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Leseprobe - Theiss-Verlag

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72 | Das römische Handwerk<br />

Organische Materialien: Textil- und Lederwaren, Holzobjekte und Knochenschnitzerein |<br />

73<br />

Die bei der Schafschur im Frühsommer benutzten<br />

Metallscheren ähneln den noch heute gängigen Formen,<br />

obwohl das Vlies manchmal auch von Hand<br />

ausgerissen wurde. Das anfangs bräunliche Haar der<br />

kleinen ziegenähnlichen Tiere war im Laufe der Zeit<br />

zu einer qualitätvollen Faser von hellem Ton veredelt<br />

worden. In Italien schützte man besonders feine,<br />

wertvolle Wolle vor Verunreinigungen, indem man<br />

den Schafen lederne Überzüge anlegte. Da das heute<br />

als Krempeln bezeichnete Auflockern der Faserbündel<br />

unbekannt war, kämmten professionelle lanarii<br />

pectinarii mit grobzinkigen Eisenkämmen (pectares)<br />

vor allem bei langhaarigem Vlies Unreinheiten aus.<br />

Dabei parallelisierten sie zugleich auch die Fasern,<br />

nachdem ein Bad in heißem, mit Seifenkraut versetztem<br />

Wasser das Wollfett reduziert, aber nicht vollständig<br />

entfernt hatte. Gute Qualitäten wie die lana<br />

Gallicana aus Gallien konnten entweder vor Ort weiterverarbeitet<br />

oder an die in Städten wie Rom tätigen<br />

lanarii geliefert werden. Sogar in der Baetica reagierte<br />

man auf die sich ändernde Nachfrage und führte<br />

seit dem frühen 1. Jh. statt fertiger Textilien zunehmend<br />

Rohwolle aus.<br />

Flachs, mit 50 bis 90 cm langen Fasern der wichtigste<br />

pflanzliche Rohstofflieferant, wurde vor allem<br />

im Osten des Römischen Reiches angebaut. Aber<br />

auch die keltischen Stämme der Morini und Caleti<br />

produzierten im Nordwesten Galliens schon vor den<br />

später weltweit bekannten flämischen Handwerkern<br />

qualitativ hochwertiges Leinen, mit dem sie vor allem<br />

die in Gesoriacum/ Boulogne-sur-Mer stationierte<br />

britannische Flotte belieferten. Man raufte Flachs bereits<br />

bei der sogenannten Gelbreife vorsichtig von<br />

Hand aus, um die langen Fasern nicht zu brechen,<br />

und trocknete die zu Garben gebundenen, kopfüber<br />

aufgestellten Stängel einige Tage. Anschließend wurden<br />

sie bei einem Röste/ Rotte genannten Vorgang gewässert<br />

oder gedörrt, damit die in die aufgebrochene<br />

Epidermis eindringenden Mikroorganismen die Fasern<br />

vom umgebenden Gewebe lösen konnten. Bevor<br />

das Material gänzlich verdarb, musste der Flachs wieder<br />

getrocknet und anschließend einzeln mit Holzhauen<br />

aufgeschlagen werden. Erst dann ließen sich<br />

die kleinteiligen Rindenreste von den Fasern trennen,<br />

die beim Hecheln parallelisiert und zugleich von den<br />

letzten noch anhaftenden Unreinheiten befreit wurden.<br />

Dabei fiel auch das kurzfaserige, z.B. für Dochte<br />

verwendete Werg an. Der ähnlich aufbereitete Hanf<br />

diente vor allem für den nautischen Bedarf wie das<br />

Kalfatern.<br />

Das Verspinnen aller textilen Rohfasern war eine<br />

arbeitsintensive, von den Frauen eines Haushaltes<br />

ganzjährig betriebene Tätigkeit, auch wenn die Notiz,<br />

dass am 4. August mit der Arbeit an 28 Pfund Wolle<br />

begonnen wurde, eher auf die Winterzeit weist. Nach<br />

den altrömischen mos maiorum galt das Spinnen sogar<br />

für die matronae der höheren Schichten als standesgemäße<br />

Beschäftigung. Daher tragen Frauen auf<br />

den Grabsteinen als Zeichen ihrer Würde die meist<br />

als Schmuckring fehlinterpretierte Fingerkunkel, einen<br />

mit 25 cm Länge meist recht kurzen Handrocken,<br />

dessen ringförmiges Ende am Ringfinger steckt. Die<br />

gläsernen Kunkeln aus sepulkralem Kontext dienten<br />

wohl tatsächlich nur als Schmuck und nicht der prakti<br />

schen Tätigkeit.<br />

Außer einiger Übung verlangte das Spinnen viel<br />

Fingerspitzengefühl, denn von der Festigkeit und der<br />

Stärke des Garnes hingen letztlich Stoff- und Fadenqualität<br />

ab. Den 20 bis 30 cm langen Spinnrocken aus<br />

