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Herbarts didaktische Forderungen an Unterricht unter ...

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Mag. Josef Freyenschlag Datum der Veröffentlichung 20.10.2009<br />

<strong>Herbarts</strong> <strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>Unterricht</strong> <strong>unter</strong> Berücksichtung von<br />

Interesse - Aufmerksamkeit - Apperzeption<br />

Mag. Josef Freyenschlag<br />

Pädagogisch-<strong>didaktische</strong>s Problem<br />

Das Interesse am erziehenden <strong>Unterricht</strong> ist heute wieder vermehrt zu<br />

beobachten. Dies weist darauf hin, dass ein grundlegendes pädagogisch<strong>didaktische</strong>s<br />

Problem noch nicht überwunden zu sein scheint, welches Herbart<br />

vor über 200 Jahren thematisierte und zu lösen versuchte.<br />

Joh<strong>an</strong>n Friedrich <strong>Herbarts</strong> Persönlichkeit und Leben<br />

Herbart wurde am 4. Mai 1776 in Oldenburg als Sohn eines Regierungs- und<br />

Justizrates geboren. Die großelterliche Generation legte die Fundamente<br />

seines Wesens.<br />

Der Kreis seiner Familie bot ihm keine Geborgenheit. Zwischen Vater und<br />

Mutter traten immer stärkere Sp<strong>an</strong>nungen auf. Während er zum Vater fast keine<br />

persönliche Beziehung hatte, empf<strong>an</strong>d er eine intensive Bindung zu seiner<br />

Mutter (Amsus, 1976).<br />

Nach dem Abitur immatrikulierte Herbart <strong>an</strong> der Universität in Jena. Nach dem<br />

Wunsch des Vaters sollte er Jura studieren. An der Universität Jena lehrte zu<br />

dieser Zeit Fichte. Fichtes Streben nach Exaktheit des Denkens faszinierte<br />

Herbart. Er sah hier die Gelegenheit, sich durch Einarbeiten in einen fremden<br />

Ged<strong>an</strong>kenkreis, der intellektuellen Klarheit über sich, über das Leben und über<br />

die Welt zu nähern. So stellte er die Jurisprudenz zurück und konzentrierte sich<br />

auf die Philosophie.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 1 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

1797 <strong>unter</strong>brach Herbart sein philosophisches Studium in Jena und hielt sich in<br />

der Schweiz als Hauslehrer auf. Er erzog und <strong>unter</strong>richtete die Söhne eines<br />

Altvogts namens Steiger. In dieser Zeit konnte er als erziehender Lehrer seine<br />

pädagogischen Ged<strong>an</strong>ken in die Praxis umsetzen. In den folgenden Jahren<br />

entst<strong>an</strong>d bei Herbart die grundsätzliche Darstellung seines Weltbildes.<br />

Zunächst beg<strong>an</strong>n er die Laufbahn eines akademischen Lehrers. Nach seiner<br />

Promotion und Habilitation <strong>an</strong> der Universität Göttingen nahm er als<br />

Privatdozent seine Lehrtätigkeit als Philosoph auf, und beg<strong>an</strong>n mit seiner<br />

Vorlesung über Pädagogik. 1805 wurde er außerpl<strong>an</strong>mäßig Professor für<br />

Philosophie in Göttingen. In diesen Jahren zog er das Fazit seiner bisherigen<br />

geistigen Bemühungen. Aus seinen ersten Vorlesungen gingen umf<strong>an</strong>greiche<br />

Veröffentlichungen hervor. 1806 seine „Allgemeine Pädagogik, aus dem Zweck<br />

der Erziehung abgeleitet“ und 1808 seine „Allgemeine praktische Philosophie“.<br />

Diese beiden Schriften sind <strong>Herbarts</strong> Hauptwerke (Herbart, 1976).<br />

Herbart starb am 14. August 1841 im Alter von 65 Jahren.<br />

Begriff des "Interesses" und seine Auswirkungen auf den <strong>Unterricht</strong><br />

Nach Herbart ist es Aufgabe des Erziehers, diejenigen psychischen Tätigkeiten<br />

dem Innern des Zöglings zu vermitteln, die dem Zwecke der Erziehung<br />

entsprechen, also eine unwillkürliche Aufmerksamkeit in den Zöglingen<br />

wachzurufen, die d<strong>an</strong>n zum Interesse hinführt.<br />

Damit kommen wir zum Begriff des Interesses. „Interesse ist Selbsttätigkeit"<br />

(Herbart, 1957, S. 29).<br />

Nach Herbart besagt allgemein das Wort Interesse „… die Art von geistiger<br />

Tätigkeit, welche der <strong>Unterricht</strong> ver<strong>an</strong>lassen soll …“ (Herbart, 1957, S. 26).<br />

Somit hat die Didaktik speziell die Fachdidaktik einen besonderen Stellenwert.<br />

Bei seiner Unterscheidung zwischen mittelbarem und unmittelbarem Interesse<br />

lässt Herbart dem unmittelbaren Interesse das positive Attribut.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 2 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

„Allein das mittelbare Interesse führt, je mehr es vorherrscht, auf<br />

Einseitigkeit, wo nicht gar auf Egoismus. ... was ihn nicht als Mittel zu<br />

seinen beschränkten Zwecken interessiert, wird Last für jene Kraft"<br />

(Herbart, 1957, S. 26).<br />

Der <strong>Unterricht</strong> soll unmittelbares Interesse erzeugen, damit die „Köpfe geweckt<br />

werden", <strong>an</strong>sonsten ist kein tugendhafter Zust<strong>an</strong>d auszubilden (Herbart, 1957).<br />

