Das herzkranke Kind in der Schule - Elternvereinigung für das ...
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Schweizerische<br />
Herzstiftung<br />
Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag<br />
<strong>Das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
E<strong>in</strong> Ratgeber
Danksagung<br />
Herzlichen Dank an Frau Bundesrät<strong>in</strong> Evel<strong>in</strong>e Widmer-<br />
Schlumpf <strong>für</strong> die e<strong>in</strong>fühlsamen e<strong>in</strong>leitenden Worte.<br />
E<strong>in</strong> ganz grosses Dankeschön geht an die Autoren. Ohne<br />
ihre unentgeltliche Arbeit hätte dieser Leitfaden nicht<br />
realisiert werden können. Die Autoren <strong>in</strong> alphabetischer<br />
Reihenfolge: Elisabeth Gähwiler, Mirjam Gähwiler,<br />
Dr. med. Matthias Gittermann, Dr. med. Ricarda Hoop,<br />
Stefan Künzi, Flavia Reg<strong>in</strong>ato, Dr. med. Regula Rickenbach,<br />
August Schwere, Ueli Speich, Monika Stulz,<br />
Stephan Stulz, Stefan Wirz, Esther Wun<strong>der</strong>li.<br />
Fotografen mit grossem Herz, vielen Dank an Judith und<br />
Konrad Eckert!<br />
E<strong>in</strong> ganz grosser Dank den Korrekturleser<strong>in</strong>nen <strong>für</strong> ihre<br />
exakte Arbeit: Susanne Misl<strong>in</strong>, Elisabeth Scheuner,<br />
Sara Stulz und <strong>der</strong> Schweizerischen Herzstiftung <strong>für</strong> ihre<br />
Beratung und Unterstützung.<br />
Herzlichen Dank den Familien <strong>der</strong><br />
Elternvere<strong>in</strong>igung <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>für</strong> die tollen Fotos!
Inhaltsverzeichnis<br />
Editorial 4<br />
Und dann beg<strong>in</strong>nt die Schulzeit 6<br />
Medikamente bei <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern 8<br />
Medis zum Znüni 12<br />
Sport bei angeborenen Herzfehlern 16<br />
E<strong>in</strong> guter schulischer Rahmen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e erfolgreiche Entwicklung 20<br />
Vier Jahre mit Stephan 27<br />
Die «Zauberformel» <strong>der</strong> Integration 30<br />
Interview mit e<strong>in</strong>em Schulleiter 33<br />
Der runde Tisch – Erfahrungen und Gedanken aus Sicht<br />
<strong>der</strong> Schulleitung 36<br />
Erfahrungen aus <strong>der</strong> Schulzeit mit me<strong>in</strong>em <strong>herzkranke</strong>n Sohn 39<br />
So erlebte ich die Schulzeit me<strong>in</strong>es <strong>herzkranke</strong>n Bru<strong>der</strong>s 44<br />
«Integration» durch «Separation»? 47<br />
Irgendwann ist die Schulzeit vorbei... 57<br />
Merkblatt <strong>für</strong> Lehrpersonen 61<br />
Liste wichtiger und hilfreicher Kontaktstellen 65<br />
3
Editorial<br />
«<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er s<strong>in</strong>d Hoffnungen», soll Novalis, <strong>der</strong> deutsche Dichter <strong>der</strong> Romantik<br />
gesagt haben. Ich stimme ihm zu. <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er s<strong>in</strong>d und geben Hoffnung,<br />
gerade <strong>in</strong> schwierigen Zeiten. Auch wenn e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> Anlass zu Sorgen gibt,<br />
so schenkt es gleichzeitig immer auch Hoffnung, Trost und Momente des<br />
Glücks. Niemand weiss <strong>das</strong> wohl so gut wie Eltern von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern, die nicht<br />
gesund s<strong>in</strong>d.<br />
In <strong>der</strong> Schweiz werden jährlich 800 bis 850 <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit e<strong>in</strong>em Herzfehler<br />
geboren. Diese Diagnose verän<strong>der</strong>t nicht nur <strong>das</strong> Leben des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>das</strong> Leben se<strong>in</strong>er Eltern schlagartig. Sie erleben Angst<br />
und Unsicherheit, sie müssen damit umgehen, <strong>das</strong>s ihr <strong>K<strong>in</strong>d</strong> von Beg<strong>in</strong>n<br />
an mehr Hürden auf dem Lebensweg zu bewältigen hat als an<strong>der</strong>e <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er.<br />
Die Elternvere<strong>in</strong>igung <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> begleitet betroffene<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, Eltern und Angehörige auf diesem Weg. Sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe,<br />
arbeitet mit Fachleuten zusammen und gestaltet Freizeitangebote<br />
<strong>für</strong> Herzk<strong>in</strong><strong>der</strong>. Die Schweizerische Herzstiftung ihrerseits unterstützt die<br />
Betroffenen dar<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Krankheit positiv und aktiv zu begegnen. Sie setzt<br />
sich da<strong>für</strong> e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s ihr Leben lebenswert bleibt. Mit ihrem Engagement<br />
helfen diese beiden geme<strong>in</strong>nützigen Institutionen den Familien <strong>herzkranke</strong>r<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, mit <strong>der</strong> herausfor<strong>der</strong>nden Situation umzugehen.<br />
Oft bleibt nach <strong>der</strong> Diagnose ke<strong>in</strong>e Zeit, die Nachricht auch nur annähernd<br />
zu verarbeiten. Zum<strong>in</strong>dest me<strong>in</strong> Mann und ich erlebten dies 1985<br />
so, als unsere Tochter an ihrem vierten Lebenstag im <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erspital Zürich<br />
notfallmässig operiert werden musste. Man hatte bei ihr e<strong>in</strong>e Aortenbogenstenose<br />
festgestellt. Se<strong>in</strong>em <strong>K<strong>in</strong>d</strong> nicht selbst helfen zu können, löst<br />
Gefühle <strong>der</strong> Ohnmacht aus. Was Eltern und Angehörige dagegen tun können,<br />
ist vertrauen und hoffen. Nach <strong>der</strong> erfolgreichen Operation unserer<br />
Tochter sagte e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Ärzte, sie hätten getan, was sie hätten tun können.<br />
Jetzt helfe e<strong>in</strong> An<strong>der</strong>er. Und er fügte h<strong>in</strong>zu: «Sie wird es schaffen.»<br />
Diese Zuversicht war <strong>für</strong> uns sehr wichtig und diese Zuversicht spürte wohl<br />
auch unsere Tochter.<br />
4
Im Falle von Herzpatienten ist die Zeit des Bangens mit dem E<strong>in</strong>griff oft<br />
nicht vorbei. Es folgen weitere Operationen und Therapien – e<strong>in</strong>e belastende<br />
Zeit <strong>für</strong> <strong>das</strong> ganze Umfeld. Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulung des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es kommen<br />
schliesslich neue Herausfor<strong>der</strong>ungen dazu. <strong>Das</strong> Herzk<strong>in</strong>d selbst, se<strong>in</strong>e Klassenkameraden<br />
und die Lehrpersonen müssen e<strong>in</strong>en Umgang mit <strong>der</strong> Krankheit<br />
f<strong>in</strong>den, <strong>der</strong> dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> Sicherheit vermittelt und se<strong>in</strong>en Bedürfnissen<br />
Rechnung trägt, es zugleich aber nicht aus dem Schulgeschehen ausschliesst.<br />
Hier ist die E<strong>in</strong>sicht hilfreich, <strong>das</strong>s ohneh<strong>in</strong> jedes e<strong>in</strong>zelne <strong>K<strong>in</strong>d</strong> se<strong>in</strong>e ganz<br />
spezifischen Voraussetzungen, se<strong>in</strong>e Stärken und Schwächen mitbr<strong>in</strong>gt.<br />
Die Fach- und Erfahrungsberichte <strong>in</strong> diesem Ratgeber «<strong>Das</strong> <strong>herzkranke</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>» tragen zum verständnisvollen Umgang mit e<strong>in</strong>er<br />
gesundheitlichen Bee<strong>in</strong>trächtigung bei. Die Broschüre klärt zentrale Fragen<br />
und räumt Unklarheiten aus dem Weg. Auch <strong>das</strong> Merkblatt <strong>für</strong> Lehrpersonen<br />
sowie die verschiedenen Adressen und L<strong>in</strong>ks dürften sich <strong>für</strong> die<br />
Betroffenen als sehr nützlich erweisen.<br />
Es ist wichtig, als Familie und als Geme<strong>in</strong>schaft e<strong>in</strong>e Normalität zu<br />
schaffen, die die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Krankheit berücksichtigt. Wir haben<br />
unsere Normalität gefunden und wir haben <strong>das</strong> Glück, <strong>das</strong>s es unserer<br />
Tochter heute gut geht. Da<strong>für</strong> s<strong>in</strong>d wir sehr dankbar. Als Mutter dreier<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, darunter e<strong>in</strong>es Herzk<strong>in</strong>des, habe ich erfahren, was es heisst, sich<br />
um e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> zu sorgen. Ich weiss aber auch, was es bedeutet, zu hoffen.<br />
Diese Hoffnungen geben uns die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er selbst.<br />
Ich danke <strong>der</strong> Elternvere<strong>in</strong>igung <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und <strong>der</strong><br />
Schweizerischen Herzstiftung <strong>für</strong> ihr unermüdliches Engagement und<br />
Ihnen, liebe Leser<strong>in</strong>nen und Leser, <strong>für</strong> Ihr Interesse an diesem Ratgeber.<br />
Herzlich<br />
Evel<strong>in</strong>e Widmer-Schlumpf<br />
Bundesrät<strong>in</strong><br />
5
Und dann beg<strong>in</strong>nt die<br />
Schulzeit<br />
Dr. med. Regula Rickenbach<br />
FMH <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er- und Jugendmediz<strong>in</strong>, FA Traditionelle Ch<strong>in</strong>esische Mediz<strong>in</strong> & Aurikulomediz<strong>in</strong> (ASA)<br />
Stolz zeigen und tragen die Erstklässler ihren Schulsack. Manche von ihnen<br />
tragen neben dem Etui mit den Buntstiften unsichtbar noch an<strong>der</strong>es mit<br />
sich: E<strong>in</strong>e Geschichte und erste Lebensjahre, die von Sorge überschattet<br />
und belastet waren. Auch wenn diese <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er äusserlich wie ihre gesunden<br />
Schulkameraden aussehen, unterscheidet sie nicht nur die Narbe am<br />
Brustkorb, die wohl erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umkleidegar<strong>der</strong>obe <strong>für</strong>s Turnen auffällt,<br />
von den an<strong>der</strong>en.<br />
Was alles dah<strong>in</strong>ter steckt, ist nicht zu unterschätzen. Vielleicht ist schon<br />
während den Schwangerschaftskontrollen aufgefallen, <strong>das</strong>s mit dem Herzen<br />
des ungeborenen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es etwas nicht <strong>in</strong> Ordnung ist, vielleicht wurden<br />
die Eltern erst bei <strong>der</strong> Neugeborenenuntersuchung damit konfrontiert,<br />
<strong>das</strong>s ihr <strong>K<strong>in</strong>d</strong> e<strong>in</strong>en Herzfehler hat. Von e<strong>in</strong>em Moment auf den an<strong>der</strong>en<br />
wurde die Freude über <strong>das</strong> werdende Leben massiv erschüttert. Sorgen,<br />
Ängste und Fragen traten <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund: «Was bedeutet es <strong>für</strong> unser<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>, e<strong>in</strong>en Herzfehler zu haben?» – «Was ist mit dem Herzen unseres <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es<br />
nicht <strong>in</strong> Ordnung? <strong>Das</strong> ist doch e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigsten und bedeutungsvollsten<br />
Organe überhaupt?» – «Was, unser <strong>K<strong>in</strong>d</strong> muss am Herzen operiert<br />
werden? Vielleicht sogar mehrmals!?» Unzählige bange Stunden, durchwachte<br />
Nächte prägen manche Wochen und Monate <strong>der</strong> jungen Familie.<br />
Während an<strong>der</strong>e <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er ihre ganze Energie und Kraft <strong>in</strong>s Wachsen und<br />
sich Entwickeln stecken können, brauchen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit e<strong>in</strong>em (komplexen)<br />
Herzfehler ihren ganzen Willen und all ihre Kraft, um überhaupt zu überleben.<br />
Oft haben sie we<strong>der</strong> die Energie noch die Möglichkeit, altersentsprechende<br />
Entwicklungsschritte und Erfahrungen zu machen.<br />
Glücklicherweise gel<strong>in</strong>gt es sehr vielen dieser <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, dies bis zum<br />
Schulalter auf- und nachzuholen, so <strong>das</strong>s sie sich auf den ersten Blick kaum<br />
von ihren Kameraden unterscheiden. Ihre Geschichte, ihre physischen und<br />
psychischen Erfahrungen tragen sie jedoch mit sich, lassen sie oft <strong>in</strong> manchen<br />
Bereichen reifer ersche<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en besteht jedoch Nachholbedarf.<br />
So gestaltet sich zum Beispiel <strong>der</strong> Ablösungsprozess von den Eltern<br />
an<strong>der</strong>s als bei an<strong>der</strong>en <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern. Bed<strong>in</strong>gt durch den Herzfehler selber, mit<br />
6
allfälligen körperlichen E<strong>in</strong>schränkungen, aber auch durch die Erfahrungen,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> «Grosswerden» des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es nicht selbstverständlich ist, werden<br />
die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er oft <strong>in</strong>tensiver begleitet, beobachtet und überwacht – sie<br />
brauchen es ja auch. Dies kommt dem natürlichen Streben nach Autonomie<br />
natürlich nicht entgegen und birgt Konfliktpotenzial <strong>in</strong> sich.<br />
Selber durchgemachte Ängste, aber auch diejenigen <strong>der</strong> Bezugspersonen,<br />
prägen viele Erfahrungen und s<strong>in</strong>d oft im Unbewussten noch Begleiter.<br />
Manchmal bleiben offensichtliche Schwierigkeiten wie raschere Ermüdbarkeit,<br />
verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Belastbarkeit und Konzentrationsprobleme zurück, die<br />
den Schulalltag erschweren können. Wie jedes an<strong>der</strong>e <strong>K<strong>in</strong>d</strong> – aber sicherlich<br />
<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Ausmass und beson<strong>der</strong>er Intensität – br<strong>in</strong>gen die «Herzk<strong>in</strong><strong>der</strong>»<br />
ihre <strong>in</strong>dividuelle Lebensgeschichte <strong>in</strong> ihrem Schulsack mit, die sich<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> körperlichen Belastbarkeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausdauer, <strong>der</strong> Konzentrationsfähigkeit,<br />
aber auch im sozialen und emotionalen Leben auswirken kann.<br />
Je nach Art des Herzfehlers leben die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und ihre Eltern weiterh<strong>in</strong><br />
mit dem Bewusstse<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s Folgeoperationen notwendig s<strong>in</strong>d, <strong>das</strong>s erneut<br />
Rückschläge auf sie zukommen können, <strong>das</strong>s sich <strong>der</strong> momentane Zustand<br />
plötzlich ohne Vorwarnung än<strong>der</strong>n und von heute auf morgen <strong>das</strong> Bangen,<br />
<strong>der</strong> schmale Grat zwischen Leben und Tod, wie<strong>der</strong> beg<strong>in</strong>nen könnte.<br />
Nicht alle Herzfehler können «geheilt» werden, viele bedürfen lebenslanger<br />
Kontrollen durch die Spezialisten, und es stehen unter Umständen<br />
immer wie<strong>der</strong> neue E<strong>in</strong>griffe an.<br />
Es sche<strong>in</strong>t mir gerade bei den Herzk<strong>in</strong><strong>der</strong>n beson<strong>der</strong>s wichtig, <strong>das</strong>s<br />
die Lehrpersonen auch über prägende Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>zeit<br />
<strong>in</strong>formiert s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Gespräch die körperliche und psychische<br />
Belastbarkeit angesprochen wird, so <strong>das</strong>s die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er ihren Möglichkeiten<br />
entsprechend optimal gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t werden können.<br />
7
Medikamente bei<br />
<strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern<br />
Dr. med. Ricarda Hoop, Oberärzt<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erkardiologie, <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erspital Zürich<br />
Wenn bei <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern von e<strong>in</strong>er Herzerkrankung die Rede ist, handelt es sich<br />
<strong>in</strong> den meisten Fällen um angeborene Herzleiden. Dies bedeutet, <strong>das</strong>s sich<br />
<strong>das</strong> Herz nicht normal entwickelt hat. Zum Beispiel gibt es Herzfehler, bei<br />
denen e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> beiden Herzkammern nicht ausgebildet worden ist.<br />
Durch die heutigen operativen Möglichkeiten können viele Herzfehler<br />
so korrigiert werden, <strong>das</strong>s die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er nach <strong>der</strong> Operation ohne Medikamente<br />
aufwachsen können. Dennoch gibt es <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, die auch nach e<strong>in</strong>er<br />
o<strong>der</strong> mehreren Operation(en) lebenslänglich auf herzunterstützende Medikamente<br />
angewiesen s<strong>in</strong>d.<br />
Zu den Herzerkrankungen bei <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern zählen auch die Herzrhythmusstörungen.<br />
Diese können sowohl im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em angeborenen<br />
Herzfehler stehen, als auch unabhängig, <strong>das</strong> heisst bei e<strong>in</strong>em anatomisch<br />
normalen Herzen auftreten. E<strong>in</strong>ige Herzrhythmusstörungen können<br />
mit e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>griff so behandelt werden, <strong>das</strong>s die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er ke<strong>in</strong>e rhythmusregulierenden<br />
Medikamente mehr brauchen. Bei an<strong>der</strong>en ist dies nicht<br />
möglich und die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er benötigen meist lebenslänglich Medikamente.<br />
In selteneren Fällen erkranken <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er an e<strong>in</strong>er sogenannt erworbenen<br />
Herzkrankheit. Dies kann zum Beispiel e<strong>in</strong>e Entzündung des Herzmuskels<br />
se<strong>in</strong>. Wird <strong>das</strong> Herz dadurch stark geschwächt, benötigen auch diese <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er<br />
Medikamente, welche die Herzfunktion unterstützen.<br />
Die im Folgenden aufgeführten Medikamente sollen e<strong>in</strong>e Übersicht<br />
<strong>der</strong> im «k<strong>in</strong><strong>der</strong>kardiologischen Alltag» häufig gebräuchlichen Arzneimittel<br />
geben. E<strong>in</strong>e vollständige Zusammenstellung aller herzwirksamer Medikamente<br />
und <strong>der</strong>en Wirkungen beziehungsweise Nebenwirkungen ist an<br />
dieser Stelle nicht möglich.<br />
Die bei <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern e<strong>in</strong>gesetzten Herzmedikamente können <strong>in</strong> drei Gruppen<br />
unterteilt werden:<br />
Medikamente, die dem Herzmuskel die Arbeit erleichtern und so die<br />
Pumpfunktion des Herzens verbessern<br />
Die Herzarbeit kann zum Beispiel durch entwässernde Medikamente (Diuretika<br />
wie beispielsweise Lasix ® , Esidrex ® , Aldactone ® ) erleichert werden.<br />
8
Als Nebenwirkung kann dies teilweise dazu führen, <strong>das</strong>s die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er häufiger<br />
auf die Toilette gehen müssen. Im Weiteren können diese Medikamente<br />
bei e<strong>in</strong>er Erkrankung mit starkem Flüssigkeitsverlust, wie zum Beispiel<br />
bei e<strong>in</strong>em Brech-Durchfall, zum Austrocknen o<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er Störung<br />
des Salzhaushaltes führen. Im Falle e<strong>in</strong>er Erkrankung ist es daher notwendig,<br />
e<strong>in</strong>en Arzt aufzusuchen. Im Weiteren gibt es Medikamente, welche<br />
die Gefässspannung <strong>der</strong> Arterien reduzieren und damit dem Herzen <strong>das</strong><br />
Pumpen erleichtern (ACE-Hemmer wie zum Beispiel Captopril, Enalapril).<br />
E<strong>in</strong>e dritte Möglichkeit s<strong>in</strong>d Medikamente, die direkt den Herzmuskel stärken<br />
(beispielsweise Digox<strong>in</strong>).<br />
Herzrhythmusregulierende Medikamente<br />
Herzrhythmusregulierende Medikamente werden bei Störungen des Herzrhythmus<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. In den meisten Fällen kann dadurch e<strong>in</strong> nahezu physiologischer<br />
Rhythmus erreicht werden. <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, die mit herzrhythmusregulierenden<br />
Medikamenten behandelt s<strong>in</strong>d, können aber dennoch e<strong>in</strong>e<br />
Herzrhythmusstörung entwickeln, die sofort erste Hilfe for<strong>der</strong>t. Häufig<br />
e<strong>in</strong>gesetzt werden Betablocker (zum Beispiel In<strong>der</strong>al ® , Tenorm<strong>in</strong> ® , Carvedilol<br />
® ). Diese Medikamente verlangsamen die Herzfrequenz und erzielen<br />
auf diesem Weg ihre Wirkung. Als Nebenwirkung können Betablocker bei<br />
gewissen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern zu e<strong>in</strong>er leichten Konzentrationse<strong>in</strong>schränkung führen.<br />
Medikamente, die e<strong>in</strong>en erhöhten Druck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lunge reduzieren<br />
Um e<strong>in</strong>en erhöhten Druck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lunge zu senken, gibt es e<strong>in</strong>erseits Medikamente<br />
<strong>in</strong> Tablettenform (zum Beispiel Sildenafil, Bosentan), an<strong>der</strong>seits<br />
kann Sauerstoff e<strong>in</strong>gesetzt werden. Dieser wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel über e<strong>in</strong>e sogenannte<br />
Nasenbrille (Sauerstoffverabreichung über e<strong>in</strong>en Plastikschlauch<br />
direkt <strong>in</strong> die Nase) appliziert. Der Sauerstoff muss da<strong>für</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Behälter<br />
als «Rucksack» mitgetragen werden.<br />
Bei e<strong>in</strong>igen Herzfehlern ist vorübergehend (beispielsweise nach e<strong>in</strong>er<br />
Operation) o<strong>der</strong> lebenslänglich e<strong>in</strong>e Verdünnung des Blutes notwendig. Je<br />
nach dem bedarf es e<strong>in</strong>er leichten o<strong>der</strong> starken Blutverdünnung.<br />
9
Blutverdünnung<br />
E<strong>in</strong>e leichte Blutverdünnung kann durch <strong>das</strong> allgeme<strong>in</strong> bekannte Aspir<strong>in</strong> ®<br />
erreicht werden. Dieses Medikament wird e<strong>in</strong>mal täglich e<strong>in</strong>genommen<br />
und bedarf ke<strong>in</strong>er speziellen Kontrolle. Im Gegensatz dazu erfolgt e<strong>in</strong>e<br />
starke Blutverdünnung durch Marcoumar ® , was regelmässige Kontrollen<br />
erfor<strong>der</strong>t. Es ist wichtig, dieses Mittel immer zur gleichen Zeit e<strong>in</strong>zunehmen.<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, die mit Marcoumar ® behandelt werden, haben e<strong>in</strong>en persönlichen<br />
Ausweis, <strong>in</strong> welchem festgehalten ist, wie viel ihre aktuelle Blutverdünnung<br />
beträgt und wie viel Marcoumar ® sie täglich e<strong>in</strong>nehmen müssen.<br />
Im Falle e<strong>in</strong>es Sturzes, e<strong>in</strong>er Blutung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Verletzung ist bei folgenden<br />
Beobachtungen Kontakt mit e<strong>in</strong>em Arzt aufzunehmen:<br />
❯ heftiger Sturz auf den Kopf<br />
❯ stärkere Blutung aus Mund o<strong>der</strong> Nase<br />
❯ bräunlicher o<strong>der</strong> roter Ur<strong>in</strong><br />
❯ Erbrechen von kaffeesatzartigem Blut<br />
Bei äusserlichen, stark blutenden Verletzungen ist bereits vor <strong>der</strong> Arztkonsultation<br />
e<strong>in</strong> Druckverband anzulegen.<br />
Medikamentene<strong>in</strong>nahme<br />
Herzwirksame Medikamente müssen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht häufiger als dreimal<br />
pro Tag e<strong>in</strong>genommen werden. Die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er können die Medikamente<br />
somit zu Hause e<strong>in</strong>nehmen. Besucht <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> aber zum Beispiel den Hort<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Ferienlager, hat sich e<strong>in</strong> Gespräch zwischen Eltern und Lehr- beziehungsweise<br />
Betreuungsperson sehr bewährt. Nur so können rasch und<br />
effizient die notwendigen Informationen über <strong>das</strong>/die e<strong>in</strong>zunehmende/n<br />
Medikament/e vermittelt und die Verantwortung betreffend Medikamentene<strong>in</strong>nahme<br />
besprochen werden. Bei dabei auftretenden Fragen o<strong>der</strong><br />
Schwierigkeiten kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel auch <strong>der</strong> betreuende Herzspezialist <strong>für</strong><br />
e<strong>in</strong> Gespräch beigezogen werden.<br />
Wird e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Medikamentendosis vergessen, ist es von <strong>der</strong> Art des<br />
Medikamentes und des Herzfehlers abhängig, ob dies bereits zu Problemen<br />
führen kann. Schwerwiegende Komplikationen treten auf, wenn zum Beispiel<br />
<strong>das</strong> Medikament <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e starke Blutverdünnung (Marcoumar ® ) vergessen<br />
wird. Dies kann bei e<strong>in</strong>er künstlichen Herzklappe zu Ger<strong>in</strong>nselbildung<br />
führen und die Funktion <strong>der</strong> Klappe und damit des Herzens massiv<br />
e<strong>in</strong>schränken. <strong>Das</strong> Gleiche gilt <strong>für</strong> herzrhythmusregulierende Medikamente.<br />
10
E<strong>in</strong> Auslassen des Medikamentes kann zu gefährlichen, ja gar tödlichen<br />
Herzrhythmusstörungen führen. Um e<strong>in</strong>e solche Situation zu vermeiden,<br />
ist vor e<strong>in</strong>em Klassenausflug o<strong>der</strong> Schullager e<strong>in</strong> klärendes Gespräch zwischen<br />
Eltern und Lehrern empfehlenswert.<br />
Bei Jugendlichen mit e<strong>in</strong>er chronischen Krankheit, wie zum Beispiel<br />
e<strong>in</strong>er Herzkrankheit, ist die Compliance <strong>der</strong> Medikamentene<strong>in</strong>nahme als<br />
Problem erkannt. Es braucht viel F<strong>in</strong>gerspitzengefühl, den Jugendlichen<br />
durch diese Jahre <strong>der</strong> Selbstf<strong>in</strong>dung zu begleiten und ihn vor e<strong>in</strong>er gefährlichen<br />
Situation zu bewahren.<br />
Insgesamt ist die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, als Lehrer o<strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em<br />
<strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Notsituation zu geraten, sehr ger<strong>in</strong>g. Dennoch<br />
ist es sicherlich s<strong>in</strong>nvoll, wenn auch Lehrkräfte und Betreuungspersonen<br />
Erste-Hilfe-Kenntnisse regelmässig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em praktischen Kurs auffrischen.<br />
HELP ® -Ausbildungsprogramm <strong>für</strong> Unternehmen, Institutionen und<br />
Organisationen<br />
Die Teilnehmenden erlernen die lebensrettenden Massnahmen <strong>der</strong><br />
Herz-Lungen-Wie<strong>der</strong>belebung (Basic Life Support = BLS) und die<br />
Anwendung des automatischen externen Defibrillators (AED).<br />
Lebensrettungsausbildung <strong>für</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
Mit dem Selbstlern-Kit M<strong>in</strong>iAnne eignen sich Jugendliche ab 10 Jahren<br />
<strong>in</strong> nur 30 M<strong>in</strong>uten die Grundkenntnisse <strong>der</strong> Lebensrettung an. Sie<br />
tra<strong>in</strong>ieren die grundlegenden Fertigkeiten <strong>der</strong> Herz-Lungen-Wie<strong>der</strong>belebung<br />
selbständig mit e<strong>in</strong>em persönlichen Übungskit anhand e<strong>in</strong>er<br />
DVD mit Lernprogramm.<br />
11<br />
Weitere Informationen f<strong>in</strong>den Sie unter<br />
www.helpbyswissheart.ch
Medis zum Znüni<br />
Flavia Reg<strong>in</strong>ato, Mutter<br />
Es ist schon e<strong>in</strong>e Weile her, seit unsere Familie nach <strong>der</strong> Herztransplantation<br />
unseres Sohnes Daniel mit den ersten Herausfor<strong>der</strong>ungen konfrontiert<br />
wurde. Im Alter von fünf Jahren wurde er operiert und wir als Eltern<br />
muss ten sehr viel über Krankenpflege lernen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den Umgang<br />
mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>nahme unentbehrlicher Medikamente. Nach <strong>der</strong> ersten <strong>in</strong>tensiven<br />
Phase nach <strong>der</strong> Operation wurden die Medikamente langsam reduziert.<br />
Die E<strong>in</strong>nahme drei verschiedener Medikamente, dreimal am Tag, hat sich<br />
längst <strong>in</strong> unseren Alltag <strong>in</strong>tegriert. E<strong>in</strong> paar Monate später durfte Daniel<br />
bereits den <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergarten besuchen und <strong>das</strong> hiess <strong>für</strong> uns Eltern nicht nur<br />
<strong>das</strong> Znünitäschli zu packen, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Verantwortung<br />
<strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergärtner<strong>in</strong> weiterzugeben. <strong>Das</strong> war nicht gerade e<strong>in</strong>fach. Da<br />
die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergärtner<strong>in</strong> unseren an<strong>der</strong>en Sohn Victor e<strong>in</strong> Jahr vorher unterrichtete,<br />
hatten wir bereits e<strong>in</strong>e gute Beziehung zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> aufgebaut.<br />
<strong>Das</strong> hat uns beim Loslassen extrem geholfen und gab uns die Sicherheit,<br />
<strong>das</strong>s unser Sohn bestens begleitet war. Nach e<strong>in</strong> paar Wochen war Daniels<br />
Begeisterung <strong>für</strong> den <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergarten so ersichtlich, <strong>das</strong>s unsere Ängste und<br />
Unsicherheiten nicht mehr im Vor<strong>der</strong>grund standen. Die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergärtner<strong>in</strong><br />
hat uns immer sehr unterstützt, <strong>in</strong>dem sie uns jeweils <strong>in</strong>formierte, wenn<br />
e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es <strong>K<strong>in</strong>d</strong> erkrankte. Ansteckende Erkrankungen wie Scharlach,<br />
Grippe o<strong>der</strong> W<strong>in</strong>dpocken waren sehr gefährlich <strong>für</strong> Daniel. Es war deshalb<br />
sehr wichtig, Symptome so rasch wie möglich zu erkennen und darauf<br />
zu reagieren.<br />
Medikamentene<strong>in</strong>nahme – e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e grosse Aufgabe<br />
Im <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergarten war die Medikamentene<strong>in</strong>nahme eigentlich unproblematisch,<br />
denn Daniel konnte se<strong>in</strong>e Tabletten meistens zu Hause e<strong>in</strong>nehmen.<br />
Auf <strong>der</strong> «<strong>K<strong>in</strong>d</strong>sgireise», bei längeren Ausflügen o<strong>der</strong> beim Mittagessen bei<br />
Freunden, musste die Tablettene<strong>in</strong>nahme aber auswärts stattf<strong>in</strong>den. In solchen<br />
Situationen haben wir mit <strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergärtner<strong>in</strong> beziehungsweise mit<br />
dem Mami vom Gspänli Kontakt aufgenommen und gefragt, ob sie bereit<br />
wären, die Medikamente mitzunehmen und die pünktliche E<strong>in</strong>nahme zu<br />
kontrollieren. Als wir mit <strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergärtner<strong>in</strong> über die Tabletten gespro-<br />
12
chen haben, erklärte sie uns, <strong>das</strong>s es immer wie<strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er gäbe, die Medikamente<br />
e<strong>in</strong>nehmen müssten: Von harmlosen homöopathischen Globulis<br />
bis zum Inhalationsspray gegen Asthmaanfälle. Die Mamis, die Daniel<br />
zum Zmittag e<strong>in</strong>luden, zeigten sich sehr verständnisvoll. Durch diese Kontakte<br />
und Austausche entstanden nicht selten wun<strong>der</strong>bare Freundschaften,<br />
nicht nur unter den <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern, son<strong>der</strong>n auch unter uns Erwachsenen.<br />
Zum Glück waren diese Personen stets e<strong>in</strong>verstanden, diese kle<strong>in</strong>e grosse<br />
Aufgabe zu übernehmen. So musste er nie von diesen schönen Erlebnissen<br />
ausgeschlossen werden.<br />
13<br />
Auch die Klassenkameraden denken mit<br />
Die nächste Phase <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarschule brachte zusätzliche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
mit sich. Man kannte Daniels Krankengeschichte nicht und so mussten<br />
wir wie<strong>der</strong> bei null anfangen: Wir haben erneut Gespräche mit den Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
geführt, um die Situation genauer zu schil<strong>der</strong>n. Mit jedem Schulo<strong>der</strong><br />
Lehrerwechsel rückten unsere Ängste und Unsicherheiten erneut <strong>in</strong><br />
den Vor<strong>der</strong>grund. An e<strong>in</strong>em Elternabend hörten wir dann <strong>das</strong> ge<strong>für</strong>chtete<br />
Wort: «Klassenlager»! Wir hatten von da an e<strong>in</strong> Jahr Zeit, Daniel und<br />
uns darauf vorzubereiten. So war es an <strong>der</strong> Zeit, <strong>das</strong>s Daniel langsam selbständiger<br />
wurde, zum<strong>in</strong>dest was die Medikamentene<strong>in</strong>nahme anbelangte.<br />
<strong>Das</strong> lief eigentlich sehr gut und bei den kommenden Ausflügen hat er die<br />
Pillenbox selber mitgenommen. Wobei wir die Lehrer<strong>in</strong> jeweils baten, die<br />
pünktliche E<strong>in</strong>nahme zu kontrollieren.<br />
Die Tagesausflüge fanden häufiger statt, Mittagessen bei Kollegen<br />
ebenfalls und se<strong>in</strong>e Klassenkameraden g<strong>in</strong>gen bei uns e<strong>in</strong> und aus. Als<br />
Nebeneffekt haben wir festgestellt, <strong>das</strong>s Daniels Medikamente e<strong>in</strong> normales<br />
«Klassenthema» wurden, so, <strong>das</strong>s nicht nur die Lehrer<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
auch die Kollegen vermehrt fragten, ob er se<strong>in</strong>e Medis schon genommen<br />
hätte. Ke<strong>in</strong>e Chance also, <strong>das</strong>s irgendwann e<strong>in</strong>e Tablette vergessen wurde.<br />
Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite fühlte sich Daniel manchmal «überbe hütet» und als<br />
<strong>der</strong> «Unselbständige» <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe, <strong>das</strong> war natürlich ke<strong>in</strong>e be wusste<br />
Absicht <strong>der</strong> Kollegen. Aber wirklich gestört hat ihn <strong>der</strong>en behutsames<br />
Verhalten nicht.
