26.12.2013 Aufrufe

Die Rede von Richard Roßmanith - Ulm

Die Rede von Richard Roßmanith - Ulm

Die Rede von Richard Roßmanith - Ulm

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

Illusion oder Wirklichkeit?<br />

<strong>Rede</strong> des Befehlshabers<br />

Multinationales Kommando Operative Führung<br />

Generalleutnant <strong>Richard</strong> <strong>Roßmanith</strong><br />

am 19. November 2013 in <strong>Ulm</strong><br />

- Es gilt das gesprochene Wort –


2<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

ich bedanke mich für die Einladung und die damit<br />

verbundene Möglichkeit, einen Beitrag in der Reihe „<strong>Ulm</strong>er<br />

<strong>Rede</strong>n für Europa“ zu halten. Herzlichen Dank auch für die<br />

Einführung.<br />

Illustre Reihe <strong>von</strong> Rednern: Erhard Busek, Edzard Reuter,<br />

Kommissar Johannes Hahn. Große Ehre in einer Reihe<br />

solcher Redner zu stehen. Besonderheit: es spricht ein<br />

<strong>Ulm</strong>er.<br />

Konkreter Bezug: Europäische Dimension meines<br />

Kommandos als Element der GSVP.<br />

Es ist daher auch folgerichtig, über diese Gemeinsame<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu sprechen. Bewusst<br />

provozierend habe ich dazu den Untertitel „Illusion oder<br />

Wirklichkeit“ gewählt.<br />

Aktueller Bezug: Das Jahr 2013 stellt für die GSVP einen<br />

Meilenstein dar. Im Dezember dieses Jahres wird das Thema<br />

GSVP in Brüssel erstmals seit längerer Zeit wieder auf der<br />

Tagesordnung eines Gipfeltreffens des Europäischen Rats<br />

stehen. <strong>Die</strong> Ergebnisse und Schlussfolgerungen werden über<br />

die künftige Relevanz der Gemeinsamen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik entscheiden.<br />

2


3<br />

Ich möchte heute Abend mit Ihnen einige Überlegungen<br />

anstellen im Hinblick auf die Frage <strong>von</strong> Sicherheit und<br />

Frieden in und für Europa. Dabei werde ich nicht umhin<br />

können, auf einige grundlegende strategische und<br />

strukturelle Rahmenbedingungen und Regeln einzugehen,<br />

mit Hilfe derer die EU sich dem Thema Sicherheit und<br />

Verteidigung nähert. Ich will es dabei aber nicht bei der<br />

reinen Darstellung <strong>von</strong> politischen Prozessen, Strukturen<br />

und Organisationen belassen, sondern vielmehr die Frage<br />

nach deren Relevanz und deren Zukunftsfähigkeit in den<br />

Vordergrund stellen.<br />

Dabei werde ich mir auch erlauben, kritische Punkte<br />

anzusprechen, Defizite aufzuzeigen und Hinweise für<br />

erforderliche Entwicklungen und Verbesserungen zu<br />

machen.<br />

Sehen wir uns heute im eigenen Land und in den Staaten<br />

Europas um, stellen wir fest, dass die Menschen allgemein<br />

ein Gefühl der Unsicherheit, hauptsächlich aus<br />

wirtschaftlichen Gründen und/oder aus Angst vor sozialem<br />

Abstieg im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

wahrnehmen. Fachleute vergleichen die Lage zumindest in<br />

einigen europäischen Staaten mit der zu Beginn der 30er<br />

Jahre des letzten Jahrhunderts. Als ein Indiz hierfür wird u.a.<br />

die Zunahme des Populismus in der Politik genannt.<br />

3


4<br />

Dazu kommen, wenngleich weniger intensiv, weitere<br />

Unsicherheitsgefühle durch die Risiken u.a. einer<br />

zunehmend durch Informationstechnologie geprägten Welt<br />

(Stichwort Cyber-Angriffe), Auswirkungen des Klimawandels<br />

ggf. in Form <strong>von</strong> Ressourcenverknappung oder<br />

Migrationsbewegungen und unverändert Bedrohungen<br />

durch den transnationalen Terrorismus.<br />

Zumindest in Deutschland aber auch in vielen europäischen<br />

Nachbarstaaten gibt es hingegen kaum das Gefühl <strong>von</strong><br />

Unsicherheit im Sinne klassischer militärischer Risiken und<br />

Bedrohungen.<br />

Im Umfeld der EU stellen wir fest, dass der „Arabische<br />

Frühling“ nicht die erhofften Ergebnisse im Hinblick auf<br />

Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Wohlstand<br />

erbracht hat – eher das Gegenteil ist der Fall.<br />

Eine ähnliche wenn auch nicht so drastische Feststellung<br />

kann im Hinblick auf andere Staaten im europäischasiatischen<br />

Raum getroffen werden.<br />

Neue oder wiedererstarkte Akteure wie z.B. Saudi-Arabien,<br />

Qatar oder Russland treten außenpolitisch in verstärkte<br />

Konkurrenz zur EU. Wobei viele bei uns immer noch<br />

annehmen, dass in dieser Konkurrenzsituation „alle so sein<br />

wollen wie wir“. <strong>Die</strong>s ist womöglich ein Trugschluss, der<br />

auch dazu führt, dass wir in der EU zu sehr auf uns selbst<br />

konzentriert sind. Europa ist aber immer weniger der Nabel<br />

der Welt!<br />

4


5<br />

Das internationale System ist somit zunehmend<br />

gekennzeichnet <strong>von</strong> dynamischen Instabilitäten,<br />

wachsenden Abhängigkeiten, steigender Globalisierung und<br />

einer aus der Balance geratenden Multipolarität. Für die EU<br />

gilt daher: Bedrohungen und Risiken sind zunehmend<br />

komplex, unvorhersehbar und volatil.<br />

Aber: „EU still matters!“ Mit der GSVP verfügt die EU<br />

prinzipiell auch über ein Instrument zur Bewältigung dieser<br />

Herausforderungen.<br />

Meine Damen und Herren!<br />

Generell stehen wir vor der schwierigen Aufgabe - nicht nur<br />

für die Fragen <strong>von</strong> Sicherheit und Verteidigung - eine Vision<br />