Herbart fasst Interesse als geistige Tätigkeit auf, die das Gewusste festhält und<br />

erweitert. Festhalten und Erweitern bedingen fortwährende Vertiefungen und<br />

Besinnungen des Geistes. Je vielfacher und vielförmiger die Vertiefungen sind,<br />

desto größer ist die Entwicklung älterer Vorstellungen. Kommt eine neue<br />

Vorstellung hinzu, so bewirkt diese eine lebhafte Bewegung innerhalb der<br />

bereits vorh<strong>an</strong>denen Vorstellungen. Konträre Vorstellungen (zum Beispiel<br />

schwarz und weiß) hemmen ein<strong>an</strong>der; disparate Vorstellungen wie zum<br />

Beispiel Farbe und Geschmack komplizieren sich, das heißt sie vereinigen sich<br />

zu einer zusammengesetzten Vorstellung; gleiche Vorstellungen verschmelzen<br />

inein<strong>an</strong>der. So muss der neue Eindruck sich dem bereits vorh<strong>an</strong>denen<br />

Vorstellungsinhalt fügen. Die gewonnenen Ergebnisse werden d<strong>an</strong>n im Geiste<br />

zusammengefasst und bewirken so neue geistige Erträgnisse und<br />

Erweiterungen des seelischen Lebens, die wiederum ein Weiterstreben<br />

hervorrufen. Dieses bringt Herbart in innigen Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Interesse<br />

(Herbart, 1957).<br />

„Das Interesse, welches, mit der Begehrung, dem Wollen, und dem<br />

Geschmacksurteil gemeinschaftlich, der Gleichgültigkeit ent-gegensteht,<br />

<strong>unter</strong>scheidet sich dadurch von jenen dreien, daß es nicht über seinen<br />

Gegenst<strong>an</strong>d disponiert, sondern <strong>an</strong> ihm hängt. Wir sind zwar innerlich<br />

aktiv, indem wir uns interessieren, aber äußerlich sol<strong>an</strong>ge müßig, bis das<br />

Interesse in Begierde und Wille übergeht“ (Herbart, 1976, S. 75).<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 3 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Diese Bemerkung verhilft uns zu einer klaren Unterscheidung zwischen<br />

Interesse und Begehren. Insofern steht das Interesse in der Mitte zwischen dem<br />

bloßen Zuschauen und dem Zugreifen (Herbart, 1976).<br />

„Der Gegenst<strong>an</strong>d nämlich des Interesse k<strong>an</strong>n nie derselbe sein mit dem,<br />

was eigentlich begehrt wird. Denn die Begierde, indem sie zugreifen<br />

möchte, strebt nach etwas Künftigem, das sie nicht schon besitzt;<br />

hingegen das Interesse entwickelt sich im Zuschauen und haftet noch <strong>an</strong><br />

dem <strong>an</strong>geschauten Gegenwärtigen. Nur dadurch erhebt sich das<br />

Interesse über der bloßen Wahrnehmung, daß bei ihm das<br />

Wahrgenommene den Geist vorzugsweise einnimmt und sich <strong>unter</strong> den<br />

übrigen Vorstellungen durch eine gewisse Kausalität geltend macht"<br />

(Herbart, 1976, S. 75).<br />

Dies geschieht durch Merken, Erwarten, Fordern und H<strong>an</strong>deln. Merken nennt<br />

Herbart ruhende Vertiefung, insofern diesem die Verwirklichung nicht zukommt.<br />

Das Erwarten versetzt das Gemüt in den Zust<strong>an</strong>d der Unruhe. Reißt dem<br />

Erwartenden die Geduld, so tritt das Fordern ein, und das Fordern tritt mittels<br />

der Org<strong>an</strong>e als H<strong>an</strong>dlung ein (Herbart, 1976).<br />

Herbart will aber nicht, dass das Interesse praktisch wird, denn die Tat ist die<br />

Folge der Begehrung; die Begehrung selbst, die unmittelbar zur Tat treibt, ist<br />

vom Streben abgebrochen.<br />

Darum muss beim Zögling im <strong>Unterricht</strong> eine gewisse Passivität beim<br />

Beschauen erhalten werden und dies geschieht dadurch, dass der <strong>Unterricht</strong><br />

dem Erwarten keine praktische Folge gibt. Der erziehende <strong>Unterricht</strong> findet im<br />

h<strong>an</strong>dlungsentlastetem Raum statt. Der <strong>Unterricht</strong> ist nur bis zu dieser Grenze<br />

vorgesehen, wo das H<strong>an</strong>deln beginnt. Der <strong>Unterricht</strong> möchte durch Vertiefung<br />

und Besinnung einen weiteren Horizont eröffnen, als dies die gesellschaftliche<br />

Praxis mit ihren H<strong>an</strong>dlungszwängen und Konventionen könnte (Herbart, 1976).<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 4 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Stufen des Interesses sowie die Bedeutung für den <strong>Unterricht</strong><br />

Interesse ist für Herbart nicht etwas, was der Lehrer als Motivation für seinen<br />

<strong>Unterricht</strong> verl<strong>an</strong>gt.<br />

Er schreibt:<br />

„Es ist zwar eine bek<strong>an</strong>nte pädagogische Vorschrift, der Lehrer müsse<br />

suchen seine Schüler für das, was er vorträgt, zu interessieren. Allein<br />

diese Vorschrift wird gewöhnlich in dem Sinne gegeben und verst<strong>an</strong>den,<br />

als wäre das Lernen der Zweck, das Interesse aber das Mittel. Dieses<br />

Verhältnis nun kehre ich um. Das Lernen soll dazu dienen, daß Interesse<br />

aus ihm entstehe. Das Lernen soll vorübergehn, und das Interesse soll<br />

während des g<strong>an</strong>zen Lebens beharren" (Herbart, 1982, Bd. 3, S. 97).<br />

Daraus ergibt sich, dass das Interesse weder Ausg<strong>an</strong>gspunkt noch<br />

