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DFP-Literaturstudium<br />

state of the art<br />

Reizmagen<br />

Jeder vierte Österreicher ist zumindest einmal im Jahr davon betroffen: vom<br />

Reizmagen. Neben der Refluxerkrankung stellt er die häufigste Erkrankung des<br />

oberen Gastrointestinaltrakts dar. Ziel der Therapie ist es, dem Patienten einen<br />

besseren Umgang mit seinen Symptomen zu ermöglichen und nicht, Symptomfreiheit<br />

zu erlangen. Von Herbert Tilg*<br />

1<br />

11 • 10. Juni 2004


DFP-Literaturstudium<br />

Einleitung<br />

Der Reizmagen (oder funktionelle<br />

Dyspepsie) ist ein extrem häufiges Problem<br />

im klinischen Alltag und beinhaltet<br />

eine Vielzahl von Differenzialdiagnosen.<br />

Vermutlich sind bis zu 25 Prozent<br />

der Bevölkerung einmal jährlich<br />

betroffen. Somit hat diese Entität einen<br />

substantiellen Einfluss auf die Kosten<br />

im Gesundheitssystem und Krankenstandstage.<br />

Der Symptomenkomplex<br />

ist vielseitig und die Patienten<br />

kontaktieren ihren Arzt oft mit “Verdauungsstörungen”.<br />

Bei genauerer<br />

Anamnese ergeben sich als Schlüsselsymptome<br />

neben epigastrischem<br />

Schmerz Blähungen, Völlegefühl, rasches<br />

Sättigungsgefühl, Übelkeit und<br />

Erbrechen.<br />

© CONTRAST<br />

Definition<br />

Ähnlich wie beim Reizdarmsyndrom<br />

wurden auch für den Reizmagen<br />

klinische Kriterien (Rom II Kriterien)<br />

entwickelt, die auch in der klinischen<br />

Praxis zur Definition herangezogen<br />

werden können. Folgende Definition<br />

wurde verwendet: Symptome über<br />

zwölf Wochen (nicht konsekutiv); in<br />

den letzten zwölf Monaten persistierende<br />

oder wiederholte Schmerzen/Unwohlsein<br />

im Oberbauch und Ausschluss<br />

einer organischen Erkrankung<br />

(inkl. Ösophagogastroduodenoskopie;<br />

ÖGD); kein Hinweis, dass die Symptome<br />

nach Defäkation Besserung zeigen<br />

oder mit einer Änderung des Stuhlverhaltens<br />

assoziiert sind (Diarrhoe, Obstipation;<br />

d.h. Vorliegen eines<br />

Reizdarmsyndroms; allerdings treten<br />

Reizmagen und Reizdarm auch gehäuft<br />

parallel auf).<br />

Differenzialdiagnosen<br />

von Dyspepsie<br />

Der Reizmagen reflektiert eine funktionelle<br />

Erkrankung des oberen Gastrointestinaltraktes<br />

und stellt damit eine<br />

Ausschlussdiagnose dar. Auch wenn<br />

der Reizmagen die häufigste Magenerkrankung<br />

darstellt, sind entsprechende<br />

Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen.<br />

Zur Orientierung dienen vorwiegend<br />

Alarmsymptome (siehe Tab. 1),<br />

die zwingend eine Abklärung inklusive<br />

ÖGD erfordern.<br />

Peptische Ulcuserkrankung<br />

Die “klassischen” Symptome bei<br />

Ulcus duodeni treten auf, wenn Säure<br />

sezerniert wird, obwohl der Nahrungsstimulus<br />

bereits fehlt. Daher treten die<br />

Symptome zwei bis fünf Stunden nach<br />

einer Mahlzeit auf, wenn der Magen<br />

üblicherweise schon lange entleert ist.<br />

Zusätzlich treten Symptome vor allem<br />

zwischen 23 Uhr und 2 Uhr morgens<br />

auf, nachdem hier die Säureproduktion<br />

zirkadian maximal ist. Es ist jedoch<br />

festzuhalten, dass “klassische” Symptome<br />

wie bei vielen anderen Erkrankungen<br />

trotz allem häufig fehlen. Symptome<br />

(Schmerz, Unwohlsein) treten im<br />

rechten/linken Oberbauch oder im<br />

Epigastrium auf. Eine Ausstrahlung in<br />

den Rücken ist möglich, allein aber nur<br />

sehr selten zu beobachten. Die Schmerzen<br />

sind oft bohrend und zermürbend,<br />

