09.01.2014 Aufrufe

RMV Mobil Sommer 2013 - traffiQ

RMV Mobil Sommer 2013 - traffiQ

RMV Mobil Sommer 2013 - traffiQ

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Düsenflieger durch die Häuserschluchten. Doch das war<br />

viele Jahre her, und nun waren die Treppen vergittert und<br />

verriegelt, die Türen verschlossen und mit Brettern versperrt.<br />

Die einzigen Lebewesen, die noch durch die grauen<br />

Gänge irrten, waren die Ratten.<br />

Und, allem Anschein nach, der Fremde. Fremde waren<br />

gefährlich, da war die Garde deutlich. Aufrührerisch und<br />

gefährlich, sagten sie, und manchmal, wenn er den Soldaten<br />

auf den verlassenen Straßen nicht ausweichen konnte,<br />

stellten sie ihm Fragen: Wie heißt du? Wo kommst du her?<br />

Ist dir schon einmal ein Fremder begegnet?<br />

Bisher hatte Loran immer guten Gewissens verneint, aber<br />

es bestand kein Zweifel daran, dass dieser Mann ein Fremder<br />

war. Seine Kleidung war bunt und eigenartig, sein Bauch<br />

zu rund, seine Wangen zu voll. Niemand, der sich mit den<br />

wöchentlichen Rationen der Garde durchschlagen musste,<br />

hatte so pralle Hüften.<br />

Vielleicht war er jemand Wichtiges, wo er her kam. Loran<br />

konnte es sich vorstellen. Nur gefährlich – nein, so sah er<br />

nicht aus. „Hey,“ sagte der Fremde. Er hakte seine Finger<br />

in das Gitter und rüttelte daran – so laut, dass Loran meinte,<br />

die Garde schon um die nächste Ecke stampfen zu hören.<br />

„Du hast nicht zufällig einen Schlüssel oder so?“<br />

Loran trat einen Schritt zurück. Vielleicht sah der Fremde<br />

nicht gefährlich aus, aber Loran konnte es kaum riskieren.<br />

Er hatte eine Mission zu erfüllen, so hoffnungslos sie auch<br />

war. Denn Sanna hatte Samen aufgetan, kleine Tütchen,<br />

die beim Schütteln prasselten wie der saure Regen auf den<br />

Wellblechdächern. Und trotz ihrer Freude waren alle Versuche,<br />

die Pflanzen zum Leben zu erwecken, kläglich gescheitert.<br />

Cerr hatte bereits vorgeschlagen, einfach die Samen zu<br />

essen, auch wenn das das Todesurteil ihrer Visionen wäre.<br />

Doch solange sie für ihre Nahrungsmittel auf die Garde<br />

angewiesen waren, waren sie auch an die Stadt gebunden.<br />

Waren sie an deren Regeln gebunden. Und das konnten sie<br />

alle nicht mehr ertragen.<br />

Und so kehrte er sich entschieden von dem Fremden ab<br />

und der kleinen Pflanze wieder zu. Warum wuchs sie, um<br />

alles in der Welt, hier? Was hatte diese Pflanze bewegen<br />

können, mitten im Asphalt ihre Wurzeln zu schlagen, während<br />

in den Blumenbeeten in Lorans heruntergekommener<br />

Wohnung nur leblose Erde auf ihn wartete?<br />

„Echt jetzt?“, sagte der Fremde hinter ihm. Der Gitterzaun<br />

rasselte – so, als habe jemand sich dagegen fallen lassen.<br />

„Das wird ja immer besser hier. Erst die letzte S-Bahn verpasst,<br />

und dann auf dem Weg nach draußen irgendwie verirrt,<br />

und jetzt weiß ich zwar nicht, wo ich bin, aber das hier<br />

ist garantiert nicht die Hauptwache. Und ich habe mir noch<br />

gedacht, Mann, Olli, ob das so `ne gute Idee ist. Ich hätte<br />

ja auch bei meinem Kumpel auf der Couch pennen können,<br />

aber nein, ich musste ja unbedingt noch nach Hause.“<br />

Der Zaun rasselte erneut.<br />

„Und wenn ich endlich mal<br />

jemanden finde, ist dem ein<br />

mickriger Löwenzahn wichtiger<br />

als das hier.“<br />

Als Loran einen raschen Blick<br />

über seine Schulter warf, hatte<br />

der Fremde beide Hände in<br />

den Zaun gehakt, und rüttelte<br />

erneut, energisch, daran.<br />

Diesmal war es Loran egal.<br />

„Du kennst dich mit Pflanzen<br />

aus?“, fragte er, mit einem<br />

vorsichtigen Blick die Straße<br />

hinauf.<br />

Der Fremde schüttelte den Kopf. „Kenne ich mich mit Pflanzen<br />

aus? Mensch, Junge. Hab‘ ich Bio studiert oder nicht?“<br />

Als Loran ihn bloß anblinzelte ansah, stahl sich ein Lächeln<br />

auf sein Gesicht. „Schon gut,“ sagte er. „Ja, ich kenne mich<br />

mit Pflanzen aus.“<br />

Loran kam ein paar Schritte näher. Einen Schlüssel hatte er<br />

nicht, aber mit dem rostigen Messer, dass er sorgfältig vor<br />

der Garde versteckt hielt, konnte er das zerfressene Schloss<br />

aufhebeln. Das Gitter schob er beiseite, aber das Messer<br />

hielt er weiterhin in der Hand, und der Fremde hielt sich<br />

entschieden davon fern.<br />

„Danke,“ sagte er, deutlich leiser als zuvor. Er stockte einen<br />

Moment. „Du kannst mir nicht zufällig sagen, wo wir sind?“<br />

„In der Stadt,“ sagte Loran.<br />

Preisübergabe<br />

Die glücklichen Gewinnerinnen:<br />

Alexa Pukall (rechts) und<br />

Sarah Friedrich<br />

Der Fremde verzog das Gesicht. „Natürlich. Da hätte ich<br />

auch selbst drauf kommen können.“<br />

Loran stimmte dem insgeheim zu. Aber sie hatten schon<br />

genug getrödelt. Die Garde war nie fern, und Loran<br />

konnte nicht riskieren, dass sie den Fremden in die Finger<br />

bekamen. Es wäre schon schlimm genug, wenn sie misstrauisch<br />

wurden und genauere Nachforschungen über Loran<br />

und seine Freunde anstellten – aber nun, da der Fremde wie<br />

ein himmelsgesandter Retter in seinem Leben erschienen<br />

war, weigerte sich Loran, ihn wieder aufzugeben.<br />

„Komm mit,“ sagte er, und fasste den Fremden am Arm. Zufall,<br />

Schicksal, wen kümmerte das schon? Wenn der Fremde<br />

ihnen mit den Pflanzen helfen konnte, dann würden sie<br />

schon bald nicht mehr auf die Garde angewiesen sein, und<br />

dann hielt sie nichts mehr in dieser gottverlassenen Stadt.<br />

Vielleicht war dieser Fremde die Antwort auf Lorans Fragen.<br />

Vielleicht war noch nicht alles zu spät.<br />

<strong>RMV</strong>mobil 9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!