für die EU zu entwerfen, die Anspruch und Wirklichkeit<br />

sinnvoll verbindet. Es zeichnet sich nicht nur ab, dass die EU<br />

einen Teil ihrer global wirksamen wirtschaftlichen Stärke<br />

einbüßen wird, sondern auch, dass sie den Aufwand für ihre<br />

Sicherheit in höherem Maß selbst tragen müssen wird.<br />

Es muss die Frage beantwortet werden, was die EU braucht,<br />

um auch künftigen Generationen ein hohes Maß an<br />

persönlicher Sicherheit, individueller Entwicklungsaussicht<br />

und Wohlstand geben zu können.<br />

5


6<br />

<strong>Die</strong> Herausforderungen für die GSVP sind mit der<br />

Notwendigkeit einer strategischen Vision für die EU eng<br />

verbunden. Nur aus dem künftigen Handlungsanspruch der<br />

EU lässt sich ableiten, wie die zivilen und militärischen<br />

Instrumente zur Unterstützung des außenpolitischen<br />

Handelns gestaltet werden sollen.<br />

Der Vertrag <strong>von</strong> Lissabon sieht – was nur wenigen bekannt<br />

sein dürfte - eine Beistandsklausel vor, die allerdings bis<br />

jetzt nicht wirklich aufgegriffen wurde. Dennoch werden<br />

über den Aspekt der Verteidigung Aussagen getroffen<br />

werden müssen, gerade weil die Ressourcen schrumpfen<br />

und die Ansprüche größer werden.<br />

Der Wahrung der technologischen und industriellen<br />

Fähigkeiten kommt hier in einem ungewissen Umfeld große<br />

Bedeutung zu.<br />

Der Bedarf an einer strategischen Diskussion über die<br />

künftige Position der EU in allen angesprochenen Feldern<br />

wird immer drängender artikuliert. <strong>Die</strong>se Elemente müssen<br />

zusammengeführt werden, um die Außen- und<br />

Sicherheitspolitik für das Europa <strong>von</strong> morgen definieren zu<br />

können. Der Ratsgipfel 2013 bietet genau diese Möglichkeit.<br />

6


7<br />

Entstehung der GSVP<br />

Der Entstehung der Europäischen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik liegen mehrere Entwicklungen zu<br />

Grunde, die mit dem Ende des Kalten Krieges ihren Anfang<br />

nahmen.<br />

Durch den Wegfall der sowjetischen Bedrohung verringerte<br />

sich die Anlehnung der europäischen Länder an die USA im<br />

Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Darüber<br />

hinaus war mit dem Zusammenbruch des Ostblocks die<br />

Wandlung <strong>von</strong> kollektiver territorialer Verteidigung als<br />

Grundprinzip europäischer Verteidigung hin zu kollektiver<br />

Sicherheit und Aktionen außerhalb des eigenen Territoriums<br />

verbunden.<br />

Den zweiten wesentlichen Faktor für die Entwicklung der<br />

Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bildete<br />

die Dynamik des europäischen Integrationsprozesses.<br />

Nachdem die wirtschaftliche Integration in den 1990er<br />

Jahren bereits weit fortgeschritten war, rückte die politische<br />

Integration vermehrt ins Blickfeld. Während hierzu der 1993<br />

in Kraft getretene Vertrag <strong>von</strong> Maastricht im Bereich der<br />

Außenpolitik einen Durchbruch darstellte, wurden<br />

Verteidigungsfragen allerdings auf unbestimmte Zeit<br />

zurückgestellt.<br />

7


8<br />

<strong>Die</strong> mangelnde Handlungsfähigkeit in den Balkankriegen<br />

der 1990er-Jahre führte der EU drastisch vor Augen, dass sie<br />

bei all ihrem wirtschaftlichen Gewicht den sicherheits- und<br />

verteidigungspolitischen Problemen selbst in ihrer<br />

unmittelbaren Nachbarschaft hilflos gegenüber stand.<br />

Auf dem Europäischen Rat 1999 in Köln wurde daher die<br />

Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ins Leben<br />

gerufen.<br />

Durch sie sollte die Handlungsfähigkeit der EU in der<br />

internationalen Konfliktverhütung und im<br />

Krisenmanagement sowohl im militärischen wie auch im<br />

zivilen Bereich gestärkt werden. Im Rahmen der<br />

Krisenbewältigung wurden die Aufgaben, welche in einem<br />

Einsatz durch militärische Kräfte erfüllt werden sollten – die<br />

sogenannten „Petersberg-Aufgaben“ – präzisiert. <strong>Die</strong>se<br />

„Petersberg-Aufgaben“ umfassen humanitäre Aufgaben,<br />

Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie<br />

Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich<br />

friedensschaffender Maßnahmen.<br />

Durch den Vertrag <strong>von</strong> Lissabon <strong>von</strong> 2009 wurden diese<br />

Aufgaben erweitert und die Europäische Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik erhielt zudem ihren heutigen Namen<br />

der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“.<br />

8


9<br />

<strong>Die</strong> Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist<br />

seit ihrer Entstehung intergouvernemental organisiert. <strong>Die</strong><br />

Mitgliedstaaten haben ihre Entscheidungskompetenz also<br />

nicht an die gemeinsamen Brüsseler Institutionen<br />

übertragen. Stattdessen werden die wesentlichen<br />

Entscheidungen durch den Rat der Europäischen Union<br />

einstimmig gefällt, wodurch den einzelnen Staaten ein<br />

Vetorecht garantiert wird.<br />

Im Zusammenhang mit den Anstrengungen für und um die<br />

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss<br />

man sich also immer vor Augen halten: Bei all den<br />

Verpflichtungen im Rahmen der Verbesserung der<br />

militärischen Fähigkeiten handelt es sich nicht um<br />

rechtsverbindliche Vorgaben, sondern um autonome<br />

Verpflichtungen der Mitgliedstaaten.<br />

Strukturen, Organisation<br />

Zur Erreichung der gesetzten Ziele wurden eine Reihe <strong>von</strong><br />

ständigen politischen Gremien und Institutionen sowie<br />

Arbeitsstrukturen geschaffen. Im Folgenden möchte ich auf<br />

einige dieser Akteure in aller Kürze eingehen.<br />

9


10<br />

<strong>Die</strong> Institutionen, denen die politische und operative Leitung<br />

des militärischen und zivilen Krisenmanagements obliegt,<br />

sind im Europäischen Auswärtigen <strong>Die</strong>nst integriert. Der<br />

Europäischen Auswärtigen <strong>Die</strong>nst wurde im Vertrag <strong>von</strong><br />

