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Schule & Job - Süddeutsche Zeitung

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Wir nannten ihn Darius Müll<br />

Von Bernd Kramer / Text & Gabriel Holzner / Illustration<br />

Gewissensbisse: Vor vielen Jahren hat unser Autor<br />

einen Mitschüler gemobbt. Heute fragt er sich:<br />

Wie konnte ich so gemein sein?<br />

Eigentlich war ich froh, dass es nicht mich traf. Ich kannte niemanden,<br />

meine Grundschulklasse hatte sich zerstreut, und ich meinte,<br />

schiefe Blicke auf die bunten Strickpullis zu bemerken, die ich immer<br />

noch so gedankenlos trug. Alles war plötzlich größer, waschbetonfunktionskalt<br />

und unpersönlicher, die Lehrer, die Räume. Fachleute<br />

nennen das Sichfremdfühlen nach dem Wechsel auf eine weiterführende<br />

<strong>Schule</strong> „Sekundarstufenschock“. Zum ersten Mal hatte ich das<br />

Gefühl, nicht automatisch zu einer Klasse dazuzugehören.<br />

Aber es traf Darius. Er wurde derjenige, der nie dazugehören durfte.<br />

Und wahrscheinlich nur, weil er noch eine Spur fremder war als ich<br />

mit meinen Strickpullis. Darius hatte diesen unaussprechlichen polnischen<br />

Nachnamen, der geschrieben so verknotet aussah, wie sich<br />

die Zunge anfühlte, wenn man sich bemühte, ihn richtig auszusprechen.<br />

Die Lehrer bekamen es nicht hin. Wir bemühten uns erst gar<br />

nicht. Wir nannten ihn Darius Müll. Das klang so ähnlich und war<br />

fünfmal gemeiner.<br />

Ich nannte ihn auch so. Nicht sofort, glaube ich, aber bald und dann<br />

ganz selbstverständlich. Ich machte Scherze über Darius, irgendwann<br />

baute ich sie zu einer Dauerschleife aus, in den Pausen fragten mich<br />

die starken Jungen der Klasse, ob ich „einen neuen Darius-Witz“ erzählen<br />

könnte, irgendeinen abgewandelten Ostfriesenwitz, den wir<br />

alle kannten.<br />

„Warum nimmt Darius einen Stein und eine Schachtel Streichhölzer<br />

mit ins Bett?<br />

Mit dem Stein wirft er das Licht aus, mit den Streichhölzern sieht er<br />

dann nach, ob er auch wirklich getroffen hat.“<br />

Ich dachte nicht daran, wie verletzend das war. Ich war viel zu erstaunt<br />

darüber, dass nicht ich derjenige war, auf den man eintrat. Ich<br />

war nicht der, der mit allem anfing, aber einer, der die Munition nachreichte.<br />