Für <strong>das</strong> Klassenlager haben wir e<strong>in</strong> ausführliches und gut verständliches<br />
Notfallblatt mit allen Informationen über Medikamente, verbotene Medikamente<br />
(wegen Interaktionen), Dosierungen, Allergien, Kontaktpersonen<br />
und weiteren wichtigen Daten erstellt. E<strong>in</strong>e Kopie davon sowie e<strong>in</strong><br />
Paket mit Reservemedikamenten haben wir <strong>der</strong> zuständigen Lehrer<strong>in</strong> vor<br />
<strong>der</strong> Reise abgegeben (unbed<strong>in</strong>gt beschriften als «Reservemedikamente»<br />
<strong>in</strong>klusiv Packungsbeilagen). Daniel aber hat se<strong>in</strong>e Pillenboxen <strong>für</strong> den Aufenthalt,<br />
zusammen mit dem Notfallblatt, selber mitgenommen. So war er<br />
<strong>für</strong> die E<strong>in</strong>nahme <strong>der</strong> Medikamente zuständig und wurde während des<br />
Lagers von Lehrern und Kollegen lediglich h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> daran er<strong>in</strong>nert.<br />
Man kann nicht sagen, <strong>das</strong>s die Lehrer<strong>in</strong> die zusätzliche Aufgabe, den<br />
extra Aufwand und <strong>das</strong> zusätzliche «Gepäck» mit Begeisterung empfangen<br />
hat. Aber e<strong>in</strong> Jahr später, beim zweiten Klassenlager, war die Sache<br />
selbstverständlich. Sie war bereits sensibilisiert, weil sie im ersten Lager<br />
erkannt hat, <strong>das</strong>s sie dank Daniels Pflichtbewusstse<strong>in</strong> nicht zusätzlich belastet<br />
wurde. Für uns war extrem wichtig, den Lehrern genug Sicherheit zu<br />
geben, <strong>in</strong>dem wir sagten (und auch im Notfallblatt notierten), <strong>das</strong>s wir<br />
je<strong>der</strong>zeit erreichbar wären, falls sie e<strong>in</strong>e Entscheidung <strong>in</strong> Bezug auf Daniels<br />
Gesundheit nicht selber treffen möchten. Beispielsweise, wenn er die Tabletten<br />
zwar richtig e<strong>in</strong>genommen hat, aber e<strong>in</strong>e halbe Stunde später erbricht.<br />
Als Eltern können wir zwar e<strong>in</strong>iges delegieren, aber nicht alles. Es ist unsere<br />
Aufgabe, die Betreuer zu unterstützen und zu <strong>in</strong>formieren, nichts sollten<br />
wir als selbstverständlich annehmen. <strong>Das</strong> gilt auch <strong>für</strong> die Betreuer selbst:<br />
Sie sollten bei Unsicherheit, auch bei verme<strong>in</strong>tlichen Bagatellen, die Eltern<br />
stets kontaktieren dürfen. <strong>Das</strong> Pr<strong>in</strong>zip, im Klassenlager ke<strong>in</strong>en Kontakt zwischen<br />
Eltern und Betreuer zu haben, lässt sich mit e<strong>in</strong>em chronisch kranken<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> nicht e<strong>in</strong>halten. Hier ist eher die Ausnahme die Regel.<br />
Wir als Eltern können unser <strong>K<strong>in</strong>d</strong> auf solche Situationen vorbereiten,<br />
<strong>das</strong> heisst ihm auch Verantwortung delegieren, so <strong>das</strong>s es sich nur beim<br />
Betreuer meldet, wenn es sich unsicher fühlt o<strong>der</strong> etwas nicht stimmt. Beide<br />
Klassenlager waren e<strong>in</strong> sehr schönes Erlebnis. Es gab zum Glück ke<strong>in</strong>e Zwischenfälle<br />
und Daniel wurde e<strong>in</strong> Stück selbständiger. Unsere Ängste und<br />
Unsicherheiten rückten mehr und mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund.<br />
Handy sei Dank<br />
In <strong>der</strong> Mittelschule unternahm Daniel die erste Reise <strong>in</strong>s Ausland, wobei<br />
er mittlerweile genügend selbständig war, um <strong>das</strong> Ganze «alle<strong>in</strong>» managen<br />
zu können. Trotzdem haben wir <strong>das</strong>selbe Proze<strong>der</strong>e wie beim ersten<br />
Klassenlager befolgt: Reservemedikamente, Packungsbeilagen, Notfallblatt<br />
14
(noch besser wäre <strong>in</strong> diesem Fall, alles auch <strong>in</strong>s Englische zu übersetzen). Bei<br />
Flugreisen sollen die Medikamente im Handgepäck aufbewahrt werden.<br />
Wegen <strong>der</strong> Endokarditisprophylaxe (<strong>das</strong> s<strong>in</strong>d Vorbeugungsmassnahmen<br />
gegen e<strong>in</strong>e Entzündung <strong>der</strong> Herz<strong>in</strong>nenhaut, worauf die meisten <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er<br />
mit Herzfehler achten müssen) haben wir, <strong>in</strong> Absprache mit dem Arzt,<br />
auch e<strong>in</strong>e Notfallpackung Antibiotika und e<strong>in</strong> Rezept mitgegeben. Die<br />
genauen Informationen über die Endokarditisprophylaxe müssen auch<br />
vermerkt se<strong>in</strong>. Nach dem Erstellen des Notfallblatts lohnt es sich, dieses<br />
nach Möglichkeit dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erarzt zu zeigen, um von ihm überprüfen zu<br />
lassen, ob etwas Wichtiges vergessen g<strong>in</strong>g und ob die Angaben <strong>für</strong> Laien<br />
verständlich s<strong>in</strong>d. In diesem Fall gilt die goldene Regel: So viel wie nötig,<br />
so wenig wie möglich.<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, die täglich auf Medikamente angewiesen s<strong>in</strong>d, sollten möglichst<br />
früh gut über die Folgen e<strong>in</strong>er Nichte<strong>in</strong>nahme aufgeklärt werden. Schritt<br />
<strong>für</strong> Schritt werden sie auf ihre Selbständigkeit vorbereitet. Zu Beg<strong>in</strong>n hat<br />
Daniel die Pillenboxen <strong>für</strong> die Woche selber vorbereitet, er hat gelernt,<br />
<strong>das</strong>s Tabletten <strong>in</strong> Milligrammen berechnet werden, diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kapsel<br />
verpackt s<strong>in</strong>d und auch, <strong>das</strong>s sie vor Sonne und Kälte geschützt werden<br />
müssen. <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er können den richtigen Umgang mit den Medis früh lernen,<br />
ohne dabei überfor<strong>der</strong>t zu werden.<br />
Ab <strong>der</strong> Mittelschule, <strong>das</strong> heisst ab <strong>der</strong> 7. Klasse, hat er die Medikamente<br />
auf Reisen selber aufbewahrt und die E<strong>in</strong>nahmezeiten verwaltet.<br />
Daniel selber erzählt, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Kollegen noch heute ab und zu fragen,<br />
ob er die Medis schon e<strong>in</strong>genommen habe. Er empf<strong>in</strong>det <strong>das</strong> als ganz <strong>in</strong><br />
Ordnung, denn die Tabletten gehören zu se<strong>in</strong>er Person, es ist schön, sich<br />
auch mit Tabletten akzeptiert zu fühlen. Wir alle brauchen «Er<strong>in</strong>nerungsfunktionen»<br />
im Alltag, damit wir etwas Wichtiges nicht vergessen. Heute<br />
gibt es e<strong>in</strong>e Menge Möglichkeiten, die diesem Zweck dienen, es muss nicht<br />
immer die Mama o<strong>der</strong> die Lehrer<strong>in</strong> se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>en Wecker im Handy e<strong>in</strong>stellen,<br />
um pünktlich er<strong>in</strong>nert zu werden, ja sogar »Apps» <strong>für</strong> Smartphones<br />
können diese Aufgabe übernehmen.<br />
Wir Eltern können sehr viel dazu beitragen, damit unsere <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er e<strong>in</strong>e<br />
möglichst positive Schulzeit erleben, <strong>in</strong>dem wir offen und objektiv mit<br />
dem Personenkreis des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e mit den Lehrpersonen, sprechen<br />
und sie <strong>für</strong> <strong>das</strong> Thema sensibilisieren. Durch Information und Austausch<br />
sowohl zuhause als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> ist dies durchaus möglich.<br />
15
Sport bei angeborenen<br />
Herzfehlern<br />
Dr. med. Matthias Gittermann<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>erkardiologe, Kl<strong>in</strong>ik <strong>für</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er- und Jugendmediz<strong>in</strong>, Kantonsspital Aarau<br />
Körperliche Betätigung gehört zur normalen Entwicklung von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern<br />
und Jugendlichen. Während bei ganz kle<strong>in</strong>en <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern noch <strong>der</strong> spielerische<br />
Erwerb von motorischen Fähigkeiten im Vor<strong>der</strong>grund steht (laufen<br />
lernen, balancieren usw.), kommt mit zunehmendem Alter die Komponente<br />
Ehrgeiz und Leistungsgedanken h<strong>in</strong>zu. Sport för<strong>der</strong>t nicht nur<br />
die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, son<strong>der</strong>n kann als Teil <strong>der</strong><br />
Gesamterziehung betrachtet werden (zum Beispiel För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen<br />
Kompetenz bei Mannschaftssportarten). Sport kommt dem natürlichen<br />
Bewegungsdrang von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen entgegen, weil diese<br />
sich entwickeln und entfalten möchten. So werden E<strong>in</strong>schränkungen bei<br />
<strong>der</strong> sportlichen Betätigung als sehr e<strong>in</strong>schneidend empfunden, mehr als<br />
beispielsweise E<strong>in</strong>schränkungen bei <strong>der</strong> Berufswahl. Deshalb sollten auch<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit angeborenen Herzfehlern die Gelegenheit haben, sich so viel<br />
wie möglich sportlich zu betätigen. In <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> wird e<strong>in</strong>e Befreiung vom<br />
Sportunterricht vielfach als Ausgrenzung erlebt.<br />
Sportliche Aktivität erfor<strong>der</strong>t Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer sowie<br />
Koord<strong>in</strong>ationsfähigkeit. Je nach Art <strong>der</strong> Belastung wird <strong>das</strong> Herz-Kreislaufsystem<br />
beansprucht, was unter Umständen zu Risiken führt. Bei e<strong>in</strong>igen<br />
Patienten besteht die Gefahr plötzlicher Ereignisse bis zum plötzlichen<br />
Herztod. Beson<strong>der</strong>s gefährdet s<strong>in</strong>d da<strong>für</strong> unter an<strong>der</strong>em diejenigen mit<br />
e<strong>in</strong>er Verengung <strong>der</strong> Hauptschlaga<strong>der</strong>klappe (Aortenstenose), bestimmten<br />
Herzmuskelerkrankungen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Lungenhochdruck. An<strong>der</strong>erseits<br />
kann sich unter Umständen e<strong>in</strong>e langfristige Verschlechterung <strong>der</strong> Herzfunktion<br />
durch Überbeanspruchung e<strong>in</strong>stellen.<br />
<strong>Das</strong> richtige Mass<br />
Für Betroffene und ihre Lehrer ist nun die Frage wichtig: «Was darf dem<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>/Jugendlichen zugemutet werden, ohne sie zu gefährden?» Die Antwort<br />
ist nicht e<strong>in</strong>fach und schon gar nicht pauschal, denn es gibt viele<br />
unterschiedliche Herzfehler und -erkrankungen, die alle <strong>in</strong> verschiedener<br />
Ausprägung und Schwere vorliegen können, vor o<strong>der</strong> nach Operationen,<br />
16
mit o<strong>der</strong> ohne «Restdefekte». Alle diese Faktoren bee<strong>in</strong>flussen e<strong>in</strong> mögliches<br />
Risiko beim Sport. Ebenso gibt es e<strong>in</strong>e Fülle verschiedener Sportarten<br />
mit unterschiedlichster Art von Belastung, die mehr o<strong>der</strong> weniger <strong>in</strong>tensiv<br />
betrieben werden können. Es muss e<strong>in</strong>e gute «Partnervermittlung»<br />
erreicht werden. <strong>Das</strong> heisst, Herzfehler und Belastung müssen zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
passen und sich mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vertragen. <strong>Das</strong> bedeutet, man muss im E<strong>in</strong>zelfall<br />
zunächst den Herzfehler und die ihm eigenen Risiken und dann den<br />
gewünschten Sport beziehungsweise die Belastung analysieren.<br />
Mit verschiedenen Untersuchungsmethoden wie Ultraschall o<strong>der</strong> EKG<br />
kann <strong>das</strong> Herzproblem charakterisiert werden. Gelegentlich ist auch e<strong>in</strong>e<br />
Belastungsuntersuchung auf dem Fahrrad o<strong>der</strong> dem Laufband angezeigt.<br />
Hierbei wird e<strong>in</strong>e Belastung bis zur Erschöpfung angestrebt o<strong>der</strong> bis zu<br />
Symptomen, die e<strong>in</strong>en Abbruch erfor<strong>der</strong>n. Dabei wird e<strong>in</strong>e maximale Herzfrequenz<br />
erreicht. Die Herzfrequenz kann man beim Sport leicht selber<br />
«mit <strong>der</strong> Hand» o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Pulsuhr bestimmen. Dies ist sehr nützlich, da<br />
häufig gilt, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> sicherer und tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsphysiologisch s<strong>in</strong>nvoller Bereich<br />
bei fünfzig bis siebzig Prozent <strong>der</strong> Herzfrequenz liegt, die bei e<strong>in</strong>em<br />
Be lastungstest ohne Probleme erreicht wurde. Damit kann man kontrollieren,<br />
ob e<strong>in</strong>e aktuelle Belastung noch s<strong>in</strong>nvoll o<strong>der</strong> schon bedenklich ist.<br />
Natürlich muss <strong>das</strong> alles mit dem behandelnden <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erkardiologen <strong>in</strong>dividuell<br />
besprochen werden, denn nicht <strong>für</strong> jeden gilt diese simple Regel.<br />
17<br />
Welche Sportart soll es se<strong>in</strong>?<br />
Bei allen Sportarten gibt es <strong>in</strong> unterschiedlichem Ausmass sowohl statische<br />
als auch dynamische Belastungselemente (statisch: wenig Bewegung<br />
– hoher Kraftaufwand, zum Beispiel Gewichtheben; dynamisch: viel Bewegung<br />
– relativ ger<strong>in</strong>ger Kraftaufwand, zum Beispiel Langstreckenlauf). Die<br />
nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich wettkampfmässig betriebene Sportarten<br />
grob entsprechend ihrer Belastung e<strong>in</strong>teilen lassen. In <strong>der</strong> Regel<br />
s<strong>in</strong>d dynamische Belastungen s<strong>in</strong>nvoller <strong>für</strong> Menschen mit Herzfehlern.<br />
Von grossen statischen Belastungen muss bei vielen Betroffenen abgeraten<br />
werden. Die Intensität <strong>der</strong> Belastung spielt natürlich auch e<strong>in</strong>e grosse<br />
Rolle (Wettkampfsport vs. Freizeitsport). Auch «leichte» Sportarten können<br />
zur Belastung werden, wenn beispielsweise durch grossen Ehrgeiz emotio-
naler Stress entsteht. Umgebungsfaktoren (Höhe, Temperatur, Luftfeuchtigkeit)<br />
können «kreislaufwirksam» werden. Zudem s<strong>in</strong>d Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<strong>in</strong>halte<br />
manchmal mit Belastungen verbunden, die <strong>für</strong> die jeweilige Sportart nicht<br />
typisch s<strong>in</strong>d (zum Beispiel Krafttra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>für</strong> Fussballer). Bei e<strong>in</strong>zelnen Sportarten<br />
s<strong>in</strong>d unterschiedliche Belastungsmuster möglich (beispielsweise Torwart<br />
und Stürmer beim Fussball). Bei an<strong>der</strong>en Sportarten s<strong>in</strong>d durch körperliche<br />
Kollisionen Probleme mit Herzschrittmachern, Defibrillatoren<br />
o<strong>der</strong> Verletzungen an grossen Schlaga<strong>der</strong>n möglich. An<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s<br />
risikoreich, wenn <strong>der</strong> Sportler zu plötzlicher Bewusstlosigkeit (Synkopen)<br />
neigt (siehe Tabelle).<br />
Man sieht, wie komplex und <strong>in</strong>dividuell die Entscheidung über sportliche<br />
Betätigung bei Menschen mit angeborenen Herzfehlern ist und <strong>das</strong>s<br />
im E<strong>in</strong>zelfall e<strong>in</strong>e Fülle von Faktoren berücksichtigt werden müssen. Doch<br />
<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl von Patienten mit angeborenen Herzfehlern gilt, <strong>das</strong>s sie<br />
sich ohne grössere E<strong>in</strong>schränkungen und nach Massgabe von Beschwerden/<br />
Erschöpfung belasten dürfen. Schliesslich sei nochmals betont, <strong>das</strong>s allen<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern Gelegenheit gegeben werden sollte, so viel Sport wie möglich zu<br />
treiben. Bei <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern mit angeborenen Herzfehlern erfolgt <strong>das</strong> am besten<br />
<strong>in</strong> enger Abstimmung mit den Eltern und dem behandelnden <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erkardiologen,<br />
<strong>der</strong> sicher gerne beratend zur Seite steht.<br />
18
dynamisch niedrig mässig hoch<br />
statistisch<br />
⬇<br />
niedrig<br />
Billard<br />
Bowl<strong>in</strong>g<br />
Curl<strong>in</strong>g<br />
Golf<br />
Schiessen<br />
Tischtennis<br />
Tennis (Doppel)<br />
Volleyball<br />
Badm<strong>in</strong>ton<br />
Ski-Langlauf<br />
(klassisch)<br />
Landhockey<br />
Orientierungslauf<br />
Langstreckenlauf<br />
Fussball *<br />
Squash<br />
Tennis (E<strong>in</strong>zel)<br />
mässig<br />
Bogenschiessen<br />
Tauchen +<br />
Motorradrennen *+<br />
Fechten<br />
Leichtathletik<br />
(Sprungwettbewerb)<br />
Eiskunstlauf *<br />
Surfen *+<br />
Synchronschwimmen +<br />
Basketball<br />
Eishockey<br />
Ski-Langlauf<br />
(Skat<strong>in</strong>g)<br />
Mittelstreckenlauf<br />
Schwimmen<br />
Handball<br />
hoch Bobfahren *+<br />
Leichtathletik<br />
(Wurfwettbewerb)<br />
Gymnastik +<br />
Karate/Judo *<br />
Rennrodeln *+<br />
Segeln<br />
Klettern *+<br />
Wasserski *+<br />
Gewichtheben *+<br />
W<strong>in</strong>dsurfen *+<br />
Bodybuild<strong>in</strong>g *+<br />
Ski-Abfahrt *+<br />
R<strong>in</strong>gen *<br />
Boxen *<br />
Kanu/Kajak<br />
Radfahren *+<br />
Ru<strong>der</strong>n<br />
Eisschnelllauf<br />
19<br />
* Gefahr von körperlichen Kollisionen<br />
+ Erhöhtes Risiko bei plötzlicher Bewusstlosigkeit (Synkope)
E<strong>in</strong> guter schulischer Rahmen <strong>für</strong><br />
e<strong>in</strong>e erfolgreiche Entwicklung<br />
August Schwere, lic. phil.<br />
Vormals Primarlehrer und Schulpsychologe, aktuell Bereichsleiter Ambulatorien zentren körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />
aargau (zeka) und Leiter heilpädagogischer Beratungs- und Begleitungsdienst<br />
Herzkranke <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er s<strong>in</strong>d gleich und an<strong>der</strong>s. Sie gehören dazu und müssen<br />
unter Umständen auch mal abseits stehen. Ihre chronische Krankheit führt<br />
zu e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Abhängigkeit, welche die Autonomie, die Kompetenzentwicklung,<br />
die soziale E<strong>in</strong>gebundenheit und auch die Lebensper spektive<br />
bee<strong>in</strong>trächtigen kann. Diese Bee<strong>in</strong>trächtigung gilt es e<strong>in</strong> Stück weit zu<br />
akzeptieren. Gleichzeitig soll sie aber nicht zur Barriere <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuell<br />
erfolgreiche Entwicklung werden. Die Schulzeit ist <strong>für</strong> die Persönlichkeitsentwicklung<br />
prägend. E<strong>in</strong>erseits werden dort die Kulturtechniken<br />
erworben, die den Zugang zur weiteren (Berufs-) Bildung öffnen. An<strong>der</strong>seits<br />
ist es <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> sozialen Integration und <strong>der</strong> körperlichen Aktivität<br />
und Entfaltung. <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er lernen generell sehr viel vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, ohne <strong>das</strong>s<br />
ihnen etwas bewusst vermittelt wird.<br />
Die nachfolgenden Ausführungen beleuchten Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e gute Entwicklung <strong>herzkranke</strong>r <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er im Schulalter.<br />
Vorschule<br />
Der Ernst des Lebens beg<strong>in</strong>nt nicht erst mit <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>herzkranke</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> hat bereits vor dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergarten grosse Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
bewältigt und Kompetenzen erworben, mit denen es an<strong>der</strong>en<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern weit voraus ist. Der Blick auf diese Kompetenzen und Ressourcen<br />
soll bei <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulung m<strong>in</strong>destens so viel Platz e<strong>in</strong>nehmen<br />
wie <strong>der</strong> Blick auf die Bee<strong>in</strong>trächtigungen. Lehrpersonen und Schulleitungen<br />
neigen erfahrungsgemäss aus Angst vor Überfor<strong>der</strong>ung dazu, den<br />
Fokus aufs Risiko und auf die Schwächen zu legen.<br />
E<strong>in</strong>schulung<br />
Die Palette an Schulungsformen ist im schweizerischen Schulsystem äusserst<br />
breit. Mit verschiedenen Übertrittslösungen ist es <strong>für</strong> e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> möglich, von<br />
e<strong>in</strong>er Schulungsform zur an<strong>der</strong>en zu wechseln, immer abhängig vom Verlauf<br />
se<strong>in</strong>er Entwicklung und se<strong>in</strong>en (son<strong>der</strong>-)pädagogischen Bedürfnissen.<br />
20
Von den Eltern erfor<strong>der</strong>t dies e<strong>in</strong>en guten Informationsstand, e<strong>in</strong>e grosse<br />
Portion Kooperationsbereitschaft und viel Vertrauen – Vertrauen <strong>in</strong> die<br />
Kompetenz und den Goodwill <strong>der</strong> Profis <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Vertrauen aber auch<br />
zum <strong>K<strong>in</strong>d</strong>, welches auch vorübergehend schwierige Situationen meis tern<br />
kann. Die <strong>Schule</strong>n s<strong>in</strong>d angesichts <strong>der</strong> Heterogenität <strong>der</strong> Schülerschaft und<br />
<strong>der</strong> vielfältigen Ansprüche <strong>der</strong> Eltern stark herausgefor<strong>der</strong>t. Wenn sie den<br />
Ansprüchen von speziellen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern zurückhaltend begegnen, ist dies häufig<br />
e<strong>in</strong> Zeichen des Selbstschutzes. In diesen Fällen kann es hilfreich se<strong>in</strong>,<br />