Voraussetzung eines <strong>Unterricht</strong>s ist, sondern das Ziel.<br />

Herbart verdeutlicht dies folgend:<br />

„Das Wort Interesse bezeichnet im allgemeinen die Art von geistiger Tätigkeit,<br />

welcher der <strong>Unterricht</strong> ver<strong>an</strong>lassen soll, indem es bei dem bloßen Wissen nicht<br />

sein Bewenden haben darf“ (Herbart, 1957, S. 26).<br />

Das reine Wissen ist für Herbart nicht das Prägende für einen Menschen. „Wer<br />

dagegen sein Gewußtes festhält und zu erweitern sucht, der interessiert sich<br />

dafür" (Herbart, 1957, S. 26).<br />

Interesse ist also mehr als Zuschauen, es schließt eine Eigenaktivität, eine<br />

innere Anteilnahme ein, es bedeutet Selbsttätigkeit. Analog zur Konstitution der<br />

Vielseitigkeit in den Stufen der Vertiefung und Besinnung legt Herbart die<br />

Bildung des Interesses in zwei Stufen fest, von denen er die Erste wiederum als<br />

Interesse und die Zweite als Begehrung bezeichnet (Herbart, 1976).<br />

Das Interesse ist dadurch bestimmt, dass es nicht über seinen Gegenst<strong>an</strong>d<br />

disponiert, sondern <strong>an</strong> ihm hängt. Diese erste Stufe meint „… das<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 5 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

interessenlose Interesse des Lernenden in der Vertiefung in einen<br />

Lerngegenst<strong>an</strong>d …" (Benner, 1993, S. 108).<br />

Im Interesse (Dabei-sein) kommt eine Beziehung zum Ausdruck, die sich<br />

zwischen dem <strong>an</strong>teilnehmenden Subjekt und dem Gegenst<strong>an</strong>d konstituiert.<br />

Diese Beziehung soll nach Herbart nicht dauernd gestört werden, indem allen<br />

tausendfachen Gelegenheiten im <strong>Unterricht</strong> nachgelaufen werden soll, um<br />

vermeintlich vielseitige Bildung zu erreichen. Denn damit würde zwar der Eifer<br />

der Lehrer <strong>unter</strong>strichen werden, bei den Schülern aber nur Ermüdung erreicht<br />

werden (Herbart, 1976). Eines soll nie vergessen werden: das Interesse ist ein<br />

Gemütszust<strong>an</strong>d, der sich als Erkenntnis und in der Teilnahme artikuliert:<br />

„Die Erkenntnis ahmt, was vorliegt, nach im Bilde; die Teilnahme versetzt sich<br />

in Empfindung <strong>an</strong>derer" (Herbart, 1976, S. 77).<br />

Das Interesse erstreckt sich somit auf das Erfahrungsgebiet der Natur und den<br />

Umg<strong>an</strong>g mit Menschen. Sind es zuerst die Erfahrungen, so treten d<strong>an</strong>n<br />

Erkenntnisse auf, die sich in Erkenntnisse des M<strong>an</strong>nigfaltigen, von<br />

Gesetzmäßigkeiten und ästhetischen Verhältnissen aufteilen. Die Teilnahme,<br />

die mit dem menschlichen Umg<strong>an</strong>g beginnt, gliedert sich in die "Teilnahme <strong>an</strong><br />

Menschheit, Gesellschaft und dem Verhältnis beider zum höchsten Wesen" auf<br />

(Herbart, 1976, S. 78).<br />

Die Glieder der Erkenntnis bewegen sich in der Vermittlung kognitiver<br />

Elemente, während die Glieder der Teilnahme sich auf die<br />

zwischenmenschlichen, die gesellschaftlichen, die religiösen Bindungen<br />

beziehen. In diesem Sinne soll dem Her<strong>an</strong>wachsenden eine Eingebundenheit in<br />

soziale Zusammenhänge verdeutlicht werden und durch den erziehenden<br />

<strong>Unterricht</strong> ein emotional tiefes Interesse am menschlichen Denken, Fühlen und<br />

H<strong>an</strong>deln wecken (Hellekamps, 1991).<br />

Um den Endzweck des <strong>Unterricht</strong>s, nämlich die Tugend zu erreichen, muss<br />

eine Vielseitigkeit des Interesses <strong>an</strong>gestrebt werden. Herbart setzt sich mit dem<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 6 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Begriff des Interesses, wie schon erwähnt noch differenzierter ausein<strong>an</strong>der. Er<br />

<strong>unter</strong>scheidet zwischen einem mittelbaren und einem unmittelbaren Interesse.<br />

Das mittelbare Interesse führt, je mehr es vorherrscht, auf Einseitigkeit, wenn<br />

nicht gar auf Egoismus. Den Egoisten interessiert alles nur insoweit, als es ihm<br />

einen Vorteil oder Nachteil bringt. Der Einseitige nähert sich dem Egoisten,<br />

auch wenn er es selbst nicht merkt; denn er bezieht alles auf den engen Kreis,<br />

für den er lebt und denkt (Herbart, 1957).<br />

Herbart fordert eine m<strong>an</strong>nigfaltige geistige Tätigkeit, denn nur mit deren<br />

Voraussetzung ist für ihn Tugendhaftigkeit möglich. Aber nicht nur die<br />

Einseitigkeit ist für ihn verwerflich, auch die „… Zerstreuung ist ein Gegenteil<br />

der Vielseitigkeit" (Herbart, 1957, S. 27).<br />

Was bedeutet das für den <strong>Unterricht</strong>? Der <strong>Unterricht</strong> darf also nicht zerstreuend<br />

wirken. Er soll vielseitiges Interesse ausbilden und dieses Interesse soll<br />

gleichschwebend sein. Zugunsten des Gleichgewichtes soll jedes Übergewicht<br />

des Einzelinteresses abgewendet werden. Aber wie?:<br />

„Der <strong>Unterricht</strong> endlich allein k<strong>an</strong>n Anspruch darauf machen,<br />

umfassende Vielseitigkeit gleichschwebend zu bilden. M<strong>an</strong> denke sich<br />

einen Entwurf des <strong>Unterricht</strong>s, zunächst bloß nach den Gliedern der<br />

