Vier Fragen zu Th. W. Adorno - Roger Behrens
Vier Fragen zu Th. W. Adorno - Roger Behrens
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Antworten auf vier <strong>Fragen</strong> <strong>zu</strong>r Aktualität der kritischen<br />
<strong>Th</strong>eorie <strong>Th</strong>eodor W. <strong>Adorno</strong>s<br />
<strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong><br />
1. Zu seinem 100. Geburtstag wird <strong>Adorno</strong> wiederentdeckt. Es<br />
finden weltweit <strong>Adorno</strong>-Kongresse statt, Buch- und<br />
Zeitschriftenveröffentlichungen <strong>zu</strong> <strong>Adorno</strong> haben Hochkonjunktur.<br />
Die Stadt Frankfurt erinnert sich ihres einst »verlorenen Sohnes«.<br />
Dient dieses Interesse an <strong>Adorno</strong> Ihrer Meinung nach in erster<br />
Linie der Erinnerung an einen der großen Intellektuellen des 20.<br />
Jahrhunderts, oder enthält sein Werk ein begriffliches<br />
Instrumentarium und theoretische Potentiale, die auch unter den<br />
veränderten Diskurs-Bedingungen dieses Jahrhunderts fruchtbar<br />
gemacht werden können oder müssen? Und wenn ja, worin<br />
bestehen sie?<br />
<strong>Adorno</strong> hat bereits in den sechziger Jahren, nämlich in seinem<br />
philosophischen Hauptwerk ›Negative Dialektik‹ darauf hingewiesen,<br />
dass eine jede <strong>Th</strong>eorie heute als Mode auf einem akademischen Markt<br />
kursiert. Wenn Kulturindustrie wesentlich meint, dass alle Kultur <strong>zu</strong>r<br />
Ware wird und mithin jedes Kulturprodukt in der Reklame für die Welt,<br />
wie sie ist, erstarrt, dann gehört das ja <strong>zu</strong>r notwendigen Logik der<br />
spätkapitalistischen Kulturindustrie: Dass sie ihre schärfsten Kritiker<br />
durch Integration entschärft; dass sie die Kritik, und selbst die radikale<br />
Kritik, mit anderen Positionen, auch mit diametral entgegengesetzten<br />
und affirmativen Positionen nivelliert. <strong>Adorno</strong>s einhundertster<br />
Geburtstag bot nun den willkommenen Anlass, seine kritische <strong>Th</strong>eorie<br />
etwa ins kulturkonservative Fahrwasser <strong>zu</strong> bringen, oder überhaupt<br />
dadurch <strong>zu</strong> entmächtigen, indem <strong>Adorno</strong> auf den Kulturtheoretiker und<br />
Musikphilosophen reduziert wird. Wenn doch noch auf <strong>Adorno</strong>s<br />
Gesellschaftskritik eingegangen wird, dann wird sie perfide – wie etwa<br />
in der ›F.A.Z‹ – <strong>zu</strong>m Gewissen der Restauration gemacht.<br />
Dahinter versteckt sich eine Biografisierung, die bereits von Leo<br />
Löwenthal (vgl. sein Beitrag: ›Zur biografischen Mode‹ in der ›Zeitschrift<br />
für Sozialforschung‹) in den dreißiger Jahren bemerkt wurde. Nicht nur<br />
wird kritische <strong>Th</strong>eorie damit depotenziert, sondern kritische Reflexion
wird in gewisser Weise lächerlich gemacht, indem eben das Kritische auf<br />
die Marotten von vermeintlichen Persönlichkeiten reduziert wird.<br />
Darüber hinaus erscheint <strong>Adorno</strong>s kritische <strong>Th</strong>eorie als obsolet, weil<br />
sich in den letzten dreißig Jahren insgesamt die theoretischen Diskurse,<br />
auch die Moden, verändert haben, die gewissermaßen die kritische<br />
<strong>Th</strong>eorie überlagern. Wenn nach der Aktualität <strong>Adorno</strong>s gefragt wird,<br />
geht es immer auch um eine Kritik derzeit vermeintlich aktueller anderer<br />
<strong>Th</strong>eorien, insbesondere um die poststrukturalistischen Ansätze, wie sie<br />