Fachstellen wie den schulpsychologischen Dienst o<strong>der</strong> die beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsspezifischen<br />
Beratungsstellen beizuziehen, die bei <strong>der</strong> Suche nach Lösungen<br />
dank ihrer Erfahrungen und ihrem Überblick Unterstützung leisten können.<br />
21<br />
Schulische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
Ob e<strong>in</strong> <strong>herzkranke</strong>s <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule mit<br />
speziellen Massnahmen geför<strong>der</strong>t wird, ist abhängig von se<strong>in</strong>em aktuellen<br />
Entwicklungsstand und von se<strong>in</strong>en speziellen pädagogischen Bedürfnissen.<br />
Die bereits erwähnten vielfältigen Übertrittslösungen ermöglichen<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuell gestaltete Schullaufbahn. Die schulische Integration beziehungsweise<br />
<strong>das</strong> «Sich-Integriert-Fühlen» hängt nicht von <strong>der</strong> Schulungsform<br />
ab. E<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> kann sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule persönlich und sozial<br />
<strong>in</strong>tegriert fühlen, wenn es se<strong>in</strong>e Kompetenzen kennt und mit dem nötigen<br />
Selbstvertrauen auf an<strong>der</strong>e zugehen kann. Umgekehrt kann es sich<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> «<strong>in</strong>tegrierten Schulungsform» massiv des<strong>in</strong>tegriert fühlen, wenn es<br />
aufgrund <strong>der</strong> vielen Son<strong>der</strong>züge, die es fahren muss, schulisch und sozial<br />
abgehängt ist. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Umstand, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> an se<strong>in</strong>em Wohnort mit<br />
se<strong>in</strong>en Nachbarsk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> den <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergarten o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die <strong>Schule</strong> gehen<br />
kann, garantiert noch ke<strong>in</strong>e Integration. <strong>Das</strong> aktive E<strong>in</strong>bezogense<strong>in</strong> im<br />
Unterricht ist Voraussetzung <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e soziale und schulische Integration.<br />
Wie weit dies möglich ist, hängt sowohl von Faktoren beim <strong>K<strong>in</strong>d</strong> ab, wie<br />
auch von den Ressourcen <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Weil letztere nicht a priori gegeben<br />
s<strong>in</strong>d, liegt die Entscheidung <strong>für</strong> den Rahmen <strong>der</strong> Schulung des e<strong>in</strong>zelnen<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>es bei <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Die gesetzlichen Bestimmungen s<strong>in</strong>d beispielsweise<br />
im Kanton Aargau <strong>in</strong> <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulverordnung wie folgt formuliert:<br />
«Die Schulpflege am Aufenthaltsort des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es o<strong>der</strong> Jugendlichen entschei-
det über die <strong>in</strong>tegrative Schulung beziehungsweise ihre Weiterführung.<br />
Im Vorfeld <strong>der</strong> Entscheidung <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative Schulung müssen aber<br />
❯ die Inhaber <strong>der</strong> elterlichen Sorge e<strong>in</strong>verstanden se<strong>in</strong>, <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Jugendliche aufgrund se<strong>in</strong>er Fähigkeiten voraussichtlich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Lage se<strong>in</strong>, aus dem Unterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorgesehenen Klasse e<strong>in</strong>en<br />
s<strong>in</strong>nvollen Nutzen <strong>für</strong> se<strong>in</strong>e weitere Entwicklung zu ziehen sowie<br />
am geme<strong>in</strong>schaftlichen Leben <strong>der</strong> Abteilung teilzuhaben,<br />
❯ die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen an <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> geeignet se<strong>in</strong>,<br />
❯ mit den verstärkten Massnahmen e<strong>in</strong>e angemessene Unterstützung<br />
gewährleistet se<strong>in</strong>,<br />
❯ die Schulleitung des Schulorts und <strong>der</strong> schulpsychologische Dienst<br />
die <strong>in</strong>tegrative Schulung <strong>in</strong>sgesamt positiv beurteilen.»<br />
<strong>Das</strong>s die <strong>in</strong>tegrative Regelklassenschulung <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
spezialisierten Institution wenn immer möglich und s<strong>in</strong>nvoll vorzuziehen<br />
ist, hat wohl nicht nur e<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>anziellen Grund. Vielmehr liegt dah<strong>in</strong>ter<br />
<strong>der</strong> gesellschaftspolitische Auftrag <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, e<strong>in</strong>en Rahmen zu schaffen,<br />
<strong>in</strong> dem möglichst alle <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, unabhängig von ihrer Herkunft und ihren<br />
Fähigkeiten, teilhaben können und e<strong>in</strong>e För<strong>der</strong>ung erhalten, die sie zu<br />
selbständigen, arbeitsfähigen Persönlichkeiten heranreifen lässt. Übergeordnetes<br />
Ziel müsste se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sich Regelschule und Son<strong>der</strong>schule im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Volksschule annähern und flexible Zusammenarbeitsformen zum<br />
Wohle <strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er entwickeln.<br />
Ressourcen nutzen und schaffen<br />
In diesem Abschnitt wird auf die <strong>in</strong>tegrationsför<strong>der</strong>nden Massnahmen im<br />
Regelschulkontext e<strong>in</strong>gegangen:<br />
❯ Nie<strong>der</strong>schwellige schulische Unterstützungsmassnahmen: Jede e<strong>in</strong>zelne<br />
<strong>Schule</strong> hat mit <strong>in</strong>tegrierter schulischer Heilpädagogik (den<br />
Regelklassen zugeteilt o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Son<strong>der</strong>klassen angesiedelt), mit logopädischen<br />
Angeboten, Psychomotoriktherapie, Deutschkursen, Nachhilfemassnahmen<br />
etc. nie<strong>der</strong>schwellige Angebote, mit welchen sie<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit speziellen pädagogischen Bedürfnissen ohne grosse adm<strong>in</strong>istrative<br />
Bewilligungsverfahren unterstützen.<br />
22
❯ Verstärkte Massnahmen werden <strong>für</strong> <strong>das</strong> e<strong>in</strong>zelne <strong>K<strong>in</strong>d</strong> ad personam<br />
gesprochen, wenn sie aufgrund von ausgewiesenen Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
o<strong>der</strong> von speziellen körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen (wie sie bei<br />
<strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern vorliegen) als notwendig erachtet werden. Zu<br />
den verstärkten Massnahmen gehören Assistenzmassnahmen o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsspezifische heilpädagogische För<strong>der</strong> unterricht.<br />
❯ Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsspezifische Beratungsdienste können <strong>für</strong> <strong>das</strong> Erarbeiten<br />
von speziellen Lösungen beigezogen werden. Für <strong>herzkranke</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er ist <strong>das</strong> beispielsweise <strong>der</strong> heilpädagogische Beratungs- und<br />
Begleitdienst von zeka im Kanton Aargau, www.zeka-ag.ch. Webadressen<br />
vergleichbarer Dienste <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Kantonen s<strong>in</strong>d im<br />
Anhang dieser Broschüre zu f<strong>in</strong>den.<br />
Kreative <strong>in</strong>dividuelle Lösungen<br />
Herzkranke <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er s<strong>in</strong>d gleich und an<strong>der</strong>s. Gleich se<strong>in</strong> dürfen und gleich<br />
se<strong>in</strong> müssen ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Triebfe<strong>der</strong>n <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dlichen Entwicklung. Der Vergleich,<br />
<strong>der</strong> Wettbewerb und die Konkurrenz gehören zum Schulalltag,<br />
erfahrungsgemäss auch zum Familienalltag und zum Spielplatz. Die Situation<br />
des <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es <strong>in</strong> Bezug auf <strong>das</strong> Gleich- o<strong>der</strong> An<strong>der</strong>sse<strong>in</strong> soll<br />
daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse immer wie<strong>der</strong> thematisiert werden. Erklärungs- und<br />
aushandlungsbedürftig s<strong>in</strong>d die speziellen Regelungen:<br />
❯ Nachteilsausgleich: Herzkranke <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er können qualitativ und <strong>in</strong>tellektuell<br />
oft gute Leistungen br<strong>in</strong>gen, die Quantität ist aber aufgrund<br />
<strong>der</strong> körperlichen Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong>geschränkt. Im Nachteilsausgleich<br />
wird vere<strong>in</strong>bart, wo die Aufgabenmenge reduziert wird und<br />
wo Hilfsmittel verwendet werden dürfen. Mehr dazu ist im Artikel<br />
von August Schwere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweizerischen Zeitschrift <strong>für</strong> Heilpädagogik<br />
nachzulesen (siehe Literaturh<strong>in</strong>weise auf Seite 26).<br />
❯ Individuelle Lernziele: Wenn <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fächern die Lernziele<br />
<strong>der</strong> Klasse gemäss Lehrplan nicht erreichen kann, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>dividuelle<br />
Lernziele im Rahmen e<strong>in</strong>er speziellen För<strong>der</strong>planung zu vere<strong>in</strong>baren.<br />
Im Zeugnis ist zu erwähnen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> diesem Fach<br />
deshalb nicht benotet wird.<br />
23
❯ Dispensationen: Anpassungen im persönlichen Stundenplan können<br />
oft Rücksicht nehmen auf die persönliche Leistungsfähigkeit.<br />
Eventuell kann die Therapie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit des Turnunterrichts angesetzt<br />
werden.<br />
❯ Rückzugsmöglichkeiten: Im Schulzimmer und Schulhaus sollen Rückzugs-<br />
und Erholungsräume def<strong>in</strong>iert werden, wo sich <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> ausruhen<br />
o<strong>der</strong> allfällige mediz<strong>in</strong>ische Verrichtungen vornehmen kann.<br />
❯ Nachhilfeunterricht bei längerer Abwesenheit durch Spitalaufenthalte:<br />
Die <strong>Schule</strong> kann Ressourcen sprechen, damit entwe<strong>der</strong> die<br />
Lehrkraft o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Assistent<strong>in</strong> mit dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> verpassten Schulstoff<br />
nachholen kann. <strong>Das</strong> wären verstärkte Massnahmen, die zusätzlich<br />
entlöhnt werden müssten.<br />
❯ Begleitung bei Schulanlässen: Schulreisebegleitungen sollen möglichst<br />
nicht durch Eltern erfolgen. Vielleicht lässt sich e<strong>in</strong>e mit den<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern vere<strong>in</strong>barte, kreative Lösung mit Unterstützungsmassnahmen<br />
von Mitschülern f<strong>in</strong>den. Häufig macht aber <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bezug e<strong>in</strong>er<br />
Assistenz am meisten S<strong>in</strong>n. Sie leistet nach pädagogischen Grundsätzen<br />
dort Unterstützung, wo es auch wirklich nötig ist. Ansonsten<br />
steht sie als Helfer<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrperson auch <strong>für</strong> an<strong>der</strong>es zur Verfügung.<br />
❯ Schulwegunterstützung: Oft kann die Bewältigung des Schulwegs<br />
e<strong>in</strong>e Barriere se<strong>in</strong>. In Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> örtlichen Schulleitung<br />
soll hier e<strong>in</strong>e spezielle Lösung getroffen werden. Würde e<strong>in</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>schule, die E<strong>in</strong>schulungsklasse o<strong>der</strong> die Oberstufenschule<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> benachbarten Geme<strong>in</strong>de besuchen, übernähme<br />
die öffentliche Hand die Kosten. Also sollte auch <strong>für</strong> die Schulweglösung<br />
des <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es mit <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung<br />
gefunden werden können.<br />
❯ Massnahmen beim Bau und beim Mobiliar: Oft s<strong>in</strong>d es kle<strong>in</strong>e Hilfsmittel,<br />
die ad hoc hergestellt, viel Erleichterung im Alltag schaffen.<br />
Die betroffenen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er entwickeln mit und wissen meist, was<br />
ihnen gut tut. Manchmal kommt e<strong>in</strong> Rollator o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Rollstuhl aus<br />
<strong>der</strong> Hilfsmittelzentrale zum E<strong>in</strong>satz. Bei baulichen Massnahmen<br />
(Treppenlift, Lift) ist die Zusammenarbeit mit Fachleuten <strong>für</strong> beh<strong>in</strong>-<br />
24
<strong>der</strong>ungsgerechtes Bauen <strong>der</strong> Procap und <strong>der</strong> Invalidenversicherung<br />
IV empfehlenswert. Diese Fachleute kennen sich auch bezüglich <strong>der</strong><br />
F<strong>in</strong>anzierungsmodalitäten aus.<br />
All diese speziellen Regelungen müssen mit den Beteiligten vere<strong>in</strong>bart<br />
werden. Sie dürfen nicht aus Bequemlichkeit o<strong>der</strong> aus falsch verstandener<br />
Schonhaltung missbraucht werden. Weil <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er viele Ressourcen,<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten haben, sollen auch diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse zum<br />
Zuge kommen. <strong>Das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> selber entwickelt e<strong>in</strong> gesundes Selbstwertgefühl,<br />
wenn es an se<strong>in</strong>en Stärken gemessen wird. Und se<strong>in</strong>e Mitschüler erleben es<br />
dadurch ebenbürtiger und nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rolle des Geschwächten. Konflikte<br />
können dadurch gewagt und altersadäquat ausgetragen werden.<br />
Risiken m<strong>in</strong>imieren<br />
<strong>Schule</strong>n beziehungsweise Lehrpersonen be<strong>für</strong>chten, Notfallzeichen nicht zu<br />
registrieren o<strong>der</strong> im Ernstfall nicht adäquat zu reagieren. Sie haben Angst<br />
vor <strong>der</strong> Verantwortung und <strong>der</strong> Haftung. Es empfiehlt sich daher, über <strong>das</strong><br />
Krankheitsbild gut zu <strong>in</strong>formieren. Dazu s<strong>in</strong>d klare und kurze schriftliche<br />
Informationen von mediz<strong>in</strong>ischer Seite hilfreich. Die Zuständigkeiten (<strong>K<strong>in</strong>d</strong>,<br />
Eltern, Lehrpersonen, Notfallarzt, Spitex) s<strong>in</strong>d zu klären. Notfallszenarien<br />
s<strong>in</strong>d durchzudenken und Massnahmen festzuhalten. Medikamente und<br />
Notfallnummern sollen griffbereit se<strong>in</strong> und Kommunikationswege vere<strong>in</strong>bart.<br />
Angesichts <strong>der</strong> vielen Personen im Schulalltag sollen die Informationen<br />
schriftlich festgehalten und <strong>für</strong> alle leicht zugänglich se<strong>in</strong>. Eltern, <strong>K<strong>in</strong>d</strong><br />
und Lehrperson s<strong>in</strong>d angehalten auch darüber zu sprechen, <strong>das</strong>s nicht alle<br />
Risiken aus <strong>der</strong> Welt geschafft werden und <strong>das</strong>s Fehler zwar m<strong>in</strong>imiert, aber<br />
nicht ausgeschlossen werden können. Die latente Angst, die <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und<br />
se<strong>in</strong>e Angehörigen beschäftigt, soll bewusst gemacht werden. Sie steuert<br />
nämlich unbewusst viele Entscheidungen.<br />
25
Kooperation – o<strong>der</strong> <strong>das</strong> Ungleichgewicht zwischen Bittstellern und<br />
Entscheidungs<strong>in</strong>stanzen<br />
Eltern <strong>herzkranke</strong>r <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er haben vieles miterlebt und früh zu kämpfen<br />
gelernt. <strong>Das</strong> hat im Spital angefangen und hört <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> nicht auf. Oft<br />
erleben sie Inkompetenz und zum Teil gar Arroganz. Sie wie<strong>der</strong>holen die<br />
Geschichte des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es zum x-ten Mal und stossen doch immer wie<strong>der</strong> auf<br />
taube Ohren. An schulischen Standortgesprächen erleben sie wertschätzende<br />
und zielfokussierte Gesprächsleitungen und an<strong>der</strong>e, bei denen sie<br />
fast verzweifeln. Angesichts ihrer speziellen Abhängigkeit ist viel Frustrationstoleranz<br />
und Verhandlungsgeschick erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Eltern s<strong>in</strong>d durch den Krankheitsverlauf Fachleute geworden, werden<br />
aber oft nicht als solche wahrgenommen. Sie haben im E<strong>in</strong>zelfall ihres<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>es e<strong>in</strong> grosses Erfahrungswissen erworben. Die Profis gehen trotzdem<br />
gerne auf Distanz. Sie stellen Bezüge zu an<strong>der</strong>en Verläufen her und sehen<br />
an<strong>der</strong>e Lösungswege. Dar<strong>in</strong> liegt ihre Kompetenz. Eltern und <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er können<br />
durch die Fixierung auf ihre Problematik eng werden und durch militante<br />
For<strong>der</strong>ungen beim Gegenüber Abwehr statt Unterstützung auslösen.<br />
Der Beizug von Schulfachleuten ist deshalb e<strong>in</strong>e Chance. Bei aller Zusammenarbeit<br />
ist auf Transparenz bezüglich <strong>der</strong> Fakten, <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />
Interessen und <strong>der</strong> rechtlichen Befugnisse zu achten. Wichtig ist aber auch,<br />
die eigene Betroffenheit und jene des Gegenübers zu zeigen und ihr mit<br />
E<strong>in</strong>fühlungsvermögen zu begegnen. Dies und auch e<strong>in</strong>e Portion Dankbarkeit<br />
s<strong>in</strong>d die Zutaten <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e gute Kooperation, die <strong>in</strong>dividuelle Lösungen<br />
<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e optimale persönliche und schulische Entwicklung des <strong>herzkranke</strong>n<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>es entstehen lässt.<br />
Literaturh<strong>in</strong>weise<br />
Kanton Aargau (2006), Verordnung über die <strong>in</strong>tegrative Schulung von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern<br />
und Jugendlichen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen, die Son<strong>der</strong>schulung sowie die beson<strong>der</strong>en<br />
För<strong>der</strong>- und Stützmassnahmen (Son<strong>der</strong>schulverordnung)<br />
https://gesetzessammlungen.ag.ch/frontend/versions/415<br />
Schwere, A. (2010), Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gter Nachteilsausgleich, <strong>in</strong> Schweizerische<br />
Zeitschrift <strong>für</strong> Heilpädagogik, Jahrgang 16, 9/10, Seiten 20 bis 22<br />
26
Vier Jahre mit Stephan<br />
Esther Wun<strong>der</strong>li, Oberstufenlehrer<strong>in</strong><br />
Als mich <strong>der</strong> Schulleiter fragte, ob ich mir vorstellen könnte, e<strong>in</strong>en <strong>herzkranke</strong>n<br />
Schüler <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en nächsten Klassenzug aufzunehmen, habe ich<br />
spontan zugesagt.<br />
Bevor <strong>das</strong> Schuljahr begann, gab es e<strong>in</strong>iges zu organisieren. Zusammen<br />
mit dem Heilpädagogen, <strong>der</strong> Stephan zusätzlich unterstützen würde,<br />
besuchte ich ihn <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Klasse <strong>der</strong> Primarschule. So begegneten<br />
wir uns also zum ersten Mal. Se<strong>in</strong>en besten Freund lernten wir bei dieser<br />
Gelegenheit ebenfalls kennen. Matthias wurde auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Klasse e<strong>in</strong>geteilt.<br />
Es folgte e<strong>in</strong> Gespräch mit <strong>der</strong> aktuellen Klassenlehrer<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Heilpädagog<strong>in</strong><br />
und dem Schulleiter. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir von<br />
Stephans Werdegang, wie se<strong>in</strong>e Möglichkeiten und Grenzen aussahen, welche<br />
Unterstützungsmassnahmen er bisher bekam und wie er als Mensch ist.<br />
Ich spürte, <strong>das</strong>s alle von ihm bee<strong>in</strong>druckt waren und von ihm schwärmten.<br />
Zusammen mit Stephan und se<strong>in</strong>en Eltern fuhren <strong>der</strong> Heilpädagoge<br />
und ich auch zum <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erkardiologen Doktor Kretschmar nach Zürich. Er<br />
nahm sich Zeit und erklärte uns Laien Stephans Herzfehler. Wir sollten uns<br />
vorstellen, wir absolvierten auf 4000 Metern über Meer e<strong>in</strong>en Hun<strong>der</strong>tmeterlauf<br />
und müssten dazu rechnen. <strong>Das</strong> sei Stephans Normalzustand.<br />
Dieses Bild hat sich mir e<strong>in</strong>geprägt und ich konnte es später immer wie<strong>der</strong><br />
benutzen.<br />
Bei diesem Gespräch wurde ich auch me<strong>in</strong>e grösste Angst los: Konnte<br />
ich Stephans Leben durch e<strong>in</strong> falsches Verhalten me<strong>in</strong>erseits gefährden?<br />
Doktor Kretschmar beruhigte mich. Ich könne Stephan gar nicht überfor<strong>der</strong>n,<br />
se<strong>in</strong> Körper würde nicht mitmachen und die Notbremse ziehen. E<strong>in</strong>e<br />
Garantie aber, <strong>das</strong>s nie etwas passieren würde, gab mir allerd<strong>in</strong>gs niemand.<br />
Stephans Lebensprognose lag nach se<strong>in</strong>er Geburt bei e<strong>in</strong>igen Wochen, als<br />
ich ihn kennenlernte, war er dreizehn Jahre alt!<br />
