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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

45<br />

S P R AC H F Ö R D E R U NG – A B E R W I E ?<br />

1 Vgl. Herbert, Ulrich (1986),<br />

S. 71-81.<br />

2 Vgl. Schweitzer, Helmuth<br />

(2009), S. 432.<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung – aber wie?<br />

Der (zu) lange Weg zu einer integrierten und<br />

lebenslaufbegleitenden Sprachför<strong>der</strong>ung<br />

Weltweit ist Mehrsprachigkeit die Regel, nicht die<br />

<strong>Aus</strong>nahme. In Deutschland wird seit den Ergebnissen<br />

<strong>der</strong> PISA-Studien heftig über die richtige Art<br />

<strong>der</strong> Sprachför<strong>der</strong>ung gestritten. In <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

verkürzt sich die deutsche Debatte auf die<br />

Frage, ob die erfor<strong>der</strong>lichen Konzepte am Vorrang<br />

<strong>der</strong> deutschen Sprache o<strong>der</strong> am Leitbild <strong>der</strong> Mehrsprachigkeit<br />

ausgerichtet werden sollen?<br />

Die sprachliche Integration ist ein vielschichtiger<br />

Prozess zwischen Menschen mit dem Ziel<br />

einer erfolgreichen Verständigung vor Ort. Sprache<br />

beruht nicht allein auf Worten, son<strong>der</strong>n umfasst<br />

unterschiedliche <strong>Aus</strong>drucksformen (Laute, Mimik,<br />

Gestik). Trotz Globalisierung und internationaler<br />

Migration ist die Verständigung in <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Verkehrs- und Verwaltungssprache erfor<strong>der</strong>lich. Sie<br />

hinreichend zu praktizieren, bildet die Basis für<br />

den Zugang zu qualifizierter Bildung, Ar<strong>bei</strong>t und<br />

politischer Einflussnahme. Für Zuwan<strong>der</strong>er behält<br />

jedoch die zuerst gelernte ›Muttersprache‹ von<br />

Geburt an eine wichtige emotionale Funktion für<br />

ihre Entwicklung zu einer mehrsprachigen Persönlichkeit<br />

und Identität. Für einsprachig aufwachsende<br />

Menschen hat ihre Sprache häufig eine<br />

gemeinschaftsstiftende soziale Funktion und somit<br />

ebenfalls für ihre Identität. Eine zentrale Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für erfolgreiche lokale Integrationspolitik<br />

ist die Balance zwischen Prozessen <strong>der</strong> Aufwertung<br />

<strong>der</strong> Verkehrs- und Verwaltungssprache,<br />

ohne die als ›fremd‹ wahrgenommenen Sprachen<br />

abzuwerten.<br />

Das historische Erbe –<br />

die deutsche Einsprachigkeit<br />

THOMAS SCHWARZER<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen<br />

Deutschland steht, bezogen auf die Sprachentwicklung,<br />

in einer spezifischen 150-jährigen Tradition.<br />

Sie zielte auf ein forciertes Erlernen <strong>der</strong> deutschen<br />

Sprache <strong>bei</strong> gleichzeitiger Abwertung und <strong>Aus</strong>grenzung<br />

nicht Deutsch sprechen<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heiten.<br />

Die Idee <strong>der</strong> deutschen Einsprachigkeit als Regelfall<br />

folgte dem Gedanken einer als notwendig<br />

betrachteten Einheit von (Staats-)Volk, (Staats-)Sprache,<br />

(Staats-)Gebiet und Identität (Staatsangehörigkeit).<br />

Diese Vorstellung konnte sich auf zwei historische<br />

Integrationserfahrungen stützen. Zwischen<br />

1880 und 1933 wurden die sogenannten Ruhrpolen,<br />

trotz anfänglich massiver Konflikte, relativ erfolgreich<br />

integriert. 1 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

erfolgte außerdem die relativ erfolgreiche<br />

Integration von mehr als 14 Millionen deutschsprachigen<br />

Vertriebenen und DDR-Flüchtlingen. Das<br />

för<strong>der</strong>te vor allem in <strong>der</strong> älteren, einsprachig aufgewachsenen<br />