von Foucault oder Deleuze und Guattari entworfen, schließlich von<br />
Hardt und Negri ausgeführt wurden. Auch wenn der<br />
Poststrukturalismus in verschiedenen Aspekte eine Erweiterung und<br />
Ergän<strong>zu</strong>ng der kritischen <strong>Th</strong>eorie bedeuten mag, so ist auf die<br />
Grundintention der kritischen <strong>Th</strong>eorie <strong>zu</strong> insistieren, die sich vom<br />
antidialektischen »fröhlichen Positivismus« (Foucault) radikal<br />
unterscheidet. »Man muss so radikal sein wie die Wirklichkeit«, sagt<br />
Brecht; und <strong>Adorno</strong> ist der <strong>Th</strong>eoretiker, die meines Erachtens die<br />
Philosophie im 20. Jahrhundert entsprechend radikalisiert hat: Einmal<br />
besteht <strong>Adorno</strong>s Aktualität in der Virulenz der Frage, wie und ob<br />
Philosophie nach Auschwitz noch möglich ist; dann gehört <strong>Adorno</strong> <strong>zu</strong><br />
jenen, die versucht haben, die gesellschaftlichen Veränderungen, die<br />
dann mit dem Begriff der Kulturindustrie gefasst wurden, <strong>zu</strong><br />
reflektieren. Kurz und überspitzt gesagt: <strong>Adorno</strong>s Jazzkritik mag ihren<br />
Gegenstand verfehlen, sie bleibt aber aktuell in der Weise, wie hier<br />
überhaupt mit dem Instrumentarium einer radikalen Gesellschaftskritik<br />
versucht wurde, Phänomene wie den Jazz <strong>zu</strong> analysieren. – Wenn man,<br />
ausgehend von Kant (und Kant spielt ja für <strong>Adorno</strong>s kritische <strong>Th</strong>eorie<br />
neben Hegel, Marx und Freud eine prominente Rolle), die Frage »Was ist<br />
der Mensch?« aufgreift, dann findet sich bei <strong>Adorno</strong> als Antwort eine<br />
Aktualisierung der Frage in Richtung einer negativen Anthropologie:<br />
Wie lässt sich heute überhaupt noch vom realen Humanismus reden,<br />
angesichts der planmäßigen Vernichtung des Humanen, angesichts der<br />
Zurichtung des Individuums, angesichts der Verdinglichung des<br />
Subjekts? Wie ist, kur<strong>zu</strong>m, heute Erfahrung noch möglich? – Das sind<br />
meines Erachtens die Ausgangsfragen, mit denen sich die Aktualität der<br />
kritischen <strong>Th</strong>eorie <strong>Adorno</strong>s behauptet.<br />
2. In ihrem geschichtsphilosophischen Hauptwerk konstatieren<br />
<strong>Adorno</strong> und Horkheimer eine ›Dialektik der Aufklärung‹, wonach
der Fortschritt der Vernunft in Mythos, die Emanzipation des<br />
Menschen von der Natur in totalitäre Herrschaft über die Natur<br />
umschlägt. Sehen Sie in der Beschreibung solcher Dialektik den<br />
zeitbedingten Versuch, die faschistische Barbarei in ihren Wurzeln,<br />
Ursachen und Gründen <strong>zu</strong> begreifen, oder ist sie auch heute noch<br />
ein Modell, das gegenwärtige Prozesse adäquat beschreiben kann?<br />
Die ›Dialektik der Aufklärung‹ ist freilich zeitbedingt, hat aber in ihren<br />
Konsequenzen an Aktualität nichts verloren. <strong>Adorno</strong> sagte einmal, dass<br />
er das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie für<br />
gefährlicher halte als das Nachleben gegen die Demokratie; heute, gerade<br />
in Deutschland, findet sich ein politisches Klima, das von Antisemitismus<br />
und Rassismus keineswegs frei ist. Es geht eben nicht nur um die<br />
Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern darum, dass offenbar das,<br />
was <strong>zu</strong> dieser Vergangenheit führte, noch gar nicht vergangen ist und<br />
sich permanent äußert: in neofaschistischen Übergriffen, im<br />
Antisemitismus offiziell gewählter Politiker, im Alltagsbewusstsein eines<br />