Die Eltern, Stephan, <strong>der</strong> Heilpädagoge und ich überlegten geme<strong>in</strong>sam,<br />
was <strong>für</strong> Stephan vom Stundenplan her machbar war, wie wir ihm helfen<br />
konnten, wenn er fehlen sollte o<strong>der</strong> wo er die Pause verbr<strong>in</strong>gen würde.<br />
27
Wir versuchten im Vorfeld alles Mögliche zu berücksichtigen:<br />
❯ E<strong>in</strong>bau Treppenlift (geme<strong>in</strong>sam mit den Eltern und <strong>der</strong><br />
IV-Beratungsstelle)<br />
❯ Transport mit Taxi (durch die Wohnortgeme<strong>in</strong>de organisiert<br />
und bezahlt)<br />
❯ Schulbücher im Doppel <strong>für</strong> zuhause<br />
❯ Information aller Fachlehrer, verbunden mit <strong>der</strong> Bitte, ihr Fach <strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>em Klassenzimmer o<strong>der</strong> auf demselben Stockwerk zu unterrichten,<br />
damit es möglichst wenig Zimmer- beziehungsweise<br />
Stockwerkwechsel gäbe<br />
❯ Information des Lehrerkollegiums<br />
❯ Information <strong>der</strong> Klasse und <strong>der</strong> Parallelklassen am ersten Schultag<br />
❯ Information <strong>der</strong> Eltern <strong>der</strong> Klasse am Elternabend<br />
❯ Notfallblatt mit allen wichtigen Telefonnummern<br />
Nach den Sommerferien wurden alle neuen Schüler von den Zweitklässlern<br />
mit dem Velo o<strong>der</strong> dem Bus abgeholt, was an unserer <strong>Schule</strong> Tradition<br />
hat. Für mich war <strong>das</strong> e<strong>in</strong>e erste Herausfor<strong>der</strong>ung. Wir lösten <strong>das</strong> Abholen<br />
am ersten Schultag so: E<strong>in</strong>e Zweitklässler<strong>in</strong> fuhr im Taxi zusammen mit<br />
Stephan und Matthias nach Baden. Mit <strong>der</strong> Zeit lernte ich, rechtzeitig an<br />
mögliche Stolperste<strong>in</strong>e zu denken. Schnell mit <strong>der</strong> ganzen Klasse vom Klassenzimmer<br />
<strong>in</strong> die Aula wechseln, g<strong>in</strong>g nicht. Stephan brauchte zu lange<br />
und es kostete ihn zu viel Energie. Also legte ich solche Verschiebungen<br />
auf den Beg<strong>in</strong>n des Unterrichtes o<strong>der</strong> plante sie gleich nach <strong>der</strong> Pause e<strong>in</strong><br />
und musste daran denken, Stephan zu <strong>in</strong>formieren.<br />
In me<strong>in</strong>er Klasse haben alle gut akzeptiert, <strong>das</strong>s Stephan oft e<strong>in</strong>e Ausnahmeregelung<br />
hatte. Er hat generell zwei Drittel e<strong>in</strong>er Prüfung geschrieben,<br />
hat nur die Kernfächer besucht, oft nur e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Aufgaben gelöst,<br />
er durfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pause dr<strong>in</strong>nen bleiben und auch am Morgen früher <strong>in</strong>s<br />
Schulhaus kommen. Da <strong>der</strong> Treppenlift sehr langsam fuhr, kamen er und<br />
se<strong>in</strong> Begleiter (er hatte nicht die Kraft, den Lift alle<strong>in</strong>e zu bedienen) h<strong>in</strong><br />
und wie<strong>der</strong> zu spät zum Unterricht. <strong>Das</strong>s es ganz wenig Reibereien gab,<br />
hat natürlich auch viel mit Stephan zu tun. Er ist so e<strong>in</strong> liebenswürdiger<br />
Mensch, <strong>der</strong> auf an<strong>der</strong>e zugeht, sich <strong>für</strong> sie <strong>in</strong>teressiert und <strong>der</strong> e<strong>in</strong> sehr<br />
fe<strong>in</strong>es Gespür hat. Er merkt sehr schnell, wie es se<strong>in</strong>em Gegenüber geht.<br />
Die Oberstufe ist die Zeit <strong>der</strong> Pubertät. Die Schüler verän<strong>der</strong>n sich <strong>in</strong><br />
den vier Jahren, <strong>in</strong> denen ich sie begleite, äusserlich und <strong>in</strong> ihrem Wesen<br />
extrem stark. Der Unterschied zwischen den gesunden Jungs und Stephan<br />
28
wurde mit <strong>der</strong> Zeit deutlicher. Im Klassenlager <strong>der</strong> zweiten Klasse wurde<br />
es schwierig <strong>für</strong> ihn. Bei vielen sportlichen Aktivitäten war er nur noch<br />
Zuschauer. In <strong>der</strong> Freundschaft mit Matthias gab es e<strong>in</strong>e Krise, weil dieser<br />
wegen se<strong>in</strong>em sportlichen Engagement fast ke<strong>in</strong>e Zeit mehr <strong>für</strong> ihn hatte.<br />
Stephan hat sicher gelitten, er hat aber se<strong>in</strong>en Freund verstanden und den<br />
Beziehungsfaden nie abreissen lassen. Er hat Matthias auch ke<strong>in</strong>e Schuldgefühle<br />
gemacht. Gegen Ende <strong>der</strong> Schulzeit ist ihre Freundschaft wie<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong> sicherer Wert geworden.<br />
Während den ganzen vier Jahren habe ich, nebst dem Heilpädagogen,<br />
zwei Stunden pro Woche alle<strong>in</strong>e mit Stephan gearbeitet. <strong>Das</strong> war <strong>für</strong><br />
mich sehr wertvoll. Da er alle paar Wochen e<strong>in</strong>ige Tage fehlte, konnten<br />
wir <strong>in</strong> dieser Zeit den Stoff aufarbeiten. Er ist äusserst gewissenhaft und<br />
oft konnte ich Druck wegnehmen und ihn beruhigen. Stofflich ist er nämlich<br />
trotz aller Entlastungsmassnahmen problemlos mitgekommen. Oft<br />
haben wir nur geredet und ich konnte so mit <strong>der</strong> Zeit e<strong>in</strong> Gespür da<strong>für</strong><br />
entwickeln, was kräftemässig <strong>für</strong> ihn dr<strong>in</strong> lag. Während Stephan <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarschule<br />
oft Fieber bekam, gelang es ihm <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oberstufe immer besser,<br />
se<strong>in</strong>e Grenzen zu erkennen und rechtzeitig e<strong>in</strong>e Auszeit zu nehmen.<br />
In Bezug auf Schulreisen, Exkursionen, Sporttage und Schullager<br />
brauchte es natürlich e<strong>in</strong>en Zusatzaufwand. Da hatte ich mit Susanne<br />
Rutishauser vom externen Begleitdienst des zeka (zentren körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />
aargau) e<strong>in</strong>e wertvolle Hilfe. Sie hat Stephan während <strong>der</strong> Primarschule<br />
auf se<strong>in</strong>em Schulweg begleitet und sorgte <strong>in</strong> dieser Zeit <strong>für</strong> die Verb<strong>in</strong>dung<br />
zwischen <strong>Schule</strong> und Elternhaus. In <strong>der</strong> Oberstufe begleitete sie<br />
uns dann nur noch bei ausserschulischen Aktivitäten. Stephan hat nämlich<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Kommunikation mit den Lehrern selber immer mehr Verantwortung<br />
übernommen. Dank e<strong>in</strong>er sorgfältigen Planung haben wir es fertig<br />
gebracht, <strong>das</strong>s Stephan bei allen Ausflügen mit dabei se<strong>in</strong> konnte. Seit<br />
e<strong>in</strong>em Jahr ist Stephan nun <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehre als Kaufmann.<br />
Was hat dazu beigetragen, <strong>das</strong>s diese Integration so gut funktioniert<br />
hat? Dazu gehören: Freude ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong> haben, Beziehung aufbauen, mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
reden, schnelle und unkomplizierte Kommunikationswege, Goodwill<br />
und Flexibilität aller Beteiligten, Pragmatismus, Grenzen akzeptieren,<br />
Kompromisse e<strong>in</strong>gehen. Wenn ich me<strong>in</strong>e Aufzählung lese, denke ich, <strong>das</strong>s<br />
es <strong>das</strong> eigentlich bei allen Schülern braucht o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt, um e<strong>in</strong>en<br />
Schüler wie Stephan zu <strong>in</strong>tegrieren, s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e speziellen Fähigkeiten nötig,<br />
son<strong>der</strong>n Zuversicht und <strong>der</strong> Wille es zu versuchen.<br />
29
Die «Zauberformel»<br />
<strong>der</strong> Integration<br />
Stephan Stulz (18), lebt mit angeborenem Herzfehler<br />
Zugegeben, me<strong>in</strong>e Schulzeit war nicht leicht. Gerade die vielen Schulstunden<br />
und Prüfungen brachten mich immer wie<strong>der</strong> an den Rand <strong>der</strong> Erschöpfung<br />
und nicht selten auch darüber h<strong>in</strong>aus. Es war durchaus Normalität,<br />
<strong>das</strong>s ich etwa alle drei Wochen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>ige Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> fehlte. Und<br />
doch kann ich vergleichsweise von grossem Glück sprechen, wenn ich über<br />
me<strong>in</strong>e Schulzeit nachdenke. Bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarschule trafen me<strong>in</strong>e Eltern<br />
und ich auf e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong>, die sehr fortschrittlich im Bereich <strong>der</strong> Integration<br />
war. Doch <strong>in</strong> den ersten fünf Schuljahren habe ich mir weniger Gedanken<br />
darüber gemacht, warum alles so gut lief. Deshalb werde ich <strong>in</strong> diesem<br />
Artikel vor allem auf die Oberstufenzeit e<strong>in</strong>gehen.<br />
Entscheidend da<strong>für</strong>, <strong>das</strong>s ich e<strong>in</strong>e so tolle Sekundarzeit hatte, war vor<br />
allem e<strong>in</strong> Grund: Me<strong>in</strong>e Klassenlehrer<strong>in</strong>, Frau Esther Wun<strong>der</strong>li, begriff<br />
<strong>in</strong>nert kürzester Zeit die «Zauberformel» <strong>der</strong> Integration, ohne <strong>das</strong>s da<strong>für</strong><br />
gross e<strong>in</strong> Input seitens me<strong>in</strong>er Eltern o<strong>der</strong> mir notwendig gewesen wäre.<br />
Es war ihre offene Art gegenüber an<strong>der</strong>en Menschen und mir, die es ihr<br />
leicht machte, die Formel zu verstehen und im Schulalltag anzuwenden.<br />
Was macht die Zauberformel aus?<br />
Sie fragen sich nun sicher, von welcher Zauberformel ich hier spreche?<br />
<strong>Das</strong>s Sie diese nicht kennen können, ist verständlich, da ich sie selber entworfen<br />
habe.<br />
Es s<strong>in</strong>d zwei elementare D<strong>in</strong>ge, die me<strong>in</strong>e Formel ausmachen: Zum<br />
e<strong>in</strong>en ist es die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Lehrperson gegenüber dem <strong>herzkranke</strong>n<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> und zum an<strong>der</strong>en die E<strong>in</strong>sicht des Lehrers, die Integration e<strong>in</strong>es beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />
Schülers als Chance <strong>für</strong> sich selbst und auch <strong>für</strong> die Mitschüler zu<br />
sehen. Begreift die Lehrperson Punkt e<strong>in</strong>s, die richtige E<strong>in</strong>stellung, wird<br />
sie nach nicht allzu langer Zeit auch zur Erkenntnis kommen, <strong>das</strong>s sich dies<br />
als e<strong>in</strong>e Chance <strong>für</strong> sie herausstellt. Dies geschieht, <strong>in</strong> dem <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> versucht, ebenso rücksichtsvoll mit <strong>der</strong> Lehrperson umzugehen und<br />
ihr dieselbe Wertschätzung entgegenzubr<strong>in</strong>gen, wie dies die Lehrperson<br />
dem Schüler gegenüber tut. So kann es nämlich geschehen, <strong>das</strong>s zwischen<br />
dem Lehrer und dem beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Schüler e<strong>in</strong>e Vertrauensbasis entsteht<br />
30
und <strong>der</strong> Schüler dem Lehrer noch mehr die Gelegenheit gibt, von dieser<br />
Situation ebenfalls zu profitieren. Im Schulalltag kann dies zum Beispiel<br />
konkret so aussehen, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Schüler <strong>der</strong> Lehrperson ohne Angst mitteilt,<br />
wie viel <strong>für</strong> ihn möglich ist. So glaubt ihm <strong>der</strong> Lehrer beispielsweise auch,<br />
wenn <strong>der</strong> Schüler sagt, <strong>das</strong>s ihm die Kraft fehlt, um e<strong>in</strong> Diktat fertig zu<br />
schreiben. Allerd<strong>in</strong>gs kann auch <strong>das</strong> Gegenteil geschehen, wie dies bei mir<br />
und Frau Wun<strong>der</strong>li passiert ist: Da wir die gängige Regel hatten, <strong>das</strong>s ich<br />
jeweils «nur» zwei Drittel <strong>der</strong> Prüfung schreiben musste, teilte ich ihr auch<br />
mal mit, <strong>das</strong>s ich bei e<strong>in</strong>er Wortschatz-Prüfung, wo man nur rund zwanzig<br />
Wörter übersetzen musste, problemlos alle Wörter schreiben kann.<br />
31<br />
Integration als Chance<br />
Im folgenden Abschnitt möchte ich noch genauer erklären, wieso ich Integration<br />
als Chance sehe. Für e<strong>in</strong>e <strong>herzkranke</strong> Person gibt es viele Situationen<br />
im Leben, <strong>in</strong> denen man vor e<strong>in</strong> Problem gestellt wird und dieses<br />
oftmals nur mit Hilfe weiterer Personen lösen kann. Es s<strong>in</strong>d dies meistens<br />
Probleme, die e<strong>in</strong> gesun<strong>der</strong> Mensch womöglich gar nicht sieht, da dieser<br />
selber nicht auf Hilfe angewiesen ist. Bereits e<strong>in</strong> simples Beispiel wie<br />
e<strong>in</strong>e lange Treppe stellt manche <strong>herzkranke</strong> Person vor e<strong>in</strong> grösseres Problem.<br />
Für die meisten gesunden Personen dürfte hierbei ke<strong>in</strong>es zu erkennen<br />
se<strong>in</strong>. Man läuft halt ganz e<strong>in</strong>fach die Treppe hoch. Doch was machen<br />
gesunde Leute mit e<strong>in</strong>em <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>, wenn dieses nicht die Kraft<br />
hat, die Stufen <strong>der</strong> Treppe zu überw<strong>in</strong>den? Hier ist es nötig, geme<strong>in</strong>sam<br />
e<strong>in</strong>e Lösung zu suchen und Rücksicht auf <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> zu nehmen. E<strong>in</strong>e enorm<br />
wertvolle Erfahrung, von <strong>der</strong> man viel lernen kann: Geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e gute<br />
Lösung zu f<strong>in</strong>den, aber auch Respekt vor dem <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong> zu haben.<br />
Denn wenn man tagtäglich vor solche Probleme gestellt wird, verdient <strong>das</strong><br />
durchaus den nötigen Respekt. Wenn man annimmt, <strong>das</strong>s sich <strong>der</strong> Tagesablauf<br />
e<strong>in</strong>er gesunden und <strong>der</strong>jenige e<strong>in</strong>er <strong>herzkranke</strong>n Person gleich gestaltet,<br />
läuft es darauf h<strong>in</strong>aus, <strong>das</strong>s die <strong>herzkranke</strong> Person an diesem Tag mehr<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen als die gesunde Person gemeistert hat.<br />
Wenn man also die Integration e<strong>in</strong>es <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es <strong>in</strong> den Schulalltag<br />
als Chance ansieht, hat man me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach die richtige E<strong>in</strong>stellung<br />
gefunden. Lei<strong>der</strong> weiss ich, <strong>das</strong>s viele an<strong>der</strong>e <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er
erfahren mussten, <strong>das</strong>s dies von ihren Lehrpersonen nicht so verstanden<br />
wird. Allerd<strong>in</strong>gs möchte ich hier nicht unerwähnt lassen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> ebenfalls viel da<strong>für</strong> tun kann. Wie will e<strong>in</strong>e Lehrperson ihre<br />
Aufgabe als Chance sehen, wenn ihr nicht die Zeit gegeben wird, den Alltag<br />
e<strong>in</strong>es <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es verstehen zu lernen? Ich selber b<strong>in</strong> mich ja<br />
seit ewig daran gewöhnt, viel Unterstützung von Eltern, Geschwistern,<br />
Freunden und Bekannten zu erhalten. So erwartet man selber auch meist<br />
sofortige perfekte Unterstützung von Seiten e<strong>in</strong>er Lehrer<strong>in</strong>. Dies ist aber<br />
nicht zw<strong>in</strong>gend vom ersten Tag an möglich. Wie will e<strong>in</strong>e Lehrperson e<strong>in</strong>e<br />
Lösung f<strong>in</strong>den, bevor sie <strong>das</strong> Problem erkennt? Dazu kommt, <strong>das</strong>s man<br />
von an<strong>der</strong>en nicht verlangen kann, etwas als Chance zu sehen, wenn man<br />
<strong>das</strong> nicht selber auch tut!<br />
Zum Schluss sche<strong>in</strong>t es mir wichtig, noch e<strong>in</strong>e Tatsache festzuhalten,<br />
<strong>das</strong>s man sich als <strong>herzkranke</strong>s <strong>K<strong>in</strong>d</strong> o<strong>der</strong> Jugendlicher <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Klasse<br />
nicht durch den Herzfehler <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellen sollte. Für die Mitschüler<br />
kann es manchmal schwierig se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>zelne Beschlüsse zwischen<br />
dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und dem Lehrer zu begreifen und e<strong>in</strong>ige me<strong>in</strong>en, solche Nachteilsausgleiche<br />
seien unfair. Gerade im jugendlichen Alter ist es zudem so,<br />
<strong>das</strong>s viele Schüler Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten. Wenn man<br />
se<strong>in</strong>en Herzfehler ausnützt, um dies zu tun, kommt <strong>das</strong> bei den Mitschülern<br />
nicht gut an. Daher habe ich mich bewusst immer zurückgehalten.<br />
Es ist zudem nicht notwendig, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Lehrer jeden Beschluss <strong>der</strong> Klasse<br />
bekannt gibt. Im Kontakt mit dem <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong> werden die Mitschüler<br />
ihre eigenen Erfahrungen machen und ebenfalls auf Situationen stossen,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> sie geme<strong>in</strong>sam nach e<strong>in</strong>er Lösung suchen müssen.<br />
Müsste ich e<strong>in</strong> Fazit ziehen, würde ich wohl sagen, <strong>das</strong>s die gegenseitige<br />
Wertschätzung aller <strong>in</strong>volvierten Personen auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er<br />
gelungenen Integration am wichtigsten ist.<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e Integration, die bereits am ersten Tag zu hun<strong>der</strong>t Prozent<br />
glückt, weshalb man e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> Zeit lassen sollte. Selbst wenn sich Lehrer<br />
und Schüler schon früh gut verstanden haben, kann man auch nach e<strong>in</strong>igen<br />
Jahren noch vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> lernen und profitieren.<br />
32
Interview mit e<strong>in</strong>em Schulleiter<br />
Monika Stulz <strong>in</strong>terviewt Stefan Künzi, Schulleiter Oberstufe<br />
33<br />
Wenn me<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> durch se<strong>in</strong>en Herzfehler E<strong>in</strong>schränkungen hat und nun e<strong>in</strong>geschult<br />
werden soll, an wen wende ich mich und wie gehe ich vor?<br />
Sie wenden sich im Herbst vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulung beziehungsweise vor dem ersten<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergartenjahr an die Schulbehörde Ihres Wohnortes. Sie stellen e<strong>in</strong>en aktuellen<br />
Fachbericht (mediz<strong>in</strong>ischer Bericht des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>erkardiologen o<strong>der</strong> Hausarztes) zur<br />
Verfügung und fragen nach, wie <strong>das</strong> weitere Vorgehen se<strong>in</strong> wird.<br />
Was tun Sie als Schulleiter als erstes, wenn Sie von e<strong>in</strong>em <strong>K<strong>in</strong>d</strong> mit beson<strong>der</strong>en<br />
Bedürfnissen erfahren?<br />
Ich versuche genauere Infos zu erhalten, lese wenn möglich die Fachberichte und<br />
lade die Eltern und Fachpersonen, die <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> kennen, zu e<strong>in</strong>em Gespräch e<strong>in</strong>.<br />
Woh<strong>in</strong> wendet sich e<strong>in</strong>e Schulleitungsperson, wenn sie noch nie e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> mit<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> chronischer Krankheit an ihrer <strong>Schule</strong> hatte?<br />
Sie fragt beim kantonalen Bildungsdepartement nach, unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
die <strong>Schule</strong> welche Unterstützung erhält. Sie wendet sich an den schulpsychologischen<br />
Dienst o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Fachstelle.<br />
Me<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> hat e<strong>in</strong>en schweren Herzfehler und nicht die Kraft, den Schulweg<br />
selbständig zu bewältigen. Woh<strong>in</strong> sollen sich Eltern wenden?<br />
Da<strong>für</strong> ist die Wohnortsgeme<strong>in</strong>de zuständig. Fragen Sie bei <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de/Stadtverwaltung<br />
nach o<strong>der</strong> wenden Sie sich an e<strong>in</strong>en entsprechenden Begleitdienst Ihres<br />
Kantones. Bestimmt ist die Schulbehörde im Besitz <strong>der</strong> Adresse e<strong>in</strong>es kantonalen<br />
Begleitdienstes.<br />
Als Eltern haben wir möglicherweise Angst, <strong>das</strong>s unser <strong>K<strong>in</strong>d</strong> wegen<br />
se<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> gehänselt wird. Wie kann dies verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />
werden?<br />
Wichtig f<strong>in</strong>de ich, <strong>das</strong>s Klassenkamerad<strong>in</strong>nen und Klassenkameraden sowie<br />
<strong>der</strong>en Eltern früh über die Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>in</strong>formiert werden. Auch über<br />
«Nachteilsausgleiche» (siehe nächste Frage) soll transparent gesprochen werden.<br />
Hänseleien kann es aber immer geben, auch bei <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern ohne Bee<strong>in</strong>trächtigung.<br />
In diesem Fall ist entscheidend, <strong>das</strong>s die Erwachsenen sich gegenseitig über ihre<br />
Kenntnisse <strong>in</strong>formieren und e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Strategie festlegen. Solche Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />
s<strong>in</strong>d nicht e<strong>in</strong>fach auszuhalten, vor allem wenn sie massiv s<strong>in</strong>d.
