SEHNSUCHT NACH DEM KRIEG? - DIABOLO / Mox
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2 MAGAZIN <strong>DIABOLO</strong> WOCHENZEITUNG | Ausgabe 45/13<br />
Aus einem Künstlerleben<br />
Ralph Dutli liest aus seinem Erstling<br />
TEXT | Horst E. Wegener<br />
Mal ehrlich: Wer kennt schon Chaim Soutine?<br />
Sollte man aber, denn die Bilder des<br />
1883 nahe Minsk geborenen Sohns eines<br />
jüdischen Schneiders, der sich vor Ausbruch<br />
des Ersten Weltkriegs von Weißrussland<br />
nach Paris durchschlug, haben in späteren<br />
Jahren sogar Größen wie Willem de<br />
Kooning oder Francis Bacon beeinflusst.<br />
Ab Mitte der 1930er Jahre war das den<br />
französischen Peintres maudits zugehörige<br />
Maler-enfant terrible der internationalen<br />
Sammlerszene bekannt genug, um<br />
von seiner Kunst existieren zu können.<br />
Nicht dass ihn dieser Erfolg übermütig<br />
gemacht hätte: Als Zeitgenosse von Chagall,<br />
Picasso und Modigliani neigte Soutine<br />
wie kein zweiter dazu, die eigenen<br />
Werke zu zerstören, wenn sie ihm nicht<br />
hundertfünfzigprozentig zusagten. In der<br />
Öffentlichkeit bekam der Egozentriker<br />
deshalb den Spitznamen „Mörder seiner<br />
Bilder“ angedichtet. Was er nicht selbst<br />
übermalte oder verbrannte, missfiel spätestens<br />
den Nazis. Denen galten die<br />
expressionistischen Arbeiten Chaim Soutines<br />
als „jüdisch und entartet zugleich“.<br />
Kaum hatte Hitlers Armee im Verlauf des<br />
Zweiten Weltkriegs Frankreich besetzt<br />
und Paris unterjocht, blieb dem von den<br />
Deutschen Gesuchten nichts weiter übrig<br />
als unterzutauchen. Außerhalb der französischen<br />
Kapitale hoffte der Kunst-Apokalyptiker<br />
wie so viele seiner jüdischen<br />
Leidensgenossen auf bessere Zeiten. Doch<br />
ein über die Jahre hinweg ignoriertes<br />
Magengeschwür ließ im Hochsommer<br />
1943 eine Operation unumgänglich<br />
erscheinen. In einem Leichenwagen versuchten<br />
die wenigen verbliebenen Freunde<br />
des Künstlers den Schwerstkranken an<br />
den Kontrollposten der deutschen Besatzer<br />
vorbei in eine Pariser Klinik zu überführen.<br />
Zu retten war Chaim Soutine<br />
jedoch nicht mehr…<br />
Diese letzte Reise des im Fieber- und Drogenwahn<br />
delirierenden Totkranken baut<br />
der heute in Heidelberg lebende Schriftsteller<br />
Ralph Dutli zu seinem Romandebüt<br />
aus. In einer gewagten Mischung aus<br />
Fiktion und Realität setzt der 1954 im<br />
schweizerischen Schaffhausen geborene<br />
Romanist und Slawist Dutli in „Soutines<br />
letzte Fahrt“ alles daran, uns die letzten<br />
Stunden des am 9. August 1943 verstorbenen<br />
Malergenies näher zu bringen.<br />
Gleichzeitig gelingt es ihm, die dokufiktional<br />
zusammengepuzzelten Erlebnisse<br />
mit kenntnisreichen Einblicken in die<br />
Kulturgeschichte der Pariser Boheme und<br />
des internationalen Kunstmarktes zwischen<br />
dem Ersten und dem Zweiten<br />
Weltkrieg auszuweiten, die Besatzerzeit<br />
in der französischen Kapitale unter den<br />
Nazis einzubinden – und sich der grellfarben-expressionistischen<br />
Gemälde Soutines<br />
sowie dessen Biografie wortmächtig<br />
anzunehmen. Es mag Dutli geholfen<br />
haben, dass er schon während der Studienjahre<br />
in Zürich und Paris die Sprache<br />
russischer Dichter und Schriftsteller<br />
intensiv ergründen konnte, sich der Akademiker<br />
unter anderem einen Namen als<br />
Biograf und Übersetzer des russischen<br />
Dichters Ossip Mandelstam machen durfte.<br />
Apropos Mandelstam: Die Parallelen<br />
zwischen „Soutines letzte Fahrt“ und<br />
Warlam Schalamows „Cherry Brandy“,<br />
einer Erzählung über den in einem sibirischen<br />
Arbeitslager internierten Intellektuellen<br />
Mandelstam und dessen Gedanken<br />
in den Stunden vor seinem Tod sind<br />
unübersehbar. Hier wie dort rekapituliert<br />
ein Künstler sein Leben; auf seiner Irrfahrt<br />
von Chinon an der Loire nach Paris<br />
imaginiert der im Morphium- und Fieberrausch<br />
wegdämmernde Maler seine<br />
Kindheit, Jugend, tauchen Wegbegleiter,<br />
Orte, Albtraumgestalten vorm inneren<br />
Auge des als zehntes von elf Kindern in<br />
eine bettelarme Großfamilie hineingeborenen<br />
Chaim Soutine auf. Gegen den ausdrücklichen<br />