manchmal auch krampfartig. Häufig<br />

finden sich in der Folge schmerzfreie<br />

Intervalle, die auch Wochen andauern<br />

können. Die oft untypische Symptomatik<br />

(auch Sodbrennen und Symptome<br />

wie bei Reizdarm mit periumbilikalem<br />

Schmerz, Blähung etc.) macht die klinische<br />

Diagnose schwierig und die Indikation<br />

zur endoskopischen Untersuchung<br />

ist gegeben. Im Sinn des Patienten<br />

sollte ab etwa einem Alter von 45<br />

Jahren mit dieser Untersuchung bei Beschwerden<br />

im oberen Gastrointestinal-<br />

Trakt großzügig umgegangen werden.<br />

Alarmsymptome bei Dyspepsie<br />

... die eine zwingende Abklärung<br />

erforderlich machen<br />

Gewichtsverlust<br />

Persistierendes Erbrechen<br />

Anämie<br />

Dysphagie<br />

Hämatemesis<br />

Tastbare abdominelle Resistenz<br />

Positive Familienanamnese für<br />

Magenkarzinom<br />

Frühere Magenoperation<br />

Tab. 1<br />

11 • 10. Juni 2004<br />

2


DFP-Literaturstudium<br />

Refluxerkrankung<br />

Diese sehr häufige Erkrankung ist<br />

auszuschließen, vor allem weil sich eine<br />

Untergruppe der funktionellen Dyspepsie<br />

“refluxähnlich” präsentiert. Damit<br />

ist wiederum in der Regel eine endoskopische<br />

Untersuchung erforderlich.<br />

Typische Refluxsymptome sind neben<br />

Sodbrennen Regurgitation, Rülpsen<br />

und Thoraxschmerzen. Die Überlappung<br />

von Refluxerkrankung und Reizmagen<br />

ist klinisch relevant und sicherlich<br />

häufig zu sehen.<br />

Magenkarzinom<br />

Diese Erkrankung kommt bei Dyspepsiepatienten<br />

extrem selten vor und<br />

ist primär bei entsprechenden Alarmsymptomen<br />

zu erwägen. Nachdem das<br />

Magenkarzinom eher eine Erkrankung<br />

des älteren Menschen darstellt, ist das<br />

bei der Indikationsstellung für eine endoskopische<br />

Untersuchung zu berücksichtigen.<br />

Dyspeptische Beschwerden<br />

treten naturgemäß auch bei Patienten<br />

mit einem Magenfrühkarzinom auf; das<br />

unterstreicht die Notwendigkeit und<br />

großzügige Indikation zur ÖGD. Alarmsymptome<br />

sind dennoch ein sinnvoller<br />

Weg, um Patienten mit Verdacht auf<br />

Malignom zu erfassen. Der negative<br />

Vorhersagewert von Alarmsymptomen<br />

bezüglich eines Malignoms des Ösophagus<br />

beziehungsweise des Magens beträgt<br />

99 Prozent bei Patienten unter 45 Jahren<br />

ohne Alarmsymptome. Bei Patienten<br />

über 45 Jahren ist diese Korrelation<br />

wesentlich schlechter. Daher gibt es die<br />

Forderung, alle Patienten über 45, die<br />

Beschwerden im oberen Gastrointestinaltrakt<br />

haben, entsprechend endoskopisch<br />

zu untersuchen.<br />

Behandlungsalgorithmus für die Therapie des Reizmagens<br />

Gallenkolik<br />

Die Schmerzen, die aus den ableitenden<br />

Gallenwegen stammen, lokalisieren<br />

typischerweise in den rechten<br />

Oberbauch oder ins Epigastrium und<br />

dauern meist eine Stunde und länger<br />

an. Der Schmerz strahlt oft in den<br />

Rücken beziehungsweise die Scapula<br />

aus und ist begleitet von Unruhe,<br />

Schwitzen und Erbrechen. Es folgen oft<br />

schmerzfreie Episoden über mehrere<br />

Wochen und Monate. Nachdem sowohl<br />

Reizmagen als auch Gallensteine<br />

extrem häufig sind, ist ihr gemeinsames<br />

Vorkommen eine klinische Herausforderung.<br />

Nicht überraschend werden<br />

viele Patienten einer Cholezystektomie<br />

unterzogen, was dann auf die Beschwerden<br />

des Patienten keinen bessernden<br />

Einfluss nimmt. Leider stehen zur Differenzialdiagnose<br />

nur klinische Aspekte<br />

