Nackt auf fremdem Land (Die Kinder auf dem Feld)

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Gt 08020 / p. 895 / 1.10.2007 Zusammenfassende Auslegung(Deutungshorizonte) Nackt auf fremdemLand EvThom 21,1-4 Eine erste Möglichkeit zur Deutung der Parabel knüpft an die in ihr sichtbare soziale Situation an. Die JüngerInnen werden als in jeder Hinsicht ohne Rechte und Status dargestellt: Sie sind Kinder, sie haben kein Anrecht auf den Ort, an dem sie sich befinden, sie sind sogar nackt und dadurch völlig ausgeliefert. In der Erzählung führen die Kinder diesen Zustand nicht selber herbei, aber versuchen ihn auch nicht abzuwenden. Es bleibt deshalb offen, ob ein erstrebenswertes Ideal oder einfach nur die Realität dargestellt wird oder vielleicht beides gemischt ist. Die Situation der Rechtlosigkeit lässt sich jedenfalls gut auf die soziale Situation der JüngerInnen im EvThom beziehen. Die JüngerInnen wandern ohne festen Wohnsitz (EvThom 42; 86), sie sind angewiesen auf Unterstützung von außen (EvThom 14) und sollen sich trotzdem nicht sorgen (EvThom 36). Sie sind faktisch fremd, arm und rechtlos, aber dies kann auch der eigene Anspruch und Absicht sein (Patterson 1993, 127 ff.). In den synoptischen Aussendungsreden ist diese Art der Existenz ein theologisches Programm (Lk 9,3; 10,3 f. par.). Die Parabel beschreibt eine solche Situation sehr viel allgemeiner und von einem konkreten Auftrag gelöst, das ganze Sein der JüngerInnen ist so bestimmt. Zu dieser Deutung passt auch 21,8 aus der Anwendung, der die Versorgung mit dem Notwendigen verheißt. Eigenes Bemühen ist nicht gefordert. Die Allgemeinheit der Erzählung durch die Vermischung von verschiedenen sozialen Hintergründen macht es aber auch leicht, die ganze Situation im übertragenen Sinne zu verstehen. Die JüngerInnen können sich, auch wenn sie vielleicht Häuser besitzen, trotzdem als grundsätzlich heimatlos verstehen. Die Parabel kann ihre Fremdheit in der Welt, ihr Nichteingebundensein in irdische Strukturen beschreiben. In dieser Deutung bekommt das eigentlich ganz passive Verhalten der Kinder eine aggressive Note: Sie haben nicht nur kein Recht auf das Land, auf dem sie sich aufhalten, sondern sie entblößen sich noch weiter aller Ansprüche. Ihre Nacktheit lehnt jeden Kompromiss ab – die Kinder verweigern sich jeder möglichen Verwicklung. Nacktheit als äußerster Statusverlust scheint hier gerade beabsichtigt. Mit dieser mehr existential-individuellen als sozialen Deutung lässt sich auch die erste Anwendung in EvThom 21,5–7 verbinden, obwohl die Aussage auf den ersten Blick völlig gegensätzlich erscheint. Hier ist die Identifikationsfigur für die Angesprochenen ein Hausherr, der ganz anders als die Kinder eigenen Besitz hat und diesen verteidigt. Während die Kinder nackt sind, mündet das zweite Bild in die Aufforderung sich zu umgürten. Die Kombination der beiden Verhaltensweisen lässt sich aber verstehen, wenn jeweils unterschiedliche Arten von Besitz gemeint sind (Uro 2003, 66). Bestimmte Dinge haben nicht den geringsten Wert für die JüngerInnen, sie haben keinen Bezug zu ihnen und sind ohne weiteres bereit, sie vollständig aufzugeben – wie die Kinder das Feld und ihre Kleidung. Aber anderes hat sehr großen Wert und sie sind willig und fähig dafür zu kämpfen – wie der Hausherr. In der Verbindung drückt sich also eine Ambivalenz zwischen Loslassen und Festhalten aus (G. M. Martin 1998, 97). Die Anwendung bietet im Aufruf zur Wachsamkeit gegenüber der Welt (21,6) auch einen Hinweis, wie die beiden Pole inhaltlich zu füllen sind. Die Welt gehört für den Hausherrn zum feindlichen Gegenüber und könnte dementsprechend für die Kinder das sein, was sie bereitwillig aufgeben. Zum Feld haben sie von Anfang an keinen Bezug, auch wenn es ihr Aufenthaltsort ist. In diesem Zusammenhang lässt sich die Nacktheit als 881
Gt 08020 / p. 896 / 1.10.2007 ParabelnimThomasevangelium Aufgeben der körperlichen Existenz interpretieren. Die JüngerInnen lassen irdische Leiblichkeit hinter sich, weil sie nicht zu ihrem allein wichtigen inneren Kern gehört. Diese Konstellation lässt sich vor dem Hintergrund von gnostischen Vorstellungen lesen, in denen ein himmlischer Teil im Menschen versehentlich in die Welt und in den Körper geraten ist und beides wieder verlassen will, aber klare Hinweise auf diesen speziellen Kontext enthält die Erzählung nicht. Auch in stoischer Philosophie wird Indifferenz und bereitwilliges Loslassen in manchen Bereichen gefordert, dazu gehört auch der Körper (Uro 2003, 68 f.). Die Parabel kann so ermutigen, die unwichtigen Dinge auch wirklich beiseitezulassen. Sie kann sogar eine tröstliche Deutung des Sterbens sein, das nicht schlimm ist, wenn die JüngerInnen in der Welt ohnehin nur zu Gast sind (G. M. Martin 1998, 96). Das Ablegen der Körper wird mitunter aber auch als Rückkehr in einen asexuellen Zustand vor dem Sündenfall verstanden, wozu die Bezeichnung als Kinder passt (DeConick/Fossum 1991, 134 f.; DeConick 2006b, 109; auch S. L. Davies 1983, 118 f.). Auch diese spezifische Sicht lässt sich aber an der Parabel selbst nicht untermauern und im folgenden Spruch EvThom 22 dient das Bild der Säuglinge eher zur Darstellung einer ungestörten Einheit mit Gott als zur Betonung der Aufhebung von sexueller Differenzierung (siehe Artikel zu EvThom 22). Die Parabel EvThom 21,1-4 bleibt offen für verschiedene Deutungen und vermeidet eindeutige Festlegungen. Judith Hartenstein Literatur zumWeiterlesen G. M. Martin, Das Thomas-Evangelium. Ein spiritueller Kommentar, Stuttgart 1998, 95-98. S. J. Patterson, The Gospel of Thomas and Jesus, Sonoma 1993. U.-K. Plisch, Das Thomasevangelium. Originaltext mit Kommentar, Stuttgart 2007 (im Erscheinen). R. Uro, Thomas. Seeking the Historical Context of the Gospel of Thomas, London u. a. 2003. 882
Seite 1 und 2: Gt 08020 / p. 892 / 1.10.2007 Nackt
Seite 3: Gt 08020 / p. 894 / 1.10.2007 Parab

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