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Klausur im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene - CF Müller Campus

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Prof. Dr. Arndt<br />

Universität Mannhe<strong>im</strong><br />

<strong>Klausur</strong> <strong>im</strong> <strong>Öffentlichen</strong> <strong>Recht</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Fortgeschrittene</strong><br />

Musterlösung<br />

Aufgabe 1:<br />

Die Frage lautet, ob die S-Partei und die G-Partei <strong>für</strong> ihre Reform auf die Beteiligung<br />

der F-Partei angewiesen sind. Damit sind in Aufgabe 1 allein formale Fragen des<br />

Gesetzgebungsverfahrens zu erörtern, nicht hingegen die materielle <strong>Recht</strong>mäßigkeit<br />

oder aber eine - <strong>im</strong> übrigen unproblematische - Zuständigkeit des Bundes (Art. 73 Nr.<br />

2 GG). Das Initiativrecht steht der Bundesregierung - ohne daß sie auf die F-Partei<br />

angewiesen wäre - zu (Art. 76 Abs. 1 GG), wobei die Regierung ihre Vorlage aber<br />

zunächst dem Bundesrat zuzuleiten hat (Art. 76 Abs. 2 S. 1 GG). Ebenfalls ohne<br />

Beteiligung der F-Partei kann die Beschlußfassung <strong>im</strong> Bundestag erfolgen, da S-<br />

Partei und G-Partei hier über die erforderliche Mehrheit verfügen. Für die<br />

Beschlußfassung des Gesetzes genügt die einfache Mehrheit (Art. 42 Abs. 2 S. 1<br />

GG), die die S-Partei und die G-Partei problemlos herbeiführen können, da sie über<br />

die Mehrheit der Mitglieder verfügen.<br />

Das Problem ist jedoch die Beschlußfassung <strong>im</strong> Bundesrat. Hier stellt sich die Frage,<br />

in welcher Form der Bundesrat an der Gesetzgebung zu beteiligen ist und ob C-<br />

Partei und F-Partei demgemäß die Verabschiedung des Gesetzes verhindern<br />

können bzw. ob S-Partei und G-Partei zumindest die F-Partei <strong>für</strong> ihre Reform<br />

benötigen.<br />

© C. F. <strong>Müller</strong> Verlag <strong>Klausur</strong> <strong>im</strong> <strong>Öffentlichen</strong> <strong>Recht</strong> <strong>für</strong> <strong>Fortgeschrittene</strong>, Nr. 2


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I. Die Beteiligungsform des Bundesrates<br />

Das Grundgesetz unterscheidet zwischen Einspruchs- und Zust<strong>im</strong>mungsgesetzen.<br />

Ob es sich um ein Zust<strong>im</strong>mungs- oder ein Einspruchsgesetz handelt, bemißt sich<br />

nach dem GG. Dabei ist der Regelfall das Vorliegen eines Einspruchsgesetzes. D.h.:<br />

Ein Zust<strong>im</strong>mungsgesetz liegt nur vor, wenn das GG dies ausdrücklich vorschreibt;<br />

die Fälle der Zust<strong>im</strong>mungsbedürftigkeit sind <strong>im</strong> GG enumerativ aufgeführt. Die Frage<br />

nach der Beteiligungsform ist aus folgenden Gründen entscheidungsrelevant:<br />

• Zust<strong>im</strong>mungsgesetze kommen nur zustande, wenn der Bundesrat ausdrücklich<br />

zust<strong>im</strong>mt. Gem. Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG faßt der Bundesrat seine Beschlüsse mit<br />

mindestens der Mehrheit seiner St<strong>im</strong>men. Sollte es sich bei dem Gesetz zur<br />

Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts um ein Zust<strong>im</strong>mungsgesetz<br />

handeln, wäre <strong>für</strong> die Beschlußfassung über die Zust<strong>im</strong>mung eine<br />

St<strong>im</strong>menmehrheit <strong>im</strong> Bundesrat erforderlich. Eine Mehrheit von S-Partei und G-<br />

Partei <strong>im</strong> Bundesrat ist zumindest problematisch, wenn nicht sogar<br />

ausgeschlossen.<br />

• Bei Einspruchsgesetzen hingegen hat der Bundesrat (lediglich) die Möglichkeit,<br />

