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AliceMiller DasGeheimnis derPsycho - Neue Zürcher Zeitung

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Sachbuch<br />

Prognosen WarumWettervorhersagen eher zutreffenals ökonomischeModellrechnungen<br />

DerwahreProphetleugnetseineGabe<br />

Nate Silver:Die Berechnung der Zukunft.<br />

Warumdie meisten Prognosen falsch<br />

sind und manche trotzdem zutreffen.<br />

Heyne, München 2013. 656Seiten,<br />

Fr.34.90,E-Book 23.40.<br />

VonMichaelHolmes<br />

Der US-Statistiker Nate Silver verdiente<br />

sechsstellige Beträge beim Pokern und<br />

entwickelte eines der besten Prognosesysteme<br />

für Baseball-Karrieren. Vorden<br />

Präsidentschaftswahlen 2012 sagteerauf<br />

seinem «New York Times»-Blog die Gewinner<br />

aller 50 Bundesstaaten korrekt<br />

voraus. Viele seiner Fans feiern ihn wie<br />

einen modernen Propheten, der mit genialen<br />

Statistikprogrammen die verborgene<br />

OrdnungimDatenchaos enthüllt.<br />

Aber in seinem US-Bestseller «Die Berechnung<br />

der Zukunft» warnt Silver eindringlich<br />

vorverlockend einfachen Wundermodellen<br />

und alleserklärenden Weltformeln.<br />

Seine Hauptthese besagt, dass<br />

wir jede kluge Idee in eine gefährliche<br />

Ideologie verwandeln, wenn wirihreErklärungskraft<br />

und Reichweiteüberschätzen.<br />

Seinen Analysen zufolgelagen Fernsehexperten,<br />

die Vorhersagen zu zahlreichen<br />

Themen abgaben, ebenso häufig<br />

richtig wiefalsch.<br />

Silver demonstriert, dass wirdie exponentiell<br />

wachsenden Datenmengen und<br />

Rechenkapazitäten der Computer optimal<br />

nutzen, wenn wir möglichst viele<br />

Theorien, Methoden und Programme<br />

offen diskutieren, streng prüfen und<br />

schrittweise verbessern.<br />

Die grössten Fortschritte habe die<br />

Wettervorhersage vorzuweisen, da der<br />

harte Konkurrenzkampf der Wetterdiensteohne<br />

ideologische Scheuklappen<br />

geführt werde. Ausserdem hätten die<br />

Meteorologen die Stärken und Schwächen<br />

ihrer Computersimulationen erkannt.<br />

Zum Beispiel hatten die Sturmforscher,<br />

Tage bevor der Hurrikan Katrina<br />

New Orleans verwüstete, auf die Evakuierunggedrängt.<br />

Silver erläutert im Detail, warum er<br />

eine Klimaerwärmung um ein bis drei<br />

Grad in den nächsten 100 Jahren für sehr<br />

wahrscheinlich hält. Er legt überzeugend<br />

dar,wie der blinde Glaube an die Modelle<br />

der Ratingagenturen, Banker und Staatsökonomen<br />

zur Subprime-Krise führte.<br />

Auch der Angriff auf Pearl Harbour, die<br />

Terroranschläge vom 11. September und<br />

die Atomkatastrophe von Fukushima<br />

hätten sich seiner Einschätzung nach<br />

eventuell verhindern lassen, wenn die<br />

Verantwortlichen nicht das Seltene mit<br />

dem Unmöglichen verwechselt hätten.<br />

Silver mahnt zuSkepsis, Neugier und<br />

Bescheidenheit inden grossen Streitfragen.<br />

Wird es dem Statistik-Superstar wie<br />

Monty Pythons Brian ergehen? «Ich bin<br />

nicht der Messias!», ruft dieser seinen<br />

Jüngern zu –und die begreifen sogleich:<br />

«Nur der wahrhaftige Messias leugnet<br />

seine Göttlichkeit!» ●<br />

Dasamerikanische Buch Soul Food –Kochen für dieSeele<br />

Die afroamerikanische Tradition hat<br />

der Welt kräftigeAnstösse in Musik,<br />

Kunst und Mode gegeben. Seit den<br />

1970er Jahren «Soul Food» genannt,<br />

findet die Küche der Schwarzen jedoch<br />

weder in den USAnoch international<br />

einen vergleichbaren Anklang. Dabei<br />

hatSoul Food eine erhebliche gesellschaftspolitische<br />

Bedeutungund erlebt<br />

derzeitinRestaurants wiedem «Red<br />

Rooster» in Harlem eine schmackhafte<br />

Renaissance. Durch diese Landschaft<br />

führt mitleichterHand Adrian Miller in<br />

seinem erstenBuch SoulFood: The<br />

Surprising Story of an American Cuisine,One<br />

Plate at aTime (University of<br />