Vielleicht hilft den Eltern die Aussicht, <strong>das</strong>s <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er aus solchen Konflikten auch<br />
gestärkt hervorgehen können.<br />
Was ist e<strong>in</strong> Nachteilsausgleich und wie wird er beschlossen?<br />
E<strong>in</strong> Nachteilsausgleich ist e<strong>in</strong>e «Korrektur e<strong>in</strong>er unausgeglichenen Situation, um<br />
e<strong>in</strong>er Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgrund e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung vorzubeugen» (Aus: FAQ<br />
Nachteilsausgleich <strong>der</strong> Stiftung Schweizer Zentrum <strong>für</strong> Heil- und Son<strong>der</strong>pädagogik,<br />
dar<strong>in</strong> wird auch die rechtliche Grundlage beschrieben). Beispielsweise<br />
kann <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Prüfung mehr Zeit zur Verfügung gestellt werden o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Prüfung<br />
erfolgt mündlich statt schriftlich. An me<strong>in</strong>er <strong>Schule</strong> haben wir auch schon<br />
überlegt, welche Teile e<strong>in</strong>es Faches weggelassen werden könnten (zum Beispiel<br />
im Turnunterricht) und welche Auswirkungen dies <strong>für</strong> die Benotung hat. Da gibt<br />
es ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>gültige Regelung; Eltern, <strong>Schule</strong> und Fachperson müssen dies<br />
von Fall zu Fall besprechen.<br />
Was glauben Sie macht aus, ob e<strong>in</strong>e Integration gel<strong>in</strong>gt o<strong>der</strong> nicht?<br />
Grundsätzlich ist e<strong>in</strong>e positive Grundhaltung aller Beteiligten wichtig. <strong>Das</strong> Sprichwort<br />
«Wo e<strong>in</strong> Wille ist, ist e<strong>in</strong> Weg» hat mir schon oft weitergeholfen. Zweifel<br />
o<strong>der</strong> heikle Punkte müssen transparent angesprochen werden können, ohne<br />
<strong>das</strong>s daraus e<strong>in</strong>e Grundsatzfrage wird. Ich erlebe als Schulleiter e<strong>in</strong>er Oberstufe<br />
immer wie<strong>der</strong>, <strong>das</strong>s SchülerInnen mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen gut <strong>in</strong>tegriert werden<br />
können, auch wenn nicht alles gleich möglich ist. Manchmal s<strong>in</strong>d Kompromisse<br />
nötig. Die <strong>Schule</strong> muss von Anfang an klar kommunizieren, welche Massnahmen<br />
im Zusammenhang mit dieser Integration getroffen werden (Stundenbelastung,<br />
Lernzielbefreiung, Nachteilsausgleich) und <strong>das</strong>s diese Massnahmen nur im Zusammenhang<br />
mit dieser Integration gültig s<strong>in</strong>d.<br />
Was können Eltern aktiv dazu beitragen, damit die Integration eher gel<strong>in</strong>gt?<br />
Eltern können versuchen, sich <strong>in</strong> die Situation e<strong>in</strong>er Lehrperson zu versetzen, <strong>in</strong>dem<br />
sie sich beispielsweise folgende Fragen stellen: «Wie funktioniert die Integration<br />
mit weiteren zwanzig bis fünfundzwanzig <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern, die auch ihre Bedürfnisse haben?<br />
Wie gehen Lehrpersonen damit um, <strong>das</strong>s an<strong>der</strong>e <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er <strong>das</strong> Gefühl haben,<br />
e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> werde bevorzugt? Wie reagiert e<strong>in</strong>e Lehrperson, wenn an<strong>der</strong>e Eltern ihr<br />
den Vorwurf machen, e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> werde bevorzugt?» Damit umzugehen ist <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Lehrperson nicht e<strong>in</strong>fach. Wenn Eltern da<strong>für</strong> Verständnis aufbr<strong>in</strong>gen, hilft <strong>das</strong><br />
enorm. Kompromisse werden so weniger zu e<strong>in</strong>er Grundsatzfrage.<br />
Was können Lehrpersonen und Fachleute aktiv dazu beitragen, damit die<br />
Integration eher gel<strong>in</strong>gt?<br />
Lehrpersonen können im Gegenzug ebenfalls versuchen, sich <strong>in</strong> die Lage <strong>der</strong><br />
Eltern zu versetzen: «Wie ist <strong>das</strong>, wenn e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> immer spezielle Bed<strong>in</strong>gungen<br />
braucht, wenn Eltern dauernd um Problemlösungen r<strong>in</strong>gen, sie viele Kompromisse<br />
e<strong>in</strong>gehen müssen? Und wie fühlt man sich, wenn an<strong>der</strong>e Eltern allenfalls zum<br />
34
Ausdruck br<strong>in</strong>gen, <strong>das</strong>s dieses <strong>K<strong>in</strong>d</strong> nicht <strong>in</strong> diese Klasse gehöre?» Mit solchen<br />
Situationen umzugehen, ist <strong>für</strong> Eltern auch nicht immer e<strong>in</strong>fach, vor allem wenn es<br />
dann noch zusätzlich gilt, die eigenen Emotionen stets im Zaum zu halten. Wenn<br />
Lehrpersonen da<strong>für</strong> Verständnis aufbr<strong>in</strong>gen, fühlen sich Eltern ernst genommen<br />
und notwendige Kompromisse f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>facher.<br />
Welches s<strong>in</strong>d die positiven Aspekte e<strong>in</strong>er Integration?<br />
Je mehr sogenannt «normale» <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Erwachsene darüber erfahren, wie<br />
unterschiedlich Menschen se<strong>in</strong> können, umso besser ist <strong>das</strong> <strong>für</strong> unsere Zukunft. Sie<br />
erleben, <strong>das</strong>s Verschiedense<strong>in</strong> etwas Bereicherndes und Spannendes ist. Sie lernen<br />
zudem, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Zusammenleben eher e<strong>in</strong>facher wird, je grösser die Unterschiede<br />
s<strong>in</strong>d. Wenn aus <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern möglichst homogene Gruppen gebildet werden, steigert<br />
dies e<strong>in</strong> Konkurrenzdenken, <strong>das</strong> die Geme<strong>in</strong>schaft nicht weiterbr<strong>in</strong>gt. E<strong>in</strong>e Leistung<br />
ist dann nur im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en gut o<strong>der</strong> schlecht. Es ist viel besser,<br />
wenn <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er ihren Möglichkeiten entsprechend gute bis sehr gute Leistungen<br />
erbr<strong>in</strong>gen können. <strong>Das</strong> Vergleichen kommt noch früh genug. Ich glaube, <strong>das</strong>s die<br />
grösseren Probleme <strong>der</strong> Menschheit nur geme<strong>in</strong>schaftlich zu lösen s<strong>in</strong>d, wenn<br />
alle ihre Stärken und Möglichkeiten e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />
Was aber s<strong>in</strong>d Probleme, die entstehen können?<br />
Probleme gibt es immer, wenn Menschen viel mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu tun haben. Die e<strong>in</strong>en<br />
grenzen an<strong>der</strong>e aus o<strong>der</strong> manche haben Mühe, Freund<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Freunde zu<br />
f<strong>in</strong>den. Auch können die speziellen Lösungen zu aufwändig se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> irgendwo<br />
fehlt die notwendige Unterstützung. Wenn es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Integration Probleme gibt,<br />
s<strong>in</strong>d nicht automatisch immer die <strong>in</strong>tegrierten <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er die Opfer. Auch <strong>das</strong> gilt es<br />
h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> zu akzeptieren. Es kann aber nicht <strong>das</strong> Ziel se<strong>in</strong>, stets Probleme zu<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n zu lernen, gut damit umzugehen und Lösungen zu f<strong>in</strong>den.<br />
Gerade im Bereich <strong>der</strong> Sozialkompetenz werden <strong>in</strong> <strong>in</strong>tegrativen Klassen viele<br />
wichtige Erfahrungen gemacht.<br />
Kurz zusammengefasst: Welches s<strong>in</strong>d die wichtigsten Punkte, damit Integration<br />
klappt?<br />
<strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e positive Grundhaltung, Kompromissfähigkeit, Flexibilität und Transparenz<br />
aller Beteiligten.<br />
35
Der runde Tisch – Erfahrungen und<br />
Gedanken aus Sicht <strong>der</strong> Schulleitung<br />
Stefan Wirz, Leiter <strong>der</strong> Oberstufe Schöftland<br />
«Der runde Tisch steht s<strong>in</strong>nbildlich <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same, demokratische<br />
und partnerschaftliche Grundhaltung bei <strong>der</strong> Suche nach Lösungen <strong>für</strong> Probleme,<br />
die sich im Bereich <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> bei Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern stellen.»<br />
(Steppacher Josef; Gschwend Raphael: «Webbasierter För<strong>der</strong>planer<br />
WFP 1.0»; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Powerpo<strong>in</strong>tpräsentation <strong>für</strong> den 5. Schweizer Heilpädagogik-Kongress<br />
<strong>in</strong> Bern).<br />
Unterschiedliche Jugendliche – unterschiedliche Bedürfnisse<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres zeichnete e<strong>in</strong>e Lehrperson, als sie die Klasse über<br />
die Situation e<strong>in</strong>es <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schränkung <strong>in</strong>formiert hat, e<strong>in</strong> schönes<br />
Bild: «Stellt euch vor, ihr müsst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>en 1000-Meter-Lauf<br />
machen, dann ist es doch unfair, wenn e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>be<strong>in</strong>iger <strong>für</strong> die gleiche Note<br />
die gleiche Leistung wie e<strong>in</strong> gesun<strong>der</strong> Schüler mit zwei Be<strong>in</strong>en erbr<strong>in</strong>gen<br />
muss.» Die Klasse hat diese Aussage mit e<strong>in</strong>er Selbstverständlichkeit aufgenommen,<br />
wie ich es selten erlebt habe.<br />
Unterschiedliche Voraussetzungen erfor<strong>der</strong>n unterschiedliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Damit die <strong>Schule</strong> auf die Bedürfnisse von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern mit E<strong>in</strong>schränkungen<br />
e<strong>in</strong>gehen kann, ist es nötig, <strong>das</strong>s man – dem e<strong>in</strong>leitenden<br />
Zitat entsprechend – geme<strong>in</strong>sam nach Lösungen sucht und die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
und unterstützenden Massnahmen festlegt<br />
Was bedeutet geme<strong>in</strong>sam? – Haltung und Ressourcen<br />
Es kann e<strong>in</strong>schüchternd wirken, wenn viele Fachleute an e<strong>in</strong>em runden<br />
Tisch teilnehmen: Eltern, Ärzte, Lehrpersonen, Heilpädagogen, Inspektoren,<br />
Schulleiter, Schulpsychologen und an<strong>der</strong>e mehr. Me<strong>in</strong>er Erfahrung nach ist<br />
es jeweils situationsabhängig, wer daran teilnehmen sollte. Wichtig ist auf<br />
<strong>der</strong> Oberstufe sicherlich, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> betreffende <strong>K<strong>in</strong>d</strong>, dessen Eltern sowie<br />
die Klassenlehrperson und e<strong>in</strong>e Vertretung aus <strong>der</strong> Schulleitung anwesend<br />
s<strong>in</strong>d. <strong>Das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und die Eltern kennen die Bedürfnisse am besten und können<br />
aufzeigen, wo sich im Schulalltag E<strong>in</strong>schränkungen ergeben. Die Klassenlehrperson<br />
sowie <strong>das</strong> Schulleitungsmitglied können darlegen, welche<br />
Möglichkeiten sich an <strong>der</strong> betreffenden <strong>Schule</strong>, beziehungsweise im Unter-<br />
36
icht, bieten und wo während des Unterrichts die Beson<strong>der</strong>heiten des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es<br />
zum Tragen kommen.<br />
In vielen Schulleitbil<strong>der</strong>n ist zu lesen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> im Mittelpunkt<br />
steht und <strong>das</strong>s versucht wird, es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em guten Lernumfeld optimal zu<br />
för<strong>der</strong>n. Diese Grundhaltung kann an runden Tischen gelebt werden, und<br />
sie ist die Ausgangslage <strong>für</strong> die Ziele solcher Gespräche: Für <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit E<strong>in</strong>schränkungen<br />
sollen optimale Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erarbeitet werden.<br />
Es gibt Momente, <strong>in</strong> denen sich die «geme<strong>in</strong>same Suche nach Lösungen<br />
<strong>für</strong> Probleme, die sich im Bereich <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> bei Schülern stellen»,<br />
erschwert und die Ideen <strong>für</strong> kreative und massgeschnei<strong>der</strong>te Lösungen<br />
fehlen. In diesen Momenten hat sich gezeigt, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bezug von Fachleuten<br />
sehr gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend ist, da diese Personen oftmals schon ähnliche<br />
Situationen bearbeitet haben und somit auf e<strong>in</strong>en Erfahrungsschatz<br />
zurückgreifen können.<br />
Manchmal kommt es vor, <strong>das</strong>s Ressourcen <strong>für</strong> zusätzliche Angebote<br />
beziehungsweise zusätzliche Unterstützungs- und Begleitmassnahmen an<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> fehlen. Diese Ressourcen werden dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel vom Kanton<br />
zur Verfügung gestellt. Falls solche Angebote <strong>in</strong> Anspruch genommen<br />
werden, ist es nötig, <strong>das</strong>s Vertreter <strong>der</strong> entsprechenden Instanz ebenfalls<br />
am runden Tisch teilnehmen.<br />
37<br />
Dauer – Rahmen – Inhalte – Überprüfung<br />
Ich unterscheide hier zwischen zwei unterschiedlichen runden Tischen: Der<br />
erste runde Tisch und die Überprüfungsgespräche.<br />
Am ersten runden Tisch geht es darum, <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und die Situation kennenzulernen:<br />
Um welche E<strong>in</strong>schränkungen handelt es sich? Wie zeigen sich<br />
diese im Alltag und welche Erfahrungen wurden bis anh<strong>in</strong> gemacht (beispielsweise<br />
im schulischen Umfeld)? Ausgehend davon kann man geme<strong>in</strong>sam<br />
– unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> – über Lösungen<br />
diskutieren und diese verb<strong>in</strong>dlich festhalten.<br />
Der Zeitpunkt <strong>für</strong> solche Gespräche kann nterschiedlich se<strong>in</strong>: Oftmals<br />
ist es wertvoll, wenn <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> im neuen schulischen Umfeld bereits e<strong>in</strong>ige<br />
Erfahrungen gesammelt hat. So können e<strong>in</strong>erseits von den Eltern beziehungsweise<br />
vom <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und von Seiten <strong>der</strong> Klassenlehrperson treffen<strong>der</strong>e
Aussagen zu den beson<strong>der</strong>en Bedürfnissen des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es gemacht werden. Es<br />
gibt aber auch Fälle, <strong>in</strong> denen es wichtig ist, <strong>das</strong>s die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
bereits vor dem Schulantritt geklärt und nötigenfalls zusätzliche Begleitmassnahmen<br />
gesprochen werden. Mir hat sich gezeigt, <strong>das</strong>s dazu oftmals<br />
auch die Information an die Klassenlehrperson genügt, damit diese auf<br />
die neue Situation sensibilisiert ist und ausgehend davon Erfahrungen <strong>für</strong><br />
e<strong>in</strong>en ersten runden Tisch sammeln kann.<br />
Damit die Ziele des runden Tisches nicht aus den Augen verloren werden,<br />
ist es wichtig, <strong>das</strong>s dieser geleitet wird. Bei uns an <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> mo<strong>der</strong>ieren<br />
Schulleitungsmitglie<strong>der</strong> solche Gespräche. Dies ersche<strong>in</strong>t mir aus folgenden<br />
Gründen wichtig: Sie s<strong>in</strong>d nicht direkt <strong>in</strong> <strong>das</strong> Unterrichtsgeschehen<br />
<strong>in</strong>volviert und haben so die nötige Distanz. Zudem kennen sie die Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> vor Ort sowie die nötigen Stellen, welche <strong>für</strong> zusätzliche<br />
Ressourcen zuständig s<strong>in</strong>d. Diese Gespräche dauern etwas mehr als<br />
e<strong>in</strong>e Stunde. Es hat sich gezeigt, <strong>das</strong>s es wertvoll ist, wenn vorgängig Fachberichte<br />
e<strong>in</strong>gereicht werden, damit die Beson<strong>der</strong>heit des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es etwas<br />
genauer eruiert werden kann.<br />
Nach den am ersten runden Tisch getroffenen Abmachungen müssen<br />
von Zeit zu Zeit Überprüfungsgespräche stattf<strong>in</strong>den: Entsprechen die vere<strong>in</strong>barten<br />
Massnahmen effektiv den Bedürfnissen des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es? Wie hat sich<br />
<strong>der</strong> Zustand des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es verän<strong>der</strong>t? Was s<strong>in</strong>d die Erfahrungen im Unterricht<br />
und Zuhause? Anfänglich sollte die Überprüfung nach spätestens vier bis<br />
fünf Monaten stattf<strong>in</strong>den. Bei unproblematischen Situationen reicht e<strong>in</strong>e<br />
jährliche Überprüfung.<br />
Je<strong>der</strong> Mensch ist an<strong>der</strong>s und br<strong>in</strong>gt Unterschiedliches mit. Diese Tatsache<br />
macht die Arbeit mit Menschen spannend und manchmal herausfor<strong>der</strong>nd.<br />
Ich wünsche mir von den Menschen, <strong>das</strong>s sie mich so nehmen wie<br />
ich b<strong>in</strong>. Und genau so will ich auch mit den Menschen umgehen.<br />
38
Erfahrungen aus <strong>der</strong> Schulzeit mit<br />
me<strong>in</strong>em <strong>herzkranke</strong>n Sohn<br />
Elisabeth Gähwiler, Mutter<br />
39<br />
Seit dem <strong>Schule</strong><strong>in</strong>tritt unseres Sohnes Gabriel s<strong>in</strong>d bereits bald elf Jahre<br />
vergangen. Ich er<strong>in</strong>nere mich gut an e<strong>in</strong>ige Begebenheiten, die prägenden<br />
E<strong>in</strong>fluss auf se<strong>in</strong>e Entwicklung hatten. Neben vielen schönen Erfahrungen<br />
gab es auch Erlebnisse, die schmerzten. Solche gehören nun e<strong>in</strong>mal auch<br />
zum Leben, und ich stellte fest, <strong>das</strong>s sie Gabriel nicht schadeten, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>das</strong>s er dadurch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung se<strong>in</strong>er Persönlichkeit gestärkt wurde.<br />
Nach <strong>der</strong> überaus guten <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergartenzeit begann e<strong>in</strong> neuer Lebensabschnitt.<br />
<strong>Das</strong> Abschlussgespräch mit <strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ergärtner<strong>in</strong> bestätigte uns<br />
nochmals, <strong>das</strong>s Gabriel schulreif war und wir mit e<strong>in</strong>em guten Gefühl <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>schulung entgegenblicken durften. Trotzdem machte ich mir Gedanken<br />
und fragte mich auch ab und zu, ob Gabriel den neuen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
wohl wirklich gewachsen war. Die komplizierten, ereignisreichen ersten<br />
Lebensjahre mit Spitalaufenthalten, Operationen, kardiologischen Untersuchungen,<br />
an<strong>der</strong>en Krankheiten und Arztterm<strong>in</strong>en, Abklärungen und vielen<br />
Therapien waren nicht spurlos an uns vorübergegangen. Gabriel war <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>igen Bereichen langsam und noch nicht sehr selbständig, se<strong>in</strong>e zerebral<br />
bed<strong>in</strong>gten grob- und fe<strong>in</strong>motorischen Schwierigkeiten waren offensichtlich,<br />
und durch se<strong>in</strong>en komplexen Herzfehler war er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er körperlichen Leistungsfähigkeit<br />
e<strong>in</strong>geschränkt. Gleichzeitig war er aber e<strong>in</strong> aufgewecktes,<br />
<strong>in</strong>telligentes und wissbegieriges <strong>K<strong>in</strong>d</strong>, <strong>das</strong> sich sehr auf die <strong>Schule</strong> freute.<br />
Schon im Laufe <strong>der</strong> ersten Schulwoche klärte ich die Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
ausführlichen Gespräch über Gabriels beson<strong>der</strong>e Situation auf. Geme<strong>in</strong>sam<br />
mit se<strong>in</strong>em Physiotherapeuten hatte ich schon vorher besprochen, was ich<br />
alles erwähnen wollte. Dies erwies sich als ideal, gab mir doch diese Zusammenarbeit<br />
mit e<strong>in</strong>er Fachperson, die Gabriel schon e<strong>in</strong>ige Jahre kannte,<br />
die Gewissheit, alle wichtigen Punkte anzusprechen, damit <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><strong>in</strong>tritt<br />
möglichst problemlos gel<strong>in</strong>gen konnte.<br />
Und so war es dann auch. Die Lehrer<strong>in</strong> war sehr froh über me<strong>in</strong>e Offenheit<br />
und g<strong>in</strong>g mit Gabriels Beson<strong>der</strong>heiten ganz natürlich und unkompliziert<br />
um. Für alle Fälle hatte sie e<strong>in</strong> paar Telefonnummern zur Verfügung,<br />
was sowohl ihr selber wie auch mir Sicherheit gab. In e<strong>in</strong>er speziellen Klassenstunde<br />
<strong>in</strong>formierte sie die ganze Klasse über Gabriels Herzfehler, was
diese sehr gut aufnahm. Alle behandelten Gabriel ganz normal. Se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong><br />
verstand es sehr gut, ihn <strong>in</strong> die Klasse zu <strong>in</strong>tegrieren, so <strong>das</strong>s er sehr<br />
gerne zur <strong>Schule</strong> g<strong>in</strong>g und dort auch Freunde fand.<br />
Damit unser Sohn möglichst selbständig se<strong>in</strong> konnte, trug er immer<br />
Klei<strong>der</strong>, die er selber mühelos aus- und anziehen konnte. Schuhe mit Klettverschlüssen<br />
waren ebenfalls praktisch. Auf diese Art kam Gabriel recht gut<br />
zurecht und fiel nicht gross auf. Die Schulstunden meisterte er fast immer<br />
ohne grössere Schwierigkeiten, er war e<strong>in</strong> guter, vielseitig <strong>in</strong>teressierter<br />
Schüler. Im Schreiben war er langsam, konnte dies aber durch schnelles Denken<br />
etwas ausgleichen. Die Bewältigung e<strong>in</strong>es Schultages kostete ihn aber<br />
viel Kraft, so <strong>das</strong>s er sich nach <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zuerst ausruhen musste, bevor<br />
er die Hausaufgaben erledigen konnte. Überhaupt war <strong>für</strong> Gabriel genügend<br />
Schlaf immer sehr wichtig. Er war oft <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Zimmer, brauchte<br />
Zeit <strong>für</strong> die Erholung und beschäftigte sich alle<strong>in</strong>, während die an<strong>der</strong>en<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er draussen herumtobten und spielten.<br />
Ich muss zugeben, <strong>das</strong>s mir dies manchmal weh tat und ich auch gegen<br />
aufkommenden Neid ankämpfen musste. Gabriel selber war deswegen<br />
selten traurig und konnte erstaunlich gut mit den Gegebenheiten umgehen.<br />
Von se<strong>in</strong>em Charakter her war er e<strong>in</strong> stilles, zurückgezogenes <strong>K<strong>in</strong>d</strong>,<br />
<strong>das</strong> aber auch e<strong>in</strong>en Kämpfergeist <strong>in</strong> sich hatte und e<strong>in</strong> richtiges Stehaufmännchen<br />
war.<br />
Zu <strong>der</strong> Zeit lernte er auch im Schachklub Schach spielen und zeigte<br />
schon bald e<strong>in</strong>e grosse Begeisterung und Leidenschaft <strong>für</strong> dieses Spiel. Er<br />
hatte grosses Talent und fand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em geliebten Hobby Erfüllung. Dank<br />
dieser Anerkennung und Bestätigung gelang es Gabriel immer besser,<br />
se<strong>in</strong>e Unsicherheiten zu überw<strong>in</strong>den und mehr Selbstvertrauen zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Sehr schön war auch zu sehen, <strong>das</strong>s ihn die <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> diesen und an<strong>der</strong>en<br />
Stärken unterstützte und er <strong>in</strong> solchen Bereichen weiter geför<strong>der</strong>t<br />
wurde. Die Schwächen, die sich zwar verbessern, nicht aber beheben liessen,<br />
gehörten zu ihm und wurden akzeptiert. Durch <strong>das</strong> Fokussieren auf<br />
die Stärken wuchs Gabriels Selbstwertgefühl und er kam viel besser mit<br />
se<strong>in</strong>en Schwachstellen und E<strong>in</strong>schränkungen zurecht.<br />
Auch die Turnstunden, die ausserschulischen Aktivitäten und Schulreisen<br />
brauchten uns ke<strong>in</strong>e grossen Sorgen zu machen. Se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> war<br />
sehr flexibel, geschickt und e<strong>in</strong>fallsreich. Den Turnunterricht gestaltete sie<br />
meist spielerisch. Waren die Anstrengungen <strong>für</strong> Gabriel zu gross, hielt sie<br />
wie selbstverständlich <strong>für</strong> ihn e<strong>in</strong>e spezielle Aufgabe bereit, die ihn aber<br />
nie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unangenehme Son<strong>der</strong>rolle drängte. Sie verzichtete auf grosse<br />
Wan<strong>der</strong>ungen und dachte sich Unternehmungen aus, an denen Gabriel pro-<br />
40
41<br />
blemlos teilnehmen konnte. Als ausgesprochene Tierfreund<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g sie mit<br />
ihren Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern gerne <strong>in</strong> den Zoo. Gabriel konnte eigentlich<br />
gut mithalten. Zwischendurch setzte er sich h<strong>in</strong>, beobachtete auf diese<br />
Weise die Tiere und ruhte sich dabei gleichzeitig etwas aus. Dadurch, <strong>das</strong>s<br />
die Lehrer<strong>in</strong> von sich aus auf die Bedürfnisse von Gabriel e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g und so<br />
plante, <strong>das</strong>s er dabei se<strong>in</strong> konnte, nahm er nur selten e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle e<strong>in</strong>.<br />
Als Gabriel <strong>in</strong> <strong>der</strong> dritten Klasse war, hielten die Ärzte aufgrund <strong>der</strong><br />
Fehlstellung se<strong>in</strong>er Füsse e<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>operation <strong>für</strong> nötig, die dann jedoch<br />
nicht den gewünschten Erfolg brachte. Wir versuchten weiterh<strong>in</strong> mit Physiotherapie<br />
und Schuhe<strong>in</strong>lagen se<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Gangbild zu verbessern,<br />
doch e<strong>in</strong>e Skoliose und e<strong>in</strong> leicht verkürztes Be<strong>in</strong> erschwerten zusätzlich<br />
e<strong>in</strong> unauffälliges Gehen.<br />
Gabriel entwickelte sich körperlich nur langsam, die Unterschiede zu<br />
Gleichaltrigen wurden grösser. <strong>Das</strong> wilde Treiben auf dem Pausenplatz überfor<strong>der</strong>te<br />
ihn oft und er suchte Schutz bei se<strong>in</strong>er drei Jahre älteren Schwester<br />
Mirjam. E<strong>in</strong>e Zeit lang wurde er auf dem Schulweg gehänselt und nachgeahmt.<br />
Mirjam setzte sich sehr <strong>für</strong> ihren Bru<strong>der</strong> e<strong>in</strong> und übernahm die<br />
Beschützerrolle. Für mich zeugte dies von Vertrauen und Reife, <strong>das</strong>s die<br />
beiden geme<strong>in</strong>sam <strong>das</strong> Problem ang<strong>in</strong>gen und selbständig lösen konnten.<br />
Dem Übertritt <strong>in</strong> die vierte Klasse mit neuen Lehrer<strong>in</strong>nen und neuen<br />
Klassenkamerad<strong>in</strong>nen und Klassenkameraden blickten wir mit gemischten<br />
Gefühlen entgegen. Gabriel wurde vor neue Herausfor<strong>der</strong>ungen gestellt.<br />
<strong>Das</strong> Lerntempo nahm zu, <strong>das</strong> Fach Geometrie verlangte e<strong>in</strong> gutes Vorstellungsvermögen<br />
und e<strong>in</strong> exaktes Arbeiten, die Näh- und Handarbeiten<br />
wurden komplexer, <strong>der</strong> Sport bekam mehr Gewicht, die Umgangsformen<br />
wurden rauer. Generell wurden überall mehr Selbständigkeit und Eigen<strong>in</strong>itiative<br />
erwartet. Zusammen mit Gabriel <strong>in</strong>formierten wir alle Lehrpersonen<br />
und se<strong>in</strong>e Klasse über se<strong>in</strong>en Herzfehler und die damit verbundenen<br />
Schwierigkeiten. Auch dieses Mal wurde die Offenheit <strong>in</strong> den sehr persönlichen<br />
Gesprächen sehr geschätzt. Die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er verhielten sich ihm gegenüber<br />
ganz natürlich und unkompliziert, <strong>der</strong> Herzfehler war nicht oft e<strong>in</strong> Thema.<br />
Zum ersten Mal wurde mir nun aber richtig bewusst, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
mit e<strong>in</strong>er ganz neuen Situation und unbekannten Fakten und Tatsachen<br />
konfrontiert wurden, was bei ihnen auch gewisse Ängste und Unsicherheiten<br />
hervorrief. Ich verfasste deshalb e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Merkblatt mit den<br />
wichtigsten Informationen über se<strong>in</strong>en Herzfehler und Telefonnummern<br />
<strong>für</strong> den Notfall. Die Unterlagen fanden sehr Anklang und bewährten sich.<br />
Auf dieser Schulstufe setzten se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong>nen jetzt ganz auf die<br />
Eigenverantwortung. Der Sportunterricht war <strong>für</strong> Gabriel anstrengend
und er war oft überfor<strong>der</strong>t. Natürlich durfte er je<strong>der</strong>zeit se<strong>in</strong>e Bedürfnisse<br />
mitteilen und se<strong>in</strong>en Kräften und se<strong>in</strong>em Bef<strong>in</strong>den entsprechend<br />
pausieren. Dies setzte jedoch voraus, <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>en Körper genau wahrnahm<br />
und rechtzeitig spürte, wann es genug war. Es fiel ihm nicht immer<br />
leicht, sich richtig e<strong>in</strong>zuschätzen und se<strong>in</strong>e Grenzen zu akzeptieren, er<br />
überschritt diese auch immer wie<strong>der</strong> und musste zuerst lernen, den richtigen<br />
Umgang zu f<strong>in</strong>den. Auf Überlastung und Erschöpfung reagierte er mit<br />
Kopf- und Bauchschmerzen und Erbrechen. Ich er<strong>in</strong>nere mich, <strong>das</strong>s <strong>in</strong> dieser<br />
Zeit e<strong>in</strong>ige Programme ohne Rücksicht auf Gabriel durchgeführt wurden.<br />
Es fanden Wan<strong>der</strong>ungen, Velotouren und Schwimmbadbesuche statt.<br />
Die Abschlussreise am Ende <strong>der</strong> Primarschulzeit war e<strong>in</strong>e strenge Bergtour.<br />
Gabriel konnte bei solchen Anlässen nicht o<strong>der</strong> nur teilweise dabei<br />
se<strong>in</strong>. Er nahm <strong>das</strong> mit grosser Selbstverständlichkeit und Gelassenheit h<strong>in</strong>,<br />
wo<strong>für</strong> ich ihn bewun<strong>der</strong>te. Ich selber hatte viel mehr Mühe damit, <strong>das</strong>s<br />
er manchmal e<strong>in</strong>e Aussenseiterrolle hatte und hätte mir gewünscht, <strong>das</strong>s<br />
mehr Ausflüge geplant worden wären, an denen Gabriel une<strong>in</strong>geschränkt<br />
hätte teilnehmen können. Wir machten die Erfahrung, <strong>das</strong>s es <strong>für</strong> ihn e<strong>in</strong>facher<br />
war, auf e<strong>in</strong>e Unternehmung ganz zu verzichten. Auf diese Weise<br />
wurde ihm e<strong>in</strong> direkter, schmerzvoller Vergleich mit se<strong>in</strong>en Klassenkameraden<br />
erspart und er konnte den freien Tag nach se<strong>in</strong>en eigenen Vorlieben<br />
nutzen. Allerd<strong>in</strong>gs gestaltete sich nun die Pflege von Freundschaften<br />
zunehmend schwieriger und unser Sohn war viel alle<strong>in</strong>.<br />
Gabriel richtete se<strong>in</strong> Leben immer mehr nach se<strong>in</strong>en persönlichen<br />
Bedürfnissen und Beson<strong>der</strong>heiten e<strong>in</strong>, spürte besser, was er sich zutrauen<br />
konnte und entwickelte mehr Eigenständigkeit. Die Aufnahmeprüfung ans<br />
Gymnasium hatte er zwar bestanden, aber neben den hohen schulischen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen brauchte es auch Reife, Selbständigkeit und e<strong>in</strong>e gewisse<br />