Einspruch gegen den Gesetzesbeschluß einzulegen. Der Bundestag hat dann<br />

jedoch die Befugnis, den Einspruch zurückzuweisen und somit ein Gesetz auch<br />

gegen den Willen des Bundesrates durchzubringen. Für die Befugnis des<br />

Bundestages, den Einspruch zurückzuweisen, ist nach Art. 77 Abs. 4 GG<br />

maßgeblich, mit welcher Mehrheit der Bundesrat den Einspruch beschlossen hat.<br />

Im Fall der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts könnten C-Partei und F-Partei<br />

allenfalls mit einfacher Mehrheit den Einspruch beschließen; näher liegt - wegen<br />

der politischen Konstellation <strong>im</strong> Bundesland B - sogar, daß C-Partei und F-Partei<br />

nicht einmal dies können. Da S-Partei und G-Partei <strong>im</strong> Bundestag über die<br />

Mehrheit der Mitglieder verfügen, könnten sie den Einspruch zurückweisen. Damit<br />

gilt: Sollte es sich bei dem Gesetz zur Novellierung der Staatsangehörigkeit um<br />

ein Einspruchsgesetz handeln, wären S-Partei und G-Partei nicht zwingend auf<br />

die F-Partei angewiesen.<br />

Es gilt damit zu klären, ob es sich bei dem Gesetzentwurf von S-Partei und G-Partei<br />

(bzw. der Bundesregierung) um ein Zust<strong>im</strong>mungsgesetz oder um ein<br />

Einspruchsgesetz handelt. Hier ist zu beachten, daß das Bundesgesetz auch<br />

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besondere Verfahrensvorschriften (Antragserfordernisse, Form- und<br />

Fristvorschriften) enthalten soll. Damit folgt eine Zust<strong>im</strong>mungsbedürftigkeit des<br />

Gesetzes aus Art. 84 Abs. 1 GG. Denn das Verwaltungsverfahren fällt in die<br />

Landeszuständigkeit, soweit nicht Bundesgesetze mit Zust<strong>im</strong>mung des Bundesrates<br />

etwas anderes best<strong>im</strong>men. Damit handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um ein<br />

Zust<strong>im</strong>mungsgesetz.<br />

Nach der <strong>Recht</strong>sprechung des BVerfG unzulässig wäre die Argumentation, daß<br />

allein die Verfahrensbest<strong>im</strong>mungen zust<strong>im</strong>mungsbedürftig sind und das materielle<br />

Konzept des Gesetzes hiervon ggf. unberührt bleibt. Denn nach Ansicht des BVerfG<br />

verwendet Art. 78 GG den Begriff des Gesetzes i.S. einer<br />

gesetzgebungstechnischen Einheit. Das hat zur Folge: Wenn nur eine einzige<br />

Regelung innerhalb eines Gesetzes zust<strong>im</strong>mungsbedürftig ist, ist das Gesetz<br />

insgesamt zust<strong>im</strong>mungsbedürftig.<br />

Anmerkung: Durch den Sachverhalt nicht angedeutet wird die Variante, daß die<br />

Regierung ihren Entwurf ggf. in einen zust<strong>im</strong>mungsbedürftigen und einen nicht<br />

zust<strong>im</strong>mungsbedürftigen Teil aufspalten könnte, um so das Mitwirkungsrecht des<br />

Bundesrates einzuschränken. Das BVerfG hält ein solches Vorgehen - unter<br />

Betonung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers - <strong>für</strong> prinzipiell zulässig. Daß der<br />

Bearbeiter auf diese Problematik eingeht, wird nicht erwartet.<br />

Zwischenergebnis: Der Gesetzentwurf zur Novellierung des<br />

Staatsangehörigkeitsrechts ist zust<strong>im</strong>mungsbedürftig.<br />

II. Die Beschlußfassung <strong>im</strong> Bundesrat<br />

Die Zust<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Bundesrat zu dem Gesetzentwurf zur Novellierung des<br />

Staatsangehörigkeitsrechts setzt einen Mehrheitsbeschluß <strong>im</strong> Bundesrat voraus (Art.<br />

52 Abs. 3 S. 1 GG). Für die Abst<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Bundesrat stehen jedem Bundesland<br />

eine best<strong>im</strong>mte Anzahl an St<strong>im</strong>men zu; der Schlüssel ist in Art. 52 Abs. 2 GG<br />

niedergelegt.<br />

Laut Sachverhalt fehlen den von der S-Partei und der G-Partei regierten<br />

Bundesländern zwei St<strong>im</strong>men <strong>für</strong> die Mehrheit <strong>im</strong> Bundesrat. Die Frage ist nun, ob<br />