Nachkriegsgeneration die Vorstellung<br />

von einsprachigen deutschen Städten und Gemeinden<br />

als Normalfall. <strong>Aus</strong> dieser Perspektive konnte<br />

die extreme rassistische <strong>Aus</strong>grenzung, Deportation<br />

und Ermordung von ›Min<strong>der</strong>heiten‹ zwischen 1933<br />

und 1945 als eine kurze historische ›<strong>Aus</strong>nahmeperiode‹<br />

verdrängt werden. 2<br />

Die zwiespältige Rolle <strong>der</strong> Großstädte<br />

Bis zum neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz 2005 gab es<br />

vonseiten <strong>der</strong> Bundespolitik keine verpflichtenden<br />

Sprachkurse für erwachsene Zuwan<strong>der</strong>er nichtdeutscher<br />

Herkunft. Der Bund beschränkte sich auf<br />

die För<strong>der</strong>ung von Einzelmaßnahmen vorrangig<br />

für die über zwei Millionen (Spät-)<strong>Aus</strong>siedler aus<br />

Osteuropa ohne hinreichende Deutschkenntnisse.<br />

Großstädte wie Bremen befanden sich durch<br />

die unzureichende Sprachenpolitik des Bundes in<br />

einer zwiespältigen Situation. Als Bundeslän<strong>der</strong><br />

sind sie für den Schulunterricht zuständig. Im<br />

Unterricht sollen die Kin<strong>der</strong> die zur Integration<br />

zentrale schriftsprachliche Kompetenz erwerben.<br />

Die ebenfalls erfor<strong>der</strong>lichen Deutschkurse für<br />

Erwachsene, zum Beispiel über die Volkshochschulen<br />

o<strong>der</strong> über Wohlfahrtsverbände vermittelt, sind<br />

hingegen im doppelten Sinne ›freiwillige Leistungen‹.<br />

Sie waren abhängig vom Engagement einzelner<br />

Politikerinnen und Politiker sowie entsprechen<strong>der</strong><br />

Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>ter in den jeweiligen<br />

Einrichtungen. Ihr Umfang und ihre mehr<br />

o<strong>der</strong> weniger professionelle Gestaltung sind außerdem<br />

direkt von <strong>der</strong> jeweiligen Situation <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Haushalte abhängig. Außerdem sind sie<br />

abhängig vom freiwilligen Engagement <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>er.<br />

Bis vor wenigen Jahren waren vor allem<br />

die Erwachsenen, vielfach aber auch ein Teil <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>, <strong>bei</strong>m Erlernen <strong>der</strong> deutschen Sprache weitgehend<br />

sich selbst überlassen.<br />

Diese Situation soll seit den bedenklichen PISA-<br />

Ergebnissen gerade für Schülerinnen und Schüler<br />

mit einem Migrationshintergrund verän<strong>der</strong>t werden.<br />

Seitdem sind, neben den Schulen, vor allem<br />

die Kin<strong>der</strong>tagesstätten in den Blick <strong>der</strong> Politik geraten.<br />

Als öffentliche Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe sind<br />

die Kommunen direkt für diesen Bereich zuständig.<br />

Alle staatlichen Instanzen betonen seitdem die<br />

beson<strong>der</strong>e Bedeutung des zuvor eher vernachlässigten<br />

Elementarbereiches. Die Kin<strong>der</strong>tagesstätten<br />

sollen zu möglichst nachhaltig wirksamen Bildungseinrichtungen<br />

umgebaut werden. Sie haben<br />

für eine frühestmögliche Deutschför<strong>der</strong>ung, vor<br />

allem von Kin<strong>der</strong>n aus Migrantenfamilien mit<br />

einer nichtdeutschen Herkunftssprache, zu sorgen.<br />

So steht es im Nationalen Integrationsplan <strong>der</strong><br />

Bundesregierung. 3 Damit rücken die bisher dafür<br />

unzureichend ausgestatteten Kommunen als<br />

Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe in eine zentrale Position,<br />

da sie für die Kin<strong>der</strong>tagesbetreuung und die Elternbildung<br />

zuständig sind.<br />

Früher haben sich alle staatlichen Instanzen<br />

(Bund, Län<strong>der</strong>, Kommunen) weitgehend auf die<br />

wirksame Kraft <strong>der</strong> vorherrschenden deutschen<br />

Sprache ›vor Ort‹ verlassen. Gleichzeitig wurden<br />

die Migrantinnen und Migranten in den städtischen<br />

Verwaltungen mit dem Satz ›die Amtssprache<br />

ist deutsch‹ auf Distanz gehalten. Das soll sich<br />

jetzt möglichst schnell, aber im Rahmen <strong>der</strong> örtlichen<br />

Haushaltslage verän<strong>der</strong>n. Bis das <strong>der</strong> Fall<br />