Gesellschaftscharakters, der offenbar stark konformistisch und autoritär<br />
geprägt ist. – Ich meine also, dass die in der ›Dialektik der Aufklärung‹<br />
entfaltete Naturphilosophie gar nicht so abstrakt ist, sondern eingebettet<br />
ist in dem Befund, der sich für <strong>Adorno</strong> und Horkheimer dann in den<br />
kurze Zeit später angefertigten Studien <strong>zu</strong>r autoritären Persönlichkeit<br />
bestätigte: Dass Naturbeherrschung in Beherrschung der menschlichen<br />
Natur umschlägt, in Selbstbeherrschung, die sich in einer ›Diktatur der<br />
Angepassten‹ manifestiert, wie ich es ausgehend von einem Song der<br />
Gruppe Blumfeld formuliert habe (Bielefeld 2003). Wenn in der<br />
›Dialektik der Aufklärung‹ von Natur die Rede ist, dann ja auch immer<br />
im dialektischen Verständnis einer zweiten Natur; es geht also nicht um<br />
Ursprungs- und Geschichtsmythologie, wie es ja von Habermas und<br />
anderen nahegelegt wurde, sondern um einen sehr materialistischen<br />
Ansatz über die, grob gesagt, Produktion von Ideologie und ihre<br />
Dialektik. Die abstrakte Formel vom Umschlag der Aufklärung in ihr<br />
Gegenteil mündet im konkreten Befund der Strukturähnlichkeit von<br />
Kulturindustrie und Antisemitismus; von der Massenkultur als<br />
Psychoanalyse verkehrt herum. Das meint nun keineswegs die <strong>Th</strong>ese,<br />
wie antidialektische <strong>Th</strong>eorien verdächtigen, dass etwa Vorabendserien<br />
per se faschistisch seien; vielmehr geht es um die Frage nach den<br />
Bedingungen, die etwa antisemitische Auswürfe <strong>zu</strong>m geduldeten
Konsens einer auf Spaß und Unterhaltung verpflichteten<br />
Popkulturindustrie machen.<br />
Problematisch indes ist in der ›Dialektik der Aufklärung‹ die <strong>zu</strong>grunde<br />
gelegte ökonomische Analyse eines stabilen Monopolkapitalismus; das<br />
verlangt Korrekturen, auch hinsichtlich der Analyse der<br />
Fetischverhältnisse der Warentauschgesellschaft, bei denen etwa Walter<br />
Benjamins Untersuchungen <strong>zu</strong>m 19. Jahrhundert ebenso dienlich sind,<br />
wie Moishe Postones jüngst ins Deutsche übersetztes ›Zeit, Arbeit und<br />
gesellschaftliche Herrschaft‹ (Freiburg 2003).<br />
3. Es scheint, als lasse sich der Philosoph <strong>Adorno</strong> nur als Denker<br />
der radikalen Negation begreifen. Diese geht so weit, dass in der<br />
von ihm diagnostizierten »Krise der Praxis« jede politische Praxis<br />
nur regressiv sein kann. Lassen sich demgegenüber in <strong>Adorno</strong>s<br />
Werk auch Ansätze <strong>zu</strong> einer positiven Praxis finden?<br />
Herbert Marcuse, mit dem <strong>Adorno</strong> sich ja gerade hinsichtlich der<br />
praktischen Reichweite einer kritischen <strong>Th</strong>eorie in den sechziger Jahren<br />
etwas gestritten hat, reformulierte in ›Konterrevolution und Revolte‹<br />
einen Begriff der radikalen, nämlich bestimmten Negation, der auf eine<br />
Praxis der Verweigerung hinausläuft. Das geschah allerdings in Reaktion<br />
auf politische Bewegungen, die tatsächlich einen Versuch der Befreiung<br />
unternahmen – und <strong>zu</strong>mindest in der Intention, eine emanzipierte<br />
Gesellschaft ein<strong>zu</strong>richten, überhaupt nicht gescheitert sind. Nun lassen<br />
sich eben <strong>Adorno</strong>s Praxisverzicht und Marcuses emphatischer<br />
Praxisbe<strong>zu</strong>g kontrastieren; gleichwohl meine ich, dass beide eine<br />
