Geisterstadt
Sabine von Breunigs Fotografien des Wünsdorfer Militärareals
Sabine von Breunigs Fotografien des Wünsdorfer Militärareals
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GEISTERSTADT<br />
<br />
des Wünsdorfer Militärareals<br />
In seiner »Bunkerarchäologie« spricht Paul Virilio<br />
von dem »zugleich inneren wie äußeren Gefühl von<br />
Vernichtung«, das die militärischen Anlagen des<br />
Westwalls aus dem Zweiten Weltkrieg ihm vermittelt<br />
haben. Und aus dem Gefühl, das seine Faszination<br />
begründete, entwickelte der Philosoph vor 20 Jahren<br />
eine ganze Kulturtheorie des modernen Krieges.<br />
Am Beispiel der steinernen Relikte in Wünsdorf<br />
hat noch niemand etwas Vergleichbares versucht.<br />
Anlass gäbe es genug. Nicht weniger als ein ganzes<br />
Jahrhundert ist hier zu besichtigen. Seit die Russen<br />
abgezogen sind, verfällt der Militärkomplex. Sabine<br />
von Breunig hat ihn in seiner eigenen Systematik<br />
<br />
Bilder entstanden, die uns durch Räume führen, von<br />
<br />
Distanzen aufheben und wie ein Schnitt durch die<br />
Zeit erscheinen – im Heute, von heute aus. Bilder<br />
eines transitorischen Prozesses, die Geschichte nicht<br />
zuerst zeigen, sondern ihren Gang visuell erfahrbar<br />
machen. Sie zeigen Vergangenes und sind doch reale<br />
Gegenwart. Man könnte meinen, sie folgten einem<br />
ausschließlich dokumentarischen Interesse. Doch sie<br />
<br />
<br />
Was wir sehen sind Wände und Decken, von<br />
denen die Ölfarben herabblättern, Treppenhäuser<br />
mit geschwungenen Geländern, Paneele aus widerwärtigen<br />
Kunststoffen, ein paar Wandbilder von infantiler<br />
Machart, vernagelte Fenster, geöffnete Türen,<br />
<br />
Mustern und immer wieder der Wildwuchs der<br />
Natur, der Raum greift in einer Stadt, die verlassen<br />
ist und doch voller Phantome zu sein scheint. Vier<br />
Regime haben an ihr gebaut. Begonnen unter Kaiser<br />
Wilhelm II., genutzt in der Weimarer Republik,<br />
exzessiv erweitert von den Nationalsozialisten und<br />
schließlich fast 50 Jahre lang Hauptquartier und<br />
vorgeschobener Posten der Sowjetarmee im Kalten<br />
<br />
päischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, von<br />
dem man sagt, es sei »das schreckliche« gewesen.<br />
Sabine von Breunig hat zwei Jahre lang in Wünsdorf<br />
<br />
Faulkners Satz unter Beweis stellen: »Die Vergangenheit<br />
ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen.«<br />
Seit 1994 sind die Russen weg, sie hinterließen<br />
einen vereinsamten steinernen Lenin und die Hinterlassenschaften<br />
ihres militärischen Daseins, jene<br />
Grusel erzeugende Mischung aus Ärmlichkeit und<br />
Großmachtgehabe, wie ästhetischer und materieller<br />
Brutalität, die noch immer emotional wie physisch<br />
spürbar ist.<br />
Der zentrale militärische Komplex von Wünsdorf<br />
ist heute eine Sperrzone, man braucht eine Genehmigung,<br />
um hineinzugelangen und wird begleitet von<br />
freundlichen Mitarbeitern eines privaten Wachdienstes,<br />
die in Autos patrouillieren, um Vandalen oder<br />
Abenteurer aufzuspüren. Bis vor nicht allzu langer<br />
Zeit fanden im Theater der Sowjet-Garnison Veranstaltungen<br />
statt. Heute lässt der Bauverfall das nicht<br />
<br />
einer »Fototour« teilnehmen mit kundiger Begleitung,<br />
Grillimbiss und bereitgestellter Nebelmaschine für<br />
»professionelle« Fotos aus der »geheimen Welt«. Zuweilen<br />
