AliceMiller DasGeheimnis derPsycho - Neue Zürcher Zeitung
AliceMiller DasGeheimnis derPsycho - Neue Zürcher Zeitung
AliceMiller DasGeheimnis derPsycho - Neue Zürcher Zeitung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Belletristik<br />
Roman DiejungeisraelischeAutorin Ayelet Gundar-Goshen erzähltdie Geschichte einer bäuerlichen<br />
Dorfgemeinschaftzwischen TelAvivund Haifa<br />
Todtraurig,aberumwerfendkomisch<br />
Ayelet Gundar-Goshen: Eine Nacht,<br />
Markowitz. Kein &Aber,Zürich 2013.<br />
432Seiten, Fr.31.90,E-Book 23.40.<br />
VonKlaraObermüller<br />
Die britische Mandatszeit ist als heroische<br />
Epoche ins historische Gedächtnis<br />
Israels eingegangen. Man war ins Gelobte<br />
Land zurückgekehrt, hatte Dörfer und<br />
Städteerrichtetund hattegekämpft nach<br />
allen Seiten, gegen die Araber, die jüdische<br />
Siedlungen überfielen, wie gegen<br />
die Briten, die den Verfolgten aus Europa<br />
die Einreise verwehrten. Am Ende jedoch<br />
hatte man gesiegt und jenen Staat<br />
gegründet, der nach Ansicht der Zionisten<br />
zur Heimstätte der Juden aus aller<br />
Welt werden sollte.<br />
Hans Thoma Malerdeutscher Idyllenwiederentdeckt<br />
Perfekterkann ein Traum vomunbeschädigten Leben<br />
wohl kaum in ein Bild finden: Kinder tanzen in einer<br />
weiten Landschaft hingebungsvoll Reigen. Die Wiese ist<br />
saftig grün, Himmel und See zeigen ungetrübtesBlau.<br />
Kein Wölkchen deutet darauf hin, dassder Deutsch-<br />
Französische Krieg und die schwierige Reichsgründung<br />
erst kurz zurücklagen, als Hans Thoma das Bild 1872<br />
malte. Der Künstler warbeliebtfür solche Idyllen. Im<br />
Schwarzwald auf einem Bauernhofgeboren, wurde<br />
er zunächstzwarwegen einfacher Herkunft und seiner<br />
naiven Darstellung vonder Kritik gescholten, bald aber<br />
als Maler einer heilen Welt gefeiert,auf die sich in der<br />
rasant industrialisiertenWelt Sehnsüchteprojizieren<br />
liessen. Vonder Erotik und Rohheit eines Gustave Courbet<br />
istauf seinen Bildern ebenso wenig zu spüren wie<br />
8 |NZZ am Sonntag |29. September 2013<br />
Über diese Zeitnun hatdie 1982 geborene<br />
israelische Autorin Ayelet Gundar-<br />
Goshen einen Roman geschrieben und<br />
dafür gleich den angesehenen Sapir-<br />
Preis für das beste Debüt 2012 kassiert.<br />
Das Buch erzählt die Geschichte einer<br />
bäuerlichen Dorfgemeinschaft irgendwo<br />
zwischen Tel Aviv und Haifa, und die ist<br />
alles andere als heroisch. Die Weltgeschichte<br />
wird zwar nicht ausgeblendet,<br />
sie ist da als ein «dumpfes Begleitgeräusch<br />
der Alltagsmelodie», doch worum<br />
es wirklich geht, das sind so banale, so<br />
allgemein menschliche Dinge wie Liebe<br />
und Leidenschaft, Zank und Eifersucht,<br />
Mutund Angst –und die Sehnsucht, einmal<br />
irgendwozuHause zu sein.<br />
Ayelet Gundar-Goshen skizziert ihre<br />
Figuren, den Irgun-Vizechef Efraim<br />
Grünberg, seine beiden Freunde Jakob<br />
vonder Brüchigkeit Arnold Böcklins. Auch wenn Hans<br />
Thoma beide als seine Anreger verehrte. Meyers<br />
Konversationslexikon nannteihn 1909 den «Lieblingsmaler<br />
des deutschen Volkes», Hitler begeistertesich für<br />
ihn. Die scheinbare Harmlosigkeit und die Deutschtümelei<br />
wurden ihm nach dem Zweiten Weltkrieg zum<br />
Verhängnis. Hans Thomas Werk wurde vergessen. Der<br />
nun vorgelegteBand will das mit kritischen Beiträgen<br />