Lissabon eingeführt und ist der Hohen Vertreterin für<br />

Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Catherine Ashton, und<br />

dem Rat der EU – also letztlich den Staats- und<br />

Regierungschefs - nachgeordnet. Das Funktionieren der<br />

Brüsseler Strukturen kann trotz berechtigter Kritik als<br />

hinlänglich zufriedenstellend bezeichnet werden.<br />

<strong>Die</strong> Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik ist<br />

zugleich Vizepräsidentin der Europäischen Kommission,<br />

Vorsitzende des Rates für Auswärtige Angelegenheiten und<br />

Außenbeauftragte des Europäischen Rates. <strong>Die</strong> Position der<br />

Hohen Vertreterin umfasst damit wichtige Posten in gleich<br />

zwei bedeutenden EU-Institutionen, nämlich der<br />

Europäischen Kommission und dem Rat der EU. Sie vertritt<br />

die EU in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und<br />

Sicherheitspolitik (quasi Außenministerin) und trägt durch<br />

ihre Vorschläge zu deren Weiterentwicklung bei.<br />

Im Hinblick auf die Gemeinsame Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik möchte ich noch ganz kurz einige<br />

weitere Kernbereiche ansprechen:<br />

10


11<br />

Für die tägliche Arbeit aber auch in Krisensituationen ist das<br />

Politische und Sicherheitspolitische Komitee der „Dreh- und<br />

Angelpunkt“ der militärischen und zivilen Komponente der<br />

Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das<br />

Komitee ist aus Vertretern der Mitgliedstaaten auf<br />

Botschafterebene zusammengesetzt und übernimmt unter<br />

der Verantwortung des Rates und des Hohen Vertreters die<br />

politische Kontrolle und strategische Leitung der EU<br />

Aktionen im Rahmen des Krisenmanagements.<br />

Der EU-Militärausschuss ist das höchste militärische<br />

Gremium innerhalb der EU-Struktur. Er setzt sich aus den<br />

Generalstabschefs der Mitgliedstaaten zusammen, die durch<br />

„Militärischen Vertreter“ ständig in Brüssel repräsentiert<br />

werden.<br />

So ist mein Vorgänger, Generalleutnant Bentler, derzeit der<br />

deutsche militärische Vertreter in Brüssel. <strong>Die</strong> Hauptaufgabe<br />

des EU-Militärausschuss ist die Beratung des Politischen und<br />

Sicherheitspolitischen Komitees in allen militärpolitischen<br />

Fragen der GSVP.<br />

Für die rein militärischen Belange ist der Militärstab der EU<br />

zuständig. Zu den Aufgaben des Stabes gehören die<br />

Frühwarnung, Lagebeurteilung und strategische Planung<br />

operativer militärischer Maßnahmen der EU. Der Militärstab<br />

der EU arbeitet an dem „Wie“, das „Ob“ liegt auf der<br />

politischen Ebene.<br />

11


12<br />

Eine Anmerkung, um ihnen Relationen und<br />

Größenordnungen zu verdeutlichen: der Militärstab der EU<br />

umfasst derzeit 230 Experten. Demgegenüber steht die<br />

zivile Domäne der Brüsseler Strukturen, insbesondere die<br />

Kommission, mit ca. 23.000 Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeitern. <strong>Die</strong>s ist auch ein Hinweis darauf, dass Fragen<br />

der Sicherheit und Verteidigung weniger <strong>von</strong> Brüssel als<br />

vielmehr <strong>von</strong> den Mitgliedsstaaten getrieben werden.<br />

Neben den angeführten Institutionen möchte ich auf die<br />

Europäische Verteidigungsagentur hinweisen. <strong>Die</strong>se dient<br />

unter anderem der Koordination und Förderung der<br />

nationalstaatlichen Rüstungsvorhaben und Transformation<br />

der jeweiligen Streitkräfte.<br />

<strong>Die</strong> Agentur basiert auf der Erkenntnis, dass eine<br />

Kooperation der nationalen Rüstungsindustrien und ein<br />

gemeinsamer Markt notwendig sind. So können zum einen<br />

Synergien geschaffen werden, welche die schrumpfenden<br />

Verteidigungsbudgets entlasten. Zum andern können durch<br />

die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung <strong>von</strong><br />

Rüstungsgütern auch die steigenden Ansprüche an die<br />

Interoperabilität erfüllt werden.<br />

12


13<br />

Vertrag <strong>von</strong> Lissabon<br />

In dem bereits mehrfach angesprochenen Vertrag <strong>von</strong><br />

Lissabon - ursprünglich auch EU-Grundlagenvertrag bzw. -<br />

Reformvertrag genannt - ist unter anderem ein Bekenntnis<br />

der EU zu einer intensivierten und stärker auf Kooperation<br />

beruhenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik. So<br />

wurde aus der „europäischen“ eine „gemeinsame“ Politik<br />

und aus der ESVP die GSVP.<br />

<strong>Die</strong> traditionellen „Petersberger Aufgaben“, welche die<br />

Kompetenzen der ESVP definierten, wurden für die GSVP um<br />

die Handlungsfelder „Entwaffnung und Demilitarisierung“,<br />

„militärische Beratung“ sowie „Unterstützung <strong>von</strong><br />

Drittländern in der Terrorismusbekämpfung“ erweitert.<br />

Zudem wurde die Position des „Hohen Vertreters der Union<br />

für Außen- und Sicherheitspolitik“ geschaffen.<br />

Mit der im Vertrag enthaltenen Solidaritätsklausel wird die<br />

gegenseitige Hilfe der Mitgliedstaaten im Falle <strong>von</strong><br />

Katastrophen und Terroranschlägen vereinbart. Art und<br />

Ausmaß der Hilfe werden <strong>von</strong> den Mitgliedstaaten selbst<br />

bestimmt.<br />

Für den Fall eines militärischen Angriffs auf einen EU-<br />

Mitgliedstaat sieht der Reformvertrag eine allgemeine<br />

Beistandsklausel vor.<br />

13


14<br />

<strong>Die</strong>se fordert im Fall einer militärischen Aggression gegen<br />

einen Mitgliedstaat den Beistand der anderen ein und<br />

bezieht sich explizit auf das Prinzip der kollektiven<br />

Selbstverteidigung in der UNO Charta.<br />

<strong>Die</strong> Beistandspflicht lässt den besonderen Charakter der<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter<br />