Erkenntnis und Teilnahme eingeteilt, mit völliger Nichtachtung aller<br />

Klassifikation der Materialien unserer Wissenschaft; denn diese kommen,<br />

da sie nicht Seiten der Persönlichkeit <strong>unter</strong>scheiden, für<br />

gleichschwebende Vielseitigkeit gar nicht in Betracht. - Durch<br />

Vergleichung mit einem solchen Entwurfe sieht m<strong>an</strong> leicht, welche<br />

Stellen desselben sich der Beiträge der Erfahrung und des Umg<strong>an</strong>gs bei<br />

einem bestimmten Subjekt und <strong>unter</strong> gegebenen Umständen<br />

vorzugsweise zu erfreuen haben, welche ... Partien hingegen leer<br />

ausgehen. M<strong>an</strong> findet z. B., daß der Zögling durch seine Umgebung<br />

mehr auf das gesellschaftliche, etwa patriotische Interesse, als auf<br />

Sympathie mit Einzelnen hingeleitet, - oder daß er mehr auf Dinge des<br />

Geschmacks als der Spekulation zu achten ver<strong>an</strong>laßt ist, - oder<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 7 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

umgekehrt; wo der Fehler gleich groß ist. - Darin liegt d<strong>an</strong>n eine<br />

zwiefache Andeutung. Erstlich soll m<strong>an</strong> auf der Seite, wo das<br />

Übergewicht ist, die Massen zerlegen, ergänzen, ordnen. Zweitens soll<br />

m<strong>an</strong>, teils <strong>an</strong> jenes <strong>an</strong>knüpfend, teils unmittelbar, durch den <strong>Unterricht</strong><br />

das Gleichgewicht herbeiführen“ (Herbart, 1976, S. 85f).<br />

Das vielseitige Interesse dient bei Herbart als Bindeglied zwischen Bildung des<br />

ästhetischen Urteilsvermögens und des moralischen Willens, steht also<br />

zwischen Urteil und Wille und dient somit als Mittel zur sittlichen Bildung des<br />

Zöglings. „Aus dem vielseitigen Interesse soll die Festigkeit des moralischen<br />

Charakters hervorgehn“ (Herbart, 1982, Bd. 3, S. 99).<br />

Der erziehende <strong>Unterricht</strong> zielt beim Zögling auf ein vielseitiges Interesse im<br />

Hinblick auf Welterkenntnis und Teilnahme am zwischenmenschlichen<br />

Umg<strong>an</strong>g. Der <strong>Unterricht</strong> soll dieses ausbilden und fördern. Das bedeutet,<br />

erkennendes Interesse soll zum selbstständigen Denken befähigen und<br />

teilnehmendes Interesse zur Mitmenschlichkeit beim Zögling ausbilden.<br />

Interesse – Aufmerksamkeit - Apperzeption und die dar<strong>an</strong> geknüpften<br />

<strong>didaktische</strong>n <strong>Forderungen</strong><br />

Herbart bringt das Interesse in innige Beziehung zur Aufmerksamkeit, denn zur<br />

Klarlegung des Interesses ist eine eindeutige Kenntnisnahme der<br />

Aufmerksamkeit fast unerlässlich. Immerhin werden diese zwei Begriffe nicht<br />

nur im alltäglichen Gebrauch der Sprache, auch in wissenschaftlichen Werken<br />

vielfach verwendet, aber auch ein<strong>an</strong>der verwechselt, oder wenigstens nicht klar<br />

vonein<strong>an</strong>der <strong>unter</strong>schieden.<br />

Herbart setzt sich mit diesen Begriffen mit viel Mühe ausein<strong>an</strong>der. Für Herbart<br />

(1957) ist die Aufmerksamkeit im Allgemeinen die Aufgelegtheit, einen Zuwachs<br />

<strong>an</strong> vorh<strong>an</strong>denem Vorstellungsvermögen zu erl<strong>an</strong>gen. Diese k<strong>an</strong>n willkürlich<br />

oder unwillkürlich sein. Er ordnet die Aufmerksamkeit gleich wie das Interesse<br />

g<strong>an</strong>z dem geistigen Leben der Vorstellungstätigkeiten und deren Beziehungen<br />

zu.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 8 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Aufmerksamkeit ist durch Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung als<br />

psychischer Vorg<strong>an</strong>g zu verstehen, zu beobachten als Ausdruck von Gestik,<br />

Mimik und Haltung. Aufmerksamkeit ist nicht alleine auf dem Menschen<br />

bezogen, sondern findet sich auch als sinnliches Aufmerken beim Tier. Wir<br />

kennen doch das unruhige Lauern eines Wachhundes.<br />

Was ist diese unwillkürliche Aufmerksamkeit für Herbart?<br />

Nach Herbart (1957) zerfällt die unwillkürliche Aufmerksamkeit wiederum in die<br />

Primative und in die Apperzipierende. Für den <strong>Unterricht</strong> ist die apperzipierende<br />