dient der Ort auch als Filmkulisse und es gibt<br />
verschiedene touristische Angebote für Führungen:<br />
zaghafte Versuche einer kommerziellen Nutzung.<br />
Denn diese »Zone« zu betreten, ist nicht wie in<br />
Tarkowskis »Stalker« mit Gefahr für das Leben<br />
verbunden, es waren keine Außerirdischen, die sie<br />
schufen, und es gibt auch kein Zimmer, in dem<br />
man die geheimsten Wünsche erfüllt bekommen<br />
soll. Und doch fällt dem Betrachter zuerst Andrej<br />
Tarkowskis Film von 1979 ein, diese großartige<br />
<br />
Zivilisation wie über die Verantwortung und das<br />
Hoffen. Doch ist das nur die eine Seite, die gleichsam<br />
4 ≥ 5
omantische, literarische. Was aber ist in der<br />
<br />
<br />
Hütern der »Erinnerungskultur«. Sie interessiert<br />
vor allem auch Sozial- und Wirtschaftspolitiker.<br />
<br />
Willen und erheblichen Fördermitteln versucht, die<br />
<br />
<br />
Man baute Kasernen zu Wohnungen um, siedelte<br />
Ämter an und Antiquariate in der sogenannten<br />
<br />
Wer reist mit den unberechenbaren Regionalzügen<br />
dorthin, um nach Büchern zu suchen, wo es in Berlin<br />
noble kleine Antiquariate mit ausgesuchten Sorti-<br />
<br />
<br />
<br />
als weitgehend gescheitert ansehen.<br />
Von Paul Cézanne stammt der berühmte Satz:<br />
»Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen<br />
will. Alles verschwindet.« Die Frage ist nur, wie<br />
<br />
ausgeschrieben. Die Erwartungen sind die üblichen:<br />
Seniorenresidenz, Wellness- oder Konferenzhotel,<br />
private internationale Wirtschaftsakademie und<br />
was dergleichen beliebte, geschichtsvergessene<br />
Umnutzungen ungeliebter Bauten mehr sein mögen.<br />
<br />
<br />
Gleichgültigkeit. Die Krise wird es wohl verhindern.<br />
<br />
der Verrottung anheim geben und in Ruhe zusehen,<br />
<br />
<br />
Geschichtsdenkmal, das man konservieren könnte,<br />
<br />
Wenn nichts geschieht, wird er in einigen Jahrzehnten<br />
überwuchert sein wie die Ruinen von Angkor<br />
Vat. Eine Unterabteilung im Museum Europa. Man<br />
meint, diesen Ort wie einen Palimpsest lesen zu<br />
können, auf dem sich historische Ebenen überlagern.<br />
Die Russen haben die letzte Schicht beschrieben und<br />
ein Monument hinterlassen, das nicht nur von den<br />
wechselnden Funktionen zwischen Kaiserzeit und<br />
Kaltem Krieg spricht, sondern auch von einer unvergleichlichen<br />
Verbindung von Architektur-, Sozial-,<br />
<br />
rung<br />
über die modernen Kriege dienen könnte, die<br />
<br />
<br />
Breunig haben eine weitergehende Dimension. Was<br />
sie im Inneren zeigen, ist die Ratlosigkeit, mit der<br />
wir vor den Trümmern des 20. Jahrhunderts stehen.<br />
Und das nicht nur im materiellen Sinne.<br />
Sabine von Breunig kam nicht unvorbereitet<br />
nach Wünsdorf. Seit 2001 arbeitet sie an freien<br />
Projekten und hat sich auf eine ganz eigene Art<br />
<br />
Serien über den Berliner Palast der Republik vor<br />
heit<br />
in Hohenschönhausen sind nur vordergründig<br />
Aufnahmen von Architektur. Vielmehr sind sie<br />
<br />
in seiner rhetorischen und metaphorischen Bedeutung,<br />
seiner Symbolkraft für soziale und kulturelle<br />
Energien und auch seine aus der Antike überlieferte<br />
spirituelle Komponente. Der »Geist des Ortes« –<br />
<br />
<br />
<br />
Abwesenheit kann er wirklich erfahren werden.<br />
<br />
<br />
Meisterschülerin von Arno Fischer, dem großen<br />
<br />
<br />