North Carolina Press, 333 Seiten). Von<br />

Haus aus Jurist, war Miller unteranderemfür<br />

Bill Clintontätig und dient<br />

heuteals Geschäftsführer einer Kirchenorganisation<br />

in Denver, Colorado.<br />

In den letzten Jahren hatsich der Absolventder<br />

EliteuniversitätenStanford<br />

und Georgetown auch als Küchenexperteund<br />

Richterbei Barbecue-<br />

Wettbewerben einen Namen gemacht.<br />

In den Rocky Mountains geboren, hat<br />

Miller seine Wurzeln nichtvergessen.<br />

Dafür sorgten die Rezepte, die Millers<br />

Eltern als Migrantenaus den ehemaligenSklavenstaatendes<br />

Südens mitgebrachthatten.<br />

Daran knüpft der Autor<br />

an, wenn er zunächst seine tiefeBindungandie<br />

frittierten Hühnchenteile,<br />

den Grünkohl und kandierten Yams seiner<br />

Kindheitschildert und dann die<br />

historische Entwicklungder afroamerikanischen<br />

Küche nachzeichnet.<br />

Miller erklärt, dass bestimmte Nahrungsmittel<br />

entweder vonversklavten<br />

Afrikanern mitindie heutigen USAgebrachtworden<br />

sind oder ohne deren<br />

Expertise kaum in der <strong>Neue</strong>n Welt Fuss<br />

Auch die schmackhafteBohnensuppe<br />

gehörtzum Soul Food,<br />

der traditionellen<br />

Küche der Schwarzen<br />

in den USA.<br />

AutorAdrian Miller<br />

(unten).<br />

gefasst hätten. Dies gilt besonders für<br />

den Reisanbau an der Küstevon South<br />

Carolina.<br />

Daneben nahm der Verzehr vonHühnern<br />

oder Innereien in der westafrikanischen<br />

Yoruba-Kultur eine zentrale Stellungein,<br />

da diese als Brücken zu spirituellen<br />

Sphären betrachtetwurden. Diese<br />

Tradition konnte in Nordamerika fortleben,<br />

da Hühner und Schweinedärme<br />

verhältnismässig preisgünstig oder<br />

durch eigene Aufzuchtauch für Sklaven<br />

verfügbar waren. Allerdings kamen<br />

beide Speisen bis in das 20.Jahrhundert<br />

vorrangig an Sonn- und Feiertagen auf<br />

den Tisch. Da die Schwarzen im Süden<br />

lange nichtüber einen Herd mitBackofen<br />

verfügten, wurdedas schon in<br />

Westafrika bekannte Frittieren zu einer<br />

bevorzugten Garmethode. Nichtzuletzt<br />

deshalb ist Soul Food bis heutesokalorienhaltig.<br />

Dies erklärt die Skepsis vieler<br />

Amerikaner der schwarzen Küche<br />

gegenüber jedoch nur teilweise. Dazu<br />

kamen –Miller zufolge–rassistische<br />

Vorurteile. So werden Hühner bis heute<br />

zwar als «Gospel Bird» bezeichnet, weil<br />

den schwarzen Pastoren bei ihren sonntäglichen<br />

Hausbesuchen frittierte<br />

Hühnchen vorgesetzt wurden. Diese<br />

Vorliebe entgingden Weissen nicht,<br />

weshalb das Geflügel in bösartigen Karikaturen<br />

auftauchte,die Schwarzeals<br />

dumm und schreckhaft denunzierten<br />

und mit«kopflosen Hühnern» verglichen.<br />

Neben dem Aufkommen vonpreiswerteremFast<br />

Food hatdiese negative Aufladungvielen<br />

Schwarzen den Appetit<br />

auf die Küche ihrer Vorfahren verdorben.<br />

Doch genau aus diesem Grund hat<br />

die Black-Power-Bewegungder 1960er<br />

Jahrediese Esskultur zu einem Symbol<br />

schwarzen Stolzes stilisiert. In jüngster<br />

Zeitkommtbei der Diskussion über<br />

«Chitterlings» (gekochte oder frittierte<br />

Schweinedärme) und Catfish auch akademisches<br />

Besteck zum Einsatz. So<br />

greift Miller bei seiner Darstellungauf<br />

alteKochbücher ebenso zurück, wieauf<br />

die umfangreiche Fachliteratur über<br />

Soul Food. Zudem hater150 einschlägige<br />

Lokale in allen Teilen der USAbesucht.<br />

Dass er in seiner anregenden<br />

Darstellungakademischen Jargonvermeidet<br />

und klassische Rezeptefür<br />

«Black-Eyed Peas» (Augenbohnen) oder<br />

«Hibiscus Aid» (ein rotesSüssgetränk<br />

aus Hibiscus-Blüten) vorstellt, trägt<br />

dem Buch in den USAzuRechtfreundliche<br />

Kritiken ein.<br />

VonAndreas Mink ●<br />

26 ❘NZZ am Sonntag ❘ 29.September 2013

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