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Falles, die <strong>mit</strong> dem Satz abgeschlossen wird, die ganze Sache sei ein Geheimnis<br />

der Bosheit. 473<br />

Weder in den "FreymOthigen Gedanken" des Pfarrers J. R. SteinmOller von 1798<br />

noch in H. L. Lehmanns Buch "Die frei sich wähnenden Schweizer", das 1799<br />

erschien, noch in der "Kieinen Schweizer-Chronik Ober die Zeit von 1700 bis<br />

1801", lassen sich Hinweise auf den Göldi-Handel finden. 474 In Anbetracht der<br />

Kriegsereignisse, die in dieser Zeit das gewohnte Leben durcheinander brachten,<br />

ist es nicht verwunderlich, dass der Göldi-Handel in den Hintergrund rOckte.<br />

1802 berichtet dann Johann Gottfried Ebel in seiner "Schilderung der<br />

Gebirgsvölker der Schweiz", im Zusammenhang <strong>mit</strong> der mangeinden Volksbildung<br />

sei es nicht verwunderlich, wenn man noch an Hexen glaube. Die Verbrennung<br />

der Hexe von Glarus im Jahre 1782 sei durch die deutschen Monatshefte genug<br />

bekannt geworden.<br />

Interessant ist, dass hier zum erstenmal die Version <strong>mit</strong> der Hexenverbrennung<br />

auftaucht. 475 Ais Kind glaubte ich lange, die Anna Göldi sei auf dem heutigen<br />

SonnenhOgel in Glarus als Hexe verbrannt worden.<br />

6. Ergebnisse, Zusammenfassung und Schlussgedanken<br />

6.1 Ergebnisse<br />

Durch die Nachforschungen Ober das Leben der Anna Göidi hat sich<br />

herausgestellt, dass diese tatsächlich drei und nicht, wie bisher angenommen, nur<br />

zwei Kinder auf die Welt gestellt hatte. Sie selber brachte dies vor Gericht zur<br />

Sprache. Aber diese Aussage wurde bis jetzt von niemandem aufgenommen und<br />

so<strong>mit</strong> auch nicht OberprOft.<br />

Lehmanns Behauptung, der Entscheid fOr eine Verurteilung zum Tode sei nur<br />

<strong>mit</strong> dOnner Merhheit von zwei Stimmen zustandegekommen, wird durch Christoph<br />

Meiners Artikel im neuen Göltingischen historischen Magazin bestätigt. Dies zeigt<br />

deutlich, dass damals die Meinungen im Gericht geteilt waren. Hätte Anna Göldi<br />

473 Fortsetzung der Glamerchronik von Christoph Trümpi durch Johannes Marti, 1n4 - 1796, 22.<br />

474 J.R. SteinmOlIer: Freymothlge Gedanken über die naueslen Ereignisse, 1798 ; H.l. Lehmann, :<br />

Oie sich freywähnenden Schweizer, 1799, 99 - 104; J.G. Heinzmann: Kleine Schweizer-ehronik.<br />

Zweyter Thail, 1801.<br />

475 J.G. Ebel: Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz. 11: Kanton Glarus, 1802.302- 303.


124<br />

über die gleichen Einflussmöglichkeiten wie Ihr Ankläger, J. J. Tschudi. verfügen<br />

können. wäre der Prozess anders veriaufen.<br />

Eine mögliche Schwängerung von Tschudi Iiess sich nicht nachweisen, kann<br />

aber nach wie vor nicht ausgeschlossen werden. Es fehlen wichtige Protokolle.<br />

Die damalige publizistische Verabeitung des Göldi-Handels brachte nur wenig<br />

Neues ans Licht. Der Grund ist darin zu suchen, dass die meisten Artikelschreiber<br />

ihre Angaben aus anderen Zeitungen oder aus Lehmanns Briefen holten und nur<br />

selten an den Grund der Quellen gingen.<br />

Es ist festzuhalten, dass trotz schärfster Zensurbestimmungen in der Schweiz<br />

der Handel im deutschsprachigen Ausland bekannt wurde und auf diesem Umweg<br />

die von der Glarner Obrigkeit gefürchtete Publizität erreichen konnte.<br />

Die wirkliche Lebens- und Leidensgeschichte der Anna Göldi ist alles andere<br />

als ein logischer Ablauf von kausal bedingten Ereignissen.<br />

In der damaligen<br />

Presse, die Briefe Lehmanns <strong>mit</strong> eingeschlossen, wurde aber eine Kausalität<br />

hergestellt, welcher man sich auch heute kaum entziehen kann.<br />

Sozialhistorisch betrachtet war der Göldi-Handel ein idealer Aniass, die Willkür<br />

und die Borniertheit der Obrigkeit allgemein anzuklagen, das Fehlen einer<br />

allgemeingültigen Vernunft aufzuzeigen und eine Veränderung aufgrund dieses<br />

absurden Justizmordes zu fordern.<br />

Der psychologisch relevante Inhalt des Göldi-Handels ist ein immer<br />

wiederkehrendes Phänomen. Eine integre Person wird durch ·unerklärliche".<br />

scheinbar logische, Ereignisse diskriminiert, dehumanisiert und so<strong>mit</strong> der<br />