Aufmerksamkeit die Wichtigere, wobei die primative oder auch ursprüngliche<br />

Aufmerksamkeit die Bedingungen schafft.<br />

Das primative Aufmerken hängt ab von der Stärke der Wahrnehmung, das heißt<br />

je lauter eine Stimme oder je greller die Farben sind desto eher ist eine<br />

Aufmerksamkeit zu beobachten bzw. zu erreichen. Wichtig ist allerdings dabei,<br />

dass die stärksten Wahrnehmungen nicht die am zweckmäßigsten sein<br />

müssen, denn die Sinne stumpfen bald ab. Die ursprüngliche Aufmerksamkeit<br />

hängt mit der aktuellen Kraft der Sinneswahrnehmung zusammen.<br />

Dass es im oder durch den <strong>Unterricht</strong> nicht immer zur klaren Auffassung<br />

kommt, dazu findet Herbart mehrere Ansatzpunkte:<br />

1. Vorstellungen entgegengesetzter Art in den Köpfen der Schüler wirken sich<br />

als Hindernis für das Neue, was gerade jetzt gemerkt werden soll, aus.<br />

Durch zu rasches Aufein<strong>an</strong>derfolgen von <strong>Unterricht</strong>sinhalten passiert dies<br />

häufig. Daraus wird für Anfänger ein schrittweises Zerlegen und<br />

Vor<strong>an</strong>gehen des <strong>Unterricht</strong>es gefordert, denn „… der Anfänger k<strong>an</strong>n nur<br />

l<strong>an</strong>gsam gehen, und die kleinsten Schritte sind für ihn die sichersten …“<br />

(Herbart, 1957, S. 28).<br />

2. Ein weiters Hindernis, welches meist vorübergehend und doch prägend<br />

vorkommt, ist ein Ungleichgewicht bei den vorh<strong>an</strong>denen Vorstellungen.<br />

Damit meint Herbart zu l<strong>an</strong>ge Perioden des Sprechens oder Arbeitens mit<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 9 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Büchern, wobei die Ged<strong>an</strong>ken massiv in Bewegung geraten aber nicht die<br />

Zeit bekommen, sich wieder in Ruhe zu fassen. „… so müssen überhaupt<br />

im <strong>Unterricht</strong>e gewählte Absätze und Ruhepunkte vorkommen, bei<br />

welchen der Schüler hinreichend verweilen k<strong>an</strong>n“. Ansonsten sieht Herbart<br />

die Gefahr, dass vor Zusammentreffen vieler Ged<strong>an</strong>ken, „die Schüler<br />

endlich nichts mehr hören“ (Herbart, 1957, S. 32).<br />

3. Jeder Punkt eines zerlegten G<strong>an</strong>zen passt in ein System. Die Verbindung<br />

darf aber nicht gleich vom Lehrer systematisch vorgenommen werden,<br />

sondern eine Stelle sollte mit <strong>an</strong>deren Inhalten, die für den Schüler am<br />

nächsten liegen, zunächst verbunden werden. Herbert meint damit, dass<br />

ein System nicht bloß gelernt, sondern durch Anwendung und Gebrauch<br />

verst<strong>an</strong>den werden soll (Herbart, 1957).<br />

Durch diese deutlichen <strong>Forderungen</strong> <strong>an</strong> den <strong>Unterricht</strong>, werden ausgeprägte<br />

<strong>didaktische</strong> Fähigkeiten vom Lehrer gefordert: Erstens, dass der Lehrer die<br />

Inhalte eines <strong>Unterricht</strong>sgegenst<strong>an</strong>des in die kleinsten Teile zerlegen k<strong>an</strong>n,<br />

ohne für die Schüler nicht nachvollziehbare Sprünge zu machen, weiters darf<br />

der <strong>Unterricht</strong> nicht sprunghaft <strong>an</strong>gelegt sein, sodass ein ged<strong>an</strong>kliches Festigen<br />

und Verweilen bei einer Thematik für den Schüler möglich ist. Aber in Rücksicht<br />

auf das Verweilen-Können wird dem Lehrer eine weitere Kunst abverl<strong>an</strong>gt,<br />

nämlich die Vermeidung der Eintönigkeit, denn dies würde ermüden, und der<br />

Lehrervortrag würde schleppend werden. Von einem geordneten <strong>Unterricht</strong> wird<br />

M<strong>an</strong>nigfaltigkeit ohne Sprunghaftigkeit gefordert. Dies verl<strong>an</strong>gt eine<br />

ver<strong>an</strong>twortungsvolle <strong>didaktische</strong> Überlegung, damit es zu einem, die<br />

Aufmerksamkeit erregenden <strong>Unterricht</strong> kommt. Denn ein l<strong>an</strong>gweiliger <strong>Unterricht</strong><br />

lässt die Schüler <strong>an</strong> etwas <strong>an</strong>deres denken (Herbart, 1957).<br />

Weiters wird vom Lehrer erwartet und gefordert, dass er darin geübt ist, von<br />

jedem beliebigen Punkt seines Geschehens aus, sich in alle Richtungen zu<br />

bewegen. Erst d<strong>an</strong>n werden Assoziation und methodisches Denken möglich<br />

sein.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 10 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Die Apperzeption oder Aneignung geschieht durch früher erworbene, jetzt<br />

hinzutretende Vorstellungen. Herbart spricht auch von apperzipierendem oder<br />

<strong>an</strong>eignendem Merken. Dieses Merken lernt m<strong>an</strong> schon bei kleinen Kindern<br />

kennen, wenn ihnen in für sie neuen Bilderbüchern bek<strong>an</strong>nte Gegenstände<br />

auffallen, so werden diese ihren früheren Aneignungen gemäß bek<strong>an</strong>nt, oder<br />

hören sie in einem Gespräch von Erwachsenen bek<strong>an</strong>nte Ausdrücke, so<br />

werden diese aus dem unbek<strong>an</strong>nten Text gerissen und für sich wiederholt.<br />

Demnach werden Vorstellungen aus dem Inneren mit dem eben dargebotenen<br />

Gleichartigen vereinigt (Herbart, 1957).<br />

„Eben dies Apperzipieren nun muß während alles <strong>Unterricht</strong>s in beständiger<br />