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sie sich auch die St<strong>im</strong>men des Bundeslandes B zu Nutze machen können, das von<br />

einer Koalition aus S-Partei und F-Partei regiert wird. Insoweit gilt zunächst, daß S-<br />

Partei und F-Partei ihre Bundesratsst<strong>im</strong>men nicht „splitten“ können. Denn gem. Art.<br />

51 Abs. 3 S. 2 GG können die St<strong>im</strong>men eines Landes nur einheitlich abgegeben<br />

werden.<br />

Daß sich die S-Partei alle fünf St<strong>im</strong>men des Bundeslandes dadurch sichert, daß sie<br />

in der Landesregierung einen ihr genehmen Beschluß fassen läßt, steht <strong>im</strong><br />

Widerspruch zum geltenden Koalitionsvertrag, an den sich die S-Partei gebunden<br />

sieht. Der Koalitionsvertrag sieht <strong>für</strong> den Fall unterschiedlicher<br />

Abst<strong>im</strong>mungspositionen eine Enthaltung <strong>im</strong> Bundesrat vor. Die Frage ist damit<br />

letztlich, wie eine Enthaltung des Bundeslandes B <strong>im</strong> Bundesrat zu werten ist.<br />

Insoweit ist von Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG auszugehen, nach dem eine Mehrheit der<br />

St<strong>im</strong>men erforderlich ist. Maßgeblicher Bezugspunkt ist dabei die<br />

Gesamtst<strong>im</strong>menzahl <strong>im</strong> Bundesrat, so daß Enthaltungen praktisch als Nein-St<strong>im</strong>men<br />

zählen. Damit erlangen S-Partei und G-Partei durch eine Enthaltung der Regierung<br />

von B auch keinen Vorteil.<br />

Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß allein die von S-Partei und G-Partei geführten<br />

Bundesländer keine positive Zust<strong>im</strong>mung zum Gesetzentwurf <strong>im</strong> Bundesrat<br />

erreichen können. Sie sind vielmehr auf die Mitwirkung der St<strong>im</strong>men des<br />

Bundeslandes B angewiesen. Aus diesem Grund haben S-Partei und G-Partei ihr<br />

Konzept zur Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts mit der F-Partei<br />

abzust<strong>im</strong>men.<br />

Anmerkung: Auf das Problem der <strong>Recht</strong>snatur des Koalitionsvertrages war nicht<br />

einzugehen, da die S-Partei den Koalitionsvertrag - laut Sachverhalt - nicht in Frage<br />

stellen will.<br />

Aufgabe 2:<br />

I. In der ersten Fallalternative der Aufgabe 2 wird K als Vertreter der<br />

Landesregierung von B mit der Weisung in den Bundesrat entsandt, sich in der<br />

Bundesratssitzung der St<strong>im</strong>me zu enthalten. Gleichwohl st<strong>im</strong>mt K <strong>für</strong> den<br />

Gesetzentwurf der Bundesregierung. Sollte dies in der Abst<strong>im</strong>mung als fünf Ja-<br />

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St<strong>im</strong>men des Bundeslandes B zu werten sein, wäre von einer Zust<strong>im</strong>mung seitens<br />

des Bundesrates auszugehen. Allerdings ist fraglich, ob diese Sichtweise zutreffend<br />

ist. Dies gilt es <strong>im</strong> folgenden näher zu diskutieren.<br />

Erstens ist festzustellen, daß es keinen rechtlichen Bedenken unterliegt, wenn der<br />

Minister K als Vertreter der Landesregierung von B in den Bundesrat entsandt wird,<br />

um dort das Gesamtst<strong>im</strong>mrecht <strong>für</strong> B auszuüben. Die rechtliche Zulässigkeit dieser<br />

Praxis folgt aus Art. 51 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 51 Abs. 3 GG.<br />

Zweitens ist zu überlegen, ob der Landesregierung überhaupt ein Weisungsrecht<br />

gegenüber dem von ihm entsandten Vertreter zusteht. Wenn dies nicht der Fall wäre,<br />

ließen sich gegen das St<strong>im</strong>mverhalten ohnehin keine rechtlichen Bedenken<br />

vorbringen; und <strong>für</strong> das Bundesland B wäre von fünf Ja-St<strong>im</strong>men auszugehen.<br />