körperliche Robustheit <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e erfolgreiche Mittelschulzeit. Gabriel fühlte<br />
sich all dem nicht gewachsen und bevorzugte schliesslich doch die Sekundarschule.<br />
Geme<strong>in</strong>sam entschieden wir uns <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Oberstufe ausserhalb<br />
unseres Wohnortes, <strong>der</strong>en Leitbild uns sehr ansprach. Die <strong>Schule</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />
bewussten Atmosphäre <strong>der</strong> Wertschätzung und <strong>in</strong> <strong>der</strong> gegenseitige Achtung<br />
und Verantwortung geübt wurden, passte sehr gut zu Gabriels Persönlichkeit.<br />
Der Mittagstisch und die Mittagszeit, die wirklich als Erholungspause<br />
genutzt wurden, trugen ebenfalls dazu bei, <strong>das</strong>s sich Gabriel<br />
sehr wohl und angenommen fühlte. War e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle nötig,<br />
erfuhr er viel Solidarität. Se<strong>in</strong> Herzfehler rückte immer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund,<br />
an<strong>der</strong>e Fragen beschäftigten nun mehr, und zuversichtlich und<br />
zielgerichtet g<strong>in</strong>g unser Sohn se<strong>in</strong>en Weg.<br />
42
Gabriel besucht nun nach abgeschlossener Sekundarschule die zweite Klasse<br />
des Gymnasiums. Se<strong>in</strong> Wunsch, e<strong>in</strong>e weiterführende <strong>Schule</strong> zu besuchen,<br />
zeigt me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach, <strong>das</strong>s Gabriel die obligatorische Schulzeit mehrheitlich<br />
positiv erlebt hat. Im vergangenen Sommer waren zwei grosse Herzoperationen<br />
notwendig. Gabriel versuchte wie immer, mit e<strong>in</strong>er positiven,<br />
lebensfrohen E<strong>in</strong>stellung <strong>das</strong> Beste aus se<strong>in</strong>er Situation zu machen. Se<strong>in</strong>e<br />
<strong>Schule</strong> unterstützte ihn gut, so <strong>das</strong>s er nach den schwierigen Wochen den<br />
Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>stieg schaffte.<br />
Die Schuljahre s<strong>in</strong>d <strong>für</strong> die Persönlichkeitsentwicklung und den Weg<br />
e<strong>in</strong>es <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es von grosser Bedeutung. Nach me<strong>in</strong>en Erfahrungen gibt e<strong>in</strong><br />
vertrauensvolles Verhältnis zu Eltern, Geschwistern, Ärzten, Therapeuten<br />
und Lehrpersonen dem <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong> Sicherheit im Umgang mit se<strong>in</strong>er<br />
Krankheit. Spürt es Interesse, Begleitung und Rückhalt und bekommt<br />
es <strong>das</strong> Gefühl vermittelt, <strong>das</strong>s es sich je<strong>der</strong>zeit an die Lehrer<strong>in</strong> o<strong>der</strong> den<br />
Lehrer wenden kann, dann s<strong>in</strong>d <strong>das</strong> die besten Voraussetzungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e<br />
glückliche Schulzeit.<br />
43
So erlebte ich die Schulzeit me<strong>in</strong>es<br />
<strong>herzkranke</strong>n Bru<strong>der</strong>s<br />
Mirjam Gähwiler, Schwester<br />
Die lange Schulzeit ist im Leben e<strong>in</strong>es <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es sehr wichtig und sie nimmt<br />
auch im Familienalltag viel Platz e<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> Gabriel, <strong>der</strong> aufgrund<br />
se<strong>in</strong>er Herzprobleme immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle hatte, kam während<br />
den Schuljahren <strong>in</strong> unangenehme, verhasste Situationen, <strong>in</strong> denen er ausgegrenzt<br />
wurde. Doch habe ich <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>e Schulzeit im Grossen<br />
und Ganzen positiv erlebt hat.<br />
Endlich e<strong>in</strong> Schulk<strong>in</strong>d!<br />
Ich freute mich sehr, als es soweit war, und war stolz auf me<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>,<br />
<strong>das</strong>s er nun auch zu den Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n gehörte. Ich stellte mir vor, <strong>das</strong>s nun<br />
all die vielen Term<strong>in</strong>e <strong>für</strong> Gabriel zu Ende wären und wir endlich e<strong>in</strong> ganz<br />
normales, unkompliziertes Familienleben zu viert hätten. Zwar wusste ich,<br />
<strong>das</strong>s die Herzkontrollen weiterh<strong>in</strong> notwendig waren und er auch Physiotherapie<br />
und Logopädie brauchte, doch den Schritt <strong>in</strong> die normale erste<br />
Klasse und dazu noch zu me<strong>in</strong>er Unterstufenlehrer<strong>in</strong> deutete ich als gutes<br />
Zeichen. Ich spürte aber e<strong>in</strong>e gewisse Anspannung zu Hause und merkte,<br />
<strong>das</strong>s sich me<strong>in</strong>e Eltern viele Gedanken machten. Auch ich war e<strong>in</strong> wenig<br />
besorgt um me<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> mir so scheu, still und ohne Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />
vorkam. Ich war ja schon e<strong>in</strong>e ganz rout<strong>in</strong>ierte Schüler<strong>in</strong> und wuss te,<br />
was auf dem Pausenplatz und auf dem Schulweg so abgehen konnte.<br />
Zudem war ich e<strong>in</strong> energisches, aufgeschlossenes <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und fand immer<br />
schnell Freunde. Gabriel brauchte aber immer noch sehr viel Zuwendung<br />
und war nicht sehr selbständig. F<strong>in</strong>det er Freunde? Wird er akzeptiert mit<br />
se<strong>in</strong>em Herzfehler? Wie gehen die Lehrer<strong>in</strong>nen mit dieser Situation um?<br />
Solche Fragen beschäftigten mich, doch ich g<strong>in</strong>g ja auf dieselbe <strong>Schule</strong><br />
und würde ihn unterstützen können. So blickte ich zuversichtlich auf den<br />
neuen Lebensabschnitt me<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>s.<br />
Der E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong>s Schulleben klappte ganz gut. Se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> hatte sehr<br />
viel Fe<strong>in</strong>gefühl und <strong>in</strong>tegrierte ihn <strong>in</strong> die Klasse, so <strong>das</strong>s er schnell neue<br />
Freunde fand und sich wohl fühlte. Er war e<strong>in</strong> guter, fleissiger Schüler<br />
und hatte sehr viel Spass am Lernen. Se<strong>in</strong>e Mitschüler wussten über se<strong>in</strong>e<br />
Krankheit Bescheid. Sie reagierten darauf sehr positiv und behandelten<br />
44
Gabriel wie alle an<strong>der</strong>en <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er. Er wurde überhaupt nicht ausgeschlossen<br />
und auch nicht gehänselt wegen se<strong>in</strong>es speziellen Gehens. Se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong><br />
verstand es sehr gut, <strong>das</strong> Fach Sport so zu unterrichten, <strong>das</strong>s me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong><br />
immer mitmachen konnte, und auch bei allen Ausflügen konnte er dabei<br />
se<strong>in</strong>. Ich hatte nicht den E<strong>in</strong>druck, <strong>das</strong>s er e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle e<strong>in</strong>nahm. Nach<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> war er meistens müde und erschöpft und zog sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer<br />
zurück, während die Nachbarsk<strong>in</strong><strong>der</strong> draussen im Garten spielten. Er<br />
war nicht e<strong>in</strong>mal traurig o<strong>der</strong> unglücklich, doch mir kam <strong>das</strong> schrecklich<br />
vor und er tat mir Leid.<br />
Me<strong>in</strong>e eigene Schulzeit verlief wie gewohnt und unbee<strong>in</strong>flusst von dieser<br />
speziellen Situation. Ich merkte aber, <strong>das</strong>s Gabriel sehr viel mehr Aufmerksamkeit<br />
bekam und ich oft auch Rücksicht nehmen musste. An<strong>der</strong>e<br />
erzählten von ihren tollen Strand- o<strong>der</strong> Skiferien, während wir nur immer<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz Ferien machten. Dies nervte mich, ich hatte negative Gefühle<br />
<strong>in</strong> mir und ich war manchmal richtig wütend auf me<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>.<br />
45<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er W<strong>in</strong>d weht<br />
Im Laufe <strong>der</strong> Zeit g<strong>in</strong>g es unter den Jungs immer lauter und rauer zu und<br />
her. <strong>Das</strong> mochte Gabriel überhaupt nicht und er son<strong>der</strong>te sich immer mehr<br />
ab. Als Gabriel <strong>in</strong> <strong>der</strong> dritten und ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> sechsten Klasse war, kam er oft<br />
während den Pausen zu mir. <strong>Das</strong> war mir pe<strong>in</strong>lich und unangenehm. Zwar<br />
spürte ich, <strong>das</strong>s er bei mir Schutz suchte, mich brauchte, doch ich wollte<br />
me<strong>in</strong>e Freiheiten und mit me<strong>in</strong>en Freund<strong>in</strong>nen lieber alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>. Gabriel<br />
war mir <strong>in</strong> solchen Momenten e<strong>in</strong> lästiges Anhängsel und ich konnte auch<br />
zornig und aggressiv reagieren. An<strong>der</strong>erseits tat er mir leid, ich spürte se<strong>in</strong>e<br />
Hilflosigkeit und fühlte mich irgendwie verpflichtet, <strong>für</strong> ihn da zu se<strong>in</strong>. Es<br />
war mir klar, <strong>das</strong>s Gabriel an<strong>der</strong>s war, doch ich konnte nicht wirklich verstehen,<br />
was ihm solche Probleme machte. Auch den an<strong>der</strong>en <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern fiel<br />
me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> auf, und ich wurde oft auf ihn angesprochen. Dies wollte ich<br />
unbed<strong>in</strong>gt vermeiden, weil ich es hasste. Von nun an wollte ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
möglichst wenig mit ihm zu tun haben. Als aber auf dem Schulweg ältere<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er se<strong>in</strong> auffallendes Gehen nachmachten und ihn auch mit schlimmen<br />
Worten provozierten, machte mich <strong>das</strong> sehr wütend. Er war ja me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong><br />
und ich hatte ihn sehr gerne. Er selber konnte sich nicht wehren, also
setzte ich mich <strong>für</strong> ihn e<strong>in</strong>. Von nun an machten wir geme<strong>in</strong>sam den Schulweg.<br />
Es funktionierte und die Hänseleien hörten bald auf.<br />
Mit dem Übertritt <strong>in</strong> die vierte Klasse begann <strong>für</strong> Gabriel e<strong>in</strong>e viel<br />
schwierigere Schulzeit. Ich war nun am Gymnasium und bekam nicht mehr<br />
so viel mit. Die Lehrer<strong>in</strong>nen und Mitschüler waren zwar über se<strong>in</strong>en Herzfehler<br />
und die körperlichen E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong>formiert, doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Planung<br />
von Aktivitäten wurde dies lei<strong>der</strong> nicht berücksichtigt. <strong>Das</strong> fand ich<br />
sehr geme<strong>in</strong> und ungerecht. Es hätten ja nicht immer Wan<strong>der</strong>ungen und<br />
Velotouren se<strong>in</strong> müssen, e<strong>in</strong>e Schifffahrt zum Beispiel wäre auch cool gewesen.<br />
Im Sport- und Schwimmunterricht hatte Gabriel die schlechte Note<br />
jeweils bereits gebucht. Ich glaube, Gabriel war dies ziemlich egal, doch<br />
ich hätte mich über mehr Verständnis gefreut. Er wurde so immer wie<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle gezwungen, die nicht nötig gewesen wäre, wenn er<br />
flexiblere Lehrpersonen gehabt hätte.<br />
Wir hatten e<strong>in</strong>e enge B<strong>in</strong>dung zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, ich hatte Vorbildfunktion,<br />
er hörte auf mich und ich übernahm als ältere Schwester <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en ersten<br />
Schuljahren e<strong>in</strong>e Beschützerrolle. Dies machte ich von mir aus und gerne.<br />
Ich merkte, <strong>das</strong>s ich ihm auf diese Art Sicherheit geben konnte. Es war mir<br />
aber auch wichtig zu spüren, <strong>das</strong>s me<strong>in</strong>e Eltern h<strong>in</strong>ter mir standen, wenn<br />
es mir zu viel wurde. Manchmal brauchte ich e<strong>in</strong>fach me<strong>in</strong>e Ruhe. Ich hatte<br />
mit zwiespältigen Gefühlen zu kämpfen und es tat mir gut, <strong>das</strong>s ich auch<br />
gelegentlich Aggressionen und me<strong>in</strong>e Wut herauslassen konnte.<br />
An<strong>der</strong>en Geschwistern rate ich, ihr <strong>herzkranke</strong>s Geschwister zu unterstützen<br />
und es zu beschützen. Dies sollte jedoch nur dann geschehen, wenn<br />
es wirklich Hilfe und Zuwendung benötigt. Ich f<strong>in</strong>de es sehr wichtig, <strong>das</strong>s<br />
die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er lernen, sich selber zu wehren und selbständig zu se<strong>in</strong>. So fühlen<br />
sie sich nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle gedrängt.<br />
Für mich war es e<strong>in</strong>e sehr wertvolle Zeit und es lohnte sich, <strong>das</strong>s ich<br />
mit me<strong>in</strong>er Unterstützung me<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> helfen konnte. Dadurch erlebten<br />
wir beide e<strong>in</strong>e positivere Schulsituation, die auch den Eltern zugute<br />
kam und daheim <strong>für</strong> e<strong>in</strong> entspanntes Familienleben sorgte.<br />
46
«Integration» durch «Separation»?<br />
Ueli Speich, Stiftungsleiter<br />
Der Autor unterrichtete elf Jahre an <strong>der</strong> Oberstufe e<strong>in</strong>es Justizheimes, bevor er 1994 die Leitung<br />
des Schulheimes <strong>für</strong> Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te <strong>in</strong> Aarau übernahm. Seit dem Jahr 2000 wirkt Ueli Speich<br />
als Stiftungsleiter von zeka (zentren körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te aargau)<br />
Erfreulicherweise haben sich <strong>in</strong> den letzten Jahren die Voraussetzungen <strong>für</strong><br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative Schulung von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
generell verbessert. Integration wird schon be<strong>in</strong>ahe zur Pflicht<br />
– <strong>für</strong> die <strong>Schule</strong>n wie <strong>für</strong> die Eltern. Es entstand e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Tendenz,<br />
die e<strong>in</strong>e temporäre o<strong>der</strong> gar dauernde «Son<strong>der</strong>schulung» abwertend<br />
als «separativ» und «stigmatisierend» und damit als «zweitklassig»<br />
ersche<strong>in</strong>en lässt. Den unterschiedlichen <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen von<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen ist aber letztlich nur<br />
e<strong>in</strong> gleichberechtigtes Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von<br />
«Son<strong>der</strong>-» und «Regelschulen» unter e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Dach <strong>der</strong> «Volksschule»<br />
wirklich dienlich. Dieser Beitrag soll Eltern Mut machen, ihr <strong>K<strong>in</strong>d</strong><br />
mit gutem Gewissen e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule anzuvertrauen, wenn die Bed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e bestmögliche För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule nicht o<strong>der</strong><br />
nicht mehr gegeben s<strong>in</strong>d. Der Text nimmt nicht <strong>für</strong> sich <strong>in</strong> Anspruch, wissenschaftlich<br />
abgestützt zu se<strong>in</strong> und liefert ke<strong>in</strong>e Rezepte, son<strong>der</strong>n gründet<br />
auf den jahrelangen praktischen Berufserfahrungen des Autors als<br />
Stiftungsleiter von zeka. Gemäss ihrem Leistungsauftrag ist zeka auch verantwortlich<br />
<strong>für</strong> die Beratung und Begleitung <strong>herzkranke</strong>r <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er <strong>in</strong> Regelschulen<br />
o<strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> den entsprechenden Son<strong>der</strong>schulen.<br />
Bereits im Jahr 1996 formulierte zeka den heute noch aktuellen Leitbildsatz:<br />
«Unser Ziel ist die Integration <strong>der</strong> Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
<strong>in</strong>nerhalb und ausserhalb unserer Institution». Die Frage, ob die Integration<br />
<strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen im jeweiligen Zeitpunkt «<strong>in</strong>nerhalb» o<strong>der</strong><br />
«ausserhalb» <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule zu erfolgen habe, wird bei allen Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal jährlich überprüft.<br />
47
Grundhaltungen und (Fehl-)Interpretationen<br />
Die Salamanca Erklärung <strong>der</strong> UNESCO von 1994 lautet:<br />
Wir glauben und erklären,<br />
❯ <strong>das</strong>s jedes <strong>K<strong>in</strong>d</strong> e<strong>in</strong> grundsätzliches Recht auf Bildung hat und<br />
<strong>das</strong>s ihm die Möglichkeit gegeben werden muss, e<strong>in</strong> akzeptables<br />
Lernniveau zu erreichen und zu erhalten,<br />
❯ <strong>das</strong>s jedes <strong>K<strong>in</strong>d</strong> e<strong>in</strong>malige Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten<br />
und Lernbedürfnisse hat,<br />
❯ <strong>das</strong>s Schulsysteme entworfen und Lernprogramme e<strong>in</strong>gerichtet<br />
werden sollen, die dieser Vielfalt an Eigenschaften und Bedürfnissen<br />
Rechnung tragen,<br />
❯ <strong>das</strong>s jene mit beson<strong>der</strong>en Bedürfnissen Zugang zu regulären <strong>Schule</strong>n<br />
haben müssen, die sie mit e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dzentrierten Pädagogik,<br />
die ihren Bedürfnissen gerecht werden kann, aufnehmen sollen,<br />
❯ <strong>das</strong>s Regelschulen mit dieser <strong>in</strong>tegrativen Orientierung <strong>das</strong> beste<br />
Mittel s<strong>in</strong>d, um diskrim<strong>in</strong>ierende Haltungen zu bekämpfen, um<br />
Geme<strong>in</strong>schaften zu schaffen, die alle willkommen heissen, um<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrierende Gesellschaft aufzubauen und um Bildung <strong>für</strong><br />
Alle zu erreichen; darüber h<strong>in</strong>aus gewährleisten <strong>in</strong>tegrative <strong>Schule</strong>n<br />
e<strong>in</strong>e effektive Bildung <strong>für</strong> den Grossteil aller <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und erhöhen<br />
die Effizienz sowie schliesslich <strong>das</strong> Kosten-Nutzen-Verhältnis<br />
des gesamten Schulsystems.<br />
Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten<br />
Für die Eltern e<strong>in</strong>es <strong>herzkranke</strong>n o<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es können gängige<br />
Interpretationen von den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erklärung verwendeten Begriffen<br />
wie «reguläre <strong>Schule</strong>n» und «Regelschulen» fatale Folgen haben, denn die<br />
Begrifflichkeit suggeriert, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>schule e<strong>in</strong>e «irreguläre» <strong>Schule</strong><br />
o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> «ohne Regel» o<strong>der</strong> «ausserhalb <strong>der</strong> Regel» sei. Dem ist aber<br />
nicht so: E<strong>in</strong>e gute Son<strong>der</strong>schule <strong>für</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
ist e<strong>in</strong> unverzichtbarer Teil <strong>der</strong> Schullandschaft und bemüht sich,<br />
Anschluss- und Vergleichsmöglichkeiten je<strong>der</strong>zeit sicherzustellen.<br />
Spezifische <strong>Schule</strong>n <strong>für</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
leben <strong>der</strong> Salamanca-Erklärung nach. Diese for<strong>der</strong>t ja, <strong>das</strong>s<br />
«jedes <strong>K<strong>in</strong>d</strong> e<strong>in</strong> grundsätzliches Recht auf Bildung hat und <strong>das</strong>s ihm die<br />
Möglichkeit gegeben werden muss, e<strong>in</strong> akzeptables Lernniveau zu erreichen<br />
und zu erhalten» und «<strong>das</strong>s Schulsysteme entworfen und Lernpro-<br />
48
gramme e<strong>in</strong>gerichtet werden sollen, die dieser Vielfalt an Eigenschaften<br />
und Bedürfnissen Rechnung tragen». Auch e<strong>in</strong>e spezialisierte <strong>Schule</strong> ist<br />
e<strong>in</strong>e «<strong>in</strong>tegrative <strong>Schule</strong>» und leistet als Teil <strong>der</strong> Regel- o<strong>der</strong> Volksschule<br />
ihren Beitrag zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrierenden Gesellschaft.<br />
Sicher erfolgte die Kritik am Schulsystem <strong>der</strong> Achtziger- und Neunzigerjahre,<br />
<strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche, die nicht <strong>in</strong>s Schema passten, zunehmend<br />
ausgrenzte, zu Recht. Entgleist ist diese Debatte aber, als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
fatalen Umkehrschluss – an Stelle <strong>der</strong> je länger je weniger <strong>in</strong>tegrationsfähigen<br />
«Regelschulen» – e<strong>in</strong>zig die besagten Angebote an «Son<strong>der</strong>klassen»<br />
und «Son<strong>der</strong>schulen» <strong>für</strong> diesen «separativen» Trend verantwortlich<br />
gemacht wurden: Man müsse nur <strong>das</strong> Angebot an «separativen» Massnahmen<br />
e<strong>in</strong>schränken o<strong>der</strong> gar am besten gleich ganz e<strong>in</strong>stellen und die<br />
Mittel <strong>in</strong>s «Regelschulsystem» umverteilen, dann gel<strong>in</strong>ge die Integration<br />
– so <strong>der</strong> naive und praxisfremd anmutende Ansatz. Damit lief die Integrationsidee<br />
den tatsächlichen Bedürfnissen von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen<br />
mit speziellem För<strong>der</strong>bedarf und <strong>der</strong>en Eltern zum Teil diametral zuwi<strong>der</strong>.<br />
E<strong>in</strong> diskrim<strong>in</strong>ierendes Sprachverständnis verrät e<strong>in</strong>e diskrim<strong>in</strong>ierende<br />
Haltung<br />
Begriffe wie «Son<strong>der</strong>schule» und «Regelschule» s<strong>in</strong>d zwischen Anführungsund<br />
Schlusszeichen gesetzt. Es s<strong>in</strong>d bereits schon diese Begriffe, die dazu<br />
führen, <strong>das</strong>s Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen und Krankheiten aufgrund<br />
ihrer speziellen Bedürfnisse durch unser Sprachverständnis, unsere Sprachanwendung<br />
und dah<strong>in</strong>terstehende Denkmuster stigmatisiert und diskrim<strong>in</strong>iert<br />
werden. E<strong>in</strong>ige wenige Beispiele mögen als Denkanstösse dienen:<br />
49<br />
Die «Regelschule»<br />
Dieser Begriff wäre an sich harmlos, würde er <strong>in</strong> den aktuellen Debatten<br />
nicht dauernd <strong>in</strong> Abgrenzung zu E<strong>in</strong>schulungs-, Kle<strong>in</strong>- und Son<strong>der</strong>klassen<br />
sowie Son<strong>der</strong>schulen verwendet. Dieses Begriffsverständnis führt dazu,<br />
<strong>das</strong>s diese Schulformen e<strong>in</strong> Image des «ausserhalb <strong>der</strong> Regel Stehenden»<br />
bekommen. Damit erfolgt e<strong>in</strong>e Stigmatisierung des gesamten Angebots<br />
dieser E<strong>in</strong>richtungen.<br />
Gleichzeitig geht dabei vergessen, <strong>das</strong>s ja auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> «Regelschule»<br />
nicht nur «<strong>in</strong>tegriert», son<strong>der</strong>n fleissig <strong>in</strong> Altersklassen «b<strong>in</strong>nendifferenziert»<br />
und auch gemäss unterschiedlichen Leistungsniveaus «b<strong>in</strong>nensepariert»<br />
wird. Diese B<strong>in</strong>nenseparierung erfolgt spätestens auf <strong>der</strong> Sekundarstufe<br />
1.
Die «Son<strong>der</strong>schule»<br />
Der Begriff «Son<strong>der</strong>-» f<strong>in</strong>det sich beispielsweise im Begriff «beson<strong>der</strong>s». Diesem<br />
Begriff haftet an und <strong>für</strong> sich nichts Negatives an, im Gegenteil: Frisch<br />
gekürte Bundespräsidenten reisen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nach ihrer Wahl zurück<br />
<strong>in</strong> ihren Heimatkanton – nicht etwa mit e<strong>in</strong>em «Regelzug», son<strong>der</strong>n mit<br />
e<strong>in</strong>em «Son<strong>der</strong>zug», also mit e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>lösung <strong>für</strong> beson<strong>der</strong>e Persönlichkeiten.<br />
Wer käme auf die Idee, die Spitzenpolitiker deswegen mit e<strong>in</strong>em<br />
«Stigma» zu belegen o<strong>der</strong> die SBB gar <strong>der</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierung zu bezichtigen?<br />
An<strong>der</strong>s verhält es sich mit «Son<strong>der</strong>schüler<strong>in</strong>nen» und «Son<strong>der</strong>schülern».<br />
Die Stigmatisierung erfolgt nicht primär durch den Begriff «Son<strong>der</strong>schule»,<br />
son<strong>der</strong>n durch <strong>das</strong> dah<strong>in</strong>terstehende Denkmuster: In Fachkreisen<br />
wird von diskrim<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong> «Ausson<strong>der</strong>ung» gesprochen. Dabei stellt<br />
e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>schule e<strong>in</strong>e «beson<strong>der</strong>e» Lösung <strong>für</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche<br />
mit «beson<strong>der</strong>en» Bedürfnissen dar.<br />
<strong>Das</strong> «Kaskadenmodell»<br />
Aus den Bemühungen, <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche wenn immer möglich zuerst<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> «Regelschule» <strong>in</strong>tegrieren zu wollen, entstand <strong>das</strong> «Kaskadenmodell».<br />
<strong>Das</strong> französische Wort «la cascade» heisst übersetzt Wasserfall. <strong>Das</strong><br />
Konzept bedeutet: <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen, die den vorgängigen<br />
Versuch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule nicht schafften, werden früher o<strong>der</strong> später<br />
über e<strong>in</strong>en «Wasserfall» h<strong>in</strong>untergespült und landen dann – häufig ziemlich<br />
«kalt geduscht» – im «Auffangbecken» <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule, wo dann die<br />
Wunden des «H<strong>in</strong>untergespültwerdens» versorgt werden müssen. Mit <strong>der</strong><br />
Wasserfallassoziation wird auch gleich <strong>der</strong> Niveauunterschied sowie e<strong>in</strong>e<br />
«E<strong>in</strong>bahnstrasse» zwischen <strong>der</strong> Regel- und <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule zementiert.<br />
Assoziationen bezüglich «Integration» und «Separation»<br />
Mit aller Selbstverständlichkeit wird von «Integration» gesprochen, wenn<br />
e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> mit e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung e<strong>in</strong>e Regelschule besucht. Die För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule h<strong>in</strong>gegen wird als «Separation» bezeichnet.<br />
Wie sich diese «Integrations-» o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>nfalls «Separationslösungen»<br />
<strong>für</strong> die jeweils direkt betroffenen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen wirklich anfühlen,<br />
geht dabei vergessen: In <strong>der</strong> Praxis begegne ich täglich <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und<br />
Jugendlichen, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule mit ihrer Bee<strong>in</strong>trächtigung völlig<br />
deplatziert und des<strong>in</strong>tegriert vorkamen. In e<strong>in</strong>er Gruppe von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und<br />
Jugendlichen mit ähnlichen krankheits- o<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gten Sorgen<br />
und Nöten h<strong>in</strong>gegen fühlten sich diese <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen endlich<br />
verstanden und <strong>in</strong>tegriert. Dieses Phänomen ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf <strong>der</strong><br />
50
Oberstufe zu beobachten: Die mit <strong>der</strong> Pubertät verbundene Suche nach<br />
dem eigenen «Ich» und die zusätzliche und schmerzhafte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit <strong>der</strong> eigenen Krankheit o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung gel<strong>in</strong>gt oftmals nur<br />
unter Teenagern, die von gleichen o<strong>der</strong> ähnlichen Problemen und Fragestellungen<br />
betroffen s<strong>in</strong>d.<br />
Wie «<strong>in</strong>tegrativ» kann überhaupt e<strong>in</strong>e Regelschule se<strong>in</strong>?<br />
An dieser Stelle sei nochmals <strong>der</strong> letzte Teilsatz <strong>der</strong> UNESCO-Erklärung<br />
von 1994 zitiert: «Darüber h<strong>in</strong>aus gewährleisten <strong>in</strong>tegrative <strong>Schule</strong>n e<strong>in</strong>e<br />
effektive Bildung <strong>für</strong> den Grossteil aller <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und erhöhen die Effizienz<br />
sowie schliesslich <strong>das</strong> Kosten-Nutzen-Verhältnis des gesamten Schulsystems.»<br />
Da steht ausdrücklich: «… <strong>für</strong> den Grossteil aller <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er». Auch die<br />
vielzitierte Erklärung von Salamanca gesteht e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s <strong>in</strong>tegrative <strong>Schule</strong>n<br />
e<strong>in</strong>e effektive Bildung zwar <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en grossen Teil, aber eben nicht <strong>für</strong><br />
alle <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er se<strong>in</strong> können.<br />
51<br />
Realitäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule<br />
Die Regelschule wurde <strong>in</strong> den letzten Jahren mit verschiedensten Frage- und<br />
Problemstellungen, aber auch Problemlösungen, geradezu überschwemmt:<br />
Lehrplanüberarbeitungen, neue Promotionsverordnungen, neue erweiterte<br />
Lehr- und Lernformen, Werkstattunterricht und b<strong>in</strong>nendifferenzierte Schulung,<br />
E<strong>in</strong>zug <strong>der</strong> Informationstechnologie <strong>in</strong> die Klassenzimmer, geleitete<br />
<strong>Schule</strong>n, Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts <strong>in</strong> die Mittel- o<strong>der</strong><br />
gar Unterstufe, damit verbundenes Fachlehrersystem, zunehmendes Jobshar<strong>in</strong>g<br />
und/o<strong>der</strong> Teamteach<strong>in</strong>g, klassenübergreifen<strong>der</strong> Unterricht, <strong>in</strong>tegrative<br />
Schulung, etc. Gleichzeitig landete <strong>der</strong> althergebrachte Frontalunterricht,<br />
wie ihn ältere Generationen <strong>in</strong> damaligen Lehrersem<strong>in</strong>arien<br />
noch vermittelt bekamen, auf dem pädagogischen Müllhaufen.<br />
Die neue Schulsituation bietet zahlreiche Chancen, stellt aber hohe<br />
und zum Teil neue Anfor<strong>der</strong>ungen – nicht nur an die Lehrkräfte, auch an<br />
die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler. Dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> mit e<strong>in</strong>er körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
und normalen <strong>in</strong>tellektuellen Fähigkeiten kommen diese Neuerungen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel entgegen und verbessern die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>für</strong><br />
die Integration <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule. Etliche dieser Entwicklungen waren<br />
Voraussetzung da<strong>für</strong>, <strong>das</strong>s im Kanton Aargau mit Unterstützung von zeka<br />
zahlreiche <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen – darunter auch<br />
solche mit Herzkrankheiten – erfolgreich am Unterricht <strong>der</strong> Regelschule<br />
teilnehmen können.