Willen des religiös geprägten<br />
Vaters malt der kleine Chaim, studiert<br />
er Kunst an der Akademie in Wilna.<br />
Das Diplom in der Tasche schlägt sich<br />
der Weißrusse jüdischer Herkunft um<br />
1913 gen Westen durch. Dutli schildert<br />
die Hungerleiderjahre des Neuankömmlings<br />
in der Seinemetropole, erste Anerkennung<br />
im Künstlerkreis des Montparnasse,<br />
seine Freundschaft zu Amedeo<br />
Modigliani, der Soutine mehrfach portraitiert<br />
hat. Und er webt die Liebschaften<br />
des Kunstbesessenen in dessen biografisch<br />
unterfütterten Erinnerungen ein,<br />
bis hin zur letzten Muse Marie-Berthe<br />
Aurenche, die als treue Seele ihrem<br />
Geliebten bei der Irrfahrt im Leichenwagen<br />
bis zum bitteren Ende beisteht.<br />
Beim Leser weckt die farbig-expressive<br />
Sprache Ralph Dutlis vom ersten Kapitel<br />
an das Verlangen, sich mehr mit<br />
Chaim Soutines Kunst zu beschäftigen.<br />
Man darf an der Faszination des von 1982<br />
LIEBE LESERIN,<br />
LIEBER LESER!<br />
Noch mehr Tierversuche<br />
Der Tierschutz ist enttäuscht von der Erneuerung des Tierschutzgesetzes<br />
TEXT | MARIA WOLTERS<br />
Tierschutz ist immer ein Thema, das viele<br />
Menschen beschäftigt und berührt. Bei<br />
dem Stichwort Tierschutz fallen einem die<br />
Straßenhunde in Spanien, Nerzfarmen<br />
oder das Thema Massenhaltungen ein,<br />
aber wie viele Tiere für Forschung ihr Leben<br />
lassen, ist nur wenigen wirklich bewusst.<br />
Insgesamt wurden im Jahr 2012 mehr als<br />
drei Millionen Tiere für Versuchszwecke<br />
genutzt. Das zeige die veröffentlichte Statistik<br />
des Bundesministeriums für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz.<br />
Die Statistik führe alle Tiere in<br />
1500 Kunstwerke inmitten einer verwahrlosten<br />
Wohnung in München?<br />
Wie geht das denn? Was ist denn das<br />
für eine riesige Wohnung gewesen?<br />
Da reibt sich nicht nur Otto- und Lieschen-Normalverbraucher<br />
entgeistert<br />
die Augen. Da reiben sich Kunstleute<br />
aller Couleur angeblich die Augen.<br />
Kann wirklich eine solche Menge von<br />
Werken zeitgenössischer Meister über<br />
Jahrzehnte versteckt werden, ohne<br />
dass es irgendwelche Mitwisser gibt?<br />
Wie dem auch sei – nicht nur die<br />
Kunsthistorie steht blamiert vor diesem<br />
Fund. Was aber im ganzen<br />
Zusammenhang mit diesem Fund<br />
befremdet, ist seine Verheimlichung.<br />
Auch wenn es verständlich ist, dass<br />
in Ruhe einige wichtige Fragen geklärt<br />
werden sollten, kann es doch nicht<br />
sein, dass ein paar Leute entscheiden,<br />
dass das Auffinden einer großen<br />
Menge von wahrscheinlich geraubter<br />
Kunst der Öffentlichkeit lange vorenthalten<br />
wird. Nicht nur der Kunstmarkt<br />
hat ein Interesse an den Werken, in<br />
allererster Linie sind es die Besitzer,<br />
die Erben, die ein Recht auf Aufklärung<br />
haben. So wie die Menge der<br />
sicher gestellten Kunstwerke enorm<br />
ist, so enorm ist auch der Aufklärungsbedarf<br />
für die Öffentlichkeit. Denn wo<br />
es Beraubte gibt, muss es Räuber<br />
gegeben haben. Und wo ein solcher<br />
Schatz so lange geheim sein konnte,<br />
muss es Mitwisser gegeben haben.<br />
Die Redaktion<br />
bis ‘94 in Paris lebenden Studenten der<br />
Slawistik und Romanistik teilhaben, den<br />
die Wahrnehmung eines Ausstellungsplakats<br />
in der U-Bahn, das ein Gemälde der<br />
Kathedrale von Chatres zeigte, süchtig<br />
nach der Kunst des Schöpfers dieses<br />
berühmten „taumelnden Gotteshauses“<br />
werden ließ. Die alles entscheidende Frage:<br />
Warum nur kennt jeder Bildungsbürger<br />
Chagall, Modigliani, Picasso – und<br />
bestenfalls Insider können den Namen<br />
Chaim Soutine einordnen? Mal sehen,<br />
ob Literatur-Moderatorin Sabine Doering<br />
im Gespräch mit dem Autoren Ralph<br />
Dutli zu dessen Romandebüt darauf<br />
befriedigend Antwort geben kann.<br />
Autorenlesung: Ralph Dutli<br />
So., 10.11., 11:00 Uhr, Wilhelm13, OL,<br />
aus seinem Roman-Erstling „Soutines letzte<br />
Fahrt“<br />
Kategorien der Tierart und Herkunft auf<br />
und für welchen Versuchsbereich sie verwendet<br />
wurden. Hierbei handele es sich<br />
um verschiedene Bereiche, wie zum Beispiel<br />
biologische Grundlagenforschung,