Einsamkeit, die Fischer meisterlich zu enthüllen<br />
verstand, verdeckt Sabine von Breunig durch einen<br />
Vor-Schein von Sachlichkeit. Arno Fischer, der<br />
nach dem Augenschein ganz anders arbeitete, hat<br />
das erspürt, als er ihre Bilder erstmals sah. Das<br />
Verlassen-Sein war auch eines seiner großen Themen.<br />
<br />
sie gerade erst entstanden. Die Abwesenheit des<br />
<br />
als gesteigerte Anwesenheit.<br />
Wenn sie einen Raum aufnimmt, ist die Perspektive<br />
meist kaum merklich aus der zentralen Achse<br />
gerückt, die Kamera steht so, dass man eine Bühne<br />
zu sehen meint, festgehalten mit den klassischen<br />
<br />
»stimmt« nicht, eine leise Verschiebung – und der<br />
Ort scheint auf vertrackte Weise neben sich zu<br />
<br />
<br />
sieht jedem einzelnen Bild an, mit welcher fast schon<br />
liebevollen Sorgfalt es bedacht und komponiert<br />
ist: der leere Raum erscheint als Gegenstand von<br />
<br />
den Versuchungen der Dramatisierung erliegt die<br />
<br />
<br />
gibt. »Eine der dauerhaften Errungenschaften der<br />
<br />
Wesen in leblose Dinge zu verwandeln und leblose<br />
Dinge in lebendige Wesen«, hat Susan Sontag beob-<br />
<br />
Fischer Taschenbuch Verlag, S. 96)<br />
<br />
vor den Motiven überhaupt nicht. Sie hat sich in der<br />
Arbeit gleichsam auch in eine emotionale Beziehung<br />
sen,<br />
kannte sie die Parallelwelt, die die Sowjetarmee<br />
sich errichtet hatte, nur vom Hörensagen. Doch<br />
auch wir im Osten, die wir die Sperrzonen ebenso<br />
gewohnt waren wie die grünen Flecken auf den<br />
<br />
Straßen oder Orte verzeichneten, übten uns in<br />
Ignoranz. Die Flecken waren ja grün und nicht weiß.<br />
<br />
in der Schlange gestanden oder ihnen in der U-Bahn<br />
<br />
von handverlesenen Soldaten in der Oberschule, das<br />
war alles.<br />
Sie sprachen nicht viel, wir auch nicht. Und sie<br />
<br />
Jungen, die uns leid taten. Vielleicht entstand daraus<br />
eine melancholische Empathie. Sie waren die Sieger<br />
doch nicht die Gewinner, da waren kein Triumph und<br />
<br />
gemeinsamer Trauer. Gemeinsam gehörten wir zur<br />
<br />
<br />
Krieges vertraut gemacht worden waren. Jeder, der<br />
diese Bilder heute sieht, wird ganz unterschiedliche<br />
Erfahrungen und Erinnerungen in ihnen lesen. So<br />
<br />
der Anwesenheit sondern auch zu einem Sinnbild des<br />
Vergessens. Jochen Gerz, der zeitgenössische Künstler,<br />
der sich wohl am eindringlichsten mit Fragen des<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
sagen: Erinnern ist menschlich. Vergessen ist aber<br />
ebenso menschlich. (...) Vergessen ist ein unstabiler<br />
Zustand von Erinnerung und umgekehrt. (...) Beide,<br />
die Erinnerung und das Vergessen, haben ihre eigene<br />
Agenda. Man kann an jede Straßenecke schreiben:<br />
<br />
selbst retten. Das Mahnmal bist du selbst.« (untitled.<br />
The State of the Art, 003, 2012, S. 114).<br />
Auch die Bilder retten uns nicht vor uns selbst.<br />
Aber sie können helfen, uns unserer selbst bewusster<br />
<br />
fest, das unwiederbringlich ist und sich zugleich<br />
unaufhaltsam von uns entfernt.<br />
Matthias Flügge, August 2012<br />
6 ≥ 7
04>07 ESSAY »GEISTERSTADT«<br />
von Matthias Flügge<br />
HAUPTGEBÄUDE<br />
10>11 Eingangshalle<br />
12>13<br />
14>15 Bereich der zentralen Schulverwaltung<br />
16>17 Wandgemälde ›Aufbau des Kommunismus‹<br />
18>19 Eingang zum zentralen Museum der Gruppe<br />