Allerd<strong>in</strong>gs tauchen <strong>in</strong> diesen zeitgemäss geführten Regelschulen neue<br />
«Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsbil<strong>der</strong>» auf: Die Fachwelt rätselt über die Gründe <strong>für</strong> die<br />
Zunahme von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen mit «psychischen Bee<strong>in</strong>trächtigungen»,<br />
«Wahrnehmungsstörungen» o<strong>der</strong> mit «autistischen Zügen». Auch<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit massiven «Verhaltensauffälligkeiten» bereiten<br />
den Regelschulen zunehmend Schwierigkeiten.<br />
Könnte es nicht auch se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s diese Symptome zum<strong>in</strong>dest teilweise<br />
die Kehrseite <strong>der</strong> Medaille dieser <strong>Schule</strong>ntwicklungen darstellen? Würden<br />
Sie gerne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Grossraumbüro arbeiten? Genau so geht es heute<br />
<strong>in</strong> zahlreichen Schulzimmern und -häusern zu und her. Diese Atmosphäre<br />
mag <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en Grossteil <strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen Inspiration bedeuten.<br />
Früh üben sie sich <strong>in</strong> ihren Fähigkeiten zum Multitask<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> Sozialkompetenz<br />
und <strong>in</strong> selbständigem Arbeiten. Damit erwerben sie wichtige<br />
Voraussetzungen <strong>für</strong> ihre späteren beruflichen Tätigkeiten und <strong>für</strong> <strong>das</strong><br />
lebenslange selbständige Lernen.<br />
Ist dieses Lernumfeld aber tatsächlich <strong>für</strong> alle <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen<br />
geeignet? Wie verkraftet e<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>, <strong>das</strong> physisch o<strong>der</strong> psychisch nur e<strong>in</strong>geschränkt<br />
belastbar ist, dieses Umfeld? Konstante Lehrpersonen und e<strong>in</strong><br />
damit verbundener stabiler und enger Beziehungsrahmen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> den Bildungserfolg. Längst nicht mehr jede Regelschule<br />
kann heute noch e<strong>in</strong> solches Umfeld sicherstellen.<br />
Die Entwicklung <strong>der</strong> Regelschulen hat Folgen <strong>für</strong> die Zusammensetzung<br />
<strong>der</strong> Klientel von Son<strong>der</strong>schulen. Die Partizipation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule<br />
wird häufig nicht mehr primär durch e<strong>in</strong>e körperliche Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung o<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>e Krankheit e<strong>in</strong>geschränkt, son<strong>der</strong>n durch damit verbundene sekundäre<br />
Störungen im Bereich <strong>der</strong> Wahrnehmung, <strong>der</strong> psychischen und physischen<br />
Belastbarkeit o<strong>der</strong> des Verhaltens.<br />
Die <strong>in</strong>tegrative Wirkung e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule o<strong>der</strong> «Integration durch<br />
Separation»<br />
zeka lässt se<strong>in</strong>e Arbeit regelmässig überprüfen. So wurden beispielsweise<br />
im Rahmen e<strong>in</strong>er Masterarbeit die Auswirkungen e<strong>in</strong>er Integrationswoche<br />
untersucht. zeka hatte <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Woche beide Son<strong>der</strong>schulen geschlossen<br />
und alle Son<strong>der</strong>schüler<strong>in</strong>nen und Son<strong>der</strong>schüler <strong>in</strong> die Regelschule <strong>in</strong>tegriert.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Masterarbeit befasste sich mit <strong>der</strong> Langzeitwirkung <strong>der</strong><br />
Son<strong>der</strong>schulen von zeka. E<strong>in</strong>e Befragung zahlreicher ehemaliger Absolvent<strong>in</strong>nen<br />
und Absolventen bildete die Grundlage dieser Arbeit. Als wohl wichtigste<br />
Erkenntnis aus beiden Arbeiten geht hervor, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Grossteil <strong>der</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber auch <strong>der</strong>en Eltern, die beste-<br />
52
hende Son<strong>der</strong>schullösung auch im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als ideale – und auch persönliche<br />
<strong>in</strong>tegrative – Lösung betrachten. Über achtzig Prozent <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler würden auch rückblickend ihren Bekannten<br />
den Besuch <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule empfehlen.<br />
Die persönliche Bef<strong>in</strong>dlichkeit von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen<br />
Integriert o<strong>der</strong> separiert ist man nicht, son<strong>der</strong>n man fühlt sich entsprechend.<br />
Es gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen, <strong>in</strong>nerhalb<br />
unserer Gesellschaft Gruppierungen und Interessengeme<strong>in</strong>schaften zu bilden,<br />
mit denen sich <strong>das</strong> e<strong>in</strong>zelne Individuum identifizieren kann und sich<br />
dar<strong>in</strong> aufgehoben, eben «<strong>in</strong>tegriert» fühlt. In <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule treffen<br />
sich <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen: Hier<br />
ist es – im Gegensatz zur Regelschule – ganz normal, durch e<strong>in</strong>e gesundheitliche<br />
o<strong>der</strong> körperliche Bee<strong>in</strong>trächtigung beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t zu se<strong>in</strong>. Geme<strong>in</strong>sam<br />
mit Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen lassen sich Strategien zum Umgang<br />
mit <strong>der</strong> eigenen Bee<strong>in</strong>trächtigung entwickeln und Selbstbewusstse<strong>in</strong> und<br />
Selbstvertrauen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e spätere Integration <strong>in</strong> die Regelschule und/o<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>s Berufsleben aufbauen.<br />
Die enge <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen haben neben<br />
dem Anspruch auf schulische För<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>en zum Teil <strong>in</strong>tensiven Bedarf an<br />
mediz<strong>in</strong>isch- und/o<strong>der</strong> pädagogisch-therapeutischen Massnahmen. Durch<br />
die räumliche Nähe aller Angebote unter dem Dach <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule wird<br />
die schulische För<strong>der</strong>ung durch therapiebed<strong>in</strong>gte Schulausfälle so wenig<br />
wie möglich e<strong>in</strong>geschränkt, und die ganzheitliche För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er<br />
und Jugendlichen durch die enge schul<strong>in</strong>terne Zusammenarbeit zwischen<br />
<strong>Schule</strong> und Therapie unterstützt.<br />
53<br />
Handlungskompetenz dank Fachkompetenz und Erfahrung<br />
Wo stecken die Möglichkeiten, wo allenfalls beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungs- o<strong>der</strong> krankheitsbed<strong>in</strong>gte<br />
Grenzen <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen För<strong>der</strong>ung? Dank <strong>der</strong> grossen beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsspezifischen<br />
Erfahrung <strong>der</strong> Mitarbeitenden e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule<br />
können För<strong>der</strong>planungen im Rahmen <strong>der</strong> Verlaufsassessments gezielt und<br />
auf grösstmögliche för<strong>der</strong>nde Wirkung ausgerichtet werden. Die latente<br />
Gefahr, <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche aufgrund ihrer körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
<strong>in</strong> ihrer effektiven Leistungsfähigkeit zu unterschätzen und e<strong>in</strong>e<br />
unangebrachte Schonhaltung ihnen gegenüber an den Tag zu legen, ist im<br />
Vergleich zur <strong>in</strong>tegrierten Regelschullösung zum<strong>in</strong>dest reduziert. Gleich-
zeitig besteht e<strong>in</strong>e verbesserte Chance, <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche mit Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
bereits Jahre vor Schulaustritt ganz gezielt im H<strong>in</strong>blick<br />
auf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufswelt gefragte Kompetenzen zu för<strong>der</strong>n. Es geht also nicht<br />
nur um die aktuell diskutierte schulische Integration, son<strong>der</strong>n auch darum,<br />
beste Voraussetzungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e spätere optimale berufliche Integration<br />
und Partizipation am Erwerbsleben zu schaffen.<br />
Entwicklungsthemen <strong>für</strong> Son<strong>der</strong>schule<strong>in</strong>richtungen<br />
<strong>Das</strong> nachfolgende «Plädoyer» <strong>für</strong> die För<strong>der</strong>ung im Rahmen e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schule<br />
soll nicht <strong>in</strong> Abrede stellen, <strong>das</strong>s auch bei Son<strong>der</strong>schulen Entwicklungsbedarf<br />
besteht:<br />
Pflege und Intensivierung <strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen Son<strong>der</strong>schulen<br />
und Regelschulen<br />
Seit Jahren pflegt zeka auf verschiedenen Ebenen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Zusammenarbeit<br />
mit diversen Regelschulen und verschiedenen Regelschulklassen,<br />
dies häufig <strong>in</strong> Form von geme<strong>in</strong>samen Projekten o<strong>der</strong> Projektwochen. Solche<br />
Projekte sollen vor allem e<strong>in</strong>es: Anregen zur Zusammenarbeit und zum<br />
Austausch im Alltag. Dieser dient e<strong>in</strong>erseits den wichtigen Begegnungen<br />
zwischen den <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulen mit gleichaltrigen<br />
Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>der</strong> Regelschulen. M<strong>in</strong>destens ebenso wichtig<br />
ersche<strong>in</strong>t aber auch <strong>der</strong> fachliche Austausch zwischen Lehrkräften von<br />
Son<strong>der</strong>- und Regelschulen. Nur so gel<strong>in</strong>gt es <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule auf Dauer,<br />
den Anschluss an wichtige Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule nicht zu verpassen,<br />
<strong>das</strong> Unterrichtsniveau zu halten und damit die Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>tegration von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen aus <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule<br />
<strong>in</strong> die Regelschule zu schaffen und zu bewahren. Gleichzeitig profitiert die<br />
Regelschule vom Know-how <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulen bezüglich <strong>in</strong>dividualisierter<br />
und b<strong>in</strong>nendifferenzierter Unterrichtsmethoden.<br />
Den Entwicklungen Rechnung tragen<br />
Die Voraussetzungen <strong>für</strong> die erfolgreiche Integration von <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und<br />
Jugendlichen mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen, aber normalen <strong>in</strong>tellektuellen<br />
Fähigkeiten haben sich <strong>in</strong> den vergangenen Jahren stark verbessert.<br />
Gleichzeitig haben an<strong>der</strong>e <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit verme<strong>in</strong>tlich ger<strong>in</strong>gfügigen<br />
beziehungsweise auf den ersten Blick kaum erkennbaren Krankheiten und<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen aufgrund sekundärer Störungen <strong>in</strong> Bezug auf Belastbarkeit,<br />
Psyche, Wahrnehmung und Verhalten vermehrt Mühe, sich <strong>in</strong> die gewandelte<br />
und mitunter hektische Lernwelt <strong>der</strong> Regelschule zu <strong>in</strong>tegrieren. Es<br />
54
ist <strong>der</strong> Auftrag <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulen, sich auch diesen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern anzunehmen<br />
und die entsprechenden Persönlichkeits- und Fachkompetenzen bei den<br />
Mitarbeitenden sicherzustellen. Die Son<strong>der</strong>schulen haben ihre Angebote<br />
nach den tatsächlichen Bedürfnissen <strong>der</strong> ihnen zugewiesenen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und<br />
Jugendlichen auszurichten und nicht umgekehrt.<br />
E<strong>in</strong>e gute Son<strong>der</strong>schule stellt hohe Anfor<strong>der</strong>ungen – an Mitarbeitende<br />
wie an <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche!<br />
Son<strong>der</strong>schulen können «Hochrisikogebiete» <strong>für</strong> Harmoniesucht se<strong>in</strong>. Die<br />
Son<strong>der</strong>schulen, die zum<strong>in</strong>dest vorübergehend <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern und Jugendlichen<br />
e<strong>in</strong>en gewissen Schutz vor den «Stürmen des Alltags» geben sollen, laufen<br />
Gefahr, auch von Mitarbeitenden als dauernde «Schonräume» angesehen<br />
und damit <strong>für</strong> ureigene (Harmonie-) Bedürfnisse missbraucht zu<br />
werden. Wer vor dem Leistungsdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelschule (Leistungsdruck<br />
sowohl gegenüber den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern als auch gegenüber<br />
den Mitarbeitenden) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>schule «flieht», ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er qualitätsbewussten<br />
Son<strong>der</strong>schule nicht am richtigen Ort. In <strong>der</strong> Ehemaligenbefragung<br />
von zeka-Absolvent<strong>in</strong>nen und zeka-Absolventen wurde genau dieser<br />
weltfremde Schonraum unserer Son<strong>der</strong>schulen am heftigsten kritisiert.<br />
Schulische und therapeutische För<strong>der</strong>ung erfolgt dann, wenn <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er<br />
und Jugendliche entsprechend gefor<strong>der</strong>t werden und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>das</strong><br />
Gefor<strong>der</strong>te auch konsequent e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t wird. Konfliktfähigkeit wird nur<br />
erworben, <strong>in</strong>dem Differenzen offen und direkt angesprochen und Konflikte<br />
auch tatsächlich ausgetragen werden – auf allen Ebenen! Gleichzeitig<br />
müssen die Mitarbeitenden von sogenannt separativen E<strong>in</strong>richtungen wohl<br />
vermehrt dazu angehalten werden, zwischendurch den «Duft <strong>der</strong> grossen<br />
weiten Welt» e<strong>in</strong>zuatmen, zum Beispiel im Rahmen e<strong>in</strong>es «Seitenwechselprojektes»:<br />
Nur wer die Gesellschaft kennt, an <strong>der</strong> die <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendlichen<br />
mit körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen partizipieren sollen, kann<br />
se<strong>in</strong>en pädagogischen Auftrag letztlich verantwortungsvoll wahrnehmen.<br />
55<br />
Fazit<br />
Son<strong>der</strong>schule<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d <strong>für</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
da. Mit e<strong>in</strong>em gleichberechtigten, differenzierten und qualitativ<br />
hochstehenden Angebot an Beratungs-, Begleitungs- und Schulungsmöglichkeiten,<br />
sowohl <strong>in</strong> Regelschulen als auch <strong>in</strong> heilpädagogischen<br />
Zentren unter dem geme<strong>in</strong>samen Dach <strong>der</strong> Volksschule, schaffen mo<strong>der</strong>ne<br />
Son<strong>der</strong>schule<strong>in</strong>richtungen <strong>für</strong> Betroffene echte Alternativen. <strong>Das</strong> durchlässige<br />
Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von «<strong>in</strong>tegrativen» als auch «separativen» Schul-
formen löst e<strong>in</strong>en gesunden Wettbewerb aus. Die je<strong>der</strong>zeit sichergestellte<br />
Wahlmöglichkeit lässt zu, zur richtigen Zeit die geeigneten Massnahmen<br />
zu treffen, um e<strong>in</strong>e grösstmögliche Integration sicherzustellen. Damit<br />
dies gel<strong>in</strong>gt, brauchen wir Integrationsideale, aber ke<strong>in</strong>e Integrationsideologien.<br />
Literaturh<strong>in</strong>weise<br />
Die Salamanca-Erklärung stammt aus:<br />
UNESCO: Die Salamanca Erklärung und <strong>der</strong> Aktionsrahmen zur Pädagogik <strong>für</strong><br />
beson<strong>der</strong>e Bedürfnisse, angenommen von <strong>der</strong> Weltkonferenz «Pädagogik<br />
<strong>für</strong> beson<strong>der</strong>e Bedürfnisse: Zugang und Qualität» Salamanca, Spanien,<br />
7.–10. Juni 1994<br />
Weitere zugezogene Werke:<br />
Masterarbeit MAS 15 «Ganzheitliches Management» 2011 an <strong>der</strong> FHNW<br />
Hochschule <strong>für</strong> Wirtschaft zum Thema «Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Schulung durch<br />
zeka», Verfasser: Thomas Müller, stv. Bereichsleiter <strong>Schule</strong>n/Teamleiter, zeka<br />
Diplom-/Masterarbeit Schulische Heilpädagogik HfH 2007 / Pädagogik<br />
bei schulischen Schwierigkeiten zum Thema «Projektwoche Integration:<br />
Die Son<strong>der</strong>schulen von zeka schliessen ihre Tore», Verfasser<strong>in</strong>:<br />
Monika Speich-Beyeler, Son<strong>der</strong>schullehrer<strong>in</strong> zeka<br />
Dieses Kapitel ist e<strong>in</strong>e auf Herzk<strong>in</strong><strong>der</strong> angepasste, redaktionell überarbeitete<br />
Version e<strong>in</strong>es Beitrages, <strong>der</strong> <strong>in</strong> vollem Umfang <strong>in</strong> folgendem Buch nachgelesen<br />
werden kann: «Spannnungsfeld schulische Integration» (S.83-S.97),<br />
Hrsg. Susanne Schriber und August Schwere, 2011 (ISBN 978-3-905890-06-8)<br />
56
Irgendwann ist die Schulzeit<br />
vorbei...<br />
Monika Stulz<br />
Was gilt es zu bedenken<br />
Die Berufswahl kann <strong>für</strong> Jugendliche mit e<strong>in</strong>em Herzfehler e<strong>in</strong>e schwierige<br />
Zeit werden. Sie muss es aber nicht, wenn sich alle Beteiligten <strong>für</strong> die Vorbereitungen<br />
zu diesem Übertritt genügend Zeit nehmen und sich gut organisieren.<br />
Ausserdem können die Ressourcen, die sich Familien <strong>in</strong> den Schuljahren<br />
angeeignet haben, jetzt mit viel Selbstvertrauen e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />
So, wie sich die Komplexität <strong>der</strong> Herzfehler extrem unterscheidet, wird<br />
sich auch die Berufsf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>facher o<strong>der</strong> komplexer gestalten. Trotz<br />
<strong>der</strong> Herzkrankheit dürfen wir nicht vergessen, <strong>das</strong>s auch gesunde <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er<br />
oft nicht wissen, wie ihr weiterer Werdegang se<strong>in</strong> soll und auch sie nicht<br />
immer genau die Ausbildung machen können, von <strong>der</strong> sie träumen. Möglicherweise<br />
kann es vorteilhaft se<strong>in</strong>, wenn Eltern mit e<strong>in</strong>em <strong>herzkranke</strong>n<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> bis zu diesem Zeitpunkt gelernt haben <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Schritten zu planen<br />
und ihnen bewusst ist, <strong>das</strong>s auch durch Umwege Ziele erreicht werden.<br />
Mit dieser E<strong>in</strong>stellung die Berufsplanung anzugehen, erzeugt weniger<br />
Stress <strong>für</strong> alle Beteiligten.<br />
Auf jeden Fall empfiehlt sich e<strong>in</strong>e frühzeitige (Anfang 8. Schuljahr)<br />
und <strong>in</strong>tensive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Situation. Noch früher mit <strong>der</strong><br />
Berufswahl zu beg<strong>in</strong>nen, macht ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, denn es gilt zu berücksichtigen,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> selber auch fähig se<strong>in</strong> muss, sich über e<strong>in</strong>en möglichen<br />
Beruf ernsthaft Gedanken zu machen. Spätestens jetzt nämlich sollen <strong>herzkranke</strong><br />
Jugendliche so weit selbständig se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sie mitentscheiden und<br />
Verantwortung übernehmen können. Eltern müssen lernen ihrem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>das</strong><br />
Handeln und Entscheiden, wann immer möglich, zu überlassen und vermehrt<br />
nur noch beratend und unterstützend zur Seite zu stehen.<br />
Du bist auf <strong>der</strong> Suche<br />
Nebst all den Fragen, die gesunde Kameraden/<strong>in</strong>nen auch zu klären haben,<br />
hast du als Herzkranker möglicherweise noch e<strong>in</strong>ige Fragen mehr, auf die<br />
du gerne e<strong>in</strong>e Antwort hättest.<br />
57
Welche Leistung kannst du erbr<strong>in</strong>gen?<br />
Ist e<strong>in</strong>e Vollzeitausbildung möglich o<strong>der</strong> muss e<strong>in</strong>e Teilzeitausbildung <strong>in</strong> Betracht<br />
gezogen werden? Lass dich nicht von Anfang an von irgendwelchen Gedanken<br />
abschrecken, <strong>das</strong>s etwas nicht geht o<strong>der</strong> du etwas nicht kannst. Geh mit <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>stellung an die Sache: Vieles ist machbar. Es müssen dann meist immer noch<br />
Kompromisse gefunden werden, aber so unterb<strong>in</strong>dest du nicht von Beg<strong>in</strong>n an<br />
de<strong>in</strong>e Möglichkeiten.<br />
Was ist e<strong>in</strong>e Teilzeitlehre?<br />
Manche <strong>herzkranke</strong> Jugendliche können nicht 100% arbeiten. In <strong>der</strong> heutigen<br />
Berufswelt s<strong>in</strong>d verschiedene Modelle möglich, auch e<strong>in</strong>e reduzierte Arbeitszeit<br />
und e<strong>in</strong>e verlängerte Lehrzeit. Mit dem Willen aller Beteiligten ist sehr viel machbar.<br />
Integration ist <strong>für</strong> viele Arbeitgeber ke<strong>in</strong> Fremdwort mehr.<br />
Gibt es Berufe o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n, die du wegen de<strong>in</strong>em Herzfehler nicht ausüben<br />
kannst?<br />
Weisst du, was aufgrund de<strong>in</strong>es Herzfehlers <strong>für</strong> dich möglich ist und was nicht?<br />
Sprich mit de<strong>in</strong>em Kardiologen über de<strong>in</strong>e allfälligen Be<strong>für</strong>chtungen, aber auch<br />
über de<strong>in</strong>e Wünsche und Visionen. Vertraue auf se<strong>in</strong>e Erfahrung und se<strong>in</strong> Wissen.<br />
Jetzt ist es auch an <strong>der</strong> Zeit, <strong>das</strong>s du über de<strong>in</strong>en Herzfehler Bescheid weisst und<br />
ihn an<strong>der</strong>en Leuten erklären kannst.<br />
Reicht e<strong>in</strong>e herkömmliche Berufsberatung o<strong>der</strong> muss die IV-Berufsberatung<br />
mite<strong>in</strong>bezogen werden?<br />
Jugendliche mit e<strong>in</strong>em Herzfehler haben Anrecht auf Unterstützung durch die<br />
IV-Berufsberatung. Falls de<strong>in</strong> Herzfehler so schwerwiegend ist, <strong>das</strong>s nur e<strong>in</strong>e sogenannte<br />
«geschützte» Lehrstelle <strong>für</strong> dich <strong>in</strong> Frage kommt, wird dir und de<strong>in</strong>en<br />
Eltern die IV behilflich se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e solche zu f<strong>in</strong>den. Aber auch wenn du e<strong>in</strong>e ganz<br />
normale Lehre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lehrbetrieb machen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e weiterführende <strong>Schule</strong> besuchen<br />
möchtest, kannst du möglicherweise auf die Unterstützung <strong>der</strong> IV zählen.<br />
Wie ist die Unterstützung <strong>der</strong> IV, wenn du e<strong>in</strong>e weiterführende <strong>Schule</strong><br />
besuchst (Mittelschule, Gymnasium)?<br />
Während <strong>der</strong> regulären Schulzeit ist <strong>der</strong> Kanton <strong>für</strong> unterstützende Massnahmen<br />
zuständig. Danach übernimmt die IV die Leistungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e erste Ausbildung<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e weiterführende Schulbildung. E<strong>in</strong> Besuch bei <strong>der</strong> IV-Berufsberatung<br />
wird über die Leistungen Klarheit schaffen. Ebenfalls sehr gut beraten wirst du<br />
bei Procap (Selbsthilfeorganisation <strong>für</strong> Menschen mit Handicap <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz,<br />
www.procap.ch) o<strong>der</strong> bei den jeweiligen kantonalen heilpädagogischen<br />
Beratungs- und Begleitdiensten (siehe Adressliste auf Seite 65). Die Tipps und<br />
Erfahrungen solcher Stellen können dir oft gut weiterhelfen, nimm sie bei Bedarf<br />
unbed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> Anspruch.<br />
58
Sollst du <strong>in</strong> de<strong>in</strong>er Bewerbung bereits von de<strong>in</strong>em Herzfehler berichten?<br />
Wenn <strong>der</strong> Herzfehler nicht allzu schwerwiegend ist und ke<strong>in</strong>e grösseren E<strong>in</strong>schränkungen<br />
<strong>für</strong> den Arbeitgeber zur Folge hat, reicht es sicherlich auch, erst<br />
im persönlichen Vorstellungsgespräch darauf e<strong>in</strong>zugehen. Wenn <strong>der</strong> Herzfehler<br />
sehr schwer ist, wird sich e<strong>in</strong>e ganz normale Bewerbung wohl sowieso <strong>in</strong> den<br />
meisten Fällen erübrigen. Du und de<strong>in</strong>e Eltern werden am besten von Anfang an<br />
mit e<strong>in</strong>em potentiellen Lehrbetrieb o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er höheren <strong>Schule</strong> <strong>das</strong> persönliche<br />
Gespräch suchen. Aber auf jeden Fall bist du verpflichtet, e<strong>in</strong>en Arbeitgeber<br />
über de<strong>in</strong>e Krankheit zu <strong>in</strong>formieren. Besprich mit de<strong>in</strong>en Eltern, wann dazu <strong>der</strong><br />
richtige Moment ist und wie du es formulieren möchtest.<br />
Welche Stellen und Ämter müssen bei e<strong>in</strong>er «Spezialausbildung» mite<strong>in</strong>bezogen<br />
werden?<br />
Bei <strong>der</strong> Planung und Realisierung e<strong>in</strong>er speziellen Ausbildung ist e<strong>in</strong>e Koord<strong>in</strong>ation<br />
verschiedenster Stellen notwendig. Am besten organisiert man da<strong>für</strong> e<strong>in</strong>en<br />
«runden Tisch». Solche Gesprächsrunden s<strong>in</strong>d dir möglicherweise seit <strong>der</strong> Schulzeit<br />
bekannt. Es macht S<strong>in</strong>n, <strong>das</strong>s de<strong>in</strong>e Eltern hier aktiv werden und die Organisation<br />
e<strong>in</strong>er solchen Runde übernehmen. Falls sie dazu nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, hilft<br />
