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Schule & Job - Süddeutsche Zeitung

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Weg damit<br />

Wer bei den Eltern auszieht, sollte seinen<br />

alten Kram nicht im Kinderzimmer lagern.<br />

Auch wenn es manchmal ein bisschen wehtut:<br />

Wegschmeißen muss sein.<br />

Von Michèle Loetzner / Text<br />

In der ersten Klasse hatte ich ein grünes Heft, das war mein Lieblingsheft.<br />

Jedes Mal, wenn wir einen neuen Buchstaben lernten, bekamen<br />

wir die gleiche Aufgabe: Wir sollten Dinge malen, die mit diesem<br />

crazy neuen Buchstaben beginnen. Als wir das A lernten, malte mein<br />

Mitschüler Toni Enten. Bei ihm zu Hause in unserem oberbayerischen<br />

Kaff sprach man „Enten“ eben so aus: „Antn“. Er war völlig<br />

fassungslos, dass er etwas Falsches gemalt hatte, und den Tränen nahe.<br />

Dieser Vorfall hat mich damals so gerührt, dass ich ihn heute noch<br />

bildlich vor Augen habe. Das dazu passende grüne Heft liegt in einem<br />

Karton auf dem Speicher meiner Eltern. Es musste unbedingt aufgehoben<br />

werden! Die Antn!<br />

Ich habe es seit 24 Jahren nicht mehr angefasst, meine Mutter dafür<br />

umso öfter. Regelmäßig fragte sie nach meinem Auszug: „Du sag mal,<br />

ich hab da auf dem Speicher dies und das gefunden. Kann das eigentlich<br />

weg?“ Immer verneinte ich, obwohl völlig klar war, dass ich weder<br />

das Barbie-Campingmobil brauchte noch jemals diese quietschgelbe<br />

Schlagjeans wieder anziehen würde. Ziemlich wahrscheinlich<br />

würde ich auch nie mehr meine ganzen Abi-Lernunterlagen brauchen.<br />

Sicher war ich mir da aber nicht. Man weiß ja nie! Vielleicht<br />

würde ich mich irgendwann in der Uni darüber freuen. Man hat ja<br />

direkt nach der <strong>Schule</strong> keine Ahnung, wie lächerlich einem schon im<br />

ersten Unisemester Dinge vorkommen, die man in der <strong>Schule</strong> für unüberwindbare<br />

Aufgaben hielt. Facharbeit? Abi-Kolloquium? Pah!<br />

Trotzdem hängt man ein bisschen an den Unterlagen – die Ordner<br />

symbolisieren den Wissensberg, den man sich erarbeitet hat. Sie sind<br />

die greifbaren Beweise, dass man sich das Ticket in die weite Welt<br />

rechtmäßig verdient hat.<br />

Ich bin auf dem Land groß geworden. Da war Platz für all das, was ich<br />

zwar nicht in mein neues Leben mitnehmen, aber auch nicht wegschmeißen<br />

wollte. Stadtkinder haben diese Wahl seltener. Wenn sie<br />

aus der Wohnung ihrer Eltern ausziehen, erobern die schon aus Kostengründen<br />

schneller den Lebensraum zurück und machen aus dem<br />

alten Kinderzimmer ein „Büro“. Was nicht in das kleine Kellerabteil<br />

passt, wird an Verwandte verschenkt oder zu einer karitativen Einrichtung<br />

gebracht. Mit einiger Zeitverzögerung erobern aber auch in<br />

der Provinz die Eltern ihre fast abbezahlten Quadratmeter zurück.<br />

Schließlich hinterlassen die ausgezogenen Kinder eine Lücke, die<br />

auch sie irgendwie füllen müssen. Zur Not eben mit einem Bügelbrett,<br />

das sie vor die Pressspan-Schreibtisch-Regal-Konstruktion mit den<br />

Hanuta-Aufklebern stellen. Die Eltern kommen natürlich nicht auf<br />

die Idee, etwas falsch gemacht zu haben. Sie haben ja auch recht: Das<br />

Mitochondrien-Referat aus der neunten Klasse wird niemand mehr in<br />

die Hände nehmen. Wir schauen doch eh alles im Internet nach.<br />

Das Kinderherz quetscht es trotzdem ein bisschen. Obwohl man<br />

selbst beschlossen hat auszuziehen, fühlt es sich fast wie ein Rausschmiss<br />

an. Die eigene Leistung und auch die eigene Vergangenheit<br />

wirken plötzlich so unwichtig, fast negiert. Und wenn die alten Sachen<br />

im Kinderzimmer bleiben, hat das ja auch was Beruhigendes. Man<br />

weiß, dass man im Notfall, wenn wirklich etwas Schlimmes passiert,<br />

zurück nach Hause kann. Unsere zurückgelassenen Sachen sind eine<br />

Art Rückversicherung, die man jedes Mal sehen kann, wenn man bei<br />

den Eltern zu Besuch ist.<br />

Trotzdem: Fairerweise müsste man vernünftig ausmisten beim Auszug.<br />

Objektiv betrachtet, benutzt man sonst die elterliche Wohnung<br />

als Schrottplatz und verhält sich wie die berühmten drei Affen: Nichts<br />

hören, nichts sagen, nichts sehen. Das ist nicht fair. Außerdem hat es<br />

etwas Kathartisches, den alten Mist loszuwerden. Sich von den alten<br />

Schulsachen zu trennen ist befreiend – wie das Ausziehen selbst: sich<br />

endlich nicht mehr rechtfertigen müssen, wenn man mittags noch im<br />

Bett liegt. Morgens Chips essen können, ohne missbilligende Blicke.<br />

Selbst entscheiden! Überhaupt: neue Möbel, neue Wände, neue Leute.<br />

Der alte Scheiß? Den hat man achtzehn Jahre ertragen, aus den<br />

Augen damit!<br />

Aufräumexperten raten allerdings, jeden Gegenstand in die Hand zu<br />

nehmen und so herauszufinden, welche Emotionen er hervorruft –<br />

nur Glücklichmacher dürfen bleiben. Das Stochastik-Buch ist bestimmt<br />

kein Glücklichmacher, oder? Am besten kramt man zusammen<br />

mit den Eltern. Was einem selbst unwichtig erscheint, ist für sie<br />

möglicherweise mit einer schönen Erinnerung besetzt. Außerdem tut<br />

es vielleicht auch gut, gemeinsam alte Zeiten Revue passieren zu lassen.<br />

Dann kann man wirklich leichtfüßig in das neue Leben starten.<br />

Und merkt zum Beispiel: Ich muss dieses grüne Heft gar nicht aufheben,<br />

ich denke auch so jedes Mal an Toni aus der Fensterreihe, wenn<br />

ich Enten sehe. Entschuldigung, ich meine natürlich: Antn.<br />

Foto testfight / photocase.com<br />

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