Verfolgung preisgegeben. Diese wird durch die Stimmung im sozialen Umfeld<br />

gestaltet und kann sich tödlich für die betreffende Person auswirken.<br />

6.2 Zusammenfassung<br />

Der Fall Anna Göldi ereig<strong>net</strong>e sich in einer Zell, die vom Umbruch in allen<br />

Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens gekennzeich<strong>net</strong> war. Der Grund<br />

für das grosse Echo auf diesen Fall ist in der Spannung zu suchen, die zwischen<br />

alter öffentlicher Ordnug, alter Rechtsprechung und kirchlicher Moralvorstellung<br />

einerseits und dem aufklärerischen Gedankengut andererseits herrschte.<br />

Anna Göidi lebte zwischen 1734 und 1782 in der Zürcher Herrschaft Sax und im<br />

Kanton Glarus. Sie verbrachte ihre Zell als Dientmagd. Sie gebar drei uneheliche<br />

Kinder. wobei ihr der Tod des zweiten als Kindsmord angelastet wurde. An ihrer


125<br />

letzten Arbeitsstelle als Dienstmagd in Glarus kam sie durch ein heute nicht mehr<br />

nachvollziehbares Ereignis bei ihren Dienstherren in Ungnade. Diese negative<br />

Konstellation eskalierte, unter Mithilfe der zweitältesten Tochter der Dienstherren<br />

und eines Verwandten derselben, bis zur Anklage gegen Anna Göldi wegen<br />

Verhexung dieser Tochter.<br />

Der Prozess wurde willkürlich geführt, die Richter<br />

liessen sich vom Ankläger beeinflussen und, was nicht zu übersehen ist, die<br />

Angeklagte war in den Augen der Richter von vornherein schuldig. Der Prozess<br />

endete <strong>mit</strong> der Enthauptung der Angeklagten. Sie wurde nicht als Hexe sondern<br />

als Vergifterin zum Tode verurteil.<br />

Die öffentliche Presse berichtete anschliessend im benachbarten deutschsprachigen<br />

Ausland ausführlich darüber. Aus Zensurgründen schwiegen sich die<br />

Schweizer Zeitungen und Zeitschriften über den Handel aus.<br />

6.3 Schlussgedanken<br />

Mit dieser Arbeit habe ich versucht, eine Übersicht über die Ereignisse und die<br />

Publikationen des 18. Jahrhunderts, die <strong>mit</strong> dem Göldi-Handel zu tun hatten,<br />

zusammenzustellen. In einem viel kleineren, unvollständigeren Rahmen geschah<br />

dies auch für alle späteren Publikationen. Sicher könnte man das 19. Jahrhundert<br />

besser ausleuchten und das Geschriebene mll dem Zeitgeist in Verbindung<br />

bringen.<br />

Mit den heute zur Verfügung stehenden psychologischen Modellen könnte, als<br />

weiterführende Arbeit, die Problematik der "Kinderlüge" im Göldi-Handel<br />

angeschaut werden. Anhand einer repräsentativen Umfrage könnte eruiert<br />

werden, ob es so etwas wie "Kinderlüge" als allgemeine Erscheinung tatsächlich<br />

gibt, oder ob dies vor allem bei extremen Tagträumern vorkommt. Mit einer<br />

sorgfäitigen Analyse der noch vorhandenen Dokumente wäre in dieser Hinsicht<br />

vielleicht etwas zu erreichen. Auch die Rollen der am Handel beteiligten<br />

Erwachsenen könnten da<strong>mit</strong> noch besser erforscht werden.<br />

Für mich bedeutete diese Arbeit eine grosse Herausforderung, musste ich mich<br />

doch <strong>mit</strong> einem sehr "dunklen" Thema der Vergangenheit, der menschlichen<br />

Qualitäten überhaupt, auseinandersetzen. Dies fiel mir nicht immer leicht.<br />

An Aktualität hat weder der Problemkreis der ungerechten Verfolgungen noch<br />

derjenige des Aberglaubens etwas eingebüsst. Man denke an den Esoterik-Boom,<br />

an die vielen Geistheiler, an den Glauben, dass die einen mehr können als die<br />

anderen.


126<br />

Anna GOldi wurde das Opfer einer Kette von tragischen Ereignissen. Die<br />

Eigendynamik, die dieser Handel entwickelte, ist unheimlich. Die Unfähigkeit<br />

verschiedener Personen zur kritischen Beobachtung ist eindrücklich. Dass es<br />

kritisch denkende Leute hatte, wissen wir aus verschiedenen Dokumenten. Dass<br />

sich diese nicht durchsetzen konnten, ist fast nicht verständlich. Und doch war es<br />

so.<br />

Auch heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, eifern manche Menschen unkritisch<br />

einer Vorgabe nach und verlieren ihre eigene Denkkraft und ihre Urteilsfähigkeit<br />

zugunsten eines kollektiven Wahns. Hüten wir uns vor dem unkritischen Umgang<br />

<strong>mit</strong> unseren eigenen Vorurteilen! PrOfen wir unsere eigene Kritikfähigkeil, gerade<br />

in unserer Zeit!

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