Mitgliedstaaten unberührt. Neutrale Staaten wie Irland,<br />

Österreich oder Finnland haben weiterhin die Freiheit, sich<br />

unter Verweis auf ihren Neutralitätsstatus <strong>von</strong> der<br />

Beistandspflicht auszunehmen.<br />

Europäische Sicherheitsstrategie<br />

Unterschiede in grundlegenden Auffassungen im Bereich<br />

der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

resultierten in der Vergangenheit und auch heute noch in<br />

weitreichende Probleme. Mangelnder Konsens führte zu<br />

wiederholtem Defiziten und Versagen der Außen- und<br />

Sicherheitspolitik in Krisensituationen. Man benötigte daher<br />

eine konzeptionelle Basis für eine koordinierte europäische<br />

Sicherheitspolitik.<br />

Im Sommer 2003 erhielt der damalige Hohe Vertreter für die<br />

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier<br />

Solana, die Aufgabe, eine Europäische Sicherheitsstrategie<br />

zu formulieren. Das Dokument „A Secure Europe in a Better<br />

World“ analysiert erstmalig das Sicherheitsumfeld der EU.<br />

14


15<br />

<strong>Die</strong> Europäische Sicherheitsstrategie zeigt die globalen<br />

Herausforderungen und Hauptbedrohungen für die<br />

Sicherheit der Union auf. Das Dokument verdeutlicht die<br />

strategischen Ziele der EU bei der Abwehr dieser<br />

Bedrohungen. <strong>Die</strong>se bestehen insbesondere darin, die<br />

Sicherheit in den Nachbarländern der Union zu stärken und<br />

eine auf wirksamen Multilateralismus gegründete<br />

Weltordnung zu unterstützen. Daneben werden die<br />

Auswirkungen dieser Ziele auf die europäische Politik<br />

behandelt.<br />

<strong>Die</strong> Europäische Sicherheitsstrategie ist ein innovativer<br />

Rahmen für das gesamte außenpolitische Handeln der EU,<br />

welcher die Basis für eine neue und bessere europäische<br />

Sicherheitspolitik schafft. Auf der anderen Seite weist sie<br />

allerdings Unzulänglichkeiten auf, da sie oft nur das<br />

Selbstverständliche festhält und selten ins Konkrete geht.<br />

<strong>Die</strong> Strategie stellt aber einen Referenzrahmen mit<br />

politischen Absichtserklärungen im Bereich der Außen- und<br />

Sicherheitspolitik dar. Sie kann als „kleinster gemeinsamer<br />

Nenner“ sicherheitspolitischer Interessen der 28 EU-<br />

Mitgliedsstaaten“ gesehen werden. <strong>Die</strong> europäische<br />

Sicherheitsstrategie ist somit ein noch nicht<br />

abgeschlossener Entwicklungsprozess. Sie bedarf der<br />

regelmäßigen Evaluierung und Anpassung.<br />

15


16<br />

Zielvorstellungen (Headline Goal) 2010<br />

<strong>Die</strong> Europäische Sicherheitsstrategie bildete - gemeinsam<br />

mit der Weiterentwicklung des strategischen Umfeldes<br />

sowie den technologischen Entwicklungen und Erfahrungen<br />

aus den ersten EU-geführten Operationen - die Grundlage<br />

zur Definition eines neuen militärischen Planzieles: das<br />

Planziel 2010 (Headline Goal 2010 - HLG 2010).<br />

Im Rahmen des Planzieles 2010 legten die EU-<br />

Mitgliedstaaten ein kollektives Anspruchsniveau fest. <strong>Die</strong><br />

Mitgliedstaaten erklärten sich bereit, ab 2010 jene<br />

militärischen Fähigkeiten aufzubringen, die notwendig sind,<br />

um rasch und entschieden das gesamte Spektrum an<br />

Aufgaben – die bereits dargestellten Petersberg-Aufgaben –<br />

abzudecken.<br />

Im Rahmen des European Headline Goal beabsichtigte die<br />

EU, binnen 60 Tagen für einen Zeitraum <strong>von</strong> bis zu einem<br />

Jahr 50.000-60.000 Soldaten für die gesamte Bandbreite der<br />

Petersberg-Aufgaben als schnelle EU-Eingreiftruppe zur<br />

Verfügung stellen zu können.<br />

16


17<br />

EU Battle Groups<br />

Als Schritt zur Verbesserung der Einsatzfähigkeit in sich<br />

schnell entwickelnden Krisenlagen beschloss der Rat 2004<br />

die Aufstellung der EU Battle Groups. <strong>Die</strong>se hochflexiblen<br />

Verbände mit einer Stärke <strong>von</strong> etwa 1.500 bis 2000 Soldaten<br />

können innerhalb <strong>von</strong> 10–15 Tagen in einem Radius <strong>von</strong><br />

6.000 km um Brüssel für eine Dauer <strong>von</strong> bis zu vier Monaten<br />

zur raschen Krisenreaktion eingesetzt werden.<br />

2005 waren die ersten Verbände verfügbar, die volle<br />

Einsatzfähigkeit wurde 2007 erreicht. Seitdem stehen<br />

jeweils zwei dieser in der Regel multinational<br />

zusammengesetzten Verbände für jeweils sechs Monate<br />

einsatzbereit zur Verfügung. Das <strong>Ulm</strong>er Kommando war im<br />

vergangenen Jahr mehrfach mit der Aufstellung einer EU<br />

Battle Group beauftragt. Derzeit unterstützen wir Belgien<br />

bei der Vorbereitung eines solchen Einsatzverbandes und<br />

werden dessen strategische Führung im 2. Halbjahr 2014<br />

übernehmen.<br />

Zivile Krisenbewältigung<br />

<strong>Die</strong> Erfahrungen auf dem Balkan, in Afghanistan und<br />

anderen Krisenregionen haben gezeigt, dass zivile<br />

Instrumente unverzichtbarer Teil des Krisenmanagements<br />

sind, in den meisten Fällen sogar die bevorzugten.<br />

17


18<br />

Zivile Kräfte sind sowohl für die Verhinderung <strong>von</strong> Konflikten<br />

