstarren<br />

lassen. Diese Abschnitte erfor<strong>de</strong>rn höchste Konzentration. Keith vergisst<br />

das lei<strong>de</strong>r ab und zu und legt wil<strong>de</strong> Slapstick-Einlagen hin – und sich selbst<br />

<strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Hosenbo<strong>de</strong>n. Die zweite Lektion ist damit klar: Unkoordiniertes<br />

Herumfuchteln stellt das Gleichgewicht nur selten wie<strong>de</strong>r her. Aber immerhin<br />

hat <strong>de</strong>r Mitwan<strong>de</strong>rer was zu lachen beim »Ice(break)dance«.<br />

Bis zum späten Nachmittag sind wir ein gutes Stück in <strong>de</strong>n Canyon vorgedrungen.<br />

Keith schlägt vor, eine Höhle zu suchen. Die gibt es am <strong>Fluss</strong><br />

reichlich. Alle Wan<strong>de</strong>rer – Einheimische wie Trekker – fin<strong>de</strong>n in ihne n<br />

Unterschlupf und Schutz vor Wind, Schnee und Steinschlag. Holz ist in<br />

Ladakh Mangelware, doch in <strong>de</strong>r Schlucht ist Schwemmholz vom Sommer<br />

zu fin<strong>de</strong>n – wir haben wegen unserer Tanzeinlagen nur vergessen,<br />

welches zu sammeln. Der Kocher wärmt zwar das Essen <strong>auf</strong>, nicht aber<br />

unsere Höhle. Wir wollen gera<strong>de</strong> in die Schlafsäcke kriechen, als unsere<br />

Mitstreiter <strong>auf</strong>tauchen. Grinsend schwenken sie ihre gesammelten Holzvorräte.<br />

Ein paar Minuten später sitzen wir zu fünft um ein kleines Feuer<br />

und schlürfen heißen Buttertee, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gui<strong>de</strong> gekocht hat. Keith formuliert<br />

die dritte Eiswan<strong>de</strong>r-Lektion: When in Ladakh, do like the Ladakhi!<br />

Als wir am nächsten Morgen <strong>de</strong>n <strong>Fluss</strong> »betreten«, ist es bereits neun<br />

Uhr. Die Schleierwolken am Himmel machen <strong>de</strong>r langsam an Stärke gewinnen<strong>de</strong>n<br />

Sonne Platz, es wird merklich wärmer. Mittlerweile haben wir<br />

unsere Gangart <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Einheimischen angepasst und schieben mehr die<br />

Füße übers Eis, als dass wir gehen.<br />

Die Schlucht weitet sich. Der <strong>Fluss</strong> wird zum ersten Mal richtig breit, in<br />

<strong>de</strong>r Mitte strömt das Wasser offen. Verharschte Fußabdrücke weisen <strong>de</strong>n<br />

Weg zur rechten Uferseite. Dennoch wird die Eisschicht am Rand immer<br />

schmaler. Ein Umklettern hier ist nicht möglich. Was also tun? Keine Menschenseele<br />

weit und breit, bei <strong>de</strong>r wir uns einen Trick abschauen könnten.<br />

Langsam und konzentriert geht Keith voraus. Vorsichtig klopft er mit seinem<br />

Holzstock herum. Vom Klang <strong>de</strong>s Eises schließt er <strong>auf</strong> <strong>de</strong>ssen Stärke.<br />

Zwei Finger dick sollte das Eis schon sein, hatte man uns in Leh gesagt.<br />

Allerdings nicht, wie dick die zwei Finger sein sollen …<br />

Langsam, aber stetig kommen wir voran. Gegen Mittag sehen wir Rauch<br />

und treffen <strong>auf</strong> eine Gruppe rasten<strong>de</strong>r Ladakhis. Wir tauschen Nüsse gegen<br />

Buttertee und unterhalten uns fachmännisch über die Beschaffenheit<br />

<strong>de</strong>s Eises. Es wird schon halten, so die vorherrschen<strong>de</strong> Meinung.<br />

Später am Nachmittag kommt eine riesige Höhle in Sichtweite. Wir beschließen<br />

zu bleiben und sind damit nicht allein – die Höhle ist offenbar<br />

die größte und beliebteste <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r ganzen Strecke. Wir richten unsere<br />

Schlafplätze ein. Immer mehr Leute kommen. Gemeinsam wird Holz gesucht.<br />

Schließlic h hocken fast 40 Leute an <strong>de</strong>n Feuern. Die gut gelaunten<br />

und hilfsbereiten Ladakhi geben uns ein Gefühl von Sicherheit. Die Eiswan<strong>de</strong>rung<br />

scheint für sie etwas völlig Normales zu sein. Inzwischen bin<br />

ich mir sicher, dass auch wir es schaffen wer<strong>de</strong>n. Gegen 21 Uhr krieche<br />

ich entspannt und gut durchgewärmt in <strong>de</strong>n Schlafsack.<br />

Begrüßung im Kloster Lingshed<br />

Nach zwei weiteren erlebnisreichen Tagen erreichen wir unser Ziel, das<br />

Kloster von Lingshed in Zanskar. Man nimmt uns herzlich als Gäste <strong>auf</strong>.<br />

Wir wohnen bei einem <strong>de</strong>r Mönche, wer<strong>de</strong>n überall herumgeführt und<br />

sind stets willkommen. Die Teilnahme an einer Puja, einer tibetischen<br />

Gebetszeremonie, wird zu einem beson<strong>de</strong>rs intensiven Erlebnis. Bei <strong>de</strong>n<br />

ausge<strong>de</strong>hnten Spaziergängen im Dorf la<strong>de</strong>n uns die Bewohner immer<br />

wie<strong>de</strong>r zum Tee ein, ganz offensichtlich freuen sie sich über die Westler,<br />

die über <strong>de</strong>n <strong>gefrorenen</strong> <strong>Fluss</strong> gekommen sind. Gerne wür<strong>de</strong>n wir länger<br />

in Zanskar bleiben, müssen aber bald wie<strong>de</strong>r in Leh sein. Unsere Sorgen<br />

wegen <strong>de</strong>s Rückwegs erweisen sich als unnötig: Die Eisverhältnisse sind<br />

besser als beim Hinweg, wir schaffen die Strecke nach Chilling in nur drei<br />

Tagen. Zurück in Leh erzählen wir nicht ohne Stolz von unseren Erlebnissen.<br />

Und oft fällt dabei ein typischer Satz aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Traveller-Repertoire:<br />

Das mache n wir <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall noch mal – wir kommen wie<strong>de</strong>r!<br />

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