zur Verfügung; diesen Umstand sollten<br />

alle involvierten Ärzte entsprechend<br />

berücksichtigen.<br />

Reizdarm<br />

Reimagen und Reizdarm kommen<br />

gehäuft parallel vor. Typisch für den<br />

Reizdarm ist der abdominelle Schmerz<br />

im Mittel-/Unterbauch und das geänderte<br />

Stuhlverhalten. Überlappendes<br />

Auftreten von Reizmagen/Reizdarm<br />

wird in manchen Studien in bis zu 50<br />

Prozent beschrieben.<br />

NSAR-Gastropathie<br />

state of the art<br />

Abb. 1<br />

Medikamente, vor allem nichtsteroidale<br />

Antirheumatika (NSAR)<br />

spielen bei der Manifestation von Nebenwirkungen<br />

und Erkrankungen im<br />

oberen Gastrointestinaltrakt unverändert<br />

eine zentrale Rolle. Häufig sind<br />

NSAR-induzierte Ulzera allerdings<br />

asymptomatisch, was klinisch für uns<br />

besonders relevant erscheint. Zahlreiche<br />

andere Medikamente verursachen<br />

dyspepsie-ähnliche Symptome (Metronidazol,<br />

Kalziumkanalblocker, Bisphosphonate,<br />

oral verabreichtes Kalium,<br />

verschiedene Antibiotika etc.).<br />

Pathophysiologie<br />

des Reizmagens<br />

Die zugrundeliegende Pathophysiologie<br />

ist unklar und involviert neben<br />

gestörter motorischer Tätigkeit/Motilität,<br />

viszeraler Sensitivität/Schmerz-<br />

3<br />

11 • 10. Juni 2004


DFP-Literaturstudium<br />

state of the art<br />

4<br />

wahrnehmung, Helicobacter pylori-Infektion<br />

auch psychosoziale Aspekte.<br />

Eine gestörte Magenentleerung findet<br />

sich bei 30 bis 80 Prozent aller Betroffenen.<br />

Diese “Gastroparese” manifestiert<br />

sich klinisch meist als Übelkeit,<br />

Erbrechen, rasches Sättigungsgefühl,<br />

Blähung und Gewichtsverlust. Insgesamt<br />

ist allerdings die Korrelation von<br />

Symptomen mit nachgewiesener Magenentleerungsstörung<br />

schlecht.<br />

Neben einem Motilitätsproblem<br />

liegt bei den meisten Patienten eine<br />

gesteigerte viszerale Sensitivität beziehungsweise<br />

Hyperalgesie vor. Eine<br />

isobare Ballondehnung (Barostat) im<br />

Magen ermöglicht die Diagnosestellung;<br />

allerdings ist diese Maßnahme<br />

im Wesentlichen Studienbedingungen<br />

vorbehalten und hat nicht Einzug<br />

in die klinische Diagnostik gefunden.<br />

Interessanterweise besteht auch kein<br />

Zusammenhang zwischen gestörter<br />

Magenentleerung und viszeraler Hyperalgesie.<br />

Diese beiden Phänomene<br />

treten meist unabhängig voneinander<br />

auf.<br />

Pflanzliche Inhaltsstoffe*<br />

Anis, Sternanis<br />

Artischocke<br />

Bananenpulver**<br />

Chicoree<br />

Dill<br />

Distel<br />

Engelwurz (Angelika)<br />

Fenchel<br />

Ingwer<br />

Kardamon<br />

Koriander<br />

Kümmel**<br />

Kurkuma**<br />

Melisse<br />

Mistel<br />

Nelken<br />

Pfefferminz**<br />

Rettich<br />

Rosmarin<br />

Salbei<br />

Schöllkraut**<br />

Thymian<br />

Wacholder<br />

Zimt<br />

Pimpinella anisum, Illicium verum<br />

Cynara scolymus<br />

Cichorium intybus<br />

Anethum graveolens<br />

Cnicus benedictus<br />

Angelica archangelica<br />

Trigonella foenum-graecum<br />

Zingiber officinale<br />

Elettaria cardamomum<br />

Coriandrum sativum<br />

Carum carvi<br />

Curcuma longa<br />

Melissa officinalis<br />

Viscum album<br />

Syzgium aromaticum<br />

Mentha piperitha<br />

Raphanus sativus<br />

Rosemarinus officinalis<br />

Salve officinalis<br />

Thymus vulgaris<br />

Juniper communis<br />

Cinnamonum verum<br />

* die bei Reizmagen versucht wurden und eine gewisse Wirksamkeit<br />

aufweisen (** es liegt zumindest eine randomisierte Studie vor)<br />