(Prävention) als für den Wiederaufbau staatlicher Strukturen<br />

entscheidend.<br />

Markenzeichen und besondere Stärke der GSVP ist der<br />

parallele und ausgewogene Aufbau <strong>von</strong> zivilen und<br />

militärischen Fähigkeiten. <strong>Die</strong> EU kann somit auf das<br />

gesamte Spektrum an Krisenmanagementinstrumenten<br />

zurückgreifen, die <strong>von</strong> diplomatischen<br />

Vermittlungsanstrengungen, über die Verhängung <strong>von</strong><br />

Sanktionen, der Entsendung <strong>von</strong> Polizei- oder<br />

Rechtsstaatsmissionen bis hin zum Einsatz militärischer<br />

Mittel reichen.<br />

Dazu wurden entsprechende Ziele für das zivile<br />

Krisenmanagement formuliert. Der Europäische Rat<br />

beschloss, Fähigkeiten in den Schwerpunktbereichen<br />

Polizei, Rechtsstaat, Zivilverwaltung und<br />

Katastrophenschutz aufzubauen. <strong>Die</strong> mit dem zivilen<br />

Planziel beabsichtigte qualitative und quantitative<br />

Verbesserung im Bereich der zivilen Krisenbewältigung soll<br />

unter anderem durch die Mobilisierung ausreichender<br />

Ressourcen für ziviles Krisenmanagement erreicht werden.<br />

18


19<br />

Absicht dabei ist, die zeitgleiche Abdeckung mehrerer ziviler<br />

Missionen, die Verbesserung der schnellen<br />

Reaktionsfähigkeit und eine engere Verzahnung <strong>von</strong> zivilem<br />

und militärischem Krisenmanagement zu ermöglichen.<br />

Das neue Anspruchsniveau (Ambition)<br />

Im Jahre 2008 hat sich der Europäische Rat letztmalig mit<br />

dem Thema GSVP auseinandergesetzt und quantitativ und<br />

qualitativ definiert, welche Ambitionen der GSVP planerisch<br />

zugrunde gelegt werden:<br />

• Zwei umfangreiche Stabilisierungs- und<br />

Wiederaufbauoperationen mit einer entsprechenden zivilen<br />

Komponente, die mindestens zwei Jahre lang mit bis zu<br />

10.000 Mann und Frau im Einsatz gehalten werden können.<br />

• Zwei zeitlich befristete Operationen, u.a. unter Einsatz<br />

der „EU-Battle Groups“.<br />

• Eine Operation zur Evakuierung europäischer<br />

Staatsbürger in weniger als zehn Tagen.<br />

• Eine Mission zur Überwachung/Abriegelung eines<br />

Seegebiets oder Luftraums.<br />

• Ein bis zu 90 Tage dauernder zivil-militärischer Einsatz<br />

zur Leistung humanitärer Hilfe.<br />

19


20<br />

• Ein dutzend ziviler Missionen unterschiedlichen<br />

Formats, wie Polizei- oder Katastrophenschutzmissionen;<br />

einschließlich einer größeren Mission mit bis zu 3.000<br />

Experten, die mehrere Jahre andauern könnte.<br />

Betrachtet man diese Ambition kritisch und vor allem unter<br />

Berücksichtigung der Gleichzeitigkeitserfordernisse aber<br />

auch der qualitativen Ansprüche, wird man erkennen, dass<br />

die „Soll-Ist-Schere“ in mehreren Segmenten und damit<br />

letztendlich in der Gesamtambition weit auseinanderklafft.<br />

Wo stehen wir?<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Seit ihrem Bestehen wurden zweifellos Fortschritte im<br />

Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik erzielt. Dennoch muss eine Reihe <strong>von</strong><br />

Defiziten beseitigt werden, damit die EU auch in der Außen-,<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik bedeutendes<br />

internationales Gewicht erlangen kann. <strong>Die</strong> Lücke zwischen<br />

den gesetzten Zielen und ihren tatsächlichen Möglichkeiten<br />

muss dazu geschlossen werden.<br />

20


21<br />

Zu den bisher wichtigsten Ergebnissen der Gemeinsamen<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik zählen ohne Zweifel die<br />

hohe Anzahl und Vielfältigkeit an Einsätzen im Bereich der<br />

internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung. Seit Anfang<br />