Allerdings ist die Weisungsgebundenheit der in den Bundesrat entsandten Vertreter<br />

allgemein anerkannt. Hier<strong>für</strong> sprechen in der Tat gewichtige Argumente: Es gibt in<br />

den Art. 50 ff. GG keine dem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG vergleichbare Vorschrift; die<br />

Einheitlichkeit der St<strong>im</strong>mabgabe (vgl. Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG) läßt sich nur über ein<br />

Weisungsrecht der Landesregierung verwirklichen; es besteht eine Abhängigkeit von<br />

der Landesregierung gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG; und schließlich spricht auch der<br />

Umkehrschluß aus Art. 77 Abs. 2 S. 3 GG und Art. 53a Abs. 1 S. 3 GG <strong>für</strong> die<br />

Weisungsgebundenheit, da dort ausnahmsweise eine Freistellung von Weisungen<br />

erfolgt.<br />

Drittens ist - ausgehend von einer bestehenden Weisungsgebundenheit - zu fragen,<br />

welche <strong>Recht</strong>sfolgen eintreten, wenn der von der Landesregierung entsandte<br />

Vertreter gegen eine Weisung verstößt. Zu erwägen ist, ob dies ggf. die Ungültigkeit<br />

der St<strong>im</strong>mabgabe nach sich zieht. Dies ist jedoch zu verneinen, da die Weisung nur<br />

das Innenverhältnis zwischen Regierung und Minister betrifft. Im Außenverhältnis<br />

hingegen ist der Vertreter frei, wie er abst<strong>im</strong>mt. Das bedeutet: Die Gültigkeit einer<br />

St<strong>im</strong>mabgabe hängt nicht davon ab, welches Abst<strong>im</strong>mungsverhalten eine Regierung<br />

von dem Vertreter erwartet. Dies führt hier zu dem Ergebnis, daß von fünf gültigen<br />

Ja-St<strong>im</strong>men des Bundeslandes B auszugehen ist. Damit ist <strong>im</strong> Bundesrat eine<br />

Mehrheit <strong>für</strong> den Gesetzentwurf festzustellen.<br />

II. In der zweiten Fallalternative der Aufgabe 2 stellt sich das Problem einer<br />

uneinheitlichen St<strong>im</strong>mabgabe <strong>im</strong> Bundesrat seitens eines Bundeslandes. Dies stellt<br />

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sich als einen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG dar. Umstritten ist, wie dieser<br />

Verstoß rechtlich zu bewerten ist. Unstrittig ist freilich, daß die Mißachtung des Art.<br />

51 Abs. 3 S. 2 GG nicht sanktionslos bleiben kann.<br />

Mitunter wird vertreten, daß bei einer uneinheitlichen St<strong>im</strong>mabgabe die St<strong>im</strong>me des<br />

St<strong>im</strong>mführers (hier: des Ministerpräsidenten) maßgeblich sei. Dann wäre hier <strong>für</strong> das<br />

Bundesland B von fünf St<strong>im</strong>menthaltungen auszugehen. Allerdings finden sich <strong>für</strong><br />

diese Sichtweise - alleiniges Abstellen auf den Ministerpräsidenten - <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

keine Anhaltspunkte. Ebenso abzulehnen ist die Ansicht, bei einer uneinheitlichen<br />

St<strong>im</strong>mabgabe eines Bundeslandes die gesamte Abst<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Bundesrat <strong>für</strong><br />

ungültig zu erklären. Denn dies hätte die Konsequenz, daß ein Bundesland den<br />

gesamten Abst<strong>im</strong>mungsprozeß <strong>im</strong> Bundesrat blockieren könnte. Vorzugswürdig<br />

erscheint damit der Ansatz der wohl h.M., daß die Uneinheitlichkeit zur Ungültigkeit<br />

aller St<strong>im</strong>men des betreffenden Bundeslandes führt. Legt man die h.M. zugrunde,<br />

gelangt man - <strong>im</strong> vorliegenden Fall - zu keiner Zust<strong>im</strong>mung des Bundesrates.<br />

Aufgabe 3:<br />

Als Verfahren vor dem BVerfG kommt allein eine abstrakte Normenkontrolle gem.<br />

Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG in Betracht. Eine<br />

Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) scheidet hingegen aus, da<br />

keine Verletzung eigener Grundrechte <strong>im</strong> Raum steht. Und auch ein Bund-Länder-<br />

Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) kommt nicht in Betracht, da es nicht um die<br />

Verletzung von <strong>Recht</strong>en der Länder geht.<br />

I. Zulässigkeit der abstakten Normenkontrolle gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§<br />

13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG<br />

1. Antragsberechtigung<br />

• Die C-Partei stellt kein Drittel der Mitglieder des Bundestages. Die der C-Partei<br />

angehörigen Mitglieder des Bundestages können daher nicht <strong>im</strong> Wege einer<br />

abstrakten Normenkontrolle vorgehen.<br />

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• Um einen zulässigen Antragsteller handelt es sich jedoch bei der<br />

Landesregierung von A.<br />

2. Antragsgegenstand<br />

• Es geht um die Vereinbarkeit eines formellen Bundesgesetzes mit dem<br />

Grundgesetz. Es handelt sich damit um einen zulässigen Antragsgegenstand.<br />

3. Antragsgrund<br />

• Während Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel<br />

genügen läßt, ist nach § 76 Nr. 1 BVerfGG erforderlich, daß das gerügte <strong>Recht</strong> <strong>für</strong><br />

nichtig gehalten wird. Ob § 76 BVerfGG noch eine zulässige Konkretisierung des<br />

Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG darstellt, ist umstritten. Hier lassen sich beide Sichtweisen<br />

vertreten: Während in der Literatur zumeist von einer Unvereinbarkeit des § 76<br />

BVerfGG mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ausgegangen wird, geht das BVerfG (vgl.<br />

BVerfG, NJW 1998, 589) wohl von einer noch zulässigen einfachgesetzlichen<br />

Konkretisierung aus.<br />

• Unabhängig davon, wie man die Streitigfrage entscheidet ist zu beachten, daß die<br />

Landesregierung selbst die Verfassungsmäßigkeit nicht anzweifelt. Dies ist nach<br />

dem Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG auch nicht zwingend erforderlich. Es<br />

genügt, daß diese Zweifel überhaupt bestehen. Hier wurde von der Opposition in<br />

ernstzunehmender Weise die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz gerügt. Dies<br />

wird man als Antragsgrund genügen lassen müssen (a.A. vertretbar).<br />

4. Klarstellungsinteresse<br />

• Ein objektives Klarstellungsinteresse genügt, was ab Inkrafttreten der Norm<br />

unproblematisch ist.<br />

5. Ordnungsgemäßer Antrag, § 23 BVerfGG<br />

• Die Erfüllung der Formalien kann als gegeben unterstellt werden. Dies betrifft die<br />

Schriftform, bei der Einreichung besteht kein Fristerfordernis.<br />

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II. Begründetheit<br />

Das BVerfG prüft die angegriffene Norm umfassend am GG. Hier kommt allein ein<br />

Verstoß gegen Art. 16 GG in Betracht. In formeller Hinsicht ist das Gesetz<br />

verfassungsgemäß: Der Bund ist gem. Art. 73 Nr. 2 GG ausschließlich zuständig,<br />

das Gesetzgebungsverfahren ist ordnungsgemäß verlaufen.<br />

Nicht einfach zu beurteilen ist, ob ein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG vorliegt.<br />

Hier hat der Bearbeiter - der regelmäßig keine nähere Kenntnis von dem<br />

angesprochenen GG-Artikel hat - mögliche Sichtweisen zu entwickeln und<br />

darzustellen. Hier<strong>für</strong> gibt der Sachverhalt den wichtigen Hinweis, daß Art. 16 Abs. 1<br />

S. 1 GG vorbehaltlos gegen die Entziehung der Staatsangehörigkeit schützt. Das<br />

bedeutet, daß jeder Entzug gleichsam einen nicht zu rechtfertigenden und damit<br />

verfassungswidrigen Eingriff darstellt. Demgegenüber steht der Verlust gem. Art. 16<br />

Abs. 1 S. 2 GG unter einem Gesetzesvorbehalt. Satz 1 ist lex specialis gegenüber<br />

Satz 2.<br />

Unter einem Entzug läßt sich jede staatliche Maßnahme verstehen, die jemandem<br />

ohne oder gegen seinen Willen seine deutsche Staatsangehörigkeit wegn<strong>im</strong>mt. Auf<br />

der Grundlage dieser Definition läßt sich argumentieren: Wenn ein Doppelstaatler <strong>im</strong><br />