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der<br />

Pathophysiologie stellt die Helicobacter<br />

pylori-Infektion dar. Helicobacter<br />

pylori, eine wichtige Ursache der chronisch<br />

aktiven Gastritis und von Ulzera<br />

im oberen Gastrointestinaltrakt, wurde<br />

auch in Zusammenhang mit einer motorischen<br />

Störung der glatten Muskulatur<br />

gebracht. Allerdings wurde in verschiedenen<br />

Studien weder ein Zusammenhang<br />

mit gestörter Magenentleerung<br />

noch mit viszeraler Hyperalgesie<br />

und Helicobacter pylori hergestellt.<br />

Daher ist eine Helicobacter pylori-Gastritis<br />

vermutlich nicht mit Symptomen<br />

eines Reizmagens assoziiert.<br />

Der wesentliche Beweis, dass eine<br />

Helicobacter pylori-Infektion vermutlich<br />

keine zentrale Rolle beim Reizmagen<br />

spielt, kommt aber aus mehreren<br />

Eradikationsstudien. Meta-Analysen<br />

dieser Studien zeigen keinen überzeugenden<br />

Erfolg einer Eradikationstherapie<br />

beim Patienten mit Reizmagen.<br />

Eine Helicobacter pylori-Eradikationstherapie<br />

kann diesen Patienten angeboten<br />

werden; allerdings ist eine Aufklärung<br />

bezüglich Nutzen-<br />

Risiko essentiell.<br />

Tab. 2<br />

Der Reizmagen ist auch<br />

in unseren Breiten die<br />

wesentliche Erkrankung,<br />

bei der eine Unzahl<br />

von Patienten einer<br />

wirkungslosen Helicobacter<br />

pylori-Eradikationstherapie<br />

zugeführt<br />

wird. Ein interessanterer<br />

Aspekt in der Pathophysiologie<br />

könnte ähnlich<br />

wie beim Reizdarm eine<br />

postentzündliche Ursache<br />

sein; in dieser Hinsicht<br />

gibt es allerdings<br />

noch kaum Daten.<br />

Weiters spielen psychosoziale<br />

Aspekte bei diesem<br />

Krankheitsbild eine<br />

wesentliche Rolle.<br />

Angstzustände, Neurosen<br />

und Depressionen<br />

treten gehäuft auf. Insgesamt<br />

ist dieses Krankheitsbild<br />

bedingt durch<br />

eine komplexe Interaktion<br />

psychosozialer und<br />

physiologischer Faktoren.<br />

Diagnosestellung<br />

Klinisch lassen sich drei Muster<br />

einer Dyspepsie beschreiben:<br />

Ulcus-ähnlich oder hyperazid<br />

(epigastrisch, bohrend, Besserung<br />

auf Nahrung)<br />

Dysmotilitäts-ähnlich (vor allem<br />

Übelkeit, Blähungen, Anorexie)<br />

Reflux-ähnlich (Sodbrennen,<br />

Blähungen, Regurgitation)<br />

Diese drei Formen zeigen allerdings<br />

klinisch häufig Überlappungen. Die exakte<br />

Anamnese ist wiederum von zentraler<br />

Bedeutungen und verschiedene<br />

Fragen sollten inkludiert sein. Es gibt<br />

keine diagnostischen Untersuchungen,<br />

um einen Reizmagen zu beweisen.<br />

Daher beruht die Diagnosestellung rein<br />

auf der klinischen Symptomatik (epigastrischer<br />

Schmerz, Völlegefühl, Blähungen,<br />

rasche Sättigung, Übelkeit, Erbrechen;<br />

siehe Rom II Kriterien) und<br />

dem Ausschluss einer organischen<br />

Oberbaucherkrankung. Der Reizmagen<br />

ist die häufigste Ursache einer Dyspepsie,<br />

daher die Terminologie funktionelle<br />

Dyspepsie beziehungsweise nicht-ulzeröse<br />

Dyspepsie.<br />

Folgende Aspekte sind für die Diagnosestellung<br />

erforderlich:<br />

Physikalische Untersuchung<br />

Laboruntersuchung<br />

Helicobacter pylori-Testung<br />

Endoskopische Untersuchung<br />

Bei einer neu diagnostizierten Dyspepsie<br />

sind abhängig von Gesundheitssystem<br />

und finanziellen Ressourcen<br />

einer Gesellschaft verschiedene Strategien<br />

möglich; konservative und invasive<br />

Strategien haben entsprechende<br />