und Abbildungen vonder Landschaftsmalerei bis zu<br />
mythologischen Szenen ändern: Hans Thoma als deutscher<br />
Pop-Star um 1900.Ein mutiger Versuch.<br />
Gerhard Mack<br />
Felix Krämer,Max Hollein (Hrsg.): Hans Thoma –«Lieblingsmaler<br />
des deutschen Volkes». Wienand, Köln 2013.<br />
160 Seiten, 139Abbildungen, Fr.44.90.<br />
Markowitz und Seev Feinberg, deren<br />
Frauen Bella und Sonja sowie die gemeinsamen<br />
Kinder Zwi, Jair und Naama,<br />
mit leichter Hand und einem ausgeprägten<br />
Sinn für Ironie. Es klingt etwas von<br />
osteuropäischer Erzählweise und deren<br />
Hang zum Skurrilen aus ihrer Art zu<br />
schreiben an. Die Autorin holt weit aus,<br />
zu weit manchmal für den auf Kürze getrimmten<br />
westlichen Zeitgeschmack,<br />
aber es gelingt ihr doch immer wieder,<br />
einen mit ihren todtraurigen und umwerfend<br />
komischen Schilderungen zu<br />
fesseln.<br />
Über die Zeit, in der die Romanhandlung<br />
angesiedelt ist, über die britische<br />
Mandatszeit, den Unabhängigkeitskrieg<br />
und die Staatsgründung, ist von einer<br />
jüngeren Historikergeneration in Israel<br />
viel geschrieben worden, viel Kritisches<br />
vor allem, und es sind in letzter Zeit<br />
immer wieder hitzige Debatten darüber<br />
entbrannt, wie das Projekt Zionismus<br />
aus heutiger Sicht zubewerten sei. Ayelet<br />
Gundar-Goshen führt diese Auseinandersetzung<br />
auf ihre Weise weiter:<br />
indem sie die Waffe der Ironie einsetzt<br />
und die heroisch verklärte Vergangenheit<br />
herunterbricht auf die Ebene des<br />
Alltäglichen. Während draussen in der<br />
Welt der Vernichtungskrieg gegen die<br />
Juden tobt und der angehende StaatIsrael<br />
sich im Innern des Landes der Angriffe<br />
der Araber erwehren muss, leben ihre<br />
Romanfiguren ihr kleines Leben, das gemessen<br />
am Weltgeschehen bedeutungslos<br />
und doch das Einzige ist, was ihnen<br />
bleibt. Sie haben den alten Kontinentmit<br />
seinen traumatischen Erfahrungen hinter<br />
sich gelassen und sich eingerichtetin<br />
der überschaubaren kleinen Welt ihres<br />
Dorfes irgendwo zwischen Tel Aviv und<br />
Haifa.<br />
Wassie wollen, ist nicht viel, ein bisschen<br />
Sicherheit, ein bisschen Ansehen,<br />
ein bisschen Glück, doch Ort und Zeit<br />
sind nicht dazu angetan, ihnen diese<br />
Wünsche zu erfüllen.<br />
Als JakobMarkowitz, der Unscheinbare,<br />
einmal in seinem Leben etwas Aussergewöhnliches<br />
wagt und zusammen<br />
mitanderen jungenMännern nach Europa<br />
reist, um verfolgten Jüdinnen durch<br />
eine Scheinehe zur Einreise nach Palästina<br />
zu verhelfen, da beginnt für ihn ein<br />
Abenteuer mit zweifelhaftem Ausgang.<br />
Er kriegt zwar die schöne Bella zur Frau,<br />
aber sie liebt ihn nicht und wird ihn nie<br />
lieben, auch nicht nach jener einen gemeinsam<br />
verbrachten Nacht, die dem<br />
Roman den Titelgegeben hat.<br />
Ayelet Gundar-Goshen lässt ihreFiguren<br />
indie Irre gehen, sie lässt sie scheitern,<br />
am Leben, an der Liebe, an den eigenen<br />
Ansprüchen, aber sie stellt sie nie<br />
bloss. Denn sie mögen sich noch so unvernünftig,<br />
noch so verbohrt verhalten,<br />
die Autorin liebt sie und hat Erbarmen<br />
mitihnen. Es ist dieser warmherzigeund<br />
zugleich ironisch gebrochene Umgang<br />
mit menschlichen Schwächen, der dem<br />
Roman dieser jungen Autorin seine besondereAnmutungverleiht.<br />
●