2003 wurden zahlreiche Operationen und Missionen,<br />

insbesondere auf dem Westbalkan und in Afrika,<br />

durchgeführt; einige recht erfolgreich, andere vielleicht auch<br />

weniger erfolgreich.<br />

Wie sieht es mit der Zielerreichung aus?<br />

In Bezug auf die Vorgaben aus dem Planziel 2010 ist aus<br />

militärischer Sicht festzuhalten, dass die Mehrzahl der<br />

Zielvorgaben zumindest annähernd erreicht wurde.<br />

2007 wurde in einem Fortschrittskatalog durch alle<br />

Mitgliedstaaten festgestellt, dass die EU grundsätzlich in der<br />

Lage ist, die definierten Aufgaben zu erfüllen, wenn auch mit<br />

unterschiedlichen Risiken für verschiedene Arten <strong>von</strong><br />

möglichen EU-Operationen.<br />

• Seit dem 1. Januar 2007 sind die „EU Battle Groups“<br />

einsatzbereit und verfügbar. Bis heute kam allerdings noch<br />

keine „Battle Group“ zum Einsatz. Bisherige Missionen – wie<br />

„Artemis“, EUFOR RD Congo oder EUFOR Tchad/RCA –<br />

setzten sich immer aus einer Gruppe <strong>von</strong> Mitgliedsstaaten<br />

zusammen, die ein besonderes Interesse an der Teilnahme<br />

an einem Einsatz hatten.<br />

21


22<br />

• <strong>Die</strong> EU hat im Rahmen der GSVP bis dato mehr als 10<br />

militärische und zivile Operationen erfolgreich geführt und<br />

beendet. Dazu zählen unter anderem die Militärmission im<br />

Tschad zur Unterstützung humanitärer Maßnahmen der<br />

Vereinten Nationen in den Jahren 2008 und 2009; die<br />

Militäroperation in der Demokratischen Republik Kongo im<br />

Jahr 2006; sowie diverse Polizeimissionen in Afrika oder<br />

auch Überwachungsmissionen auf dem Balkan.<br />

• Aktuell finden etwa 20 EU-geführte Operationen statt.<br />

Beispielhaft seien hier die Polizeimissionen in Afghanistan<br />

und im Kongo, die Militärische Operation der EUFOR seit<br />

Dezember 2004 in Bosnien und Herzegowina, die<br />

Ausbildungsmissionen in Somalia und Mali oder die<br />

besonders erfolgreiche maritime Operation ATALANTA zur<br />

Piratenbekämpfung am Horn <strong>von</strong> Afrika erwähnt.<br />

• In institutioneller Hinsicht sind die wesentlichen<br />

permanenten GSVP-Strukturen nunmehr in den<br />

Europäischen Auswärtigen <strong>Die</strong>nst eingebettet. <strong>Die</strong><br />

Arbeitsabläufe funktionieren und man kann den Prozess der<br />

Umgestaltung als gelungen bezeichnen.<br />

Eine ganze Reihe dieser erreichten Meilensteine stehen<br />

allerdings vor allem auf dem Papier und sind eher<br />

theoretischer Natur. Ich würde daher das Glas als halbvoll<br />

bezeichnen. Es gilt nun, diese konzeptionellen Ansätze in die<br />

Praxis umzusetzen und damit sozusagen das Glas weiter zu<br />

befüllen.<br />

22


23<br />

Fähigkeitslücken<br />

Wie bereits festgestellt ist der Begriff der nationalen<br />

Sicherheit nicht mehr vom Begriff der internationalen<br />

Sicherheit zu trennen. Auch ist unbestritten, dass <strong>von</strong> den<br />

28 EU-Mitgliedstaaten keiner in der Lage ist, größeren<br />

Sicherheitsherausforderungen allein mit nationalen Mitteln<br />

zu begegnen. Renationalisierungstendenzen im<br />

militärischen Bereich könnten, polemisch ausgedrückt, zu<br />

einer Anzahl <strong>von</strong> „Bonsai-Armeen“ bei gleichzeitig<br />

voranschreitender Marginalisierung der gesamteuropäisch<br />

zur Verfügung stehenden Fähigkeiten führen.<br />

<strong>Die</strong> Operation UNIFIED PROTECTOR in Libyen 2011 war nicht<br />

nur für die NATO ein Lackmustest, sondern auch für die<br />

militärischen Fähigkeiten der EU. Der Libyen-Einsatz ist<br />

militärisch zum Symbol europäischer Handlungsunfähigkeit<br />

geworden: Weder ein Staat Europas allein noch die EU<br />

insgesamt kann sicherheitspolitische Interessen mittels<br />

militärischer Macht über eine Entfernung <strong>von</strong> nicht einmal<br />

1000 Kilometern und damit direkt vor unserer Haustür<br />

durchsetzen.<br />

23


24<br />

<strong>Die</strong> teilnehmenden Europäer konnten den Einsatz nur<br />

schwer durchhalten und steuern. <strong>Die</strong> beiden größten<br />

europäischen Militärmächte Frankreich und Großbritannien<br />

hatten zwar die politische und militärische Führung der<br />

Operation übernommen, waren aber nicht imstande, die<br />

militärische Entscheidung zu erzwingen. Dazu fehlten ihnen<br />

die Kräfte und Reserven, nachdem sich die USA nach drei<br />

Tagen aus den unmittelbaren Operationen zurückgezogen<br />

hatten.<br />

Aus strategischer Sicht sollte es spätestens seit der<br />

verstärkten Orientierung der USA in den pazifischen Raum<br />

im Interesse der EU-Mitgliedstaaten liegen, eine zumindest<br />

teilweise <strong>von</strong> den USA unabhängige Einsatzfähigkeit<br />

sicherzustellen.<br />

Allgemein kann gesagt werden, dass für die GSVP insgesamt<br />

unzureichende Mittel zur Verfügung stehen. Nur etwa 0,2<br />

Prozent des über 140 Mrd. umfassenden EU-Haushalts<br />

fließen in die GSVP. <strong>Die</strong> Verteidigungsausgaben der EU-<br />

Mitgliedsstaaten sind mit 200 Mrd. Euro bedeutend geringer<br />

als jene der USA mit mehr als 460 Mrd. Euro. Eine<br />

Veränderung dieser Situation ist, wenn man die Tendenz in<br />

europäischen Verteidigungshaushalten betrachtet, nicht zu<br />

erwarten.<br />

24


25<br />

Umso wichtiger ist es, die vorhandenen Mittel effizienter<br />

und klüger einzusetzen. Nach wie vor wird zu viel Geld in die<br />

Erhaltung bestehender militärischer Infrastruktur und durch<br />

hohe Personalkosten ausgegeben und zu wenig Geld in<br />

moderne Ausrüstung und Forschung investiert. So geben<br />

die EU-Staaten im Verhältnis zu den USA prozentuell nur<br />

etwa halb so viel für die Modernisierung ihrer Streitkräfte,<br />

aber 2,5-mal so viel für Personalkosten aus.<br />

Ein möglicher Lösungsansatz zur effizienteren Nutzung<br />

vorhandener knapper Mittel liegt im Konzept des „Pooling<br />

und Sharing“. <strong>Die</strong>s bedeutet, dass die Staaten militärische<br />

Fähigkeiten bündeln oder Aufgaben und Ausrüstung teilen.<br />

Dahinter steht die plausibel klingende Annahme, dass die<br />

Staaten vom geplanten Zusammenlegen militärischer<br />

Fähigkeiten ökonomisch profitieren. Allerdings blockiert<br />

vielfach der Vorrang nationaler Entscheidungsfähigkeit das<br />

geplante Zusammenlegen militärischer Fähigkeiten und<br />

damit eine erhöhte Wirtschaftlichkeit nach wie vor.<br />

Schließlich liegt ein wesentlicher Mangel darin, dass es der<br />

der Europäischen Union an einer zukunftsorientierten<br />

Vision fehlt. So ist offen, was Europa selbständig oder mit<br />

Unterstützung anderer Partner fähig sein soll zu leisten.<br />

25


26<br />

Zusammenfassung<br />

Fragt man sicherheitspolitische Experten, welches<br />

Arbeitsgebiet sie besonders frustrierend finden, nennen sie<br />

nichts so oft wie die Gemeinsame Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik.<br />