Vor- und Nachteile. In unserem Land<br />

ist der Zugang zu endoskopischen Untersuchungen<br />

gut gegeben, weswegen<br />

sowohl bei Alarmsymptomen als auch<br />

bei allen Patienten > 45 Jahren eine<br />

endoskopische Untersuchung erfolgen<br />

sollte. Häufig wird diese Maßnahme<br />

ohnehin durch entsprechenden Patientenwunsch<br />

getriggert.<br />

Prinzipiell sind bei Dyspepsiepatienten<br />

drei Strategien möglich (siehe Abbildung<br />

1):<br />

Empirische anti-sekretorische Therapie<br />

Helicobacter pylori-Testung und<br />

Therapie<br />

Endoskopie<br />

11 • 10. Juni 2004


DFP-Literaturstudium<br />

Zu den verschiedenen Strategien<br />

existiert umfassende Literatur. Die<br />

Richtlinien der European Helicobacter<br />

Study Group aus dem Jahr 2000 erscheinen<br />

unverändert sinnvoll. Darin<br />

wird Personen unter 45 Jahre ohne<br />

Alarmsymptome eine Helicobacter pylori-Testung<br />

(Atemtest, Stuhltest) und<br />

respektive Therapie und > 45 Jahren<br />

eine endoskopische Untersuchung<br />

empfohlen.<br />

Diese Vorgangsweise vermindert<br />

Kosten auf Grund einer geringeren Anzahl<br />

von notwendigen Endoskopien.<br />

Trotz solcher Richtlinien ist die Entscheidung,<br />

welche Abklärungsmodalität<br />

zu bevorzugen ist, individuell abzustimmen<br />

und sollte unter anderem<br />

berücksichtigen: Patientenwunsch,<br />

Anamnese, Familienanamnese, Komorbidität,<br />

NSAR-Einnahme, frühere<br />

Helicobacter pylori-Eradikation (in unseren<br />

Breiten sehr häufig), Alarmsymptome<br />

etc.<br />

Therapie<br />

Die Behandlung des Reizmagens ist<br />

kontroversiell und oft enttäuschend,<br />

sehr im Gegensatz zur Therapie des<br />

Ulcus ventriculi/duodeni. Ziel der Therapie<br />

ist es, dem Patienten einen besseren<br />

Umgang mit seinen Symptomen zu<br />

ermöglichen und nicht, Symptomfreiheit<br />

zu erlangen.<br />

Insgesamt ist ähnlich vorzugehen<br />

wie bei Reizdarmpatienten. Das ärztliche<br />

Gespräch mit der Aufklärung über<br />

die Natur der Erkrankung steht dabei<br />

im Vordergrund. Ganz wesentlich erscheint<br />

die Tatsache, dem Patienten<br />

eine exakte Diagnose zu vermitteln und<br />

die bekannte Pathophysiologie im Sinn<br />

der Motilitätsstörung/viszerale Hyperalgesie<br />

zu erklären.<br />

Das hilft vielen Patienten und gibt<br />

ihnen vor allem das Gefühl, dass ihre<br />

Beschwerden Ernst genommen werden.<br />

Diese Patientengruppe betreibt - wie<br />

viele Reizdarmpatienten - ein “doctor<br />

hopping”, was letztlich auch ihre Unzufriedenheit<br />

und Frustration reflektiert.<br />

Die medikamentöse Therapie des<br />

Reizmagens basiert auf dem momentanen<br />

pathophysiologischen Verständnis<br />

dieser Erkrankung und hat folgende<br />

wesentliche Kernpunkte:<br />

Prokinetika (Domperidon, Metoclopramid)<br />

sind etwas effizienter als<br />

Placebo;<br />

H 2 -Blocker sind auch etwas wirksamer<br />

als Plazebo;<br />

Protonenpumpenhemmer sind marginal<br />

wirksamer als Plazebo und<br />

bieten gegenüber H 2 -Blockern<br />

keine Vorteile;<br />

Antazida und Sucralfat sind nicht<br />

wirksam.<br />

Ergebnisse aus vielen kontrollierten<br />

Therapiestudien sind trotz allem mit<br />

Vorsicht zu interpretieren, nachdem<br />

die Studiendauer der meisten Studien<br />

kurz war und damit die Chronizität dieser<br />

Erkrankung missachtet.<br />

Protonenpumpenhemmer<br />

(PPIs)<br />

Über die Verwendung von PPIs bei<br />

Reizmagen liegen mindestens sechs<br />

kontrollierte Studien vor, mit Besserung<br />

