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www.<strong>hrr</strong>-<strong>strafrecht</strong>.<strong>de</strong> - Rechtsprechungsübersicht<br />

EGMR Nr. 23541/94 – Urteil vom 13. Februar 2001 (Garcia Alva v. Deutschland)<br />

36. Der Beschwer<strong>de</strong>führer erklärte, das Haftprüfungsverfahren sei kein wirklich kontradiktorisches<br />

Verfahren gewesen. Er legte dar, dass sich <strong>de</strong>r Haftbefehl im wesentlichen auf die Aussagen eines weiteren<br />

Verdächtigen, Herrn K., zur Begründung <strong>de</strong>s Verdachts gegen ihn bezogen habe. Seiner Meinung nach waren die<br />

summarische Auskunft über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und die seinem Anwalt überlassenen<br />

Aktenstücke keine ausreichen<strong>de</strong> Grundlage für seine Verteidigung. Ohne umfassen<strong>de</strong> Akteneinsicht und ohne Kenntnis<br />

<strong>de</strong>s vollständigen Wortlauts <strong>de</strong>r genannten Aussagen habe sein Verteidiger nicht die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>s Herrn K. in<br />

Zweifel ziehen und ihn gegen <strong>de</strong>n Vorwurf <strong>de</strong>s Rauschgifthan<strong>de</strong>ls verteidigen können.<br />

37. Der Regierung zufolge begrün<strong>de</strong>t Artikel 5 Abs.4 nicht das allgemeine Recht eines<br />

Untersuchungsgefangenen o<strong>de</strong>r seines Verteidigers auf Einsicht <strong>de</strong>r Akten über die gegen ihn geführten Ermittlungen.<br />

Es komme nur darauf an, dass <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Person die Möglichkeit einer effektiven Rechtsverfolgung gegeben sei,<br />

und dies könne auch auf an<strong>de</strong>re Weise geschehen.<br />

Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall seien <strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>führer und sein Verteidiger durch die Vorhalte in <strong>de</strong>n<br />

Vernehmungen sowie durch <strong>de</strong>n Haftbefehl umfassend über die Tatvorwürfe, Tatzeiten und Tatorte informiert gewesen,<br />

soweit sie zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt waren. Darüber hinaus hätten sie aus <strong>de</strong>n Vorhalten gegenüber <strong>de</strong>m<br />

Beschwer<strong>de</strong>führer auch <strong>de</strong>n wesentlichen Inhalt <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Beschwer<strong>de</strong>führer belasten<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m Haftbefehl vom 7.<br />

April 1993 zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>s K. vom 17. und 30. März 1993 gekannt. Des weiteren seien Kopien<br />

sowohl <strong>de</strong>s Haftbefehls als auch <strong>de</strong>s Protokolls über die Vernehmung <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers bereits im April 1993 <strong>de</strong>m<br />

ersten Verteidiger <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers überlassen wor<strong>de</strong>n (siehe Nr. 13). Die Vorwürfe seien auch nicht so komplex<br />

gewesen, dass eine mündliche Mitteilung <strong>de</strong>r Tatsachen und Beweismittel nicht ausreichend gewesen wäre.<br />

Die Versagung <strong>de</strong>r Einsicht in die Ermittlungsakten sei durch <strong>de</strong>n Umstand begrün<strong>de</strong>t gewesen, dass die<br />

Ermittlungen gegen <strong>de</strong>n Beschwer<strong>de</strong>führer Bestandteil eines Verfahrenskomplexes gewesen seien, <strong>de</strong>r sich gegen<br />

mehrere Beschuldigte im Umfeld <strong>de</strong>r kolumbianischen Drogenmafia gerichtet habe. Gera<strong>de</strong> in einem Fall wie <strong>de</strong>m<br />

vorliegen<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m eine Verdunkelungsgefahr angenommen wer<strong>de</strong>, müsse es möglich sein, <strong>de</strong>m Beschuldigten bzw.<br />

seinem Verteidiger Einsicht in die Ermittlungsakten zu versagen, um zu verhin<strong>de</strong>rn, dass sie auf an<strong>de</strong>re Zeugen<br />

einwirken. Die Ermittlungsakten über <strong>de</strong>n Beschwer<strong>de</strong>führer hätten Hinweise sowohl auf noch ausstehen<strong>de</strong><br />

Ermittlungen in seinem Verfahren wie auch in parallel gegen an<strong>de</strong>re Beschuldigte laufen<strong>de</strong>n Verfahren enthalten.<br />

38. Die Kommission schloss sich im wesentlichen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers an. Sie war <strong>de</strong>r<br />

