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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

95<br />

A R B E I T S M I G R A N T E N , F L Ü C H T L I NGE U N D AU S S I E D L E R AU F D E M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />

Dieses Netzwerk besitzt <strong>der</strong>zeit 120 Mitglie<strong>der</strong>,<br />

neben Einzelhändlern und Gewerbetreibenden<br />

auch Vereine und Institutionen aus dem Bildungs-,<br />

Sozial- und Kulturbereich. In <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

konnte mithilfe dieses Netzwerks und durch öffentliche<br />

För<strong>der</strong>mittel (EFRE und URBAN) wesentlich<br />

zur internen Stabilisierung, zur Vernetzung <strong>der</strong><br />

Stadtteilökonomie und zur Stärkung des sozialen<br />

Zusammenhalts <strong>bei</strong>getragen werden. Denn es sind<br />

häufig die nicht formalisierten Einbindungen in<br />

Bildungs-, Sozial- und Kulturaktivitäten, durch die<br />

auch viele Selbstständige und Gewerbetreibende<br />

erreicht werden, die einer formalen Mitgliedschaft<br />

in einem Gewerbeverein erst mal distanziert<br />

gegenüberstehen. Gerade durch die spezifische<br />

Verknüpfung <strong>der</strong> Bildungs-, Sozial- und Kulturnetzwerke<br />

mit den lokalen Wirtschaftsnetzwerken<br />

konnten migrantische Unternehmerinnen und<br />

Unternehmer eingebunden und mit kommunalen<br />

För<strong>der</strong>- und Qualifizierungsangeboten in Kontakt<br />

gebracht werden. Zukünftig muss dieser beson<strong>der</strong>s<br />

erfolgreiche Ansatz durch die bereits beginnenden<br />

Stadtentwicklungsplanungen für den ›Bremer<br />

Westen‹ weiter gestärkt und fortentwickelt werden.<br />

Dazu sind vor allem interkulturelle Kompetenzen<br />

zwingend erfor<strong>der</strong>lich und Teile <strong>der</strong> migrantischen<br />

Selbstständigen in Gröpelingen können für diese<br />

Prozesse ein wichtiger ›Motor‹ sein.<br />

Literatur<br />

❚ Der Senator für Wirtschaft und Häfen<br />

19.05.2009: Vorlage Nr. 17/188-L für die Sitzung <strong>der</strong><br />

Deputation für Wirtschaft und Häfen am 10. Juni 2009.<br />

Az.: 710-01-01/2-6-1 vom 19.05.2009. Strukturkonzept<br />

Land Bremen 2015 / Mittelstands- und Existenzgründungsoffensive.<br />

❚ Die Beauftragte <strong>der</strong> Bundesregierung für<br />

Migration, Flüchtlinge und Integration (2010):<br />

8. Bericht über die Lage <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>län<strong>der</strong>innen und<br />

<strong>Aus</strong>län<strong>der</strong> in Deutschland, Juni 2010.<br />

❚ Die Beauftragte <strong>der</strong> Bundesregierung für<br />

Migration, Flüchtlinge und Integration (2012):<br />

9. Bericht über die Lage <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>län<strong>der</strong>innen und<br />

<strong>Aus</strong>län<strong>der</strong> in Deutschland, Juni 2012.<br />

❚ Hillmann, Felicitas (2011) (Hg.): Marginale<br />

Urbanität: Migrantisches Unternehmertum und Stadtentwicklung.<br />

❚ Hillmann, Felicitas/Rohmeyer, Lea: Expertise im<br />

Auftrag <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen. Projektzeitraum:<br />

01.01.2012–31.03.2012. Unter Mitar<strong>bei</strong>t <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Datenerhebung von Lukas Engelmeier, Esra Nurgenç,<br />

Rafaela Rau.<br />

❚ IBA Hamburg: IBA-Programm ›Lokale Ökonomie‹.<br />

❚ Jung, Martin/Unterberg, Michael/Bendig,<br />

Mirko/Seidl-Bowe, Britta (2011): Unternehmensgründungen<br />

von Migranten und Migrantinnen.<br />

Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für<br />

Wirtschaft und Technologie (BMWi), Juli 2011.<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmigranten, Flüchtlinge und<br />

<strong>Aus</strong>siedler auf dem Bremer Ar<strong>bei</strong>tsmarkt –<br />

ein Streifzug durch Betriebe,<br />

Verwaltungen und Beratungsstellen<br />

Manchmal gehört ein magischer Moment dazu,<br />

den Mut für eine Entscheidung zu fassen, die dem<br />

Leben eine neue Richtung gibt. Da beobachtet <strong>der</strong><br />

19-jährige Abiturient Nermin Sali während einer<br />

Abiklausur, wie seine Lehrerin die Prüfungsaufgaben<br />

nicht einfach auf den Tisch knallt und die<br />

Schüler ihrem Schicksal überlässt – er sieht, wie<br />

sie sich in den Stress und die Angst <strong>der</strong> Schüler<br />

hineinversetzt, geradezu mitleidet und versucht,<br />

ihnen die Situation emotional zu erleichtern.<br />

›Da wurde mir das Menschliche klar, das ein<br />

Lehrer ja in sich tragen muss, die Fähigkeit zur<br />

Empathie. Das war das erste Mal, dass ich überhaupt<br />

daran dachte, Lehrer werden zu können‹,<br />

erzählt <strong>der</strong> heutige Lehrer Nermin Sali. ›Vorher hätte<br />

ich jeden ausgelacht, <strong>der</strong> mir gesagt hätte, dass<br />

das möglich ist. Selbst Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen,<br />