<strong>Die</strong> Mitgliedsstaaten der EU betreiben die GSVP mit einer<br />

gewissen Lustlosigkeit. Es mangelt ihnen an Ideen und vor<br />

allem Durchsetzungsbereitschaft. Auch wenn man die<br />

Trägheit Brüsseler Prozesse und die besonders heikle Natur<br />

sicherheitspolitischer Fragen in Rechnung stellt, ist diese<br />

Zurückhaltung erstaunlich.<br />

Denn Anlässe für eine ernsthafte Weiterentwicklung der<br />

europäischen Sicherheitspolitik gab es gerade in den<br />

vergangenen zwei, drei Jahren zu Genüge.<br />

Erstens führt die Haushalts- und Schuldenkrise dazu, dass<br />

rein nationale Verteidigung für keinen europäischen Staat<br />

mehr erschwinglich ist.<br />

<strong>Die</strong> drastischen Einschnitte im französischen und britischen<br />

Verteidigungshaushalt sind handfeste Beispiele; sie sorgen<br />

schon jetzt dafür, dass die beiden Nationen mittelfristig<br />

keine eigenständige, globale Projektion ihrer militärischen<br />

Macht mehr durchführen können werden.<br />

26


27<br />

Zweitens treiben die Vereinigten Staaten <strong>von</strong> Amerika ihre<br />

strategische Neuorientierung voran. Vorläufiger Höhepunkt<br />

dieser Entwicklung ist die <strong>von</strong> Präsident Obama verkündete<br />

strategische Neuausrichtung der USA auf die Asien-Pazifik-<br />

Region. Aus europäischer Sicht ist dies eigentlich eine<br />

glückliche Entwicklung, denn sie zeigt, dass Europa seit dem<br />

Ende des Kalten Krieges nicht mehr im Zentrum globaler<br />

Konflikte steht.<br />

Andererseits erfüllt dies die politisch Verantwortlichen in<br />

Europa mit Unbehagen, denn schließlich war die<br />

amerikanische Beistandsgarantie über Jahrzehnte das<br />

Fundament europäischer Sicherheit. Und auch wenn die<br />

Beistandsgarantie durch den NATO- Vertrag bestehen bleibt,<br />

wird sie doch mehr und mehr auf den Extremfall beschränkt<br />

werden. Um ein gleiches Maß an Sicherheit zu bewahren,<br />

müssen die Europäer also mehr eigene Stärke aufbringen,<br />

sowohl im Hinblick auf militärische Mittel als auch auf die<br />

politische Handlungsfähigkeit.<br />

Und drittens ist in den vergangenen Jahren deutlich<br />

geworden, dass Europa mit Bedrohungen und Instabilitäten<br />

in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu kämpfen hat. <strong>Die</strong><br />

Umwälzungen im arabischen Raum und in Nordafrika<br />

bergen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken für die<br />

Sicherheit Europas.<br />

27


28<br />

Zusammengefasst ergibt sich somit ein eindeutiges Plädoyer<br />

für eine Stärkung der GSVP. Es ist ein Gebot der Vernunft<br />

und der politischen Verantwortung, durch intensivere<br />

Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik den europäischen Gedanken zu stärken<br />