der Symptomatik in 60 Prozent<br />

versus 49 Prozent bei Placebo. Dieses<br />

Faktum, nämlich die hohe Placeborate<br />

bei Reizmagen, reflektiert die komplexe<br />

Pathophysiologie dieser Erkrankung.<br />

PPIs sind, und das ist für die Allgemeinpraxis<br />

ein wichtiges Detail, nicht<br />

wirksamer als H 2 -Rezeptorantagonisten.<br />

Damit stellt der Reizmagen weiterhin<br />

eine mögliche Indikation für die<br />

Anwendung von H 2 -Blockern dar. Für<br />

die klinische Praxis ist weiterhin wesentlich,<br />

dass vor allem der Reizmagenpatient<br />

mit Ulkus-ähnlicher oder Reflux-ähnlicher<br />

Symptomatik von einer<br />

Therapie mit einem PPI oder H 2 -<br />

Blocker profitiert; ein schlechtes Ansprechen<br />

zeigt generell der Patient mit<br />

primärer Motilitätsstörung mit im Vordergrund<br />

stehender Übelkeit.<br />

H 2 -Rezeptorenblocker<br />

Hier muss man kritisch anmerken,<br />

dass auch hier bei einem Großteil der<br />

Studien die Qualität nicht ausreichend<br />

ist. Bei Studien mit H 2 -<br />

Blockern sind selbige in 15 von 20<br />

Studien besser als Placebo und damit<br />

insgesamt ähnlich wie PPIs geeignet<br />

Symptome bei Reizmagen zu verbessern.<br />

H 2 -Blocker stellen damit geeignete<br />

Therapeutika dar, um eine empirische<br />

Therapie bei Patienten mit<br />

Reizmagen durchzuführen.<br />

Prokinetika<br />

Für die Anwendung von Cisaprid<br />

und Domperidon existieren 17 kontrollierte<br />

Studien. Ähnlich wie PPIs und<br />

H 2 -Blocker führen beide Substanzen zu<br />

einer gewissen klinischen Besserung im<br />

Vergleich zu Placebo. Metoclopramid<br />

dürfte auch wirksam sein, ist jedoch in<br />

der Langzeitanwendung mit beträchtlichen<br />

Nebenwirkungen (extrapyramidalen<br />

Nebenwirkungen) assoziiert.<br />

Eine gewisse Hoffnung liegt auf<br />

neueren Medikamenten wie Tegaserod,<br />

das in der Lage ist, die Magenentleerung<br />

zu verbessern (5-Hydroxytryptamin-4<br />

Rezeptor Antagonist). Entsprechende<br />

Studiendaten liegen noch<br />

nicht vor. Cisparid wurde auf Grund<br />

seiner Kardiotoxizität mitterweile in<br />

vielen Ländern vom Markt genommen.<br />

Cisaprid<br />

Domperidon<br />

Metoclopramid<br />

Antidepressiva<br />

Dafür liegen überraschenderweise<br />

nur wenig Studiendaten vor. Sie dürften<br />

hauptsächlich bei den Patienten<br />

von Nutzen sein, bei denen ein überlappendes<br />

Reizdarmsyndrom vorliegt.<br />

Am ehesten liegen Daten für Amitryptilin<br />

vor.<br />

Helicobacter<br />

pylori-Eradikation<br />

Prepulsid®<br />

Motilium®<br />

Paspertin®<br />

Die pathogenetische Rolle von Helicobacter<br />

plyori beim Reizmagen ist unverändert<br />

kontroversiell. Große randomisierte<br />

Studien haben unterschiedliche<br />

Ergebnisse geliefert. Große internationale<br />

Fachgesellschaften haben die<br />

Eradikationsempfehlung bei Reizmagen<br />

als relative Indikation aufgenommen; es<br />

ist allerdings klar festzuhalten, dass ein<br />

ausführliches Gespräch mit dem Patienten<br />

erfolgen muss und die Erwartungshaltung<br />

klar definiert werden sollte.<br />

Der Reizmagen ist vermutlich zur<br />

Zeit die häufigste Ursache für eine<br />

Helicobacter pylori-Eradikationstherapie;<br />

der oft fehlende klinische Nutzen<br />

dieser Eradikationstherapie verursacht<br />

viel Frustration bei Patient und<br />

Arzt.<br />

11 • 10. Juni 2004<br />

5


DFP-Literaturstudium<br />

state of the art<br />

Hypnose<br />

Dieser Therapieansatz ist vielversprechend.<br />

Erste größere kontrollierte<br />