Ganz munter, ohne darüber nachzudenken.<br />

Ich glaube, manchmal verspürten wir eine regelrechte Lust am Gemeinsein,<br />

irgendeinen sadistischen Kitzel, einige von uns mehr, andere<br />

weniger. Man wagt kaum, es sich einzugestehen. Aber es kann so<br />

irre viel Spaß machen, nach den Worten und Gesten zu suchen, die<br />

am meisten wehtun.<br />

Die Lehrer machten es nicht besser. Einmal sprachen wir in der Klasse<br />

darüber, warum wir Darius nicht integrierten. Der Klassenlehrer<br />

versuchte, Verständnis für beide Seiten aufzubringen. Was fatal war.<br />

„Darius mischt sich immer in alles ein“, sagte jemand. Unser<br />

Lehrer nickte. Das Einmischen, sagte er zu Darius, könne man ja<br />

ändern. Darius nickte auch. Ich wüsste nicht, dass er sich je in<br />

irgendwas eingemischt hätte. Nicht mehr als ich. Aber haften<br />

blieb: Es ist auch seine Schuld, dass wir ihn nicht mögen. Die<br />

Sympathieverweigerung hat ihre Berechtigung.<br />

Irgendwann beging Darius den großen Fehler, sich beliebt zu machen<br />

zu wollen. Er brachte ein Büchlein mit, das er seinen Eltern<br />

aus dem Schlafzimmer geklaut hatte, darin freizügige Bilder irgendwelcher<br />

Frauen und Männer.<br />

Die Jungs bildeten eine Traube und starrten auf die Seiten. Darius<br />

war der Star der Pubertierenden. Am nächsten Tag hatte er<br />

unter all denen, die selbst noch geglotzt hatten, den Ruf des fiesen<br />

Lüstlings weg. Vor dem Sportunterricht in der Umkleide zogen<br />

einige von uns ihm die Hosen runter und warfen ihm Exhibitionismus<br />

vor. In den Pausen auf dem Gang schubste man ihn mit<br />

voller Wucht auf die Mitschülerinnen. Die angerempelten Mädchen<br />

schimpften: „Darius, du bist ekelhaft.“<br />

Warum passiert so was? Weil es sich richtig anfühlt, wenn es alle<br />

machen, vor allem diejenigen, zu denen man aufschaut? Weil<br />

man immer irgendwie sagen kann, dass es nie so gemeint war?<br />

Ich halte mich für überlegt, kollegial. Jemand zu sein, der draufhaut,<br />

passt nicht zu meinem Selbstbild. Ich hatte nie das Gefühl,<br />

so zu sein. Umso verstörender wirkt diese Erinnerung. Ich weiß<br />

nicht, wo ich noch geschmunzelt habe und wann es mir zu drastisch<br />

wurde. Richtig leid tat mir alles erst viel später, als Darius<br />

längst nicht mehr auf unserer <strong>Schule</strong> war. Es scheint, als wäre die<br />

Empathie einfach lahmgelegt, manchmal über Jahre, solange nur<br />

genügend andere mitmachen.<br />

Heute frage ich mich, ob man das, was wir Darius angetan haben,<br />

wiedergutmachen kann. Oder ob jeder Versuch späteren Bedauerns<br />

nur alte Wunden aufreißt. Wie lange nach der <strong>Schule</strong> tun<br />

diese Demütigungen noch weh? Was machen sie mit einem?<br />

Ich habe Darius gegoogelt und ein Hochzeitsbild auf den Standesamtseiten<br />

meiner alten Heimatstadt gefunden. Laut Facebook,<br />

wo ich ihm nach mehr als zehn Jahren Schweigen eine<br />

Freundschaftsanfrage geschickt habe, gefällt Darius der Film<br />

„Stirb langsam“, in einem Posting regt er sich darüber auf, dass<br />

Deutschland so viel Entwicklungshilfe zahle. Ich denke insgeheim:<br />

was für ein Prolet! Und plötzlich kommen mir, nur vage,<br />

aber doch schon böse genug, Gedanken, für die ich mich sofort<br />

schäme. Ich überlege, ob es Darius nicht doch zu Recht traf damals.<br />

Ob mein Wunsch nach Wiedergutmachung überhaupt angemessen<br />

ist. Warum kann unser Mobbingopfer mir Reumütigem<br />

nicht den Gefallen tun, wenigstens ein cooler Typ geworden<br />

zu sein? Und wieso denke ich das, woher kommt diese Gehässigkeit,<br />

die da in mir schlummert? Ich habe den Impuls, die Freundschaft<br />

wieder zu beenden. So wie ich früher nicht mit ihm befreundet<br />

sein wollte. Der Anfang der Schikane.<br />

Wahrscheinlich entspringen unsere Vorurteile und Antipathien<br />

einfach einem Bauchgefühl. In der <strong>Schule</strong>, leider wohl auch noch<br />

später, vielleicht sogar für immer. Man kann sie nur klug oder<br />

weniger klug managen und sich mit aller Vernunft dagegenstemmen,<br />

dass man ihnen verfällt.<br />

Ich habe Darius bei Facebook geschrieben. Ich habe ihn gefragt,<br />

ob er mir erzählen möchte, wie das damals war, in dieser Hölle,<br />

die unsere Klasse gewesen sein muss. „Gesehen: 23.42 Uhr“, teilt<br />

Facebook mir mit. Eine Antwort bekomme ich nicht.<br />

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34 jetzt SCHule&JOB N o 04/13

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