Tätigkeit sein“ (Herbart, 1957, S. 33).<br />

Herbart meint damit, dass zu Worten des <strong>Unterricht</strong>s die Vorstellungen dazu<br />

aus einem Inneren des Höhrenden kommen sollen. Aber da die Worte nicht nur<br />

verst<strong>an</strong>den werden sollen, sondern auch interessieren sollen, gehört ein hoher<br />

Grad <strong>an</strong> Apperzeption, eine erhöhte Möglichkeit, <strong>an</strong> früher gewonnene<br />

Vorstellungen <strong>an</strong>zuknüpfen, dazu. Ist das apperzipierende Merken einmal im<br />

G<strong>an</strong>ge, soll es nicht gestört werden, sondern benutzt, bis gewisse Erwartungen<br />

beim Schüler befriedigt sind. Diese k<strong>an</strong>n aber auch gestört werden: nämlich<br />

durch unzeitige Pausen und fremdartige Einmischungen, aber auch durch<br />

Apperzeptionen, welche das ins Licht stellen, was im Schatten bleiben sollte.<br />

M<strong>an</strong> sollte im <strong>Unterricht</strong> aber auch das zu Einfache vermeiden. Denn die<br />

Apperzeption des Einfachen will vom Kind bald nicht mehr aufgebracht werden,<br />

es fühlt sich gel<strong>an</strong>gweilt (Herbart, 1957).<br />

Interesse wird demnach geweckt, indem die neu zu vermittelnden Erkenntnisse<br />

in die schon vorh<strong>an</strong>denen Vorstellungsmassen eingegliedert und diese damit<br />

erweitert, umgeordnet und verstärkt werden. Der <strong>Unterricht</strong> muss also<br />

besonderes Gewicht auf die apperzepierende Aufmerksamkeit legen.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 11 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g nennt Herbart einen Grundged<strong>an</strong>ken seiner<br />

Vorstellungen von <strong>Unterricht</strong>:<br />

„Eine Hauptregel ist, die Schüler unmittelbar bevor sie selbst arbeiten<br />

sollen, in den Ged<strong>an</strong>kenkreis zu versetzen, welchem die Arbeit <strong>an</strong>gehört;<br />

besonders beim Anf<strong>an</strong>ge einer Lehrstunde durch eine kurze Übersicht<br />

dessen, was gelesen oder vorgetragen werden wird" (Herbart, 1957, S.<br />

34).<br />

Für Herbart ist es demnach eine Grundregel, die Schüler gleich zu Beginn der<br />

<strong>Unterricht</strong>sstunde in den Ged<strong>an</strong>kenkreis einzuführen, auf den m<strong>an</strong> sich in<br />

dieser Stunde beziehen will. Dies schließt aber nicht aus, dass m<strong>an</strong> in<br />

speziellen Situationen auch von der willkürlichen Aufmerksamkeit Gebrauch<br />

macht, zum Beispiel wenn m<strong>an</strong> das Gedächtnis der Schüler ausnützen will.<br />

Denn bei einem Lernen, bei dem es nicht g<strong>an</strong>z ohne Zw<strong>an</strong>g abgeht, fordert er<br />

erstens, dass der Lehrling bald seine Fortschritte selbst wahrnimmt, zweitens<br />

müssen die einzelnen Lernschritte bestimmt und zweckmäßig <strong>an</strong>gegeben,<br />

dabei leicht ausführbar sein und ein<strong>an</strong>der l<strong>an</strong>gsam folgen. Der <strong>Unterricht</strong> soll<br />

demnach geduldig dem Lehrling gegenüber <strong>an</strong>gelegt werden (Herbart, 1957).<br />

An das Auswendiglernen werden klare <strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> gestellt: Es<br />

wird als notwendig <strong>an</strong>gesehen, aber es muss ohne Anstrengung vonstatten<br />

gehen. Denn wenn ein Inhalt noch nicht verst<strong>an</strong>den worden ist, würden die<br />

einzelnen Vorstellungen zu schnell Gefahr laufen, „… von irgendeinem<br />

Widerst<strong>an</strong>de zu schnell zurückgedrängt …“ zu werden, bevor sie sich<br />

mitein<strong>an</strong>der verbinden könnten (Herbart, 1957, S. 36).<br />

Daher wird <strong>an</strong> die Schaffung von Klarheit und möglicher Assoziation appelliert,<br />

die das Auswendiglernen erleichtern. Die Stofffülle sollte auch gemäßigt<br />

<strong>an</strong>gesetzt werden, <strong>an</strong>sonsten k<strong>an</strong>n für die Schüler kein Weiterkommen in<br />

Aussicht gestellt werden. Ob das Auswendiglernen laut sprechend,<br />

abschreibend oder auch zeichnend vor sich geht, die Art ist einerlei und sollte<br />

nicht vom Lehrer vorbestimmt bzw. <strong>unter</strong>bunden werden. Der Lehrer hat die<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 12 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Aufgabe, falsches Lernen - und dies geschieht sehr oft, wo das Interesse fehlt -<br />

zu <strong>unter</strong>binden, und die Schüler „… in gute Laune zu setzen, die Gegenstände<br />

demgemäß zu wählen, und nur so l<strong>an</strong>ge fortzufahren, aIs sie fühIen, daß sie<br />

können, was m<strong>an</strong> verI<strong>an</strong>gt“ (Herbart, 1957, S. 36f).<br />

Wie können aber Aufmerksamkeit und Interesse im <strong>Unterricht</strong> geweckt werden?<br />

Herbart legt fest: „Interesse ist Selbsttätigkeit. ... Aber nicht alle Selbsttätigkeit<br />

ist erwünscht, ... sonst brauchte m<strong>an</strong> lebhafte Kinder nur sich selbst überlassen;<br />