Alter von 23 Jahren die ausländische Staatsangehörigkeit wählt, muß er seine<br />

deutsche Staatsangehörigkeit abgeben. Dies auch dann, wenn er die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit neben der ausländischen eigentlich behalten möchte. Dies sei<br />

eine gegen den Willen erfolgende Wegnahme der Staatsangehörigkeit und damit ein<br />

Entzug i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG.<br />

Dagegen ergänzt die h.M. (vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 16. Aufl., Rdnr. 964)<br />

den Tatbestand des Satzes 1 - um ihn deutlicher vom Tatbestand des Satzes 2 zu<br />

unterscheiden - um das Merkmal der Unvermeidbarkeit. Nur unvermeidbare<br />

Verlusttatbestände sollen Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG unterfallen. Z.B. sei der gegen den<br />

Willen erfolgende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer<br />

ausländischen Staatsangehörigkeit vermeidbar, die Entziehung durch Ausbürgerung<br />

und Aberkennung der Staatsangehörigkeit dagegen unvermeidbar, da sie erfolge,<br />

„ohne auf den Willen oder das Verhalten des Betroffenen in irgendeiner Weise<br />

Rücksicht zu nehmen“. Legt man das Kriterium der Unvermeidbarkeit zugrunde, wird<br />

man einen Entzug i.S.v. Art. 16 GG wohl eher abzulehnen haben: Der Doppelstaatler<br />

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kann den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vermeiden, indem er sich mit 23<br />

Jahren <strong>für</strong> diese entscheidet. Die Entscheidung <strong>für</strong> oder gegen die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit liegt damit <strong>im</strong> Willensbereich des Einzelnen.<br />

Im Ergebnis lassen sich sicher beide Argumentationslinien vertreten, wobei m.E. die<br />

Ablehnung eines Entzugs überzeugender erscheint; mit der Folge, daß die abstrakte<br />

Normenkontrolle unbegründet ist.<br />

III. Einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG<br />

Da sich die C-Partei eine möglichst baldige Befassung des BVerfG mit dem Fall<br />

wünscht, ist auch der vorläufige <strong>Recht</strong>schutz zu diskutieren. Nach § 32 BVerfGG<br />

kann das BVerfG bei jeder Verfahrensart eine einstweilige Anordnung erlassen. Eine<br />

einstweilige Anordnung ist das Mittel, die künftige Entscheidung des BVerfG zu<br />

sichern. Sie kann daher nur ergehen, wenn die Gefahr besteht, daß vor Erlaß der<br />

Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache vollendete Tatsachen geschaffen<br />

werden, die es dringend geboten erscheinen lassen, zur Abwehr schwerer Nachteile<br />

oder aus einem anderen wichtigen Grund das Streitverhältnis einstweilen zu ordnen.<br />

Vor Erlaß einer einstweiligen Anordnung n<strong>im</strong>mt das BVerfG eine Abwägung vor.<br />

Dabei sind auf der einen Seite die Nachteile einzustellen, die eintreten würden, wenn<br />

eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Hoheitsakt später aber aufgehoben<br />

würde. Auf der anderen Seite sind die Folgen zu beachten, die entstünden, wenn die<br />

begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Hauptsacheverfahren aber<br />

erfolglos bliebe. Auch die Erfolgsaussichten eines Verfahrens in der Hauptsache<br />

können von Bedeutung sein, was insbesondere dann gilt, wenn der Antrag zum<br />

Bundesverfassungsgericht offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet<br />

wäre.<br />

Der abstrakte Normenkontrollantrag der Landesregierung von A ist weder<br />

offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Hinzu kommt, daß die<br />

Ablehnung einer einstweiligen Anordnung zu der Verleihung von doppelten<br />

Staatsangehörigkeiten führen würde, was es nach einer Nichtigerklärung des<br />

Gesetzes nicht mehr geben würde. Gerade <strong>im</strong> Bereich der Begründung von<br />

Statusrechten erscheint ein vorläufiges Inkrafttreten von umstrittenen Regelwerken<br />

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nicht unbedenklich. Daher wäre hier der Erlaß einer einstweiligen Anordnung, die<br />

das Wirksamwerden des Gesetzes verhindert, durchaus zu erwägen.<br />

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