und die einzelnen Mitgliedsstaaten effizienter vor<br />

Bedrohungen zu schützen.<br />

Was ist also zu tun?<br />

Erstens: „Pooling & Sharing“ ist im Grundsatz richtig und<br />

sogar unvermeidbar, wenn die Staaten Europas<br />

sicherheitspolitisch handlungsfähig bleiben wollen. Um auf<br />

dem jetzigen Ausgabenniveau ein gleichbleibendes Maß an<br />

Sicherheit gewährleisten zu können, müssen die Staaten ihre<br />

Zusammenarbeit intensivieren.<br />

Dem steht der Einwand entgegen, dass die dafür<br />

erforderliche Einschränkung nationaler Souveränität gerade<br />

mit großen, unverzichtbaren Mitgliedsstaaten wie<br />

Frankreich und Großbritannien nicht zu machen sein wird.<br />

Dabei wird aber übersehen, dass die krisenhaften<br />

Entwicklungen in praktisch allen EU-Staaten sowie die<br />

dramatischen Veränderungen im globalstrategischen<br />

Umfeld zu einer sehr viel gravierenderen Einschränkung des<br />

politischen Einflusses der europäischen Nationen führen<br />

werden, wenn diese ihre Kräfte nicht bündeln.<br />

28


29<br />

Pointiert gesagt: Der Souveränitätsverzicht ist zugunsten<br />

der sicherheitspolitischen Gemeinschaftslösung die wirklich<br />

souveräne Entscheidung. Solch eine Entscheidung erfordert<br />

<strong>von</strong> allen Staaten Europas mehr Mut, mehr Vertrauen und,<br />

vor allem, mehr Verlässlichkeit.<br />

Zweitens: In der Sicherheitspolitik sollte Pragmatismus<br />

einen höheren Stellenwert haben als das<br />

Gemeinschaftsprinzip. Initiativen zur Verbesserung der<br />

sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit müssen nicht<br />

zwangsläufig alle 28 Mitgliedsstaaten einbinden und im<br />

Rahmen bestehender Instrumente erfolgen. Noch wichtiger<br />

als die Bemühungen um einen solchen „großen Wurf “ ist die<br />

konsequente Vernetzung bestehender Potenziale auch im<br />

kleineren Rahmen.<br />

Deutschland kommt aufgrund seiner Größe, seiner Lage und<br />

seiner politischen Bedeutung dabei eine besondere Rolle zu.<br />

Es sollte sich als Anlehnungsmacht für andere Partner<br />

anbieten – zum Beispiel wie wir dies hier in <strong>Ulm</strong> mit<br />

meinem Kommando anbieten und tun.<br />

Drittens: Eine bessere Abstimmung der jeweiligen<br />

Streitkräftereformen der EU-Mitgliedsstaaten ist eine<br />

Voraussetzung für alle Fortschritte in der GSVP. Zu oft<br />

planen die Nationalstaaten ohne Rücksprache mit ihren<br />

Nachbarn. Zu oft wird nach Abschluss der Veränderungen<br />

festgestellt, dass eine rechtzeitige Abstimmung<br />

Reibungsverluste vermieden und in der Summe<br />

schlagkräftigere Fähigkeiten produziert hätte.<br />

29


30<br />

Aus diesem Grund muss die europäische Ebene ebenfalls<br />

gestärkt werden, denn nur dort kann eine wirklich<br />

übergreifende Koordination der europäischen Politik<br />

erfolgen.<br />

Mehr noch als auf anderen Politikfeldern der EU sind Erfolge<br />

in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

nur in mühsamen, kleinen Schritten zu erreichen. Allerdings<br />

hat sich die strategische Lage der Staaten Europas in den<br />

vergangenen Jahren spürbar verschärft!<br />

Sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit ist geboten, will<br />

Europa auch in Zukunft seine Interessen und Werte im<br />

weltweiten Umfeld wahren und durchsetzen.<br />

Eine Europäische Union, die sich auf ihre Qualitäten als Zivilund<br />

Handelsmacht beschränkt, riskiert die Grundlagen<br />

ihres Wohlstandes und ihrer Freiheit. Sie riskiert damit auch<br />

die zentrale Errungenschaft für die sie einst als<br />

Friedensprojekt nach dem 2. Weltkrieg entstanden ist!<br />

Meine Damen und Herren,<br />

ich danke Ihnen für die geduldige Aufmerksamkeit.<br />

30


31<br />

Operationen der EU im Rahmen der ESVP bzw. GSVP<br />

Abgeschlossene Operationen<br />

• AMM – Beobachtungsmission zur Demilitarisierung in Aceh,<br />

Indonesien (beendet am 15. Dezember 2006 unmittelbar nach den<br />

Wahlen in Aceh am 11. Dezember 2006)<br />

• Concordia – Militärische Operation der EU in Mazedonien (31. März<br />

2003 bis 15. Dezember 2003)<br />

• Operation Artemis – Krisenintervention in der DR Kongo (beendet<br />

am 1. September 2003)<br />

• EUPOL Proxima – Polizeimission der Europäischen Union in<br />

Mazedonien (15. Dezember 2003 bis 14. Dezember 2005)<br />

• EUPAT - Nachfolgemission <strong>von</strong> EUPOL Proxima in Mazedonien<br />

(15. Dezember 2005 bis 15. Juni 2006)<br />

• EUJUST Themis – Mission der EU zur Stützung der<br />

Rechtsstaatlichkeit in Georgien (beendet am 15. Juli 2005)<br />

• EUFOR RD Congo – Europäische Militäroperation in der<br />

Demokratischen Republik Kongo (beendet am 30. November 2006)<br />

• Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Sudan<br />

(beendet am 31. Dezember 2007)<br />

• EUPOL Kinshasa – Polizeimission der EU in Kinshasa, DR Kongo<br />

(April 2005 bis Juni 2007)<br />

• EUMM - Überwachungsmission im ehemaligen Jugoslawien (1991<br />

bis Dezember 2007)<br />

• EUFOR Tchad/RCA - Militärmission im Tschad zur Unterstützung<br />

humanitärer Maßnahmen der Vereinten Nationen (März 2008 bis<br />

März 2009)<br />

• EU SSR Guinea-Bissau – Mission zur Unterstützung der Reform<br />

des Sicherheitssektors in Guinea-Bissau (Frühjahr 2008 bis 30.<br />

September 2010)<br />

Laufende Operationen<br />

• EUMM Georgia - Überwachungsmission seit 1991 in Georgien<br />

• EUSEC RD Congo – Mission zur Unterstützung der<br />

Sicherheitssektor Reform in der DR Kongo<br />

• EUPM – EU-Polizeimission seit dem 1. Januar 2003 in Bosnien und<br />

Herzegowina<br />

31


32<br />

• Operation Althea – Militärische Operation der EUFOR seit<br />

Dezember 2004 in Bosnien und Herzegowina (Übernahme der<br />

Aufgaben der NATO-geführten SFOR)<br />

• EUBAM Rafah (European Union Border Assistance Mission Rafah)<br />

– Unterstützende Kontrollmission seit dem 25. November 2005 am<br />

palästinensisch-ägyptischen Grenzübergang in Rafah<br />

• EUPOL COPPS – Integrierte Polizeiunterstützungsmission in<br />

Palästina<br />

• EUBAM Moldawien/Ukraine – Seit 30. November 2005<br />

Grenzkontrollmission der EU an der moldauisch-ukrainischen<br />

Grenze zur Unterbindung des Waffen-, Menschen- und<br />

Drogenschmuggels <strong>von</strong> und nach Transnistrien. [4]<br />

• EUJUST LEX – Integrierte Rechtsstaatsmission der EU im Irak<br />

• EULEX Kosovo – Rechtsstaatlichkeitsmission seit Frühjahr 2008<br />

der EU im Kosovo<br />

• EUPOL Afghanistan - Polizeimission in Afghanistan<br />

• EUPOL RD CONGO - Polizeimission in der DR Kongo<br />

• Operation Atalanta - Militärmission seit Ende 2008 durch<br />

Marinekräfte vor der Küste Somalias.<br />

• EUTM Somalia - Militärische Ausbildung seit April 2010 <strong>von</strong><br />

somalischen Soldaten in Uganda. [5]<br />

• EUCAP Nestor - Ausbildungsmission seit September 2012 zur<br />

Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias<br />

• EUAVSEC South Sudan - Unterstützung seit September 2012 am<br />

Flughafen Juba [6]<br />

• EUCAP SAHEL Niger - Sicherheit und Entwicklung seit August<br />

2012 in der Sahelzone [6]<br />

• EUTM Mali - militärische Grundlagenausbildung und Beratung der<br />

malischen Forces Armées et de Sécurité du Mali<br />

32

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!