sein wird, können die seit den PISA-Ergebnissen<br />

offensichtlich gewordenen ›Bildungs- und Sprachdefizite‹<br />

weiterhin den vorgeblich bildungsfernen<br />

Eltern angelastet werden.<br />

Mehrsprachigkeit ist in den großstädtischen<br />

Gesellschaften nach 50 Jahren nichtdeutscher Einwan<strong>der</strong>ung<br />

zur Normalität geworden, insbeson<strong>der</strong>e<br />

in <strong>der</strong> jüngeren Generation. Das zeigt sich zum<br />

Beispiel für die Stadt Bremen anhand <strong>der</strong> vielen<br />

verschiedenen Muttersprachen, die an den öffentlichen<br />

Schulen gesprochen werden. An den insgesamt<br />

143 allgemeinbildenden Schulen wird lediglich<br />

an einer einzigen Schule nur Deutsch gesprochen.<br />

An drei weiteren Schulen werden neben<br />

Deutsch ledig noch zwei weitere Sprachen gesprochen.<br />

Dagegen werden an 56 Schulen, <strong>der</strong> größten<br />

Gruppen, zwischen 11 und 15 verschiedene Muttersprachen<br />

gesprochen, an weiteren 36 Schulen<br />

sogar mehr als 15 Muttersprachen. Es gibt in<br />

Bremen eine Schule, an <strong>der</strong> 26 Muttersprachen<br />

gesprochen werden (siehe Abbildung 3, S. 29).<br />

Viele Kin<strong>der</strong> und Enkel <strong>der</strong> ›Gastar<strong>bei</strong>ter‹ haben<br />

dennoch den Sprachwechsel ins Deutsche vollzogen.<br />

Dieser Trend ist auch <strong>bei</strong> den Polnisch o<strong>der</strong><br />

Russisch sprechenden Familien <strong>der</strong> Spätaussiedler<br />

zu beobachten. Außerdem för<strong>der</strong>t die Konkurrenz<br />

zwischen den Städten um die qualifiziertesten<br />

und kreativsten ›Köpfe‹ die Toleranz gegenüber<br />

Mehrsprachigkeit und binationalen Partnerschaften.<br />

In diesen Familien werden zum Teil bewusst<br />

mehrere Sprachen mit den <strong>eigene</strong>n Kin<strong>der</strong>n gesprochen.<br />

Auch die Europäische Union hat das Ziel<br />

formuliert, dass Kin<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Schulzeit möglichst<br />

drei Sprachen sprechen sollten. Doch im<br />

Alltag gibt es eindeutige ›Abstufungen‹. Häufig<br />

werden Muttersprachen wie Türkisch o<strong>der</strong> Arabisch<br />

weniger geschätzt. Die jeweiligen Kin<strong>der</strong><br />

erfahren <strong>bei</strong>m Sprechen dieser Sprachen oft wenig<br />

Anerkennung, wenn nicht sogar Geringschätzung.<br />

Wenn Kin<strong>der</strong> hingegen neben Deutsch schon früh<br />

Englisch, Französisch o<strong>der</strong> Spanisch sprechen,<br />

wird das meistens bewun<strong>der</strong>t.<br />

Insgesamt befinden sich die deutschen Städte<br />

und Gemeinden durch das Zusammenspiel im<br />

för<strong>der</strong>ativen Bundesstaat in einer Art ›Zwickmühle‹.<br />

Einzelne Bundesressorts för<strong>der</strong>n den neuen<br />

Ansatz sprachlichkultureller <strong>Vielfalt</strong>. 4 Die Kultusminister<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> sind jedoch weit davon entfernt,<br />

gemeinsame Qualitätsstandards für Deutsch<br />

als Zweitsprache in <strong>der</strong> Schule umzusetzen und in<br />

<strong>der</strong> Lehrerausbildung verpflichtend zu machen.<br />

Die Kommunen wie<strong>der</strong>um tragen durch ihre Verantwortung<br />

für den vorschulischen Bereich die<br />

Hauptlast für den Erwerb <strong>der</strong> deutschen Sprache<br />

bis zur Einschulung. Gleichzeitig bestimmen die<br />

Län<strong>der</strong> die finanziellen Bedingungen für die<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung in den Kin<strong>der</strong>tagesstätten. Dessen<br />

Personal nimmt jedoch diese ›Verstaatlichung‹ als<br />

das wahr, was sie ist – eine Beschränkung ihrer<br />

bisherigen Freiheit im Umgang mit Sprache und<br />

Bildung –, ohne dass damit hinreichend Ressourcen<br />

zur För<strong>der</strong>ung einer qualifizierten Mehrsprachigkeit<br />

verbunden sind. 5<br />

3 Vgl. Die Bundesregierung<br />

(2007), S. 48 ff.<br />

4 www.vielfalt-als-chance.de<br />

www.wissen-undwachsen.de<br />

5 Vgl. Schweitzer, Helmuth<br />

(2009), S. 439.

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