übereinstimmende, dialektisch <strong>zu</strong> vermittelnde Position <strong>zu</strong>r Praxis<br />
einnehmen. <strong>Adorno</strong> stellt seinen Praxisverzicht der ›Negativen<br />
Dialektik‹ voran, beziehungsweise leitet er damit sein philosophisches<br />
Hauptwerk ein – um derart nämlich die Notwendigkeit von Philosophie<br />
<strong>zu</strong> begründen, weil eben der »Augenblick ihrer Verwirklichung<br />
versäumt ward«. Praxis galt ihm »auf unabsehbare Zeit vertagt«. Seit<br />
den späten sechziger Jahren ist die Frage nach emanzipatorischer Praxis<br />
aber wieder auf der Tagesordnung, mit allen Problemen und<br />
Widersprüchen. Praxis ergibt sich aus der Praxis, lässt sich also nicht<br />
theoretisch definieren; bei der Frage, ob Praxis regressiv oder<br />
progressiv ist, geht es ja nicht darum, der Praxis einen Namen <strong>zu</strong> geben<br />
– sie wird nicht dadurch besser, wen man irgendeine Gruppe als<br />
»Multitude« oder Ähnliches bezeichnet und damit glaubt, ein neues
evolutionäres Subjekt benannt <strong>zu</strong> haben. Grundsätzlich scheint es mir<br />
nicht die Aufgabe einer kritischen <strong>Th</strong>eorie <strong>zu</strong> sein, Praxis normativ <strong>zu</strong><br />
begründen; die Menschen sind entweder aufgeklärt und mündig genug,<br />
ihre Interessen selbst in die Hand <strong>zu</strong> nehmen, oder sie sind es nicht.<br />
Aber die <strong>Th</strong>eorie hat hier keine pädagogische und propagandistische<br />
Funktion. Es wäre wohl auch im Sinne <strong>Adorno</strong>s, dass es vielmehr<br />
Aufgabe der kritischen <strong>Th</strong>eorie ist, korrigierend und reflektierend<br />
Ansätze von vermeintlich radikaler Praxis auf ihre Un<strong>zu</strong>länglichkeiten<br />
hin <strong>zu</strong> untersuchen und nicht blind dem Aktionismus das Wort <strong>zu</strong><br />
reden. Gerade angesichts der momentan aufbrechenden<br />
antiamerikanischen, auch antizionistischen und pro-islamistischen<br />
Grundstimmung in der globalisierungskritischen Bewegung, halte ich<br />
einen Rekurs auf <strong>Adorno</strong>s Problematisierung des <strong>Th</strong>eorie-Praxis-<br />
Verhältnisses für unabdingbar. Das gilt allerdings dann auch umgekehrt<br />
für einen ebenso dummen Pauschalverdacht gegen jede politische<br />
Praxis, dass sie immer schon antisemitisch sei.<br />
4. Mit der Globalisierung haben neoliberale Modelle an Einfluss<br />
gewonnen, die weltweit <strong>zu</strong>m Abbau sozialstaatlicher Garantien<br />
und demokratisch-solidarischer Strukturen geführt haben. Kann<br />
der Sozialphilosoph <strong>Adorno</strong> in dem Streit um den Charakter der<br />
Globalisierung als Verfechter und ›Ahnherr‹ der Zivilgesellschaft in<br />
Anspruch genommen werden, oder verfällt solche<br />
Inanspruchnahme seinem Verdikt, dass es im Falschen kein wahres<br />
Leben gebe?<br />
Um an das Praxisproblem an<strong>zu</strong>schließen: Gerade angesichts des<br />
Neoliberalismus, der sich im Zuge der Globalisierung durchsetzt,<br />
befinden sich immer mehr Menschen in der Situation, gar keine Wahl <strong>zu</strong><br />
haben, als die, nicht <strong>zu</strong> resignieren und <strong>zu</strong> versuchen, der Not und dem<br />
Elend <strong>zu</strong> widerstehen. In <strong>Adorno</strong>s Satz, dass es kein richtiges Leben im<br />
falschen gibt, steckt meiner Ansicht nach die Doppelfigur, dass es<br />
einerseits sehr wohl ein Leben gibt, das auch sein unbedingtes Recht<br />
hat, dass allerdings nicht jede Form von gelingendem Leben, vor allem<br />
