Der »Atomismusstreit« in der Zeitschrift DIE DREI 1922/23
Der »Atomismusstreit« in der Zeitschrift DIE DREI 1922/23
Der »Atomismusstreit« in der Zeitschrift DIE DREI 1922/23
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
www.diedrei.org<br />
<br />
br<strong>in</strong>genden Forschen notwendig«. Ihre Berechtigung verlören<br />
sie, wenn sie wie »die Vorstellungen über Atomistik, Molekularismus«<br />
etwas annehmen, was ȟberhaupt niemals wahrgenommen<br />
werden« kann. 7 »Die atomistische Hypothese ist e<strong>in</strong>e völlig<br />
unbegründete, wenn sie nicht bloß als e<strong>in</strong> Hilfsmittel des abstrahierenden<br />
Verstandes, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong>e Aussage über wirkliche,<br />
außerhalb <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dungsqualitäten liegende wirkliche Wesen<br />
gedacht werden soll.« 8 – Ste<strong>in</strong>ers Begriff von berechtigten bzw.<br />
unberechtigten Hypothesen zielt damit auf an<strong>der</strong>es als den von<br />
Rabel angeführten Grad experimenteller Bestätigung.<br />
Rabel erlebt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anthroposophischen Gesellschaft e<strong>in</strong>er<br />
antiatomistischen Haltung gegenüber, <strong>der</strong>en argumentativer<br />
Boden ihr nicht greifbar wird, ja, e<strong>in</strong>em »fanatischen Kampf<br />
<strong>der</strong> Anthroposophie gegen die Atomlehre«. 9 Nur Rudolf Ste<strong>in</strong>er,<br />
zum<strong>in</strong>dest dessen Spätwerk, nimmt sie davon aus. Tatsächlich<br />
schreibt Theberath, als bestünde e<strong>in</strong> unausgesprochener antiatomistischer<br />
Konsens. Rabel wun<strong>der</strong>t sich dagegen, dass die<br />
Atomhypothese allen wissenschaftlichen Belegen zum Trotz als<br />
unberechtigt und weltanschaulich begründet angesehen wird.<br />
Sie bittet »die Gegenseite [...] zuerst e<strong>in</strong>mal diese e<strong>in</strong>e Frage klar<br />
und scharf zu beantworten, ob sie die physikalische Atomtheorie<br />
anerkennt o<strong>der</strong> bestreitet. [...] gibt es Atome o<strong>der</strong> gibt es sie<br />
nicht?« 10 – Experimente stehen hier gegen philosophische Grundfragen,<br />
ohne die Wissenschaft an ungeklärte Voraussetzungen<br />
gebunden und damit Weltanschauung bliebe. 11 Verständigung<br />
sche<strong>in</strong>t daher kaum möglich, zumal sich die Erkenntnisziele<br />
fundamental unterscheiden. So sieht Theberath die Aufgabe von<br />
Wissenschaft dar<strong>in</strong>, »die erklärenden Pr<strong>in</strong>zipien […] <strong>in</strong> Ideen«<br />
zu suchen, nicht »<strong>in</strong> erdachten materiellen Teilchen o<strong>der</strong> Vorgängen«,<br />
aus denen die Ersche<strong>in</strong>ungen im S<strong>in</strong>ne mechanikartiger<br />
Verursachung abgeleitet werden, 12 die tatsächlich aber »vor die<br />
gesuchten Ideen den Schleier ihrer mechanischen Vorstellungen«<br />
zögen und »statt Erkenntnissen Bil<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen Mythologie<br />
<strong>der</strong> Naturersche<strong>in</strong>ungen« lieferten. 13<br />
Wirklichkeit o<strong>der</strong> Hypothese, experimentelle Wissenschaft o<strong>der</strong><br />
Philosophie, mechanische Erklärungen o<strong>der</strong> ideelle Zusammenhänge<br />
– die Positionen liegen weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Zwar gibt es<br />
e<strong>in</strong>e vor<strong>der</strong>gründige Sachebene, auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Annäherung vergleichsweise<br />
leicht möglich gewesen wäre. Das Gespräch litt jedoch<br />
von Beg<strong>in</strong>n an an Missverständnissen, Pauschalisierungen<br />
und möglicherweise auch unterschiedlich guter Sachkenntnis.<br />
Dass sich diese Mängel nicht haben ausräumen lassen, mag<br />
<br />
7 Vortrag Dornach 7.10.1920,<br />
<strong>in</strong>: Rudolf Ste<strong>in</strong>er: Physiologisch-Therapeutisches<br />
auf<br />
Grundlage <strong>der</strong> Geisteswissenschaft<br />
(GA 314), Dornach<br />
1989, S. 14 f. Ähnlich auch<br />
im Vortrag Zürich 4.6.1921,<br />
<strong>in</strong>: Rudolf Ste<strong>in</strong>er: Das Verhältnis<br />
<strong>der</strong> Anthroposophie<br />
zur Naturwissenschaft (GA<br />
75), Dornach 2010, S. 134 f.<br />
8 Rudolf Ste<strong>in</strong>er: Me<strong>in</strong> Lebensgang<br />
(19<strong>23</strong>-25; GA 28),<br />
Dornach 1982, S. 201.<br />
9 Gabriele Rabel: Über die<br />
Stellung <strong>der</strong> Anthroposophie<br />
zur Atomtheorie (Fortsetzung),<br />
<strong>in</strong>: <strong>DIE</strong> <strong>DREI</strong>, Jg. 2, H. 5<br />
(Aug. <strong>1922</strong>), S. 401-409.<br />
10 Rabel a.a.O. (Anm. 9).<br />
11 Hans Theberath: Erwi<strong>der</strong>ung<br />
auf vorstehenden Aufsatz<br />
Ȇber die Stellung <strong>der</strong><br />
Anthroposophie zur Atomtheorie«,<br />
<strong>in</strong>: <strong>DIE</strong> <strong>DREI</strong>, Jg. 1, H. 11<br />
(Feb. <strong>1922</strong>), S. 1114-1119.<br />
12 Theberath a.a.O. (Anm.<br />
11).<br />
13 Hans Theberath: Zur Diskussion<br />
über die Atomtheorie,<br />
<strong>in</strong>: <strong>DIE</strong> <strong>DREI</strong>, Jg. 2, H. 7/8<br />
(Okt./Nov. <strong>1922</strong>), S. 628-631.<br />
<br />
Pr<strong>in</strong>tausabe bestellen: www.diedrei.org/bestellung/e<strong>in</strong>zelheft/<strong>in</strong>dex.php