bestimmt jemand Externes, sei es von Procap, e<strong>in</strong>er sonstigen Beratungsstelle,<br />
<strong>der</strong> IV o<strong>der</strong> des kantonalen Ausbildungsamtes. Br<strong>in</strong>ge dich selber aber trotzdem<br />
aktiv mit <strong>in</strong> die Runde e<strong>in</strong>. Folgende Zusammensetzung sollte Erfolg br<strong>in</strong>gen:<br />
– Du und de<strong>in</strong>e Eltern<br />
– Lehrbetrieb (Lehrl<strong>in</strong>gsverantwortliche/r und Abteilungs- o<strong>der</strong> Geschäftsleiter/<strong>in</strong>)<br />
– Berufsschule o<strong>der</strong> weiterführende <strong>Schule</strong> (Schulleiter)<br />
– Kantonales Amt <strong>für</strong> Berufsbildung (Berufsverantwortliche/r)<br />
– Invalidenversicherung (Berufsberater/<strong>in</strong>)<br />
– Eventuell zusätzliche Berater, wie oben erwähnt<br />
– Möglicherweise macht es auch S<strong>in</strong>n, de<strong>in</strong>e/n aktuelle/n Lehrer/<strong>in</strong> o<strong>der</strong> de<strong>in</strong>e/n<br />
aktuelle/n Schulleiter/<strong>in</strong> mit an diese Gesprächsrunde e<strong>in</strong>zuladen. Sie können aus<br />
ihren Erfahrungen berichten und oft Ängste beschwichtigen. <strong>Das</strong> ist aber e<strong>in</strong>e<br />
Vertrauensfrage.<br />
59<br />
Me<strong>in</strong>e persönlichen Erfahrungen<br />
Ob <strong>herzkranke</strong> Jugendliche nach <strong>der</strong> regulären Schulzeit e<strong>in</strong>e weiterführende<br />
<strong>Schule</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Lehre anstreben, grundsätzlich ist heute vieles<br />
möglich. Bei Jugendlichen mit leichterem Herzfehler wird sich die Lehrzeit<br />
sicherlich nicht allzu kompliziert gestalten. Bei Jugendlichen mit mittelschwerem<br />
o<strong>der</strong> schwerem Herzfehler ist es von Vorteil, wenn sich die<br />
Familie bereits während <strong>der</strong> regulären Schulzeit zu organisieren gelernt
hat. Mit dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Berufszeit gilt <strong>für</strong> Eltern, ihre <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er loszulassen<br />
und es ist ratsam, dieses Loslassen schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oberstufe zu üben. Viele<br />
Lehrbetriebe schätzen es nicht, wenn Eltern ständig auf «<strong>der</strong> Matte» stehen<br />
und glauben, sich <strong>für</strong> ihre <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er e<strong>in</strong>setzen zu müssen. Spätestens jetzt<br />
wird vom Jugendlichen erwartet, <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>en Herzfehler kennt, um se<strong>in</strong>e<br />
Grenzen weiss und diese auch kommunizieren kann. Nicht nur <strong>der</strong> Arbeitgeber,<br />
auch <strong>der</strong> behandelnde Kardiologe, wird <strong>in</strong> den meisten Fällen vermehrt<br />
<strong>das</strong> Gespräch mit dem Jugendlichen direkt anstreben.<br />
Auch wenn diese Ablösung oft <strong>für</strong> beide Seiten ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Zeit<br />
ist, birgt sie auch viele Chancen <strong>in</strong> sich. Verantwortung abgeben, heisst <strong>für</strong><br />
Eltern nicht, <strong>das</strong>s sie sich ab sofort nicht mehr um ihre <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er kümmern.<br />
Eltern und <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er bleiben e<strong>in</strong> Team. Selbstverständlich werden schwierige<br />
Entscheidungen weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen Gesprächen getroffen, natürlich<br />
brauchen Jugendliche h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> die Hilfe <strong>der</strong> Eltern und s<strong>in</strong>d froh<br />
um <strong>der</strong>en Begleitung. Aber letztendlich müssen sie vermehrt lernen, selber<br />
Entscheidungen zu fällen und Eigenverantwortung zu übernehmen.<br />
Eigentlich unterscheidet sich die Erziehung <strong>herzkranke</strong>r Jugendlicher <strong>in</strong><br />
vielem nicht von e<strong>in</strong>em gesunden <strong>K<strong>in</strong>d</strong>. Nur fällt Eltern <strong>das</strong> Loslassen kranker<br />
o<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er meist viel schwerer.<br />
Me<strong>in</strong>e ganz persönliche Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s Loslassen auch durchwegs<br />
positiv se<strong>in</strong> kann. Ke<strong>in</strong>er spürt und kennt se<strong>in</strong>en Körper besser, als<br />
die Herzkranken selber. Über Jahre haben wir Eltern Verantwortung <strong>für</strong><br />
etwas übernommen, von dem wir eigentlich nie genau wussten, wie es<br />
sich anfühlt. <strong>Das</strong>s unsere <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er dies nun selbständig tun,<br />
kann auch ungeme<strong>in</strong> entlastend und befreiend se<strong>in</strong>. Seien wir uns e<strong>in</strong>fach<br />
bewusst, nicht wir Eltern haben den Herzfehler, son<strong>der</strong>n unser <strong>K<strong>in</strong>d</strong>. Spätestens<br />
jetzt, wo wir uns geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> Berufswahl ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen,<br />
ist es an <strong>der</strong> Zeit, unserem <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Entscheidungen<br />
und Wahrnehmungen zu vertrauen.<br />
Me<strong>in</strong> Tipp: Wenn Eltern an die Zukunft ihrer <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er glauben, ihnen diesen<br />
Glauben vermitteln und sie wo nötig unterstützen, dann werden die<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er ihre Ziele auch erreichen. Dies gilt <strong>für</strong> gesunde <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, wie auch<br />
<strong>für</strong> jene mit e<strong>in</strong>em Herzfehler!<br />
60
Merkblatt <strong>für</strong> Lehrpersonen<br />
<strong>Das</strong> folgende Merkblatt ist e<strong>in</strong>e Zusammenfassung verschiedenster vorgängig<br />
abgehandelter Themen und ist vor allem <strong>für</strong> Lehrpersonen als<br />
Hilfe gedacht. Es dient aber Eltern genauso. Die regelmässige Überprüfung<br />
<strong>der</strong> schulischen Situation anhand dieser Liste kann die positive Integration<br />
des <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es för<strong>der</strong>n. Auch wenn sich jede Situation<br />
e<strong>in</strong> bisschen an<strong>der</strong>s gestaltet, lassen sich e<strong>in</strong>ige wichtige Aussagen allgeme<strong>in</strong><br />
machen. Es versteht sich von selbst, <strong>das</strong>s im E<strong>in</strong>zelfall weitere wichtige<br />
Punkte dazukommen können, die Auflistung also nicht vollständig ist.<br />
Als Grundlage diente uns <strong>das</strong> Merkblatt «E<strong>in</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> mit Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse» von Frau Susanne Schriber, HfH Zürich, aus dem Buch<br />
«Spannungsfeld Schulische Integration», 2011.<br />
E<strong>in</strong>gangsvoraussetzungen<br />
Unterstützung durch die Schulgeme<strong>in</strong>de, Schulleitung<br />
– Sichern Sie sich bei <strong>der</strong> Schulleitung, bei <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>de ab, <strong>das</strong>s<br />
Sie <strong>in</strong> den Integrationsbemühungen Rückhalt erhalten.<br />
– Berücksichtigen Sie die kantonalen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zur schulischen<br />
Integration.<br />
– Gehen Sie sicher, <strong>das</strong>s Sie <strong>in</strong> Ihren Bemühungen allenfalls auch personell<br />
unterstützt werden. Die Integration e<strong>in</strong>es chronisch kranken<br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>es gel<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Teamarbeit.<br />
Schulweg, Zugänglichkeit Klassenzimmer<br />
– Vergewissern Sie sich, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Schulweg, Schultransport organisiert<br />
ist (die Verantwortung liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bei den Eltern und <strong>der</strong><br />
Geme<strong>in</strong>de. Die Assistenz zur Bewältigung des Schulwegs gehört nicht<br />
zur Aufgabe <strong>der</strong> Lehrperson).<br />
– Mehrfaches Treppensteigen vor, während und nach dem Unterricht<br />
kann e<strong>in</strong> <strong>herzkranke</strong>s <strong>K<strong>in</strong>d</strong> sehr anstrengen. Richten Sie den Zugang<br />
zum Schulraum so e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s er möglichst leicht zu erreichen ist<br />
(ev. Schulzimmer im Erdgeschoss, Liftschlüssel organisieren o<strong>der</strong> wenn<br />
nötig, Treppenlifte<strong>in</strong>bau via IV und/o<strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>de abklären).<br />
61<br />
Hilfestellungen, Alltagsbegleitung<br />
So wenig wie möglich, so viel wie notwendig<br />
– Klären Sie ab, ob <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>für</strong> Alltagshandlungen Hilfe benötigt.<br />
– Schwere Schultaschen zu schleppen ist <strong>für</strong> herzkanke <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er nicht<br />
gesundheitsför<strong>der</strong>nd. Prüfen Sie, ob die Möglichkeit besteht, <strong>das</strong>s<br />
<strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> e<strong>in</strong>en Satz Schulbücher daheim und e<strong>in</strong>en weiteren Satz<br />
im Schulzimmer besitzen darf.
Merkblatt <strong>für</strong> Lehrpersonen<br />
– Gehen Sie nicht davon aus, <strong>das</strong>s die Mitschüler/<strong>in</strong>nen «automatisch»<br />
helfen. In <strong>der</strong> Regel klappt die spontane Hilfe <strong>in</strong> den ersten Wochen,<br />
dann kann dieser Anspruch zu Frustration, im ungünstigsten Fall zur<br />
Ausgrenzung des kranken Schülers führen.<br />
– Falls regelmässig kle<strong>in</strong>ere Hilfestellungen notwendig s<strong>in</strong>d (z.B. Liftfahren<br />
zu zweit), regeln Sie diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Turnus o<strong>der</strong> besprechen<br />
Sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klassenstunde, wer wann welche Hilfe übernimmt. Gehen<br />
Sie sicher, falls immer dieselben Schüler/<strong>in</strong>nen helfen, ob <strong>das</strong> <strong>in</strong> Ordnung<br />
ist o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Än<strong>der</strong>ung bedarf.<br />
– Falls Hilfsmittel im Unterricht e<strong>in</strong>gesetzt werden (Laptop, Rollstuhl <strong>für</strong><br />
Ausflüge etc.) sprechen Sie mit den Mitschülern darüber und geben<br />
sie diesen die Gelegenheit, die D<strong>in</strong>ge auch e<strong>in</strong>mal auszuprobieren.<br />
Danach gehören die Hilfsmittel e<strong>in</strong>zig dem betroffenen <strong>K<strong>in</strong>d</strong>.<br />
Medikamente, mediz<strong>in</strong>ische Notfälle<br />
Medikamente<br />
– Informieren Sie sich, ob <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> Medikamente braucht, wer <strong>für</strong> die<br />
Verabreichung zuständig ist und welche allfälligen Nebenwirkungen<br />
<strong>für</strong> den Schulalltag von Bedeutung se<strong>in</strong> können. (Siehe Kapitel «Medikamente<br />
bei <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern» auf Seite 8).<br />
– Halten Sie im Voraus fest, was als mediz<strong>in</strong>ischer Notfall gilt, was <strong>in</strong><br />
diesem Fall zu tun ist und wer wen <strong>in</strong>formiert. Bewahren Sie e<strong>in</strong>e allfällige<br />
Liste mit Telefonnummern <strong>für</strong> Sie griffbereit auf.<br />
Umgang mit Zeit, Tempo und Quantität<br />
Nachteilsausgleich: gleiche Qualität (Lehrplan) – unterschiedliche<br />
Quantität (Zeit, Anzahl)<br />
– <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern mit e<strong>in</strong>em Herzfehler geht oft schnell die Energie aus. Zyanotische<br />
(«blaue») <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er kommen noch schneller an ihre Grenzen und<br />
benötigen im Vergleich zu Alterskolleg<strong>in</strong>nen und -kollegen <strong>für</strong> alltägliche<br />
Handlungen oft mehr Zeit. Gewähren Sie dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> Hilfsmittel<br />
(z.B. Taschenrechner, Laptop), selbst wenn diese (z.B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Prüfung)<br />
nicht zugelassen wären.<br />
– Überprüfen Sie stichprobenartig, ob <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> die Aufgabe auch ohne<br />
Hilfsmittel lösen kann.<br />
– Gewähren Sie dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prüfung allenfalls mehr Zeit o<strong>der</strong><br />
lassen Sie e<strong>in</strong>e Aufgabe weg. Die Prüfung muss aber leistungsmässig<br />
mit <strong>der</strong> Mehrheitsprüfung vergleichbar se<strong>in</strong>.<br />
62
Merkblatt <strong>für</strong> Lehrpersonen<br />
63<br />
– Erklären Sie <strong>der</strong> Klasse, <strong>das</strong>s es um Nachteilsausgleich und nicht um<br />
Bevorzugung geht. FAQ Nachteilsausgleich: www.szh.ch (Stiftung<br />
Schweizer Zentrum <strong>für</strong> Heil- und Son<strong>der</strong>pädagogik, Bern). Download<br />
als pdf, siehe «wichtige Adressen» auf Seite 65.<br />
Spezifische Situationen, die Mobilität erfor<strong>der</strong>n<br />
Pausen, Sportunterricht, Schulreise etc.<br />
– Klären Sie mit dem <strong>K<strong>in</strong>d</strong> und den Eltern, wie Situationen, die e<strong>in</strong>e ausserordentliche<br />
Mobilität erfor<strong>der</strong>n, <strong>in</strong>dividuell und situationsspezifisch<br />
gelöst werden können (z.B. Exkursionen, Schulreisen, Radtouren etc.).<br />
– <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er mit Herzfehler lernen, <strong>das</strong>s <strong>für</strong> sie manchmal nicht alles gleich<br />
möglich ist. Wichtig ist, <strong>das</strong>s aktiv nach e<strong>in</strong>er Lösung <strong>für</strong> die Teilnahme<br />
gesucht wird. Dabei kann auch e<strong>in</strong>e Teillösung tauglich se<strong>in</strong> (z.B. <strong>K<strong>in</strong>d</strong><br />
wird mit Taxi, Privatauto zu e<strong>in</strong>em Treffpunkt gefahren, stösst später<br />
dazu etc.).<br />
– Prüfen Sie geme<strong>in</strong>sam, ob und wie e<strong>in</strong>e Teilnahme am Sportunterricht<br />
möglich und s<strong>in</strong>nvoll ist.<br />
– Nimmt <strong>das</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> an Unterrichtsstunden nicht teil, weil es beispielsweise<br />
diese <strong>für</strong> <strong>in</strong>dividuelle Physio- o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Therapien nutzt, ist <strong>das</strong> <strong>der</strong><br />
Klasse zu vermitteln, um Gefühle <strong>der</strong> Bevorzugung zu vermeiden.<br />
Schulische Integration, geme<strong>in</strong>sames soziales Lernen<br />
Gleich se<strong>in</strong> – an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong> – dazu gehören<br />
– Informieren Sie die Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler – wenn möglich,<br />
bzw. je nach Alter und Entwicklungsstufe, gleich mit und durch <strong>das</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong> selbst – über die Krankheit, die Ursachen, die Folgen und notwendigen<br />
Hilfestellungen.<br />
– Informieren Sie die Eltern <strong>der</strong> Mitschüler/<strong>in</strong>nen gleichermassen sorgfältig<br />
über die Art <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des Schülers, <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>.<br />
Sprechen Sie sich da<strong>für</strong> vorgängig mit den Eltern des Herzk<strong>in</strong>des ab,<br />
welche Informationen weitergegeben werden dürfen.<br />
– Verdeutlichen Sie gegenüber <strong>der</strong> Klasse und den Eltern, <strong>das</strong>s beson<strong>der</strong>e<br />
Massnahmen <strong>für</strong> den Schüler, <strong>für</strong> die Schüler<strong>in</strong> mit körperlichen<br />
Beson<strong>der</strong>heiten nicht e<strong>in</strong>e Bevorzugung, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e faire Ausgangsbed<strong>in</strong>gung<br />
s<strong>in</strong>d, um gleiche Chancen zu erhalten (Nachteilsausgleich).<br />
– För<strong>der</strong>n Sie die Integration, <strong>in</strong>dem Sie auch die Stärken des <strong>K<strong>in</strong>d</strong>es mit<br />
Herzfehler aufzeigen.<br />
– Prüfen Sie regelmässig mit allen Beteiligten, ob <strong>das</strong> schulische Sett<strong>in</strong>g<br />
aktuell, s<strong>in</strong>nvoll und leistbar ist.
Merkblatt <strong>für</strong> Lehrpersonen<br />
– Bedenken Sie, <strong>das</strong>s <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, die ausserhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> auch noch<br />
Therapien besuchen müssen, e<strong>in</strong>e Zusatzleistung erbr<strong>in</strong>gen und ihre<br />
Freizeit dadurch reduziert wird. Achten Sie auf allfällige Überfor<strong>der</strong>ungs-<br />
o<strong>der</strong> Stresssymptome.<br />
– <strong>Das</strong> Jugendalter kann <strong>für</strong> Schüler/<strong>in</strong>nen mit e<strong>in</strong>em Herzfehler e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung se<strong>in</strong> (Narben, Betonung Körperlichkeit,<br />
erste Liebschaften etc.). Die Gefahr besteht, <strong>das</strong>s sich Jugendliche<br />
dann zurückziehen.<br />
Kooperation, Informationen<br />
Schüler/<strong>in</strong> mit Herzfehler<br />
– In <strong>der</strong> Regel wissen Schüler/<strong>in</strong>nen mit e<strong>in</strong>em Herzfehler ab zirka dem<br />
siebten Lebensjahr recht genau, was sie können, was <strong>für</strong> sie schwierig<br />
ist und wo sie Unterstützung brauchen. Beziehen Sie die Schüler/<strong>in</strong>nen<br />
so früh wie möglich mit e<strong>in</strong>, wenn es darum geht, Lösungen zu entwickeln.<br />
Eltern<br />
– Eltern kennen ihre <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er sehr gut, sie s<strong>in</strong>d mit den Möglichkeiten<br />
ihrer <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er bestens vertraut. Fragen Sie die Eltern, wie gewisse<br />
Situationen zu Hause gelöst werden.<br />
– Räumen Sie regelmässige Zeitgefässe <strong>für</strong> Absprachen und Informationen<br />
zwischen Ihnen, weiteren Fachpersonen und den Eltern e<strong>in</strong>.<br />
Schulische Übergänge<br />
– Rechnen Sie ausreichend Zeit <strong>für</strong> Planung und Gestaltung von schulischen<br />
Übergängen e<strong>in</strong> (Wechsel Schulstufen, Wechsel Schulsystem,<br />
Schulaustritt und Ausbildung).<br />
Kompetenzzentren<br />
– Zu e<strong>in</strong>em Kompetenzzentrum <strong>in</strong> Ihrer Region (<strong>Schule</strong>n <strong>für</strong> körper- und<br />
mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er) gehören Fachstellen <strong>für</strong> Integration <strong>für</strong><br />
<strong>K<strong>in</strong>d</strong>er und Jugendliche mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung. Wenden Sie sich an diese<br />
Stellen: Sie werden beraten, es werden Hilfen vermittelt. (Adressliste<br />
siehe «Liste wichtiger und hilfreicher Kontaktstellen» nächste Seite)<br />
– Schulische Heilpädagogen decken bei begründetem Bedarf e<strong>in</strong>e<br />
gewisse Lektionenzahl pro Woche als gezielte Unterstützung vor Ort<br />
ab. Da diese Unterstützungsstunden direkt vom Kanton bezahlt werden,<br />
bedarf es regelmässiger Anträge zur Übernahme <strong>der</strong> Kosten.<br />
64
Liste wichtiger und hilfreicher Kontaktstellen<br />
Integration und <strong>Schule</strong><br />
Webplattform zu Integration und <strong>Schule</strong> mit vielen wichtigen<br />
L<strong>in</strong>ks und Informationen<br />
www.<strong>in</strong>tegrationundschule.ch<br />
Procap, <strong>für</strong> Menschen mit Handicap<br />
Procap ist <strong>der</strong> grösste Mitglie<strong>der</strong>verband von und <strong>für</strong> Menschen<br />
mit Handicap <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz. Hier erhält man Beratung,<br />
Rechtsberatung, Bauberatung!<br />
www.procap.ch<br />
Egalité handicap, Fachstelle <strong>der</strong> DOK<br />
Juristische Beratung <strong>für</strong> Personen, die aufgrund e<strong>in</strong>er<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung benachteiligt werden.<br />
www.egalite-handicap.ch<br />
Stiftung Schweizer Zentrum <strong>für</strong> Heil- und Son<strong>der</strong>pädagogik<br />
Informieren auch über Angebote und Konzepte <strong>in</strong> den Kantonen<br />
www.szh.ch<br />
Eidg. Büro <strong>für</strong> die Gleichstellung von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
Allgeme<strong>in</strong>e Informationen, Unterstützung von Projekten,<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Integration von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
www.edi.adm<strong>in</strong>.ch/ebgb/<br />
Elternvere<strong>in</strong>igung <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> (EVHK)<br />
Selbsthilfeorganisation <strong>für</strong> Familien mit <strong>herzkranke</strong>n <strong>K<strong>in</strong>d</strong>ern<br />
www.evhk.ch<br />
Schweizerische Herzstiftung<br />
Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag<br />
www.swissheart.ch<br />
Cuore Matto<br />
Patientenorganisation <strong>für</strong> Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern<br />
www.cuorematto.ch<br />
Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligung<br />
bei Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
Gesetzesartikel<br />
www.adm<strong>in</strong>.ch/ch/d/sr/151_3/<strong>in</strong>dex.html<br />
65
Integrationsfachstellen <strong>der</strong> grössten Schweizerischen<br />
Kompetenzzentren<br />
(Quelle «Spannungsfeld Schulische Integration», Schriber, Schwere Hrsg.)<br />
Fachleute dieser Kompetenzzentren unterstützen Eltern und <strong>Schule</strong> bei<br />
<strong>der</strong> Integration beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter o<strong>der</strong> chronisch kranker <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er <strong>in</strong> die Regelschule<br />
o<strong>der</strong> helfen mit bei <strong>der</strong> Entscheidungsf<strong>in</strong>dung bei Übertritten. Die<br />
Aufzählung erfolgt nach geografischem Kriterium von Ost nach West.<br />
E<strong>in</strong>en Überblick zu rechtlichen Grundlagen, Adressen und<br />
Beratungsstellen aus allen Schweizer Kantonen zu Integration<br />
erhält man auch auf <strong>der</strong> Webseite «Integration<br />
und <strong>Schule</strong>», www.<strong>in</strong>tegrationundschule.ch.<br />
Schulheim Chur<br />
www.schulheim-chur.ch<br />
CP-<strong>Schule</strong> Birnbäumen, St. Gallen<br />
www.ghgsg.ch<br />
Fachstelle <strong>für</strong> <strong>in</strong>tegrierte Son<strong>der</strong>schulung, W<strong>in</strong>terthur<br />
www.hps.w<strong>in</strong>terthur.ch/<strong>in</strong>tegrierte-son<strong>der</strong>schulung<br />
<strong>Schule</strong> <strong>für</strong> Körper- und Mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te, SKB Zürich<br />
www.stadt-zuerich.ch/skb<br />
Stiftung Rodtegg, Luzern<br />
www.rodtegg.ch<br />
zeka zentren körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te aargau<br />
www.zeka-ag.ch<br />
tsm Schulzentrum Münchenste<strong>in</strong>, Baselland<br />
www.tsm-schulzentrum.ch<br />
Zentrum <strong>für</strong> körper- und s<strong>in</strong>nesbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te <strong>K<strong>in</strong>d</strong>er, zksk Solothurn<br />
www.zksk-so.ch<br />
Schulheim Rossfeld, Bern<br />
www.rossfeld.ch<br />
66
Impressum<br />
Herausgeber: Schweizerische Herzstiftung,<br />
Schwarztorstrasse 18, Postfach 368, 3000 Bern 14<br />
<strong>in</strong>fo@swissheart.ch, www.swissheart.ch<br />
Elternvere<strong>in</strong>igung <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> EVHK,<br />
Neuhusstrasse 35c, 8630 Rüti<br />
<strong>in</strong>fo@evhk.ch, www.evhk.ch<br />
Redaktionelle Leitung: Monika Stulz, Birmenstorf<br />
Übersetzungen: Claude Hugonnaud, Ferreyres<br />
Grafik: Leibundgutdesign, Visuelle Gestaltung, Bern<br />
Druck: W. Gassman AG, Biel<br />
Fotos: Judith und Konrad Eckert, Brugg<br />
H<strong>in</strong>weise <strong>der</strong> Redaktion: Wir haben darauf verzichtet,<br />
die verschiedenen Typen angeborener Herzfehler aufzulisten.<br />
Mehr dazu erfahren Sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Schweizerischen<br />
Herzstiftung erhältlichen Broschüre «Jugendliche und<br />
Erwachsene mit angeborenem Herzfehler» sowie auf<br />
folgenden Websites<br />
❯ www.evhk.ch<br />
❯ www.cuorematto.ch<br />
❯ www.swissheart.ch/wissen<br />
❯ www.corience.org<br />
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung –<br />
auch auszugsweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung<br />
<strong>der</strong> Herausgeber © Schweizerische Herzstiftung, Elternvere<strong>in</strong>igung<br />
<strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong>, März 2013<br />
Schweizerische<br />
Herzstiftung<br />
Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag<br />
Die Schweizerische Herzstiftung setzt sich da<strong>für</strong> e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s<br />
weniger Menschen an Herz- und Gefässleiden erkranken<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Hirnschlag erleiden, Menschen nicht durch e<strong>in</strong>e<br />
Herz-Kreislauf-Krankheit beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t bleiben o<strong>der</strong> vorzeitig<br />
daran sterben, <strong>für</strong> Betroffene <strong>das</strong> Leben lebenswert bleibt.<br />
Die Elternvere<strong>in</strong>igung <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong> bietet betroffenen<br />
Familien Begleitung und Unterstützung <strong>in</strong> regionalen<br />
Gruppen, aktuelle Informationen und Freizeitangebote <strong>für</strong><br />
Herzk<strong>in</strong><strong>der</strong> und <strong>der</strong>en Familien.<br />
67
Schweizerische<br />
Herzstiftung<br />
xAktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag<br />
x<br />
x<br />
Schweizerische Herzstiftung<br />
Schwarztorstrasse 18<br />
Postfach 368<br />
3000 Bern 14<br />
Telefon 031 388 80 80<br />
Telefax 031 388 80 88<br />
<strong>in</strong>fo@swissheart.ch<br />
www.swissheart.ch<br />
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<strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>herzkranke</strong> <strong>K<strong>in</strong>d</strong><br />
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Die Schweizerische Herzstiftung ist seit 1989 ZEWO-zertifiziert.<br />
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• zweckbestimmten, wirtschaftlichen und wirksamen E<strong>in</strong>satz Ihrer Spende<br />
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© Schweizerische Herzstiftung, März 2013