Meinung, dass in Anbetracht <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung, die <strong>de</strong>r Aussage <strong>de</strong>s K. im Haftprüfungsverfahren zukam, <strong>de</strong>m<br />

Beschwer<strong>de</strong>führer bzw. seinem Verteidiger hätte Gelegenheit gegeben wer<strong>de</strong>n müssen, diese vollständig zu lesen, um<br />

ihnen zu ermöglichen, die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r Aussage wirksam in Zweifel zu ziehen.<br />

B. Würdigung durch <strong>de</strong>n Gerichtshof<br />

39. Der Gerichtshof erinnert daran, dass Personen, die von Festnahme o<strong>de</strong>r Freiheitsentziehung betroffen<br />

sind, Anspruch auf eine Haftprüfung haben, die Bezug nimmt auf die verfahrens- und materiellrechtlichen<br />

Voraussetzungen, die für die ,,Rechtmäßigkeit" ihrer Freiheitsentziehung im Sinne <strong>de</strong>r Konvention wesentlich sind.<br />

Dies be<strong>de</strong>utet, dass das zuständige Gericht ,,nicht nur zu prüfen hat, ob die innerstaatlichen Verfahrenserfor<strong>de</strong>rnisse<br />

erfüllt sind, son<strong>de</strong>rn auch, ob die Festnahme auf einen hinreichen<strong>de</strong>n Verdacht gegrün<strong>de</strong>t und das mit <strong>de</strong>r Festnahme<br />

und <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n Freiheitsentziehung verfolgte Ziel rechtmäßig ist".<br />

Ein Gericht, das eine Haftbeschwer<strong>de</strong> prüft, muss die Garantien eines gerichtlichen Verfahrens bieten. Das<br />

Verfahren muss kontradiktorisch sein und stets ,,Waffengleichheit" zwischen <strong>de</strong>n Prozessparteien - <strong>de</strong>m Staatsanwalt<br />

und <strong>de</strong>r Person, <strong>de</strong>r die Freiheit entzogen ist - gewährleisten. Die Waffengleichheit ist nicht gewährleistet, wenn <strong>de</strong>m<br />

Verteidiger <strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>njenigen Schriftstücken in <strong>de</strong>r Ermittlungsakte versagt wird, die für die wirksame<br />

Anfechtung <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r Freiheitsentziehung seines Mandanten wesentlich sind. Im Fall einer Person, <strong>de</strong>ren<br />

Freiheitsentziehung unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c fällt, ist eine mündliche Verhandlung erfor<strong>de</strong>rlich (siehe u.a.<br />

Urteil Lamy ./. Belgien vom 30. März 1989, Serie A Band 151, S. 16-17, Nr. 29 und Urteil Nikolova ./. Bulgarien [GK],<br />

Nr. 31195/96, Nr. 58, ECHR 1999-II).<br />

Diese Anfor<strong>de</strong>rungen leiten sich aus <strong>de</strong>m in Artikel 6 <strong>de</strong>r Konvention verankerten Recht auf ein<br />

kontradiktorisches Verfahren her; in einer Strafsache be<strong>de</strong>utet dies, dass sowohl <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft als auch <strong>de</strong>r<br />

Verteidigung Gelegenheit gegeben wer<strong>de</strong>n muss, die von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Prozesspartei vorgelegten Schriftsätze und<br />

Beweismittel zur Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Nach <strong>de</strong>r Spruchpraxis <strong>de</strong>s Gerichtshofs ergibt sich aus<br />

<strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>s Artikels 6 - und insbeson<strong>de</strong>re aus <strong>de</strong>r eigenständigen Be<strong>de</strong>utung, die <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r<br />

,,<strong>strafrecht</strong>lichen Anklage" beizulegen ist -, dass diese Bestimmung in gewisser Weise auch für Verfahren gilt, die vor<br />

<strong>de</strong>r Hauptverhandlung stattfin<strong>de</strong>n (siehe Urteil Imbrioscia ./. Schweiz vom 24. November 1993, Serie A Band 275, S.<br />

13, Nr. 36). Daraus folgt, dass angesichts <strong>de</strong>r dramatischen Folgen einer Freiheitsentziehung für die Grundrechte <strong>de</strong>s<br />

Betroffenen grundsätzlich auch in Verfahren nach Artikel 5 Abs. 4 <strong>de</strong>r Konvention die Grundanfor<strong>de</strong>rungen an ein<br />

faires Verfahren, wie z.B. das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren, in einem unter <strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n eines<br />

laufen<strong>de</strong>n Ermittlungsverfahrens größtmöglichen Maß erfüllt sein sollen. Wenngleich innerstaatliches Recht dieser<br />

Bearbeitung: Karsten Gae<strong>de</strong><br />

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