Holz oder Bein, auf dem das Vliesknäuel befestigt<br />

war, hielt die Spinnerin in der Linken. Davon zupfte<br />

sie mit den Fingern der rechten Hand einige Fasern<br />

ab und verzwirbelte sie gleichzeitig zu einem Faden<br />

der gewünschten Stärke, den die durch das Gewicht<br />

des Spinnwirtels tanzende Spindel – ein ebenfalls bis<br />

zu 30 cm langer, an einem Ende abgerundeter Stab –<br />

zu einem möglichst gleichmäßigen Garn verdrehte.<br />

Nach den unterschiedlichen lokalen Traditionen bevorzugte<br />

man im Westen die z-förmig im Uhrzeigersinn<br />

laufende, im Osten dagegen die gegenläufige<br />

oder s-förmige Drehung. Geringe Unebenheiten des<br />

Die von den antiken Schäfern<br />

bei der Schafschur benutzten<br />

Scheren sind nicht nur in großer<br />

Zahl erhalten geblieben,<br />

sondern ähneln von ihrer<br />

Form her auch den noch heute<br />

gebräuchlichen Werkzeugen,<br />

wie die Anzeige aus dem<br />

Katalog von manufactum im<br />

Vergleich zu einem römischen<br />

Exemplar zeigt.<br />

Palmyra, Syrien, Hypogäum<br />

des Artaban. Loculusplatte<br />

einer Dame mit Spinnrocken,<br />

2. Jh. n.Chr.<br />

Tabarka (Tunesien), Raum<br />

mit drei Apsiden. Dargestellt<br />

ist bei den Szenen aus dem<br />

ländlichen Leben auch die<br />

Schäferin, die in der Nähe<br />

eines Stalles ihre Schafe<br />

hütet und zugleich das Vlies<br />

zu Wolle verspinnt.<br />

Fadenstrangs konnte das anschließende Verzwirnen<br />

ausgleichen. Während sich hölzerne Spindeln nur selten<br />

erhalten haben, finden sich in Siedlungen oder<br />

Villen häufig tönerne, scheibenförmige Spinnwirtel<br />

bzw. solche aus Bein. Besonders kostbare Spindeln<br />

waren mit Gewichten aus Bernstein, Gagat oder sogar<br />

so ausgefallenen Materialien wie Elfenbein und Eisen<br />

beschwert.<br />

Auch Weben gehörte zu den Tätigkeiten des häuslichen<br />

Fleißes, das den Webgewichten nach auf zahlreichen<br />

Gutshöfen betrieben wurde. Ihrem gehäuften<br />

Auftreten nach dürften Ateliers in den Villen Biberist/<br />

Spitalhof und Orbe-Bosceaz Tuchwaren sogar<br />

über den Eigenbedarf hinaus für den Verkauf produziert<br />

haben, was Columella, der beispielsweise Wollkämmer<br />

zur familia einer Farm rechnet, für wirt-<br />

schaft lich sinnvoll hielt. Vereinzelt bestanden auch<br />

Werkstätten wie das textrinum in Pompeji, wo eine<br />

Wandkritzelei den Arbeitsbeginn an einem Webauftrag<br />

vermerkte. Dass gewerbliche Webereien ebenso<br />

wie Weber insgesamt seltener bezeugt sind, erklärt<br />

sich wohl durch eine häufig im <strong>Verlag</strong>swesen vergebe -<br />

ne Tätigkeit, die z.B. für die in Vindolanda gekaufte<br />

Wolle vorausgesetzt werden darf. Die im 1. Jh. üblichen<br />

vertikalen Webstühle blieben zwar nicht erhalten,<br />

waren aber den pyramidalen Webgewichten aus<br />

Ton nach reichsweit in Siedlungen und Villen in<br />

Gebrauch. Ihr Rückgang im 2. und 3. Jh. hängt ausschließlich<br />

mit dem neu entwickelten horizontalen<br />

Webstuhl zusammen, bei dem die Kette nicht mehr<br />

mit Gewichten, sondern mit dem Kettbaum straff gespannt<br />

wurde, was eine rationellere Arbeit zuließ. Erhaltene<br />

Textilien zeigen verschiedene Bindungstechniken<br />

wie die mehrfach variierte Leinwand- und<br />

Köperbindung.<br />

Die Brettchenweberei ist durch Funde der dafür<br />

benötigten Brettchen aus Bein belegt. Mit dieser<br />

Technik stellte man bevorzugt bunte Borten her, die<br />

auf Gewänder aufgenäht wurden.<br />

Die locker gewebten Wollwaren verdichtete erst<br />

der Walker zu einem festeren Stoff mit glatter Oberflächenstruktur<br />

oder zu Filz. Sie konnten bei dem<br />

hohen Bedarf an Textilien sicher mit einem guten<br />

Einkommen rechnen, zumal sie die Kleider auch reinig<br />

ten. Während in jedem Haus gewebt werden<br />

konnte, erforderte das Walken eine ausreichende<br />

Wasserversorgung. An vielen wasserdicht ausgekleideten<br />

Wannen oder Fässern, die in den Boden einge-

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