der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland<br />
20>21 Museum<br />
22>23 Kinoraum<br />
24>25 Zentrales Treppenhaus<br />
26>27 Toiletten<br />
28>29 Pressestelle/Fotolabor<br />
30>31 Fotolabor/Filmschneideraum<br />
32>33 Fernsehstudio<br />
34>35 Obergeschoss<br />
36>37 Kochstelle<br />
38>39 Ballettsaal<br />
40>41 Eingang Musikschule<br />
42>43 Fotolabor<br />
44>45 Lagerraum mit Ausgabe für geheime<br />
Verschlusssachen<br />
HALLENBAD<br />
46>47 Sprungbrett<br />
48>49 Duschen/Umkleideraum<br />
50>51 Treppenhaus/Aggregate Hallenbad<br />
52>53 Finnische Sauna/Banja<br />
TURNHALLEN<br />
54>55 Garderobe<br />
56>57 Eingangsbereich<br />
58>59 Empfangshalle<br />
60>63 Bankettsaal<br />
64>65 Saal für 600 Personen für<br />
Theateraufführungen, Konzerte, Empfänge und<br />
<br />
Hinterbühne<br />
KLEINES THEATER<br />
66>67 Eingang<br />
68>69 vermutlich Probenräume<br />
70>71 vermutlich Kantine<br />
72>75 Probentheater<br />
76>77 Probenräume<br />
KANTINEN<br />
78>79<br />
80>81 <br />
und Pioniere mit dem »Club der Freundschaft«<br />
82>85<br />
Truppen in Deutschland<br />
86>87 Von den Nationalsozialisten erbaut, von den<br />
Russen umgestaltet: Mannschaftskantine<br />
88>89 Kantine Brotfabrik<br />
90>93 Mannschaftskantine für Soldaten und<br />
<br />
94>97 Küchen<br />
BROTFABRIK<br />
98>109 Brotfabrik<br />
UNTERKÜNFTE<br />
110>113 Villa des Stabschefs<br />
114>115<br />
116>117 Schlafsaal der Militärschießschule<br />
SCHULQUADRAT<br />
118>119 Übergang Turnhalle/Schulgebäude<br />
120>121 Turnhalle<br />
122>123 Schulgebäude<br />
124>125 Wandzeichnungen/Kinderfahrschule<br />
MILITÄRVERWALTUNG<br />
126>133 Stabsgebäude/Oberkommando<br />
134>139 Stabsgebäude für das 69. motorisierte<br />
Schützenregiment/Begegnungsstätte und Kino<br />
140>143 Bereich der funkelektronischen Aufklärung<br />
144>145 Ausbildungszentrum für Funker und<br />
Fernschreiber<br />
146>149 Rechenzentrum<br />
DER BUNKER<br />
150>151 Schutztür zum Fernmeldebunker ›Zeppelin‹<br />
152>153 Schleuse/Gang<br />
154>159 Bereich der Dekontamination<br />
160>161 Schimmel/Rohrpostanlage<br />
162>163<br />
164>165 Werkstätten<br />
166>167 Belüftungsanlage<br />
168>169 <br />
170>171 Schießstand<br />
172>173 Aufgang Nordstollen/Notfallpritschen<br />
174>175 <br />
176>177 Wandsprengung<br />
178>179 Brunnenkammern<br />
180>181<br />
Heimatstadt eines Soldaten<br />
182>183<br />
184>185 Ausgang Richtung Maybach I<br />
MAYBACH<br />
186>201 gesprengte Bunker Maybach I und II<br />
VOM MILITÄRISCHEN MACHTZENTRUM<br />
ZUR GEISTERSTADT<br />
von Sabine von Breunig<br />
202>205<br />
AUSSENANSICHTEN<br />
206>215<br />
DANKSAGUNG/IMPRESSUM<br />
216<br />
8 ≥ 9
Die Militär-Turnanstalt wurde von 1914 bis 1916<br />
von russischen und französischen Kriegsgefangenen<br />
erbaut. Der Gebäudekomplex umfasst neben dem<br />
zentralen Hauptgebäude Schwimmbäder, Turnhallen<br />
sozialisten,<br />
wurde der wilhelminische Prachtbau<br />
nahtlos und unverändert zur Heeressportschule<br />
umgewandelt. 1954 bauten die sowjetischen Streitkräfte<br />
das Hauptgebäude der Militär-Turnanstalt<br />
<br />
<br />
auch die zentrale Bibliothek, die Schulverwaltung,<br />
das Museum, Kino und Fernsehstudio, Fotolabore,<br />
die Pressestelle, ein Ballettsaal und die Musikschule<br />
untergebracht.<br />
10 ≥ 11
12 ≥ 13
14 ≥ 15
26 ≥ 27
32 ≥ 33
44 ≥ 45
84 ≥ 85
86 ≥ 87
116 ≥ 117
128 ≥ 129
178 ≥ 179
184 ≥ 185