... Der <strong>Unterricht</strong> soll ihre Ged<strong>an</strong>ken und Bestrebungen richten, aufs Rechte<br />

lenken; … Hier ist eine psychologische Unterscheidung nötig, die zwischen<br />

gehobenen und frei steigenden Vorstellungen“ (Herbart, 1957, S. 29f).<br />

Gehobene Vorstellungen zeigen sich im Aufsagen des Gelernten, frei steigende<br />

in den Ph<strong>an</strong>tasien und Spielen. Werden Kinder im <strong>Unterricht</strong> häufig gezwungen<br />

Gelerntes wiederzugeben, werden sie passiv werden, während in einem<br />

<strong>Unterricht</strong>, indem die frei steigenden Vorstellungen und somit Interesse und<br />

Aufmerksamkeit wirksam geweckt werden, die freie Tätigkeit vorherrschen wird.<br />

“Der Lehrer soll während des <strong>Unterricht</strong>s darauf achten, ob ihm die<br />

Vorstellungen der Schüler frei steigend entgegenkommen oder nicht. Im<br />

ersten Falle nennt m<strong>an</strong> sie aufmerksam, und der <strong>Unterricht</strong> hat ihr<br />

Interesse für sich. Im <strong>an</strong>dern Fall ist zwar die Aufmerksamkeit noch nicht<br />

immer wirklich erloschen, auch läßt sie sich eine Zeitl<strong>an</strong>g noch<br />

erzwingen, bevor wirkliche Ermüdung eintritt; aber es schwebt die Frage,<br />

ob der <strong>Unterricht</strong> für die nämlichen Gegenstände künftig noch Interesse<br />

bewirken könne“ (Herbart, 1957, S. 30).<br />

Je mehr m<strong>an</strong> die gegebenen Vorstellungsmassen in „frei steigende<br />

Vorstellungen" hinüberführen k<strong>an</strong>n, desto wirksamer k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> Interesse<br />

wecken. Die Ideenassoziation ist <strong>an</strong> die Kraft der einzelnen Vorstellungen, <strong>an</strong><br />

das Milieu und <strong>an</strong> verschiedene <strong>an</strong>dere Bedingungen gebunden. Wenn eine<br />

Gruppe von Vorstellungen bewusst wird und das Subjekt zur Aufmerksamkeit<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 13 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

ver<strong>an</strong>lasst wird, werden die zwei Hauptstufen des Interesses offenkundig: das<br />

Merken und das Erwarten (Herbart, 1976).<br />

Je mehr Aufmerksamkeit dem Interesse gewidmet wird, desto mehr gewinnt<br />

dieses <strong>an</strong> Stellenwert und es wird schließlich zu einer „Norm" des Verhaltens<br />

und zu einem wesentlichen Teil der Bildung des moralischen Charakters.<br />

Herbart schließt vom wissenden Ziel des <strong>Unterricht</strong>s auf die Wahl der Inhalte.<br />

Die unwillkürliche Aufmerksamkeit ist diejenige, die ohne Ermahnung und<br />

Drohung erreicht wird. Diese „… muß durch die Kunst des <strong>Unterricht</strong>s gesucht<br />

werden; in ihr liegt das Interesse, welches wir beabsichtigen“ (Herbart, 1957, S.<br />

31).<br />

G<strong>an</strong>g des <strong>Unterricht</strong>s<br />

Ob der <strong>Unterricht</strong> in G<strong>an</strong>g kommt, hängt von den drei Komponenten Lehrer,<br />

Schüler und <strong>Unterricht</strong>sgegenst<strong>an</strong>d ab.<br />

Denn zieht der <strong>Unterricht</strong>sgegenst<strong>an</strong>d den Schüler nicht in seinen B<strong>an</strong>n, so<br />

entsteht eine arbeitsverweigernde Haltung, die ja Jeder aus seiner eigenen<br />

Schulzeit kennt. Es kommt zum Auswendiglernen, da der in sich geschlossene<br />

<strong>Unterricht</strong> nicht seinen Lauf nehmen k<strong>an</strong>n (Herbart, 1957).<br />

Bloß darstellender <strong>Unterricht</strong> nach Herbart<br />

Um den bloß darstellenden <strong>Unterricht</strong> voll zur Wirkung kommen zu lassen, ist<br />

das gesprochene Wort als ein wesentliches Medium <strong>an</strong>zusehen. Sicherer als<br />

das Lesen ist der freie Vortrag des Lehrers, aber frei muss er sein, um<br />

ungestört zu wirken (Herbart, 1957).<br />

Dabei ist Herbart die Wichtigkeit der kindgemäßen Wortwahl und der alters- und<br />

bildungsadäquaten Ausdrucksweise bewusst. Um den <strong>Unterricht</strong>sertrag zu<br />

erhöhen ist mit Hilfe von Anschauungsmaterial das Gesprochene zu<br />

<strong>unter</strong>stützen.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 14 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Herbart legt auf zwei Prinzipien größten Wert:<br />

Der Lehrer muss die Fähigkeit besitzen, sich den Bedürfnissen der<br />

Schüler <strong>an</strong>zupassen.<br />

Die beste <strong>Unterricht</strong>sform ist diejenige, die die Selbstständigkeit<br />

der Schüler nicht <strong>unter</strong>drückt, sonder fördert und akzeptiert.<br />

Analytischer <strong>Unterricht</strong><br />

Der <strong>an</strong>alytische <strong>Unterricht</strong> knüpft <strong>an</strong> den durch den darstellenden <strong>Unterricht</strong><br />

bereits erweiterten Erfahrungskreis <strong>an</strong>. Der Schüler äußert zu erst seine<br />

Ged<strong>an</strong>ken, und diese seine Ged<strong>an</strong>ken werden <strong>unter</strong> Anleitung des Lehrers<br />

<strong>an</strong>alysiert, berichtigt und vervollständig (Herbart, 1957).<br />

Der <strong>an</strong>alytische <strong>Unterricht</strong> verl<strong>an</strong>gt die Stufen der Assoziation und des<br />