Studien lieferten überzeugende Ergebnisse.<br />

In einer kürzlich veröffentlichten<br />

bemerkenswerten Studie von Calvert<br />

und Mitarbeitern (Gastroenterology<br />

2002; Dezember 2002) wurden 126 Patienten<br />

mit funktioneller Dyspepsie<br />

entweder mit Placebo oder einem H 2 -<br />

Blocker beziehungsweise mittels Hypnose<br />

therapiert. Die Therapie wurde<br />

über 16 Wochen durchgeführt, und die<br />

Patienten wurden auch nach einem<br />

Jahr evaluiert. Hypnose war sowohl<br />

nach 16 Wochen aber vor allem auch<br />

noch nach einem Jahr den anderen beiden<br />

Therapiearten signifikant überlegen.<br />

Weitere Studien dazu sind gefragt.<br />

Nichtsdestotrotz könnte damit Hypnose<br />

die effizienteste Therapie beim Reizmagen<br />

darstellen. Diese Tatsache hat<br />

wesentliche Einflüsse auf unsere tägliche<br />

Praxis. Folgende Fragen stellen sich<br />

aus heutiger Sicht:<br />

Wirkungsmechanismen von Hypnose<br />

bei funktioneller Dyspepsie?<br />

Auch andere psychotherapeutische<br />

Strategien sollten in Vergleichsstudien<br />

evaluiert werden. Kombinierte Therapieansätze:<br />

beispielsweise mit Antidepressiva<br />

oder 5-Hydroxytryptamin-modulierende<br />

Substanzen?<br />

Komplementärmedizinische<br />

Ansätze, pflanzliche Präparate<br />

Pflanzliche Produkte werden seit<br />

jeher bei der Therapie funktioneller<br />

Störungen des oberen Gastrointestinaltraktes<br />

herangezogen. Ein solches Beispiel<br />

stellen Pfefferminzpräparate dar,<br />

welche zum Beispiel in Form von Pfefferminzölkapseln<br />

als Therapeutikum<br />

angeboten werden. Insgesamt liegen<br />

mit verschiedensten pflanzlichen<br />

Präparaten 17 kontrollierte Studien<br />

vor. Wie schon bei anderen Therapiestudien<br />

ist auch hier die Qualität der<br />

Studien sehr mäßig (kurze Studiendauer);<br />

schlüssige Aussagen können nicht<br />

getroffen werden. Trotzdem ist zu bemerken,<br />

dass das klinische Ansprechen<br />

mehrerer Studien zum Teil bei über 60<br />

Prozent lag. Bis zum Vorliegen besserer<br />

Studien ist vor allem beim Patienten<br />

mit wenig Therapieoptionen (Motilitäts-ähnliche<br />

Erkrankung mit Übelkeit)<br />

eine solche Therapie absolut vertretbar.<br />

Vor allem Studien, die Pfefferminz<br />

und Kümmel untersuchten, waren<br />

vielversprechend; die Ansprechraten<br />

waren vergleichbar mit denen von H 2 -<br />

Blockern und PPIs (siehe Tabelle 2).<br />

Ein weiteres in mehreren Studien untersuchtes<br />

Präparat *) ist in Deutschland<br />

erhältlich. In diesem pflanzlichen<br />

Präparat sind unter anderem Pfefferminz,<br />

Kümmel, Zitronenblätter, Engelwurz,<br />

Schöllkraut, Distel und Kamille<br />

enthalten; dieses Präparat stellt für Patienten<br />

mit Reizmagen eine gute Alternative<br />

dar.<br />

Colpermin®<br />

Iberogast® *)<br />

Wichtige Fallgruben<br />

Der Patient, der sich mit Dyspepsie<br />

präsentiert, benötigt einen klaren klinischen<br />

Zugang im Sinn von Evidenz und<br />

Leitlinien. Beim Patienten mit Alarmsymptomen<br />

und beim Patienten > 45<br />

Jahre ist in unseren Breiten eine sofortige<br />

endoskopische Untersuchung anzustreben.<br />

Patienten unter 45 Jahre sollten<br />

einer Helicobacter pylori-Testung<br />

unterzogen werden (meist wohl noch<br />

C13-Atemtest), und dann sollte eine<br />

Helicobacter pylori-Eradikationstherapie<br />

erfolgen (negative Anamnese bezüglich<br />

der Einnahme von NSAR).<br />

Bessern sich die Beschwerden trotz<br />

Eradikationstherapie nicht, sollte eine<br />