natürlich nicht irgendwelche Freizeitveranstaltungen (Tanzen, Mode,<br />
nette Freunde haben etc.) im emphatischen Sinne als »richtiges Leben«<br />
deklariert werden können. Hegel sagt, die Fähigkeit des Menschen ist es,<br />
Widersprüche aus<strong>zu</strong>halten, und das kritische Bewusstsein, auf das<br />
<strong>Adorno</strong>s Aphorismus aus den ›Minima Moralia‹ reflektiert, drückt dies
aus; das meint aber andererseits – und genau das ist die Doppelfigur –,<br />
sich eben nicht mit dem <strong>zu</strong>frieden <strong>zu</strong> geben, was die Kulturindustrie<br />
doch an »Lebensqualität« <strong>zu</strong> garantieren eigentlich verpflichtet wäre<br />
(nämlich Vergnügen, Unterhaltung, Zerstreuung), sondern die soziale<br />
Phantasie dafür <strong>zu</strong> schärfen, dass es mehr gibt als dieses Leben hier; und<br />
vor allem: dass dieses Leben hier geändert werden kann, dass hier und<br />
heute Möglichkeiten vorhanden sind, eine humane Weltgesellschaft<br />
ohne Weiteres ein<strong>zu</strong>richten. Der Begriff der Zivilgesellschaft, soll er nicht<br />
nur aus strategischen Gründen Synonym für die kommunistische,<br />
emanzipierte Gesellschaft stehen, greift dann aber <strong>zu</strong> kurz, weil er nichts<br />
weiter ist, als eine reformistische Verflachung des utopischen Entwurfs<br />
kritischer <strong>Th</strong>eorie. An dieser Stelle muss betont werden: Dass es heute<br />
auch darum geht, Menschen erst einmal das Mindestmaß an<br />
demokratischen Rechten <strong>zu</strong> gewährleisten und die bestehenden<br />
Verhältnisse wenigstens so weit wie möglich <strong>zu</strong> reformieren, ist eine<br />
politische Selbstverständlichkeit auch für die kritische <strong>Th</strong>eorie;<br />
allerdings ist das nur der allgemeinste Ausgangspunkt der kritischen<br />
<strong>Th</strong>eorie. Ihre Aktualität besteht vielmehr darin, die radikale Kritik<br />
wieder <strong>zu</strong><strong>zu</strong>spitzen: Nämlich einmal an die Wurzel <strong>zu</strong> gehen und, nach<br />
der Marxschen Erklärung, ›ad hominem‹ <strong>zu</strong> demonstrieren; darin aber<br />
einer radikalen Utopie Konturen <strong>zu</strong> verleihen, die nicht einfach die<br />
bestehenden Verhältnisse konsequent, nämlich sozialdemokratisch und<br />
reformistisch <strong>zu</strong> Ende denkt, sondern die bestehenden Verhältnisse<br />
negiert und als negative Utopie insofern daran erinnert, dass eine<br />
emanzipierte Gesellschaft nicht die verbesserte bestehende ist, sondern<br />
eine vollständig andere, verrückte, exzentrische Gesellschaft. Deshalb<br />
gilt es, mit <strong>Adorno</strong>s kritischer <strong>Th</strong>eorie die Debatte um die<br />
Zivilgesellschaft <strong>zu</strong> hinterfragen. Im Übrigen kommt an dieser Stelle<br />
dann auch <strong>Adorno</strong>s ästhetische <strong>Th</strong>eorie ins Spiel, nämlich die <strong>Th</strong>ese vom<br />
Kunstwerk, das nur dort noch fortbesteht, wo es selbst seinen<br />
Werkcharakter negiert. Die Erkenntnis, die in genau solchem<br />
Wahrheitsgehalt eingelassen ist, ist die der bestimmten Negation als<br />
negative Utopie, ist die Aktualität der kritischen <strong>Th</strong>eorie <strong>Adorno</strong>s.<br />
<strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> (*1967), ist Wiss. Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität<br />
Weimar und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg und<br />
Universität Lüneburg. Er lebt in Hamburg, Weimar und Belo Horizonte.