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ine Anzahl niederösterreichischer Industrieller ... - Welcker-online.de

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Leitartikel las, konnte ke<strong>ine</strong>n Moment im Zweifel sein, daß Goethe, wenn er<br />

heute lebte, sich freudig zu <strong>de</strong>n Anschauungen <strong>de</strong>r Benedikt, Wilhelm Singer<br />

und Frischauer bekennen und, da er sich mit <strong>de</strong>r Bekämpfung <strong>de</strong>s Herrn Dr.<br />

Lueger nicht begnügen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m Reichsrat als Hospitant <strong>de</strong>r »Deutschen<br />

Fortschrittspartei« beitreten müßte. Es herrschte e<strong>ine</strong> Stimmung, als ob etwa<br />

ein Prix 1 —Denkmal enthüllt wor<strong>de</strong>n wäre; beständig ward in Molltönen wehmutvoller<br />

Entsagung an die Zeiten erinnert, da Wien noch e<strong>ine</strong> »Kultur« besaß,<br />

und das 'Neue Wiener Tagblatt' versicherte, die Fertigstellung <strong>de</strong>r Denkmäler<br />

Goethes und Gutenbergs mute an wie ein Gruß aus <strong>de</strong>m »alten<br />

fortschrittlichen und i<strong>de</strong>alen Wien«. Aber die Zeitungsleute empfan<strong>de</strong>n Goethe<br />

bloß als Kontrast zu dieser Stadt, »in <strong>de</strong>r rückschrittliche Mächte so überstark<br />

gewor<strong>de</strong>n sind«, nicht als Kontrast zu sich selbst. Die Presse hatte ja,<br />

wie Herr Singer meinte, in diesen Tagen allen Anlaß, »sich ihres viel angefein<strong>de</strong>ten,<br />

von Kurzsichtigen, Toren und Böswilligen sogar gehaßten Berufes<br />

zu erfreuen«; <strong>de</strong>nn »Licht zu verbreiten durch Gutenberg im Sinne Goethes<br />

ist ihre Mission«. Mit Verlaub! Das 'Neue Wiener Tagblatt' hat bis dato weniger<br />

Licht im Sinne Goethes als »Aufklärung« darüber verbreitet, wo die bequemsten<br />

und billigsten Absteigquartiere zu beziehen sind, und ob gera<strong>de</strong> die<br />

Erfindung Gutenbergs bei e<strong>ine</strong>r Journalistik zu beson<strong>de</strong>ren Ehren kommt, die<br />

so vieles gegen Bezahlung nicht <strong>de</strong>m Drucke überliefert, bleibe dahingestellt.<br />

Aber sei <strong>de</strong>m, wie ihm sei: »Nur die Freisinnigen dieser Stadt«, ruft das 'Neue<br />

Wiener Tagblatt', »dürfen vom Dichter und vom Erfin<strong>de</strong>r sagen: Sie sind unser.«<br />

Gegen die rühren<strong>de</strong> Zuversicht, daß Goethe, wenn er heute auferstün<strong>de</strong>,<br />

zum Noske und nicht zum Bielohlawek stoßen wür<strong>de</strong>, läßt sich ernstlich<br />

nichts ins Treffen führen. Aber man verliert selbst alle Zuversicht, wenn man<br />

das Treiben unserer patentierten Kulturschützer am Goethe—Tage betrachtet<br />

und erlebt hat, wie sie ohne die geringste Scheu sich Goethes gegen Herrn<br />

Hans Arnold Schwer bedienen, und man fühlt sich fast versucht, zu glauben,<br />

daß <strong>de</strong>r Olympier solchem Gesin<strong>de</strong>l, das se<strong>ine</strong>n Namen für die schäbigsten<br />

Geschäfts— und Parteizwecke mißbraucht, selbst noch die »Reaktion« vorziehen<br />

wür<strong>de</strong>. Die Wiener Bevölkerung — man lerne doch endlich auf <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rglauben<br />

an Kultur und Aufklärung verzichten — unterhält ebensowenig<br />

Beziehungen zu Goethe wie irgend e<strong>ine</strong> an<strong>de</strong>re Bevölkerung, und mag sie<br />

wirtschaftlich auf e<strong>ine</strong>m ungleich höheren Niveau stehen. Aber sie wäre <strong>de</strong>m<br />

Dichter, <strong>de</strong>r in solchem Wahn selbst nie befangen war, noch immer lieber als<br />

e<strong>ine</strong> Schicht, die sich Beziehungen zu ihm anmaßt und <strong>de</strong>r in Wahrheit Plusmacherei<br />

und die Sorge um materielle Wohlfahrt hun<strong>de</strong>rtmal über alles kulturelle<br />

Streben gehen. Und wenn die Menge — sie ist heute wahrhaftig nicht<br />

schlechter und stumpfsinniger, als sie es im gol<strong>de</strong>nen Zeitalter <strong>de</strong>r liberalen<br />

Kommunalwirtschaft war — sich mit <strong>de</strong>m Refrain beschei<strong>de</strong>t: »Das hat ka<br />

Goethe g'schrieben ... «, so scheint es mir im Grun<strong>de</strong> immer noch besser, zu<br />

wissen, was Goethe nicht geschrieben hat, als mit e<strong>ine</strong>r Scheinbildung zu paradieren<br />

und die Leitartikelphrasen <strong>de</strong>rer nachzusprechen, die nicht wissen,<br />

was Goethe geschrieben hat. Ist es ohnehin schon grotesk, wenn Leute wie<br />

Bacher und Benedikt fortwährend das »Deutschtum« im Mun<strong>de</strong> führen und<br />

<strong>de</strong>m Wiener Bürgermeister vorwerfen, daß er kein guter Deutscher sei, so<br />

muß man es wohl als <strong>de</strong>n Gipfelpunkt <strong>de</strong>r Tollheit betrachten, wenn sich diese<br />

Gesellschaft am Goethe—Tage zu <strong>de</strong>r Versicherung versteigt, sie fühle sich<br />

»von <strong>de</strong>m Geläute <strong>de</strong>utscher Feiertagsglocken umbraust«. Rätselhaft bleibt<br />

dabei, was sich die Herren unter <strong>de</strong>m »Goetheschen Geist« vorstellen mögen,<br />

1 Prix – Wiener Kommunalpolitiker, † 1894<br />

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