anti-sekretorische Therapie über acht<br />

Wochen erfolgen (H 2 -Blocker, PPI).<br />

Nach dieser Zeit ist mit Sicherheit auch<br />

beim Patienten < 45 Jahre eine ÖGD<br />

sinnvoll und notwendig. Dieser Algorithmus<br />

hat sich in der täglichen klinischen<br />

Praxis bewährt. Allerdings ist in<br />

unseren Breiten häufig das Bedürfnis<br />

nach einer frühzeitigen endoskopischen<br />

Untersuchung gegeben (siehe Abb. 1).<br />

Prognose<br />

Pfefferminzölkapseln<br />

Pfefferminz, Kümmel,<br />

Zitronenblätter, etc.<br />

Der Reizmagen zeigt ein chronischrelapsierendes<br />

Verhalten. In zahlreichen<br />

Studien wurde gezeigt, dass sich<br />

bei 60 bis 90 Prozent aller Patienten<br />

nach zwei bis drei Jahren die Beschwerden<br />

ähnlich präsentieren. Andererseits<br />

hat sich auch klar gezeigt, dass exakte<br />

Diagnosestellung und Aufklärung zu<br />

einer signifikanten Besserung bei vielen<br />

Betroffenen führt. Die Rolle von<br />

Ernährung/Diät ist beim Reizmagen<br />

schlecht geklärt. Experimentell bestehen<br />

Hinweise, dass fettreiche Nahrung<br />

die Symptome eher provozieren kann.<br />

Spezifische Diätempfehlungen existieren<br />

nicht; die wesentliche Empfehlung<br />

besteht in der Führung eines Tagebuches,<br />

um individuelle Unverträglichkeiten<br />

besser definieren zu können.<br />

Zusammenfassung<br />

Reizmagen und Reizdarm stellen<br />

sehr häufige Erkrankungen dar und machen<br />

mehr als 50 Prozent aller Patienten<br />

beim Gastroenterologen aus. Auf<br />

Grund von fehlenden etablierten Therapien<br />

ist der Grad der Unzufriedenheit<br />

bei diesen Patienten sehr groß, was die<br />

Bereitschaft für komplementärmedizinische<br />

Ansätze wiederspiegelt.<br />

Eine exakte Diagnosestellung und die<br />

Aufklärung stellen die Eckpfeiler einer<br />

jeglichen potenziellen Therapie dieser<br />

Zustände dar. Besonders wesentlich ist<br />

die Tatsache, auf die Gutartigkeit dieser<br />

Erkrankung hinzuweisen. Die Pharmakotherapie<br />

ist häufig unbefriedigend;<br />

ungeachtet dessen stellen PPIs und H 2 -<br />

Blocker die am besten untersuchten und<br />

häufigsten Therapien dar.<br />

Eine Helicobacter pylori-Eradikationstherapie<br />

führt klinisch nur in einem<br />

relativ kleinen Prozentsatz zu einer Besserung.<br />

Der Patient mit einer motilitätsbedingten<br />

Erkrankung (prädominant<br />

Übelkeit) ist am schwierigsten zu therapieren.<br />

Beim schwierig zu therapierenden<br />

Patienten sollte unbedingt eine Hypnosetherapie<br />

zur Anwendung kommen.<br />

Für viele Patienten stellen pflanzliche<br />

Präparate eine gute Alternative dar. <br />

*) Prim. Univ. Prof. Dr. Herbert Tilg, Bezirkskrankenhaus Hall in<br />

Tirol/Abteilung Innere Medizin, Akademisches Lehrkrankenhaus der<br />

Universität Innsbruck, Milserstraße 10, 6060 Hall in Tirol;<br />

Tel: 052 23/502/21 05; Fax: 052 23/502/66;<br />

e-mail: herbert.tilg@uibk.ac.at<br />

Lecture Board: Univ. Prof. Dr. Walter Reinisch,<br />

Univ. Prof. Dr. Harald Vogelsang, beide: AKH Wien/Univ. Klinik f.<br />

Innere Medizin IV, Klinische Abt. f. Gastroenterologie u. Hepatologie;<br />

Univ. Prof. Dr. Wolfgang Petritsch, Univ. Klinik f. Innere Medizin<br />

der Medizinischen Universität Graz<br />

Herausgeber: Abteilung für Innere Medizin im<br />

Bezirkskrankenhaus Hall in Tirol<br />

Diesen Artikel finden Sie auch im Web<br />

unter www.arztakademie.at<br />

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11 • 10. Juni 2004

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