Systems. Indem der <strong>an</strong>alytische <strong>Unterricht</strong> ins Allgemeine hinaufsteigt,<br />

erleichtert und fördert er alle Art von Beurteilung. Denn das zu Beurteilende<br />

wird von störenden Faktoren befreit, und es k<strong>an</strong>n als bek<strong>an</strong>nt <strong>an</strong>genommen<br />

werden, dass das Einfache leichter durchschaut werden k<strong>an</strong>n als das<br />

Verknüpfende (Herbart, 1976).<br />

Synthetischer <strong>Unterricht</strong><br />

Liegt der darstellende und der <strong>an</strong>alytische <strong>Unterricht</strong> in Verbindung mit dem<br />

vorgegebenen Erfahrungskreis, so reicht der synthetische <strong>Unterricht</strong> über<br />

dessen Grenzen hinaus. Der synthetische <strong>Unterricht</strong> vollendet sich erst, wenn<br />

er über die Vermittlung neuen Stoffes hinaus auch die Art und Weise und die<br />

Fertigkeit <strong>an</strong>strebt den neuen Stoff zu gebrauchen (Herbart, 1957).<br />

Die methodische Gestaltung des synthetischen <strong>Unterricht</strong>s basiert auf dem<br />

Lehrervortrag. Dadurch ist eine funktionale Beziehung zur Stufe System<br />

gegeben. Der Schüler ist im <strong>an</strong>alytischen <strong>Unterricht</strong> weitgehend selbsttätig,<br />

ergänzt der Lehrer während des synthetischen <strong>Unterricht</strong>s durch seinen Vortrag<br />

nun Erfahrung und Umg<strong>an</strong>g des Schülers (Herbart, 1976).<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 15 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Die Stufe Methode als Anwendung der dem System beinhaltenden<br />

Gesetzmäßigkeiten im Sinne des Versuchens, Übens und Kontrollierens soll die<br />

Brauchbarkeit und Anwendbarkeit des Wissens ermöglichen.<br />

Schlußbetrachtung<br />

Ein wichtiges Merkmal der <strong>Herbarts</strong>chen <strong>Unterricht</strong>stheorie besteht darin, dass<br />

der <strong>Unterricht</strong> nichts mit bloßer Wissensvermittlung zu tun hat. Der <strong>Unterricht</strong><br />

soll vielmehr <strong>an</strong> die Erfahrungen des Her<strong>an</strong>wachsenden <strong>an</strong>knüpfen und sie<br />

erweitern, und die neuen Erfahrungen mitteilbar machen. Er soll auch <strong>an</strong> den<br />

Umf<strong>an</strong>g der Erfahrungen des Her<strong>an</strong>wachsenden <strong>an</strong>knüpfen und ihn erweitern<br />

und die Teilnahme <strong>an</strong> der Gesellschaft fördern. Der <strong>Unterricht</strong> soll also für<br />

Herbart immer eine lebenspraktische Bedeutung haben.<br />

Interesse ist für Herbart eine geistige Tätigkeit, welche das selbsttätige Moment<br />

beinhaltet. Darum bezeichnet Herbart Interesse als „Selbsttätigkeit“.<br />

Selbsttätigkeit ist ein Zentralbegriff für die Neuzeit, weil nur ein selbsttätiges<br />

Wesen in der offenen, bürgerlichen Gesellschaft seine Zukunft frei und selbst<br />

bestimmen k<strong>an</strong>n. Darum ist die Ausbildung der Selbsttätigkeit beim<br />

Her<strong>an</strong>wachsenden eine wichtige Aufgabe der pädagogischen Praxis.<br />

Herbart verl<strong>an</strong>gt vom Lehrer ein umf<strong>an</strong>greiches Repertoire <strong>an</strong> Methoden der<br />

Wissensvermittlung, welches er mit Geschick und Leichtigkeit in der jeweiligen<br />

Situation im Umg<strong>an</strong>g mit dem Schüler <strong>an</strong>wenden sollte, ja sogar muss.<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 16 -


Mag. Josef Freyenschlag<br />

Literatur<br />

Asmus, W. (1976). <strong>Herbarts</strong> Persönlichkeit mit besonderer Berücksichtigung<br />

ihrer Beziehung zu Oldenburg. In F. W. Busch & D. D. Raapke (Hrsg.), Joh<strong>an</strong>n<br />

Friedrich Herbart: Leben und Werk in den Widersprüchen seiner Zeit. Neun<br />

Analysen (S. 39-51). Oldenburg: Holzberg.<br />

Benner, D. (1993). Die Pädagogik <strong>Herbarts</strong>. Eine problemgeschichtliche<br />

Einführung in die Systematik neuzeitlicher Pädagogik. Weinheim und München:<br />

Juventa.<br />

Hellekamps, S. (1991). Erziehender <strong>Unterricht</strong> und Didaktik. Neuere<br />

Didaktiktheorien im Horizont klassischer Begriffsbestimmungen. Weinheim:<br />

Deutscher Studien Verlag.<br />

Herbart, J. F. (1957). Umriß pädagogischer Vorlesungen. Rede bei Eröffnung<br />

der Vorlesung über Pädagogik. J. Esterhues (Hrsg.), Paderborn: Ferdin<strong>an</strong>d<br />

Schöningh.<br />

Herbart, J. F. (1976). Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung<br />

abgeleitet. H. Holstein (Hrsg.), Bochum: Ferdin<strong>an</strong>d Kamp.<br />

Herbart, J. F. (1982). Pädagogische Schriften. W. Asmus (Hrsg.), Stuttgart:<br />

Klett-Cotta.<br />

B<strong>an</strong>d 3: Pädagogisch-<strong>didaktische</strong> Schriften<br />

HERBARTS didaktisch – fach<strong>didaktische</strong> <strong>Forderungen</strong> - 17 -

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