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Arno Schmidt - KLG

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<strong>Arno</strong> <strong>Schmidt</strong> - Essay<br />

Stand: 01.06.2006<br />

Wie seine Generationsgenossen Hans Henny Jahnn, Hans Erich Nossack, Elias Canetti, Alfred<br />

Andersch und Wolfgang Koeppen gehört auch <strong>Arno</strong> <strong>Schmidt</strong> zu jenen deutschen Autoren, die in<br />

vieler Hinsicht ein Opfer der Nazizeit wurden, obwohl sie diese Zeit lebend überstanden haben.<br />

Dies nicht nur deshalb, weil <strong>Arno</strong> <strong>Schmidt</strong> in Schlesien als Lagerbuchhalter eine subalterne<br />

Existenz in innerster Emigration führen mußte und schließlich durch Krieg und Vertreibung Hab<br />

und Gut, vor allem aber seine Bibliothek verlor. Insbesondere aber verlor er Zeit. Als er 1973 den<br />

Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main verliehen bekam, schrieb er denn auch in seiner<br />

Dankadresse, über seinem literarischen Start, ja über seiner ganzen Laufbahn als Schriftsteller habe<br />

immer schon ein böses „Zu spät!“ gestanden, und er habe nach dem Krieg, als besitzloser Flüchtling<br />

mit 35 Jahren, noch mal ganz neu anfangen müssen, um die fehlenden Jahre, um welche die Nazis<br />

ihn betrogen hatten, durch herkulische Arbeitsleistungen möglichst wieder einzubringen („Meine<br />

Woche hat 100 Stunden“).<br />

Diese Notwendigkeit, sein durch die widrigen Zeitumstände ungeschrieben gebliebenes Werk und<br />

damit auch sein ungelebt gebliebenes Leben doch noch zu schaffen beziehungsweise zu leben, und<br />

das dann Erreichte auch noch vor Gefahren aller Art retten und bewahren zu müssen, prägte<br />

<strong>Schmidt</strong>s Selbstverständnis als Autor, prägte aber auch sein Werk bis in die literarische Struktur,<br />

die formal durch die Darstellung „musivischen Daseins“ („Mein Leben?!: ist kein Kontinuum.“),<br />

inhaltlich durch eine ständig variierte Leitfigur bestimmt wird: Immer wieder erscheinen Varianten<br />

des Noah (norddeutsch ausgesprochenes Anagramm zu ‚<strong>Arno</strong>‘), die als letzte Menschen der alten<br />

und zugleich als erste Menschen einer neuen Welt mit einer Arche voll Büchern dem drohenden<br />

oder auch schon stattgehabten Welt-Untergang auf eine Insel Felsenburg zu entfliehen suchen, auf<br />

der Fahrt zu diesem Fluchtasyl aber selbst wieder von Schiffbrüchen aller Art bedroht werden:<br />

„Dahin: Dahin!: Aus der Tafelmitte strahlte, gewaltig groß, die Insel: weiße Wände über<br />

dröhnendem Meer: o du mein Exil! Ich konntʼ es nicht ertragen; ich drückte den Kopf auf die Fäuste<br />

und heulte und fluchte quer durcheinander. (…) Ich schrieb einen flehenden Brief an Johann<br />

Gottfried Schnabel, esquire,: er solle wieder einmal ein Schiff von Felsenburg schicken,<br />

botenbemannt: die würden durch die Straßen gehen zu Tag und Nacht in weiten rauschenden<br />

Mänteln, und in alle Gesichter spähen, ob wieder welche reif wären, Gequälte, wild nach Ruhe, den<br />

Inseln der Seligen. Sofort müßte man aufbrechen, nach einer Hafenstadt: in Amsterdam hatte<br />

Kapitän Wolfgang immer angelegt; ich wußte wohl und fluchte mit verbissenen Augen nach dem<br />

Entschluß.“ Oft genug entpuppt sich dieses Fluchtasyl dann aber als negative Utopie<br />

(„Gelehrtenrepublik“, „Kaff“).<br />

Dieser Zwang, den allgemeinen Widrigkeiten der Gegenwart ein literarisches Lebenswerk<br />

abzwingen zu müssen, verschärfte sich für <strong>Schmidt</strong> noch durch zusätzliche private Erschwernisse<br />

wie plebejische Herkunft, bildungsfeindliches Elternhaus, materielle Not und Zwang zu<br />

literarischen Brotarbeiten („das ewige verfluchte Übersetzen“), sowie durch eine schon in den<br />

fünfziger Jahren einsetzende Herzkrankheit („ich, mit Myocardschädigung und<br />

Coronarinsuffizienz“), die ihn dann schließlich auch das Leben kostete, da er sich überhaupt nicht<br />

schonte. Dazu kam noch das Bewußtsein, es fehle eine verläßliche poetische Theorie, die er dann<br />

selber in seinen „Berechnungen“ und in seiner Etym-Theorie zu erstellen suchte.<br />

Um all dies zu bewältigen, ergab sich für ihn die Notwendigkeit, auf die meisten Annehmlichkeiten<br />

des Lebens zu verzichten und das literarische Schaffen als Lebens-Ersatz anzusehen, auch dann<br />

noch, als er nach seinem Durchbruch um 1970 etwas bequemer hätte leben können. Im Gegensatz<br />

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