die hier geboren sind und sich als Deutsche fühlen,<br />

weil sie perfekt Deutsch sprechen und die Kultur<br />

kennen, fehlt oft <strong>der</strong> Mut, sich hinzustellen und zu<br />

sagen: Ich kann so etwas erreichen, wie einen<br />

akademischen Grad, einen verantwortungsvollen<br />

Beruf. Ich muss nicht am Fließband stehen.‹<br />

Diese Selbstzweifel werden in <strong>der</strong> Regel nicht<br />

aus den Herkunftskulturen mitgebracht, son<strong>der</strong>n<br />

entstehen in <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>einan<strong>der</strong>setzung mit den Institutionen<br />

hierzulande. Auch diesen Wirkungszusammenhang<br />

bringt Nermin Sali auf den Punkt.<br />

›Die Gesellschaft transportiert ein Bild, dass Menschen<br />

mit Migrationshintergrund etwas Beson<strong>der</strong>es<br />

leisten müssen, um anerkannt zu werden. Diese<br />

Message kommt <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n an, die bildungsfern<br />

aufwachsen. Wenn man das im Elternhaus<br />

hört und von den Medien transportiert bekommt<br />

und dann in <strong>der</strong> Schule noch mit offener o<strong>der</strong><br />

verdeckter Diskriminierung konfrontiert ist, ist es<br />

für eine Kin<strong>der</strong>seele programmiert, dass die<br />

Selbsteinschätzung nicht hinhaut.‹<br />

Neben dieser Produktion eines Unterlegenheitsgefühls<br />

gibt es weiterhin Faktoren, die ohne Umwege<br />

auf die Bildungs- und Erwerbsbiografien von<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmerinnen und Ar<strong>bei</strong>tnehmern mit<br />

Migrationshintergrund einwirken: diskriminierende<br />

Einstellungs- beziehungsweise Beför<strong>der</strong>ungspraxen,<br />

vorenthaltene Sprachkurse o<strong>der</strong>, wie <strong>bei</strong><br />

RALF LORENZEN<br />

Soziologe, freier Journalist<br />

Flüchtlingen, gesetzliche Vorschriften, die das<br />

Ar<strong>bei</strong>ten gleich ganz verbieten. Dazu kommen<br />

Faktoren, die nichts mit <strong>der</strong> ethnischen Herkunft<br />

zu tun haben, aber trotzdem die Stellung auf<br />

dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt beeinflussen, wie die soziale<br />

Herkunft, das Geschlecht o<strong>der</strong> die Situation einer<br />

alleinerziehenden Mutter.<br />

Dieser Bericht kann es nicht leisten, die Faktoren<br />

in ihrem Zusammenspiel genau zu analysieren<br />

o<strong>der</strong> ein in irgendeiner Weise repräsentatives Bild<br />

<strong>der</strong> Situation von Migrantinnen und Migranten<br />

auf dem Bremer Ar<strong>bei</strong>tsmarkt zu vermitteln. Aber<br />

die elf Interviews geben Einblicke in Lebensgeschichten,<br />

die sich beständig mit diesen Faktoren<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen und die erlebten Hürden sichtbar<br />

machen.<br />

Die Interviews haben nicht nur einseitig nach<br />

Benachteiligungen gesucht, son<strong>der</strong>n auch nach<br />

Faktoren, die eine Integration auf dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt<br />

beför<strong>der</strong>t haben o<strong>der</strong> nach Ansätzen, solche<br />

Prozesse künftig bewusster zu initiieren. Da<strong>bei</strong><br />

wird zum Beispiel deutlich, wie wichtig es für die<br />

zweite Generation türkischer Ar<strong>bei</strong>tsmigranten<br />

war, dass Bremer Großbetriebe Ende <strong>der</strong> 1970er-<br />

Jahre in großem Stil ungelernte Ar<strong>bei</strong>tskräfte eingestellt<br />

haben. Und wie wichtig es für die dritte<br />

Generation sein könnte, dass zumindest im öffentlichen<br />

Dienst die allerorts kursierenden ›Diversity‹-<br />

Sprechblasen ernst genommen werden und Ar<strong>bei</strong>tsuchende<br />

mit Migrationshintergrund bevorzugt<br />

eingestellt werden.<br />

Die Interviewpartner dieses Berichts wurden<br />

relativ zufällig ausgewählt. Die <strong>Aus</strong>wahl sollte<br />

lediglich gewährleisten, möglichst viele unterschiedliche<br />

Lebenslagen in den Blick zu bekommen.<br />

Dazu gehören auch jene Biografien, die<br />

gemeinhin als Erfolgsgeschichten bezeichnet werden.<br />

Diese Geschichten machen beson<strong>der</strong>s deutlich,<br />

wie falsch und verzerrend die übliche Konnotation<br />

Migration=Defizit ist. An<strong>der</strong>erseits lässt sich gerade<br />

an ihnen beson<strong>der</strong>s gut ablesen, welche Faktoren<br />

nötig sind, damit <strong>der</strong> Migrationshintergrund keine<br />

Rolle spielt und sich sowohl im Selbstbild als auch<br />

in <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en irgendwann<br />

verflüchtigt.

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